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INTERVIEW

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FRIZZ KULTUR III

FRIZZ KULTUR III

DOCUMENTA FIFTEEN

Am 18. Juni 2022 beginnt die documenta fifteen. Das Corona-Virus hält nicht nur die ganze Welt, sondern auch das Team der documenta seit über einem Jahr in Atem. Wir haben Dr. Sabine Schormann, Generaldirektorin der documenta und Museum Fridericianum gGmbH, getroffen und mit ihr über die aktuelle Sitution, die Arbeit mit einem Kollektiv und die digitalen Formate der documenta fifteen gesprochen.

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Die documenta fifteen wird erstmalig von einem Kollektiv kuratiert und nicht wie in der Vergangenheit von einer Einzelperson mit Kuratoren-Team. Wie hat das Ihre Arbeit verändert. Vor welche Herausforderungen stellt Sie das und Ihr Team?

Erstmal ist die Arbeit mit einem Kollektiv sehr spannend. Es sind mehr Menschen beteiligt und das ist eine großartige Möglichkeit, eingespielte Denkweisen und Prozesse aufzubrechen. Da wir ohnehin im Bereich der Kunst viele Meinungen und Themen haben, können wir diese aufnehmen, einbeziehen und berücksichtigen. Diese Zusammenarbeit unterscheidet sich doch deutlich von der Zusammenarbeit mit einem Hauptkurator, der sonst alle Punkte auf sich bündelt und natürlich seine Vision verfolgt. Man hat nicht einen Ansprechpartner, sondern die Gruppe als Ansprechpartner. Das bedeutet einfach ein anderes Arbeiten für mein Team und mich im Vergleich damit, wenn man alles sehr gezielt mit einer Person verhandelt. Ich kenne natürlich auch die Zusammenarbeit mit einem kuratorischen Leiter und Einzelkünstlern aus dem Fridericianum. Das ist schon ein Unterschied, wenn Moritz Wesseler, Julia Schleis und das Team mit einem Künstler wie Tarek Atoui oder Vincent Fecteau in der jetzt neuen Ausstellung zusammenarbeiten und dann die beiden jeweiligen Visionen zusammenführen. Und hat man ganz bewusst nicht den einen Autor – weder auf der künstlerischen noch auf der kuratorischen Seite –, sondern die Vielstimmigkeit, so sind die Prozesse ebenfalls vielgestaltiger. Die Arbeit mit dem Kollektiv hilft, anders zu denken, und man merkt, wie viele Prozesse man eingespeichert hat, die automatisch ablaufen und die man dann hinterfragen muss. Und das ist sehr erfrischend. In der gewachsenen Struktur haben wir viele Veränderungen vorgenommen. Jede documenta ist ja eine, die sich neu erfindet. Das Team musste sich neuen Themen und Fragestellungen anpassen. Darin liegt aber die Stärke der schlank aufgestellten documenta Organisation. Und meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stellen sich mit Spaß und Freude diesen Herausforderungen und den jeweils anderen Zugängen zur Kunst.

Die Pandemie macht derzeit einen persönlichen Austausch kaum möglich. Wie wird die Zusammenarbeit mit dem Kollektiv organisiert?

Die Zusammenarbeit wird im Wesentlichen digital organisiert: in Tausenden von Stunden auf den verschiedenen Plattformen wie Zoom, Teams oder Webex. Die kleinste Gruppenstärke sind zwei Personen – es kann aber auch bis zu 70 Personen hochgehen. Trotzdem fehlt natürlich nach über einem Jahr mit dieser Arbeitsweise der persönliche Kontakt und wir hoffen, dass es ab Juni wieder möglich ist, dass mehr Mitglieder der künstlerischen Leitung und auch auch die Künstlerinnen und Künstler, die eingeladen sind, Kassel besuchen können, die jeweiligen Locations und die handelnden Akteure in Kassel kennenlernen können. Hilfreich ist dabei, das Reza Afisina und Iswanto Hartono – zwei Mitglieder von ruangrupa – seit letzten August mit ihren Familien in Kassel leben. Sie bilden die Brücke zum Rest des Teams in Jakarta, den

anderen Mitgliedern des künstlerischen Teams und den neu gewonnenen lumbung member, den anderen Kollektiven, die mit ruangrupa die documenta gestalten.

