KONZERTE
2020/21
06.10.2020 – BOZEN, Konzerthaus, 20 Uhr 07.10.2020 – TRIENT, Auditorium, 20.30 Uhr
MICHELE MARIOTTI Dirigent
Ian Bostridge Tenor
HAYDN ORCHESTER VON BOZEN UND TRIENT
FRANZ SCHUBERT (1797-1828)
Rosamunde, Fürstin von Cypern: Entre-Act nach dem 3. Aufzug, d. 797, Nr. 5
GUSTAV MAHLER (1860-1911)
Lieder aus Des Knaben Wunderhorn (Arr. Klaus Simon):
Rheinlegendchen Des Antonius von Padua Fischpredigt Revelge Wo die schönen Trompeten blasen Der Tamboursg’sell
WOLFGANG AMADEUS MOZART (1756-1791)
Symphonie Nr. 35 in D-Dur, kv 385 “Haffner-Symphonie” Allegro con spirito Andante Menuetto – Trio Presto
Das Konzert wird von Rai Südtirol aufgezeichnet und am Sonntag, dem 22.11.2020 um 20 Uhr im Hörfunk übertragen. Radio live: http://www.senderbozen.rai.it
MICHELE MARIOTTI Dirigent Michele Mariotti, 1979 in Urbino geboren, hat nach dem Abitur am humanistischen Gymnasium sein Kompositionsstudium am Konservatorium in Pesaro abgeschlossen, wo er auch Dirigierschüler von Manlio Benzi war; daneben hat er beim Diplom an der Accademia Musicale Pescarese bei Donato Renzetti die Höchstnote erzielt. Er debütierte 2005 als Operndirigent mit Rossinis Barbier von Sevilla am Teatro Verdi in Salerno. 2007 eröffnete er die Saison am Teatro Comunale in Bologna mit Verdis Simon Boccanegra; 2008 wurde er Direttore principale und 2014 musikalischer Leiter des Opernhauses in Bologna. Er dirigierte dort Neuproduktionen von Mozarts Idomeneo, Figaros Hochzeit, Così fan tutte und der Zauberflöte, von Rossinis Cenerentola, der Gazza ladra und von Guillaume Tell, Bellinis Norma und den Puritanern, Donizettis Lucia di Lammermoor, Verdis Nabucco, Attila, La Traviata, dem Maskenball und Don Carlo, Bizets Carmen, Mascagnis Cavalleria rusticana, Massenets Werther, Puccinis Bohème, Dallapiccolas Prigioniero und La voix humaine von Poulenc sowie Mozarts und Verdis Requiem und zahlreiche Symphoniekonzerte. Er leitete Chor und Orchester des Teatro Comunale von Bologna auch auf Tourneen nach Moskau und Tokio (mit I puritani und Carmen) sowie in Turin anläßlich der Saisoneröffnung des Lingotto Musica. Zudem nahm er mit der Orchestra del Teatro Comunale di Bologna zwei Schallplatten mit Juan Diego Flórez (cd Decca) bzw. mit Nino Machaidze (cd Sony) auf. Michele Mariotti dirigierte u. a. Orphée et Eurydice von Gluck am Teatro alla Scala in Mailand, Mozarts Idomeneo am Teatro dell’Opera in Rom, Don Giovanni in Bologna, Rossinis Italiana di Algeri in Bilbao und am Teatro Comunale in Ferrara, Il barbiere di Siviglia an der Lyric Opera in Chicago, in Las Palmas (Gran Canaria), in Los Angeles, an der Opéra Royal de Wallonie in Lüttich, an der Scala in Mailand, an der Bayerischen Staatsoper in München, am Teatro Massimo in Palermo, am Teatro Regio in Turin und in Washington, Rossinis Donna del lago am Royal Opera House, Covent Garden, in London, in Lüttich und an der Metropolitan Opera in New York, Semiramide in Amsterdam, an der Bayerischen Staatsoper in München und in Pesaro, Le comte Ory an der Mailänder Scala, Matilde di Shabran und Guillaume Tell beim Rossini Opera
