Magazin GARCON - Essen, Trinken, Lebensart - Ausgabe 03 - 2010

Page 1

HEFT 3/ 2010 | 4 €

Das Magazin für entdecker und genieSSer

GASTRONOMIE, HOTELLERIE & LEBENSART

BIEBERBAU | WINKLERS | LE PISTOU THOMAS DOHNOW | BRIT LIPPOLD WEINSTADT BERLIN | MEISTERKÖCHE 2010


WELIFA Getränkegroßhandlung GmbH & Co. KG Sickingenstr. 9-13 - 10553 Berlin Tel +49 30 613 95 00 Fax +49 30 624 80 70 www.welifa.de


MISE EN PLACE

Liebe Leserinnen und Leser, Nelson Müller, Thomas Jaumann (SAT.1-Untertitel: Sterne-, Star- und Spitzenkoch) und 100 Meister-

gende Meldung: Megan Fox, 24, würde lieber ver-

kochkandidaten serviert. Und die ist denkbar

hungern, als sich an den Herd zu stellen. Ich geste-

schmal. „Geschmacklose Pampe“ hätte Raue wahr-

he, dass ich bis heute nicht weiß, wer Megan Fox ist,

scheinlich formuliert, wäre er nicht beteiligt gewe-

und ich gestehe auch, dass es mich nicht sonderlich

sen. Tatsächlich wirkt die zweistündige Koch-Show

interessiert. Was mich allerdings außerordentlich in-

dermaßen hektisch zusammengeschnippelt und

teressierte, war die Reaktion zweier junger Frauen

tricktechnisch aufgepeppt, dass einem schwindlig

auf den Sitzen neben mir, wahrscheinlich ein paar

werden kann. Hinzu kommen markige Ansprachen

Jahre jünger als jene Megan Fox.

und lächerliche Dialoge. Kostprobe? Müller: „Ziem-

Fotos: SAT.1/Willi Weber

In der U-Bahn las ich auf einem der TV-Monitore, denen sich kaum ein Fahrgast entziehen kann, fol-

„Kochen ist geil“, sagte die eine. Die zweite

lich viel Säure, das Cevice.“ Raue: „Cevice braucht

ergänzte: “Damit kannste sogar Kohle machen“.

Säure.“ Na was denn nun, meine Herren? Immerhin

Stimmt. „Deutschlands Meisterkoch“ bekommt

geht es um 100 000 Euro, um „alles oder nichts“,

sage und schreibe 100 000 Euro. So verkündete es

wie es am Anfang der televisionären Meisterkoch-

Berlins kulinarischer Shooting-Star Tim Raue in der

suche hieß. Das Wort Spaß fiel nicht, schade. Ich

SAT.1-Sendung gleichen Titels (erste Folge am 27.

dachte immer, genau das sei das Ziel von Fernse-

August 20.15 Uhr).

hunterhaltung. Offenbar schien auch bei den Zu-

Lieber hätten wir ja über Raues neues Restau-

schauern angesichts der Aneinanderreihung verba-

rant berichtet, das am 23. August eröffnet werden

ler Banalitäten á la „Das Messer ist für den Koch

sollte. Kurz vor Redaktionsschluss jedoch mussten

elementar!“ keine Freude aufzukommen. Lediglich

wir zur Kenntnis nehmen, dass daraus nichts wird

780 000 der für SAT.1 so wichtigen, weil werberele-

- jedenfalls nicht in diesem Heft. Der spanische Kü-

vanten Zielgruppe, muteten sich die erste Folge des

chenlieferant konnte den Termin nicht halten, so

vorher gnadenlos hochgejazzten Langweilers zu (7,5

war zu hören, außerdem ging noch das Geschirr zu

% Markanteil).

Bruch. Also müssen wir uns mit der Fernseh-Kost begnügen, die uns Tim Raue da gemeinsam mit

Bleibt zu hoffen, dass Tim Raue schnell in seine Küche zurückkehrt und dort das tut, was er wirklich kann: Kochen.

Yvonne Weinlich weinlich@bildart-verlag.de

GARÇON

3


INHALT MISE EN PLACE TITEL Der Höllenjob Ein Loblied auf den Spüler

16 Restaurant Bieberbau

6 Ein Loblied auf den Spüler

LOKALTERMIN

WEINlese Spezial

Bieberbau 16 Kochen ohne Krampf Winklers 23 Endlich Innereien Le Pistou Bonjour Charlottenburg

27

Wissen, was gut ist Lieblingsadressen Berliner Köche

30

Thomas Dohnow Der Selfmademan

36

Brit Lippold Die Kochbuchlady

41

Hussein und Mohammed Die Torstraßenpioniere

46

GARÇON

50

„Ich bin doch kein Papst“ Interview mit Stuart Pigott

56

Ost-West-Kartengrüße 58 Gedanken zu zwei Weinofferten

KOPFSALAT

4

Weinstadt Berlin? Eine Umfrage unter Kennern

41 Die Kochbuchlady

Der Berliner Weinführer Ein Jahrbuch für Genießer

62

„Ein bissel Wein muss sein“ Herbert Beltles bester Spruch

64

Der Christ Riesling Wenn Kapital, Kompetenz und Leidenschaft zusammenkommen

66

Wein, weiniger, am weinigsten Billy Wagners gute Adressen

70


50 Weinstadt Berlin

GESCHMACKSSACHEN Fuhrmanns Früchtekorb Himbeere

74

Kleine Warenkunde Sojasauce

76

Hammers Käsebrett Munster

78

76 Sojasauce

BOUQUET GARNI Nachrichten und Neuigkeiten

81

LEBENSART Abenteuer Tirol Eine ungewöhnliche Ferienreise

87

Tour d ´Alsace Eine kulinarische Exkursion - Teil 2

97

RUBRIKEN Coledampf´s Küchenkolumne

100

Lannis Mix

102

Herzogs Zigarren

104

Gastroquiz 106 Impressum 107

87 Abenteuer Tirol

GARÇON

5


Der Höllen Ein Loblied auf den Spüler von Jörg Teuscher


job

Diese Geschichte hat eine Vorgeschichte. Die begann am 3. Mai 2002, einem Freitag, gegen 18.00 Uhr im Charlottenburger Alpenlandrestaurant Schweighofer’s. Ich arbeitete damals für das Fernsehen und kam an besagtem Freitag mit einem Kamerateam zu Dreharbeiten in das kleine Lokal. Alles war zuvor besprochen, doch Helga Schweighofer, die Wirtin, erklärte, dass Filmaufnahmen in der Küche nicht möglich seien. Begründung: Der Spüler habe sich krank gemeldet. Um nicht unverrichteter Dinge wieder abziehen zu müssen, schlug ich vor, den Job zu übernehmen. Die Küchenbrigade war einverstanden, ich bekam eine Einweisung, die Aufnahmen konnten stattfinden. Die Beschreibung meiner Tätigkeit am Spülbecken erspare ich mir. Das Ergebnis sechsstündiger Arbeit als Küchensklave jedenfalls war niederschmetternd: Hemd und T-Shirt

patschnass, die Hände aufgequollen, die Unterarme mit mehreren Brandblasen verziert. Küchen- und Souschef grinsten hämisch, ich trank eine Flasche Mineralwasser auf ex und wusste von nun an, dass die Profi-Spülerei so gar nichts mit der mehr oder weniger kontemplativen Tätigkeit in der heimischen Küche zu tun hat. Eine Pfanne, zwei Töpfe, ein paar Teller, Schüsseln, Gläser, Besteck dazu ein bisschen Brahms oder Freddy Quinn - das ist, verglichen mit dem Höllenjob in einem Á-la-carte-Restaurant, wie Rhein und Rinnsal. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Spüler in Frankreich die stolze Berufsbezeichnung „Casserolier“ oder gar „Chef-Casserolier“ trägt und in England „Steward“ oder „Chef-Steward“ heißt. Spülen im Akkord ist eine der härtesten Arbeiten in der Gastronomie. Eine, die Hochachtung verdient.


TITEL Der Hรถllenjob

Destiny Ugbesia 34 Jahre, stammt aus Nigeria, seit einem Jahr im Restaurant Reinstoff


Der Hรถllenjob TITEL

Mohammed Muntaka 30 Jahre, stammt aus Ghana, seit Sieben Jahren im Restaurant Margaux


TITEL Der Höllenjob

Üstun Altmöz

34 Jahre, stammt aus DER TÜRKEI, seit zwei Jahren im Restaurant Gabriele


Der Hรถllenjob TITEL

Mohamed Ali

37 Jahre, stammt aus ร gypten, seit Sechs Jahren im Restaurant VOX


TITEL Der Höllenjob

Zuerst: wir haben neun Gastronomen angerufen und gefragt, ob wir ihre Spüler kennenlernen könnten. Sechs stimmten zu. Von den sechs Spülern waren vier bereit, sich befragen zu lassen. Dass es uns dafür ausschließlich in Berliner Spitzenrestaurants treiben würde, war nicht geplant. Wir sind unterwegs ins Reinstoff, zu jenem Mann, der in Berlin einen gastronomischen Bilderbuchstart hingelegt hat. Kommen, kochen, Michelinstern. Selbst die kritischsten Berliner Köche sprechen mit Hochachtung von Daniel Achilles. Der einzige Schwachpunkt, frozzeln sie, sei seine Ferse. Na ja. Wir lernen Destiny Ugbesia kennen, den Nigerianer, der seit neun Jahren in Berlin lebt. Er spricht deutsch, aber da die meisten Köche englisch mit ihm reden, bleibt’s dabei. Er war zwei Jahre im first floor, „by Buchholz“, sagt er. Seit einem Jahr arbeitet er im Reinstoff. Wenn er um 16.00 Uhr seine Schicht beginnt, stapeln sich Pfannen, Töpfe, Sauteusen und andere Gerätschaften bereits meterhoch. Destiny bewältigt das Chaos locker, nach einer halben Stunde sieht er wieder Land. Knochenarbeit - gibt es das Wort im Englischen? Wir versuchen es mit „bone job“. Destiny lächelt und korrigiert: „hard graft“. Wieder dieses Lächeln. „Nein“, sagt er, „für mich ist Spülen Sport.“ Er wun-

