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Auf der Flucht vor der Krise Krisensituationen können besonders belastend auf die Psyche wirken. Um unangenehmen Gedanken und Gefühlen aus dem Weg zu gehen, bietet die Rezeption von Medieninhalten viele Möglichkeiten. Dieses Fluchtverhalten vor der Realität wird mit dem Begriff Eskapismus beschrieben. Aber was genau ist medialer Eskapismus? Welche Rolle spielt er in Krisensituationen und wie wirkt er sich aus? Diesen Fragen besprach SUMO mit dem Rezeptions- und Wirkungsforscher Univ.-Prof. Jörg Matthes sowie einem anonymen Medienrezipienten. Der Begriff Eskapismus ist eng verwandt mit dem englischen Wort „escape” und beschreibt die Flucht vor der Realität. Er gilt in der Medienpsychologie als wichtiges Erklärungsmotiv für die Mediennutzung. „Es geht dabei um den Gedanken, dass ich vor den Problemen, die mich in meinem Leben beschäftigen, in eine andere Welt fliehe. Beispielsweise in eine Welt, die ich in den Medien, in Romanen und Filmen erleben kann. Eskapismus ist die Flucht vor Problemen in meinem Alltag”, so Matthes. Christoph Kuhlmann und Volker Gehrau teilen in „Auf der Flucht vor dem Tod?” (2011) den Begriff Eskapismus in die drei Formen Veränderung, Verschiebung und Verdrängung ein. Aber in welchen Situationen greifen Menschen auf Eskapismus zu? Dazu Matthes, Vorstand des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft Wien: „Wenn ich die Realität nicht mehr aushalte. Wenn die Gedanken, die mich in meiner Realität beschäftigen so belastend sind, dass ich in eine mediale, meist narrative Welt fliehe. In diese begibt man sich, fühlt und erlebt dort stellvertretend mit den AkteurInnen mit, um dann die eigenen Sorgen und Ängste in der eigenen Welt zu vergessen und diese auszublenden.” Die Differenzierung davon, ab wann man von Eskapismus spricht und wann nicht, ist schwer festzulegen. Dies sei ein Problem der Eskapismus-These. „Wenn beispielsweise aufgrund der Co-
rona-Krise mehr Leute Serien schauen oder mehr Romane lesen, ist das nicht automatisch gleich mehr Eskapismus. Wenn ich mir zur Entspannung abends einen Film anschaue, ist das auch nicht automatisch Eskapismus. Eskapismus ist die Realitätsflucht, das Davonlaufen vor den Sorgen, die man hat und sich in einer mentalen Scheinwelt zu bewegen”, so Matthes. Man müsse darauf achten, das Verhalten der RezipientInnen nicht zu stark zu psychologisieren. Auf welche Medien wird zugegriffen? Für den Eskapismus würden sich laut Matthes vor allem narrative Medien und Angebote, die starke Emotionen vermitteln, eignen. „Das sind Medien, bei denen mir Geschichten erzählt werden. Geschichten, auf die ich mich einlassen kann, weil ich mich dann nicht mehr mit meinen eigenen Problemen auseinandersetzen muss, sondern mit den Problemen des Charakters oder Akteurs, der mir in den Medien gezeigt wird. In die ich mich hineinversetze, das Geschehen miterlebe. Man spricht in der Literatur auch von Transportation: Man transportiert sich in die Medienwelt hinein, ist dort stellvertretend anwesend und erlebt es mit, als ob man selbst dabei sei”. Kuhlmann und Gehrau untersuchten in ihrer Studie, welche Wirkungen die Mediennutzung auf die Beantwortung existenzieller Fragen hat. Besonders die Ergebnisse zum Medium Fernsehen
und zu Computerspielen stechen dabei heraus. Rund 49% der Befragten gaben an zur Ablenkung fernzusehen, aber nur 8% um sich mit wichtigen Fragen zu beschäftigen. Computerspiele werden neunmal öfter zur Vermeidung von, als zur Beschäftigung mit wichtigen Fragen genutzt. Diese Differenzen weisen darauf hin, dass die beiden Medien eher zur Vermeidung taugen und deshalb besonders für Eskapismus relevant sind. Eskapismus in Krisensituationen Krisen können besonders das psychische Wohlergehen der betroffenen Personen beeinträchtigen. Dies bestätigt beispielsweise eine Umfrage der Donau-Universität Krems und des österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie. Dabei wurden PsychotherapeutInnen zu den Auswirkungen der COVID-19 bedingten Maßnahmen auf die psychische Gesundheit befragt. Davon berichten 70% über ausschließlich negative Auswirkungen. Dies betrifft vor allem Angst, Einsamkeit und Beengtheit durch die Familie. „Wenn ich eine Krise tatsächlich als psychologische erlebe, steigt natürlich die Wahrscheinlichkeit für den Eskapismus”, stellt Matthes fest. Je stärker eine Krise auftrete, desto höher sei auch die Wahrscheinlichkeit des Eskapismus. Aber nicht jede verstärkte Mediennutzung sei automatisch als Eskapismus zu verstehen.
Auf der Flucht vor der Krise
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