Normalerweise würden die Kuratoren nun weltweit die Künstler*innen auswählen und besuchen. Wie ist die aktuelle Situation?

Auch das erfolgt digital und so haben Besuche in Studios und Ateliers weltweit stattgefunden. Das kuratorische Team hat unter sich Kontinente und Länder aufgeteilt und gezielt das gleiche digital gemacht, was man sonst durch Reisen unternommen hätte, und dann den Kontakt vertieft. Das Thema Nachhaltigkeit ist zudem wichtig für diese documenta und so waren wir zu Beginn der Pandemie gut ausgestattet, da wir von Anfang an eine Mischung aus digitaler und persönlicher Vorbereitung vorhatten, um Flug- und Reisekilometer einzusparen und damit den CO2-Abdruck zu minimieren.

Viele der Arbeiten entstehen im Vorfeld der Eröffnung vor Ort hier in Kassel. Werfen wir einen Blick in das Frühjahr 2022. Was würden Sie sich wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass viele Künstler und Künstlerinnen und Kollektive in Kassel sind und gemeinsam mit Initiativen, mit unserem Team und anderen Interessierten an ihren Projekten arbeiten und sich von der Stadt inspirieren lassen. Es soll ein fröhlicher Vorgeschmack auf das sein, was am 18. Juni beginnen wird.

Welche digitalen Formate werden für die documenta fifteen entwickelt? Wird es virtuelle Ausstellungsräume geben, die von Besucher*innen besucht werden können, die sonst nicht die Möglichkeit haben, nach Kassel zu reisen?

Es wird keine rein digitale documenta geben. Die künstlerische Leitung und wir sind davon überzeugt, dass Kunst den persönlichen Kontakt und das gemeinsame Erleben braucht. Insbesondere nach der Pandemie wird es für Menschen unglaublich wichtig sein, nicht vor dem Bildschirm zu sitzen, sondern direkte Erfahrungen zu machen und diese einzusaugen. Trotzdem wird es Menschen geben, die immer noch pandemiebedingt oder aus anderen Gründen die documenta nicht besuchen können und dafür bereiten wir digitale Formate vor. Dabei sind für uns die Themen Inklusion und Barrierefreiheit sehr wichtig und man wird beispielsweise aus der Ferne digitale Führungen erleben können.

Gestatten Sie uns noch ein paar persönliche Fragen. Eine Zeitkapsel beamt Sie in jede beliebige Zeitepoche. Für welche Epoche würden Sie sich entscheiden?

Mich würde die Zeit um 1800 reizen, was mich in meine eigene Vergangenheit zurückführt. Ich habe mich lange mit Bettina von Arnim beschäftigt, die ihrerseits in einem fantastischen Netzwerk von unglaublich interessanten Persönlichkeiten „verhaftet“ war: darunter Goethe, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, ihr Ehemann Achim von Arnim, ihr Bruder Clemens Brentano und Rahel Varnhagen. Eine Zeit mit vielen Aufbruchsbewegungen, aber auch teilweise schon wieder rückwärts gerichteten Strömungen, die dort zusammengekommen sind und uns bis heute prägen. In diese Welt einzutauchen, die ich aus Literatur und Briefen kenne, und diese Menschen zu erleben, wäre großartig.

Haben Sie einen Lieblingsplatz in der Region?

Eindeutig die Kasseler Drahtbrücke: Von ihr aus hat man den fantastischen Blick über die Fulda, auf das documenta Kunstwerk „Spitzhacke“ von Claes Oldenburg, das Kurbad Jungborn, das Rondell und die documenta Halle. Es ist so ein toller Platz in Kassel und ich bleibe immer stehen und lasse den Blick schweifen.

Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit am besten?

Am besten gefällt mir, mit so vielen interessanten Menschen aus aller Welt zu tun zu haben. Ich empfinde es als Privileg, sie kennenlernen zu dürfen, ihre Ideen und ihre komplett anderen Hintergründe, aber auch die Probleme, die sie bewegen – selbst wenn in der Coronazeit leider nur der digitale Austausch stattfinden kann.

Wir bedanken uns ganz herzlich für Ihre Zeit, wünschen Ihnen und Ihrem Team weiterhin viel Erfolg und freuen uns auf die documenta fifteen.

›› www.documenta.de und www.documenta-fifteen.de

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