Fachmagazin des Bachelorstudiengangs Medienmanagement der FH St. Pรถlten
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Ausgabe 27
Darf man das schreiben?
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Rechtsextrem 2.0
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Paparazzi: Berichten, Richten & Recht
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Kids on „Instagram“
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Vielfalt nutzen – Diversität in Medien
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Nachrufe auf die Lebenden
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Die Verlockung des Postens
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Recherche? Keine Zeit!
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Online-Community unter Zensur?
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Markenbotschafter: Kinofilm
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Agenda Setting durch Blogs
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Von einem Roboter verfasst?
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„YouNow“: Datensorglosigkeit live
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„Pro Ana-Blogs“ – Leidenschaft oder Leidenssucht?
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Journalismus von oben
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Selbstkontrolle via Presserat oder rein intern?
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Leserombudsstellen in Österreich
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Coverfoto: Elisabeth Brandstetter
Inhalt
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Medienethik
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser!
Kurzweilig erregt sich die Branche über Rügen des Presserats – zumeist wirkungslos für verklagte Medien, gar systemisch. In demokratischen Staaten ist abgesehen von Gesetzen die Selbstregulierung im Medienbereich üblich. Abseits dieses internen Ideals finden Diskurse im Spannungsfeld zwischen medienfunktionaler, Wirtschafts- und journalistischer Berufsethik kaum statt. Die Märkte werden es schon richten. Außen vor bleiben Erwartungen von RezipientInnen, oft zur Kennzahl als Konsumziele degradiert. Im Web 2.0 rächen sich diese bisweilen via „Shitstorms“ und gar medienrechtlich relevanter Beiträge – oder aber sie produzieren selbst. SUMO als von Studierenden gestaltetes (Redaktion, Sales, Produktion, Vertrieb), halbjährlich erscheinendes Fachmagazin des Bachelorstudiengangs Medienmanagement der Fachhochschule St. Pölten hat in dieser Ausgabe Themen im Rahmen der Medienethik abseits des Mainstreams fokussiert. Wir bieten Ihnen als unserer Zielgruppe – ManagerInnen aller Mediengattungen, Lehrende und Studierende der FH St. Pölten, SchülerInnen Berufs- und Allgemeinbildender Höherer Schulen mit Medienschwerpunkt – mehrere Banden: Zu virulenten Themen der Medienbranche forschende, neue Interviewpartner/innen befragende und schreibende Student/inn/en, Vernetzung zwischen Jungen & Jungbleibenden... SUMO hat einerseits die Funktion einer Visitenkarte für die Ausbildung des Führungskräfte-Nachwuchses an der FH St. Pölten für Medienunternehmen, andererseits ermöglicht es beteiligten Studierenden eine Referenzierung auf deren im Rahmen des Studiums erstellten Medienproduktionen.
FH-Prof Mag. Ewald Volk Studiengangsleiter Bachelor Medienmanagement 4 | SUMO
Quelle: Ulrike Wieser
Quelle: Privat
Wir wünschen Ihnen eine elektrisierende Lektüre und freuen uns auf Ihr Feedback,
FH-Prof Mag. Roland Steiner Praxislaborleiter Print Chefredakteur SUMO
Quelle: Elisabeth Brandstetter
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Darf man das schreiben? Die Sprache ist das wichtigste Instrument von JournalistInnen. Doch woher weiß man, wie man was schreiben darf oder soll? SUMO interviewte hierzu Antonia Gössinger, Chefredakteurin der „Kleinen Zeitung“ Kärnten, und den Medienlinguisten Peter Ernst.
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in Thema, das nicht erst seit der Flüchtlingskrise relevant ist, aber im Zuge dieser häufig Gegenstand von Diskussionen war: die Nennung der Herkunft von TäterInnen. Viele Medien mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, beispielsweise Übergriffe von Flüchtlingen verharmlosend darzustellen oder gar zu verschweigen. Bei der Berichterstattung von Boulevardmedien hingegen ist nicht selten die Rede von Übertreibung. Doch wie schaffen es JournalistInnen überhaupt, trotz Zeit- und ökonomischem Druck, tagtäglich verantwortungsbewusst mit dem Instrument Sprache umzugehen? Antonia Gössinger ist seit 2015 Chefredakteurin der „Kleinen Zeitung“ Kärnten und war auch davor viele Jahre als Journalistin für die Tageszeitung tätig. Sie erzählt im SUMO-Interview über ihre Erfahrungen im Umgang mit Sprache im Redaktionsalltag. Das Thema sei durch die Berichterstattung bei Übergriffen von Flüchtlingen wieder akut geworden. Sie nennt als Beispiel heftige Reaktionen auf einen Bericht, in dem die „Kleine Zeitung“ von einem „Sex-Überfall“ auf eine Frau geschrieben hat.
Bei dem Übergriff habe es sich aber um keinen Vorfall im Zusammenhang mit Flüchtlingen gehandelt. „Ich als Chefredakteurin habe an diesem Begriff keinen Anstoß genommen. Das war für mich ein absolut korrekter Begriff “, so Gössinger. Aber es habe daraufhin von Frauenorganisationen die Rückmeldung gegeben, dass dieser Ausdruck „Freiwilligkeit“ vermittle und so die betroffene Frau gewissermaßen ein zweites Mal zum Opfer mache. Denn ein Überfall dürfe nicht mit einem eigentlich freiwilligen Akt in Verbindung gebracht werden. Diese Reaktion auf den Artikel hat schließlich auch dazu geführt, dass die „Kleine Zeitung“ einen „Medienethik-Tag“ für alle RedakteurInnen durchgeführt hat, um eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema zu ermöglichen. Perspektivischer Standortwechsel Tragische Vorfälle werfen für JournalistInnen vor Ort häufig die Frage auf: Was ist – nicht nur in der Wortwahl, sondern bereits in der Recherche – zulässig? Die Chefredakteurin empfiehlt ihrem Team den perspektivischen Standortwechsel. Man müsse sich immer selbst in die Rolle der Betroffenen hineinversetzen
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Medienethik
Was bewirkt Sprache bei RezipientInnen? Peter Ernst setzt sich mit dem Thema „Sprache in den Medien“ aus wissenschaftlicher Perspektive auseinander. Er unterrichtet Medienlinguistik am Institut für Germanistik der Universität Wien und erläutert im SUMO-Interview, dass man die Gestaltung der Sprache in Medien traditionellerweise auf zwei Arten untersuchen könne: einerseits auf der sprachlichen Ebene durch Analyse von Texten nach z.B. Lautung, Wortschatz, Satz oder auch der Verwendung von positiv oder negativ besetzten Wörtern. „Auf der anderen Seite kann man natürlich auch die Sprache der JournalistInnen unter
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pragmatischen Gesichtspunkten betrachten, das heißt, man kann der Frage nachgehen, was will jemand damit erreichen?“ Wie Sprache bei LeserInnen ankommt und was diese bewirkt, könne man nur mit detaillierten Leseranalysen feststellen, generell müsse man aber bedenken, dass nicht nur die verbalen Zeichen eine Wirkung haben, sondern auch Gestaltungsmerkmale wie Layout, Farben, Schriftgröße, Bildanteil, oder auch die Reputation der Schreibenden. Der Experte ist überzeugt, dass sich JournalistInnen ihres Werkzeuges „Sprache“ sehr wohl bewusst seien. Peter Ernst und Verena Ganhör Quelle: Christina Lengauer
können und sich fragen: „Was würde ich noch als zumutbar empfinden, was in der Zeitung oder in einem Online- Bericht steht über etwas, das mir oder meiner Familie zugestoßen ist?“ Dies sei zwar ein guter Filter, doch gerade in der Kriminalberichterstattung sei die Gefahr dennoch immer groß, sich falscher Begriffe zu bedienen. „Wir hatten in früheren Jahren wirklich Missgriffe, wo Berichterstattungen aus dem Gerichtssaal viel zu detailliert stattgefunden haben“, resümiert Gössinger. Doch wenn man nicht beschreibe oder zumindest andeute, was ein/e Täter/in gemacht hat, sei die Gefahr einer Verharmlosung groß. Wenn man nur eine banale Formulierung verwendet, erkläre sich für RezipientInnen dann oft die Schwere eines Urteils nicht. Eine Sachverhaltsbeschreibung kann also für das Medium zum Balanceakt werden. Eine weitere Schwierigkeit der korrekten Sprachverwendung ist dadurch gegeben, dass Sprache wertend sein und so die Objektivität der Berichterstattung gefährden kann. Gössinger verweist auf ein Beispiel in der Politikberichterstattung, wo die „Kleine Zeitung“ über zwei „Streithanseln“ geschrieben hatte. Am Sachverhalt habe zwar alles gestimmt, da eine Auseinandersetzung der involvierten Personen vorausgegangen sei, aber: „Wir legen großen Wert auf die Trennung zwischen Kommentar und Bericht und wenn ich dann einen Bericht übertitle mit ‚Streithanseln‘, dann bewerte ich das“, gesteht Gössinger ein. Die Aufregung der involvierten Personen über diesen Begriff war daher auch für sie berechtigt.
Ein verbaler Ausrutscher könne in der gesprochenen Sprache schnell einmal passieren, in der geschriebenen Sprache werde aber genau überlegt, was und wie man schreibt. Wie eine Nachricht letztendlich veröffentlicht wird, hängt jedoch von vielen Faktoren ab. Die Blattlinie habe darauf ebenso einen Einfluss, wie die Organisationsform eines Mediums und vor allem auch die Erwartungen der LeserInnen. Metaphern und kreative Sprachschöpfungen Doch zurück zur Sprache. Diese bedient sich im Journalismus gerne Metaphern. Der Begriff „Flüchtlingswelle“ ist dafür ein typisches Beispiel. Für Gössinger ist im Zusammenhang mit steigenden Flüchtlingszahlen vor allem das Wort „Tsunami“ zu unterlassen, seit man wisse, was ein solcher anrichten kann. Zudem sei in der Sportberichterstattung die Verwendung von martialischen Metaphern gang und gäbe: „Den Begriff ‚Bombenstimmung‘ zum Beispiel braucht wirklich kein Mensch mehr verwenden. Das sind Begriffe, die man früher gedankenlos verwendet hat.“ In dieser Hinsicht hat sie einen praktischen Tipp aus ihrem ersten journalistischen Grundkurs mitgenommen:
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Antonia Gössinger / Quelle: Kleine Zeitung/Weichselbraun
„Dort habe ich gelernt, dass man sich alles, was man schreibt, einmal bildlich vorstellen muss. Dann formuliert man schon vieles nicht mehr.“ Peter Ernst erläutert, dass die Metapher eine Figur der klassischen Rhetorik sei: „Ein Text gilt ‚stilistisch‘ als höherwertig, wenn er mehr Metaphern aufweist.“ Dass gerne auch eigene kreative Sprachschöpfungen der JournalistInnen in die Berichterstattung einfließen, führt der Linguist vor allem auf den Wunsch nach der Einbringung einer persönlichen Note, sowie danach geistreich und originell sein zu wollen zurück.
Wie kann man nun aber bei origineller Sprachverwendung konkret verhindern, dass man sich falscher Begriffe bedient? Die „Kleine Zeitung“ setzt auf intensive Blattkritik, um aus eigenen Fehlern zu lernen: „Wir haben täglich zwei Redaktionskonferenzen und da kommen diese Aspekte auf den Prüfstand“, so Gössinger. Zudem haben die RedakteurInnen jedes halbe Jahr eine Schulung in Hinblick auf rechtliche Aspekte. Denn die Gefahr Medienrechtsverletzungen zu begehen, sei im hektischen Redaktionsalltag groß, vor allem durch das mul-
timediale Arbeiten. „Alles, was passiert muss möglichst schnell auch online sein und da gilt es dann höllisch aufzupassen, dass man wirklich gut recherchiert hat“, kritisiert Gössinger. Neben dem Einhalten der umfassenden journalistischen Grundprinzipien der Recherche ist es daher auch für alle Pflicht, ihre Artikel gegenlesen zu lassen, bevor diese veröffentlicht werden. Zudem ist der/die Ressortleiter/in dafür verantwortlich, dass nichts „Verhängnisvolles“ erscheint. Für Online gelten diese Regeln gleichermaßen, auch wenn die Gefahrenquelle hier durch die enorme Geschwindigkeit, in der Nachrichten veröffentlicht werden eine größere ist. Die gründliche Recherche geht trotzdem vor: „Im Zweifel sind wir halt nicht so schnell, wenn wir den Sachverhalt nicht genau kennen.“ Dadurch mag bei LeserInnen der Eindruck entstehen, dass klassische Medien Sachverhalte verharmlosen oder sogar gänzlich verschweigen. Ein Problem, das sich laut Gössinger in Zukunft noch weiter verschärfen wird. Bei den LeserInnen sei das diffuse Gefühl erkennbar, dass es ein Verschwiegenheitskartell gebe: „Ich versuche LeserInnen immer zu erklären, dass wir ihnen nichts verschweigen, sondern dass wir haltlose Gerüchte nicht publizieren.“ Damit spricht Gössinger die Gerüchteverbreitung auf Social Media-Seiten und die damit verbundenen „Lügenpresse“-Vorwürfe an. Auch Peter Ernst sieht die Sprachverwendung bei Inhalten, die von UserInnen online publiziert werden, weit problematischer als jene im professionellen Journalismus: „Da ist die Gefahr größer, dass emotionale oder ideologisch negativ besetzte Sprachhandlungen ungefiltert zum Ausdruck kommen.“
Verena Ganhör
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Rechtsextrem 2.0
Quelle: Wikipedia / Rainer Theuer
Medienethik
Neonazismus, Rassismus und Rechtsextremismus im Internet: SUMO sprach mit einem ehemaligen Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes über die rechtsextreme Seite des Netzes.
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echtsextremismus im Internet ist in allen Formen vertreten – Websites, Blogs, Foren, Social Media – und benutzt immer häufiger die Flüchtlingssituation. W.L. – der anonym bleiben möchte – stellt ein Ansteigen insbesondere in Social Media fest. Und: Posts, die auf „Facebook“ veröffentlicht wurden, dienen oft als Grundlage für die Anklage bei Prozessen gegen NS-Wiederbetätigung und Verhetzung. Überblick über rechtsextreme Websites Bei den Begriffen „Rechtspopulistisch“ und „Rechtsextrem“ sind die Grenzen laut W.L. oftmals fließend, da das, was im „rechtsextremen Milieu ideologisch verbreitet wird, teilweise auch in den Rechtspopulismus überlappen“ könne. Das geschieht besonders bei den Themen „AusländerInnen“ und „Flüchtlinge“. Die Geschichte der rechtsextremen Websites beginnt in Österreich in den 1990er Jahren: In dieser Zeit „sind immer mehr Leute aus der Szene ins Internet eingestiegen und haben dort ihre eigenen Websites aufgebaut.“ Aufgrund des Inhaltes, der gegen das Verbotsgesetz verstoßen hat, wechselten diese Website-Server später in die USA. W.L. erklärt, dass im Laufe der Jahre viele Gruppen im Internet aktiv geworden sind, viele davon auch wieder verschwunden sind – eine Analogie insofern zu
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den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als dass auch diese einerseits des Rechts wegen flüchteten, andererseits die Deutungsmacht obsiegte. SUMO stellt die drei in Österreich bekanntesten Sites des rechtsextremen bis neonazistischen Spektrums vor. „Alpen-Donau.info“, seit 2009 aktiv, wurde im Jahr 2011 auf Betreiben der österreichischen Justiz eingestellt. In den folgenden Jahren ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen mehrere Poster der Website. Der mutmaßliche Initiator Gottfried Küssel und andere beteiligte Personen wurden 2013 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Nun (Stand Juni 2016) findet sich auf dieser ein Spendenaufruf und die Information, dass T-Shirts der Seite online gekauft werden können. „Metapedia.org“ tarnt sich als klassische Online-Enzyklopädie nach Vorbild von „Wikipedia“, um auf diesem Weg rechtsextremes Gedankengut zu veröffentlichen. Die Website wird von schwedischen Servern aus betrieben, ihre Inhalte sind als rechtsextrem bis neonazistisch einzuordnen. Laut W.L. sei „Metapedia“ besonders durch falsche historische Angaben gefährlich. Eine der aktuell auffälligsten Seiten in Österreich sei laut W.L. „Volksherrschaft.info“, die dem „rechtsextremen Spektrum zuzurechnen
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ist“. Es bestehen Verbindungen zur deutschen Partei „Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik“ (AfP), die auf der Website verlinkt ist.
pen, die Social Media-Plattformen wie „Facebook“ für die Verbreitung ihrer Inhalte nutzen, sondern auch Privatpersonen, die ihrem Ärger
„Unzensuriert.at“ Bei „Unzensuriert.at“ handelt es sich um eine mittlerweile – via FPÖ – im Mainstream angelangte rechtspopulistische Site. Auf den ersten Blick wirkt sie wie ein seriöses politisches Onlinemedium, die Schlagseite erschießt sich erst im Lesen der Beiträge. Die Artikel sind auffallend kurz und richten sich eindeutig gegen Muslime, Flüchtlinge, Homosexuelle und die Asylpolitik in Österreich und Deutschland. „Unzensuriert.at“ bedient sich Verallgemeinerungen (z.B.: „Jeder zweite Nordafrikaner ist kriminell und meist auch bewaffnet“) und emotional konnotierter Begriffe („Ausländerbanden“). Die Site wurde 2009 im Umfeld des einstigen Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf (FPÖ) gegründet. Auch im journalistischen Diskurs wird die Website nunmehr häufig erwähnt – will man sich doch abgrenzen?