Festival in Pesaro, I puritani am Teatro Real in Madrid, am Teatre Principal auf Menorca, an der Met in New York, an der Opéra in Paris und in Tokio, Lucia di Lammermoor am Covent Garden in London, Les Huguenots von Meyerbeer an der Deutschen Oper in Berlin und in Paris, La fille du régiment von Donizetti in San Francisco, Don Gregorio (L’ajo nell’imbarazzo) beim Festival in Wexford, Nabucco in Parma und Reggio Emilia, Don Pasquale in Paris, Turin und Washington, I lombardi alla prima crociata von Verdi in Turin, Ernani in Parma, I due Foscari an der Mailänder Scala und (konzertant) bei den Salzburger Festspielen, I masnadieri an der Scala und in München, La battaglia di Legnano in Barcelona, Rigoletto in Lima, La Traviata am Sferisterio in Macerata und an der Opéra Bastille in Paris, La forza del destino an der Nederlandse Opera in Amsterdam, Carmen in New York, Aida (konzertant) in Neapel, Puccinis Gianni Schicchi in Fano sowie Turandot in Zürich. Im November wird er Verdis Falstaff an der Bayerischen Staatsoper und im Februar 2021 Aida an der Opéra in Paris dirigieren. Daneben leitete er u. a. Symphoniekonzerte mit dem Nederlands Philharmonisch Orkest im Concertgebouw in Amsterdam und mit den Bamberger Symphonikern, am Teatro del Liceu in Barcelona, mit dem rté National Symphony Orchestra in Dublin, den Essener Philharmonikern, der Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino in Florenz, dem Dänischen Nationalorchester in Kopenhagen, dem Leipziger Gewandhausorchester, dem Royal Liverpool Philharmonic Orchestra, dem Royal Philharmonic Orchestra in London, am Teatro Real in Madrid, mit den Orchestern der Pomeriggi Musicali bzw. der Accademia del Teatro alla Scala sowie der Orchestra Filarmonica della Scala in Mailand, den Münchner Symphonikern, der Orchestra del Teatro di San Carlo in Neapel, dem Oregon Symphony Orchestra, dem Orchestre National de France und im Théâtre des Champs-Elysées in Paris, mit der Orchestra Toscanini in Parma, in Piacenza und der Orchestra Sinfonica Nazionale della rai im Auditorium del Lingotto in Turin sowie bei den Festspielen in Montpellier (Radio France), Peralada und Saint Denis. Die Associazione Nazionale Critici Musicali verlieh ihm 2017 den 36. Premio Abbiati als Dirigent des Jahres. Mit dem Haydn Orchester debütierte Mariotti im April 2016 in Bozen und Trient mit Werken von Schubert und Bartók; im Februar 2018 dirigierte er Schuberts “Unvollendete“ und die Vierte Symphonie von Brahms, im November 2018 Werke von Haydn, Beethoven und Berg, im Mai 2019 Werke von Beethoven und Bruckner sowie im Dezember 2019 Werke von Beethoven, Rossini und Mendelssohn.
IAN BOSTRIDGE Tenor Der englische Tenor Ian Bostridge hat ein Geschichtsstudium am Corpus Christi College in Oxford abgeschlossen, bevor er sich seiner Karriere als Sänger zuwandte. Er trat in Liederabenden in den wichtigsten Konzertsälen und bei den Festspielen in Aldeburgh, Edinburgh, Salzburg und Wien sowie bei der Schubertiade in Schwarzenberg auf. 1999 bestritt er die Uraufführung eines eigens für ihn komponierten Liederzyklus von Hans Werner Henze. Bostridge wirkte als artist in residence bei Konzertzyklen im Concertgebouw in Amsterdam, in der Carnegie Hall in New York, im Wiener Konzerthaus sowie im Barbican Center und der Wigmore Hall in London, wo er persönlich diverse Reihen von Liederabenden konzipiert hat. Als Opernsänger debütierte er 1994 als Lysander in A midsummer night’s dream von Benjamin Britten in einer Produktion der Opera Australia beim Festival von Edinburgh.
