FINANCIAL PLANNING Magazin I-2020

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FI N A N CIA L & ES TAT E P L A N N I N G | P R A XIS

Die Ökonomie des Wachstums: Warum die zweiten 100 Kunden erheblich weniger profitabel sind als die ersten 100 Von Michael E. Kitces

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er (profitable) Weg zur Kundenkapazität Die Schwierigkeit für Finanzberater besteht anfangs darin, dass man viel Zeit hat, die Zahl der zu betreuenden Kunden allerdings eher überschaubar ist. Wirtschaftlich gesehen besteht ein deutlicher „Kapazitätsüberhang“ ... die Kanzlei steht bereit für die Kunden, die sie aber noch gar nicht hat. Damit ist das Einkommen des Beraters in der Regel negativ, da zumindest ein paar geschäftliche Gemeinkosten anfallen (von Compliance über die Website bis hin zu den grundlegenden benötigten Technologien), das Geschäft aber (noch) nicht kostendeckend läuft. Wenn sich der Kundenstamm dann tatsächlich vergrößert, steigen die Einnahmen natürlich, die Gewinnschwelle wird erreicht und schließlich überschritten. Da sich die Gemeinkosten anfangs überwiegend aus Fixkosten beziehungsweise bereits verlorenen Kosten zusammensetzen, fließt jeder zusätzliche Dollar an Umsatz direkt in den Gewinn des Beraters, also das, was ihm übrig bleibt.

lei ausschlaggebend für das Nettoeinkommen des Beraters. Es sind vielmehr die Gesamtzahl der Kunden und der Umsatz, den diese für die Firma generieren, die sich direkt im Gewinn niederschlagen (da die Gemeinkosten in der Regel überwiegend unveränderlich sind). Der kontinuierliche Ausbau des Kundenstamms, der Umsatz generiert, der direkt in das Nettoeinkommen des Beraters fließt, funktioniert jedoch nur bis zu einem gewissen Punkt. Die Grenze ist die maximale Kapazität eines Finanzberaters für die Betreuung dieser Kundenbeziehungen. Ein allein tätiger Finanzberater kann somit nur so lange neue Kunden aufnehmen, bis sein Zeitkontingent erschöpft ist. Michael E. Kitces, MSFS, MTAX, CFP®, CLU, ChFC, RHU, REBC, CASL, ist Herausgeber des “The Kitces Report” und Blogger des “Nerd‘s Eye View”. Außerdem ist er Partner und Director of Research der Pinnacle Advisory Group in Columbia, Maryland.

Der direkteste Weg für einen typischen Finanzberater zu mehr Einkommen liegt somit klar auf der Hand: Für Mehreinnahmen (über die Deckung der laufenden Ausgaben der Kanzlei hinaus) braucht man lediglich mehr Kunden. Der Ansatz funktioniert recht gut. Nicht selten bleiben einem selbstständigen Berater von jedem Dollar Umsatz knapp 0,70 USD, und das verfügbare Einkommen der profitabelsten Einzelberater-Kanzleien liegt bei bis zu 85 Prozent des Umsatzes. In realen Zahlen bedeutet das, dass ein Berater mit 70 Kunden und 200.000 USD Jahreseinnahmen fast 140.000 USD Gewinn macht, während einem Berater, der sein Geschäft auf 100 Kunden und 300.000 USD Jahresumsatz ausbaut, in der Regel 210.000 USD bis 250.000 USD bleiben würden. Allerdings ist aus Sicht des verfügbaren Einkommens tatsächlich weniger die Gewinnspanne der Kanz-

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Schließlich hat er mindestens zweimal im Jahr mit diesen Kunden Termine (was gute vier Stunden an Besprechungs- und oftmals weitere zwei Stunden an Vorbereitungszeit bedingt) und muss zusätzlich weitere vier Stunden für E-Mails und Telefonate für kurzfristige Recherchen und Analysen zur Beantwortung von Planungsfragen ansetzen, plus vier Stunden Zeit für sonstige Servicetätigkeiten (Handel, Abgleich und andere Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Vermögensverwaltung). Das ergibt bis zu 14 Stunden pro Kunden. Von den jährlich verfügbaren 2.000 Arbeitsstunden wären das bei 100 Kunden schon einmal 1.400 Stunden. In diesem Stadium beanspruchen die übrigen administrativen und verwaltungstechnischen Aufgaben der Kanzlei, Compliance-Pflichten und Fortbildungsmaßnahmen das Gros der verbleibenden 30 Prozent der Zeit des Beraters. Ganz zu schweigen vom Zeitaufwand für Interessentenwerbung und Marketing zur Gewinnung von Neukunden. Aktuellen Untersuchungen zufolge verbringen Berater im Durchschnitt nur 60 Prozent ihrer Zeit im Jahr mit persönlichen Kundengesprächen und Anlageverwaltungstätigkeiten!

FINANCIAL PLANNING 01.2020


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