Luft machen. Allgemein werden „die sozialen Netzwerke eher von Personen getragen“ als von Gruppen. Bezogen auf das Schreiben von Kommentaren, die „Gewaltverherrlichung, Ausländerhass oder auch Verherrlichung des Nationalsozialismus“ beinhalten, seien nicht nur rechtsextreme Gruppen und AktivistInnen aus der Szene aktiv, sondern auch „normale BürgerInnen“. Diskussionen von oder mit Leuten, die rechtsextreme Inhalte auf sozialen Medien posten, stellen keine niveauvollen Diskurse dar, es wird schlichtweg gehetzt. Als Unbeteiligte/r bei solchen Postings seine Meinung zu sagen, sei wenig sinnvoll, da die rechtsextremen Poster sehr schnell persönlich werden. W.L. spricht davon, dass viele Menschen im Internet „ihren Hass voll entfalten“. Wenn es sich um strafrechtlich relevante Inhalte handelt, ist etwa „Facebook“ keinesfalls ein rechtsfreier Raum: „Wer mit Postings erwischt wird, die gegen Strafgesetze verstoßen, wird vor Gericht gestellt.“ Social Media-Plattformen werden von rechtsextremen Gruppen und Personen insbesondere genutzt, um Stimmung zu machen: Terroranschläge werden mit der Flüchtlingspolitik verknüpft und es wird verkündet, dass Flüchtlinge eine Gefahr darstellen. Wenn mit Fakten gegen solche Aussagen argumentiert wird, dann kontern sie oder ihre UserInnen mit „Lügenpresse“. Beim Beobachten von rechten Postings auf „Facebook“ stößt man ebenso auf das mittlerweile Stigma „Gutmensch“, mit dem rechtsextreme PosterInnen abfällig Menschen bezeichnen, die sozial denn national-sozial empfinden und agieren.
Die Bedeutung von Social Media W.L. erklärt, dass das Internet immer noch eine wesentliche Rolle spielt, der Großteil der Kommunikationsaktivitäten sich aber in die sozialen Medien verlagert habe. Er bezeichnet sie als „die dezentrale Schaltstelle für solche Gruppen und Personen. Die Vorteile der sozialen Medien für rechtsextreme Gruppen liegen darin, dass dort viele Leute aktiv sind und dass man direkt mit den Menschen Kontakt aufnehmen kann. Im Vergleich zu Websites fällt es ihnen heute noch leichter, Leute in den sozialen Netzwerken anzusprechen“. Besonders im Jahr 2015 haben Hasspostings in Zusammenhang mit dem Thema Flüchtlinge stark zugenommen. Es sind nicht nur Grup-
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Medienethik
Quelle: Screenshot "Facebook"
Passiv versus aktiv: Melden Wer auf rechtsextreme oder neonazistische Inhalte im Internet stößt, der kann sich an verschiedene Stellen melden: das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, die Meldestelle für NS-Wiederbetätigung im Innenministerium, die Sozialen Netzwerke selbst. „Facebook“ gründete im Jänner 2016 initiiert von Menschenrechtsorganisationen und Forschungseinrichtungen die europäische „Initiative für Zivilcourage Online“ und versucht so den Beschwerden zu entgegnen, nicht hart genug gegen Hasspostings vorzugehen.
In Österreich haben Prozesse betreffend Rechtsextremismus, NS-Propaganda und Antisemitismus in den letzten Jahren allgemein und in sozialen Netzwerken stark zugenommen. Rechtsextreme und rassistische Aktivitäten erhöhten sich im Vergleich zu 2014/15 in Österreich um 54% , insgesamt wurden 2015 laut „KURIER“ knapp 1.200 Tathandlungen registriert. W.L. betont, dass die Verfolgung von Site-BetreiberInnen wie PosterInnen strafrechtlich schwierig sei: „Es gibt keine Gesetze in den USA, die vergleichbar mit dem Verbotsgesetz sind, mit dem Volksverhetzungsparagraphen oder mit einigen anderen Gesetzen in europäischen Ländern, was NS-Wiederbetätigung und rassistische Äußerungen betrifft“. Gefahr durch Rechtsextremismus im Internet Vor allem Jugendliche sieht W.L. als die Gruppe an, für die rechtsextreme Seiten im Internet am gefährlichsten sind. Nicht nur durch Websites, auf denen ideologische Artikel veröffentlicht werden, sondern besonders durch einschlägige
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Musik, die im Internet vertrieben wird. Aber auch Seiten wie „metapedia.org“ durch die Anlehnung an „Wikipedia“, denn hier besteht das Risiko, dass die Inhalte als historische Fakten wahrgenommen werden. Bei sozialen Netzwerken sieht W.L. die größte Gefahr im gegenseitigen Aufschaukeln der Beteiligten: Auf das erste rassistische Post folgt ein radikaleres, das mit Bildern unterlegt ist. Es wird PolitikerInnen der Tod gewünscht und dazu aufgerufen, sich zu bewaffnen. „Die Gefahr ist da, dass über Hasspostings, über Aufrufe zu Gewalt, jemand den Schritt weitergeht und eine Aktion setzt“, erklärt er im SUMO-Interview. Soziale Medien, insbesondere „Facebook“, dienen rechtsextremen Gruppen auch dazu, sich zu verabreden und Veranstaltungen zu planen: „Von der verbalen zur realen Gewalt kann es unter Umständen nur mehr ein kleiner Schritt sein.“ Im Nimbus einer selbsternannten Identitätsbewegung?
Elisabeth Brandstetter
DOKUMENTATIONSARCHIV DES ÖSTERREICHISCHEN WIDERSTANDES Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) wurde 1963 von ehemaligen WiderstandskämpferInnen sowie von Wissenschaftlern gegründet. Inhaltliche Schwerpunkte sind Widerstand und Verfolgung, Holocaust, Roma und Sinti, Exil, Medizin und Biopolitik im Nationalsozialismus, NS- und Nachkriegsjustiz, Rechtsextremismus nach 1945, Restitution und Entschädigung nach 1945.
Paparazzi: Berichten, Richten & Recht
Quelle: pexels
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Wie geht die österreichische Judikatur mit einer Medienbranche um, die von der potenziellen Verletzung der Privatsphäre lebt? SUMO sprach darüber mit dem renommierten österreichischen Medienjuristen Alfred J. Noll.
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unkle Kleidung, knallorangene Schuhe und ein herzliches Lächeln – so betritt Alfred J. Noll die Kanzlei. Bei einem Espresso und einigen Zigaretten spricht er über Bildrecht, die Paparazzi-Branche in Österreich und gesellschaftliche Tabus. SUMO: Darf man in Österreich auf der Straße beliebig jemanden fotografieren? Alfred J. Noll: Das war bis vor kurzem sehr leicht, weil es zwar ein Bildnisschutzrecht nach Paragraph 78 Urheberrechts-Gesetz gibt. Das hieß aber immer, man darf aufnehmen, wen auch immer man will, nur die Nutzung war dann verboten. Jetzt hat es vor einigen Jahren die sogenannte „Caroline von Monaco“-Entscheidung am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegeben. Ausgangspunkt waren Fotos von ihr beim Einkaufen durch Paparazzi. Der Spruch lautete, das es sich niemand gefallen lassen muss, dass sie oder er im persönlichen Bereich so sehr beeinträchtigt wird, dass sie oder er hinter jeder Ecke eine/n Fotografin/ en vermuten muss. Im Privaten ist Schluss! Erst vor knapp drei Jahren gab es eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in Österreich: Wenn es jemandem sichtlich unangenehm ist, dass sie oder er fotografiert wird, dann muss das auch der Fotograf bzw. die Fotografin be-
rücksichtigen. Da hat die/der Abgebildete schon gegen die Aufnahme ein Unterlassungsrecht. Strich drunter: Generell darf man immer noch fotografieren, wen auch immer man will. Wenn allerdings Umstände dazukommen, die das für die Abgebildeten in der Situation besonders unangenehm machen, dann darf man das nicht. Und dazu gehört auch – klassisches Paparazzi-Motiv –, wenn man mit Teleobjektiv intime Situationen fotografiert. SUMO: Was wären beispielsweise Umstände, anlässlich derer man sagt, das macht es für Abgebildete offensichtlich unangenehm? Noll: Dafür gibt es keine gesetzlichen Kriterien, sondern das hängt von der Einzelfall-Bewertung ab. Der Oberste Gerichtshof bewertet dann die Interessen und die Situationen der Betroffenen. Hat jemand einen legitimen Grund sich nicht fotografieren zu lassen, muss das die Judikatur berücksichtigen: wenn das Bereiche des Intimlebens oder der Gesundheit sind, Bereiche, die nur durch Überwindung eines Hindernisses, also über eine Mauer kletternd, zugänglich sind. In Wirklichkeit hat jede/r von uns ein gutes Gefühl dafür, etwas wie das „natürliche Rechtsempfinden“. SUMO: Wie sieht es bezüglich der Nutzung der Fotos aus?
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zwar mehr als Tausend Worte, trotzdem im Regelfall nichts. Sie zeigen uns etwas, manifestieren aber keinerlei Bedeutung von dem, was wir sehen. Das ist das, was Bilder so changierend und ambivalent macht. Wir alle haben die Vorstellung, weil wir sinnliche Wesen sind, dass uns ein Bild etwas zeigt – jedoch wissen wir aber nie, was es uns zeigt. Und das ist das publizistisch Spannende an Bildern, weil die den Schein von etwas vermitteln, dem wir sofort ein Sein unterstellen. Dieser Modus wird bei der Bildberichterstattung ausgenutzt. SUMO: Woher beziehen österreichische Klatsch-Magazine ihre Fotos?
Alfred J. Noll / Quelle: Viktoria Stanzl
Noll: Die Nutzung ist nur dann erlaubt, wenn sie keine berechtigten Interessen des/r Abgebildeten verletzt. Dazu gehören mindestens drei Kriterien: Wenn man mit einem Bild falsche verbale Behauptungen verbindet. Bei einem meiner ersten Fälle kam eine Studentin zu mir, die in einem Artikel einer österreichischen Tageszeitung abgebildet war, wie sie im Café sitzt, vor ihr ein Achterl Rotwein und darüber „Alkoholismus in Österreich nimmt zu“ stand. Die Aufnahme war kein Problem: Wenn jemand im Café sitzt, gibt sie oder er sich der Öffentlichkeit preis. Aber die Verbindung des legal hergestellten Fotos mit Alkoholismus muss sich niemand gefallen lassen. Dasselbe gilt, wenn Fotos aufgenommen und dann für Werbezwecke benutzt werden. Und das Dritte sind Aspekte, bei denen es um das Intimleben, um das Privatleben an sich geht. SUMO: Personen des öffentlichen Interesses verlieren dieses Recht ein Stück weit? Noll: Wenn jetzt PolitikerInnen oder A- bis C-Prominente öffentlich agieren, dann sind das durchwegs Personen, die selbst die Öffentlichkeit suchen. Je bekannter oder berühmter jemand ist, desto geringer ist das Interesse, per se nicht bekannt gemacht zu werden. Man muss immer abwägen: Ist es eine Person öffentlichen Interesses bzw. ist das jemand, der sich selbst in die Öffentlichkeit gestellt hat, dann hat er bzw. sie weniger Recht, dass die Veröffentlichung des Bildnisses unterbleibt. Jemand, der unbekannt ist, hat immer ein Recht, dass er oder sie unbekannt bleibt, außer er oder sie will das ändern, aber dann muss er oder sie es selbst sagen. SUMO: Kann man in Österreich von Paparazzi sprechen? Noll: Das gibt es, aber in einem vergleichsweise geringen Ausmaß. Das Problem in Österreich besteht nicht so sehr in einer unlauteren Bildberichterstattung, sondern eher in der Textierung und der Überflutung von Bildern. Wenn man eine Zeitung wie „Österreich“ durchblättert, hat man ein Bilderbuch. Paparazzi-Tum gibt es, aber in einer sanften und wenig skandalisierungswerten Weise. SUMO: Was halten Sie generell von der Entwicklung des Bildjournalismus? Noll: Da bin ich sehr konservativ: Bilder sagen
Noll: Von weltweit agierenden Agenturen. Aber nur weil jemand einen Bericht mit einem Foto in Verbindung bringt, heißt das noch lange nicht, dass dieses Foto etwas mit dem Bericht zu tun hat. SUMO: Und ist es dann legal, wenn ein Magazin ein Foto veröffentlicht, das eine/n Prominente/n in einer unangenehmen Situation zeigt? Noll: Wenn es aus dem Privat-, vor allem Intimleben stammt, dann spricht tendenziell alles dafür, dass es das nicht darf. Dagegen könnten sich die Abgebildeten wehren. Ob die das dann wirklich tun, ist eine Frage der Opportunität. SchauspielerInnen oder PolitikerInnen müssen oft abwägen: Lieber ist es mir, wenn überhaupt über mich berichtet wird als nicht, weil dann sinkt mein Marktwert. Nur weil etwas erschienen ist, heißt das noch lange nicht, dass es juris-
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tisch gesehen erlaubt war. SUMO: Aus Österreich gibt es vergleichsweise wenige Paparazzi-Shots. Woran liegt das? Noll: Bis zum Ende des letzten Jahrhunderts und mit leichten Nachwirkungen auch jetzt noch galt im gesamten österreichischen Journalismus ein Common Sense: Private Angelegenheiten der PolitikerInnen oder SchauspielerInnen haben uns nicht zu interessieren. Mittlerweile glaube ich, dass jede Geschichte in die Zeitung kommt. Das hängt mit den Arbeitsbedingungen von JournalistInnen durch die Prekarisierung des Berufsstandes zusammen. Alles was tendenziell skandalisierungsfähig ist, hat eine höhere Chance, dass es veröffentlicht wird. Publizistisch und auch medienpolitisch ist das sehr spannend: Ich glaube nicht, dass es früher weniger Skandale gegeben hat, aber die Arbeits- und Marktbedingungen von Zeitungen führen dazu, dass man das, was es immer schon gegeben hat, heute versucht, an den Mann und an die Frau zu bringen. SUMO: Heutzutage kann jede/r Fotos mit dem Smartphone schießen. Welche Auswirkungen hat das auf den Journalismus – und auf Gesetze? Noll: Natürlich kennen wir von „Facebook“ und aus dem Internet generell viele Veröffentlichungen, nur ist es inzwischen wie ein Rauschen. Das ist das, was Marshall McLuhan schon in den 1960ern gesagt hat: Je mehr an Informationen und darin Bildern es gibt, desto weniger sind wir fähig, sie wahrzunehmen. Das entwertet vieles. Es hat die technischen Möglichkeiten erweitert und auch die sozialen Gelegenheiten, ich glaube aber nicht, dass es bedeutsam ist. Weil, und das gilt für das ganze Internet, diese Medien in der Hierarchie der RezipientInnen immer noch niederen Rangs gewertet werden, als anerkannte Printmedien und ihre Online-Ableger. SUMO: Inwieweit übernehmen Prominente und PolitikerInnen die Rolle der Paparazzi selbst durch Social Media-Kommunikationen? Noll: Ich neige tendenziell dazu, dass PolitikerInnen und JournalistInnen Komplizen sind. Es ist von der Zielrichtung her ein selbstreferenzielles System, das sich wechselseitig stärkt. PolitikerInnen schimpfen über JournalistInnen und
umgekehrt, wechselseitig erfüllen sie dadurch das, was jeweils die anderen brauchen, um gesellschaftliche Anerkennung zu bekommen. Karl-Heinz Grasser ist ein schönes Beispiel: eigene Homepage, bei allen Feel-Good-Events dabei. Aber kaum wird er im Flughafengelände beim Schmusen fotografiert, klagt er auf Unterlassung, weil das jetzt angeblich sein Privatleben ist. SUMO: Und wie ist dieser Aspekt im Fall Grasser ausgegangen? Noll: Er hat Recht bekommen, was ich juristisch für falsch halte. SUMO: Wie schätzen Sie die Zukunft des Paparazzi-Marktes in Österreich ein? Noll: Ich glaube nicht, dass sich da sehr viel ändern wird. Das hängt auch damit zusammen, dass Österreich erstens sehr klein ist, zweitens die Anzahl derjenigen, die entweder glauben, dass sie Celebrities sind, oder von denen in der Öffentlichkeit so getan wird, als ob weltberühmt in Wien schon ausreicht, überschaubar bleibt. In Italien, Frankreich oder den USA, wo das Paparazzi-Tum viel ausgeprägter ist, wird das auch so bleiben. Das hat wiederum sehr viel mit dem Katholizismus zu tun. Je größer die gesellschaftlichen Tabus sind, umso spannender sind natürlich Paparazzi-Fotos. Wo man zwar eine katholische Landschaft hat, die aber vergleichsweise säkular funktioniert wie in Österreich, interessiert das niemanden, weil man weiß, dass jede/r Leichen im Keller hat. Paparazzi-Fotos sind dort spannend, wo die Diskrepanz zwischen öffentlich beschriebener Moral und dem was die Leute tatsächlich tun, sehr groß ist. In Ländern wie Österreich, wo jeder weiß, dass man untertags das eine meint, abends das andere sagt, wird das nicht so prekär und nicht so spannend.