Seither sang er u.a. die Rolle des Nero in Monteverdis Incoronazione di Poppea in der Regie von David Alden bei den Münchner Opernfestspielen, Jupiter in Händels Semele an der English National Opera in London und Jephta an der Opéra Garnier in Paris, Don Ottavio in Mozarts Don Giovanni unter Antonio Pappano am Royal Opera House, Covent Garden, in London sowie an der Wiener Staatsoper, Tamino in der Zauberflöte an der English National Opera, Vasek in Smetanas Verkaufter Braut unter Bernard Haitink am Covent Garden, Tom Rakewell in The rake’s progess von Strawinsky an der Bayerischen Staatsoper, Quint in The turn of the screw von Britten in der Regie von Deborah Warner am Royal Opera House und an der Mailänder Scala, The rape of Lucretia in München, Gustav Aschenbach in Brittens Death in Venice an der English National Opera, in Brüssel und Luxemburg sowie Caliban in The tempest von Thomas Adès an Covent Garden. Janáčeks Tagebuch eines Verschollenen sang Bostridge in Amsterdam, London, München, New York und Paris. Er trat mit dem Concertgebouworkest in Amsterdam, den Berliner Philharmonikern, dem Boston Symphony, dem Chicago Symphony, dem bbc Symphony, dem London Philharmonic, dem London Symphony und dem Los Angeles Philharmonic Orchestra, mit dem Orchester der Metropolitan Opera und dem New York Philharmonic Orchestra, der Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom, den Rotterdamer Philharmonikern sowie den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Daniel Barenboim, Sir Andrew Davis, Sir Colin Davis, Daniel Harding, James Levine, Riccardo Muti, Seiji Ozawa, Antonio Pappano, Sir Simon Rattle, Mstislav Rostropovich und Donald Runnicles auf. Seine cds, die bei der Deutschen Grammophon, emi/Warner, Erato und Virgin Classics vorliegen und deren Repertoire von Bach, Händel und Mozart (Idomeneo unter Sir Charles Mackerras; Die Entführung aus dem Serail unter William Christie) über Schubert (Die schöne Müllerin, mit Graham Johnson) und Schumann bis zu Strawinsky (The rake’s progress unter John Eliot Gardiner), Britten und Henze reicht, erzielten zahlreiche internationale Auszeichnungen, darunter einen Grammy Award für das Shakespeare gewidmete Album, das er gemeinsam mit Antonio Pappano aufgenommen hat. Er ist Ehrenmitglied des Corpus Christi College in Oxford; 2003 wurde ihm der Ehrendoktor der Universität von St Andrews und 2004 der Orden des British Empire verliehen. Bostridge publizierte diverse Bücher, darunter 2015 eine Studie über Schuberts Winterreise.
FRANZ SCHUBERT Rosamunde, Fürstin von Cypern: Entre-Act nach dem 3. Aufzug, d. 797, Nr. 5 Franz Schubert, der Liederkomponist schlechthin, wäre wohl lieber ein berühmter Opernkomponist geworden, doch alle seine Versuche, sich als Dramatiker einen Namen zu machen, schlugen fehl. Meistens gibt man die Schuld daran seiner unglücklichen Stoffwahl, doch dürfte auch das Theaterambiente voller Mißgunst und Eifersüchteleien eine Rolle gespielt haben. Diverse seiner zahlreichen Opern enthalten allerdings – wie könnte es auch anders sein – wunderbare Musik, die in den letzten Jahren vermehrt aus den Archiven ins Licht der Theater befördert wurde; so dirigierte u. a. 1988 Claudio Abbado Fierrabras in Wien, der auch dank einer erstklassigen Sängerbesetzung einen großen Erfolg erzielte, wie ihn sein Schöpfer immer erhofft hatte, ohne daß er ihm jemals zuteil geworden wäre. Auch andere Institutionen versuchten sich an diesem oder jenem Singspiel, doch bisher dürfte das bekannteste mit dem Theater in Zusammenhang stehende Werk die Schauspielmusik für Rosamunde, Fürstin von Cypern sein. Seine Schöpferin war Helmina de Chézy (1783-1856), eine als Wilhelmine Christiane von Klencke geborene Dichterin, die unter dem Namen ihres zweiten Mannes, des Orientalisten Antoine-Léonard de Chézy, eine zweifelhafte Berühmtheit erlangte, da sie einige literarische Sünden zu Papier brachte, deren bekannteste wohl das Textbuch der vorletzten Oper Carl Maria von Webers war, jener Euryanthe (1823), die eines der Musterbeispiele von aufgrund schlechter Libretti halb mißglückten Bühnenwerken darstellt. Nicht genug damit, ließ die Chézy noch im selben Jahr, nur zwei Monate später, am 20. Dezember, das romantische Schauspiel Rosamunde, Fürstin von Cypern am Theater an der Wien geben. Nach nur einer Folgeaufführung verschwand das wohl kaum über ein Machwerk hinausgehende Opus vom Spielplan, ohne daß die Nachwelt davon hätte Notiz nehmen können, da es ungedruckt blieb und sein Manuskript verloren ging; einzig Schuberts Bühnenmusik zeugt von seiner Hoffnung, über diesen Umweg am Theater zu reüssieren. Seine Beiträge bestehen aus einer Ouvertüre, einem Lied für Sopran, drei Chören (Geisterchor, Hirtenchor, Jägerchor) und diversen instrumentalen Nummern (darunter auch Ballettmusik); das bekannteste Stück sollte die Nr. 5 werden, ein Entre-Act (wie es hier heißt: heute ist eher die Schreibweise entr’acte gebräuchlich) nach dem dritten Aufzug, dessen Melodie auch im Andante des a-Moll-Streichquartetts, op. 29, d. 804, erscheint. Die wunderbar liedhafte, einfache B-Dur-Melodie wird zunächst von den Geigen, dann auch von den Flöten gespielt, bis zwei Moll-Mittelteile den Bläsern, besonders den Klarinetten und den Oboen, größeren Raum gewähren. Schubert wandelt das Thema sowohl harmonisch als auch rhythmisch traumwandlerisch sicher ab; heute ist es uns besonders aus dem vier Jahre später geschriebenen Impromptu op. post. 142, d. 935, Nr. 3, geläufig, zu dessen Klavierklang hier eine von süßer Sehnsucht getragene Orchestervariante vorliegt.