12

GARÇON


Der Höllenjob TITEL

dert sich allerdings, dass kein Deutscher diesen Job haben will. Weshalb eigentlich nicht? Auch Küchenchef Achilles ist ratlos. Vermutungen: Es ist wie beim Spargelstechen - zu hart, zu dreckig, in der Hierarchie zu weit unten. Ich bin Spüler, wie klingt denn das? Dann lieber Hartz IV. „Es ist eine Einstellungssache“, sagt Achilles. Aber er will auch kein Risiko. „Lieber Destiny Ugbesia als irgendeinen Max Mustermann, der nach drei Tagen das Handtuch wirft.“ 1 000 bis 1 200 Euro netto verdient der Spüler im Reinstoff, dazu kommt Trinkgeld, das nach der Devise „für jeden das Gleiche“ verteilt wird. „Wenn Destiny mal nicht kommen sollte, bricht der Laden zusammen“, resümiert Achilles. Um 16.00 Uhr ist im Margaux RaschHour. Der Spüler kommt mit dem Fahrrad aus Neukölln. Rasch heißt er, flink ist er und ebenfalls ein Afrikaner. Sein richtiger Name: Mohammed Muntaka, geboren in der ghanaischen Hauptstadt Accra, seit 2003 in Berlin, seit 2004 im Margaux. Sein Deutsch ist perfekt. Den Spitznamen Rasch hat er sich selbst verpasst, nachdem es im Abendservice immer wieder hieß: „Mohammed, pots, rasch!“ „Mohammed, bowls, rasch! Vor ein paar Jahren machte ihm die Küchenbrigade dann ein Weihnachtsgeschenk: sechs blütenweiße Kochjacken mit der

GARÇON

13


TITEL Der Höllenjob

eingestickten Aufschrift „Rasch“. Die trägt Muntaka mit sichtbarem Stolz. „Er weiß, dass er gebraucht wird, und er wird tatsächlich gebraucht.“ Michael Hoffmann, der erfahrene Küchenchef, achtet seinen Mann in der Rasch-Corner. 2,50 Meter mal 2,50 Meter, ein Handspülbecken, eine Profispülmaschine und ein halbes Dutzend Spender - Fettlöser, Grill- und Spezialreiniger, Desinfektionsmittel. Hoffmann und seine Leute achten aber nicht nur Raschs Arbeit, sondern auch seine Religion. Der 30-Jährige ist Moslem, betet dreimal täglich im Umkleideraum und bekommt das „Perso“, das Personalessen, mit Respekt für seine geschmacklichen Vorlieben und kulturell bedingten Besonderheiten. Auch Rasch verdient rund 1 200 Euro netto - „ein bisschen mehr als ein Commis“, erklärt Michael Hoffmann und wird natürlich am Trinkgeld beteiligt. Wie lange er den Job noch machen will, wollen wir wissen. „Irgendwann möchte ich studieren“, erwidert Muntaka und macht sich über einen unglaublichen Berg diverser Edelstahl-Behältnisse her, die sich in seiner Ecke stapeln. „Wisst ihr eigentlich, dass Ferran Adrià mal als Spüler angefangen hat?“, mit dieser Frage empfängt uns Josef Eder im Grand Hyatt am Potsdamer Platz. Wir blättern in der Autobiografie des Küchenkünstlers - tatsächlich, 1980, Tel-

14

GARÇON


Der Höllenjob TITEL

lerwäscher im Hotel Playafels auf Ibiza. Sechs Jahre später der erste MichelinStern, vier Jahre darauf der zweite und weitere acht Jahre danach der dritte. Davon weiß Mohamed Ali, Spüler im Restaurant Vox nichts, aber den Spruch „vom Tellerwäscher zum Millionär“, den kennt er. „Ich habe es doch schon geschafft“, grinst Ali, „ich habe einen festen Job, verdiene ordentlich und bin in einem Superteam“. Seit sechs Jahren arbeitet der fröhliche Mann mit dem Boxernamen im Grand Hyatt. Einen anderen Job? Taxifahrer oder Bauhelfer? „Arbeit ist Arbeit“, sagt der Ägypter. Und eine Festanstellung in diesem Haus ist sowas wie ein Traum. Der Service bringt schmutziges Geschirr. Ali lacht, schmeißt die Spülmaschine an und singt ein arabisches Lied. „Ich mache das gerne, Good bye!“ Das gleiche Bild, die gleichen Argumente im Restaurant Gabriele. Üstun Altmöz stammt aus Balikesir, einer Stadt im Westen der Türkei. Seit zwei Jahren arbeitet er inzwischen hier und ist glücklich mit seinem Job. Rund 80 Berliner Restaurants suchen derzeit einen Spüler - flexibel und zuverlässig. Küchenchef Björn Panek: „Wir hatten im Gabriele vor kurzem auch mal einen deutschen Spüler. Der hat die Marktlücke erkannt und macht sich jetzt mit einer Spülerfirma selbstständig.“

GARÇON

15


LOKALTERMIN Bieberbau

Im Bieberbau Kochen ohne Krampf Von Anna Weber

16

GARÇON


Bieberbau LOKALTERMIN

GARÇON

17


LOKALTERMIN Bieberbau

Dank sei posthum zuerst dem Hofstukkateurmeister Richard Bieber, der die satte Pracht bürgerlichen Wohlstandes von seinen Gesellen vor über 100 Jahren fertigen ließ. Berliner Handwerkskunst der Gründerzeit, die sowohl die Bomben des Zweiten Weltkrieges als auch den Abrisswahn des Nachkrieges überlebte. Es ist 12.00 Uhr mittags. In der Bieberbau-Küche dudelt Better Days von Emerson, Lake and Palmer. Die Köche Stephan Garkisch, Maico Orso und Thomas Schümmer brauchen jedoch keinen musikalischen Ansporn, sie wirken entspannt. Kein Wunder bei diesem Arbeitsplatz. Stephan und Anne Garkisch haben im Juni die Küche umbauen lassen, ein Hochzeitsgeschenk in eigener Sache sozusagen. Kein Stein blieb auf dem anderen, kein Stück dort, wo es mal war. Lediglich die beiden Tagesspiegel-Kritiken vom August 2004 und September 2007 hängen, magnetbefestigt, wieder am Kühlschrank. „Was Matthies schreibt, spornt an.“ Typisch Garkisch. Ebenso, wie der klapprige Golf vor der Tür, den die meisten seiner Kollegen nicht mal mit dem Hintern ansehen würden. In der Küche dagegen steht ein Molteni für den Preis von zwei Autos. 15.00 Uhr. Fritz Lloyd Blomeyer kommt, gelernter Käsemacher, seit einem Jahr Händler und BieberbauLieferant. Er bringt einen milden Blauschimmelkäse aus dem Allgäu; einen Schwarzbierkäse aus der Dorfkäserei Geifertshofen; Chevre noir, den Ziegenfrischkäse aus der Eifel; Via Aurelia, 18 Monate im Felsenkeller gereift… Die Mannschaft kostet, am Abend wird eine Käseauswahl aus deutschen Käsereien auf der Karte stehen. Inzwischen sind auch Ute Blümke und Claudia Mull eingetrudelt – gemeinsam mit Anne Garkisch sind sie für den Service zuständig. Sie machen ihre Arbeit in der anheimelnden guten Stube so unprätentiös-angenehm, dass man sich manchen arroganten Kellner-Schnösel hier als Praktikanten wünschte. Im Bieberbau liegen Messer und Gabel auf einem Stein. Ein in Jahrtausenden

18

GARÇON

12.00 Uhr: Garkisch-Sohn Gustav auf Küchenbesuch

15.00 Uhr: Blomeyer kommt zur Käseprobe

18.00 Uhr: Bereit zur Küchenschlacht


Bieberbau LOKALTERMIN

rund und glatt geschliffener Granit. Stephan und Anne Garkisch haben ein paar Dutzend davon in Dänemark gesammelt, während ihrer Hochzeitsreise. Was von den meisten Gästen als netter Gag anerkannt wird, ist für die BieberbauBetreiber Teil ihres gastronomischen Konzepts. So natürlich wie nur irgend möglich – zuerst in der Küche, aber auch im Service. Die Mannschaft macht darum kein großes Gewese. Sie kocht originell ohne jeden Krampf und gesund ohne jede Biederkeit. Kaum einer in Berlin adelt Bodenständiges so wie Garkisch und sein Team und verbindet es so intelligent mit modernem Gesundheitsbewusstsein.

Oma Stüwes Landei mit Salat von neuen Kartoffeln, Flusskrebsen und Rindermark – Frikassee von Nordseekrabben und Sommergemüse – Gebratene Meeräsche mit Gartenbohnen: Gerichte, bei denen die suggestive Wirkung von Edelprodukten entfällt und dadurch das Handwerkliche besonders klar hervortritt. Auf die Frage, was Genuss für ihn bedeutet, antwortet Garkisch: „Für mich gehört unbedingt dazu, dass ich weiß, woher die Produkte stammen, die wir verarbeiten. Ich will, dass die Gäste die Geschichte hinter dem Lebensmittel schmecken können.“ Es ist 18.00 Uhr. Die ersten Bons kommen, die Küchenschlacht beginnt.

Stephan Garkisch

Maico Orso

Thomas Schümmer

Anne Garkisch

Ute Blümke

Claudia Mull

GARÇON

19


LOKALTERMIN Bieberbau

GARÇON FRAGEBOGEN Stephan Garkisch Ihr Lieblingsgericht? Königsberger Klops Ihr Lieblingsgetränk? Malzbier Ihr Lieblingsgewürz? Im Moment - Galgant Ihr Lieblingsfisch? In Berlin, der Frische wegen, Zander Ihr Küchenmotto? „Ich danke Gott für diesen Beruf!“ Wen hätten Sie gern mal als Gast? Alle - mit wenigen Ausnahmen Welches Gericht mögen Sie gar nicht? ???