Viktoria Stanzl
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Quelle: pixabay
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Kids on „Instagram“ Kinderfotos auf „Instagram“ gelten als süß und populär. Die Konsequenzen werden nur wenig bedacht, so Kommunikationswissenschaftlerin Ingrid Paus-Hasebrink und Rechtsexperte Johannes Öhlböck zu SUMO.
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ind Kinder wirklich immer so glücklich, wie sie aussehen oder steckt viel mehr dahinter als eine Momentaufnahme? Was müssen sie ertragen im exhibitionistischen Sinn? Unterschiedliche Privatsphären Im SUMO-Interview verweist Johannes Öhlböck, Rechtsanwalt in Wien mit Spezialisierungen in Internet-, Urheber- und Gesellschaftsrecht, zum Posten privater Kinderfotos auf Artikel 4 des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern: „Jedes Kind hat das Recht auf angemessene Beteiligung und Berücksichtigung seiner Meinung in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten, in einer seinem Alter und seiner Entwicklung entsprechenden Weise.“ Heranwachsende sind daher im Zweifelsfall im Vorhinein zu fragen. Warum aber überschwemmen Eltern das Netz dennoch mit Einblicken in die Privatsphäre ihrer Kinder – liegt es an unterschiedlichen Auffassungen von „Privatsphäre“? Danah Boyd, Präsidentin des „Data & Society Research Institute“ in New York, untersuchte Letzteres in einer Befragungsstudie an Teenagern vor fünf Jahren. Es resultierte, dass es jenen dabei um Selbstbestimmung und Rückzugsorte geht und ihnen Sichtbarkeit, Aufmerksamkeit und Wertschätzung im So-
cial Web wichtig sind – jedoch seitens eines selbstgewählten Kreises. In dieser Hinsicht em pfinden sie Erwachsene als Störfaktoren ihrer Privatsphäre, wohingegen erwachsene Social Media-NutzerInnen vielmehr den Staat oder Arbeitgeber als potentielle Bedrohungen definieren. Ein erster theoretischer Ansatz zur Erklärung folgender empirischer Befunde? Ein Forschungsprojekt an der Universität Erfurt hatte zum Ziel herauszufinden, was Eltern über ihre Kinder im Netz veröffentlichen. Es wurden Beiträge und Bilder unter dem Hashtag „Mutterliebe“ inhaltsanalytisch ausgewertet. „Dabei wären Fotos von nackten Babys noch das harmloseste gewesen”, konstatierte Projektleiter Sven Jöckel in einem Bericht auf der Website der Universität: „Manche Eltern finden es offenbar auch in Ordnung, Fotos von Kleinkindern zu posten, die gerade schwach und fiebrig im Bett liegen.” Die psychologische Perspektive Ingrid Paus-Hasebrink, renommierte Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität Salzburg und in Leitungsfunktion beim Forschungsprojekt „EU Kids Online“, erörterte im Gespräch mit SUMO erst die historische Dimension: „Was früher das Versenden von Baby-Fotos per Brief war, lässt sich heute leicht
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Medienethik
Ingrid Paus-Hasebrink / Quelle: Andreas Kolarik
lichen Fotos ihren Kindern viel mehr schaden können, als sie denken. Konsequenzen können nicht nur in Form von Mobbing durch spätere SchulkollegInnen eintreten, die auf die von
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Eltern vermeintlich lustig gemeinten Fotos stoßen, sondern können auch bis ins Berufsleben belastend wirken. Sensibilisierung und Lösungsansätze Die Polizei in Hagen im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfahlen machte es im Oktober 2015 vor. Mit einer eigenen Kampagne schaffte sie Aufmerksamkeit für die Privatsphäre von Kindern.
Quelle: Polizei NRW Hagen
über Video- oder Fotoplattformen bewerkstelligen – und dies gleich mit einer viel höheren Reichweite als früher. Da die Kommunikation über Social Web-Dienste Zeit- und Raumgrenzen unwichtig macht, ist diese Form der Mitteilung hoch beliebt.” Zu den psychologischen Beweggründen der Eltern und zu den Konsequenzen für Kinder, deren Fotos oder Videos ohne Einverständnis gepostet werden, konstatiert sie: „In der überschwänglichen Freude über ihr Kind, in dem sich zuweilen hochschaukelnden ‚Konkurrenzkampf ' von Eltern untereinander, vergessen diese, was die geposteten Fotos oder hochgeladenen Videos für die Kinder bedeuten können: die Verletzung ihrer Intimsphäre.” Eltern überschreiten oftmals gedankenlos die Rechte ihrer Kinder auf persönliche Integrität und Würde. Ein Bild auf „Instagram“ zu posten, das die Tochter oder den Sohn beispielsweise krank abbildet, stellt ohne Zweifel eine Verletzung jener Prinzipien dar. Dass das Internet nicht vergisst, bedenken Eltern dabei ebenso wenig, als dass sie mit nied-
Die Aufklärung der Eltern hält auch Paus-Hasebrink für äußerst relevant: im Umgang mit dem Internet generell und im Umgang mit Privatheit. Darunter wird das Auswählen-Können verstanden, wann, wie und wem man Informationen in Hinblick auf die unterschiedlichen „Teil-Öffentlichkeiten” seitens der Eltern mitteilen darf. Um Sensibilisierung für das Thema zu schaffen, schlagen Paus-Hasebrink und Öhlböck gezielte Elternbildung, das Schaffen von Aufmerksamkeit in den Medien, Informationen auf Elternabenden in Kindergärten und Schulen vor. Noch fehle es Eltern, die nicht zu den „Digital Natives” gehören, an Know-How in diesem Bereich. Wobei auch Digitalnative häufig digital Naive sind und ihren Kleinen eine Bilderlast ins Netz drucken, die später nicht bloß Nostalgie, sondern auch Leid bewirken kann.
Julia Hollitsch
Julia Riepl
Quelle: Madeleine Wolfinger
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Vielfalt nutzen – Diversität in Medien Die Arbeitswelt wird bunter, Unterschiede in Geschlecht, Herkunft und Alter werden stärker wertgeschätzt statt eingeebnet. So auch in Medienunternehmen. Universitätsprofessor Thomas Schneidhofer und „Radio Wien“-Programmdirektorin Jasmin Dolati im SUMO-Gespräch.
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nders sein und doch gleich – Diversität bedeutet Vielfalt und Gleichheit von Menschen, die unterschiedliche Werte, Normen, Einstellungen oder eine unterschiedliche Weltanschauung haben, das zu potentiellen Verhaltensunterschieden führt. Aus diesem Grund wird Diversitätsmanagement in Unternehmen immer wichtiger, um mit der Vielfältigkeit von Arbeitnehmern/-innen richtig umzugehen. Es ist hierbei weniger altruistischen Ursprungs, sondern dient in erster Linie dem ökonomischen Nutzen, der durch Inklusion, also Akzeptanz der Individualität jedes einzelnen Menschen erreicht werden kann. Zu beachten ist aber, dass Arbeitnehmer/-innen nicht anhand Stereotypen unterschieden werden, denn so erreiche man durch Selektion genau das Gegenteil von Diversitätsmanagement, warnt Thomas Schneidhofer im SUMO-Gespräch. Als Professor an der Privatuniversität Schloss Seeburg (Salzburg) ist er in diesem Bereich auch in Forschungsprojekten und Kooperationen mit österreichischen Unternehmen tätig. Ein weiterer Punkt ist, dass viele Unternehmen an der Messung der Diversitätsmanagement-Strategien scheitern. Die Schwierigkeit liegt darin, dass die
Quote zur Zielerreichung einer gleichmäßigen Verteilung der Individuen mit verschiedenen Merkmalen nur mit konkreten Maßnahmen erreicht werden kann. Es ist nicht genug zu sagen, dass ein Unternehmen die Frauenquote bis Ende 2016 um 20% erhöhen möchte, sondern das „Wie?“ ist maßgeblich, so Schneidhofer. Zielgruppen richtig ansprechen Die steigende Bedeutung des wertschätzenden Pluralismus in der Gesellschaft verlangt von Medienunternehmen, die nebeneinander bestehenden unterschiedlichen Lebenswelten, Vorstellungen und Anforderungen im Programm widerzuspiegeln und die Inhalte an deren Hauptzielgruppe anzupassen. Bei „Radio Wien“ des ORF sind ein Teil der Hauptzielgruppe die multikulturellen Bewohner/-innen der Hauptstadt. Programmdirektorin Jasmin Dolati betont die Wichtigkeit, diese Vielfalt in Medienunternehmen zu leben, einerseits betreffs redaktioneller Themensetzung, andererseits im Fokus auf die Vielfalt der Menschen im Land: „Unterschiedliche Menschen aus unterschiedlichen Nationen und unterschiedlichen Kulturen bereichern ein Medienunternehmen
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sehr stark.“ Der Radiosender setzt deshalb bei seiner Beschäftigungsstrategie auf ein multikulturelles Arbeitsklima. Trotz der allgemeinen Diskriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt, bei der der GenderPay-Gap immer größer wird und Frauen auf „gläserne Decken“ stoßen, die dafür verantwortlich sind, dass weibliche Arbeitnehmer mit schwierigeren Bedingungen als männliche konfrontiert sind, um die Karriereleiter zu erklimmen, sei das bei „Radio Wien“ anders. Die hohe Frauenquote ist für den Betrieb ein wichtiger Ansatz, der auch gefördert wird. Dolati ist außerdem der Meinung, dass Frauen in Führungspositionen ein besseres Gespür dafür haben, die Vorteile der Diversität in Bezug auf Menschen mit Migrationshintergrund, Frauen, ältere und beeinträchtigte Arbeitnehmer/-innen in Unternehmen wahrzunehmen und in die Beschäftigungsstrategie einzubeziehen. Arbeitsgruppen in multikulturellen Unternehmen Dass durch die Förderung von gewissen Diversitätsdimensionen andere außenvorgelassen werden, zeigt sich oft in der Praxis. Denn es besteht die Gefahr, dass durch eine Inklusion auch gleichzeitig wieder eine Exklusion geschaffen wird. Aus der empirischen Studie „Recognizing the benefits of diversity" von Roberge (Northeastern Illinois University) und Van Dick (Goethe-Universität Frankfurt/Main) aus dem Jahr 2010 resultiert, dass ein hoher Grad an Diversität die Leistung von Teams verschlechtert. Denn je höher der Diversitätsgrad ist, desto schwieriger wird es für Menschen sich zu öffnen, desto schwieriger wird es empathisch zu agieren und wenn es Sprachbarrieren gibt, zielgerichtet zu kommunizieren. Einerseits kann dies durch die Salienz (Auffälligkeit) einer Identität, die trotz Statusunterschieden versucht eine Gemeinsamkeit zu konstruieren, verhindert werden. Die zweite Variable ist das psychologische Sicherheitsklima, in der jede/r sicher sein kann, dass ihre/seine Meinung akzeptiert und nicht abgewertet wird. Durch diese zwei Moderatorvariablen ist es möglich, dass es zu Synergiepotentialen in der Arbeitsgruppe
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kommt, die durch eine nicht heterogene Gruppe nicht gehoben hätten werden können, erklärt Thomas Schneidhofer. Kulturaustausch „Radio Wien“ hatte beispielweise eine Serie im Programm, in der Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Ländern über ihr neues Leben in Wien gesprochen haben. Dazu zählen Erlebnisse wie der Wechsel, der Neubeginn, Schwierigkeiten aber auch die schönen Seiten einer erfolgreichen Integration. Außerdem gibt es Sendungen, die auch das Thema Integration behandeln wie beispielsweise „Mittwochabend mit Alexander Göbel“, in der Menschen nach ihren Meinungen zu unterschiedlichsten Themen und ihren Lebensgeschichten befragt werden. Das Zielpublikum sind nicht nur Migranten/-innen, sondern auch Menschen, die an anderen Kulturen, vom Essen beginnend über Bräuche bis hin zu Traditionen und Religionen, interessiert sind. Schneidhofer sieht die Lage ähnlich und meint, dass Medienunternehmen heutzutage verpflichtet sind, auf die Vielfalt in der Bevölkerung einzugehen und deren Meinungen und Interessen durch zielgruppengerechte Programmgestaltung einzubinden, damit es nicht zu einem sogenannten Ingroup-Denken kommt, das dazu führt, dass die Perspektive der Andersartigen nicht berücksichtigt wird: EinwohnerInnen mit Migrationshintergrund zum Beispiel, die ganz andere Anforderungen, Vorstellungen und ganz andere Lebenswelten haben. Dementsprechend würde sich da jedes Medienunternehmen eine Chance vertun, wenn diese Gesellschaftsgruppe nicht ideal bedient werden würde. Dies gilt im (medien-)kulturellen wie auch im ökonomischen Sinn.
Madeleine Wolfinger
Quelle: Elisabeth Brandstetter
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Nachrufe auf die Lebenden Um die Meinungen zu vorab verfassten Nekrologen zu erfahren, hat SUMO mit zwei Kulturjournalisten gesprochen: Edwin Baumgartner, Redakteur des Feuilletons der „Wiener Zeitung“, und Karl Fluch, Kulturredakteur beim „Standard“.
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orab verfasste Nachrufe sind ein Thema, das JournalistInnen in ihrem Berufsalltag begleitet. Wie man dazu steht und ob man Nachrufe für noch lebende Prominente verfasst, sind zumeist persönliche Entscheidungen. Laut Duden sind Nachrufe „einem kürzlich Verstorbenen gewidmete, mit einem Rückblick auf sein Leben verbundene, Worte der Würdigung“. Doch mit den Worten der Würdigung sollte man es, so Karl Fluch, nicht übertreiben, da man „durchaus höflich, kritisch das Leben und Werk von jemandem beschreiben“ sollte und ein Nachruf keine „zwangsweise Würdigung“ sei. Weiter meint er, dass man „sich vor einem Toten sicher nicht in den Staub werfen“ muss, da derjenige post mortem nichts davon hat, „ihm mit aufgesetzter Wortwahl nachzuschmeicheln“. Edwin Baumgartner merkt an, dass sowohl positive als auch negative Seiten referiert werden sollen: „Ein Leben besteht eben nicht nur aus positiven Fakten. Das macht die Person greifbarer.“ Und außerdem schreibe man anders, „wenn ein Leben abgeschlossen ist, als wenn ein Leben noch dauert“, wobei er speziell in der Verwendung der Sprache keinen Unterschied zu anderen Textsorten sieht.
Nachruf oder „Vorruf “? Ein vorab verfasster Nachruf ist folglich ein Rückblick auf das Leben einer Person, die zum Zeitpunkt des Verfassens noch lebt. Bis auf die genaue Todesart sowie den Zeitpunkt kann solch ein Bericht vorbereitet werden, was bei vielen Medien durchaus üblich ist. So schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ im Jahr 2010, dass die US-amerikanische Nachrichtenagentur AP in etwa 1000 Nachrufe und die „New York Times“ 1500 solcher Beiträge auf Lager habe. Die Website „necropedia.org“ nähert sich diesem Thema auf humorvolle Weise und stellt „Voraus-Nachrufe auf berühmte Persönlichkeiten für vielbeschäftigte Journalisten“ zur Verfügung. Alphabetisch geordnet befinden sich auf der Seite zahlreiche Nachrufe, deren Datum sich täglich aktualisiert. In zwei Sätzen wird das Geburtsdatum, der Grund für die Bekanntheit und das Sterbedatum angeführt. Die empörten Kommentare auf der Website zeigen, dass viele Menschen vorab verfasste Nachrufe für unangebracht halten. Doch wie ist es für JournalistInnen: Ist es schlichtweg Teil ihres Arbeitsalltags oder haben sie moralische Bedenken?