GUSTAV MAHLER Lieder aus Des Knaben Wunderhorn (Arr. Klaus Simon) Das Oeuvre Gustav Mahlers besteht nahezu ausschließlich aus Liedern und Symphonien; manchmal treffen beide Gattungen in einem einzigen Werk aufeinander, wie im Falle der “Symphonie für Alt- und Tenorstimme und Orchester” Das Lied von der Erde (1908). Alle anderen Genres wurden praktisch nicht beachtet (er schrieb beispielsweise niemals ein Klavierkonzert oder eine Oper, wenn man von der Vervollständigung der Drei Pintos von Carl Maria von Weber absieht; aus seiner Jugendzeit ist einzig ein Klavierquartett-Satz überliefert). Sein Mikro- bzwMakrokosmos ist jedoch so groß, daß er gewissermaßen zahlreiche Aspekte anderer Werke bzw. Gattungen miteinschließt: in den Symphonien finden sich beispielsweise sowohl kammermusikalische Passagen als auch Bezüge auf die Musica sacra (einmal bezeichnete er seine Achte Symphonie als seine “Messe”). Der Kern, aus dem ein Gutteil seiner Musik hervorging bzw. auf den er sich bezog, ist eine Gedichtsammlung namens Des Knaben Wunderhorn, die zwischen 1806 und 1808 von Achim von Arnim (1781-1831) und Clemens Brentano (1778-1842) herausgegeben wurde. Es handelt sich dabei, so versichern die Herausgeber, um eine Anthologie von Texten deutscher Volkslieder, doch scheint es, als ob sie auch eigene Gedichten mit einfließen ließen, ohne dies extra anzuführen. Diese Sammlung erfreute sich im 19. Jahrhundert größter Beliebtheit, fast so wie die Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm, deren erste Ausgabe ein paar Jahre später erschien, und zwar 1812. Es waren dies die Jahre der napoleonischen Besatzung, als einige Intellektuelle, die sich außerstande sahen, dem Korsen militärisch beizukommen, sich darum bemühten, wenigstens literarisch eine Vorstellung von Volk und Vaterland zu erwecken, um den deutschen Kampf um die Unabhängigkeit und Einheit zu unterstützen (von einem ersten Höhepunkt, der Leipziger Völkerschlacht, bis zu der unpassenderweise im Spiegelsaal in Versailles erfolgten Ausrufung des deutschen Kaiserreichs 1871 sollte es noch ein langer Weg werden). Mahler interessierten die politischen Zusammenhänge allerdings weniger, ihm ging es hauptsächlich um die poetischen Inhalte der Wunderhorn-Sammlung, was dazu führte, daß er begann, selbst in dessen Stil zu dichten. Ihn faszinierte die (teils fingierte) Einfachheit und Naivität der Texte, weswegen er immer wieder auf sie zurückgriff. Es kam auch zu Fällen von Osmose zwischen Lied und Symphonie, da einige Lieder in die Zweite, Dritte bzw. Vierte Symphonie Eingang fanden, so daß die Grenzen nahezu fließend verlaufen. Insgesamt vertonte Mahler vierundzwanzig Wunderhorn-Texte, von denen sich die Hälfte in den beiden Bänden findet, die Des Knaben Wunderhorn. Lieder für eine Singstimme mit Orchesterbegleitung betitelt sind und 1905 erschienen. Da es sich dabei jedoch nicht um einen regelrechten Zyklus handelt, fühlen die Interpreten sich von jeher frei, nur einige Lieder auszuwählen, wie es auch heute Abend geschieht; Mahler selbst präsentierte sie nach und nach, im Laufe der Jahre, als er sie schrieb – erste (fast) vollständige Aufführungen erfolgten erst 1905. Mit einigen Ausnahmen (Der Schildwache Nachtlied stammt von 1888) entstanden die Wunderhorn-Lieder in der Hauptsache zwischen 1892 und 1896; dazu kommen noch einige ‘Nachzügler’ (Wo die schönen Trompeten blasen, 1898, und Der Tamboursg’sell, 1901). Was die Lieder verbindet, ist – abgesehen von der gemeinsamen Textquelle – eine unglaubliche Melodienfülle, wobei Mahler die Quadratur des Kreises gelingt, das heißt, er erschafft einen ‘Volkston’, ohne ‘wirkliche’ Volksliedmelodien zu verwenden; bereits Robert Schumann (1810-1856) schreibt oftmals Im Volkston für zahlreiche seiner Werke vor, wobei eine – vielleicht nicht immer ganz glückliche – Liebe eines Intellektuellen zum Volkstümlichen zum Tragen kommt. Die zahlreichen Lieder von