BIEBERBAU Durlacher Straße 15 10715 Berlin-Wilmersdorf Tel. 030 - 853 23 90 www.bieberbau-berlin.de

20

GARÇON

In welchem Restaurant – außer Ihrem eigenen – essen Sie am liebsten? Perior in Leer/Ostfriesland Wie viele Kochbücher besitzen Sie? ca. 100


Seit über 20 Jahren Kompetenz

Nr. 1 in Berlin und den neuen Bundesländern

Import - Großhandel Spanien und Mittelmeer

- Wein - Spirituosen - Chorizo, Serrano, Manchego et al - Fisch - Meeresfrüchte - Algen, frisch und getrocknet - Iberico-Fleisch - Markenberatung - Tischkultur - Weinschulungen - Gastroberatung

Tel: 030-398982-0 Fax: 030-398982-19 Email: verkauf@andupez.de Web: www.andupez.de

Andu-Pez Lebensmittel GmbH Halle 11 A Westhafenstraße 1 13353 Berlin



Winklers LOKALTERMIN

DAS WINKLERS Endlich Innereien von Marc Steyer

Eigentlich wollten sie ja ein InnereienRestaurant aufmachen, „Winklers Igittereien“ oder so ähnlich. Gebackenes Bries, gekochte Zunge, Berliner Leber, Wiener Beuschel, Kalbsnieren in Senf-

sauce, Kutteln mit Chorizo, Milzschnitten, Hirntaschen und so weiter. Vermutlich hätten sie mit Wolfram Siebeck einen Dauer-Stammgast gehabt und sicher auch ein massenhaftes Me-

dienecho. Aber Gäste? „Von Siebeck und ein paar Zeitungsartikeln könnt Ihr nicht leben“, warnten Freunde. Es ist nun mal so: „Berliner finden Innereien zum Kotzen.“

GARÇON

23


LOKALTERMIN Winklers

Schade, sagten sich Henri Winkler und Kerstin Stejuhn-Pfeiffer, packten ihr Konzept wieder in die Schublade, gaben ihrem kleinen Restaurant den Namen „Winklers“ ohne Beifügung und setzten auf das, was es in Berlin auch nicht an jeder Ecke gibt – eine bodenständige Regionalküche. Haute Hausmannskost. Die liest sich dann zum Beispiel so: Kotelett vom Saalower Kräuterschwein mit frischem Kraut- und lauwarmem Kartoffelsalat. Oder: Entrecôte vom Pommer-

24

GARÇON

schen Rind mit Pfannenkartoffeln und Rosmarinbutter. Oder: Ostseematjes mit Bratkartoffeln und Zwiebeln. Und wer mal Appetit auf einen Sauerbraten hat, der den Namen wirklich verdient, hier wird er selig. Auch die Innereien sind trotz der Warnung von Winklers Freunden nicht von der Speisenkarte verbannt. Es gibt Salonbeuschel, gebackenen Kalbskopf und gebratene Blutwurst, eine aus Frankreich, die Berliner Kreationen

sind dem Küchenchef zu kardamomig. Winkler verzichtet auf preistreibende Luxusprodukte, kocht mit dem gewissen Etwas und bietet eine erfrischende Klarheit, bei der nichts zur Nebensächlichkeit verkommt. Die Entenbrust-Jakobsmuschel-Langeweile, die für drei von vier Restaurants der Gegend typisch ist, kommt bei ihm gar nicht erst auf. An einem der beiden riesigen Weinfässer, die als Terrassentische dienen,


Winklers LOKALTERMIN

hockt ein stadtbekannter Gastronom und brüllt ins Mobiltelefon: „Ich sitze hier in einer komischen Gegend und esse sensationell.“ Eine gute halbe Stunde später hat sich zu ihm ein stadtbekannter Sternekoch gesellt, der die Adjektive bestätigt. Das Winklers befindet sich in der Leibnitzstraße zwischen Nestor- und Kantstraße. Gegenüber das Meta-Bürohaus, ein ehemaliges Umspannwerk der BEWAG, links oben die Bahnstrecke, es gibt schönere Ecken in Charlottenburg. Das wissen auch die beiden Gastronomen, die aus der Hansestadt Stralsund nach Berlin kamen, um sich hier eine

neue Existenz aufzubauen. Das Angebot passte, ein kleiner Laden, bezahlbar, den sie zu zweit stemmen können. Das Konzept klingt denkbar einfach: Henri Winkler bemüht sich in der Küche um einen persönlichen Stil und vernünftige Preise für seine Gerichte, Kerstin Stejuhn-Pfeiffer um eine freundliche Bedienung. „Kein Angeberrestaurant, sondern ein Wohlfühlort“, sagt Winkler. Seit der 48-jährige Koch und seine Partnerin im Beruf wie im Leben im Februar 2010 das Winklers eröffneten, geht es stetig bergauf. Erste Stammgäste, Mund-zu-MundPropaganda, wer einmal hier war, kommt

wieder. Wie die beiden Spitzenköche, deren Urteil das Inhaber-Paar natürlich ungemein stolz macht. Kennengelernt haben sich Henri Winkler und Kerstin Stejuhn-Pfeiffer übrigens schon 1983 – in einem überfüllten D-Zug der Deutschen Reichsbahn Richtung Ostsee. Er war damals 21 und Jungkoch auf der Insel Usedom. Sie, knapp 17, lernte im heimatlichen Torgelow Verkäuferin. Dem ersten Kuss im Zug folgten viele Briefe, dann allerdings war irgendwann Funkstille. 2006 trafen sich die beiden erneut, zufällig. Doch das ist schon wieder eine andere Geschichte, auch eine, die das Leben schrieb.

WINKLERS Leibnitzstraße 41 10629 Berlin-Charlottenburg Tel. 030 - 97 86 35 37 www.winklers-berlin.eu

GARÇON

25


Design: inovades.de • Bildquelle: fotolia.de

p0

dica

Han


Le Pistou LOKALTERMIN

Le Pistou BONJOUR CHARLOTTENBURG VON Susanna Kraus

Pistou – der Name ist gut gewählt. Er lässt sich leicht merken, noch leichter aussprechen und vermittelt, selbst, wenn man nicht weiß, was er bedeutet, französisches Flair. Das allerdings waren wohl kaum die Gründe, weshalb Claude Massel sein neues Restaurant in der Charlottenburger Seelingstraße so nannte. Es ist wohl eher Massels Heimatverbundenheit, die bei der Namensfindung die Gedanken führte. Pistou steht für die Provence wie Lavendelfelder, Kastanienwälder, Anisschnaps aus Forcalquier oder Ziegenkäse aus Banon. Basilikum und Knoblauch werden mit Olivenöl im Mörser gemischt, zerstampft und gesalzen. Die so entstandene Würzpaste – le pistou – kommt zu Fisch oder Fleisch und gehört zur soupe au pistou, einer herzhaften provenzalischen Gemüsesuppe, wie das Wasser zum Pastis. Für Massel ist sie ein Hauch Heimat in Berlin. Der Franzose, Jahrgang 1962, stammt aus Villars, einem winzigen Dorf im Departement Vaucluse, rund 80 Kilometer nördlich von Marseille. Seine Eltern, Jean und Albertine Massel, bauen Wein, Obst und Gemüse an. Schwester Sylvie arbeitet als Informatiklehrerin, der jüngere Bruder Jean-Marie als Kriminalkommissar. Massels älterer Bruder Alain betreibt in Villars mit der Auberge du Villarsois einen jener provenzalischen Landgasthöfe, die mit unverfälschter Regionalküche punkten. Für Claude Massel, der nach Kochlehre und Hotelfachschule an die Spree kam und es hier bis zum Küchenchef in der Paris Bar brachte, ein gutes Vorbild. 1993 machte er sich mit seiner damaligen Partnerin in der Charlottenburger Fredericiastraße mit dem Le Provencal und einer ambitionierten Mittelmeerküche selbstständig. Es folgten der Umzug ins Nikolaiviertel, der Kampf gegen die dort vorherrschende Touri-Abfütterung, die Trennung von seiner Partnerin - wobei letzteres mit dem anderen wohl nichts zu tun hat.

GARÇON

27


LOKALTERMIN Le Pistou

Nun in Charlottenburg – neue Liebe, neues Glück. Gemeinsam mit Kathrin Jehnich eröffnete Claude Massel Anfang Juni das Le Pistou – nach Berliner Maßstäben ein Restaurant, in Wirklichkeit jedoch ein klassisches Bistro. Bis auf eine von Regina Hickl großflächig mit Provence-Motiven bemalte Säule und einigen Bildern der Künstlerin kommt das Le Pistou völlig schmucklos daher. Keine Südfrankreich-Staubfänger, keine Plastik-Palmen, Gott sei Dank. Aber auch keine Tischdecken. Das dürfte einige Restauranttester, falls sie denn den Weg in die Seelingstraße finden, sicher zu abfälligen Be-

28

GARÇON

merkungen veranlassen. Motto: Berlin gehört weiß gedeckt. Punktum! Auch die Speisenkarte betont den Bistro-Charakter. Fischsuppe mit Rouille, Croutons und Käse; Entenbrust mit Cassissauce, Kartoffelgratin und Saisongemüse; Schwertfischfilet, Pilaw-Reis und Estragonsauce oder Lavendeleis im Teigschälchen sind solide zubereitet und schnörkellos angerichtet. Vernünftige Portionen zu vernünftigen Preisen – genau das, was man von einem Bistro erwartet. Ein besonderer Leckerbissen ist die in Salz und Kräutern gebeizte Gänsekeule mit Bratkartoffeln. Ausgezeichnet versteht sich Massel


Le Pistou LOKALTERMIN

auch auf diverse Desserts. Tarte aux pommes und Tarte aux abricots et à la lavande beispielsweise – Apfeltarte und Aprikosen-Lavendel-Tarte – sind keine zuckerstrotzenden Matschkuchen, sondern wohlschmeckende Nachspeisen. Noch eins drauf setzt das Melonensorbet mit Pfirsichwein.

Dazu servieren Restaurantleiter Gök Gültekin und sein Team Weine aus dem Süden Frankreichs, deren Qualität einfach Spaß macht. Überhaupt der Service: Gültekin, 33, Berliner mit türkischen Wurzeln, Ausbildung im Opernpalais, Stationen in verschiedenen Berliner Spitzenrestaurants

empfiehlt, erklärt und strahlt: „Bonsoir – je vous en prie de rien, il n`y a pas de quoi – merci infiniment de votre visite.“ Ein bisschen Französisch muss schon sein. Bleibt noch die Bouillabaisse. Leider gibt es die provenzalische Fischsuppe nur zum Nationalfeiertag. Vielleicht lässt sich das noch ändern?

LE PISTOU Seelingstraße 34/36 14059 Berlin-Charlottenburg Tel. 030 - 32 89 88 72 www.lepistou.de

GARÇON

29


LOKALTERMIN Wo Berliner Köche essen

WISSEN, WAS Wo Berliner Köche am liebsten essen von Jörg Teuscher

Sonntagmittag in Seeburg. Vor neun Jahren hat Josef Eder, Küchendirektor des Grand Hyatt am Potsdamer Platz, hier, westlich der Berliner Stadtgrenze, ein Eigenheim gebaut. Seit neun Jahren gibt es im Hause Eder auch ein wiederkehrendes Ritual. Immer sonntags - außer, Eder ist für die HyattCompany irgendwo auf der Welt unterwegs. „Bitte zu Tisch“, ruft Colleen Eder, die gebürtige Südafrikanerin aus Durban, auf deutsch und englisch.

Sohn Jeremy und die Töchter Carolyn und Jade nehmen am Familien-Esstisch Platz. Eder gießt für seine Frau und sich südafrikanischen Rotwein in die Gläser, die Kinder trinken Zitronenlimonade. Dazu gibt es Brandenburger Hähnchen aus dem Römertopf und Gespräche über Arbeit, Schule, Gott und die Welt. Familienidylle pur. „Ich brauche das, wenigstens einmal in der Woche“, sagt Josef Eder, der vielbeschäftigte Küchen-Manager.


