Musik: Paul Dresher libretto: jim Lewis
THE
TYRANT carlo delfrati
b e g l e i th e f
r t z u r o p e
Stiftung Stadt theater und Konzerthaus Verdi Platz 40, 39100 Bozen education@ntbz.net www.ntbz.net www.ntbz-formazione.net
Proget to Oper@4u Direktor Manfred Schweigkofler Didaktischer Koordinator Carlo Delfrati Koordination Schulprojekte Emanuele Masi, Maria Prast Redaktionelle Leitung Maria Prast Presse Marion Thöni Texte Carlo Delfrati Übersetzung Peter Huber, Martina Ioratti, Camilla Preziati Grafik Gruppe Gut – Bozen Druck Publistampa – Pergine Valsugana (TN)
Legende: 2011 Für Forderungen in Bezug auf Urheberrechte wenden Sie sich an den Herausgeber.
Übungsbeispiele
Hörbeispiele
Einleitung
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Von Barthes und Havas zu Calvino
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Das Geschehen
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Ton und Lärm
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Das Libretto
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Von der Kunst des Erzählens zum Theater
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Zwei Bäume aus einer Wurzel
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Die Stimme der Sirene
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Die Autoren von The Tyrant
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Der Tyrann: ein Topos in Literatur und Geschichte
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Eine Nachforschung zum Thema Tyranneien
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Von der Virtuosität des Zuhörens: Übungen
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Viele kleine horchende Könige
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Die Musik von Paul Dresher
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Libretto
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Die Aufgabe des Gesangs
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Zwischen Singen und Sprechen
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Ein anderer König
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Regie-Entwürfe
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Wir musizieren mit dem Tyrannen
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von Barthes und Havas Die Musik begleitet uns Tag für Tag als wertvolle Freundin. Gefällt uns ein Lied, lernen wir es schnell und es bleibt uns lange im Gedächtnis. Doch wie wir wissen, kann die Musik, abgesehen davon, dass sie uns unmittelbar Freude bereitet, noch eine andere Funktion übernehmen. Man kann sie als Ausdrucksmittel verwenden, um etwas zu erzählen. Denken wir beispielsweise an das Kino. Im Kino kann die Musik zwar auch nur erfreuliche Begleitung sein, weit öfter ist sie jedoch ein wichtiges erzählerisches Element. So ändert sich das Wesen einer Szene je nach Art der Musik, die dazu gespielt wird. In der Oper ist diese gundlegende Funktion der Musik von zentraler Bedeutung. In einem Werk wie The Tyrant sind es nicht nur die Worte, die uns das Geschehen begreifbar machen, es ist auch die Art und Weise, wie diese Worte zum Ausdruck gebracht werden, das heißt, wie sie gesungen werden, und schließlich ist es die Art, wie die Instrumente zum Einsatz kommen. In The Tyrant werden wir nicht den Ohrwurm suchen, den wir nach der Vorführung gemeinsam singen können, wie man das mit der letzten Nummer 1 der Hitparade tut. Vielmehr werden wir den Sinngehalt der Geschichte im Fließen der Musik, in ihren Rhythmen, ihren Melodien, in den Wechseln und Zusammensetzungen der Instrumente suchen. Denn die Musik ist eine ganz und gar andere Sprache als die wörtliche, über die sie sich legt und mit der sie sich verflechtet. Und weil sie eine eigenständige Sprache ist, verändert und verdeutlicht sie letztlich auf ihre Art auch die eigentliche Bedeutung der Wörter, mit denen sie in Zusammenhang steht. Ähnlich der Geste im täglichen Gespräch, der Zeichnungen und Texte im Comic oder der Beziehung Musik/Bild in den Filmen. Jede künstlerische Ausdrucksform basiert auf bestimmten Konventionen; auch die augenscheinlich realistischsten, wie das Sprechtheater oder das Kino. Wollen wir eine Oper verstehen, den Gehalt ihrer Aussage würdigen, kommen wir nicht umhin, uns mit ihrer Sprache und mit ihren Konventionen vertraut zu machen. An geschriebene Texte, Filme, Bilder, Lieder sind wir von klein auf gewöhnt - dazu erzogen - nicht nur durch die Schule, vor allem durch das Umfeld, in das wir eingebettet sind und in dem uns dieses Repertoire tagtäglich Nahrung bietet. An die Oper (ebenso wie an die symphonische oder ethnische und noch andere Arten der Musik) dagegen nicht. Erklärt sich niemand bereit uns darin zu unterweisen, haben wir nicht die Möglichkeit, uns in sie hineinzuversetzen, wie wir uns in eine Erzählung hineinversetzen, in ein Fresko oder in einen Film. Das ist kein geringer Verlust. Der mittelalterliche Philosoph Johannes von Salisbury sagte, wir sind „Zwerge auf den Schultern von Riesen“: wir sind was wir sind, kulturell, intellektuell, wirtschaftlich, auch gefühlsmäßig, auf Grund der
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Werte, die Jahr für Jahr von den Generationen, die uns voraus gingen, über Jahrhunderte hinweg angesammelt wurden. Die Oper ist einer dieser Werte. Genauso wie es die visuellen Künste sind, um ein nahe liegendes Beispiel zu nennen. Dank der künstlerischen Ausbildung, die wir erhalten haben, sind unsere Augen reicher geworden; unser Verständnis der Welt ist reicher geworden; unsere Sensibilität, unser Gefühlsleben, unsere Fähigkeit, andere zu sehen, sie zu erleben, mit ihnen in Verbindung zu treten. Und was wir den visuellen Künsten, der Geschichte, der Wissenschaft und der Literatur zugestehen, gilt auch für die Musik; und für die Oper im Besonderen. Wie ein Gemälde nicht einfach eine Abbildung der Realität ist, sondern eine Möglichkeit die Realität zu sehen, so ist ein Musikwerk eine Möglichkeit sie zu hören. In vier Jahrhunderten Oper hat sich ein außergewöhnliches Repertoire an Werken und Botschaften angesammelt, das uns die Kultur früherer Generationen mittels klanglicher Gebäude zur Verfügung stellt. Ein Repertoire, das dem des zeitgenössischen Sprechtheaters oder dem anderer wichtiger Kunstformen in nichts nachsteht. Bei der Oper denkt man oft an etwas, das einer gewissen Elite vorbehalten ist, einem gehobenen, „aristokratischen“ Publikum: bewundernswert ist die Virtuosität der Sänger und der Orchester, edel der Pomp der Theater, die Magie der Ausstattungen. Dabei sind der Glanz der Orte und die Schönheit der Inszenierungen nichts anderes als das Ergebnis hervorragender und anspruchsvoller Arbeit von Künstlern und Handwerkern im Dienst eines Kunstgenusses, an dem alle teilhaben können. Jeder hat ein Recht darauf. Und auch der Luxus der Premieren oder die Eleganz der Bekleidung des im Parkett sitzenden Publikums ist nichts anderes, als ein Zeichen der Anerkennung und des Respekts für die außergewöhnliche Leistung jener Menschen, die diese grandiose Kunstmaschine auf die Beine gestellt haben.
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Vorlage für das von Jim Lewis geschriebene und von Paul Dresher im Jahr 2006 vertonte Libretto bildet eine der Erzählungen, die der Schriftsteller Italo Calvino (1923-1985) in seinem Sammelband Sotto il sole giaguaro (Unter der JaguarSonne) vereinte. Der ursprüngliche Plan Calvinos sah fünf Erzählungen vor, jede davon einem der fünf Sinne gewidmet. Schreiben sollte er letztlich nur drei, eine über das Riechen, eine über das Schmecken und eine über das Hören. Die Geschichte, die unserer Oper zu Grunde liegt, ist die dritte, geschrieben 1982-1983 und 1986 posthum veröffentlicht. Sie trägt den Titel: Un re in ascolto (Ein König horcht). Italo Calvino selbst erwähnte in einem Brief an den Komponisten Luciano Berio, dass ihm die Grundidee dazu während der Lektüre eines Beitrags mit dem Titel „Ascolto“ kam, den Roland Barthes und Roland Havas für die Enciclopedia Einaudi verfasst hatten (Turin, Einaudi, 1977, S. 982-991. Die nachfolgenden Zitate sind daraus entnommen.). Barthes und Havas unterscheiden drei Arten von Hören. Die erste Art (im Deutschen würde man es als „Hörvermögen“ bezeichnen) ist ein physiologisches Phänomen: „sie hängt essenziell mit der Einschätzung der raum-zeitlichen Situation zusammen […] ist der eigentliche Raum- und Zeitsinn, erfasst durch das Wahrnehmen verschiedener Grade der Entfernung und regelmäßiger Rhythmen klanglicher Erregung“ (die Grade der Entfernung sind bestimmbar durch die Intensität der Klänge, durch ihre Lautstärke). Barthes und Havas fügen hinzu, dass die akustische Verschmutzung „nichts anderes ist, als die unerträgliche Verzerrung des menschlichen Raums, in dem der Mensch vergebens versucht sich wieder zu erkennen: die Verschmutzung untergräbt die Sinne, mit denen das Lebewesen […] sein eigenes Territorium wieder erkennt, sein eigenes Habitat […]: die Verschmutzung verhindert das Hören“. „Wie ein von außen nach innen gerichteter Trichter, nimmt es [das Ohr] die größtmögliche Zahl an Eindrücken auf und leitet sie an ein Überwachungs-, Auswahl- und Entscheidungszentrum weiter. […] Was verwirrt und undifferenziert war, muss deutlich und bezeichnend werden“. Die zweite Art des Hörens „steht in Zusammenhang mit einer Hermeneutik1; hören bedeutet, sich in die Lage versetzen Dunkles, Konfuses und Stummes zu entziffern, und dem Bewusstsein das ‚darunter Liegende‘ des Sinns vor Augen zu führen“. Dieses Hören verschiebt den Klang vom Zustand des Hinweises in jenen der Bedeutung. Als typisch menschliches Hören, ist es der Beginn des Denkens und der Sprache. Die dritte Art des Hörens ist ein von der Psychoanaly-
se theoretisiertes und angewandtes Hören. Es wird vom Unterbewusstsein des ersten Subjekts (des Patienten), auf das Unterbewusstsein des zweiten Subjekts (des Psychoanalytikers) ausgeübt. „Die Originalität des psychoanalytischen Hörens besteht genau in diesem Gehen und Kommen, das Neutralität und Einflussnahme, Aussetzen der Beurteilung und Theorie miteinander verbindet“. Die Stimme ist der entscheidende Vermittler in diesem Prozess. „Die Stimme verhält sich zur Stille wie die Schrift zu einem weißen Blatt Papier. Das Hören der Stimme eröffnet die Beziehung mit dem Anderen: die Stimme, durch die man andere erkennt […] zeigt uns ihren Seinszustand an, ihre Freude oder ihren Schmerz, ihre Befindlichkeit; sie übermittelt uns ein Bild ihres Körpers und jenseits dessen - eine ganze Psychologie (man kann von einer warmen Stimme reden, von einer weißen usw.). Die Stimme eines Gesprächspartners berührt einen manchmal mehr als der Inhalt seiner Rede und man ertappt sich dabei, den Modulationen und Schwingungen zu lauschen, ohne das Gesagte zu verstehen.“ (Der Psychoanalytiker benutzt die Sprache der sich vor ihm befindlichen Person und hilft ihr dadurch ihre Erfahrungen, ihre Gefühlen beim Namen zu nennen, das Erlebte in Worte zu fassen). Italo Calvino hat in seinem gesamten Werk der Welt, der Realität, dem Leben „zugehört“ und dadurch die drei Arten des Hörens, wenn man so will, vervollständigt: die erste, durch die realistische Genauigkeit; die zweite, durch die unaufhörliche Suche nach den Bedeutungen des Lebens („nachdenkliche Allegorie der conditio humana des immer entfremdeten, verstümmelten Zeitgenossen, ständig daran gehindert, seine Integrität, seine Ganzheit zu erreichen“, wie man in der Einleitung zu seinem Roman Il visconte dimezzato [Der geteilte Visconte, 1952] lesen kann). Und was die dritte Art angeht, kommen in Calvinos Werken und im Besonderen in seinen Erzählungen des Buchs Unter der Jaguar-Sonne, die Phantasmagorien2 der Träume, der Suggestionen, der Symbole ins Spiel, die uns aus der Tiefe unseres Ich dazu drängen, die Realität gewissermaßen sub specie sonora3 zu erforschen. An einer zentralen Stelle des Textes sagt der Erzähler zum König: „möchtest Du, dass Dein Hören von ihr gehört würde“: von ihr, der Stimme, deren Gesang er in diesem Augenblick vernimmt.
1 Unter Hermeneutik versteht man […] eine Methodenlehre zur Auslegung von Gesprochenem als auch von Texten. Das Wort Hermeneutik an sich kann grob als kundgeben, übersetzen, interpretieren dargestellt werden. (vgl. Bühler 2003, S. 4) 2 Allgemein versteht man unter dem Schlagwort „Phantasmagorien“ alle Arten von Trugbildern, zum Beispiel in Form fantastischer Bilder oder auf der Bühne. 3 Die Realität aus der klanglichen Perspektive wahrnehmen.
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Die gesamte Erzählung ist in der zweiten Person geschrieben. Es ist ein externer Beobachter, der sich an die Hauptfigur wendet, oder - wenn man will - die Hauptfigur, die sich an sich selbst wendet. Die Hauptfigur ist ein tyrannischer König, der mit Gewalt die Macht eroberte, seinen Vorgänger entthronte und ihn in die unterirdischen Kerker des Palastes sperren ließ. Voller Grauen wartet er seinerseits darauf, von
seinem Nachfolger entthront zu werden. Der Thron ist der Platz, an dem der König bewegungslos seinen ganzen Tag verlebt, er ist aber auch sein eigentlicher Daseinsgrund. Er regiert einzig um zu regieren. „Ein König unterscheidet sich dadurch, dass er auf einem Thron sitzt, eine Krone und ein Zepter trägt“. Ein geschlossener existenzieller Kreis, zu lesen als Metapher für eine menschliche Existenz, der man umsonst versucht einen Sinn zu geben. Der König verbringt den ganzen Tag auf dem Thron sitzend, umsorgt in allen seinen Bedürfnissen. Bewegungslos, um zu vermeiden, dass ein Usurpator seinen Platz einnehmen könnte. Seine Art mit der Außenwelt in Kontakt zu bleiben ist das Hören. Was im Palast (oder außerhalb) vor sich geht, wird ihm durch die Klänge mitgeteilt, die ihn erreichen. „Du lauschst, wie die Zeit vergeht: wie des Windes Summen […] Die Könige haben keine Uhr: man nimmt an, dass sie es sind, die den Lauf der Zeit bestimmen; sich den Regeln eines mechanischen Artefakts zu unterwerfen, wäre mit der königlichen Erhabenheit nicht zu vereinbaren […] Die Tage sind für dich eine Abfolge von Klängen […] Der Palast, ganz aus Spiralen, Läppchen, ist ein großes Ohr, in dem sich Anatomie und Architektur, Namen und Funktionen vertauschen: Muscheln, Trompeten, Trommeln, Schnecken, Labyrinthe; du versteckst dich ganz hinten, in der innersten Zone des Ohr-Palastes, deines Ohrs; der Palast ist das Ohr des Königs“. „Die Stadt ist ein Rad, und der Ort, an dem du regungslos lauschend verharrst, ist seine Nabe“. Bevor er König wurde, kannte er die inneren Räumlichkeiten des Palastes gut, die äußeren kannte er auch, die Stadt, aus der er eines Tages auszog, die Macht zu erobern. Nun bleiben sie ihm fremd. Sie haben sich in seinen eigenen Körper verwandelt, der ihm geheimnisvolle Klangzeichen sendet. Er weiß nicht, was ihn mehr ängstigt, die plötzlichen und überraschenden Töne oder jene Gleichmäßigkeit, die in ihm den Verdacht weckt, jemand könnte insgeheim Intrigen gegen ihn schmieden. Unerwartet erreichen ihn ferne Schläge, deren mögliche Bedeutung er zu entziffern trachtet und mit denen er vergeblich versucht zu interagieren. Dann kehrt ein besonderer und angenehmer Klang aus der Vergangenheit zurück: der Gesang einer weiblichen Stimme. Eine Sirene. „Die Stimm‘ als 6
Stimme zieht dich an […] Was dich anzieht, ist das Vergnügen, das diese Stimme der Existenz verleiht, ihrem Sein als Stimme […] welches Bild du ihr in der Phantasie auch versuchst zuzuschreiben, das Stimm-Bild wird immer prachtvoller sein“. Er bemüht sich seinerseits ihr mit gleichem Gesang zu antworten. Ihr zu antworten oder vielmehr sich in sie hineinzuversetzen: „gemeinsam aufgefangen in der selben Absicht des Hinhörens (oder will man es Ohrblick nennen?)“ Aber die Verbindung ist schnell verloren, und es wäre sinnlos seine Diener auszuschicken, um im Königreich nach dieser Stimme zu suchen, oder einen Gesangswettbewerb auszuschreiben... Eine Lockerung der Aufsicht genügt und schon bricht im Reich eine Revolte von Verschwörern aus. Der König flieht im Schutz der Nacht. Er findet sich in den Kellerräumen des Schlosses wieder und trifft dort seinen Vorgänger, angekettet oder vielleicht auch frei, durch die inneren Gewölbe streifend. „Jetzt seid ihr beide unter der Erde verloren und wisst nicht, wer von euch König ist, wer Gefangener“. Im Finale verdichten sich die tiefgründigen Elemente der Erzählung zu dem, was Barthes und Havas die dritte Art des Hörens nannten. Der König vernimmt die Frauenstimme erneut. Er möchte ihr antworten, es gelingt ihm aber nicht. Dafür antwortet ihr eine andere Stimme, sehr wohl die eigene, aber eine Stimme, die der König „der Geräuschwolke der Stadt entnahm“: die Stimme einer Entfremdung also, eines sich fremd gewordenen Individuums. Die Stimme, von der er glaubt, sie sei seine eigene, ist dagegen die Stimme des Gefangenen, der „dein Lied singt, als hätte er nie etwas anderes getan, als wäre es von keinem anderen je gesungen worden als von ihm...“ Die Frau antwortet, ihre Stimmen vereinen sich harmonisch und entfernen sich gemeinsam. Der König befindet sich draußen; ist frei den Klängen der Stadt zu lauschen. „Irgendwo, in einer Furche der Erde, erwacht die Stadt“…
TON UND LÄRM In der deutschen Sprache kann der Begriff „Ton“ zur Bezeichnung jedes akustischen Ereignisses verwendet werden, für eine Autohupe genauso wie für eine auf einer Geige gespielte Note oder dem Rattern eines Zuges. Um präziser zu sein nennen wir etwas, worin eine besondere akustische Frequenz klar erkennbar ist, einen bestimmten Ton (oder Klang): das wäre dann ein Ton, der gesungen werden kann oder auf einem Instrument, zum Beispiel einem Klavier, gespielt; im Gegensatz dazu nennen wir einen wirren Laut, Lärm, in dem kein deutlich singbarer Ton herauszuhören ist, einen unbestimmten Ton.