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Quelle: Screenshot "Necropedia.org"
Für Baumgartner sind vorab verfasste Nachrufe „eine Katastrophe“ und „eine absolute Notlösung“, die er zu vermeiden versucht. So hat er auch schon an freien Tagen Nachrufe geschrieben, um dem zu entgehen, „vorab jemanden zu Grabe zu tragen, der noch lebt“. Ganz anders Karl Fluch: Er habe „kein Problem damit“ und schon einige Nachrufe vorgeschrieben auf Menschen, denen er wünscht, „dass sie noch lange leben“. Auch moralisch sieht er kein Problem darin, Nachrufe auf lebende Personen zu verfassen, wobei es auf die „Prominenz und Wichtigkeit“ der Person ankommt. So meint er: „Ich schreibe jetzt keine Nachrufe auf 19-Jährige Popstars. Also ein Justin Bieber-Nachruf existiert nicht.“
Zeitdruck und Vermeiden von Fehlern Doch welche Gründe gibt es für dieses Phänomen? Laut Fluch sei es schlichtweg die Zeitknappheit. Er sieht es als besser an, Nachrufe vorab zu schreiben, als nur wenige Stunden zur Verfügung zu haben, da der Zeitdruck die Wahrscheinlichkeit für Fehler erhöhe. Vorgefasst gibt es ihm die Möglichkeit, das Geschriebene „doppelt und dreifach“ zu überprüfen. Wenn diese/r Prominente dann wirklich stirbt, brauche er „nur gewisse Eckpunkte wie das Ableben und den Grund nachjustieren“. Für Edwin Baumgartner erhöhe ein Nachruf den Arbeitsdruck eines Tages wesentlich, da ein unvorhersehbarer Auftrag hinzukommt. In der Zeit vor dem Internet war es häufiger notwendig, Nachrufe vorab zu verfassen, da JournalistInnen „die Informationen nicht parat“ hatten und sie aus Lexika zusammensuchen mussten. „Das ist eine sehr mühsame Arbeit gewesen.
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Daher hat man das ganz gerne vorher gemacht, weil dann im Bedarfsfall allein schon die Recherchearbeit weggefallen ist“, resümiert er. Das Internet erleichtert für ihn das Schreiben von Nachrufen, da er bisher über jede Person Informationen gefunden habe. Durch das Internet und die Aktualität der Online-Medien sieht im Gegensatz dazu Karl Fluch vorab geschriebene Nachrufe gar als notwendig an. Der Nachruf soll möglichst in der Sekunde vorhanden sein, in der die Meldung hereinkommt. Die Moral von der Geschichte? Manche JournalistInnen sehen vorab verfasste Nachrufe als problematisch an, für andere sind sie schlichtweg Teil ihres Berufsalltags. Erklärt wird das Schreiben solcher Berichte vor dem Tod einer Person mit Zeitdruck, Nachrichtenaktualität und der Vermeidung von Fehlern. Wie auch immer ein/e JournalistIn dazu steht, dieser Vorgang ist gängige Praxis bei vielen Medienunternehmen. Über den früheren „New York Times“-Journalisten Alden Whitman wird sogar berichtet, er habe bestimmte Prominente ausgewählt und mit ihnen ein Interview geführt, nur um dieses für ihre Nachrufe einbauen zu können. Doch man sollte bei dieser Thematik den moralischen Standpunkt nicht aus den Augen verlieren: Es sind lebende Personen, über die geschrieben wird. Natürlich bedeutet ein vorab geschriebener Nachruf nicht, dass man jemandem den Tod wünscht, aber ein gewisser Beigeschmack bleibt.
Elisabeth Brandstetter
Quelle: pexels
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Die Verlockung des Postens Lesen, Kommentieren, Debattieren – fixe Bestandteile im Leben eines Onlineforen-Prosumenten. SUMO traf einen solchen, sowie Oliver Scheibenbogen, Leiter des Bereichs Klinische Psychologie am Anton Proksch Institut, um über Motive, Moral und Mitteilsucht zu sprechen.
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ax wacht auf, fährt den Computer hoch, checkt die neusten Artikel auf „der.Standard.at“ und die Reaktionen der Foren-Community, in der er fest verwurzelt ist, und verfasst einige Kommentare. Ein ganz normaler Morgen für Max, der anonym bleiben möchte. Der Hype um diese Art des Feedbacks prägte auch den Anglizismus „Poster“: Was früher das Hochglanzpapierabbild eines Idols war, ist heute der Terminus für einen Teil der Aufmerksamkeitsökonomie – also ähnlich? Attraktivität der Foren Motive gibt es viele als Poster aktiv zu werden, grundlegend ist jedoch der Menschen angeborene Drang zur Kommunikation. Die stetig steigende Anzahl an Posts erklärt Scheibenbogen damit, dass diese Art zu interagieren eine vergleichsweise innovative, weil eben nicht bloß reaktive ist. „Dabei handelt es sich um einen klassischen Anfangseffekt, der Trend pendelt sich aber mit der Zeit wieder ein.“ Max ist seit acht Jahren Teil der Poster-Community der Onlineausgabe der Tageszeitung „Der Standard“, die im deutschsprachigen Raum als erste online ging und rasch die Bedeutung der Leserinteraktion erkannte, sodass sie in Öster-
reich in puncto Frequenz wohl federführend ist. Sein Hauptmotiv: „Ich fühle mich oft bemüßigt, Dinge klar zu stellen, oder meine Sicht der Dinge zu schildern.“ Als Brancheninsider meint er auch eine Bandbreite an Information zu erlangen, die man durch klassische Berichterstattung nie erhalten würde. Laut Scheibenbogen hat die Partizipation in Foren jedoch auch etwas mit sozialer Erwünschtheit zu tun. Die Möglichkeit sich im Internet einen anderen Stellenwert als im realen Leben zu erarbeiten, ist für viele verlockend. „Je mehr ich pseudovernetzt bin, je mehr ich poste, desto mehr habe ich auch dieses subjektive Gefühl der Bedeutsamkeit“, erklärt er diesen psychischen Effekt. Er führt diese Versuche sich in die Community zu integrieren auf mangelnde Medienkompetenz zurück. Des Weiteren besteht, auch aus dem eben genannten Grund, häufig der Irrglaube, dass man im Internet nicht belangt werden kann. Denn durch das Verlassen des gewohnten terrestrischen Territoriums denken viele, dass das Internet ein rechtsfreier Raum sei. Anonymität als Feind der Moral Die wohl verlockendste Komponente an On-
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oder mich als realen Oliver. Hinter den Reaktionen, die ich auf meine Kennung bekomme, steckt eine Vorstellung des/r Antwortenden, wie ich bin, und das kann durchaus wenig mit meiner realen Persönlichkeit zu tun haben“, so Scheibenbogen. Kränkungen des erschaffenen Avatars im Forum sind also auch Kränkungen der Person hinter dem Bildschirm.
wenn ich in der Real-Welt keine Möglichkeit dazu habe. Aus Sicht des Posters ist es von der Psychodynamik her sogar sehr geschickt seiner Frustration freien Lauf zu lassen, im Sinne einer Psychohygiene.“ Der im realen Leben fehlende Mut wird einem durch Anonymität verliehen. Daher benutzen viele Poster Foren als Spielplätze von Gratwanderungen. Die Frage „Wie weit kann ich gehen“ hat seit Kindertagen einen Reiz, der auf derartigen Plattformen oft ausgelebt wird. Auch Max meint, dass es spannend sei herauszufinden, wie viel erlaubt ist. „Ab und zu schreibe ich schon sehr polemisch und provozierend“, gibt er zu. Da dieses Motiv häufiger verfolgt wird, haben die Forenbetreiber längst interveniert, und es gibt kaum noch eine Seite, die nicht mittels Monitoring überwacht wird. Diese Software löscht inadäquate Posts, Max hat es mittlerweile auf über 900 als unangebracht eingestufte und daher gelöschte gebracht. Doch aufseiten der Psychodynamik hat diese Sache einen Haken: Vielen UserInnen ist gar nicht bewusst, dass sie sich in Foren verstellen. „Das Problem ist, dass wir von der Psyche her nicht unterscheiden können: Ist das jetzt etwas, was mich als ‚oliver7380’ betrifft,
Schattenseiten Geschieht aber das Gegenteil und erhält man positives Feedback auf eigene Kommentare, kann Posten ein hohes Suchtpotential aufweisen. Der klinische Psychologe erklärt die Situation folgendermaßen: „Wenn ich in einem negativen Zustand bin und diese negative Befindlichkeit ist besser oder gar weg, wenn ich etwas poste, ist das ein Wegfall einer negativen Konsequenz und fungiert letztlich als positiver Verstärker dafür.“ Die effektivste Möglichkeit zur Bekämpfung und vor allem Prävention, die Scheibenbogen in Bezug auf extremes Posting-Verhalten sieht, ist Medienpädagogik, die bereits im Kindesalter beginnen sollte. Denn nur wer den bewussten, kompetenten Umgang mit Medien erlernt, kann die vielfältigen Möglichkeiten adäquat nutzen.
Dr. Scheibenbogen / Quelle: Viktoria Stanzl
line-Foren ist die Möglichkeit, sich hinter einem Profil zu verstecken. Zwar ist es meist so, dass dem Forenbetreiber persönliche Daten bekannt sind, doch in der Community kann man sich dennoch völlig neu erfinden. Scheibenbogen zweifelt schwer an der Authentizität der meisten Poster, denn Anonymität enthemmt: „Ich kann das Negative loswerden,
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Viktoria Stanzl
Quelle: pixabay
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Recherche? Keine Zeit! Anneliese Rohrer, eine der renommiertesten Journalistinnen Österreichs, und Larissa Krainer, habilitierte Medienethikerin und Professorin an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, erläutern im Gespräch mit SUMO ethische Herausforderungen durch Echtzeitjournalismus.
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eit Aufkommen des Online-Journalismus spielt Schnelligkeit bei der Veröffentlichung von Inhalten eine immer größere Rolle, auch bei klassischen Medien. Eine Tatsache, die Medienunternehmen vermehrt unter Druck setzt und ethische Komplikationen birgt. Diese umfassen unter anderem die Gefahren des Glaubwürdigkeitsverlustes, was fatal für die Medienbranche ist. Anneliese Rohrer, derzeit unter anderem Kolumnistin der „Presse“, konstatiert: „Die Geschwindigkeit reduziert die Aufmerksamkeit, die du den ethischen Fragen im Journalismus widmen kannst.“ Glaubwürdigkeitsverlust und Informationsqualität Eine Gefahr, die auch Larissa Krainer betont, ist die eingeschränkte Zeit für ausgewogene Recherchen und der daraus resultierende Qualitätsverlust. Der ökonomische Druck, welcher seit längerer Zeit auf Medienunternehmen und im engeren Sinne auch auf JournalistInnen liegt, führt dazu, dass bei der Recherche die wiederholte Überprüfung der verwendeten Informationen oft vernachlässigt wird. Häufig werden aufgrund dessen sogar ganze
Presseaussendungen unbearbeitet publiziert oder Informationen veröffentlicht, die schlichtweg nicht stimmen. Ein dramatisches Beispiel dafür ist die Veröffentlichung des falschen Fotos des Kopiloten beim Absturz der Germanwings-Maschine am 24. März 2015 in der „Kronen Zeitung“. Mangelnde Recherchen reduzieren nicht nur die Informationsqualität, sondern greifen teilweise auch die Glaubwürdigkeit der gesamten Medienbranche an. Diese Entwicklung ist Folge der Einsparungsmaßnahmen vieler Medienhäuser. Rohrer betont hierbei, dass ein derartiger Zugang zu ökonomischen Problemen mehr Schaden anrichten kann, als dass er einen tatsächlichen Lösungsansatz bietet. „Die Glaubwürdigkeit ist das einzige Kapital, das der Journalismus hat.“ Die fehlende Glaubwürdigkeit stellt vor allem für Kinder und Jugendliche ein massives Problem dar, da diese im Laufe ihrer Sozialisation keine Kompetenzen in Bezug auf Media Literacy erlernen. Die fehlende Kenntnis von Heranwachsenden, qualitativ hochwertig recherchierte und verarbeitete Inhalte aufzufinden und diese von quali-
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Transparenz und Workshops Die Desinformationspotenzial bei ob Zeitdrucks nicht ausreichend recherchierten Geschichten ist besonders im Online-Bereich groß, da diese, einmal online gestellt, ewig aufrufbar sind. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken und zu gewährleisten, dass Informationen im Internet weiterhin in Echtzeit veröffentlicht werden können, gibt es unterschiedliche Lösungsan-
licherweise Fehler beinhaltet. Eine weitere Herangehensweise an ethische Fragen in Medienunternehmen stellen Workshops mit Diskussionsmöglichkeit zu journalistischen Zugängen dar. Larissa Krainer referierte darüber bei einem Medienethik-Symposium an der Fachhochschule St. Pölten am 29. Februar 2016. Sie führte einen solchen Workshop mit der „Kleinen Zeitung“ durch, bei dem die Thematik der Herkunftsnennung bei TäterInnen debattiert wurde. Dadurch könne ein einheitliches Verständnis innerhalb des Medienunternehmens geschaffen werden, was als ethisch vertretbar gilt. Eine weitere Problematik im Online-Bereich ist der von Anneliese Rohrer betonte „Klick-Journalismus“: Medien veröffentlichen teilweise nur das, was im Internet eine hohe Klickanzahl aufweist. „Die Versuchung die Ethik außen vor zu lassen, um möglichst viele Klicks zu bekommen, ist viel größer als vor dem Bestehen des Internet.“ Neben dem dadurch unterminierten ethischen Verhalten einiger JournalistInnen
sätze. Larissa Krainer unterstützt die Idee der Transparenz. Folglich sollen UserInnen über die unter Umständen noch nicht gesicherte Information hingewiesen werden, beispielsweise am Ende des Artikels, dass ein Re-Check noch aussteht und die Information somit mög-
können wichtige Aspekte der Medienfunktionen verloren gehen. Anstatt die Vielfalt unterschiedlicher Berichterstattung zu fokussieren, wird eine Konzentration auf Themen gelegt, die vorab schon – im Internet generell, in Sozialen Medien speziell – die meiste Aufmerksamkeit
Quelle: pexels
tätsärmeren Medienbotschaften zu unterscheiden, ist eine Herausforderung, der man laut Rohrer mit Medienbildung durch Schulen und Eltern entgegenwirken könne. Zudem meint Larissa Krainer, dass Gesetze in dieser Hinsicht angepasst werden sollten, indem in ihnen eine dafür zuständige, qualitätssichernde und regulierende Instanz verankert wird. Diese Maßnahme soll den Qualitätsanspruch an die Online-Beiträge erhöhen und diese hinsichtlich ethischer Kriterien, wie zum Beispiel der Art und Weise wie über Suizid berichtet wird, durchleuchten.
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erlangten. Larissa Krainer fokussiert zudem die ethischen Probleme, welche durch Kommentare der Online-UserInnen entstehen. Die oft nicht vertretbaren Aussagen haben Konsequenzen, welche sowohl für das damit assoziierte Medienunternehmen, als auch für die UserInnen problematisch werden können. Der Bedarf an einer Kontrollinstanz hierbei ist gegeben, jedoch aus Zeit- oder Personalressourcenmangel selten umgesetzt. Beeinflussung des Berufsbilds Diese Faktoren beeinflussen laut Krainer das klassische Berufsbild der JournalistInnen nicht. Schnelligkeit war immer schon eine zentrale Logik des Journalismus. Jedoch ist sie der Meinung, dass sich die Situation in Hinblick auf den Echtzeitjournalismus durch die Rezeptionsverlagerung in den Online-Bereich verschärft hat und der Zeitdruck weiter steigt. Hinzu kommt laut diverser Studien der letzten Jahre noch, dass die verwendete
bzw. zur Verfügung stehende Zeit für Recherchen bei JournalistInnen stetig sinkt, computergestützte häufig aber kürzer genutzt werden und Re-Checks oft unterbleiben. Anneliese Rohrer unterstützt die These des gleichbleibenden Berufsbilds, da sich à la longue nur der klassische Journalismus mit gut recherchierten Geschichten durchsetzen werde. Bei der Einschätzung über die zukünftige Entwicklung des Echtzeitjournalismus vertreten die Expertinnen unterschiedliche Ansichten. Die Kommunikationswissenschaftlerin sieht das Phänomen als einen Fixbestandteil der zukünftigen Medienbranche, der sich jedoch auch entschleunigen könne. Rohrer hingegen sieht kurzfristig keine Veränderung und langfristig den Echtzeitjournalismus nur als Übergangsphase. „Die MedieninhaberInnen werden erkennen, dass sie, wenn sie sich nicht auf die Glaubwürdigkeit und den Journalismus konzentrieren, der Zeit und Geld fordert, ihr eigenes Geschäftsfeld abgraben.“
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Clara Langer
David Pany
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Online-Community unter Zensur? Durch User Generated Content treten vermehrt Zensurvorwürfe der Community auf. SUMO geht im Gespräch mit Christian Burger, Head of Community Management bei „standard.at“, diesen Vorwürfen auf den Grund.