GUT IST

Ein Wiener Schnitzel beispielsweise, das österreichischen Hausfrauen die Freudentränen in die Augen treibt? Oder Königsberger Klopse, die deutsche Großmütter zu Jubelstürmen hinreißen? Rehrücken, der Wolfram Siebeck und Tafelspitz, der Eckart Witzigmann zufrieden stellen würde? Restaurants, in denen die Dummheiten wild gewordener Kreativer ebenso tabu sind wie die Schlampereien nachlässiger Routiniers? Gute Küche, die noch den Hauch eines Geheimtipps hat - wo gibt es das in Berlin? Wer wäre besser geeignet, diese Frage zu beantworten als die hauptstädtischen Herdexperten, sagten wir uns – also dann, ein Blick ins Buch und zwei ins Leben… Das Buch heißt „Berlin – wo Köche essen gehen“. Wer darin nun ein paar gute gastronomische Tipps vermutet, wird bitter enttäuscht. Der Band serviert auf 80 Seiten lediglich das, was jeder x-beliebige Restaurantführer auch vorsetzt: 134 Restaurants, darunter etliche, in denen – da gehen wir jede Wette ein – noch nie ein Berliner Koch essen war. Fehlanzeige also. Bleibt das Leben – und das heißt, auf den Weg machen und nachfragen: Wo also gehen Berliner Köche wirklich essen? Josef Eder, Jahrgang 1965, Küchendirektor im Berliner Grand Hyatt und außerdem zuständig für die kulinarischen Geschicke von 4 weiteren Hyatt-Hotels in Europa, überlegt lange. Viel Zeit habe er ja nicht, sagt er. Nach einer erneuten Denkpause zählt er auf: Aigner (Französische Straße 25), Hugos (Budapester Straße 2), VAU (Jägerstraße 54-55), Rôtisserie Weingrün (Gertraudenstraße 10-12). Natürlich, keine besonderen Tipps, alles Restaurants aus der ersten Berliner Liga. Dann fällt ihm noch das Ristorante Arcino´s in Tegel (Berliner Straße 98) ein, wegen der exzellenten Pizza und weil es so kinderfreundlich ist. „Am liebsten aber esse ich bei meiner Frau“, bekennt Josef Eder schließlich, „immer sonntags, häufig in Familie und meist Hähnchen aus dem Römertopf.“

GARÇON

31


LOKALTERMIN Wo Berliner Köche essen

Jens Wegner, Inhaber und Küchenchef des Restaurants Wegner

32

GARÇON

Auch bei Berlins jüngstem Sternekoch, dem 34-jährigen Daniel Achilles, dessen Restaurant Reinstoff in den versteckten Edison-Höfen ein wirklicher Gewinn für die Stadt ist und der neben Michael Hoffmann vom Margaux, Michael Kempf vom Facil und Marco Müller vom Rutz zu den ernsthaften Berliner Zwei-Sterne-Kandidaten zählt, gibt es ein kulinarisches Familienritual für die freien Tage. Am Sonntag geht’s ins Kuchi (Gipsstraße 3), einen Klassiker fernöstlicher Küche, am Montag kocht Achilles Partnerin Sabine Demel zu Hause. Sternekoch Marco Müller aus der Rutz-Wein-Bar gehört ebenfalls zur AsiaFraktion, obwohl es dort seine Lieblingsgerichte – Blutwurst und Rouladen – natürlich nicht gibt. Müllers Favorit ist das thailändische Szenelokal Mutter (Hohenstaufenstraße 4). Hier gehen süffige Drinks über den Tresen, das größte Frühstück heißt „Mutter aller Schlachten“ und die Zitronengrassuppe mit Garnelen schmeckt wie aus einer Garküche in Chiang Rai. Eine weitere gute Adresse, bei der Müller regelmäßig Rast macht, ist der Bieberbau (Durlacher Straße 15), weil dort „so schön klar und geschmacksintensiv gekocht wird“. Die gleiche Begründung liefert Rolf Schmidt, Küchendirektor in Josef Laggners Gastro-Imperium, für die Restaurants Lochner (Lützowplatz 5) und e.t.a. hoffmann (Yorckstraße 83), in denen er Stammgast ist. Der frühere Sternekoch gilt als ausgewiesener Kenner der kulinarischen Szene Berlins. Er sagt: „Wer klare Linien und eindeutige Aromen schätzt, kommt an diesen beiden Läden nicht vorbei.“ Ähnlich erklärt auch Balthazar-Inhaber Holger Zurbrüggen seine Vorliebe für das Restaurant Wegner (Dahlmannstraße 22). Der 44-jährige Berliner Jens Wegner, in früheren Jahren Sous Chef bei Rolf Schmidt im first floor und bei Kurt Jäger auf Schloß Hubertushöhe, kocht hier seit zwei Jahren dermaßen gut, dass er es auf Anhieb in den Gault Millau schaffte – 14 Punkte und ein Lob, das schwer wiegt: „Wegner ist ein Küchenchef, der auf Schnörkel und Tricks


Wo Berliner Köche essen LOKALTERMIN

Pasquale Ciccarelli, Inhaber und Küchenchef der Bar Centrale

verzichten kann und seine klassischmediterranen Gerichte präzise auf den Punkt bringt.“ Die Antwort Herbert Beltles, des Berliner Gastro-Gurus (Altes Zollhaus, Aigner, Weingrün), kommt wie aus der Pistole geschossen: „Mein Lieblingsrestaurant ist die Bar Centrale in Kreuzberg.“ (Yorckstraße 82) Auch Sonja und Peter Frühsammer (Frühsammers Restaurant) sitzen gern bei Pasquale Ciccarelli und seiner Frau Donatella. Begründung: „Weil die Bar Centrale eben nicht einer jener O-solemio-Schuppen ist, in denen nachlässig gekocht, dafür aber arrogant serviert wird.“ Christian Lohse, Küchenchef im Fischers Fritz, kehrt gern mal bei Hermann ein. Der heißt in PersonalausweisVollständigkeit Hubert Hermann Meier und arbeitete jahrelang in der Vertriebszentrale für die Autos mit dem Stern am Potsdamer Platz. Vor vier Jahren kündigte er seinen Manager-Job und eröffnete im gutbürgerlichen Wilmersdorf gemein-

GARÇON

33


LOKALTERMIN Wo Berliner Köche essen

sam mit Andreas Geiger, einem Koch aus dem Ländle, Hermanns Einkehr (Emser Straße 24). Lohse liebt die Gemütlichkeit des schwäbischen Gasthauses, Geigers riesige Maultaschen und das naturtrübe Zwickelbier aus dem (allerdings bayerischen) Hofbräuhaus Traunstein. Wer auf Autogrammjagd ist und den Zwei-Sterne-Koch nicht dort antrifft, hat noch eine zweite Chance: das Hot Spot (Eisenzahnstraße 66). Lohse wohnt in der Nähe und steht auf die authentische Sichuan-Küche von Mme. Wang und Mr. Wu und natürlich auf deren Arsenal erstklassiger deutscher Weine.

Italienisch lieben es Thomas Kammeier und Kolja Kleeberg. Der HugosKüchenchef ist ein Fan der Trattoria Paparazzi (Husemannstraße 35) und der Cucina italiana von Doris Burneleit, die einst als Wirtin des einzigen italienischen Restaurants Ostberlins berühmt wurde. Nun, in Prenzlauer Berg, sind es wieder die hausgemachten Malfatti – SpinatRicotta-Röllchen - und andere ItaloSpezialitäten, mit denen die Burneleit Furore macht. Kolja Kleeberg schließlich ist Stammgast im Stella Alpina (Suarezstraße 4),

Doris Burneleit, Inhaberin und Küchenchefin der Trattoria Paparazzi

34

GARÇON

einem Charlottenburger Kiez-Italiener, der zwar in keinem Gastro-Guide steht, dennoch aber dem ungebrochenen Trend folgt, dass nur aus guten Zutaten gute Gerichte werden können. Fazit: Berlins Küchenchefs – und das gilt sicher nicht nur für die zehn von uns befragten - schätzen, wenn sie privat essen gehen, das, was auch uns Küchenamateuren Freude macht: eine legere Atmosphäre, moderate Preise und Gerichte, die sorgfältig zubereitet sind und fröhlich serviert werden. In Frankreich gibt’s dafür ein schönes Wort: formidable.


BENZO = BERLIN + ENZO SPEZIALITÄTEN ALL´ ITALIANA Seit 1979 Ihr Importeur für italienische Qualitätsprodukte Weine, Grappa, Lebensmittel & mehr Groß- und Einzelhandel Frischetheke Mittwoch bis Samstag Besuchen Sie uns. Wir laden Sie gern auf einen Espresso ein. Bestellen Sie einfach und bequem in unserem Onlineshop. Wir liefern schnell und zuverlässig.

Benzo | Montanstraße 25 | 13407 Berlin-Reinickendorf | Tel. 030 – 414 50 11/12 | www.benzo-berlin.de Öffnungszeiten: Mo - Fr 9.00 - 16.30 Uhr, Sa 9.00 - 15.00 Uhr


KOPFSALAT Thomas Dohnow

DER SELFMADE

THOMAS DOHNOWS WEG AN DIE SPITZE EINES FÜHRENDEN GETRÄNKEGROSSHANDELS VON MARC STEYER

„Ich bin ein Stino“, sagt Thomas Dohnow zu Beginn unseres ersten Gesprächs. „Wissen Sie, was ein Stino ist?“ Die Antwort liefert er gleich selbst: „Ein stinknormaler Mensch.“ Wenn Dohnow damit meint, dass er einen ordentlichen Beruf ausübt, ein geregeltes Familienleben führt, ein Haus gebaut, einen Baum gepflanzt und Kinder gezeugt hat, dann mag er möglicherweise richtig liegen. Alles andere in seinem Leben allerdings ist das ganze Gegenteil von stinknormal. Thomas Dohnows Karriere klingt eher nach amerikanischem Traum. 1961 in Waren/Müritz geboren, Schule, Aus-

36

GARÇON

bildung, Arbeit als Technik-Direktor in einem milchverarbeitenden Betrieb seiner Heimatstadt. Wäre die Wende nicht gekommen, würde er wahrscheinlich heute noch Ersatzteile organisieren und improvisieren, wenn es wieder mal keine gibt. Dohnow, der Mann für alle Fälle, besonders für die aussichtslosen. Doch die Wende kam – und seine fachlichen Fähigkeiten und charakterlichen Eigenschaften waren in der Überflussgesellschaft genauso gefragt wie im DDR-Mangelstaat. Der volkseigene Betrieb, in dem er tätig war, wurde privatisiert. Thomas