Der Schriftsteller Jim Lewis hat den langen Monolog des Königs adaptiert und sich dabei in der Substanz an das Original Calvinos gehalten. Mit ein paar persönlichen Abweichungen: 1. Während uns Calvino direkt zum Thron führt, auf dem der erstarrte König sitzt, bietet Lewis uns einen eigenen Text an, im Sinne eines Vorspanns, symbolisiert durch eine parallele Dominanz der Töne von Seiten des Königs: nicht mehr das gärende und wilde Klanggesicht der Stadt, sondern eine geordnete Auswahl an Klängen, Hymnen, Paraden, Fanfaren, verwoben zu einem Lobgesang. 2. Eine zweite Variante öffnet Raum für einen imaginären Dialog zwischen dem König und seinem Vorgänger (im Libretto „Meister“ genannt). 3. Schließlich erweitert Lewis die Episode der Frauenstimme, indem er den „Gesangswettbewerb“ einfügt, und vor allem, indem er das körperliche Verlangen des Königs der Frau gegenüber verändert („du wirst sie in Armen halten“), bei Calvino eher ein onirisches Symbol, das erst gegen Ende hin sein zweideutiges Wesen offenbart. Also auch die letzte Episode bietet eine persönliche Lesart von Calvinos Originaltext. Der König glaubt aus einem Traum zu erwachen: „Ward ihr alle eine Täuschung?“
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Von der Kunst des Erzählens zum Theater In der Geschichte des Musiktheaters sind Verfahren wie diese, das auf die Bühne Stellen eines Erzähltextes, eher die Regel als die Ausnahme. Figaros Hochzeit von Mozart/Da Ponte hält sich an Beaumarchais (Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit), La Traviata von Verdi/Piave hält sich an Dumas (Die Kameliendame), La Bohème von Puccini/Illica und Giacosa an Henry Murger (Szenen aus dem Leben der Boheme). Weniger oft werden Erzähltexte in Sprechtheater umfunktioniert, wie das zum Beispiel Albert Camus in Die Besessenen getan hat, indem er den Roman Die Dämonen von Dostojewski auf ein Theaterdrama reduzierte. Der Grund für diese relative Seltenheit ist einfach zu erklären. Ein Verfahren wie das von Camus angewandte, erschöpft sich in sich selbst. Camus macht nichts anderes als einen bereits existierenden Text für den Eigengebrauch zu überarbeiten, Stellen auszuwählen, zu kürzen, zusammenzufügen und ihm dadurch, wenn man so will, ein neues Kleid zu verpassen, eine persönliche Note. Dagegen weiß ein Librettist, der bei der Umarbeitung eines Textes für die Oper ähnlich vorgeht, dass seine Dialoge dazu da sind, der Musik zu dienen. In diesem Fall wird also die Musik zum ‘neuen Kleid‘ der ursprünglichen Geschichte.
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aus einer Wurzel
italo c alvino
Luciano Berio
Die Erzählung Ein König horcht (die in unserer Oper zu The Tyrant wird) ist eigentlich als Projekt für ein theatralisches Musikwerk entstanden. Es war 1981, und zusammen mit Calvino war der Musiker Luciano Berio (1925-2003) daran beteiligt. Berio und Calvino hatten bereits in anderen Projekten, wie in der Oper Allez-hop von 1959 und La vera storia von 1982, eng zusammengearbeitet. „Lieber Luciano,“ beginnt einer der Briefe ihrer Korrespondenz, „Du sagst: Es wäre gut, verstehst Du, wenn alles plötzlich begänne, ohne Präludium, wenn sofort eine Stimme zum Gesang ansetzen würde, eine sehr starke Stimme, wie eine Explosion, das Orchester hört man danach, aber so, als würde es schon eine Weile spielen, verstehst Du...“. Im selben Brief zitiert Calvino ausdrücklich den Beitrag Ascolto aus der Enciclopedia Einaudi. Weiter hinten, und auch im nächsten Brief, beschreibt Calvino Berio bereits die Handlung seiner Erzählung. Zweieinhalb Jahre später, am 8. August 1984, wird Ein König horcht in Salzburg uraufgeführt. Im Programmheft steht: „Musik von Luciano Berio. Libretto von Italo Calvino“. Der Schriftsteller bleibt der Premiere aber fern. Einen Monat später schrieb er an einen Freund: „Berios Oper in Salzburg hat, glaube ich, von mir den Titel und sonst gar nichts“. Die beiden hatten die Zusammenarbeit abgebrochen und jeder war seinen Weg gegangen. Calvino schrieb daraufhin die Erzählung, die 1986 posthum veröffentlicht wird (er starb 1985). Berio nahm das anfängliche Projekt mit den schriftlichen Vorgaben aus Calvinos Briefen wieder auf, brachte die Geschichte aber in eine sehr viel ausgeprägtere und komplexere Form: man denke nur an die Vielzahl der Figuren auf der Bühne, insgesamt vierzehn. Weiter hinten lesen wir mehr über Berios Oper. Es ist immer interessant, die Interpretationsweise zweier Komponisten in Bezug auf denselben Stoff gegenüberzustellen.
Die Stimme der Sirene Die Phantasie eines Schriftstellers bevölkern unzählige Stimmen: gehört im alltäglichen Leben oder gelesen in Erzählungen vieler anderer Autoren. Jede dieser Stimmen liefert nicht nur einen Stoff, eine Geschichte, sondern auch eine Syntax, eine Form, einen Stil. All das fügt der Schriftsteller mit den Instrumenten seiner Begabung schließlich wieder neu zusammen. Hinter Goethes Iphigenie auf Tauris steht eine griechische Tragödie; Dante lässt sich von Vergil begleiten und in Shakespeares Der Kaufmann von Venedig, findet man Giovanni Fiorentinos Novellensammlung Pecorone wieder. Einer der beliebtesten Übungen der literarischen Geschichtsschreibung (wie auch jener der visuellen Künste oder der Musik) besteht gerade in der Ausforschung der „Vorgänger“. In Calvinos Ein König horcht finden wir nicht nur Barthes oder Freud. Wir finden darin auch Kafka, den der Autor im zuvor erwähnten Brief an Berio ausführlich zitiert. Und wir finden Die Odyssee. In der Frauenstimme, der der König lauscht und die ihn verzaubert, kehren die Sirenen wieder, die Odysseus betörten. Calvino erwähnt es in seinem zweiten Brief an Berio: Man müsste dieses Thema für den zweiten Akt wieder aufnehmen: jene Figur, die einem Gesang folgt, der für ihn wie der Gesang der Sirenen ist... […] Als erstes müsste man in den Versen Homers nachlesen, was die Sirenen wortwörtlich sagen. Lass mich kurz suchen. Odyssee, elftes Buch, Vers fünfundvierzig und folgende […] Wir könnten nur ein paar Worte nehmen: «Halte das Schiff an», «Honigklang», «wir wissen alles». […] Nur so scheint es, als wäre der Gesang der Sirenen eine ruhige Angelegenheit, was die Sirenen glauben machen wollen... Dagegen hatte Homer bereits vorher, Vers vierundvierzig und folgende, erklärt, wie sich die Dinge verhalten. […] Es hängt alles davon ab, von welchem Blickwinkel aus wir es betrachten; es könnte ja auch der Gesang der Sirenen sein, wie ihn sich Odysseus‘ Weggefährten mit zugestöpselten Ohren vorstellen. Oder der Gesang, wie Odysseus ihn versucht sich ins Gedächtnis zurück zu rufen, sobald die Gefahr vorbei ist und man ihn losbindet, und er das Lied nachzusingen probiert und erkennen muss, dass er es bereits vergessen hat, dass es verschwunden ist, wie die Erinnerung an einen Traum.
künftiger Gesang. Das ist die Idee, die Du ausarbeiten solltest. […] Um die Frau zu finden, die er im ersten Akt singen hörte, lädt der König Musiker, Sänger und Sängerinnen zu sich in den Palast ein, um die schönste Stimme zu prämieren. Auf diese Weise hofft er, sie wieder zu finden, er weiß aber nicht, dass eine Stimme, die vor dem König singt, nicht mehr dieselbe leidenschaftliche Stimme sein kann, die er gehört hatte. […] Danach sollte alles in einer Palastverschwörung und in einer Volksrevolution enden. […] Bleibt immer noch jener Text von Barthes, den wir als konzeptuellen Rahmen brauchen. Nimm zum Beispiel: «Die Natur, mit ihren Geräuschen, ist reich an Sinn: so zumindest hörten sie, laut Hegel, die alten Griechen. Die Eichen von Dodona teilten ihre Prophezeiungen mit dem Rascheln ihrer Blätter mit...». […] «Es war etwas Wunderbares in jenem königlichen, gewöhnlichen, geheimen, jenem einfachen und alltäglichen Gesang, das sich ganz unvermutet zu erkennen gab... Gesang des Abgrunds: der, einmal verstanden, in jedem Wort einen Abgrund aufriss und kraftvoll dazu einlud, darin zu verschwinden». (aus Verschiedenen Autoren, Berio, Turin, EDT)
[…] Er ist ein Zeitgenosse, alles muss sehr zeitgenössisch sein, Odysseus ist ein Mann von heute, der versucht, sich an den Gesang der Sirenen zu erinnern, auch wenn er sie natürlich nie gehört hat, es sei denn im Traum, auch wenn es diese Sirenen nie gab. Und doch ist es der Gesang der Sirenen, der ihn dazu auffordert weiterzugehen; was er in den Ohren hat, ist ein zu-
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JIM LEWIS – LIBRETTIST Lewis ist der Mit-Urheber, Texter und Wortkünstler des Musicals FELA!, das immer noch auf Welttournee ist. Für diese Produktion, die am Broadway ganze 16 Monate aufgeführt wurde, bekam Lewis in der Sparte „Bestes Musical-Libretto“ seine zweite Nominierung für einen Tony Award, gewonnen hat FELA! insgesamt deren drei. Es war das erste nicht englische Musical, das von NT Live Films aufgezeichnet und in 36 Ländern weltweit ausgestrahlt wurde. Zudem wurde es vor kurzem als erstes BroadwayMusical, das mit dem ursprünglichen Ensemble nach Afrika reiste, in Lagos (Nigeria) aufgeführt. 1988 wird sein Tango Apasionado, basierend auf Erzählungen von Borges, im Westbeth Theater Center vom Publikum und der Kritik sehr wohlwollend aufgenommen. 1989 schreibt Lewis Dangerous Games, das, nachdem es von La Jolla Playhouse produziert und auf dem Festival di Spoleto, dem American Music Theatre Festival und im Curran Theatre gezeigt worden war, sofort am Broadway landete. Seine Übersetzung von Ionescos Die Stühle und seine Überarbeitung von Ibsens Die Frau vom Meer wurden in zahlreichen nationalen Theatern aufgeführt. Neben dem Libretto zu The Tyrant, entwarf und schrieb Lewis auch das Libretto zu Nightclub des Ballet Hispanico. Darüber hinaus lieferte er die Texte zu Drawn to Death des ComicZeichners Art Spiegelmann und zur Operette Les enfants terribles von Philip Glass und Susan Marshall, die in Zürich uraufgeführt wurde und dann auf Welttournee ging. Er war des Öfteren Mitarbeiter von Bill T. Jones und verschiedenen anderen Choreografen, darunter Mikhail Baryshnikov (mit dem er PastFORWARD für das The White Oak Dance Project-Ensemble entwarf).
Der Tyrann
ein Topos in Literatur und Geschichte Jedes Kunstwerk kann uns etwas mitteilen. Jedes visuelle, literarische, musikalische… Kunstwerk, eröffnet uns eine besondere Sichtweise auf die Realität, zeigt uns die Realität, wie wir Zuschauer, Leser, Zuhörer sie uns noch nie vorgestellt haben, nicht auf diese Art und Weise. Deshalb nimmt die Kunst, nehmen die Künste auch einen wichtigen Platz in unseren Unterrichtsstunden ein: weil sie unsere kognitiven und affektiven Horizonte über den kleinen Kreis des Alltäglichen hinaus erweitern. Dresher und Lewis (und auf indirekte Weise Calvino) laden uns dazu ein, über leider immer aktuelle Themen nachzudenken: über die Themen Freiheit und Unterdrückung, Autorität und Autoritarismus, Ausübung von Macht, nicht nur politischer Macht.
Der Begriff Tyrannei durchzieht einen weiten Themenbogen. Die dominante Persönlichkeit in der Geschichte Griechenlands, Alleinherrscher verschiedener Epochen, das Familienoberhaupt in der ‘padre-padrone’ (Vater-Herr) Variante, der Tyrann, der Despot, der Egoarch, wie man in jüngster Zeit sagen hört, ist somit auch der Protagonist eines ununterbrochenen Erzählstrangs in der Literaturgeschichte, angefangen bei der griechischen Tragödie reicht er über Shakespeare, Alfieri, Schiller, Alfred Jarry, mit seinem ‘pataphysischen’4 Ubu Roi, Daniel Pennac mit dem Roman Le dictateur et la hamac (Der Diktator und die Hängematte) bis zu Orwell (und natürlich Calvino). Gleichzeitig kann eine andere Nachforschung die realen Tyrannen unserer Zeit, die immer noch über den Planeten verteilten Despoten jeglicher Couleur zum Thema haben. Die Literatur (Erzählungen, Romane, Gedichte, Theaterstücke) bietet uns unzählige Reflexionen über die Ursache, das Wesen, die sozialen und individuellen Auswirkungen despotischer Macht.
vertiefung Eine Reihe von Hinweisen in Bezug auf die Figur des Tyrannen findet man auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Tyrann Hier ein umfassender klassischer Text, reich an Reflexionen und Dokumenten zu diesem Thema: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft: Antisemitismus. Imperialismus, Totale Herrschaft, von Hannah Arendt (Piper, 1986). Das Original stammt aus dem Jahr 1951: The Origins of Totalitarianism, New York.