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Uhr in der Vorderen Zollamtstraße im dritten Wiener Gemeindebezirk. Der erste Mitarbeiter des Community-Managements des „standard.at“ befindet sich bereits im Büro und beschäftigt sich mit dem Freischalten von Postings. Nach und nach füllt sich die Community-Abteilung. Vier Personen sind für den Bereich User Generated Content zuständig. Zwei MitarbeiterInnen kümmern sich um die Freischaltung von Postings, davor um die Moderation und Nachbereitung der Diskussionen. Ziele: Jene Diskussionen erkennen, in denen Konflikte zwischen UserInnen entstehen, eingreifen und an die Forenregeln erinnern. Das User-Management teilt sich weiters in eine Person, die pro-aktiv UserInnen per E-Mail kontaktiert, die im Forum negativ herausgestochen sind, in eine vierte, welche auf Anfragen von UserInnen reagiert, dies sind in etwa 50 bis 70 E-Mails täglich. Dann wird täglich, auch am Wochenende, von 9 bis 19 Uhr an der Qualitätsverbesserung der Community-Kommunikation gearbeitet, sogar ein Nachtdienst zwischen 20 und 23 Uhr wurde eingerichtet. Wichtigkeit von User Generated Content Das Internet als Medienkonglomerat bietet den
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Vorteil eines rascheren Dialogs mit RezipientInnen und in weiterer Folge Diskurse zu entwickeln. Dieses Potenzial wurde vom „Standard“ bereits 1999 erkannt und kontinuierlich weiter entwickelt. Der User Generated Content stellt eine sinnvolle Erweiterung zum redaktionellen Inhalt dar. Der „Standard“ sieht in der Community einen wesentlichen Pfeiler auch ihrer ökonomischen Existenz. Christan Burger: „Unsere Position ist, dass wir glauben, dass online nur solche Medien überleben werden, für die User Generated Content ein wichtiger Pfeiler ist.“ 17 Jahre Erfahrung im Community-Bereich haben dazu geführt, dass „derStandard.at“ ein Alleinstellungsmerkmal im deutschsprachigen Raum entwickelt hat, was Quantität und Qualität betrifft. Wie viel wird gelöscht? Grundsätzlich sind die Community-Richtlinien klar festgelegt und jede/r UserIn akzeptiert diese bei der Registrierung. Die Richtlinien setzen sich aus zwei Komponenten zusammen, der rechtlichen und der ethischen. Letztere ist die selbst definierte Grenze bezüglich sexistischer und rassistischer Postings. Obwohl diese Postings legitim wären, positioniert sich der „Stan-
Christian Burger, Mathias Blaha / Quelle: Anya Antonius
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Quelle: pexels
dard“ gezielt gegen diese Art von Beiträgen. Aktuell werden rund 6% der Postings gelöscht, der internationale Durchschnitt lag laut der „World Association of Newspapers and News Publishers“-Studie aus dem Jahr 2013 bei 11%. „Bei uns ist die Anzahl an gelöschten Postings sogar ständig gesunken, wir waren bei diesen 11% vor ungefähr fünf Jahren. Meine Hoffnung ist deshalb, weil wir auch sehr viel Kraft in die Community investieren, dass sie tatsächlich besser wird“, so Burger.
Gatekeeping ohne Zensur Stellt es einen Widerspruch dar, wenn ein Forum zur freien Meinungsäußerung kontrolliert wird? Christian Burger verneint, unterstreicht aber, dass in der Onlinekommunikation andere Rahmenbedingungen vorherrschen. Vorherzuheben ist der „Online-Enthemmungseffekt“: Viele Menschen verhalten sich in der digitalen Kommunikation anders, als sie es in einem Gespräch mit ihrem direkten Gegenüber tun würden. Beleidigungen und sexistische und rassistische Anfeindungen sind deshalb keine Seltenheit. Ein weiterer Punkt ist, dass die UserInnen nicht zwischen Anonymität und Pseudo-Anonymität differenzieren. Das Verwenden der realen Namen der UserInnen würde deshalb nichts ändern, da Anonymität nur einen Teil des „Online-Enthemmungseffekts“ darstellt. Somit können Kleingruppen einen erheblichen Einfluss auf die gesamte Community haben, da es Personen abschreckt, welche ernsthaft und auf hohem Niveau diskutieren wollen. Burger: „Wir haben uns lange nicht ausreichend um ‚dieStandard.at’ in den Foren gekümmert und
dort ist es passiert, dass einfach die Sexisten – das war oder ist eine relativ kleine Gruppe von vielleicht 15 Leuten – die Oberhand bekommen hat und jene vertrieben haben, die ernsthaft diskutieren wollten.“ Fazit User Generated Content stellt neben den positiven Auswirkungen auch einen erheblichen administrativen und planerischen Aufwand für ein Medium dar. Community-Management bedeutet täglich neue Herausforderungen und ist ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess. Die Zensurverwürfe kann man rein durch die Definition dieser entkräften, da es sich um Qualitätsverbesserung handelt. Es liegt im Ermessen des Unternehmens ethische Richtlinien festzulegen. Gutes Community-Management ist die Grundlage für eine sinnvolle und qualitativ hochwertige Erweiterung der Diversität. Der „Standard.at“ setzt deshalb den Fokus einerseits auf Verbesserung interner Prozesse, als auch auf die Anpassung von Hilfsmitteln wie Datenbanken und Interfaces sowie Mechanismen für die Kontrollprozesse.
Mathias Blaha
CHRISTIAN BURGER Christian Burger ist seit 2011 Leiter des Community Managements bei „derStandard.at“. Er lehrt am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (PKW) der Universität Wien. Sein Ausbildungsweg umfasst das Studium der Handelswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien, das Studium der PKW sowie ein Doktorat der Philosophie mit einer Dissertation zum Thema dialogorientierte Online-PR.
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Markenbotschafter: Kinofilm Product Placement in Kinofilmen kennen wir RezipientInnen – welche Intentionen bewegt die „Gegenseite“? SUMO bat Product Placement-Experte Wolfgang Pappler und Filmproduzent Wolfgang Ramml zum Interview.
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im Carrey öffnet die Beifahrertür eines Autos. Mehrere leere Red Bull-Dosen rollen über den Asphalt, als er aussteigt. In den folgenden 30 Sekunden fällt das Wort „Red Bull“ im Gespräch mit der Hauptdarstellerin ganze 16 Mal. Eine Szene aus der Komödie „Der Ja-Sager“ aus dem Jahr 2008, die Product Placement in Höchstform zeigt. Red Bull ist nur eine von vielen Marken, die immer wieder eine Nebenrolle in internationalen Film- und Serienproduktionen spielt. Doch wenn die Marke zur Hauptrolle wird, bekommt Product Placement schnell einen negativen Beigeschmack für Filmfans. Product Placement meint die gekennzeichnete Erwähnung oder Darstellung von Markenprodukten gegen Entgelt oder ähnliche Gegenleistungen, wie z.B. die kostenlose Bereitstellung von Requisiten. In Österreich ist Product Placement im Audivisuellen Mediendienste-Gesetz geregelt und abgesehen von Einschränkungen, wie z.B. dem Verbot der Platzierung von Tabakwaren, grundsätzlich erlaubt. Während sich Markenartikel-Hersteller primär eine Absatzsteigerung erhoffen, ist Product Placement für die Filmindustrie ein wesentliches Instrument
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zur Abdeckung der Produktionskosten. So soll beispielsweise der „James Bond“-Streifen „Skyfall“ ohne die Partnerschaft mit Heineken nicht finanzierbar gewesen sein. Der Brauerei-Konzern ließ sich diese mehreren Quellen zufolge stolze 45 Millionen Dollar kosten. Filmfinanzierung im Vordergrund Wolfang Ramml ist Filmproduzent, Leiter des „Filmhaus Wien“ und seit mehreren Jahrzehnten in der Filmbranche tätig. Er sieht in Product Placement vor allem ein Finanzierungsmittel für Filme aller Art, denn: „Die Finanzierung steht – bedingt durch den schmalen Markt – immer im Vordergrund“, so Ramml zu SUMO. Für ihn würde Product Placement aufgrund der prekären Budgetsituation durchaus in Frage kommen. Einer, der in Sachen Product Placement als Pionier bezeichnet werden kann, ist Wolfgang Pappler. Er ist Inhaber der Wiener Agentur „Product Placement International“, die sich als Vermittler zwischen FilmproduzentInnen und Markenartikel-Herstellern darum kümmert, dass Produkte zu ihrem Filmauftritt kommen. Pappler hat seine Agentur 1985 nach einem USA-Aufenthalt gegründet. „Damals war das Thema noch sehr exotisch, weil es de facto in
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Platzierung nur im positiven Umfeld Wie das Placement auszusehen hat, ist klar in der Firmenphilosophie verankert. Die Produkte sollen immer in einem positiven Umfeld platziert werden. Ein Fahrzeug dürfe beispielsweise nicht in einen Unfall verwickelt werden oder einen technischen Defekt haben. „Wir arbeiten das Drehbuch nach möglichen Platzierungen durch. Oftmals sind Produkte schon von vornherein vorgegeben, aber in vielen Fällen bauen wir Produkte aktiv in die Handlung ein.“ Ein Vorgang, der immer in Abstimmung mit DrehbuchautorInnen und RegisseurInnen erfolgt, denn: „Nur wenn die Beiden aktiv dabei sind und auch ihre Zustimmung geben, wird das dementsprechend positiv in der Filmhandlung umgesetzt.“ Im Zuge dieses Prozesses würden sich auch durchaus kreative Ideen von Seiten seiner Agentur ergeben: „Wir machen dann auch Vorschläge, dass eine Szene adaptiert wird oder man diese oder jene Szene hineinschreibt.“ Aber Pappler hält im SUMO-Interview deutlich fest, dass die Markenartikel
stimmig in einen Film eingebaut werden müssen: „Die Dramaturgie des gesamten Ablaufs der Handlung muss erhalten bleiben. Und ein weniger an Placement bedarf ein Mehr an Kreativität.“ Univ.-Prof. Ing. Wolfgang Pappler, Inhaber "Product Placement International" Quelle: Product Placement International
Europa niemand gekannt hat“, erinnert er sich im SUMO-Interview. Inzwischen hat das Unternehmen assoziierte Büros in Köln, Genf, Budapest, London, Los Angeles und Madrid. Pappler war bei zahlreichen Filmproduktionen für das Product Placement verantwortlich. Sprechen darf er nur über einige wenige, denn Vertraulichkeit ist in der Branche oberstes Gebot. Jene Produktionen, die einer Nennung der Zusammenarbeit zugestimmt haben, zieren auch in Form von übergroßen Filmplakaten die Wände des stilvoll eingerichteten Wiener Altbau-Büros der Agentur. Als erfolgreiche Produktionen, für die er tätig war, nennt Pappler unter anderem „Hinterholz 8“, „Muttertag“, „Atmen“ von Karl Markovics, sowie „Klimt“ mit John Malkovich und Veronica Ferres. Es gebe unterschiedliche Abläufe, wie die Produkte letztendlich über seine Agentur in den Film gelangen. Einerseits werden Projekte seitens der FilmproduzentInnen angeboten, andererseits sucht das Team auch aktiv passende nationale und internationale Filmproduktionen für ihre Kunden im Markenartikelbereich, die vom Auto- bis zum Süßwarenhersteller reichen.
Product Placement in Österreich Product Placement ist in Österreich relevant, allerdings gibt es nur wenige Filme, die ein ausreichend großes Publikum erreichen, um für Markenartikel-Hersteller attraktiv zu sein. „In Österreich leisten wir uns den Luxus, viele kreative Filme zu produzieren, die oftmals nicht einmal die Kosten des Filmes hereinspielen. Deswegen mag dann auch durchaus der Eindruck entstehen, dass beim österreichischen Film kein Product Placement existiert, aber man muss es herunterbrechen auf drei bis vier Filme im Jahr, die dafür wirklich in Frage kommen“, stellt Pappler klar. Aus Sicht von Filmproduzent Wolfang Ramml sollte Product Placement in Österreich noch mit Nachdruck bearbeitet werden sollte, denn auch wenn eine Filmproduktion nur Realspenden, wie beispielsweise Leihautos oder Kleidung, zur Verfügung gestellt bekomme, helfe dies bei der Finanzierung. Für Pappler ist hingegen ist Product Placement nur interessant, wenn Geld fließt. Wie viel sich Markenartikler konkret ein Placement in einem Kinofilm kosten lassen, will er nicht sagen, einen ungefähren Richtwert nennt er dann aber doch: „Product Placement ist um 30-40% günstiger als ein vergleichbarer Werbespot.“ Dabei sei die Aufmerksamkeit beim Film jedoch eine wesentlich höhere: „Bei Product Placement können sich die RezipientInnen der Botschaft nicht entziehen und ich kann den Nutzen des Produktes natürlich wesentlich besser heraus-
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arbeiten“. Dadurch sei auch die Glaubwürdigkeit eine höhere als bei Werbespots, bei denen RezipientInnen generell davon ausgehen, dass positiv über ein Produkt gesprochen wird.
Quelle: pixabay
„Es ist in der Realität nicht so, dass immer das Logo zu sehen ist.“ „Product Placement International“ ist gut im Geschäft. Das kann man im SUMO-Gespräch heraushören. Laut Filmproduzent Ramml laufe Product Placement aber oft ohne Agenturen ab und werde direkt mit dem Kunden vereinbart. Doch genau das wäre nicht im Sinne der Beteiligten, ist Pappler überzeugt, denn: „Wenn es die ProduzentInnen selber abwickeln, dann deswegen, um viel Geld zu lukrieren und dementsprechend schaut es dann auch aus.“ Viel Geld bekommen FilmproduzentInnen schließlich nur dann, wenn ein Produkt auch entsprechend prominent platziert wird. Doch Sekunden zu zählen, in denen das Logo zu sehen ist, sei weder für Markenartikler noch für die ProduzentInnen von Vorteil, so Pappler. Die Platzierung wird zwar schon lange, oftmals drei bis vier Jahre vor dem Filmstart geplant, dennoch darf nie das Resultat und die Reaktion der RezipientInnen außer Acht gelassen werden. „Die FilmbetrachterInnen sind sehr mündig und wissen genau, was stimmig ist und was aufgesetzt“, resümiert Pappler aus langjähriger Erfahrung. Ein zu deutliches Hervorheben des Logos oder
der Marke generell wäre zu viel des Guten. Daher hat sich Pappler in den 90er-Jahren den Begriff „Soft-Placement“ schützen lassen. Die Vision dahinter ist eine einfache, nämlich „we-
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niger ist mehr“. Etwas, das WerbekundInnen nicht immer gerne hören: „Das sind oftmals hitzige Diskussionen, da sie natürlich in Werbepräsenz denken.“ Dabei ist Product Placement mit der „Dampfhammermethode“ der falsche Weg: „Man muss nicht immer den Markennamen nennen, sondern stattdessen bekannte Synergien vom Produkt nutzen“, erläutert der Experte. Bei „Manner“ beispielsweise sei schon alleine die Farbe so signifikant, dass man das Logo gar nicht zeigen muss. Beispiele für „zu viel des Guten“ gibt es viele. Eines davon ist „Jurrasic World“, der zweiterfolgreichste Film des Jahres 2015 nach „Star Wars“. Die deutsche Filmempfehlungsplattform „moviepilot“ stellte sich beim Betrachten die Frage: „Ist das ein Dinosaurierfilm mit viel Mercedes oder ein Mercedesfilm mit viel Dinosauriern?“ Bedenken aus medienethischer Sicht, dass das Kulturgut „Film“ mehr und mehr zur reinen Werbeplattform wird, sieht Pappler grundsätzlich aber nicht, denn: „Wenn es gut gemacht wird, dann ist ja die Platzierung von Produkten stimmig.“ Um kein Product Placement durchzuführen, müsse man alle im Film verwendeten Produkte verfremden, was weder machbar noch realistisch sei. „Aus meiner Sicht ist Product Placement dann gelungen, wenn das Produkt so in den Handlungsablauf integriert ist, dass der/die unbeteiligte BetrachterIn sagt, das passt, weil es in der Realität genauso abläuft.“ Bei zu aufdringlichem Product Placement könne es passieren, dass Filme bereits im Vorfeld von den KritikerInnen „zerrissen“ werden und dann die KinobesucherInnen ausbleiben. Denn eines ist für Pappler gewiss: „ZuschauerInnen wollen nicht das Gefühl haben, für einen 90 Minuten langen Werbefilm zu zahlen.“ Wie weit Product Placement gehen darf, entscheidet sich also letztendlich an der Kinokasse.