Dohnow managte fortan den Einkauf, wurde dann Verkaufsleiter. Zur Milch kamen weitere Getränke, alkoholische und alkoholfreie. Er baute einen effektiven Vertrieb auf, avancierte schließlich zum Geschäftsführer. „Erfolg braucht Leidenschaft“, kommentiert er heute seine damaligen 16-Stunden-Arbeitstage. Und sicher auch jene Ur-Mecklenburger Eigenschaften wie Gelassenheit, Geradlinigkeit und Zuverlässigkeit, gemischt mit einem Schuss Sturheit. „Die einfachen Aufgaben kann jeder erledigen“, sagt Dohnow und fügt mit einem Abstecher ins Philosophische hinzu:


Thomas Dohnow KOPFSALAT

MAN

„Nur das Nachhaltige glänzt lange.“ Dass Dohnow den Wechsel vom Technik- zum Vertriebs-Profi ohne das sonst übliche Managertraining – Ziel: Entwicklung von Hau-Ruck-Optimismus – problemlos meisterte, mag auch mit einer anderen Leidenschaft des Managers zu tun haben. Thomas Dohnow ist Schachspieler, seit seiner Kindheit. Wenn er mit Kollegen aus seiner Branche gelegentlich darüber plaudert und ein mitleidiges Lächeln erntet – „Was, Sie sind kein Golfer?“ – zitiert er gern mal Arthur Schopenhauer: „Das Schachspiel überragt alle anderen Spiele so weit wie der Chimborasso ei-

nen Misthaufen.“ Tatsächlich ist Schach sowohl Spiel als auch Sport, gleichzusetzen mit den körperlichen und geistigen Anstrengungen etwa eines Dressurreiters. Wenn Dohnow dann noch die Geschichte des indischen Weisen erzählt, der sich von seinem König als Lohn dafür, dass er ihn das Schachspielen lehrte, Weizenkörner erbat – eins auf dem ersten Feld des Schachbrettes und auf jedem weiteren die doppelte Anzahl der auf dem vorherigen Feld liegenden Körner – wird der Wert des Spieles etwa für die Schulung von strategischen Fähigkeiten deutlich. (Sie können es auch

nachrechnen: der weise Lehrer hätte 18 Trillionen, 446 Billiarden, 744 Billionen, 73 Milliarden, 709 Millionen, 551 Tausend und 615 Körner bekommen – genug, um etwa ganz England mit einer zwölf Meter dicken Schicht Weizen zu bedecken.) So weit, so gut. Dohnows Fähigkeit, Unternehmen zu führen, sprach sich herum, ebenso seine Marktkenntnis in der Getränkebranche. Kein Wunder also, dass bald ein Angebot aus Berlin auf seinem Schreibtisch lag. Der damals 31-Jährige beriet sich mit seiner Familie. Gemeinsam fällten sie die Entscheidung für die Hauptstadt. 1992 übernahm Thomas Dohnow die

GARÇON

37


KOPFSALAT Thomas Dohnow

Carsten Anders, Verkaufsleiter

Geschäftsführer mit Sekretärin: Birgit Hanke, li. und Thomas Dohnow

Hans-Martin Schwarz, Key Account Manager

Andreas Schulze, Verkaufsleiter

Claus Niebuhr, Sommelier

Geschäftsführung des 1902 gegründeten Traditionsunternehmens Bierpark Münchhagen. Seine Frau und die beiden Kinder blieben in Mecklenburg. Dohnow pendelte. Mindestens einmal in der Woche Berlin – Waren und zurück, rund 350 Kilometer immerhin. „Kein Problem“, sagt er, „die Stadt an der Müritz ist meine Heimatscholle, hier bin ich aufgewachsen, hier fühle ich mich zu Hause.“ Dazu kommt wohl auch die Erkenntnis des Managers, dass man berufliche Ziele nie über die Dinge stellen sollte, die daneben auch noch wichtig sind. „Wenn man das verstanden hat, kann man selbst den schwierigsten Job meistern.“ 2008 begann für Thomas

38

GARÇON

Dohnow wieder eine neue Lebensphase. Ein Jahr nach der Fusion der Bierpark Münchhagen GmbH mit der Fritz Preuss Bier-Import GmbH unter dem Dach der Radeberger Gruppe zu einem der größten Getränkefachgroßhändler Deutschlands wurde er zum Geschäftsführer des neuen Unternehmens berufen. Zahlen belegen die Dimensionen: 120 Mitarbeiter, 5000 Produkte – „alles, was man trinken kann“, 2000 Kunden in Berlin und Brandenburg – von den Nobelhotels Adlon, Grand Hyatt und Palace über Bars, Bistros und Cafés bis zu Ausflugslokalen, Biergärten und Eckkneipen. Dabei ist die Getränke Preuss Münchhagen GmbH, so der neue Firmenname,

weit mehr als nur ein Lieferant von Bier, Brause und Co. „Wir entwickeln gemeinsam mit unseren Kunden zukunftsfähige Konzepte, informieren über Trends und beraten bis ins Detail. Wir helfen auch in Fragen der Finanzierung, gleich, ob es sich um ein neues Ausschanksystem, eine Leuchtwerbung oder eine komplette Restauranteinrichtung handelt“, erläutert Dohnow das Leistungsspektrum des Unternehmens. Neben dem Schreibtisch im Geschäftsführer-Büro an der Weißenseer Indira-Gandhi-Straße hängt ein gerahmter Spruch: Mein Gehalt zahlt der zufriedene Kunde. „Zufriedenheit“, sagt der Geschäftsführer, „ist kein ewiger


Thomas Dohnow KOPFSALAT

Müritz mon amour: Thomas Dohnow und Jens-Peter Schaffran, re.

Zustand, sondern muss täglich bestätigt werden.“ Dafür hat Dohnow zwei Personalentscheidungen getroffen, die er „von Tragweite“ nennt. So will er dem wachsenden Weinmarkt in der Hauptstadt mit mehr Kompetenz Rechnung tragen. Claus Niebuhr, ein anerkannter Weinexperte, hat die Aufgabe dieser Tage übernommen. Außerdem wird ein Trend-Scout das Preuss-Münchhagen-Team verstärken. „Am besten ein junger Mann oder eine junge Frau, die in der Berliner Szenegastronomie recherchieren sollen, welche Getränke dort angesagt sind.“ Ein Samstag Ende August. Der Himmel ist bedeckt, dann und wann Nieselregen.

Wir begleiten Thomas Dohnow nach Waren an das Nordufer der Müritz. Während der Fahrt sprechen wir über den Berliner Getränkemarkt, über den Wettbewerb der fünf Branchenriesen, über Kundenerwartungen und Händlerchancen. „Heute beißen sie“, sagt Dohnow plötzlich trocken. „Wer beißt?“ „Die Barsche.“ Am Hafen trifft er sich mit seinem Freund Jens-Peter Schaffran, dem Chef der Müritzfischer, auf ein Bier. Die Männer sind sich einig: „Hier hast du eine ganz andere Normalität, hier herrscht ein völlig anderes Tempo. Hier kannst du Kraft tanken.“

GARÇON

39



Brit Lippold KOPFSALAT

BRITS BÜCHER LIEBESERKLÄRUNG AN EINE KOCHBUCHHÄNDLERIN VON JÖRG TEUSCHER

Es gibt so‘ne und solche: Eine Berliner Binsenweisheit. Brit Lippold handelt mit Kochbüchern und gehört zur zweiten Kategorie. In ihrer Branche sind das die, die zuhören können und deren Arsenal an flotten Sprüchen eher bescheiden ausfällt. Keiner fragt, wir antworten trotzdem das Motto umsatzgeiler Verkäufer ist ihr ein Graus. Bescheiden fragt sie nach den Wünschen ihrer Kunden, sachkundig gibt sie Auskunft. Beides, die zurückhaltende Art und die außerordentliche Kompetenz machen Berlins einzige Kochbuchhändlerin zur gefragten Ansprechpartnerin kulinarisch Interessierter. Kennengelernt habe ich Brit Lippold Mitte September 2001. Damals gab es noch den SFB (für Zugezogene: das war der Sender Freies Berlin, gegründet 1953, aufgelöst 2003) und jeden Montagabend das TV-Magazin „Wochenmarkt“, für das ich als Reporter tätig war. Wöchentlich berichteten wir über kleine und große Geschichten, die sich in der Hauptstadt zutrugen. Besonders spannend waren Existenzgründerporträts - Storys über Menschen also, die das Abenteuer Selbstständigkeit wagten. Die meisten brachten viel Mut und wenig Geld in ihr neues Geschäft mit, dafür aber den unbändigen Willen, es allen zu zeigen. Ich weiß nicht, was beispielsweise aus den Bio-Händlerinnen Anja Rosenow und Astrid Schierloh, aus Steffi Lehmanns Schrippendienst, dem Gartenbaubetrieb Kaliebe und Mensch oder aus dem Gründerchampion Jens Hanke geworden ist. Anders bei Brit Lippold. Seit meinem Film über die Kochbuchhändlerin, der am ersten Oktobermontag 2001 ausgestrahlt wurde, bin ich Kunde ihrer kulinarischen Buchhandlung in der Alten Schönhauser Straße, nahe des Hackeschen Marktes. Brit Lippold informierte regelmäßig über Neuerscheinungen, lud zu Lesungen, wir sprachen über den Sinn und Unsinn des gefühlten 499. Buches zum Thema Gewürze, über die Macht der Weltfirma Ramsch und Partner auf dem Kochbuchmarkt und - dafür bin ich ihr

GARÇON

41


KOPFSALAT Brit Lippold

besonders dankbar - sie organisierte für mich ein Exemplar der ersten Auflage meines Lieblingskochbuches - Alfred Walterspiels „Meine Kunst in Küche und Restaurant“, sogar mit einem Autogramm des Autors. Brit Lippold, Jahrgang 1961, ist Berlinerin. Man hört es aber nicht. Ihre Eltern, die Mutter Französischlehrerin, der Vater Sportlehrer, legten Wert darauf, dass die Tochter hochdeutsch spricht. „Ick“, „dit“, „wat“ oder gar das Berliner Plusquamperfekt „war jewesen“ fanden in ihrem Elternhaus nicht statt. Abitur und der Wunsch, in Leipzig Gastronomie zu studieren. Immatrikulation an der Handelshochschule, aber für die Fachrichtung Binnenhandel. Studienabbruch nach einem Semester. Die Freude fehlte. Brit Lippold arbeitete zwei Jahre als Jugendklubleiterin und ergatterte schließlich einen Studienplatz an der Humboldt-Universität, Fachrichtung Kulturwissenschaften. Diplom im Herbst 1989. Ein halbes Jahr später unterschrieb sie einen Arbeitsvertrag, zog in eine Dachkammer im Roten Rathaus und nannte sich fortan Sachbearbeiterin Arbeitsmarktpolitik für Frauen. Bis 1999 blieb sie im öffentlichen Dienst. Dann der Start in die Selbstständigkeit. In London hatte sie Books for Cooks entdeckt, den 1983 gegründeten Kochbuchladen um die Ecke von Portobello Market. Keine Frage, das war ihre Welt. Brit Lippold absolvierte einen Buchhandels-Crashkurs, investierte ihre Abfindung und eröffnete 2001 „Kochlust - die kulinarische Buchhandlung und Kochschule“. Der Start glich dem einer Rakete, vor allem dank Jamie Oliver. Mit dem charismatischen Engländer - oft kopiert und nie erreicht - eroberte der Pop die Küche. Kochen für Freunde galt bei jungen Leuten plötzlich als „in“. Dementsprechend verkauften sich seine Bücher und nicht nur die. Sechs Jahre später schreibt Brit Lippold für den Kulinarischen Report des