© Andre Constantini
PAUL DRESHER – KOMPONIST Paul Dresher ist ein international bekannter Komponist mit der besonderen Begabung, auf einzigartig kohärente Weise unterschiedliche musikalische Einflüsse in seinem persönlichen Stil vereinen zu können. Er bedient sich diverser musikalischer Ausdrucksformen, einschließlich der experimentellen Oper und des Musiktheaters, schreibt Kompositionen für Kammermusik und Orchester, absolviert elektro-akustische Live-Auftritte, erfindet Instrumente und entwirft Partituren für Theater, Tanz und Film. Geboren 1952 in Los Angeles, zeigte Dresher über viele Jahre ein reges Interesse an asiatischer und afrikanischer Musik, studierte ghanesische Perkussion, traditionelle indostanische und balinesische Musik, sowie die Musik der Java-Inseln. Dreh- und Angelpunkt von Dreshers Arbeit ist das Paul Dresher Ensemble. Gegründet 1984, gibt das Ensemble bei zahlreichen zeitgenössischen Komponisten neue Kammermusikwerke in Auftrag, produziert sie und geht mit ihnen auf Tournee; desgleichen mit Opern und Musiktheaterstücken; in New York arbeitet Dresher bei der Entwicklung und Aufführung von Werken zeitgenössischer Musik mit vielen Künstlern und Tanz- und Theaterorganisationen zusammen. Darüber hinaus organisiert er Programme für Schulen und Familien, wodurch es ihm gelingt, sein Repertoire einem differenzierten Publikum unterschiedlichen Alters näher zu bringen. 1993 gründet Dresher die The Electro-Acoustic Band, um den technologischen und expressiven Anforderungen verschiedener zeitgenössischer Komponisten nachkommen zu können. Bestehend aus sechs Musikern und einem Klang-Ingenieur, vereint die Gruppe traditionelle akustische Instrumente mit den letzten Neuheiten auf dem Gebiet der Technik elektronischer Live-Musik und fällt durch ihre Kunstfertigkeit in der Ausführung von Werken verschiedenster Musikgenres auf, von der Klassik zum Rock ‚n‘ Roll, vom Jazz zur Word Music. Im Mai 2006 kam dann in Cleveland die Kammeroper für eine Solostimme The Tyrant (nach einem Libretto von Jim Lewis und geschrieben für den Tenor John Duykers) zur Uraufführung. Sie wurde nach den fünf Vorstellungen in Cleveland noch in neun weiteren Städten der USA gezeigt. 2009 wurde Dreshers Schick Machine uraufgeführt; ein Musikstück, bestehend aus einer Sequenz von zur Gänze auf erfundenen Instrumenten erzeugten Klängen, das in Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller-Dirigenten Rinde Eckert, dem Perkussionisten Steven Schick und dem Klang- und Performance-Künstler Matt Heckert gestaltet und entworfen worden war.
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’Pataphysik (frz. ’Pataphysique) ist ein absurdistisches Philosophie- und Wissenschafts-Konzept, das eine oftmals parodistische Antwort auf Theoriebildungen und Methoden moderner Wissenschaft bietet. Als Wissenschaft von der Vorstellungskraft, der sich die Menschheit bereits seit Urzeiten bedient, erfindet sie unter umgekehrten Vorzeichen ein Paralleluniversum, das an die Stelle der bekannten Welt treten könnte. Als Begründer der Pataphysik, der „Wissenschaft der imaginären Lösungen“ gilt der französische Schriftsteller Alfred Jerry (1873-1907). Zu den Anhänger dieser Strömung zähl(t)en u.a.: Jacques Prevert, Eugène Ionesco, Michel Leiris, Georges Perec, Italo Calvino, Marcel Duchamp, Max Ernst, M. C. Escher, Joan Miró, Man Ray, die Marx-Brothers, Luis Bunuel, Louis Malle, Jean Baudrillard, Umberto Eco und Dario Fo.
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Eine Nachforschung zum Thema Tyranneien
Dreshers Oper bietet uns die Möglichkeit, gemeinsam über ein zentrales Thema unseres sozialen Lebens nachzudenken: das Thema der guten oder schlechten Regierung. Nach Ende der Konflikte, die ihre Geschichte bis vor wenigen Jahrzehnten noch mit Blut befleckten, werden die Länder der Europäischen Union - wenn auch mit unterschiedlicher Ausfärbung - demokratisch regiert: dabei werden die Regierenden vom Volk gewählt und ihre Macht ist von den vom Volk selbst vorgegebenen Grundgesetzen eingeschränkt. Eine Folge davon ist die Gewaltenteilung: Gesetzgebung (Legislative), Vollziehung (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative). Das genaue Gegenteil sind autokratische Regierungsformen, in denen sich die Macht des Regierenden jeder äußeren Beschränkung entzieht. In diesen Fällen spricht man heute von einem Tyrannen, Despoten oder Diktator. In gewisser Weise könnte die Geschichte unserer Länder als eine Entwicklung von autokratischen zu demokratischen Verhältnissen gesehen werden. Die Magna Charta Englands aus dem Jahr 1215 ist das erste berühmte Beispiel eines Dokuments, das die Macht des Monarchen einschränkt. Ebenso grundlegend für unsere Demokratien sind die amerikanische Verfassung aus dem Jahr 1787 und jene, 1791, aus der französischen Revolution hervorgegangene. Trotzdem, die Begriffe Tyrann oder Despot hatten nicht immer dieselbe Bedeutung. Suchen wir in unseren Geschichtsbüchern, Enzyklopädien, im Internet welche und wie viele Vermischungen dieser beiden gegensätzlichen Regierungsformen es gab und immer noch gibt. Denken wir nur an die Figur des Königs, Monarchen oder Kaisers. Die heute in Europa herrschenden Könige sind Figuren auf einem durch und durch demokratischen Schachbrett. In der Vergangenheit waren
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viele Könige hingegen richtige Despoten: welche und wie viele können wir in unseren Nachforschungen ausfindig machen? Wo siedeln wir Figuren wie Karl den Großen, Ludwig XIV. oder den einen oder anderen der römischen Kaiser an? Tragen wir sie in eine Skala ein, ausgehend vom am wenigsten autokratischen bis hin zum autokratischsten. Der Tyrann im antiken Griechenland und der Diktator in Rom waren vom Volk oder zumindest von einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Volksvertretern eingesetzte Figuren. Peisistratos war ein berühmter griechischer Tyrann und der römische Diktator Quintus Fabius Maximus wurde als Retter der Heimat begrüßt. Die Geschichte unserer Länder sah im 20. Jahrhundert grausame und blutrünstige Gewaltherrschaften kommen und gehen. Mussolini, Hitler, Stalin, Franco, Papadopulos sind die Namen der Despoten, die einem dabei als erstes in den Sinn kommen. Wenn wir unseren Blick dann über Europa hinaus richten, multiplizieren sich die Namen, angefangen bei Mao Tze Tung, Pol Pot und Kim II Sung in Asien, bis hin zu afrikanischen Diktatoren wie Amin Dada oder südamerikanischen wie Pinochet oder Castro. Noch radikaler autokratisch sind heute viele Regime im Mittleren Osten, wie jene die Saddam Hussein oder Gaddafi zum Herrscher hatten; gar nicht zu reden von den Anführern der Taliban. Wo würden wir den Tyrannenkönig Calvinos und Dreshers in dieser eindrucksvollen Familie von Despoten ansiedeln? Stellen wir ihn uns jetzt einmal in der Haut der oben erwähnten Diktatoren vor.
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Von der
Virtuosität des Zuhörens
Ein anderes von Calvino und Dresher aufgeworfenes wichtiges Thema, das im Zentrum ihrer Arbeit steht, betrifft genau das Hören: seine Funktion, seine Bedeutung und unsere Fähigkeit, es zu aktivieren. Bereits Barthes und Havas sprachen von akustischer Verschmutzung (siehe S. 5). Das Phänomen verdient eine nähere Betrachtung. Vor der Aufdringlichkeit des Lärms - Ohrlider besitzen wir ja bekanntlich keine - haben wir gelernt, uns auf die einzige mögliche Art und Weise zu schützen: wir verdrängen den Lärm aus unserem Bewusstseinsfeld. Wir nehmen seine Anwesenheit nicht wahr. Mit der akustischen Verschmutzung findet man sich ab. Die Psychologen haben auf körperliche Schäden hingewiesen (Nervenzellen werden unheilbar zerstört, wenn sie sehr großen Lautstärken ausgesetzt sind); Lärmneurosen entstehen. Aber auch ohne es soweit kommen zu lassen, tun wir uns schwer zuzuhören, wenn wir erst einmal an das Nicht-Zuhören gewöhnt sind. Dafür ist zum Teil die Beschleunigung verantwortlich, an die wir uns durch die Medien gewöhnen mussten: die Beschleunigung der Bilder und das gleichzeitige Anhäufen verschiedenster Klänge. Auch anderen zuzuhören wird zum Problem. Persönlich: „Sie hören mir nicht zu, wenn ich mit ihnen rede!“. Nie gehört, diesen Satz? Und sozial: Nie bei einer Fernsehtalkshow dabei gewesen? Eine fortschreitende Hör-Atrophie ist im Gang, eine Verkümmerung des Zuhörens, deren Ergebnis wir nicht voraussehen können. Auf die es aber vielleicht klug wäre zu reagieren. Der König in unserer Oper ist der Meister des gegenteiligen Verhaltens: er achtet auf alle Töne, die ihn erreichen, sei es aus dem Palast, sei es von draußen. Das Leben, das er gewählt hat, das Leben des Tyrannen, und die ständige Aufmerksamkeit, auf Grund der Gefahr entthront zu werden, zwingen ihn dazu. Trotzdem kann man ihn - im positiven Sinn - als einen Meister des Hören-Könnens betrachten. Ein Virtuose des Horchens, wie es Instrumentvirtuosen gibt. Einige Übungen, die es uns erlauben, unsere Hörfähigkeit zu trainieren: Eine einleitende Übung Machen wir alle Klanghinweise ausfindig, die Calvino im Verlauf seiner Geschichte aufgezählt hat. Bringen wir sie mit unseren Erlebnissen in Verbindung, mit unseren akustischen Erlebnissen. Welche kennen wir? Welche sind uns geläufig? Welche mögen wir und welche verabscheuen wir? Welche weisen uns auf besondere persönliche Erfahrungen hin…? Calvino lässt in seiner Erzählung die Quelle der Geräusche offen: kommen sie wirklich von der äußeren Welt oder nicht doch aus dem Inneren des Protagonisten, aus seinen Erinnerungen und seiner Einbildung?
„Jede Nacht“, lesen wir an einer zentralen Stelle der Erzählung „verbringst du damit, dem unterirdischen Tam-Tam zu lauschen und versuchst vergeblich seine Botschaften zu entziffern. Aber dir bleibt der Zweifel, ob es nicht doch nur ein Geräusch ist, das du in deinen Ohren hast, das Pochen deines aufgeregten Herzens oder die Erinnerung an einen Rhythmus, der in deinem Gedächtnis auftaucht und Ängste, Gewissensbisse weckt”. Bei einer in den fünfziger Jahren vom Kanadier Raymond Murray Schafer begonnenen Übung, wird eine Klangumgebung danach beschrieben, was sie Eigenes, Besonderes an sich hat. Das Schulgebäude ist die akustische Umgebung, die wir am besten kennen. Welche Adjektive, Nomen, Verben können wir verwenden, um es zu beschreiben? Wie würden wir dagegen den Weg beschreiben, der uns jeden Tag von Zuhause in die von uns besuchte Schuleinrichtung bringt? Wieviele „Klangportraits” können wir zeichnen: ein Schwimmbad, ein Fußballstadion, einen Tennisplatz, einen Zugbahnhof, den Hauptplatz unserer Stadt oder unseres Dorfs... In folgenden Büchern Murray Schafers finden wir eine Vielfalt von Übungen: Klang und Krach. Eine Kulturgeschichte des Hörens. Frankfurt am Main, Athenäum, 1988. Und auch: Die Ordnung der Klänge. Eine Kulturgeschichte des Hörens, Schott Music, 2010. Rekonstruieren wir eine Episode aus Calvinos Text oder aus der Verknappung, die Lewis daran vorgenommen hat, als Audioversion. Rekonstruieren wir sie, indem wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln die entsprechenden Klänge erzeugen. Jetzt fügen wir alles zu einer sinnvollen und „musikalisch“ strukturierten Sequenz zusammen und nehmen es auf: dabei dosieren wir leise und laut, langsam und schnell, helle Klangfarbe/dunkle Klangfarbe, hoher Ton/tiefer Ton… Eine einfache Anregung Calvinos, eine von vielen: „Das immer gleiche Rattern der Räder bei nächtlichen Zugreisen verwandelt sich im Halbschlaf in ein ständiges Wiederholen von Wörtern, in eine Art monotoner Gesang. […] jedes Wogen von Klängen werde in deinem Ohr zur Wehklage eines Gefangenen, verwandle sich in die Flüche deiner Opfer, in das drohende Keuchen der Feinde, die du nicht zu töten im Stande bist…“
der Dinge. Auch die Stimme ist einzigartig und unwiederholbar, aber vielleicht auf andere Art als die Person: Stimme und Person könnten sich unähnlich sein. Oder sich auf geheime Weise ähneln“.
wahrnehmbare Klangansätze. Wenn nichts anderes, so hören wir zumindest die Geräusche, die unser Körper erzeugt, angefangen beim Blutkreislauf. Welche verschiedenen Töne können wir in einer Minute der Stille erkennen?
Der deut sche Komponist Josef Anton Riedl hat ein Musikstück mit dem Titel Paper Musik aufgenommen. Papiermusik: das heißt, alle darin vorkommenden Klänge wurden mit Papiermaterialien erzeugt. Es ist ein Beispiel von bemerkenswerter Konzentration des Gehörs. Riedl hat durch die verschiedensten Arten auf Papier einzuwirken (es zu schütteln, zu zerknüllen, zerkratzen, darauf einzuschlagen, es anzublasen usw.) nicht nur eine Vielzahl von verschiedenen Klängen erzeugt, er verstand es auch, sie durch ein Wechselspiel aus Lautstärke, Tempo und Pause, in eine wirkungsvolle Sequenz zu bringen. Auf You Tube kann man sich längere Episoden aus Riedls Arbeiten anhören: www.youtube.com/watch?v=uM_iIcoZnvY Wir können es ihm gleichtun. Wir können bei unserem Experiment die Klänge aber auch aus Materialien anderer Konsistenz (Metall, Holz, Plastik, Leder usw.) erzeugen.
Alle bisherigen Übungen können visuell bereichert werden. Jeder Ton kann mit einem Zeichen dargestellt werden. Aus einer Abfolge von Zeichen entsteht eine Partitur. Lesbar und, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln, auch ausführbar. Zeichen können auf gewisse Art kodifiziert werden oder man überlässt sie dem persönlichen Erfindungsreichtum des Einzelnen. Ein elementarer Code ist zum Beispiel Töne, je länger sie dauern, mit längeren Zeichen zu versehen; je lauter sie sind, mit stärkeren Zeichen; und je höher sie klingen, umso weiter oben auf dem Blatt wird man sie ansiedeln. Verschiedene Farben kennzeichnen verschiedene Timbres. Auf dieselbe Art und Weise haben im Laufe des 20. Jahrhunderts zahlreiche Komponisten mit Notenschriften, die vom traditionellen Notensystem abweichen, experimentiert. Hier unten sind einige Beispiele angeführt. Versuchen wir sie zu spielen!