Verena Ganhör
Agenda Setting durch Blogs
Quelle: pixabay
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SUMO sprach mit Axel Maireder, Kommunikationswissenschaftler und Social Media-Forscher bei GfK Austria, und Dieter Zirnig, Initiator des österreichischen Politikblogs „neuwal.at“, über den Einfluss auf politische Themensetzungen.
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pätestens seit dem Durchbruch von Blogs durch Plattformen wie WordPress, aber auch Kanäle wie „Twitter“ und „Facebook“ geriet die Bloggersphäre zu einem fixen Bestandteil der österreichischen Medienlandschaft. Doch Blog ist nicht gleich Blog. Schon formal unterscheidet man zwischen Long-Text-Blog und Microblogs. Ersteres ist das, was als „klassischer Blog“ gilt, der unter anderem auf WordPress publiziert wird. Microblogs hingegen fokussieren auf Kurzmeldungen via Social Media-Seiten. Auch thematisch gibt es, wie in allen Mediengattungen, Rezeptionsunterschiede. Vor allem in den Bereichen Mode, Lifestyle und Essen verzeichnen Blogs hohe Nutzerzahlen und beeinflussen die Publikumsagenda. Das weite Echo in der klassischen Medienwelt erklärt Dieter Zirnig durch die gute Vernetzung in den Systemen Blogging, Journalismus und Wirtschaft. Doch inwiefern gilt das auch für die hierzulande noch wenig ausgeformte wie genutzte Sparte der Politikblogs? Der Einfluss von Politikblogs In der Szene der PolitikbloggerInnen hat sich Dieter Zirnig mit „neuwal.at“ längst einen Namen gemacht. Seit 2008 werden Entwicklungen der österreichischen Politik reflektiert und analysiert. „‚Neuwal’ ist momentan ein Triangel: Auf einer Ecke steht Bildung, auf der anderen
Politik und auf der dritten Ecke steht die Medienwelt. Zwischen diesen wollen wir vermitteln“, erläutert der Initiator im SUMO-Gespräch. In Bezug zu seiner Einflussmacht auf die Publikumsagenda sieht er den Blog als Ergänzungsmedium zu klassischen Nachrichtenmedien und distanziert sich entschieden von jeglichen Agenda Setting-Prozessen, also dem Einfluss auf die von der Bevölkerung als wichtig erachteten Themen. Er betont, dass alle UserInnen selbst dazu in der Lage seien, das Gelesene zu verstehen, um sich folglich eine eigene Meinung zu bilden. Der Fokus von „neuwal“ liegt auf der Medienvielfalt, in dem sie Teilbereiche (Wahlen, Reden etc.) fokussieren und innovative Zugänge ausprobieren, um das Spektrum so zu erweitern, so Zirnig. Social Media-Forscher Axel Maireder ist in dieser Hinsicht ähnlicher Meinung: „Der Einfluss von ‚neuwal.at’ auf die Publikumsagenda ist maximal ein vermittelnder, insofern als dass die JournalistInnen die Beiträge dort beobachten und davon in ihrer Agenda beeinflusst werden. Ein vermittelnder Einfluss auf die Publikumsagenda, aber kein direkter.“ Maireder erwartet diesbezüglich auch nicht, dass Long-Text-Blogs im politischen Bereich in Österreich relevanter werden als jetzt. Zirnig dagegen rechnet mit einer zunehmenden Wichtigkeit und betont die Meinungsvielfalt, die sich durch Blogs etablieren kann.
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Microblogging auf dem Vormarsch Microblogs kann man in ihrem Einfluss nicht mit klassischen Long-Text-Blogs vergleichen. „Twitter“ ist in diesem Bereich eindeutig der Big Player. Was als Social Media-Plattform begonnen hat, fungiert heute in Teilbereichen als ernstzunehmendes Diskursforum. Das wurde längst auch von SpitzenpolitikerInnen und im Mediensystem relevanten Personen erkannt. Armin Wolf und Rudolf Fußi sind nur zwei Beispiele dafür. Rudi Fußi, Kommunikationsmanager bei „mindworker“, nutzt „Twitter“ ebenfalls als Plattform um politische Statements zu veröffentlichen. Dadurch ergeben sich Diskussionen, die sowohl Transparenz als auch Zugangsoffenheit bieten – zumindest einer Elite. Laut Maireder ist dies einer der Gründe für den Einfluss der Microblogs: „‚Twitter’ ist, was das Agenda Setting bei politischen Themen betrifft, in den letzten Jahren sicher ein wesentlicher Faktor geworden.“ Außerdem bieten Microblogging-Plattformen einzelnen Personen, die nicht Teil der klassischen Medienelite sind, die Chance sich eine relevante Position zu erarbeiten. Maireder betont hierbei auch, dass „neuwal“ in Bezug auf den Bekanntheitsgrad ebenso von Social Media-Plattformen abhängig ist. Zusätzlich hat Microblogging nicht nur eine direkte Agenda Setting-Funktion, sondern schafft auch zunehmend Einfluss auf das, was JournalistInnen als relevant erachten. Zusätzlich dient ihnen etwa „Twitter“ immer stärker als Recherchequelle – der „Fachjournalist“ nannte es 2015 gar „Personalisierte Nachrichtenagentur in Echtzeit“. Blogging im internationalen Vergleich Diese Agenda Setting-Prozesse laufen international nicht einheitlich ab, sondern kennzeichnen sich durch Länder- und Kulturspezifika. Maireder sieht hier vor allem die USA als Paradebeispiel, wo Blogs seit jeher einen höheren Stellenwert haben als etwa in Österreich. Dort ist der Graubereich zwischen Blog und professionellem Massenmedium besonders charakteristisch. „Huffington Post“ etwa startete als Blog und ist heute ein einflussreiches Medienunternehmen. „Wenn ein Blog als solcher erfolgreich ist, dann schreitet die Professio-
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nalisierung meist voran“, konstatiert der Social Media-Forscher. Entwicklungen in dieser Form gab es in Österreich bislang noch nicht. Deutschland weist in der Bloggersphäre Österreich ähnliche Strukturen auf. Durch Blogs wie „Netzpolitik“ und diverser NGOs erweitern sie auch dort die publizistische Vielfalt von Medien anstatt sie – wie teils bereits in den USA – zu substituieren. Und sie können auch die politische Entscheidungsvielfalt fördern: In einer Studie von Lidia Valera Ordaz, publiziert in „Communication & Society“ (2015), wurde die spanische Wahlkampfberichterstattung 2011 via traditioneller Tageszeitungen als auch Blogs analysiert. Es zeigte sich, dass Blogs unabhängiger und thematisch offener berichteten, wohingegen Tageszeitungen in ihrem Agenda Setting wesentlich parteiischer agierten. Negative Aspekte Zugangsoffenheit des Bloggings hat auch negative Seiten. Der Mangel einer übergeordneten Kontrollinstanz sowie fehlende Redaktionsstatute und ethische Berufsstandards führen eventuell zu einem Qualitätsverlust und zu einer verringerten Glaubwürdigkeit der gesamten Medienbranche, konstatiert Maireder. Zirnig hingegen sieht eine Kontrollinstanz eher als Gefährdung der Meinungsvielfalt. In Summe läuft es im Feld des Bürgerjournalismus weniger auf eine Dichotomie zwischen ökonomisch bedingter Medien- und publizistischer Vielfalt hinaus wie bei klassischem Journalismus, in der es auch um Konzentration und daher Meinungsmacht ging und geht, sondern auf eine neue Frage: Wenn durch Soziale Medien der Vielfaltsbegriff quantitativ überholt wird, wie kann er qualitativ gewährleistet werden? Insbesondere in der politischen Bloggersphäre und ihrer Opinion Sharer bedarf es des Leitmotivs Glaubwürdigkeit, um aus Agenda Setting-Prozessen eine profunde Meinungsvielfalt zu generieren.
Clara Langer
Viktoria Stanzl
Quelle: pixelio.de / Bernd Kasper
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Von einem Roboter verfasst? Computergenerierte Texte gewinnen in der Medienpraxis an Relevanz. Dieses Phänomen wirft auch ethische Fragen auf, welche von SUMO im Interview mit Matthias Rath, Medienethiker und Professor für Philosophie an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, thematisiert wurden.
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s ist ein allgemein bekannter Prozess. Arbeitsschritte werden von Maschinen automatisiert und meist perfektioniert. Dies ist nun auch ein Thema des Journalismus geworden, denn immer häufiger werden redaktionelle Texte von „Robotern“ verfasst. Es gibt Plattformen wie „Wordsmith“, die so etwas anbieten, und MedienmanagerInnen, die mit Argusaugen auf den Profit versuchen human-redaktionelle Leistungen an Maschinen zu übertragen. Dabei ist der Roboter hier eher ein Bildnis, welches die RezipientInnen vor Augen haben. Die Realität sieht jedoch anders aus. Konkret handelt es sich um eine Software bzw. einen Algorithmus, welcher aus Daten ansprechende Texte generiert. Vor allem im Bereich der Spielund Wetterberichte, aber auch der Börsen berichterstattung werden solche Texte bereits umgesetzt, etwa aus reinen Quartalszahlen eigene Meldungen erstellt. Was kann der Roboter? Die erste medienethische Frage ist allerdings nicht, ob eine Maschine dies darf, sondern eher ob sie es kann, so Matthias Rath. „Man muss sich überlegen, welche ethischen Kriterien es an einen journalistischen Beitrag gibt und
welche können von einem Roboter erfüllt werden?“ Dazu zählt primär die Navigationsfunktion der JournalistInnen, sprich die Fähigkeit in der Fülle der Informationen das Wichtigste herauszufiltern. Entscheidend ist hierbei vor allem die Blattlinie des Mediums. Die Software muss demnach so programmiert werden, dass diese aus allen eingehenden Informationen Meldungen verfasst, die den Navigationskriterien entsprechen und für das Medium relevant sind. Rath sieht hier noch kein ethisches Problem. Anders schätzt er die Situation ein, wenn Bewertungen ins Spiel kommen, da der Algorithmus prinzipiell auf eine bestimmte „ideologische Linie“ programmiert werden müsste. In der Praxis gibt es jedoch schon Beispiele für die Fähigkeit einer Software zu Bewertungen: In Sportberichten etwa „weiß“ sie, wann sie von einem knappen Sieg und wann von einem vernichtenden Sieg berichten muss. Zwar muss man dies der Software mittels Regeln erst beibringen, jedoch lernt diese mitunter bereits selbstständig, wie Informationen einzuordnen sind. Allerdings weiß auch Alexander Siebert, Gründer von „Retresco“, Experte und Partner für die Automatisierung contentgetriebener Ge-
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schäftsmodelle, der in acht Thesen die Zukunft des Roboterjournalismus erläutert, dass die elementaren Fähigkeiten des/r Journalisten auch in naher Zukunft von einer Maschine nicht zu ersetzen sind. Vor allem im Bereich des investigativen Journalismus wird es problematisch, da die Fähigkeit gewissenhaft wie tiefgründig zu recherchieren hier eine zentrale Voraussetzung ist. Matthias Rath ist der Auffassung, dass dies ohne menschliche Beteiligung nicht akzeptabel ist.
Quelle: Thinkstock by Getty-Images
„Das oberste Prinzip ist die Transparenz!“ Ein weiterer relevanter Aspekt des Roboterjournalismus ist die Transparenz. Ist es ethisch notwendig den RezipientInnen mitzuteilen, dass ein Artikel oder gar ein Kommentar von einem Algorithmus erstellt wurde? Matthias Rath bejaht, andernfalls schaden sich die Unternehmen massiv. „Meiner Meinung nach würde sich schnell herausstellen, dass die wenigsten LeserInnen und NutzerInnen wertende Texte akzeptieren würden“, meint Rath und pocht auf Transparenz.
Jobrationalisierung? Ein zentrales und permanentes ökonomisches Ziel wirtschaftender Unternehmen ist die Kostensenkung. Da Print-Medienunternehmen länger schon mit sinkenden Auflagen und fehlenden funktionierenden Erlösmodellen konfrontiert werden, besteht durchaus ein Rationalisierungsdruck. Nun stellt der zunehmende Einsatz computergenerierter Beiträge eine weitere Verunsicherung dar, vor allem für redaktionell arbeitende JournalistInnen. Machen Rationalisierungen Sinn? Aus ökonomischer Sicht mit Sicherheit, jedoch sollte die oberste Priorität der Medienunternehmen in der positiven Bewertung ihrer Inhalte durch RezipientInnen
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liegen. „Wenn das mit Maschinen funktioniert, braucht man keine JournalistInnen mehr“, pointiert Rath. Allerdings kann davon zurzeit noch keine Rede sein, da zum einen die Intelligenz der Maschinen noch nicht so fortgeschritten ist und zum anderen momentan noch zu wenig öffentliche Diskussion stattfindet. Künstliche Intelligenz Ethisch interessant wird es dann, wenn eine Maschine bzw. die Technik dahinter so fortgeschritten ist, dass wir sie als journalistisch kompetent einstufen können. Hier müsste man im Bereich der Künstlichen Intelligenz ansetzen. Was passiert, wenn eine Maschine den sogenannten „Turing-Test“ besteht und somit ein Bewusstsein entwickelt und infolgedessen eigenständig Probleme behandeln kann? Was passiert, wenn man einer Maschine ihre journalistische Kompetenz nicht mehr abstreiten kann und sie mit den gleichen Qualitätskriterien arbeitet wie ausgebildete JournalistInnen? Fragen, die wir heute noch nicht beantworten können, da noch keine Maschine den Turing-Test bestanden hat, aber in naher Zukunft von signifikanter Relevanz sein werden. Die Frage nach einer ethischen Akzeptanz solch computergenerierten Texte ist pauschal schwer zu beantworten. Vor allem ist dies aber eine Frage der stetig steigenden Intelligenz der Roboter, um das symbolische Bildnis aufrechtzuerhalten. Momentan lässt sich sagen, dass eine mögliche Ideallösung in der Zusammenarbeit zwischen Algorithmus und Mensch liegt. Wobei die letzte Entscheidung, vor allem bei anspruchsvollen Berichterstattungen, allein den JournalistInnen obliegen sollte, da momentan noch Kompetenzen zu fordern sind, die eine Maschine nicht erfüllen kann.