42

GARÇON

London: Books for Cooks

Berlin: Kochlust - Die kulinarische Buchhandlung & Kochschule

Antiquarische Kostbarkeit: Johann Willsbergers „Gourmet-Magazin“


Brit Lippold KOPFSALAT

Deutschen Buchhandels schon mit einem Anflug von Resignation: „Ich würde behaupten, der Boom ist vorüber, auch wenn nach wie vor jeder Fernsehsender seine Kochsendung hat. Unsere Umsätze sprechen eine andere Sprache. Die Zahlen sind nicht weiter gestiegen, sondern sie stagnieren, ja gehen teilweise sogar zurück. An einem sonnigen Augustdonnerstag sind wir wieder mal verabredet. Um 12 Uhr mittags, da öffnet Brit Lippold die Kochlust. Zweieinhalb Stunden später hat sie drei Postkarten verkauft, dann kommen noch acht Kochbücher hinzu zweimal Sarah Wiener, einmal Jamie Oliver plus Original schwäbisch, Backen mit Leila und Satt durch alle Semester. Nicht viel für sieben Stunden. Ist es die Wirtschaftskrise, die Tatsache, dass viele inzwischen lieber googeln als blättern oder der Fakt, dass heute jeder Discounter in Kassennähe einen Berg kulinarischen Sondermülls gestapelt hat, Rezepthefte, bunt und billig? Irgendwo habe ich gelesen, Kochbücher seien was für Romantiker. Wenn das stimmt, erklärt sich das Phänomen der sinkenden Nachfrage schnell. Romantiker werden eben in einer pragmatischen Zeit immer seltener. Und so subventioniert Brit Lippolds Kochschule inzwischen die Buchhandlung. Ortswechsel, der Berliner Südosten. Müggelsee, Flakensee, Dämeritzsee. Friedrichshagen, Wilhelmshagen, Hessenwinkel, Rahnsdorf. Hier wohnt Brit Lippold, geschieden, mit ihrem neuen Partner. Ihre zwei Kinder sind erwachsen - Judith, 25, arbeitet als Tontechnikerin, der 22-jährige Ludwig ist Fußballprofi und studiert Sportmanagement. Kleines Haus am Wald. Vier Zimmer und eine kuschelige Küche, in der ein alter Küchenschrank den Blick fängt. Wie viele Kochbücher braucht der Mensch? Brit Lippold hat 120 Bände in einem Regal verstaut. Mehr Platz bietet die Küche nicht. In ihrem Laden in der Alten Schönhauser Straße stehen rund 2500 verschiedene Titel. Ihre Mutter, die pensionierte

Am heimischen Herd: Brit Lippold mit ihrer Mutter Regina Böhm

Brit Lippold im November 1989: „Freiheit heisst für mich Artischocke!“

GARÇON

43


KOPFSALAT Brit Lippold

Französischlehrerin, ist zum gemeinsamen Kochen gekommen. Es gibt Artischocken, für Brit Lippold ein besonderes Gericht, eins mit Geschichte. Die hat mit dem Mangel in der DDR zu tun, in deren Gemüseläden die Artischocke genauso selten war wie Räucheraal im Fischgeschäft. Also bat ihre Mutter, wenn mal Freunde aus Frankreich die Familie besuchten, um l’artichaut. Die Distelpflanze stand jedoch nicht auf der Einfuhrliste der DDR-Zöllner und so blieb es bei den Begehrlichkeiten bis die Mauer fiel. „Was bedeutet Freiheit für Sie?“, fragte ein Reporter Ende 1989 Brit Lippold. Deren Antwort muss den ARD-Mann total verblüfft haben, denn sie lautete kurz und bündig: „Artischocke!“ Kein Wunder, dass die Pflanze später Briefpapier und Visitenkarten ihrer Kochlust-Buchhandlung und der Kochschule zierte. Die Artischocke als Markenzeichen. Das wird auch so bleiben, wenn Brit Lippold im kommenden Jahr die Kisten packt. Ihr Mietvertrag in Mitte läuft aus, die neue Miete für ihren kleinen Laden wird sich vervielfachen. Genügend Interessenten sind längst auf dem Sprung. Bekannte Modedesigner zahlen sowas aus der Portokasse. Deshalb zieht die Kochlust nach Kreuzberg. Im ehemaligen Bechsteinund jetzigen Aufbau-Haus wird Brit Lippold gemeinsam mit dem Haushaltswarenhändler Andreas Langholz, dem Gastronomen Volker Rüger und dem Ex-Süßwaren-Manager Wolfgang Schuhmacher Anfang April 2011 eine KulinarikManufaktur eröffnen. Kochbücher, Küchenwerkzeuge, Backwaren, Feinkost, Wein, ein Bistro und eine Kochschule auf rund 400 Quadratmetern. Mit im Boot sind auch die Essbaren Landschaften aus Mecklenburg-Vorpommern - deren Mitgründer Ralf Hiener als Küchenchef in der Kulinarik-Manufaktur am Kreuzberger Moritzplatz angeheuert hat. Gut für Brit Lippold und für die Berliner Feinschmeckergemeinde.

44

GARÇON


CHAMPAGNE LANSON DER GROSSE CHAMPAGNER FÜR GROSSE MOMENTE

Aufbau-Haus am Moritzplatz: Neues Domizil für die Kochlust


KOPFSALAT Torstraßenpioniere

46

GARÇON


Torstraßenpioniere KOPFSALAT

DIE TORSTRASSENPIONIERE Anmerkungen zu einer Restauranteröffnung Von Hans-Jürgen Bergs Möglicherweise wissen Stadtplaner eine Antwort, weshalb manche Straßen so sind, wie sie sind: Beispielsweise die Torstraße. Auf lächerlichen zwei Kilometern zwischen Prenzlauer Allee und Friedrichstraße hat sie mindestens zwei Gesichter, ein lebendiges und ein eher trostloses. Letzteres ist auf den zweihundert Metern vor der Friedrichstraße sogar noch steigerungsfähig. Bonjour tristesse. Zwei Gastronomen sind nun angetreten, in die Phalanx graubrauner Plattenbauen und geschlossener Geschäfte einzudringen - mit einem Restaurantkonzept, das die Kiezbewohner, ob Teenie oder Rentner, einbezieht, das keinen überfordert, aber auch keinem etwas zumutet. Und das schon in Spandau und Charlottenburg funktioniert. Am letzten Augusttag erlebte es seine Premiere. Hussein Mahdi, 38, Restaurantfachmann und Mohammed Kobeissi, ebenfalls 38 und Koch von Beruf, sind das Wagnis eingegangen. Die beiden Libanesen leben seit Anfang der 1990er Jahre in Berlin und haben hier schon erfolgreich mehrere Restaurants eröffnet. Sie wissen also, was Sache ist. Vier Monate lang haben sie mit einer Kompanie von Handwerkern das Lokal in der Torstraße umgebaut und renoviert. „Es sah grausig aus“, so fasst Mahdi den vorgefundenen Zustand zusammen. Bei viermonatiger Arbeit und einer erheblichen Investitionssumme ahnt man, was er damit meint. Nun lassen hier Argentinien und Mexiko grüßen, beispielsweise mit Steaks frisch vom Grill und anderen PlanchaSpezialitäten - vom Hähnchenbrustfilet bis zum Cordon bleu. Oder mit Burritos und Fajitas. Das eine sind gefüllte Weizenmehltortillas, das andere Pfannengerichte. Es gibt Suppen, Salate, Tex-Mex-

Burger, Livemusik und eine fröhliche Servicebrigade. Frische Küche, faire Preise, flinker Service - Mahdi und Kobeissi scheinen mit ihrem Konzept richtig zu liegen, zur Eröffnungsparty jedenfalls war der Laden knüppeldickevoll. Castro Delacruz, Chef der Bar im Plancha, mixte Cocktailklassiker wie am Fließband - Caramba!

Und Ali aus dem Iran, Alina aus Kuba, Dalfia aus der Dominikanischen Republik, Messaudi aus Tunesien, Peter aus Bulgarien und die anderen jungen Leute servierten und servierten bis in die späte Nacht. Fazit: Hoffentlich macht der Mut von Mahdi und Kobeissi bald Schule, und auch dieses Stück der Torstraße wird endlich belebt.

In der Torstraße gastronomisch aktiv: Hussein Mahdi, li. und Mohammed Kobeissi

Fiesta mexicana zur Plancha-Eröffnung

GARÇON

47


KOPFSALAT Torstraßenpioniere

PLANCHA Torstraße 210 10115 Berlin-Mitte Tel. 030 - 24 04 89 49 www.plancha.de

48

GARÇON


GARÇON

49


Weinstadt WEINLESE spezial

Eine Umfrage unter Weinkennern

Andreas Schiechel, Jahrgang 1946, studierte Geschichte und Sport an der FU Berlin. 1978 wechselte er aus dem Schuldienst in die Weinbranche. Seit 1981 betreibt Schiechel in der Charlottenburger Danckelmannstraße eine der bestsortierten Weinfachhandlungen der Stadt. Er ist Mitbegründer

50

GARÇON

des Weinbundes Berlin, einer Vereinigung von zehn namhaften Händlern der Stadt. Die Bitte um eine kurze Stellungnahme zum Thema Weinstadt Berlin beantwortete Andreas Schiechel mit einer nachdenkenswerten Wortmeldung, die wir an den Beginn unserer Umfrage stellen.