Der Amerik aner John C age huldigte der Stille mit einer „Komposition” mit dem einfachen Titel 4’ 33”. Etwas mehr als vier Minuten, in denen der Pianist schweigsam und reglos vor der Tastatur sitzt. Es ist Cages Art uns die „Musik“ schätzen zu lehren, von der wir täglich umgeben sind: die Klänge der Umwelt, die wir gar nicht mehr fähig sind wahrzunehmen. Hier eine Version des Stücks 4’ 33” fürs Orchester: www.youtube.com/watch?v=hUJagb7hL0E Die Stille ist eine faszinierende akustische Möglichkeit. Weil es die Stille paradoxerweise nicht gibt. Es gibt die Minimal-Töne: von einem aufmerksamen Ohr gerade noch
© Jason Moran | “Four visions”
Eine Stimme, eine Per sönlichkeit Die Episode mit dem Frauengesang lädt uns dazu ein, Stimmen näher zu erforschen: sei es von uns bekannten Personen, sei es von Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, aus Politik, Information, Unterhaltung. Was verrät uns ihre Stimme? Calvino schreibt: „eine Stimme ist nicht eine Person, sie ist etwas in der Luft schwebendes, getrennt von der Festigkeit
© John Cage | “Cartridge Music”
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Viele kleine horchende
Könige
Erzähler und Dichter bereichern ihre Geschichten mit einer Vielzahl visueller Hinweise. Die Umgebungen, die Gegenstände, die physischen Personen werden oft bis ins kleinste Detail beschrieben. Die Darstellung ist immer dem Geist der Geschichte verhaftet, äußerlich wie innerlich. Wenn auch weniger häufig, lassen sich in literarischen Texten durchaus auch akustische Hinweise finden. Und auch diese dienen nicht allein der Erzählung, sondern erzeugen ihrerseits Eindrücke, die mit der Geschichte, dem Ort, der Figur zusammenhängen. Suchen wir bei den Autoren solche akustischen Hinweise. Welche psychologischen Auswirkungen bringt jeder von ihnen mit sich? Hier finden wir einige Beispiele; fangen wir mit der von Calvino in seinem Brief an Berio erwähnten Seite Kafkas an: Die Wohnung Ich sitze in meinem Zimmer im Hauptquartier des Lärms der ganzen Wohnung. Alle Türen höre ich schlagen, durch ihren Lärm bleiben mir nur die Schritte der zwischen ihnen Laufenden erspart, noch das Zuklappen der Herdtüre in der Küche höre ich. Der Vater durchbricht die Türen meines Zimmers und zieht im nachschleppenden Schlafrock durch, aus dem Ofen im Nebenzimmer wird die Asche gekratzt, Valli fragt, durch das Vorzimmer wie durch eine Pariser Gasse ins Unbestimmte rufend, ob denn des Vaters Hut schon geputzt ist, ein Zischen, das mir befreundet sein will, erhebt das Geschrei einer antwortenden Stimme. Die Wohnungstüre wird aufgeklinkt und lärmt wie aus katarrhalischem Hals, öffnet sich dann weiterhin mit dem kurzen Singen einer Frauenstimme und schließt sich mit einem dumpfen männlichen Ruck, der sich am rücksichtslosesten anhört. Der Vater ist weg, jetzt beginnt der zartere, zerstreutere, hoffnungslosere Lärm, von den Stimmen der zwei Kanarienvögel angeführt. (Franz Kafka, Tagebücher 1909-1912, Fischer)
Das Industrieviertel Über dem Arbeiterviertel, in dichter und rauchiger Luft, erzitterte jeden Tag der schrille Pfiff der Fabrik. Ihrem präpotenten Ruf folgend, verließen vom Schlaf zu wenig ausgeruhte Männer finsteren Aussehens, gleich verängstigten Kakerlaken, eilig ihre grauen Hütten; im kalten Morgen, durch eine enge ausgetretene Erdgasse, bewegten sie sich, mit ihren kantigen Augen die schlammige Straße erleuchtend, gelb und dreckig, in langen Kolonnen aufgereiht, in Richtung des hohen Steingefängnisses, das in ruhiger Gleichgültigkeit auf sie wartete. Das Klatschen des Schlamms unter ihren Schritten schien sie zu verspotten und zu bemitleiden. Müde und verschlafene Äußerungen waren zu hören; zornige Flüche, vermischt mit dem düsteren Lärm der großen Maschinen und dem Pfeifen des Druckdampfs, durchpeitschten die Luft. (Maxim Gorki, Theater)
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Die Fabrik Es genügt einen Knopf zu drücken, und Hämmer beginnen mit präzisen Schlägen unter ohrenbetäubendem Lärm die Kurbelwellen anzutreiben. Riesige Pressen lassen große Blechplatten verschwinden und spucken danach verschiedenste fertige Karosserieteile aus. Fräsen verschlingen Stahl und Bleche. Es gibt Mühlen, die stanzen, schneiden und feilen. Der Dampf zischt, grüne Flammen erhellen jegliches Ding, alles ist in Bewegung, ein beißender Geruch von Gummi und Lack breitet sich überallhin aus; man hat das Gefühl, in einer Hexenhöhle zu sein.
La bufera lontana La bufera è lontana. Sull’aia, allegri, cantano i galletti. Ancora, sul selciato. I tetti grondan dell’acqua piovana. … Giocattoli degli angeli, leggeri s’alzano i cervi volanti; tintinnan per le vie, festanti, i sonagli dei carrettieri.
Der ferne Sturm (Deutsche Übersetzung) Der Sturm ist fern. Auf der Tenne, fröhlich, singen die Hähne. Auf den Pflastersteinen ebenso. Von den Dächern trieft das Regenwasser. ... Engelsspielzeuge, leicht erheben sich die fliegenden Hirsche; [die Drachen, Anm. d. R.] die Schellen der Fuhrleute, feiernd, klingeln die Straßen entlang.
(Corrado Govoni, Dopo il temporale)
Il carro Prima che l’alba sfarfalli dentro un suono di sonagliere l’ultimo carro a cavalli passa, al grido del carrettiere. Terribilmente giocondo è questo suon di sonagliere, squillante nel buio del mondo al grido, auuh! del carrettiere. L’ultimo carro a cavalli passa al grido del carrettiere, con strepitosi sonagli, avanti l’alba in strade nere.
Der Wagen (Deutsche Übersetzung) Bevor im Klang von Schellenbändern der Morgen sich erhebt, fährt beim Schrei des Fuhrmanns, der letzte Pferdewagen vorbei. Schrecklich heiter ist der Klang dieser Schellenbänder, klingend in der Finsternis der Welt, zum Auuh-Geschrei des Fuhrmanns. Beim Schrei des Fuhrmanns fährt mit lärmenden Schellen der letzte Pferdewagen vorbei, vor sich, in schwarzen Straßen, das Morgengrau.
(Carlo Betocchi, Poesie)
(Robert Dietrich, Schriften)
Der Sturm Die ungeheuere Qual der Einsamkeiten hat eine eigene Tonleiter. Ein schreckliches Crescendo: die leichte Brise, der Windstoß, der Sturm, das Getose, das Schneetreiben, das Gewitter, der Orkan: die sieben Saiten der Lyra des Windes, die sieben Noten des Abgrunds. Die Winde laufen, fliegen, stürzen sich herab, hören auf, fangen wieder an, pfeifen, heulen, lachen. Frenetisch, faszinierend und entfesselt wie sie sind, besitzen diese Schreier eine Harmonie. Bringen den Himmel zum Klingen. Blasen in Röhren wie in ein Instrument, führen sich den Raum an den Mund und singen ewiglich ihr Stimmengemisch aus Klarinetten, Hörnern, Kornetten, Sackpfeifen und Trompeten: eine Art prometheische Fanfare. Wer sie hört, hört den Gott Pan. (Victor Hugo, Die Arbeiter des Meeres)
Das Ohr (lat. auris) ist ein Sinnesorgan, mit dem Schall, also Ton oder Geräusch als akus tische Wahrnehmung aufgenommen wird .
das OHr 17
Die Musik von Paul Dresher Der Aufbau der Oper Calvino schrieb diese Erzählung als Monolog in der zweiten Person. Eine anonyme Gestalt richtet sich direkt an den König, erklärt ihm seine Lage und steht ihm in den Angelegenheiten und Ereignissen seiner Herrschaft bei. Dresher und Lewis haben die Monologform beibehalten. Auf der Bühne werden wir deshalb einen einzigen Sänger sehen und hören, einen Tenor. Begleitet werden seine Handlungen und sein Gesang von einem Instrumentenensemble bestehend aus sechs Musikern: ein Flötist (Flöte, Pikkoloflöte und Altflöte), ein Klarinettist (Klarinette und Bassklarinette); dann Geige, Cello, Klavier; zum Schluss ein Perkussionist, der auf einer breiten Palette von Instrumenten spielt: Marimba, Vibraphon, Glocken, Glöckchen, Pauke, Tamtam, einem Trommel-Set, einem Becken-Set, und anderen kleineren (Holzblock, Kuhglocke, Zimbelchen usw.).
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Musik: Paul Dresher libretto: jim Lewis
libretto the tyrant
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libretto
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the tyrant
Der Tyrann steht in der Mitte auf einer erhöhten Plattform, darunter, im Kreis, befinden sich die Musiker. Hinter ihm steht ein Thron. Er trägt ein elegantes Gewand (oder eine Galauniform). Rechts von ihm liegt eine kleine Kappe oder eine militärische Kopfbedeckung in der Art einer Krone. Eine kurze Ouvertüre eröffnet die Oper; anfangs sieht man den Tyrannen, einmal nachdenklich, dann wieder schreibend, beim Verfassen eines Diskurses und später, wie er die voll geschriebenen Blätter in Stücke reißt und wegwirft. Er macht eine Pause und starrt ins Leere.
c d l ibrett o e n g l i s c h
lib r e t t o deutsch
Der König. Es schweigen alle Instrumente bis auf die Flöte: sie zeichnet mit heiterer, unvorhersehbarer Gangart eine freie Arabeske. Wie es beschreiben? Einsamkeit der Instrumentalstimme, Einsamkeit des Königs?
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musik Ouvertüre. Wir fragen uns, welche Stimmung dadurch erzeugt werden soll… Erste Sektion: nur Zittern, Schauder… Zweite. Wiederholte Akkorde auf dem Vibraphon. Wie Glocken. Ein klangliches Erzählen setzt ein. Auf zwei Ebenen: auf einer Seite zwischen den Instrumenten Dialogfetzen; auf der anderen wiederholt das Klavier dauernd und in leichten Variationen ein Ostinato–Motiv. Es erreicht seinen Höhepunkt in einem Fortissimo aller Instrumente.
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MEMORIES
ERINNERUNGEN
(sung) It’s pointless to open Your palace’s window. Long gone is the hub –bub of the city, The Capital of the nation, Your Nation. Long gone is its flood of voices Long gone is its symphony of sound
(gesungen) Es hat keinen Sinn, das Fenster deines Palastes zu öffnen. Lang her ist der Tumult der Stadt, der Hauptstadt der Nation, deiner Nation. Lang her ist ihre Flut von Stimmen. Lang her ist ihre Symphonie aus Klängen.
(spoken) As a youth, You reveled in its dissonance – Its crash of unruly notes Its clash of contrary rhythms And incoherent clatter.
(gesprochen) In jungen Jahren hattest du eine Freude an ihrer Dissonanz – Am Krach seiner regellosen Noten Am Schall seiner eigensinnigen Rhythmen An seinem abgerissenen Klappern.
But since You took this throne – Twenty years ago, this very evening – You’ve learned such chaos can be disturbing. So in the name of a lasting peace You silenced all that extraneous noise, Tamed that cacophonous sea And banished disorder.
Aber seit du diesen Thron bestiegen hast – Vor zwanzig Jahren, genau an diesem Abend – Hast du gelernt, dass dieses Chaos störend wirken kann. Deshalb hast du im Namen eines dauerhaften Friedens All diesen fremden Lärm zum Verstummen gebracht, Dieses kakophone Meer gezähmt Und die Unordnung verbannt.
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Der König denkt an die Zeit, als er ein freier Bürger seiner Stadt war, mit ihrer Symphonie aus Stimmen. Jetzt ist er in seinem Palast eingesperrt. Wieder ist es die Flöte, die seine Einsamkeit besiegelt.
Vom Gesang wechselt die Stimme zur Rede. Das Orchester beschwört eine alte Welt herauf; chaotische Geräusche stehen hier als Zeichen einer unannehmbaren Unordnung. Die Instrumente übertönen sich beim Skizzieren dieser klanglichen Unordnung.
l i b r e t t o deutsch
(sung) In its stead You brought order When you orchestrated A more mannered litany One that celebrates twenty years of unchallenged authority.
(gesungen) An seine Stelle hast du Frieden gebracht, Hast eine geregeltere Litanei orchestriert, Um die zwanzig Jahre deiner unangefochtenen Herrschaft zu feiern.
Anthems to your might and power, Marches, and parades and processions And fanfares to trumpet your name. A chorus of children to sing Your praises All to glorify Your name.
Hymnen deiner Macht und Stärke, Märsche und Paraden und Prozessionen Und Fanfaren zum Verkünden deines Namens; Einen Kinderchor, der dir zum Lobpreis singt, Zu Ehren deines Namens.
(spoken) But, old Maestro, You who sat on this throne before, You who likewise bore this burden
(gesprochen) Aber, alter Meister, Du, der du vorher auf diesem Thron saßest, Der du gleich mir diese Bürde getragen hast,
(sung) Is there pleasure in this music? And if no pleasure Can it be called music at all?
(gesungen) Ist Freude in dieser Musik? Und wenn darin keine Freude ist, Kann man sie überhaupt Musik nennen?
m usik Das „unzusammenhängende Klirren“ von vorhin geht in eine strenge Ordnung über. Nicht ein elementarer Beat: auf dem Piano werden gleichmäßige Akkorde gespielt, viersilbige Verse; simultan. Auf der Marimba eine Gruppe aus zwei Triolen. Dieser Effekt von zwei gegen drei durchzieht die ganze Episode. Die anderen Instrumente zelebrieren, immer im selben doppelten Rhythmus, eine Apotheose. Die Glorifizierung des Namens des Königs wird von Dresher mit einem stolzen Marsch wiedergegeben. Die Erinnerung an seinen Vorgänger lockert nach und nach auch das Spiel der Instrumente auf.
Die Flöte, die die Szene mit einem Solo begonnen hat, beschließt sie jetzt wieder, unterstützt von der Klarinette.
So what’s the point in throwing open the window, Wozu also das Fenster aufreißen, When all you can hear is orchestrated from this Wenn alles, was du hören kannst, genau von diesem very hall? Saal aus geleitet wird?
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He sits in his throne/chair, takes the ceremonial staff and knocks three time on the floor.
Auf dem Stuhl/Thron sitzend – er nimmt den Zeremonienstab und klopft drei Mal auf den Boden.
ARIA OF THE BODY
KÖRPERARIE
(sung) The left hand holds the staff, A symbol of Your godlike power. And it must never, ever, It must never, ever, be set down.
(gesungen) Die linke Hand hält das Zepter, Ein Symbol deiner göttlichen Macht. Dieses niemals aus deiner Hand zu geben Sei dein oberstes Gebot.
(spoken) The right hand is free to scratch. Or crush the life of an enemy.
(gesprochen) Die rechte Hand ist frei zu kratzen. Oder das Leben eines Feindes zu zerstören.
(sung) The head must be held high, erect, nearly immobile. For this crown, this gilded crown, Can’t become unbalanced, Never, ever fall.
(gesungen) Das Haupt muss hoch erhoben sein, aufrecht, beinahe reglos. Damit die Krone, die goldene Krone, Nicht das Gleichgewicht verliert, Niemals herunterfällt.
Whether awake or in slumber The feet remain firmly planted, Anchored to the base, to the base of the throne, From which you must never rise.
Ob wach oder im Schlaf, Bleiben die Füße fest im Tritt, Am Sockel verankert, am Sockel des Throns, Von dem du dich nie erheben darfst.
For you are the Master, the King, Your subjects demand your constant resolve.
Weil du der Herr bist, der König, Fordern deine Untertanen von dir feste Entschlossenheit.
You have nothing to gain by moving, And everything to lose. Should you rise, should you leave your throne, Even… even for a moment,
Du hast nichts zu gewinnen, wenn du dich bewegst, Dafür alles zu verlieren. Solltest du dich erheben, deinen Thron verlassen, Auch nur… auch nur für einen Augenblick,
Die Erzählung Calvinos beginnt mit dem gesprochenen Wort. Darin wird der Zustand der Bewegungslosigkeit beschrieben, der musikalisch auf sehr unterschiedliche Art dargestellt werden könnte. Das von Dresher gewählte Mittel kann durchaus verwundern: martialischer Rhythmus, gespielt auf einer Militärtrommel, über den sich hart geschlagene Klavierakkorde legen. Die Bewegungslosigkeit des Königs nimmt Ewigkeitscharakter an, wie sich das für einen Alleinherrscher gehört. Die Atmosphäre wird bei diesem Bild abgeschwächt, um im nachfolgenden Gesang wieder dem Martialischen zu verfallen. Der lange Monolog in Calvinos Erzählung hinterließ einen Zweifel: redet eine zweite Person mit dem König oder redet der König zu sich selbst? In unserer Oper fällt dieser Zweifel weg. Nicht nur, weil es der König in Person ist, der auf der Bühne steht und erzählt. Ebenso drängt uns die Musik diese zweite Hypothese auf. Und dass es sich um den König handelt, der spricht, erkennt man auch am emotionalen Charakter, mit welchem die Musik die von den Wörtern beschriebenen Ereignisse umgibt. Je mehr der König nachdenkt, umso mehr lockert sich das mechanisch vorgetragene Motiv von vorhin und wird zu einem freien Wechselspiel zwischen Klavier und Perkussion. Es endet mit langsamen Klavierakkorden, die den König in seinem quälenden Zweifel allein lassen: Trifft hier jemand Vorbereitungen, um mich von meinem Thron zu stoßen?