David Pany
„YouNow“: Datensorglosigkeit live
Quelle: Elisabeth Brandstetter
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Streamen, liken, kommentieren: „YouNow“ ist eine Plattform, auf der Jugendliche gemäß des Mottos „Express Yourself“ genau das tun. Doch welche Gefahren können sich ergeben? Ein SUMO-Selbstversuch und Experten-Interview. „YouNow“ ist ein 2011 gegründetes US-amerikanisches Videoportal, auf dem vor allem jugendliche NutzerInnen sich mit ihrer Webcam live streamen und die Streams anderer kommentieren und bewerten können. Was sind ihre Motive? Kinder-, Jugend- und Familienpsychologin Simone Breitenfeld nennt im SUMO-Gespräch als einen zentralen Grund den Wunsch der Kinder „dabei zu sein“, um so wie die anderen ihr Leben online zu teilen. Auch Langweile und der Wunsch, sich selbst zu präsentieren, führen sie in soziale Netzwerke. Vielen Kindern und Jugendlichen, die Probleme haben im realen Leben FreundInnen zu finden ermöglichen soziale Netzwerke Kontakte zu knüpfen. Selbstdarstellung, gar -popularisierung? Wie funktioniert „YouNow“? Beim Öffnen der Website wird ein Fenster angezeigt, dass den/die BesucherIn fragt, ob man über oder unter 13 Jahre alt ist. Klickt man nun auf das Feld „12 oder jünger“, öffnet sich eine Seite, auf der steht, dass man noch nicht alt genug sei, um das Portal zu nutzen. In den Nutzungsbedingungen erklärt „YouNow“, dass Profile von jüngeren NutzerInnen gelöscht werden – wie und ob deren Alter überprüft wird, ist unklar. Gibt man auf der Startseite „13 oder
älter“ an, hat man, auch ohne sich anzumelden, die Möglichkeit Jugendliche in ihren Zimmern beim Streamen zu beobachten. Neben jedem Videostream befindet sich eine Box, in die andere NutzerInnen Kommentare schreiben können. Da die Streams live sind, landet alles, was die Jugendlichen sagen und tun, sofort im Internet. Ein Blick ins Kinderzimmer Ich klicke auf den Livestream eines 14-Jährigen Österreichers, der mit anderen Teenagern durch das Haus seiner Eltern spaziert. Nach wenigen Minuten weiß ich, in welcher Stadt der Junge lebt und wie sein Haus von innen aussieht. Die ZuseherInnen des Streams fragen nach seinem Wohnort, bekunden dem Jungen ihre Liebe oder wollen, dass er ein bestimmtes Lied singt. Da er sowohl seinen Heimatort preisgibt, als auch das Haus filmt, gibt er potenziellen EinbrecherInnen und generell Kriminellen einen möglicherweise wertvollen Einblick. Bis auf die Tatsache, dass die Jugendlichen sehr unvorsichtig mit ihren Daten umgehen, wirkt „YouNow“ auf den ersten Blick schlichtweg wie ein Portal, über das sie miteinander kommunizieren und sich vor allem präsentieren. Doch nicht jede Person, die sich als Jugendliche/r
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ausgibt, muss auch eine/r sein. Man könnte sagen, dass „YouNow“ Erwachsenen die Möglichkeit bietet, junge Menschen zu beobachten und mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Ist „YouNow“ eine Website, die Pädophile anlockt? Ich logge mich erneut ein und klicke auf das Bild eines 14-jährigen Mädchens. Sie streamt gerade live und antwortet auf die Fragen der ZuschauerInnen. Immer wieder bedankt sie sich für die vielen „Likes“ für ihren Stream und dafür, dass ihr so viele Leute zusehen. Sie wirkt überschwänglich und betont immer wieder, wie glücklich sie das Streamen mache. Während des gesamten Videostreams interagiert sie mit ihren BeobachterInnen. Ein „YouNow“-Nutzer schreibt in ihre Kommentarbox, dass sie sich ihre Augen verbinden soll, ein anderer, dass sie sich ausziehen soll. Letzterem erklärt sie harsch und selbstbewusst, dass er von ihrer Seite verschwinden soll. Auf die Bitte des ersten hingegen reagiert sie, indem sie mehrere Blätter Klopapier von einer Rolle wickelt und sich damit die Augen verbindet. Die nächste Frage im Chat-Fenster lautet, ob sie noch Jungfrau sei. Davon abgesehen, dass niemand einer 14-Jährigen solche Fragen stellen sollte, weiß das Mädchen nicht, wie alt dieser Zuseher ihres Streams ist. Ob es sich um einen erwachsenen Mann oder einen gleichaltrigen Jungen handelt, bleibt durch die Anonymität verborgen. Fremden vertrauen schenken Da man als NutzerIn von sozialen Netzwerken nie genau sagen kann, ob die Person gegenüber die wahre Identität verwendet oder nicht, besteht besonders für Kinder und Jugendliche ein großes Risiko. Simone Breitenfeld erklärt, dass Kinder die Gefahr solcher Situationen im Internet nicht so abschätzen können wie Erwachsene. Sie berichtet von Kindern, die über solche Netzwerke kennen gelernte Personen sehr schnell vertrauen und ohne sie real getroffen zu haben als ihre/n feste/n Freund/in bezeichnen. Sich mit einer Person persönlich zu verabreden, stellt für Kinder und Jugendliche eine Schwelle dar, die sie durchaus schützt. Das rasche Vertrauen gegenüber Fremden habe keineswegs mit der Intelligenz der Kinder und Jugendlichen zu tun, wobei jene, die „Sicherheit
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im Umgang mit anderen Leuten“ haben weniger gefährdet seien. Die Gefahr, dass Pädophile über Plattformen wie „YouNow“ Kontakt mit Kindern und Jugendlichen aufnehmen sieht Breitenfeld durchaus, aber in ihrem Alltag als Psychologin ist ihr noch kein solcher Fall begegnet. Kinder und Jugendliche schützen Eine Studie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, publiziert im „Journal of Macro Trends in Social Science“, konstatierte 2015 diverse Gefahren auch in rechtlicher Hinsicht, insbesondere im Urheber- und dem Recht auf den Schutz des persönlichen Bildes, wobei die juristische Situation zwischen Deutschland und den USA divergiere. Vielen jugendlichen NutzerInnen sei dies nicht bewusst. Auch Simone Breitenfeld betont die Wichtigkeit der Aufklärung. Eltern sollten ihre Kinder nicht von sozialen Netzwerken fernhalten, sondern sich mit ihnen gemeinsam damit beschäftigen und einen verantwortungsvollen Umgang diskutieren. Es sollte zwischen den beiden Seiten abgesprochen werden, welche Seiten benützt werden dürfen und wo man sich registrieren darf. Nicht über das Thema soziale Netzwerke zu sprechen sei ein großer Fehler, da Kinder und Jugendliche die Seiten oft heimlich nutzen. Eltern sollten „ein Auge darauf werfen“, was ihre Söhne und Töchter im Internet machen. Theorien im Bereich der Mediensozialisations-, aber auch der Medienwirkungsforschung belegen, dass in jungen Alterskohorten Identifikation, Role Models und generell Orientierung bedeutsam sind. Plattformen wie „YouNow“ sind für junge Menschen nicht ungefährlich, aber durch einen offenen Umgang mit dem Thema seitens der Eltern sollte es ihnen möglich sein, diese Websites verantwortungsvoll zu nutzen. Andererseits sollte „Express yourself “ auch möglich sein in einem nicht-virtuellen Setting.
Elisabeth Brandstetter
„Pro Ana-Blogs“ – Leidenschaft oder Leidenssucht?
Quelle: pixabay
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In einer Welt der Magermodels und unerreichbarer Schlankheitsideale steht Schönheit dennoch an erster Stelle, bei vielen Mädchen wird Nicht-Essen zur Religion. Eine Reportage über kommunizierte Magersucht: „Pro Ana-Blogs“
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oogelt man „Pro Ana“, erhält man rund 570.000 Treffer. Sehr viele davon führen auf Blogs mit dem Ziel sich zu vernetzen und auszutauschen. Fast auf jedem findet man eine „Twin“- bzw. „Pro Ana-Buddy“-Börse. Aber zuerst: Was hat es mit Pro Ana auf sich? Pro Ana oder auch Pro Mia sind Initiativen von Magersüchtigen beziehungsweise Essbrechsüchtigen im Internet. Den Anfang nahmen diese in den Vereinigten Staaten, mittlerweile finden sie auch Anklang in Europa. Die Anhängerinnen, denn meistens sind es ausschließlich junge Mädchen bzw. Frauen dieses sogenannten „Lifestyles“, idealisieren die Magersucht und leiden zumeist auch selbst unter dieser Krankheit. Obwohl sie sich ihr bewusst sind, versuchen sie immer weniger zu essen, um irgendwann ihr Schlankheitsideal zu erreichen. Als „Thinspiration“ dienen hyperschlanke Models wie etwa Kate Moss. Im Rahmen meiner Recherche durchforste ich ebenfalls die Foto-App „Instagram“ und stoße auf Hashtags wie beispielsweise „#proana“, „#ana“ oder „#anorexia“. Bevor ich die Bil-
der ansehen kann, werde ich darauf hingewiesen, dass die folgenden Inhalte gewaltbehaftet sein könnten, ein weiterführender Link klärt über Essstörungen auf und bietet Möglichkeiten zur Hilfe an. Aber wollen diese Mädchen und Frauen überhaupt Hilfe in Anspruch nehmen? Schließlich entscheiden sie sich scheinbar ganz bewusst, diesen Weg in eine Krankheit zu gehen und nehmen dafür allerlei Symptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit oder Hungerkrämpfe bzw. gravierende Langzeitschäden in Kauf. Sylvia Neubauer ist Pressesprecherin von „sowhat“, einer Einrichtung, die Hilfe bei Essstörungen anbietet und diese auch therapiert. Im SUMO-Gespräch stellt sich heraus, dass Mädchen der Pro Ana-Bewegung selten Hilfe in Anspruch nehmen. Der Leidensdruck, der bei Bulimie-Erkrankten viel stärker zum Ausdruck komme, sei bei ihnen kaum gegeben. Auf dem Blog „myra-ana-einsamkeit“ berichtet Bloggerin Kylie, dass sie sehr wohl versucht habe, sich gegen ihre Essstörung aufzulehnen, aber zu stolz gewesen sei, wieder zuzunehmen. Ein Teufelskreis; und der Wunsch dünn zu sein, gewinnt am Ende immer.
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Ein Selbstversuch Das Hauptproblem dieser Mädchen ist ihr Gewicht, das zweite das fehlende Verständnis. Mittels der „Twin“-Börse findet man Akzeptanz und Verständnis für die körperbezogenen Probleme. Dazu kommen oft auch weitere Einflussfaktoren wie beispielsweise familiäre Probleme oder depressive Gedanken. Mit Emma teile ich für drei Wochen dieses Leid. Emma ist ein 13-jähriges Mädchen mit der großen Sehnsucht abzunehmen. Denn in ihren Körper fühlt sie sich unwohl. Emmas Wunsch, ein paar Kilos zu verlieren, ist mittlerweile so groß, dass sie durch unzählige Blogs surft und bei einem hängen bleibt. Kurz darauf schreibt Emma einen Kommentar, auf der Suche nach einem sogenannten Pro Ana-Buddy. Innerhalb von 24 Stunden melden sich die ersten fünf Pro Ana-Anhängerinnen, alle sind Mädchen ungefähr in Emmas Alter. Eine ver-
mutlich Minderjährige bittet Emma schon in der ersten Mail nach ihrer Nummer. Nach zwei Wochen hat Emma über 20 Anfragen bekommen: Mädchen aus Venezuela, England oder aus der Slowakei wollen Emmas „Pro Ana-Buddy“ sein. Und sie willigt ein. Die Mädchen tauschen immer mehr Tipps und Informationen aus, wie man die Krankheit vor den Eltern verheimlichen kann, wie man es schafft, so schnell wie möglich das Wunschgewicht zu erreichen und wie man den Hunger auf andere Weise stillen beziehungsweise so lange wie möglich bekämpfen kann. Nach drei Wochen breche ich die Kommunikation als Emma ab. Die These, dass sich Pädophile
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auf „Pro Ana-Blogs“ als „Coaches“ herumtreiben, wurde schon vor langem aufgestellt, sodass mittlerweile Interpol ermittelt. Persönlich hatte ich bzw. hatte Emma keinen Kontakt mit einem Pädophilen. Die Problematik selbst bzw. die Gefahr hinter männlichen „Pro Ana-Coaches“ ist großteils unter Anhängerinnen dieses „Lifestyles“ bekannt und wird mittlerweile auch explizit in sämtlichen Inseraten angesprochen und die Kontaktaufnahme verweigert. In fragte meine eigenen „Pro Ana-Buddies“, ob sie Kontakt mit einem sogenannten „Pro Ana-Coach“ hatten, doch laut ihnen könne ein „Buddy“ oder „Twin“ ganz einfach auch ein „Coach“ werden. Einziger Unterschied: Die Kommunikation laufe in einem härteren Ton ab und beruhe eher auf Befehlen. Im Zeitraum meines Selbstversuches wurde ich auch nie dazu aufgerufen, Fotos von meinem Körper und bestimmten Körperstellen zu senden. Damit soll die „Pro Ana-Szene“ keinesfalls verharmlost werden, die Problematik ist nach wie vor groß, in manchen Blogs größer als in anderen. Teilweise gibt es sehr extreme Fälle, wie Willow, die sich bereits psychisch in einer anderen Welt bewegt. Andere dagegen sind einfach junge Mädchen, die im höheren Normalgewichtsbereich rangieren und versuchen ein paar Kilos loszuwerden. Dass der Weg über solche Blogs führen muss, ist riskant, denn ein erster Berührungspunkt mit „Ana“ kann auch schnell ins Extrem übergehen.
Julia Hollitsch
Quelle: pexels
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Journalismus von oben Drohnen sind das neue Hightech-Tool im Journalismus, aber auch in Österreich? SUMO interviewte dazu den ORF-Journalisten Eduard Moschitz und den Juristen Christian Kern (Preslmayr Rechtsanwälte OG).
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hnlich wie bei vielen Technologien, wie etwa dem Internet, stammen auch Drohnen ursprünglich aus dem militärischen Bereich und werden in diesem zur Überwachung bzw. Erkundung, aber auch für gezielte Tötungen oder Zerstörungen eingesetzt. Mittlerweile werden sie von Polizei und anderen Sicherheitsbehörden, zu kommerziellen Zwecken – etwa zur Bewerbung von „Star Trek“ oder in Bälde durch Amazon – wie auch im privaten Bereich verwendet. Ein Quatrokopter mit Kamera kann bereits für unter 100 € ersteigert werden, der Diskonter Hofer bot einen um 280 € an. Soll bzw. darf ein derartiges Werkzeug auch im Journalismus genutzt werden? Dass Bilder die Empathie für gewisse Themen fördern und den Nachrichtenwert steigern können, ist bekannt. Andererseits werden RezipientInnen täglich mit einer Flut an visuellen Reizen konfrontiert, sodass sich die Frage stellt, ob Drohnenaufnahmen aus dieser Datenmasse herausstechen und auf sinnvolle Weise neue Blickwinkel eröffnen können. Es gibt bereits – abgesehen von Naturdokus – einige erfolgreiche journalistische Projekte, etwa durch CNN oder BBC. Die unbemannten Flugobjekte schaffen aufgrund ihrer Flughöhe einerseits Distanz, aber gleichzeitig eine Nähe und somit potentielle rezeptive
Betroffenheit, die auf diese Art und Weise bisher noch nicht möglich waren. Denn Helikopterflüge sind gefährlicher und teurer. Ein verantwortungsvoller Umgang Durch Technologien werden Aufgabenbereiche verändert und erweitert. Deren Entwicklung jedoch ist rascher als das Erlernen seitens der UserInnen. Die USA haben mit der Einrichtung der Lehrund Forschungsstätte „Drone Journalism Lab“ an der University of Nebraska-Lincoln und dem ersten Lehrgang „Flying Robotic Journalism“ im Rahmen des „Interactive Telecommunications Program“ der New York University bereits reagiert. An der Hochschule der Medien in Stuttgart wird über Drohnenjournalismus geforscht und ein „Copter Communication Camp“ abgehalten, an dem Copter konfiguriert und konstruiert werden. Die Parameter Recht und Ethik werden bei diesen Onlinejournalismus-Projekten mitgedacht. Doch, so Eduard Moschitz: "Es geht immer um den verantwortungsvollen Umgang. Weil uns die Technik bestimmte Nutzungsmöglichkeiten zur Verfügung stellt, heißt das nicht, dass wir es auch uneingeschränkt verwenden können.“
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Die rechtliche Perspektive In Österreich hat der Gesetzgeber das Potenzial und auch die damit verbundenen Gefahren schnell erkannt. Zuvor gab es nur unzureichend definierte Regelungen bezüglich unbemannter Flugobjekte. Seit dem 1.1.2014 ist die neue Novelle zum Luftfahrtgesetz in Kraft getreten und versucht möglichst alle Lücken zu schließen. Doch ist die Rechtslage oft sehr schwer zu beurteilen, da Drohnen unterschiedlichen Rechtsbereichen unterliegen. Sie werden in unterschiedliche Klassen unterteilt: einerseits kleine Spielzeugdrohnen, die relativ unproblematisch sind und andererseits Flugmodelle, die bereits Kameras transportieren können. Sobald ein Flug nicht mehr nur zum Zweck des Flugs selbst stattfindet, sondern auch Bildmaterial entsteht, benötigt man eine Fluggenehmigung. In der Praxis passiert dies jedoch, gemessen an den Verkaufszahlen, nur sehr sporadisch. Bewilligungen werden größtenteils von professionellen Anbietern eingeholt. Jurist Kern dazu: „Graubereiche gibt es überall, gerade bei den Drohnen, weil hier die Judikatur bislang fehlt. Es wird noch sehr interessant werden, weil mangels Bewusstseins derzeit noch kaum private NutzerInnen Drohnen registrieren oder entsprechende Bewilligungen erwirken.“ Wie geht der Journalismus damit um? In Österreich spielt die Drohne im journalistischen Alltag noch keine große Rolle. Eduard Moschitz selbst betont im SUMO-Interview, dass er noch nie mit Dohnen gearbeitet hat, aber auch, dass er sich durchaus Situationen vorstellen könnte, in denen Drohnen einen Mehrwert generieren. Das Potential sei bei aufklärerischem Anspruch gegeben und wenn man eine bestimmte Dimension oder Größe darstellen kann: 100.000 Flüchtlinge sind eine Zahl, unter der man sich nichts vorstellen kann, schnell gesagt und schnell wieder vergessen. Würde man dem Phänomen durch einen Drohnenflug Raum geben, wäre es für die Öffentlichkeit fassbarer. Moschnitz schildert seine mögliche Herangehensweise wie folgt: „Ich würde erst einmal schauen, ob es aus journalistischer Sicht notwendig ist, dann die gesetzlichen Rahmen-
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bedingungen klären und schließlich den Fall ethisch genau beurteilen. Wenn etwas aus journalistischer Sicht absolut notwendig ist, muss man sich wirklich überlegen, ob man gewisse Einschränkungen in anderen Bereichen in Kauf nimmt.“ Die dabei involvierten Interessen gelte es genau zu begutachten. Solange Journalismus den Zweck verfolgt die Allgemeinheit zu informieren und Missstände aufzuklären, sieht Moschitz kein Problem. Dass Drohnenjournalismus diesbezüglich erfolgreich sein kann, haben schon einige Fälle bewiesen. Die Anfänge begannen in den USA, und nicht umsonst nennt das „Drone Journalism Lab“ Einsatzmöglichkeiten bei Katastrophenberichterstattung und solcher aus abgeriegelten Zonen wie etwa den „Occupy Wall Street“-Protesten. In Europa erreichte als erstes namhaftes Beispiel eine eskalierende Demonstration in Warschau 2011 erst via „YouTube“ und hernach über diverse Onlinezeitungen in Windeseile eine enorme Reichweite. Klassischen Medienbetrieben dienen Drohnen auch der Kostenminimierung bei filmischer Berichterstattung, dem Grassroot-Journalismus zur Maximierung der Aufmerksamkeit für sonst ignorierte Missstände. Doch es wird zu einer Gratwanderung, wenn persönliche oder rein kommerzielle Interessen im Spiel sind: Britische Boulevardmedien zeigten es mit dem Handyanzapfen von Prominenten vor – was, wenn nun Drohnen die Schlafzimmer von Stars überwachen? In Österreich werden die Potenziale dieses Hightech-Tools vorläufig erst von der naturdokumentarischen Fernsehindustrie genutzt, nicht im redaktionellen Informationsjournalismus. Ist dies dereinst der Fall, wird auch hierzulande die Diskussion mit der Frage „Cui bono?“ starten müssen.