Berlin? Berlin ist eine Weinstadt, selbstverständlich! Und eine große dazu. Hier gibt es 150 Lidl-Filialen und 108 von Aldi. Und da beide zusammen knapp die Hälfte des hauptstädtischen Weinumsatzes machen, wird man auch ohne genaue Kenntnis der Zahlen unterstellen können, dass in Berlin einiges an Wein getrunken wird - zumal ja auch all die anderen Discounter und Supermärkte sowie Bäckereien, Fleischereien, Drogerieketten, Tankstellen, selbst Videotheken Wein verkaufen. Da kommt einiges zusammen. Gut zu wissen ist auch, dass der Durchschnittspreis einer Flasche Wein hierzulande bei etwa 2,20 Euro liegt. Also Flasche, Etikett, Verschluss und Inhalt. 2,20 Euro als Durchschnittspreis – kein Grund, sich Zurückhaltung aufzuerlegen, auch in Berlin nicht! Und da sind wir schon beim industriellen Weinmachen, das den Weinmarkt heute dominiert. Es führt zu einem ähnlichen Ergebnis wie bei der Werbefotografie, die ihre Adressaten mit einer solchen Flut makelloser, entpersonalisierter Bilder überschüttet, dass viele denken, die ganze Welt sähe so aus. Auf den Wein bezogen heißt das, dass die von ihren Eigenheiten befreiten Weine zunehmend als Prototypen schlechthin dargestellt und schließlich auch empfunden werden. Geschmackliche Besonderheiten sind immer weniger der Grund - von der Verpackung mal abgesehen - sich

für eine bestimmte Flasche im Regal zu entscheiden und nicht für die rechts oder links daneben. Die Kaufentscheidung verschiebt sich immer weiter in den Lifestyle-Bereich und seine Darstellung. Der Sekt im Bauchnabel der Dame ist der Grund, ihn zu kaufen, nicht sein Geschmack. Es kommt nur noch darauf an, dass er niemanden stört. Und am Besten ist es, wenn er ALLEN gefällt. Ein Wein, den Millionen Menschen trinken: das höchste Glück des Großproduzenten! Der geschmackliche Kitsch, der dabei entsteht, gleicht industriell hergestellten Kaufhausgemälden mit gleißenden Sonnenuntergängen in Neonfarben. Solche Kunst hat etwas - hart ausgedrückt - „dümmlich Tröstendes“. Ihr ist das Bestreben gemeinsam, auf keinen Fall die Intensität oder die Qualität des Inhalts zu steigern, um den Betrachter dann mit einem Mehr an Empfindung und Erfahrung zu entlassen. Das gilt auch für Weine aus der Großproduktion, bei denen der Hersteller den Geschmack der größtmöglichen Zahl ansteuert, dass heißt, den kleinsten gemeinsamen Nenner von dem, was allen schmeckt. Ein so auf Banalität getrimmter Wein ohne Profil enthält deswegen übrigens auch eine mehr oder weniger versteckte Aufforderung zum Saufen. Er fließt nämlich aufgrund seines glattgeschmirgelten Charakters, bei dem sich

spezial WEINLESE

Empfindungen bestenfalls in Wohlgefallen auflösen, in rasantem Tempo seinem Ende entgegen - und schon ist die Flasche leer. Bei all dem geht es weniger um gut oder schlecht, richtig oder falsch, sondern zuallererst um die Aufmerksamkeit, welche Richtung die ganze Sache nimmt. Jedenfalls: Wenn stimmen würde, worüber Experten seit Jahren schwadronieren, dass „der Weintrinker“ mit einfachen, meist süßen Weinen anfängt, um schließlich bei den anspruchsvolleren zu landen, müssten auch die Opernhäuser voll sein. Aber die Massen, die mit Musicals anfangen, landen dort eher selten. Andererseits, und nicht zuletzt, hat die Medaille aber noch eine zweite Seite. Es gibt in Berlin selbstverständlich auch eine große Zahl kenntnisreicher und neugieriger Weintrinker, die über den Wunsch hinaus, vom Wein einfach nur „bedient“ zu werden, auch anderes am Wein schätzen. Dass er die spannende Möglichkeit bietet, auf die Reise zu gehen, neue geschmackliche Erfahrungen zu machen, fast unüberschaubare Vielfalt zu zeigen, Teil eines reichen Lebens zu sein. Das bieten dann andere Weine. Die findet man übrigens meist in ambitionierten Fachhandlungen. Sie und die genauso ambitionierten Weintrinker beweisen trotz allem, wie sehr Berlin eine großartige Weinstadt ist.

GARÇON

51


WEINLESE spezial

Christiane Dutschmann, Sommeliere Restaurant Berlin-St. Moritz

Erfreulicherweise hat sich in den letzten Jahren in Berlin eine eigene Weinkultur entwickelt, die in der Stadt lange gefehlt hat. Sie ist geprägt durch Vielfalt, Offenheit und Wechselfreudigkeit, da man an kein eigenes Weinanbaugebiet gebunden ist. Neugierde und Experimentierlust sind groß. Ich erlebe immer öfter Gäste, die bereit sind, in alle Richtungen Neues zu probieren.

Der Wermutstropfen? Unsere preußisch-protestantische Grundhaltung. Völlerei und Geldausgabe sind schmerzliche Eingriffe ins Seelenheil. Zugezogene Neuberliner katholischer Prägung haben seit der Wiedervereinigung allerdings für eine gewisse Unbeschwertheit im Konsumverhalten gesorgt. Wünschenswert wäre noch ein Umdenken in Teilen der Berliner Gastronomie. Weg von der lieblosen Literware, hin zu Weinen mit Charakter, abgestimmt auf die Speisen.

Regina Stigler, Winzerin Weingut Stigler, Ihringen/Kaiserstuhl

Kerstin Erlenmaier, Weinhändlerin VINOS Y TAPAS

Weinstadt Berlin? 52

GARÇON

Die große Neugierde der Berliner macht unsere Stadt trotz der mickrigen Reben in der Kreuzberger Südkurve zu einer echten Weinstadt. Die Mauer hat die Westberliner in die ganze Welt geweht und dort Weinerfahrung sammeln lassen. Ostberlinern hat sie den Zugang zur Weinwelt weitgehend versperrt, damit allerdings auch das Verlangen nach Burgundern, Riojas und Chiantis geschürt. Deshalb gehen heute die meisten Berliner, gleich, ob sie aus Tegel, Treptow, Lankwitz oder Lichtenberg stammen, völlig unvoreingenommen an das Thema Wein heran. Diese Neugierde, gepaart mit der Berliner Kiezmentalität, erlaubt es spezialisierten Weinfachgeschäften, gut nebeneinander zu existieren. Es gelingt ihnen sogar, sich unabhängig von den großen Ketten mit eigenen Entdeckungen und Direktimporten auf dem Berliner Markt zu behaupten. Die Vielfalt an kleinen, noch unbekannten Winzern im Berliner Weinfachhandel ist enorm.

1990 haben wir zum ersten Mal eine Berliner Weinmesse besucht. Das war für uns der Einstieg in die Berliner Gastronomie. Heute fühlen wir uns hier sowohl in Sachen Wein als auch privat pudelwohl und haben deshalb immer einen Koffer in Berlin. In enger Zusammenarbeit mit der Berliner Gastronomie haben wir in den letzten Jahren viele, zum Teil außergewöhnliche weinselige Abende verlebt und freuen uns auf die nächsten spannenden Jahre.

Rolf Paasburg, Weinhändler WeinAusLeidenschaft

Ich bin seit 1982 im Berliner Weinhandel tätig. Seit dieser Zeit hat sich Berlin durchaus zu einer Weinstadt entwickelt. Im Vergleich mit anderen deutschen Großstädten, vielleicht Hamburg mal ausgenommen, bietet Berlin das wohl vielseitigste Weinangebot. Vor allem seit der Wende hat Berlin einen deutlichen Qualitätssprung in Handel und Gastronomie hingelegt. Das


NEU. Angebot im Berliner Weinhandel ist breit aufgestellt und auch deutlich günstiger als in anderen deutschen Städten. Im Vergleich etwa mit den 1980er Jahren hat sich auch die Berliner Gastronomie beim Thema Wein stark verbessert und neben dem ambitionierten Fachhandel - ich denke, es wird mir keiner übelnehmen, wenn ich hier die Mitglieder des Weinbundes Berlin hervorhebe - viel für die Weinkultur getan. Berlin ist übrigens, soweit ich weiß, auch die einzige Stadt mit einem eigenen Weinführer!

Eckart Manske, Unternehmensberater, li. mit Moselwinzer Alois Schneiders

Meine Vorlieben liegen beim Weißwein auf durchgegoren und säurebetont, beim Rotwein auf Körper und Balance. Auf ausgeprägte Holzaromen verzichte ich gern. In italienischen, spanischen und griechischen Restaurants in Berlin (Cassambalis!) finde ich normalerweise qualitativ hochwertige Weine in allen Preisklassen, die meinen Geschmacksvorstellungen entsprechen. Das ist aber noch nicht überall so - auch nicht in den sogenannten gehobenen Restaurants. Vor allem vermisse ich durchgegorene Weißweine (unter 3g Zucker/Liter) aus Deutschland, insbesondere Rieslinge. Im first floor etwa fragte ich danach und bekam einen Wein mit 6g Zucker angeboten. Da fehlen offenbar Kenntnisse und ein Kompass, der durch die deutsche Weinvielfalt führt. Na ja, im Notfall trinke ich eben Pils. Spaß machen mir Restaurants mit guter Küche, sachkundigem Sommelier und „mittelschwerem“ Keller. Dazu zähle ich zum Beispiel das Duke im Ellington oder Frühsammers Restaurant am Flinsberger Platz. Da kann man fachsimpeln und erhält neue Impulse.

Peter Frühsammer, Sommelier, re. mit Niko Rechenberg, Nikos Weinwelten

Für mich ist Berlin eine hochspannende Weinstadt. Die Gäste unseres Restaurants sind in den meisten Fällen frei von Vorurteilen und geografischen Prägungen. Anders als etwa in München, da wollen alle Italien trinken. Dass die Liebe der Berliner zum deutschen Wein so stark werden würde, hätte ich Mitte der 1980er nie für möglich gehalten. Heute verkaufen wir über 80 Prozent deutschen Wein. Ich finde diese Entwicklung großartig. Auch der Weinhandel hat in den letzten Jahrzehnten viel geleistet. Mir fallen, ohne dass ich lange nachdenken müsste, ein gutes Dutzend Berliner Fachhändler ein, die viel für die Weinkultur tun. Die Zukunft sehe ich optimistisch. Allerdings müssen gerade wir Gastronomen die Preise im Auge behalten. Wenn für eine Flasche trockenen Riesling beispielsweise im Weinhandel bald die 40-Euro-Marke geknackt werden sollte, dann wird es eng.