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lib r e t t o deutsch
musik
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Imperial posterior, The focus of so much attention
königlichen Hintern, Im Zentrum von so viel Aufmerksamkeit,
(sung) It lacks a certain privacy, And things go slack. In a word: Sex is a Royal pain in the ass.
(gesungen) Fehlt eine gewisse Privatsphäre Und die Dinge erschlaffen. Mit einem Wort: geht Sex einem königlich auf den Sack.
(spoken) Although for appearances‘ sake – Well, You keep it up for appearances.
(gesprochen) Obschon du es – Tja, wohl um den Schein zu bewahren, auf dich nimmst.
Doch heute Nacht, am Vorabend des 20. Jahrestags deiner Revolution, Fragst du dich: Genügt es bereits, wenn sie nur gehorchen? Oder kannst du ihre Herzen zurückgewinnen?
(sung) But You can‘t complain – Food, wine, wealth, fame – Your every need is met!
(gesungen) Aber du kannst dich nicht beklagen – Essen, Wein, Gesundheit, Reichtum – All deine Bedürfnisse werden gestillt!
BORED WITH IT ALL (continues speaking over the clarinet solo)
VON ALLEM GELANGWEILT (über das Klarinettensolo hin gesprochen)
Everything you fought so dearly for, All Your heart‘s desires Are yours, are yours, are yours!
Alles, worum du so hart gekämpft hast, Alles, was dein Herz begehrt Ist deins, ist deins, ist deins!
And isn’t it ironic, that tonight of all nights, Thoughts should turn to you, old Maestro, Wondering what you might have done? Knowing full well, of course, There can be no answer.
Und ist es nicht ironisch, alter Meister, Dass dir von allen Nächten genau in dieser all das wieder in den Sinn kommt, Während du dich verwundert fragst, was du hättest tun sollen? Genau wissend, Dass es keine Antwort darauf geben kann.
Jetzt ist es das Klarinettensolo, das in einer langsamen Arabeske die Einsamkeit des Königs beschreibt, während seine Worte teilnahmslos bleiben, gleichgültig ausgesprochen nach Art der Rede.
(spoken) And no greater monument… no greater monument to your desire exists than this – (gestures)
(gesprochen) Es gibt kein größeres Denkmal… kein größeres Denkmal für deine Wünsche als das hier – (Gesten)
This – your palace… the palace of your dreams!
Das – deinen Palast… den Palast deiner Träume!
Listen! What a Heavenly Clockwork!
Horch! Was für ein göttliches Uhrwerk!
Die Stimme geht in warmen Gesang über, wenn sich der König die demütigenden Ereignisse vor Augen führt, denen er im täglichen Leben ausgesetzt ist.
(a musical prelude in which – as if a conductor – he gradually introduces one instrument after the next until the hall is bathed in the music of his Palace)
(spoken, again a moment of doubt) What guarantee do you have that when you return You won‘t find someone else Sitting here, perhaps someone resembling you, a Virtual double?
(gesprochen, in einem Moment des Zweifels) Welche Garantie hast du, dass du bei deiner Rückkehr nicht einen anderen hier sitzen siehst, Vielleicht einen, der dir ähnlich sieht, einen regelrechten Doppelgänger?
For the people obey only that person Who is sitting on this throne, Holding this staff, Wearing this crown.
Denn das Volk gehorcht nur der Person, Die auf diesem Thron sitzt, Dieses Zepter hält, Diese Krone trägt.
But tonight, on the eve of the 20th Anniversary of your revolution, You find yourself asking: Is it enough that they merely obey? Or can you win back their hearts?
(sung) So on the throne You sit, And sleep, And bathe, And shit – Your body‘s every need Yes all your heart’s desires Enabled by a multitude of servants Who hand, Who hold, Who fan, Who dry, and wipe your ass – Ad nauseum!
(gesungen) Deswegen sitzt du Auf dem Thron Und schläfst Und wäschst dich Und scheißt – Wonach es deinen Körper verlangt Ja alles, wonach dein Herz begehrt Ermöglicht von einer Vielzahl von Dienern Die überreichen, Die halten, Die fächeln, Die dich abtrocknen und dir den Arsch abwischen – bis zum Geht–nicht–mehr.
ALL YOUR HEART‘S DESIRES
Hier schweigt sogar die Musik. Der Zweifel lähmt die Gefühle.
HEAVENLY CLOCKWORK
GÖTTLICHES UHRWERK
ALLES WAS DEIN HERZ BEGEHRT
(sung) What a Heavenly Clockwork! On this throne you need no watch, No metronome, No pulse, No meter, To dictate the passage of day and night. For the palace itself is just such a clock,
(gesungen) Was für ein göttliches Uhrwerk! Auf diesem Thron brauchst du keine Uhr, Kein Metronom, Keinen Puls, Kein Messgerät, Um den Übergang vom Tag zur Nacht anzuordnen. Weil der Palast selbst wie eine Uhr ist,
(spoken, without music) There are distractions, of course.
(ohne Musik gesprochen) Natürlich, man wird auch unterhalten.
(spoken) Built exactly as you commanded
(gesprochen) Exakt so gebaut, wie von dir befohlen
(sung) The sex is quite good No complaints there. Plenty of women, all types.
(gesungen) Der Sex ist ziemlich gut Man kann sich nicht beklagen. Jede Menge Frauen, von jeder Sorte.
(spoken – rather quickly) Men, boys even, if that were your proclivity – Which it‘s not – Let‘s make that perfectly clear.
(schnell gesprochen) Männer, auch Knaben, wenn das deiner Neigung entspräche – Was es nicht tut – Lasst uns das deutlich sagen.
(sung) The things that you can do While seated on the throne Are many and surprisingly varied. But while you may draw the curtains around the throne And musicians play caressing melodies
(gesungen) Die Dinge, die du erledigen kannst, Auf dem Thron sitzend, Sind viele und überraschenderweise sehr unterschiedlich, Aber auch wenn du die Vorhänge um deinen Thron zuziehst Und Musiker Streichelmelodien spielen,
(spoken) Let‘s be honest: perched here on Your
(gesprochen) Seien wir ehrlich: thronend auf deinem
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Der Gedanke gilt jetzt auf schamlose Art den Freuden, die dem König gegönnt sind, den fleischlichen Freuden. Die Stimme geht von (gesprochenen) prosaischen Stellen, zu (gesungenen) lyrischen Höhenflügen über.
Einer neuen Situation entspricht ein völlig neuer Rhythmus. Jetzt ist es der typische Tangorhythmus, ein Rhythmus, der an den mondänen Charakter der Salons erinnert; vom Klavier vorgetragen, gesellen sich später kleine Cellostriche dazu.
m usik
Der Rhythmus schickt sich an ruhiger zu werden, während ein sichtlich gerührter König seinen triumphalen Aufstieg beschreibt.
Die höchste musikalische Spannung entspricht hier aber nicht dem herausragenden Moment seiner Rede. Der folgerichtig tänzerisch vorgetragene Diskurs von vorhin, weicht im Gegenteil einer Zersplitterung aus leichten Tönen und Staccati…
… die sich nach und nach verdichten. Das Bild des Palastes als Uhr, wo das Vergehen der Zeit von seinen eigenen Geräuschen charakterisiert ist, wird durch ausgedehntes regelmäßiges Punktieren von Staccato–Tönen in einem kontinuierlichen Crescendo dargestellt.
(short instrumental passage as he listens to the sounds) (sung) As you sit here fixed on your imperial post Unable, unwilling to move Your ears can now hear what eyes cannot see And the palace itself becomes the ear of your realm
(gesungen) Während du hier festsitzt auf deinem herrschaftlichen Platz, Außerstande, nicht gewillt dich zu bewegen, Können deine Ohren jetzt hören, was deine Augen nicht sehen, Und der Palast selbst verwandelt sich in das Ohr deines Reichs
Listen!
Horch!
(sung) As long as you govern the clockwork And each day‘s soothing cycle of sounds Then by this pattern, this clockwork You can rest reassured that all is all right That your kingdom remains all in order. For like the waters‘ rush to the sea,
(gesungen) Solange du das Uhrwerk bestimmst Und den beruhigenden Klangzyklus der Tage, Kannst du in diesem Gehäuse, diesem Uhrwerk Sicher sein, dass alles funktioniert, Dass in deinem ganzen Königreich Ordnung herrscht. Denn wie das Wasser ins Meer fließt,
Als wäre er ein Dirigent – liest man im Libretto –, stellt der König ein Instrument nach dem anderen vor, bis der Raum eingetaucht ist in die Musik seines Palastes.
Die Gleichmäßigkeit der Rhythmen ist die Stimme der Ordnung, die jetzt im Palast herrscht.
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musik
All noise here flows inwardly. Every window, stairway, skylight, and flue Each channels all sound to this chamber, this room.
Fließen hier alle Geräusche nach innen. Jedes Fenster, jede Treppe, Dachluke, und jeder Kamin, Jeder Kanal, alle Klänge enden in dieser Kammer, diesem Raum.
Das schnelle Punktieren hört auf. Wie das Wasser des Flusses, verbinden sich mehr und mehr auch die Instrumente – an erster Stelle das Klavier – zu einem anhaltenden Fließen.
Each supplicant’s shuffling feet, Each servant’s soft–spoken whisper, Every mistress‘ breathless gasp, Or the crack of the torturer’s whip.
Jedes Bittstellers schlurfender Fuß, Jedes Dienstboten leises Geflüster, Jeder Geliebten atemloses Keuchen, Oder das Knallen der Peitsche des Folterknechts.
Der Takt verändert sich. Es sind die vom Text hervorgerufenen Ereignisse, die die Stimme zu immer dramatischeren Modulationen antreiben.
The changing of the guard on the battlements outside The crunch of the gravel beneath heavy boots And the well –sealed doors’ measured clasp and unclasp – All these sounds and more Are funnelled here in this chamber, In this sonic reservoir Where you float ecstatic Bathing in a warm sea of sound And listen And listen And listen
Die Wachablöse auf den äußeren Zinnen Das Knirschen des Schotters unter schweren Stiefeln Und das gemäßigte Auf – und Zusperren fest verschlossener Türen – All diese Klänge und mehr Fließen in dieser Kammer zusammen, In diesem akustischen Reservoir, Wo du dich exstatisch treiben lässt, In einem warmen Meer aus Klängen badend Und horchst Und horchst Und horchst
(extended instrumental passage which starts like clockwork with the Tyrant listening with pleasure, but gradually something goes awry – and the drumming becomes chaotic, out of control, until the Tyrant stops it) (spoken) Silence!
(gesprochen) Ruhe!
(sung) So here you float unmoving Immersed in your palace‘s clockwork The sounds flow by, and by these sounds By these sounds is told a story: The story of Your majesty The story of your reign The story of Your authority!
(gesungen) Hier also treibst du reglos Eingetaucht in das Uhrwerk deines Palastes Die Klänge fließen vorbei, und sie erzählen, Sie erzählen eine Geschichte: Die Geschichte deiner Herrlichkeit Die Geschichte deines Reichs Die Geschichte deiner Autorität!
(spoken conspiratorially) But lately, old Maestro, beneath the reassuring sounds of the palace, there’s the rumbling of unrest. (Listens) Can’t you hear it?
(auf verschwörerische Weise gesprochen) Sie kurzem aber, alter Meister, gibt es unter den beruhigenden Klängen des Palastes, erste Anzeichen von Unruhen (horcht) Hörst du es nicht?
TREASON
VERRAT
At the beginning of this section, the Tyrant looks around rapidly, searching for the origin of each of the short musical events.
Der Tyrann blickt hastig um sich, er will jeder Geräuschquelle auf den Grund gehen.
(whispers) Is there no one left you can trust?
(geflüstert) Gibt es keinen mehr, dem du vertrauen kannst?
(sung) Trusting, trusting only what… Only, only what your own ears can hear, This can make you weary.
(gesungen) Vertrauen, vertraue nur dem… Nur dem, was du mit eigenen Ohren hören kannst, Das kann dich erschöpfen.
So you have spies everywhere. The best and highest paid eyes That money can buy – But to what end? They see nothing You have not already heard.
So hast du überall Spione. Die besten und teuersten Augen, Die man mit Geld kaufen kann – Wozu jedoch? Sie sehen nichts, was du nicht bereits gehört hättest.
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Zarte, frei von den Instrumenten improvisierte Klänge.
15 Der instrumentale Diskurs zersplittert erneut in Fragmente, die von den einzelnen Instrumenten ausgestoßen werden: es ist die Stimme des Zweifels und der Angst.
(spoken) Besides, rumour has it That Your spies are not your own But someone else‘s.
(gesprochen) Darüber hinaus gibt es Gerüchte, Dass die Spione nicht deine seien, Sondern die eines anderen.
(music stops)
(Die Musik stoppt.)
(spoken) And though publicly you deny it Word is: your grip is slipping.
(gesprochen) Und auch, wenn du es nach außen hin nicht zugibst, Fakt ist: deine Macht entgleitet dir.
(music resumes)
(Musik setzt wieder ein.)
Ridiculous! Ridiculous!
Lächerlich! Lächerlich!
(sung) Everything here follows Your lead, Follows your dictates to a „t“. The choreographed ritual of the palace Does not vary in the slightest way The heavenly clockwork of your kingdom Does not, does not vary in the least! Not vary in the least.
(gesungen) Alles hier folgt deiner Führung, Befolgt deine Befehle bis ins Kleinste. Die choreographierten Rituale des Palastes Variieren in keinster Weise, Das göttliche Uhrwerk deines Königreichs Verändert sich nicht, nicht im Geringsten! Nicht im Geringsten.
(Short clattering percussion interruption on bass drum and tam tam, Then the following spoken text is accompanied by quiet and improvised extended technique instrumental playing)
Interludium Der König schweigt, horcht. Die lange musikalische Passage beginnt wie ein Uhrwerk, dem der Tyrann entzückt lauscht und das nach und nach zum Zerrbild seiner selbst wird. Das Schlagzeug verfällt dem Chaos, gerät außer Kontrolle. Bis der Tyrann allem Einhalt gebietet.
Ab dem Decrescendo, welches das Interludium beschließt, ist es ein von Glocken aufgeheiterter Gesang, der den König dazu bringt, über die von ihm eingeführte Ordnung nachzudenken. Ebenso sinniert er – in einem leidenschaftlichen Crescendo – über das triumphale Besteigen des Throns.
l i b r e t t o deutsch
What disruption is this? Who could be knocking at this hour? Who dares disturb your concentration? Answer! No one there. Then what could be its source? A crack? A fissure? Or with so many enemies huddled just outside Something even more ominous? But with the window shut tight, There’s no other way into this chamber. That is unless – (instrumental improvisation ends)
Was soll die Unterbrechung? Wer klopft hier zu dieser Stunde an die Tür? Wer erlaubt sich, deine Konzentration zu stören? Antwortet! Niemand da. Woher kommt es dann? Aus einem Riss? Aus einer Ritze? Oder von den vielen Feinden, die sich draußen zusammendrängen, Von etwas noch Unheilvollerem? Aber bei fest verschlossenem Fenster, Gibt es keinen anderen Weg in diesen Raum. Es sei denn –
MAESTRO – IS THAT YOU?
MEISTER, BIST DU ES?
(spoken) Calm down! It’s nothing at all! Just a little indigestion. No threat at all – Merely a pigeon caught beneath the eaves, A leaky old pipe, Or settling wall. Or workmen… Pounding… Nails into a coffin, Whose coffin?
(gesprochen) Beruhige dich! Es ist nichts von allem! Nur eine kleine Magenverstimmung. Keine Gefahr – Lediglich Tauben unter der Dachrinne, Ein leckes altes Rohr, Eine knarrende Mauer. Oder ein Arbeiter… Der hämmert… Nägel in einen Sarg, In wessen Sarg?
Or, could it be…?
Oder könnte das…?
(sung) Maestro, is that you? Is it you, Who sat here on this throne before? Is it You, Who were the teacher? Whose first lesson was that each forebear should be killed As you killed the one before. But out of mercy,
(gesungen) Bist du es, Meister? Du, Der vor mir auf diesem Thron saß? Bist du es, Der Lehrer, Dessen erste Lektion war, dass jeder Vorgänger zu töten sei, Wie du den vor dir getötet hast? Aber aus Mitleid,
m usik „Das Gerücht“. Dresher verdeutlicht es durch das Wiederholen eines kurzen Stichworts, bestehend aus zwei sich abwechselnden Noten.
Die Ängste des Königs machen der Aufmunterung Platz. Die Instrumente beteiligen sich geschlossen daran, die wieder gefundene Sicherheit des Königs hervorzuheben.