Mathias Blaha
Selbstkontrolle via Presserat oder rein intern?
Quelle: pixabay
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Der Österreichische Presserat sorgt mit seinen Entscheidungen regelmäßig für medienethische Diskussionen. SUMO bat Geschäftsführer Alexander Warzilek und „Kronen Zeitung“-Interviewerin Conny Bischofberger zum Gespräch.
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er Presserat war im vergangenen Jahr vielbeschäftigt. Berichterstattungen im Rahmen der Flüchtlingskrise gerieten besonders häufig zum Gegenstand von Beschwerden und Mitteilungen der LeserInnen. Eine Mitgliedschaft im Presserat kann moralisches Fehlverhalten nicht verhindern. In den meisten Fällen sind aber dennoch jene Printmedien von Beschwerden betroffen, die die Presserats-Mitgliedschaft bisher verweigert haben. Dazu zählen die „Kronen Zeitung“, sowie die Gratiszeitungen „Heute“ und „Österreich“. Laut der Fallstatistik des Presserates übernahmen die drei Senate im Jahr 2015 die Bewertung von insgesamt 253 Beschwerde- und Mittteilungsfällen. In 44 Fällen wurden Verstöße gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse geortet. Insgesamt 19 Verstöße gingen auf das Konto der „Kronen Zeitung“, neun betrafen „Österreich“, sieben „Heute“. Der Presserat ist erst seit 2010 wieder als Selbstregulierungseinrichtung der österreichischen Zeitungs- und Zeitschriftenbrache tätig. Davor gab es zwischen 1961 und 2002 einen Presserat,
der aufgrund interner Auseinandersetzungen quasi „ruhend gestellt“ wurde, wie es Presserats-Geschäftsführer Alexander Warzilek im Gespräch mit SUMO formuliert. Heute ist der Presserat als Verein organisiert, dessen Träger die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs sind. Zeitungen und Zeitschriften, die Mitglieder beim Presserat sind, verpflichten sich, den Ehrenkodex für die österreichische Presse und die enthaltenen ethischen Grundsätze bei der Berichterstattung einzuhalten. Warzilek sieht in der Warn- und Appell-Funktion die wichtigste Aufgabe des Presserates: „Wir zeigen etwas auf und wollen eine Diskussion über Medienethik in Gang bringen.“ Bisweilen – und zwar just medial – werde der Presserat als „zahnloser Tiger“ bezeichnet, da er über kaum Sanktionsmöglichkeiten verfüge. Die maximale „Strafe“ für Printmedien ist eine Entscheidungsveröffentlichung im eigenen Medium im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens. Warzilek sieht aber den „öffentlichen Pranger“ als größere Strafe: „Wenn wir eine Presseaussendung machen, dann ist es in 99,9% der Fällen so, dass die APA diese Mel-
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dung übernimmt und die geht dann an alle Redaktionen. Die Zeitungen, die bei uns mitmachen, berichten dann auch oft über diesen Fall.“ Dies entfalte dann eine Wirkung in der Branche, aber auch in der Öffentlichkeit. Denn diese habe inzwischen durchaus bemerkt, dass es einen Presserat gibt: „Natürlich werden nie 90% der ÖsterreicherInnen den Presserat kennen, aber wenn unsere Entscheidungen in der Medienberichterstattung vorkommen, werden interessierte LeserInnen auf uns aufmerksam.“
sie auch jederzeit mit an Bord nehmen, aber im Moment gibt es da Widerstände.“ Der Presserat versuche zudem, sachlich und angemessen über die Probleme in den Artikeln zu sprechen.
Selbstkontrolle gilt für alle Der Presserat ist als Selbstkontrolleinrichtung auch dann zuständig, wenn Mitteilungen und Beschwerden die Nicht-Mitglieder betreffen: „Ich glaube, es ist erforderlich, dass wir die gesamte Branche überwachen und kontrollieren“, sagt Warzilek, denn ansonsten sei die Selbstkontrolle nur „eine halbe Sache“. Hinzu kommt, dass der Presserat drei Viertel seines Jahresbudgets vom Staat über die Presseförderung erhält, rund 150.000 € an Steuergeldern. Daher müsse man auch im Interesse der Allgemeinheit handeln und die Branche umfassend beobachten. Warzilek bedauert dennoch, dass die drei großen Tageszeitungen bisher nicht dem Presserat beigetreten sind: „Wir sind offen und würden
Herrmann nimmt sie im SUMO-Interview Stellung zum Thema „Presserat“. Die „Kronen Zeitung“ sei nicht Mitglied beim diesem, weil sie sich nicht dessen Gerichtsbarkeit unterwerfen möchte und zudem keine Notwendigkeit in einer Mitgliedschaft erkenne, da das eigene Redakteursstatut ausreichend wäre: „Es haben zwar auch andere Zeitungen ähnliche Statuten, aber keines ist so ausgeprägt wie unseres“, so Bischofberger. Ein Problem sieht sie vor allem darin, dass gegen Urteile des Presserates nicht berufen werden könne. Zudem seien gewisse Urteile auch nicht nachvollziehbar: „Wenn wir das Bild von den toten Flüchtlingen im LKW in Österreich nehmen, da hat uns der Presserat gerügt. In Deutschland hat der Presserat bei
Alexander Warzilek und Verena Ganhör / Quelle: Julia Hollitsch
„Wir finden es nicht notwendig.“ Conny Bischofberger ist seit 20 Jahren als Interviewerin für die „Kronen Zeitung“ tätig und LeserInnen durch die „Persönlich“-Interviews in der Sonntags-„Krone“ bekannt. In Vertretung des „Krone“-Chefredakteurs Klaus
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demselben Bild entschieden, dass es ein Zeitdokument sei, und natürlich darf und soll man ein Zeitdokument zeigen“, sagt Bischofberger in Anspielung auf das umstrittene Bild, dass beim Presserat im Jahr 2015 für einen Negativrekord an Beschwerden – 180 an der Zahl – gesorgt hat. Die Anzahl der Beschwerden oder Mitteilungen sollte aber die Entscheidung der Senate grundsätzlich nicht beeinflussen, stellt Warzilek klar: „Ob es in das Unterbewusstsein bei dem einen oder anderen Senatsmitglied einfließt, kann ich nicht zu 100 Prozent ausschließen, aber eigentlich sollte man den Fall neutral bewerten, egal wie viele Beschwerden es dazu gibt und egal welches Medium betroffen ist.“ Laut Warzilek setze sich der Presserat stark dafür ein, die gleichen Maßstäbe für jedes Medium gelten zu lassen. Ist der Ehrenkodex zu streng? Dass der Ehrenkodex eine zu große Hürde für die Nicht-Mitglieder ist, dem Presserat doch beizutreten, ist für Warzilek nicht stichhaltig: „Ich glaube, dass man Boulevardjournalismus nach ethischen Kriterien betreiben kann, wenn man das möchte.“ Bischofberger hingegen: „Ich glaube eher, dass die ‚Krone‘ sich einen eigenen Weg suchen wird, vielleicht unseren eigenen Kodex noch zu verschärfen, aber nicht, indem wir uns einem Gremium unterwerfen.“ Auch kann sie sich eine stärkere Einbindung der LeserInnen vorstellen. Nicht nur, um die Zeitung zu rügen, wenn die Berichterstattung zu weit gegangen ist, sondern auch, um generelle Wünsche an die Gestaltung des Mediums zu äußern. Die deutsche „BILD“ als Auflagenkönigin habe beispielsweise einen „Leserbeirat“ eingeführt. Trotz gelegentlicher Differenzen mit den Nicht-Mitgliedern, betont Warzilek, dass mit allen drei Medien – „Kronen Zeitung“, „Heute“ und „Österreich“ – in konkreten Fällen bereits einvernehmliche Lösungen gefunden worden seien, mit denen sowohl die Betroffenen, als auch die Zeitungen zufrieden waren. Abgesehen von den drei Tageszeitungen wäre zudem fast die gesamte Branche im Presserat vertreten. Für die Zukunft postuliert Warzilek: „Ich wün-
sche mir, dass wir noch bekannter werden, dass unsere Entscheidungen dazu führen, dass man über medienethische Probleme spricht und dass wir das Verhältnis zu den drei Zeitungen, die nicht mitmachen, entspannen und sie sich vielleicht doch eines Tages entschließen, mitzumachen.“
Verena Ganhör
PRESSERAT Beim Presserat entscheiden drei Senate, die sowohl aus JournalistInnen als auch aus mindestens einer rechtskundigen Person bestehen, über die Beschwerden und Mitteilungen der LeserInnen. Es gibt zwei Verfahrensarten vor den Senaten des Presserates: das „selbständige Verfahren“ und das „Beschwerdeverfahren“. Das selbständige Verfahren kann durch Mitteilungen über einen potenziellen medienethischen Verstoß in einem Printmedium oder einer zugehörigen Webseite von jedermann angeregt werden. Das selbständige Verfahren wird auch bei Nicht-Mitgliedern eingeleitet. Entscheiden die Senate, dass ein medienethischer Verstoß vorliegt, muss das Medium diese Entscheidung nicht abdrucken. Sind LeserInnen persönlich von einer Berichterstattung betroffen, können sie sich ebenfalls an den Presserat wenden. In diesem Fall wird ein „Beschwerdeverfahren“ eingeleitet, bei dem sowohl die Betroffenen, als auch das Medium den Presserat als Schiedsgericht anerkennen muss. Nur im Rahmen des Beschwerdeverfahrens kann eine Entscheidungsveröffentlichung im betroffenen Medium erwirkt werden. SUMO | 43
Leserombudsstellen in Österreich
Quelle: pexels
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1970 richtete die „Kleine Zeitung“ als erste Tageszeitung die Stelle eines Ombudsmannes ein. SUMO sprach mit Peter Filzwieser, dem aktuellen, sowie mit Medienrechtsexperten Leonhard Reis über Nutzen und Rechte. eserombudsmänner und -frauen im Sinne des Wortes gibt es in Österreich nicht. Peter Filzwieser erklärt, dass der typische Leserombudsmann die Zeitung nach außen vertritt und somit eigentlich als deren PR-Mann fungiert. Ein Zeitungsombudsmann im Gegensatz dazu begleitet und unterstützt LeserInnen bei Problemen im Alltag. In dieser Funktion kann er auch zum Vermittler in Krisensituationen werden. Eine 23-jährige Frau hatte sich einen Kredit über 15.000 Euro aufgenommen, um sich ein Auto zu kaufen und dabei um Geld zu sparen auf eine Versicherung verzichtet. Nicht einmal zwei Wochen später wurde ihr das Vehikel gestohlen. Jetzt zahlt sie die kommenden sieben Jahre einen Kredit ab, hat aber kein Auto. Doch das Blatt wendet sich: Ein unbekannter Leser meldet sich bei Filzwieser und spendet 7.500 Euro. Der Ombudsmann händigt der jungen Frau kurz darauf das Geld. „Dafür bin ich da“, erzählt er stolz. Ombudsmänner/-frauen sind JournalistInnen – keine JuristInnen Ombudsmänner/-frauen haben keine anwaltliche Vertretungsbefugnis. „Ich bin Journalist, kein Jurist“, stellt Filzwieser klar. Ombudsmänner/-frauen arbeiten für die Zeitung, haben aber im Gegensatz zu „normalen“ Journalis-
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tInnen keinen Zeitdruck bei der Veröffentlichung ihrer Berichte. LeserInnen wenden sich an sie, wenn sie Probleme mit Unternehmen oder Einzelpersonen haben, die Ombudsstelle nimmt dann Kontakt mit der Gegenpartei auf und versucht zwischen beiden zu vermitteln. Diese fungiert als Mediator und unterstützt LeserInnen, um eine Lösung für deren Probleme zu finden, die aber gleichzeitig für beide Seiten funktioniert. „Es wird auf jeden Fall darüber berichtet, wobei die betroffenen Firmen oder Personen die Möglichkeit haben, Stellung zu beziehen und positiv aus der Sache herauszugehen“, erklärt Filzwieser. Neben ihm gibt es noch eine populäre Vermittlungsinstanz für LeserInnen in Österreich: Barbara Stöckl, Ombudsfrau der „Kronen Zeitung“.
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Auch Leonhard Reis, Medienrechtsexperte und Rechtsanwalt in Wien, bestätigt diese Vorgehensweise. „Es gibt drei Konfliktmecha-
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Niederösterreich heute nismen in der Pressewelt: Die Ombudsstellen, den Presserat und die anwaltliche Vertretung. Der Ombudsmann ist ein diplomatisches Mittel. Er hat juristisch gar keine Möglichkeiten, aber unterstützt den Leser/die Leserin, gibt Hilfestellungen und kann mit seiner Berichterstattung einiges bewirken. Er macht auf Probleme aufmerksam“ – ganz im Unterschied zur Arbeit des Medienrechtsexperten. Leonhard Reis unterstützt seine MandantInnen, wenn sie sich durch Medienberichterstattung in Persönlichkeitsrechten verletzt fühlen, zum Beispiel wenn Bilder veröffentlicht werden, mit denen sie nicht einverstanden sind, sie sich herabwürdigend behandelt fühlen oder gar in ihrer Intimsphäre verletzt wurden. „Das passiert seit dem Aufkommen der Gratiszeitungen deutlich öfter als davor“, veranschaulicht Reis. Keine Rechte – keine Möglichkeiten – dafür Macht „Der Ombudsmann hat keine juristischen Rechte und auch keine Möglichkeiten, gerichtlich gegen Missstände vorzugehen. Aber ich habe eine Macht – die Macht der Zeitung“, stellt Filzwieser fest. Mit der Macht der Zeitung kommt auch die Macht der LeserInnen, über die berichtet wird, und der LeserInnen, die diese Berichterstattung lesen. Viele scheuen den Gerichtsweg, da dieser mit hohen Kosten und Zeitaufwand verbunden ist. Der Ombudsmann versucht zu vermitteln und Missstände auszuräumen. Somit können im Idealfall beide Parteien zufrieden sein.
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