Franz Schubert (1797-1828), die Volksliedern gleichen (man lese die diesbezüglichen Betrachtungen Hans Castorps bzw. Thomas Manns im Zauberberg!), entspringen einer vermutlich tieferen Verwurzelung in der Volksseele (falls es so etwas gibt) des seinerzeit noch eher ländlichen Wiens, doch war es Mahler vorbehalten, das Wunder zu vollbringen, sich dermaßen in das 18. bzw. frühe 19. Jahrhundert zurückzuversetzen, daß es ihm gelang, eine ‘Volksmusik’ neu zu erschaffen, die es so wohl kaum je gegeben hatte, wobei sich bei ihm jedoch zusätzlich die Untiefen der modernen Metropole einschleichen, ein Hauch von Dekadenz und Kaffeehausatmosphäre, der dann von den Kanonen des ersten Weltkriegs hinweggefegt werden sollte: Man spürt gewissermaßen die Bonhomie der Ansichtskartendarstellungen des Kaisers Franz Joseph, hinter denen das Gespenst der modernen, gequälten Seele auszumachen ist, wie es uns erst Sigmund Freud erläutern sollte. WOLFGANG AMADEUS MOZART Symphonie Nr. 35 in D-Dur, kv 385 “Haffner-Symphonie” Der Name Haffner scheint in Mozarts Oeuvre zweimal auf, bevor er durch den Publizisten Raimund Pretzel (1907-1995) im englischen Exil als Pseudonym gewählt wurde, wodurch ‘Sebastian Haffner’ ein vermutlich weiteren Schichten bekannter Name sein dürfte (es handelt sich um den Autor der Anmerkungen zu Hitler, 1978), als es derjenige der alten Salzburger Familie ist. Nichtsdestoweniger zählten die Haffners in ihrer Stadt zu den ersten Familien: Sigmund Haffner der Ältere (16991772) war in Mozarts Jugend Bürgermeister. Anläßlich der Hochzeit seiner Tochter Elisabeth schrieb Wolfgang 1776 die große, vielsätzige Serenade in D-Dur, kv 250; die Violinsoli dreier ihrer Sätze gehen über den Umfang episodischer Soli hinaus, so daß sie zusammengenommen nahezu ein wirkliches Violinkonzert ergeben. Nach diesem bedeutenden Werk aus der Salzburger Zeit widmete Mozart jedoch der Familie noch eine weitere großangelegte Komposition: als im Juli 1782 der gleichaltrige Sigmund Haffner der Jüngere (1756-1787) als ‘von Imbachhausen’ in den Adelsstand erhoben wurde, komponierte er ein neues Orchesterwerk, ebenfalls in D-Dur. Daß Mozart eine Woche später, am 7. August, noch einen einleitenden Marsch nachreichte, und daß wohl zunächst zwei Menuette vorhanden gewesen waren, deutet auf den ursprünglich mehr serenadenhaften Charakter des Werks. Erst für sein Wiener Konzert vom 23. März 1783 strich Mozart den Eingangsmarsch und eines der beiden Menuette (das seither verschollen ist), so daß eine regelrechte Symphonie entstand, als die das Werk seither gespielt wird. Mögen das Andante und das kurze, etwas steife Menuetto auch eher divertimentohafte, also vielleicht nicht allzu tiefschürfende Züge tragen, so sind das einleitende Allegro con spirito mit seinem prägnanten Unisono-Anfangsmotiv, das über zwei Oktaven reicht, von der orchestral ausladenden Geste her, wie das abschließende Presto mit seinen festlichen Pauken- und Trompeten-Klängen den großangelegten späten Symphoniesätzen keineswegs unterlegen: und vom Schlußsatz der “Haffner-Symphonie” scheint sich ein Bogen zur Figaro-Ouvertüre zu spannen, ein theatralisches Gespür ersten Ranges, das auch in reinen Instrumentalwerken zuweilen zutagetritt und alles in seinen Bann reißt. Johannes Streicher
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