Kurze Unterbrechung durch die Perkussion, mit großer Trommel und Tamtam. Die Instrumente folgen, laut Dreshers Anweisung, einer “ruhigen und artikulierten” Improvisation.
Der König horcht. Und das Orchester gibt die Klänge wieder, die er mit Worten beschreibt.
Das imaginäre Zusammentreffen des Königs mit seinem Opfer, mit dem von ihm entthronten König, wird von einem nüchternen und maßvollen Gesang begleitet. Das Klavier spielt von Anfang bis Ende den gleichen Akkord (Dis G Gis H). Darüber ein etwas lebhafterer, kaum wahrnehmbarer Rhythmus auf dem
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musik
Or perhaps a little weakness Your life was spared.
Oder wegen einer kleinen Schwäche, Wurde dein Leben verschont.
Maestro, do you know? Do you know whose coup it was that over –threw you? Do you know who stole all that was once yours? Have you returned now to reclaim it? Have you returned to haunt – to haunt this throne? Thinking you as good as dead Imprisoned in our deepest cellar. Speak! Is it you now, who answers back, from your dungeon cell?
Meister, weißt du es? Weißt du, wessen Putsch es war, der dich zu Fall gebracht hat? Weißt du, wer dir alles nahm, was dir gehörte? Kamst du, um es zurückzufordern? Bist du zurückgekehrt um mich zu jagen – mir diesen Thron abzujagen? Ich dachte, du wärst so gut wie tot, Gefangen in unserer tiefsten Zelle. Sprich! Bist du es jetzt, der mir aus seinem Kerkerloch antwortet?
hängenden Becken. Dem Cello hingegen vertraut Dresher einen reichen Kontrapunkt zum Gesang an: Stimmen eines Dialogs, den der verängstigte Tyrann mit sich selber führt.
Maestro, did you try? Did you try to find the answer to these questions? Did you try to fight the doubt that grows within? And if you could, would you take back – would you take back this burden And retake this throne?
Meister, hast du es versucht? Versuchtest du eine Antwort zu finden auf diese Fragen? Versuchtest du den Zweifel zu bekämpfen, der in dir wächst? Und wenn du könntest, würdest du diese Bürde – würdest du diese Bürde noch einmal auf dich nehmen Und diesen Thron zurückerobern?
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Or once freed, Did you realize you’d learned your lesson To let it be, to let it be And never yearn to return to this throne again.
Oder hast du, einmal befreit, Die Lektion verstanden, Es bleiben zu lassen, es bleiben zu lassen Und dich nie mehr danach zu sehnen, auf diesen Thron zurückzukehren.
So tonight when so much is at stake, This question still remains: Did you feel safe inside your skin? Did you find peace within? And were you able to sleep? For You taught that a Leader must never sleep He must be ever vigilant – And he never sleeps Never, ever sleep.
So bleibt in dieser Nacht, in der so viel auf dem Spiel steht, Eine Frage offen: Fühltest du dich sicher in deiner Haut? Fandest du darin deinen Frieden? Und konntest du schlafen? Da du lehrtest, dass ein Anführer nie schlafen darf, Immer wachsam sein muss – Und nie schläft, Nie und nimmer schläft.
(spoken) For too much work remains to be done.
(gesprochen) Zu viel Arbeit ist noch zu erledigen.
(He sits down and tries to write his speech. He makes several false starts before finally becoming distracted by a new sound.)
(Er setzt sich und versucht seine Rede zu schreiben. Er versucht es mehrere Male ohne Erfolg, bis er von einem neuen Klang abgelenkt wird.)
(spoken)
(gesprochen)
“Soldiers of the old Guard. For twenty years, we have tread this road to honour and glory…” (tears it up) No, too defeatist.
„Soldaten der alten Garde. Jahrelang sind wir diesen Weg des Ruhmes und der Ehre gegangen…” (zerreißt das Blatt) Nein, zu defätistisch5.
… Arpeggien der Marimba auf einer sich im Crescendo bewegenden Gruppe von tiefen Noten der Klarinette…
“Together we now enter the Mother of All Battles…” (he hesitates for a moment, then likewise tears it up) Melodramatic.
„Gemeinsam beginnen wir nun die Mutter aller Schlachten…” (zögert einen Augenblick, dann zerreißt er auch dieses Blatt) Melodramatisch.
… kämpferischer Rhythmus der Instrumente, einschließlich der Militärtrommel…
“Today, fellow citizens, our way of life, our very freedom, has come under attack…”(about to tear it up) Not believable!
„Heute, Mitbürger, wird unsere Zivilisation, wird unsere Freiheit bedroht…” (ist nahe dran, das Blatt zu zerreißen) Unglaubwürdig!
… der Rhythmus noch betonter, martialisch.
LULLABY
WIEGENLIED
(spoken) What sound is this? A vocalese? Innocent, pure A girl singing
(gesprochen) Was ist das für ein Klang? Eine Vocalese6? Unschuldig, rein, Ein singendes Mädchen 5 6
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desperat, hoffnungslos, verzagt, verzweifelt Vocalese ist ein Stil des Jazz-Gesangs, bei dem das Spiel von Instrumenten wie beispielsweise dem Saxophon vom Sänger nachgebildet wird.
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l i b r e t t o deutsch
Simply singing. (He listens.)
Einfach nur singend. (Er horcht.)
(sung) A love song so long unheard It bursts your heart It brings a tear. All your heart‘s desire And more, and more and more.
(gesungen) Ein Liebeslied, so lange ungehört, Zerbricht dein Herz, Entlockt dir eine Träne. Deines Herzens ganze Sehnsucht Und mehr und mehr und mehr.
(spoken) Innocent. Pure. Simple, divine A girl singing As if to a child. Yes, to a babe, locked in his mother‘s sweet embrace. Safe. Warm. Tender. Rocking her love to sleep – to sleep – to sleep.
(gesprochen) Unschuldig. Rein. Einfach, göttlich, Ein singendes Mädchen, Als sänge es für ein Kind. Ja, für ein Kind, umfangen von seiner Mutter süßer Umarmung. Sicher. Warm. Zärtlich. Die ihr Liebstes schaukelt bis es schläft – schläft –, schläft.
(The Tyrant drifts to sleep on the floor. There is an instrumental dream interlude. He awakens when the music stops.)
(Der Tyrann fällt schlafend zu Boden)
Der Gegengesang des Cellos ist bereits verstummt. Was bleibt sind gehaltene und verstärkte Klavierakkorde.
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Wir werden hier die Stimme der Frau nicht hören. Sie wird zuerst von der Alt –, später von der Sopranflöte übernommen, die – gelegentlich von der Klarinette abgelöst – den ruhigen
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Schritten des Klaviers folgend, eine langsame Melodie vortragen. Dadurch wollte Dresher den Pathos der Situation, die Sanftheit der Bilder und die Zärtlichkeit der Gefühle verdeutlichen.
Interludium Der König träumt. Das instrumentale Interludium Dreshers besteht aus zwei Teilen. Der erste beginnt mit einem suggestiven Gemisch aus verschiedenen Klangfarben: die Melodie wird auf dem mit dem Bogen gestrichenen Vibraphon gespielt; es folgen Flöte und Klarinette über dem Tremolo der Geige. Ein kurzer Gesang des Cellos beschließt diese zarte Episode.
Der zweite Teil ist lebhafter. Es scheint, als würden die Instrumente die Klänge wiedergeben, die er vor der Eroberung des Throns in der „realen“ Welt außerhalb des Palastes gehört hat und an die er sich jetzt erinnert.
Der Gesang ist hier monoton: Traum, Meditation, Abstand. Es sind die kleinen Doppelschläge der Flöte, die in dieser kurzen Passage die emotionale Stimmung erzeugen.
Jeder der drei Briefentwürfe wird von einem anderen instrumentalen Spiel skizziert:
m usik
AWAKENING
ERWACHEN
(spoken, without music) Not morning yet. Was it all a dream? (starts to get up) Have you forgotten what day it is?
(ohne Musik gesprochen) Der Morgen ist noch nicht angebrochen. War alles nur ein Traum? (will aufstehen) Hast du vergessen, was heute für ein Tag ist?
(stops short and sings) But what of the girl and her song?
(gesungen) Aber was ist mit dem Mädchen und seinem Lied?
(spoken) What can it mean?
(gesprochen) Was kann es bedeuten?
(sung) Sweet music from, from that world outside the window, Not just a memory But real pleasure finding its way Into this cell.
(gesungen) Süße Musik von, von der Welt da draußen vor dem Fenster, Nicht nur eine Erinnerung, Sondern wahre Freude findet ihren Weg In diese Zelle.
(sung) Oh, to be free to return to that world Throw open the window and seek her. To follow her sounds, her vibrant sounds, Through long forgotten chaos – The random music of life outside.
(gesungen) Oh, frei zu sein in jene Welt zurückzukehren. Reiß das Fenster auf und suche sie. Um ihren Klängen zu folgen, ihren vibrierenden Klängen, Durch ein lang vergessenes Chaos – Die willkürliche Musik des Lebens da draußen.
Wirre Gedanken, noch verfangen im Erwachen. Der Gesang gibt diesen Zustand wieder, dann wird er monoton; Zeichen eines Geistes, der an der Suche nach jenem verblassenden Bild festhält.
Die Glocken, das Tremolo der Geigen, das Glissando des Cellos, die kurzen Einsätze der Flöte und des Klaviers versinnbildlichen das unwiderstehliche Verlangen des Königs, wieder zur „richtigen“ Musik
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musik
The complete antithesis of this: your well –ordered palace. This: your prison of choice.
Das genaue Gegenteil deines gut geordneten Palastes. Deines selbst gewählten Kerkers.
zurückzukehren, zur Stimme des wahren Lebens, die in der aufgesetzten Ordnung der Palastmusik schon zu lange keinen Platz mehr findet.
But if you could be free to escape from this place, If you could be free to pursue her, Return to life again!
Aber wärst du frei diesem Ort zu entfliehen, Wärst du frei ihr zu folgen, Würdest du zurückkehren zu neuem Leben!
(spoken, frustrated) But it’s not possible! You can never leave here! Not tonight. Not ever. She must be found by other means.
(ohne Musik frustriert gesprochen) Nur ist das nicht möglich! Du kommst nicht weg von hier! Nicht heute Nacht. Nie. Sie muss auf anderen Wegen gefunden werden.
THE SINGING CONTEST
DER GESANGSWETTBEWERB
(sung) And you have spies for such things Order them to go – to go and seek her out. But how do you describe her?
(gesungen) Und du hast Spione für solcherlei Dinge Befiehl ihnen zu gehen – sie da draußen zu suchen. Aber wie willst du sie beschreiben?
(spoken) By her singing? Her voice defies description.
(gesprochen) Über ihren Gesang? Ihre Stimme entzieht sich jeder Beschreibung.
(sung) Only You know her sigh(s), Only You can recognize –
(gesungen) Nur du kennst ihre Seufzer, Nur du kannst sie wieder erkennen –
(spoken) Calm. Let’s contemplate.
(gesprochen) Ruhe. Überlegen wir.
(sung) Let every woman in the land Be brought before You, And forced to sing!
(gesungen) Man lasse jede Frau deines Reiches Zu dir bringen, Und zwinge sie zu singen!
(spoken) Preposterous! No one could force such an intimate song.
(gesprochen) Absurd! Niemand kann so ein intimes Lied erzwingen.
Calm. Let‘s contemplate.
Ruhe. Überlegen wir.
(sung) If not by force, then by free will A talent hunt across the land! A singing contest! A Star Search!
(gesungen) Wenn nicht gewaltsam, dann aus freiem Willen. Eine Jagd nach Talenten im ganzen Land! Ein Gesangswettbewerb! Die Suche nach einem Star!
Let all the women with lovely voices From throughout the land Present themselves before this court, Before Your Majesty.
Sollen alle Frauen mit lieblichen Stimmen, Von überall im Land, Bei diesem Hof, Vor Eurer Majestät erscheinen.
Die nachdenkliche Ruhe, die sich der König selbst verordnet, wird von weichen, regelmäßigen Akkorden des Vibraphons unterbrochen. Jetzt beginnt die Geige ein schmerzlich meditatives Zwischenspiel, in das sich die Tenorstimme im Dialog einbringt. Der König wird immer rührseliger. Sein Gesang begibt sich häufig in die hohen Lagen und lässt Verbitterung erahnen.
Better yet, before the entire, Before the entire citizenry! All gathered in this great hall: For this contest, For the entertainment of all!
Besser noch vor der gesamten, Vor der vereinten Bürgerschaft! Alle versammelt in diesem großen Saal: Zu diesem Wettbewerb, Zur Unterhaltung aller!
Der Ablauf wird bewegter. Diese Episode ist durchgehend ein Crescendo an Intensität und instrumentaler Verdichtung, die mit einem Fortissimo–Akkord endet.
Such a clever ploy! And more clever yet, This plan will soothe their spirits, It may calm the simmering unrest, It may win the hearts of the many, As well as winning hers.
Welch genialer Plan! Und noch genialer ist, Dass dieser Plan ihre Geister beschwichtigen wird, Die kochenden Unruhen besänftigen, Die Herzen der Massen gewinnen, Genau wie das ihre.
For at the moment she sings – She sings her unforgettable tune, You‘ll rise up from Your throne, To amaze the multitudes, And parting the awestruck crowd,
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Denn in dem Moment, wo sie singt – Ihre unvergessliche Melodie singt, Erhebst du dich von deinem Thron, Zum Erstaunen der Massen, Und die gerührte Menschenmenge teilend,
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Der König gibt sich einen Ruck, er beginnt die Suche zu planen: übermütiger Gesang: das Pizzicato der Streicher und Trommeln verkündet die entschlossene Entscheidung des Königs. Das Herz des Königs in einem Auf – und Ab. Zuerst befällt ihn der Zweifel, beschrieben durch wiederholtes bebendes Zwischenspiel der Flöte über dem regelmäßigen Pulsieren der anderen Instrumente…
l i b r e t t o deutsch
You reach out and take her in your arms And bid her sing in harmony with you!! Before all present, lord and peasant, To wed her voice to Yours For all Eternity.
Greifst du nach ihr, nimmst sie in deine Arme Und bringst ihren Gesang in Harmonie mit dem deinen!! Vor allen Anwesenden, Herren und Bauern, Vereinst du ihre Stimme mit deiner, Für alle Ewigkeit.
For it is only when your two voices flow as one Entwine, and harmonize, That’s when you will know that she is the one, The one who touched you deep down inside And the one who can hear you, Your one true voice The you that nobody hears.
Denn nur, wenn eure Stimmen fließen, als wären sie eine, Harmonisch verflochten, Wirst du wissen, dass sie diejenige ist, Die dein tiefstes Inneres berührte, Und die dich hören kann, Deine einzige wahre Stimme Die sonst keiner hört.
Die Stimmung verändert sich grundlegend. Der Ton ist schmerzlich und sentimental, gezeichnet gerade noch vom verlorenen Punktieren des Klaviers.
Your banished voice Long lost Long hidden Long rehearsed only in the affairs of State, And not the heart.
Deine verbannte Stimme, Lange verschollen, Lange verborgen, Lange nur bei Staatsgeschäften erprobt Und nicht mit dem Herzen.
Bassklarinette und Geige sind wie die innere Stimme der Unsicherheit und der Furcht.
Summon that voice now Your long lost voice And with her sing A Lovers’ intimate duet, A song unlike any ever heard before.
Ruf diese Stimme jetzt herbei, Deine lang verschollene Stimme, Und sing mit ihr Ein intimes Liebesduett, Ein Lied, wie kein anderes zuvor.
Now is the moment – Can you hear me? CAN YOU HEAR ME?!
Das ist der Augenblick – Kannst du mich hören? KANNST DU MICH HÖREN?!
(the sound of something crashing through a window, percussionist throws broken cymbols)
… dann zeigt er seine Entschlossenheit, stilisiert durch einen kurzen, von der Militärtrommel angeführten Marsch…
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m usik
Die Anstiftung eines Tyrannen zu einer so unerwarteten Tat löst, wie erwartet, ein emotionales Crescendo aus, gesteigert bis zum abschließenden Crash.
… der Klang von etwas, das gegen das Fenster prallt – lesen wir im Libretto – ein Perkussionist schüttelt zerbrochene Zimbeln.
THE REBELLION
DIE REBELLION
(spoken) What is that infernal racket? Have they broken open the window? Are they knocking down the palace walls? Or is that clamoring inside your head? (sung) Your desire was to be with her – (spoken) But was she real? Or an illusion? Or was it all a trap? And in your distraction, Your enemies have launched their revolution.
(gesprochen) Was ist das für ein Höllenkrach? Haben sie das Fenster eingeschlagen? Reißen sie die Palastmauern nieder? Oder ist dieser Lärm in deinem Kopf?
(sung) A dam has burst A deluge, A flood of cries and shouts – All calling for your execution. The wolves silently hunt their prey, And will not cease until they are sated.
(gesprochen) Ein Damm ist geborsten, Eine Sintflut, Ein Schwall von Schreien und Rufen – Die deine Hinrichtung fordern. Still jagen die Wölfe ihre Beute, Und sie werden nicht aufhören bis sie satt sind.
(The low rumbling builds to the point it shakes the entire stage.)
(Der Lärm wird so laut, dass die ganze Bühne erzittert.)
(declaimed loudly) Brace for the end! The earth beneath you crumbles! (When he fails to die, he realizes…)
(laut ausgerufen) Mach dich gefasst auf das Ende! Unter dir zerbröckelt die Erde! (Als er nicht ums Leben kommt, realisiert er…)
(gesungen) Dein Verlangen war, bei ihr zu sein – (gesprochen) Aber war sie real? Oder eine Illusion? Oder war es eine Falle? Und während du abgelenkt warst, Haben deine Feinde ihre Revolution begonnen.
Wieder setzt trostloser Gesang ein: bebende instrumentale Klanggerüste. Man erkennt das Bild der Revolution nicht nur am Tumult der Klänge, sondern auch am unerbittlichen Rhythmus, von dem sie getragen werden.
Bis hin zum katastrophalen Zusammenbruch am Ende.
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(sung) How foolish! In your distraction you forgot, The Palace grounds are riddled with old tunnels Crumbling in decay. A secret, all your own, well hidden Perfect to hide your escape!
(gesungen) Wie töricht! Du hast in der Aufregung vergessen, Dass die Fundamente des Palastes mit alten, zerbröckelnden Gängen durchlöchert sind. Ein Geheimnis ganz für dich, gut versteckt, Perfekt um deine Flucht zu verbergen.
(He throws away his staff, and removes his crown and robe.)
(Er wirft das Zepter von sich, nimmt die Krone ab und entledigt sich des Gewandes.)
There, without this throne, Without this staff, crown and robe, No one will recognize you And in this disguise escape the howling mob Underground.
Ohne diesen Thron, Ohne Zepter, Krone und Mantel, Wird dich dort niemand erkennen, Und in dieser Verkleidung entkommst du dem brüllenden Mob unter der Erde.
ESCAPE
DIE FLUCHT
Down, down, down, down, Down these ancient stairways There lies the Palace dungeon, A secret maze of passages – Where no one can follow.
Hinunter, hinunter, hinunter, hinunter, Über diese alten Treppen hinunter, Dort liegt der Kerker des Palasts, Ein geheimes Labyrinth von Gängen – Wohin mir niemand folgen kann.
Down, down, down, down, down No one knows how long. Down, down, down, down, No one knows how far.
Hinunter, hinunter, hinunter, hinunter, Niemand weiß wie lang. Hinunter, hinunter, hinunter, hinunter, Niemand weiß wie weit.
The mob above – it burns too hot The Palace walls crackle and crumble. But here below the stones are cool to the touch And thick enough, thick enough, thick enough…
Die Menge da oben – sie kocht vor Wut, Das Palastgemäuer knistert und zerbröckelt. Aber hier unten fühlen sich die Steine kühl an, und dick genug, dick genug, dick genug…
(spoken) No time to linger.
(gesprochen) Keine Zeit zu verweilen.
(sung) Down, down, down, down Away from chaos Down, down, down, down To deepest silence.
(gesungen) Hinunter, hinunter, hinunter, hinunter, Fort vom Chaos. Hinunter, hinunter, hinunter, hinunter, In die tiefste Stille.
The only echo A low muffled patter – The cushioned fall of feet On moss slimed stairs.
Das einzige Echo, Ein gedämpftes Trampeln – Das gepolsterte Fallen von Füßen Auf moosbedeckte Stufen.
(spoken) And the slow trickle of water.
(gesprochen) Und das langsame Tröpfeln von Wasser.
(sung) Down, down, down, down Like dripping water Down, down, down, down So falls a Tyrant A broken man!
(gesungen) Hinunter, hinunter, hinunter, hinunter, Wie tropfendes Wasser. Hinunter, hinunter, hinunter, hinunter, So fällt ein Tyrann, Ein gebrochener Mann!
Now shut the gate Bar all those who might come after. The cold, hard steel – seal this world… Seal this world from that above.
Schließ jetzt das Tor. Schieb all jenen, die nachkommen könnten, den Riegel vor. Der kalte, harte Stahl – versiegelt diese Welt… Trennt sie von jener da oben.
Now, now, now, now I am free to rest –
Jetzt, jetzt, jetzt, jetzt Bin ich frei mich auszuruhen –
Down, down, down, down, down Where none can follow.
Hinunter, hinunter, hinunter, hinunter, Wohin keiner mir folgen kann.
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Der Tumult aus der vorherigen Szene setzt sich in dieser fort; schwächer wird er nur, wenn der König lauscht: hohe, akrobatische Klavierklänge, gefolgt von Schlägen auf die große Trommel.
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Der Thematik der Geschichte gehorchend, verwendet Dresher oft onomatopoetische Effekte: eine Abfolge von gedachten Ereignissen, verdeutlicht durch die Klänge, die sie charakterisieren. Das Wasser, das hier tropft, wird von gleichmäßig gespielten Klaviernoten symbolisiert. Das Pulsieren der Emotionen wird jetzt hektisch. Nur an der Schnittstelle der zwei Welten bleibt die Stimme einen Augenblick lang allein, bevor das Klavier und die Marimba ihr sanftes Spiel wieder aufnehmen.
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(spoken) Safe, at last, in these ancient caves – (He hears something.) Listen!
(gesprochen) Endlich sicher, in diesen alten Höhlen – (Er hört etwas.) Horch!
Is that the echo of your voice? Or someone else?
Ist dies das Echo deiner Stimme? Oder etwas anderes?
(more sounds) Listen! There, again. Somehow so familiar
(mehr Klänge) Horch! Da, schon wieder. Irgendwie so bekannt.
(sung) Maestro? Is that you? Are we both now imprisoned in these buried halls?
(gesungen) Meister? Bist du es? Sind wir jetzt beide gefangen in diesen vergrabenen Hallen?
(He listens as if he hears someone speaking to him. Then laughs uneasily.)
(Er lauscht, ob jemand zu ihm spricht. Dann lacht er verlegen.)
Not down here, you say, But enthroned up above. (spoken) Then who was the prisoner trapped here, below? Well, yes, a bit like a prisoner, that’s true. (sung) But weren’t we equals, With a dialogue of sorts?
Nicht hier unten, sagst du, Sondern oben auf den Thron gesetzt? (gesprochen) Wer war also der hier unten eingesperrte Gefangene? Gut, ja, ein wenig wie ein Gefangener, das ist wahr. (gesungen) Aber waren wir nicht gleich, Uns ähnlich im Gespräch?
(laughs) (spoken) Your sense of irony is quite refreshing. (sung) It’s been so long since anyone dared reply. And in a voice that reminds me of my own, A royal tenor, Majestic, Imposing, A voice that terrifies.
(lacht) (gesprochen) Dein Sinn für Ironie ist ziemlich erfrischend. (gesungen) Es ist lange her, dass es jemand gewagt hätte, mir zu antworten. Und in einer Stimme, die mich an meine eigene erinnert, Einem königlichen Tenor, Majestätisch, Imposant, Eine Stimme, die Furcht einflößt.
ONCE THERE WAS A VOICE
ES WAR EINMAL EINE STIMME
(sung) But once there was a voice A sweet voice One that penetrated – Two voices drawn to each other, Destined to be wed, Joined for all time in a heavenly duet.
(gesungen) Aber es war einmal eine Stimme, Eine süße Stimme, Eine eindringliche – Zwei voneinander angezogene Stimmen, Bestimmt sich zu vereinen, Für alle Zeiten verbunden in einem himmlischen Duett.
What’s that, you say…? It never happened? We never sang…? She never sang…? Never existed…? (sung) Nothing but “Brandy for the Damned”, A song of distraction.
Was das bedeutet, fragst du…? Ist das nie geschehen? Haben wir nie gesungen…? Hat sie nie gesungen…? Nie existiert…? (gesungen) Nichts als „Brandy for the Damned“, Ein Lied zur Unterhaltung.
(spoken) And you, Maestro? (beat) Maestro…? Have you too gone silent? You too never existed…? Were you all a delusion?
(gesprochen) Und du, Meister? Meister…? Bist auch du verstummt? Hat es dich auch nie gegeben…? Ward ihr alle eine Täuschung?
m usik Hier verlangt Dresher von der Flöte und der Klarinette zufällige Töne: kaum wahrnehmbares Pfeifen. Es handelt sich nicht mehr um Onomatopoesie. Es ist das realistische Einfügen der Geräusche, denen der König lauscht und die während der ganzen Szene zu hören sind.
Wir sind auf dem Höhepunkt der Geschichte. Der Tyrann glaubt, seinem Vorgänger zu begegnen. In seinem Gesang ist keine Spur von Zorn oder Gewalt. Nur eine leidvolle Trostlosigkeit, getragen von den wiederholten Einsätzen des Klaviers und des Xylophons.
Das Pfeifen verstummt. Die Instrumente behalten die trostlose Stimmung auch hier bei, zeigen den Tyrannen, wie er sich mit kräftiger Stimme die schrecklichen Momente seiner Machtübernahme ins Gedächtnis ruft.
Die ausdrucksstarke Atmosphäre verändert sich auch dann nicht, wenn der Tyrann an die Frauenstimme denkt, von der er einstmals verzaubert wurde. Die gesamte Erinnerung ist eingehüllt in den Nebel der (imaginären) Begegnung der beiden Tyrannen.
Singend oder sprechend – nach und nach verliert der Tyrann seine Kräfte. Sein Geist ist verwirrt. Die Klänge der Instrumente werden spärlicher, schwächer.
Während des Traums setzt der pulsierende Rhythmus des Klaviers wieder ein: Schritte, die sich auf die vergebliche Suche nach einem Ausweg machen…
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c d l i brett o e n g l i s c h
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lib r e t t o deutsch
(sung) Nothing but voices rattling In a shaken mind –
(gesungen) Nichts als Stimmen, die in einem verwirrten Kopf rattern –
(sung) You dream your palace indestructible. You dream of the chaos held at bay. You dream silence a haven But there’s no escaping. There’s no escape… There’s no escape…
(gesungen) Du träumst, dein Palast sei unzerstörbar. Du träumst, du kannst dir das Chaos vom Leib halten. Du träumst von einem stillen Zufluchtsort. Aber es gibt kein Entkommen. Es gibt keinen Ausweg… Es gibt keinen Ausweg… Interludium Das Klavier wiederholt langsame, immer lauter werdende Akkorde. Das ganze Interludium ist ein heftiges und zwingendes Crescendo, bei dem alle Instrumente mitwirken. Der Abschluss ist ruhig und trostlos.
(Instrumental passage, a pounding shrieking crescendo beating him down, followed by quiet & calm)
(sung) It’s pointless to open the window! Just as pointless to shut out the maddening din. The chaos dwells within us. A passage to freedom or prison, It’s yours to choose. One note Unbound One voice Once found Swells into millions Endlessly echoing Like waves into water – An unstoppable torrent A tsunami of sound That swells, and swells, and swells, and swells…
(gesungen) Es ist sinnlos das Fenster zu öffnen! So sinnlos wie das Aussperren des verrückt machenden Lärms. Das Chaos weilt zwischen uns. Ein Durchgang in die Freiheit oder ins Gefängnis, Du kannst entscheiden. Eine Note Ungebunden Eine Stimme Einmal gefunden Schwillt an in Millionen Von endlosen Echos Wie Wellen im Wasser – Ein nicht aufzuhaltender Sturzbach Ein Tsunami an Klängen Der anschwillt und anschwillt und anschwillt…
(Total silence.)
(völlige Stille)
(spoken) What a divine clamour! Listen!
(gesprochen) Welch göttlicher Lärm! Horch!
THE LIGHT SLOWLY FADES TO BLACKOUT.
DAS LICHT VERSCHWINDET LANGSAM, BIS ZUR VÖLLIGEN DUNKELHEIT.
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musik
Das sanfte und gleichmäßige Schaukeln des Klaviers wird nach und nach vom Kontrapunkt der Geige, des Cellos, der Flöte, der Bassklarinette und schließlich vom Spiel der Glocken unterstützt: ein beruhigender Sound für die letzte leidenschaftliche Ermahnung des Königs an sich selbst. Das Horchen, das die Oper beschließt, ist eine Einladung an uns alle: die Einladung, auf die unendliche und unkontrollierbare Vielfalt der äußeren Welt einzugehen, sich diesem Tsunami aus Klängen hinzugeben, der uns, wenn wir ihn annehmen, in die Freiheit entlässt, und der uns andererseits, wenn wir ihn ablehnen, zu seinen Gefangenen macht. Aber das Ende der Oper legt uns auch nahe, nach anderen Interpretationsmöglichkeiten zu suchen.
Die Aufgabe des Gesangs Im Gegensatz zum Kino oder zum Sprechtheater macht die Musik in der Oper nicht bei den Instrumenten halt, sie setzt Worte ein, wird Gesang. „Was ist die Aufgabe des Gesangs gegenüber dem gesprochenen Wort?” Das tägliche Hören von Liedern gibt uns darauf eine elementare Antwort: beim Gesang umgibt die Musik die Worte mit einer besonderen Atmosphäre, sie macht sie emotional reicher: deshalb bewegt ein Lied auch unsere eigensten Gefühle. Was für den kleinen Kreis eines Liedes gilt, gilt für das monumentale Gebäude eines Opernwerks umso mehr. Der Gesang ist eine Art „zweidimensionale Sprache“, die Synthese zweier unterschiedlicher semiotischer Systeme, jedes einzelne mit seinen Möglichkeiten und seinen Grenzen. Wort und Musik leisten jeweils ihren eigenen Beitrag zur Botschaft. Die Komposition erklärt einige Dinge mit Worten, andere wiederum mit der sie ausfüllenden Musik. Die Musik hat die Fähigkeit die tiefe Bedeutung der Botschaft zu verstärken, sie sichtbar zu machen. Mit Worten kann man seine Absichten verschleiern; mit Musik nicht: durch die Musik des Gesangs öffnet der Vortragende dem Zuhörer seine Seele. Hören wir gesungene Musik, sollten wir uns folgende grundsätzliche Frage stellen: „welche Bedeutung erhalten die Worte durch die Tatsache, so gesungen zu werden?“ Man kann einen Satz auf unzählige Weisen singen. Und je nach Art des Gesangs, ändert sich die Bedeutung der Aussage. Jedes Wort eines Librettos will von uns nicht von einem lexikalischen Standpunkt aus verstanden werden, sondern danach, wie es im Notensystem angegeben erscheint. Ändert sich die Musik, ändert sich der Sinn des Textes. Die Erforschung der Inhalte erfolgt und rechtfertigt sich über die, wenn auch elementare, Analyse der vom Komponisten verwendeten Mittel. Die wiederum dieselben sind, wie in der Instrumentalmusik: Melodie, Rhythmus, Klangfarbe, Begleitung, Lautstärke, Gesamtform... Auf welche Art auch immer man jedes dieser Elemente verändert, es verändert den Sinn der Worte, die Szene. Dresher legt viel Wert auf die Prosodie, das heißt auf der dem Sprechen innewohnenden Musik, angefangen bei der Intonation. Ist das Gemüt verzagt, steigt die Stimme hoch zu den Sternen. Ob man nun spricht oder ob der Komponist die Gesangslinie für seine Figuren zeichnet. Die Momente, in denen unser Tyrann verzagt oder verängstigt oder überheblich ist sind viele: dabei dringt der Tenor jeweils bis zu den höchsten
Noten seines Registers vor, das A oder das h-Moll oberhalb der Notenlinien. Im Gegensatz dazu finden wir Augenblicke, in denen der Protagonist seine Gefühle aussetzt und mit dem Gesang auf einer Note ausharrt. Der Gesang wird monoton. Nehmen wir die Szene der (sich vorgestellten) Begegnung des Tyrannen mit seinem Vorgänger: „Du hast uns gelehrt, dass ein Anführer nie schlafen darf “. Wir können das auf tausenderlei Weise singen: übermütig, verängstigt, irritiert… Und in jedem dieser Fälle muss bedacht werden, dass der Komponist die Stimme dem Gefühl folgend entweder hinauf- oder herabbewegt. Dresher dagegen nagelt den Gesang an einem Ton fest. Dadurch gibt uns der Tyrann zu verstehen, dass er in seiner Überwachungshaltung ausharrt: “For you taught that a leader must never sleep, he must be ever vigilant, and he never sleeps, never never sleep” (Track 15). In der Szene des Erwachens hören wir den monotonen Gesang erneut (Track 20: “Not just a memory, but real pleasure finding its way into this cell”). Natürlich wirken beim Ausdruck des gesungenen Worts alle anderen Instrumente aus der Werkstatt des Komponisten auch mit. Allen voran der Rhythmus. Läuft die Stimme im Verlauf der Oper schnell oder bewegt sich ruckartig vorwärts, zeigt sie uns einen aufgewühlten, erregten König. In Gedanken versunken, besinnlich, traurig… zeigt sie ihn uns dagegen, wenn der Gesang langsam, mit lange ausgehaltenen Noten voranschreitet. Bestimmt wird die Bedeutung zudem durch die Dynamik, die Intensität, mit der die Noten gesungen werden. Die Stufe, auf die uns der Protagonist in seinen Gedanken führt, ist oftmals hoch, sogar sehr hoch, bis hin zum Schrei. In den ruhigsten und friedlichsten Augenblicken seines Tages, hören wir ihn dann aber doch in zartere Klangwelten eintauchen.
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zwischen
singen und sprechen In seiner Oper wechselt Paul Dresher zwischen gesungenen Passagen (sie stellen die Mehrheit) und Passagen, die nur gesprochen werden, ab. Lesen wir nach, wie der amerikanische Komponist diesen Wechsel zwischen Gesungenem und Gesprochenem erläutert.
Von: Paul Dresher Betreff: THE TYRANT // Opera@4u Datum: 19.Oktober 2011 19:35:25 GMT+02:00 An: Education ntbz <education@ntbz.net>
The most important for me is the overall dramatic flow of the work. Sometimes the ear is grateful for a break from singing (and sometimes even from densely composed music). The speaking gives our senses a little breath between larger sung and deeply musical arcs. The change from singing to speaking also makes clear (if one wants to) dramatic structural points in the drama. Also important to me is blurring the boundary between singing and speaking. I find that to be a powerful tool dramatically, akin to great oratory. So some parts are declaimed/spoken in a close rhythmic relationship to the score. But the absence of absolute precision gives the performer the ability to inflect the language in a more natural way - more like natural speech because they are not constrained by a grid of precise pitches and rhythmic intervals. This approach is used in several areas of the work. Another criteria, though it comes into play very infrequently in this work (since librettist Jim Lewis has a lot of experience in this and also was very open to working collaboratively with me) is that some words or phrases in some contexts seem almost absurd when sung (at least in English). These might be simple vernacular words, profanity, something like the desperate cry for help of a drowning person, or a highly technological or scientific term - such vocabulary risks sounding very contrived when sung and yet can be very natural when spoken, even in a complex musical environment. There is also the issue of intelligibility. At least in English, sung language is significantly more difficult for an audience to understand. When one wants to be certain that an audience can follow a particular passage of text, I will at least consider having it declaimed/spoken, rather than sung. Of course, one has to be very careful about this, since important language happens at key dramatic moments and those are typically the moments one wants to have powerful music and singing. Best Regards, Paul Dresher
König Wie bereits erwähnt, war es Luciano Berio5, der sich, noch vor Dresher, für die Geschichte Calvinos interessierte, um daraus eine eigene Oper zu machen. Das Libretto dieser Oper findet man auf folgender Webseite: www.dicoseunpo.it/dicoseunpo/B_files/Re_in_ascolto.pdf Die CD der Oper Ein König horcht erschien unter dem Musiklabel Collegno. Es spielen die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Lorin Maazel. Auf You Tube kann man sich die Arie des Mezzosoprans: „Oh notte grave immensa chiara“ anhören: www.youtube.com/watch?v=X6Ytw0sCTpQ Das Hören dieser Oper, auch nur einer Episode daraus, kann uns für zweierlei dienlich sein. Als erstes zur Gegenüberstellung der von Dresher und Berio verwendeten musikalischen Sprachen. Während der musikalische Diskurs Dreshers über gut erkennbaren Bögen voranschreitet, indem er die zeitgenössische Musiksprache den Formen des klassischen Musiktheaters anpasst, experimentiert Berio dauernd mit noch nie gehörten klanglichen Mischungen, wohl auch dank des großen Orchesters, das ihm zur Verfügung stand, und erschafft so oftmals raue, dramatische, „unrealistische“ Atmosphären. Ein anderer grundlegender Unterschied zwischen den Autoren betrifft den Gebrauch der Stimme. Dresher bleibt mehr oder weniger der Tradition treu, in der die Melodie als „Magd der Musik“ verstanden wird, die je nach seelischem Empfinden dem Auf und Ab der gesprochenen Worte folgt, Berio dagegen verwendet die Stimme eher wie ein Instrument, das sich, mit den anderen Instrumenten gemeinsam, an der Kreation des ausdrucksstarken Klimas beteiligt. Das geht bis zum Spiel mit Konsonanten und Vokalen: wo der Sinn nicht mehr durch das verbale Paradigma gegeben ist, sondern durch die musikalische Textur. Der zweite Grund, der für einen Vergleich von zwei so verschiedenen Opern spricht, liegt in der Möglichkeit, Einblick in die vielen verschiedenen Arten der Interpretation zu erlangen. Von Berio bekommen wir eine ganz andere geboten als von Dresher.
Eine Geschichte neu zu entwerfen ist eine anregende Übung, die auch in einer Klasse durchgeführt werden kann. Die möglichen Abwandlungen (man kann natürlich noch andere finden) betreffen zum Beispiel: A. Die Anordnung der Episoden. Indem man am Original festhält, lässt sich diese oder jene Szene entweder vor- oder zurückverlegen. Zum Beispiel mit der Technik des Flash back. B. Den Ablauf der Handlung. Ein tragisches Ende kann in ein Happyend verwandelt werden, natürlich auch unter Einflussnahme auf vorangehende Episoden. Welche Wendung würde die Geschichte nehmen, wenn unser Tyrann der singenden Frau tatsächlich begegnen würde? C. Das Einfügen neuer Figuren, wodurch in der Geschichte neue Dynamiken entstehen. D. Die Interaktion der originalen Geschichte Calvinos mit der eines früheren Theaterstücks. Diese vier Möglichkeiten wurden von Berio alle angewandt. Beim anderen Theaterstück, von dem er sich hat anregen lassen, handelt es sich um Shakespeares Der Sturm, geschrieben 1611. Auch da geht es um einen gestürzten Herrscher: Prospero, Herzog von Mailand. Eine Zusammenfassung der Erzählung findet sich auf der nachfolgenden Seite.
7 Eine Studie in deutscher Sprache zur Oper Berios findet man auf der Webseite: http://othes.univie.ac.at/1775/1/2008-10-08_7250311.pdf
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Die Handlung Vom Bruder Antonio entmachtet und mit seinem Töchterchen Miranda in ein Boot gesetzt und den Wellen übergeben, strandete er auf einer öden Insel, auf der die Hexe Sycorax in Verbannung gewesen war. Dank Zauberkunst gelang es Prospero mehrere von der Hexe gefangen genommene Geister zu befreien, darunter Ariel, und sie sich untertan zu machen. In seinen Diensten steht auch Caliban, der Sohn der Hexe, eine monströse Kreatur, niederträchtig und arglos, einziger Bewohner der Insel. Nachdem Prospero und Miranda so zwölf Jahre lang auf der Insel gelebt hatten, strandete, von Prosperos Zauberei in Seenot getrieben, ein Schiff an der Küste. Auf dem Schiff befanden sich der Usurpator Antonio, dessen Verbündeter Alonso, der König von Neapel, und dessen Sohn Ferdinand. An dieser Stelle beginnt das Drama: Shakespeare hat diese Vorgeschichte in der Protasis der zweiten Szene des ersten Aktes zusammengefasst. Die Passagiere retten sich, aber Ferdinand wird vom Rest der Mannschaft ertrunken geglaubt, er wiederum denkt das gleiche von den anderen. Ferdinand und Miranda begegnen sich, sind vom ersten Augenblick an ineinander verliebt und verloben sich. Auf Geheiß Prosperos jagt Ariel Antonio und Alonso mehrfach Schrecken ein; dieser wird von der Angst gezähmt, jener bereut seine Grausamkeit, versöhnt sich mit Prospero und bekommt seinen Sohn Ferdinand wieder. Das Schiff war durch Zauber unbeschadet geblieben, und Prospero und die anderen bereiten sich darauf vor, die Insel zu verlassen, nachdem Prospero durch Ablegen des Zauberstabes seine magischen Kräfte eingebüßt hat. Die Insel gehört jetzt Caliban: die vielen Szenen, in denen er mit Stephano, einem stets betrunkenen Kellermeister, und dem Hofnarren Trinculo zu sehen ist, bewahren dem Drama eine Spur von „commedia dell‘arte“, von der die Bewegungen übernommen wurden; ebenso verweist das komische Gegenstück zur Hinterhältigkeit des Usurpators, durch die Prospero sein Herzogtum verloren hatte, auf die „commedia dell‘arte“: die Verschwörung Calibans, der Stephano und Trinculo die Herrschaft über die Insel verspricht, wenn sie seinen verhassten Herrn töten. […] Die Atmosphäre in Der Sturm ist eine gereinigte, wie nach einem Orkan. Im Hintergrund, das einsame Ufer einer Insel inmitten des Meeres: alles eingetaucht in ein ruhiges, harmonisches Licht: die von diesem Licht und von Salzgeruch getränkte Luft, ist erfüllt von übernatürlichen Stimmen. Die Gnade des Himmels benetzt die Ufer dieser von der Welt abgeschnittenen Insel mit Tau, und dieses zarte himmlische Wirken scheint den menschlichen Handlungen, die sich in wenigen Stunden vor unseren Augen abspielen, die Feierlichkeit eines heiligen Schauspiels zu verleihen.6
Berio fügt in Calvinos Geschichte Elemente aus Der Sturm ein, angefangen beim Protagonisten, Prospero, der am Ende mit Calvinos Worten stirbt: „Es gibt eine Stimme, versteckt zwischen Stimmen, versteckt in der Stille, in der Kehrseite, auf dem Grund, in der Tiefe, im Inneren eines Gewebes, im nächtlichen Garten, im Wald, im See, in der Spiegelung des Wassers zwischen den Blättern, es gibt den Rückschlag der Klänge im Schatten, die von der Stimme erhellte Finsternis“. Es kommen viele Figuren vor, die auch als Chor auftreten: „Welche Stille. Nach neun Jahren Macht, neue Vorahnungen. Dort oben befindet sich ein Heer von Wolken, bereit alles zu zerstören [...] Hör nur, wie viele Gräuel uns nachts bedrohen!“. Berio hat seine Oper als Theater im Theater angelegt, in dem Prospero mit der Figur des Regisseurs spricht. Tatsächlich verwendet Berio den kurzen Briefwechsel, den er mit Calvino hatte, und macht daraus Theater: Regisseur: „Und du suchtest eine Frauenstimme, die eine Arie singt, auf einer Bühne, bestehend aus einem Labyrinth. Und das Stück ist die Geschichte eines Königs, der lauscht. Es gleicht einer verlassenen Insel, einem leeren Theater. Er fürchtet sich vor einer Verschwörung, er horcht auf jedes Geräusch“. Prospero: „Es ist ein König, der mit den Ohren der anderen horcht. Lauscht er mit seinen eigenen Ohren, nimmt er das Echo des Palastes wahr, kann ihn nichts beruhigen. Für die Wehklage, die aus dem Gefängnis kommt, hat er keine Ohren. Er hört, aber er hört nicht zu…” (diese Unterscheidung hören/ zuhören hatte Calvino bei Roland Barthes gefunden). In Berio nimmt das Theater den Platz von Calvinos Königspalast ein. Prospero: „Die Klänge gelangen zum Hafen, zum Theater, zum Ohr, zum großen Hafen des Ohrentheaters. Ich bin an der Stelle, von wo aus sich die Klänge ausbreiten, um den Hafen zu erreichen”. Und etwas weiter: „Ich suche etwas, das mir zwischen den Klängen mitgeteilt wird und von dem ich nicht weiß, soll ich es mit Sehnsucht oder mit Angst erwarten“. Wie man an diesen und an vielen anderen Passagen sieht, ist Calvinos Geschichte in Berios Oper, wenn von Berio auch überarbeitet und in ein Stück Shakespeares projiziert, durchaus immer noch gegenwärtig.
Regie - Entwürfe Bei The Tyrant werden wir auf der Bühne nur eine einzige Gestalt sehen und hören, den Tyrannen der Geschichte. Die Erzählung Calvinos und das Libretto von Lewis zeigen ihn zudem reglos auf seinem Thron ausharrend. Normalerweise interveniert in so einer Situation der Regisseur und sucht nach Lösungen, die dem Stück etwas von seiner Starre nehmen und ihm etwas mehr Lebendigkeit verleihen. Auch wenn das zur Folge hat, dass der Tyrann, um ein Beispiel zu nennen, von seinem Thron heruntersteigen muss. Versetzen wir uns in die Lage des Regisseurs. Beschließen wir, wie jede einzelne der Opernszenen ablaufen könnte, wie die Oper dynamisch gestaltet werden könnte. Gesang und Musik sind nämlich alles andere als starr. Warum sollte es die Regie sein? Lassen wir uns bei der Suche nach Lösungen also von der Musik leiten. Wir können gleich auf mehrere Dinge Einfluss nehmen: auf die R äume, in denen sich die Szenen abspielen; auf die Art, wie sich der T yr ann bewegt. Wir können so tun, als befänden sich die anderen erwähnten Figuren hinter der Kulisse. Wir können sie aber auch tatsächlich auftreten lassen, im Wechselspiel untereinander und mit dem König; auf da s Licht und die Videoclips. Neben der Bühnenbeleuchtung verfügen wir noch über die Möglichkeit, Bilder zu zeigen oder sogar Videos einzuspielen: die entweder auf diese oder auf jene Weise Bezug nehmen auf einzelne Momente der Handlung.
Auch das Bühnenbild hat seine Bedeutung. Das Libretto von The Tyrant enthält nur wenige Angaben zum Ambiente, in dem das Stück spielt. Calvino berichtet darüber in seiner Erzählung natürlich ausführlicher. Zeichnen wir eine Skizze der einen oder anderen Szene, indem wir die Gegenstände einfügen, von denen wir glauben, dass sie auf der Bühne zu sehen sein sollten. Vergleichen wir die verschiedenen Lösungen. Erinnern wir uns daran, dass der Bühnenraum nicht zweidimensional ist. Die Tiefe ist ebenso wichtig. Dementsprechend kann jetzt die Skizze in ihre Elemente zerlegt und auf den verschiedenen Ebenen der Tiefe wieder zusammengefügt werden. Bevor wir uns die Vorführung ansehen, entwerfen wir ein Gesamtprojekt für die Regie und für das Bühnenbild. Wir können in kleinen Gruppen Entwürfe erarbeiten. Am Ende vergleichen wir die verschiedenen Resultate. Vor allem aber sollten wir unsere eigenen Lösungen mit jenen vergleichen, die beim Regisseur unseres The Tyrant tatsächlich zur Anwendung kommen.
Die Beschreibung der Handlung ist dem Dizionario Bompiani delle opere e dei personaggi, vol IX, entnommen.
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Wir musizieren
Tango Der Grundrhythmus des 5. Tracks. Wer Klavier spielen kann, spielt den Klavierpart, die anderen spielen den Rhythmus auf einem Schlaginstrument:
mit dem Tyrannen
Dreshers Partitur enthält verschiedene Stellen, die in einem Musiksaal leicht ausgeführt werden können. Von den vielen zugänglichen, zählen wir hier einige auf.
Pianoforte
Zwei gegen drei Der Track 4 legt Klavierakkorde im 4/4 Takt über Triolen der Marimba. Einleitende Übung. Mit der rechten Hand wird der Rhythmus des Klaviers geschlagen, mit der linken der Rhythmus der Marimba. Wir führen aus:
Piano
Piano
bright
Pno.
VC.
Marimba Marimba 3
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Ostin ato Dresher zeichnet eine ganze Szene, indem er auf dem Klavier von Anfang bis Ende diesen Takt wiederholt:
In einer anderen Szene verwendet er dieses Muster:
Auch wir können diese Figuren als Ostinati für unsere eigene Improvisation verwenden: ausgeführt mit einem Instrument, mit Schlaginstrumenten, der Stimme.
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The most important thing in communication is to hear what isnâ&#x20AC;&#x2DC;t being said.