Rainer Rüttiger, Kellermeister Weingut Baron Knyphausen, Rheingau

Unsere Weine sind in Berlin bisher lediglich im Weinkeller Reiner Türk in Kreuzberg vertreten, hinzu kommen einige Privatkunden. Es liegt also auf der Hand, dass unser Weingut und seine Produkte in der Berliner Weinszene noch so gut wie unbekannt sind. Das allerdings soll sich nun ändern, weil wir überzeugt sind, dass die Hauptstadt vor allem für unsere Rieslinge ein guter Markt ist. CUVÈE ROT 2008 SPÄTBURGUNDER & ST. LAURENT KAISERSTUHL W W W. S A LW/EBADEN Y. D E VERTRETEN IN BERLIN DURCH WEINLADEN SCHMIDT WWW.WEINLADEN.COM


QUALITÄT TRADITION CHARAKTER

Holger Schwarz, Weinhändler Viniculture

R H E I N G A U

WEINGUT BARON KNYPHAUSEN Draiser Hof Erbacher Straße 28 65346 Eltville – Erbach Tel: +49 (0)6123 / 621 77 weingut@baron-knyphausen.de www.baron-knyphausen.de

Als ich 1996 in die Stadt kam, war die Weinwelt in Bewegung. Außer in Berlin. Mit der Jahrtausendwende setzte dann eine rasante Entwicklung ein. Erst waren es kraftvolle spanische Rotweine, die Furore machten, dann kam – nicht zuletzt durch die Anerkennung der internationalen Weinkritik - der große Aufschwung deutscher Weine. Und der hält bis heute an. Die Weinkarten der gehobenen Gastronomie weisen immer öfter die gleichen Namen deutscher Winzer aus. Der Einkauf funktionierender Marken hat allerdings auch zu einer gewissen Stagnation geführt. Leute, die Weinwelt ist viel zu spannend, um sich nur auf ausgetretenen Pfaden zu bewegen! Ist Berlin nun eine Weinstadt? Ja und Nein. Zum einen gibt es einen wachsenden Kreis von Wein-Freaks mit ziemlich guten Kenntnissen. Diese Gruppe interessiert wirklich jedes Detail. Genährt wird dieses Wissen übrigens auch durch häufige Besuche angesagter deutscher Winzer in Berlin. Zum anderen ist Berlin noch ein Stück davon entfernt, Weinstadt zu sein. In Paris oder London wird viel eher mal eine gute Flasche auch mittags aufgezogen. In Berlin braucht es dazu noch immer einen speziellen Anlass.

Christian Wilhelm, Sommelier Restaurant Fischers Fritz

Die Multi-Kulti Stadt Berlin ist ständig im Wandel, auch im Weinwandel. Die Deutschen trinken mehr Wein denn je. Dabei helfen nicht nur südliche Einflüsse, sondern auch die zahlreichen Zu-

wanderer in die Hauptstadt. Sie bringen frischen Wind mit und machen das aus Berlin, was es ist. Wir sind inzwischen (mit Recht!) stolz auf den deutschen Wein und entdecken zunehmend dessen Güte – aber nicht nur das. Wir entdecken auch eine neue Lebensart. Weinläden öffnen an vielen Ecken und finden großen Zulauf, moderne Geschäftsmodelle erfrischen den Markt, und viele Berliner zeigen ihren internationalen Gästen, was die deutschen Winzer aus Trauben machen können. Dazu wird mittags immer häufiger statt einer Apfelschorle oder einem Glas Wein eine ganze Flasche geordert - und nicht mehr nur Chablis oder Sancerre, nein - man trinkt Riesling. Bravo Deutschland. Bravo Berlin. Die neue Lebensart kommt an. Wein ist Kultur, und wer Wein trinkt, hat Stil.

Marion und Peter Wiese Genusskommunikatoren und Weinkenner

Natürlich ist Berlin eine Weinstadt! Viele engagierte Weinhändler, Sommeliers, Gastronomen und auch wir passionierten Weintrinker sind quasi Weinbotschafter. Die Auswahl an deutschen und internationalen Gewächsen ist groß und bunt. Dadurch, dass wir in keinem Weinanbaugebiet liegen, wird in Berlin auch kein Wein aus einer bestimmten Region bevorzugt. Das Thema hat übrigens noch eine andere Seite. In der Hauptstadt bieten sich viele ehemalige Industriebauten mit ihren riesigen Gewölben als Weinkeller an. So haben auch wir es durch einen ehemaligen Aufzugsschacht zu einem kleinen Keller gebracht, der konstante 14 Grad hält. Deutsche Rieslinge und Spätburgunder füllen unsere Regale. Privat sind wir also eher Puristen - im Restaurant probieren wir eigentlich alles.


Gunnar Tietz, Sommelier, Hotel Palace mit Lidwina Weh, Sommeliere, Hamburg

Berlin, vor 20 Jahren noch als „Weininsel“ verpönt, hat sich zu einer der wichtigsten Weinstädte in Deutschland entwickelt und dabei München, Düsseldorf oder Köln hinter sich gelassen. Nur ein Beweis dafür sind die vielen Weinmessen, die jedes Jahr in Berlin stattfinden: die Gutswein im September, die Vorstellung der „Großen Gewächse“ des aktuellen Jahrgangs im Januar, die Weinmesse im Logenhaus oder die Big Bottle Party im Palace Hotel. Und das sind nur die wichtigsten. Ich bekomme jede Woche bestimmt fünf Einladungen zu Weinproben in der Stadt, und meinen Kollegen geht es ähnlich. Deshalb die Frage: Weshalb eigentlich hat keiner den Mut, die ProWein, die wichtigste Veranstaltung unserer Branche, aus Düsseldorf nach Berlin zu holen?

sis der Branche stärkt. Vor allem Gäste aus dem Ausland suchen deutsche Weine. Das veranlaßt uns Sommeliers, immer mehr attraktive inländische Weine zu suchen und anzubieten. Die Reserven, die die Stadt beim Thema Wein birgt, sind noch beträchtlich, hängen aber auch vom Wohlstand der Berliner ab.

Andreas Heuer, Geschäftsführer Gastro Getränke Berlin

Berlin hat sich zur Weinstadt entwickelt, und weil das so ist, sehen wir auch für unser Unternehmen zusätzliche Marktchancen. Deshalb eröffnen wir am 1. Oktober auch einen eigenen Weinladen - „Der Wein-Heuer“. In Tempelhof, gleich um die Ecke von Ikea, werden wir auf 700 Quadratmetern rund 600 Weine anbieten. Außerdem richten wir eine Grappa-Ecke ein, und es wird dort das einzige Ziegler-Outlet der Stadt geben. Das ist für uns eine erhebliche Investition, die wir tätigen, weil wir an die Weinstadt Berlin glauben.

Felix Voges, Sommelier Restaurant Facil

Leider kann ich nicht die ganze Stadt, sondern nur 14 Tische überblicken, aber dennoch... Die Hauptstadt hat durch den Umzug der Regierung mit ihrem riesigen Anhang - Botschaften, Journalisten, Verbände die Einwohner bekommen, die Berlin zu einer Weinstadt gemacht haben. Die Neuberliner kommen zum Teil aus Weinregionen und -ländern und fordern hier auch eine niveauvolle Weinkultur. Das erst hat Gastronomie und Handel auf das jetzige Niveau gehievt. Hinzu kommen die vielen Touristen, von denen ein großer Teil guten Wein nachfragt und so die wirtschaftliche Ba-

Georg Mauer, Weinhändler, Wein&Glas, re. mit Winzer Werner Näkel und Andrea Girau

Was ist das denn überhaupt, eine Weinstadt? Wenn es eine Stadt ist, in der Wein produziert wird, dann ist Berlin keine Weinstadt. Die Klimaveränderung allerdings könnte in Zukunft daran etwas ändern… Wenn damit eine Stadt mit einem breiten Weinangebot gemeint ist, das kompetent vermittelt und in der überdurchschnittlich viel Wein konsumiert wird, dann ist Berlin definitiv eine Weinstadt.


WEINLESE spezial

„Ich bin doch kein Papst“ DER WEINJOURNALIST STUART PIGOTT

56

GARÇON

Stuart Pigott - ein Engländer in Berlin. Markenzeichen: Raleigh-Fahrrad, extravagante Klamotten, vorzugsweise im Karo-Look. Pigott, geboren 1960 in London, studierte in seiner Heimatstadt Malerei und Kunstgeschichte. Um das Studium zu finanzieren, jobbte er. „Ein Job war sehr glücklich für mich. Trotz null Wissens wurde ich zum Weinkellner im Restaurant der Tate Gallery ernannt… Nach und nach habe ich mich durch den ganzen Keller gekostet. Wir hatten auch manche freundliche Stammgäste, die gesagt haben: ‚Mr. Pigott, dieses Glas ist für Sie!‘ 1959er Pichon Lalande, 1961er Leoville Las Cases. Das war nicht das Schlechteste für mich.“ Seit 1986 jedenfalls widmet er sich dem Thema Wein auch journalistisch. Im Januar 1989 Übersiedlung von der Themse an die Mosel, nach Bernkastel. „I drifted away from England and become an exile writer“, notierte er in seiner Autobiografie, die übrigens mit dem vielsagenden Titel „I am wine“ überschrieben ist. 1994 erschien Pigotts erstes Weinbuch in deutscher Sprache, es folgten u. a. „Schöne neue Weinwelt“, „Wein weit weg“, „Wilder Wein“ und die 600-SeitenWälzer „Die großen deutschen Rieslingweine“ und „Die führenden Winzer und Spitzenweine Deutschlands“. Seit Mitte der 1990er Jahre lebt Pigott in seiner Wahlheimat Berlin, mit einer längeren Unterbrechung. Von Oktober 2008 bis Juli 2009 studierte er als Gasthörer an der Fachhochschule für Weinbau in Geisenheim/Rheingau. Seine Weinkolumnen, vor allem in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, beweisen, dass man über dieses Thema nicht nur schwülstig schwätzen, sondern auch verständlich schreiben kann. Kein Wunder, dass jeder zweite Artikel über Stuart Pigott ihm den Beinamen „Weinpapst“ verpasst. Jedesmal, wenn er sowas liest, wird er wütend: „Ich lehne diese Bezeichnung kategorisch ab. Der Papst sollte unfehlbar sein. Ich bin fehlbar.“


spezial WEINLESE

Garçon: Ist Berlin eine Weinstadt? Pigott: Ich finde, Berlin ist gut dabei, das zu werden. Garçon: Woran machen Sie es fest? Pigott: An meinen Erfahrungen. Als ich 1994 nach Berlin kam, gab es mehr schlechte als gute Weine. Garçon: Was sind schlechte Weine? Pigott: Schlechte Weine sind entweder dünn oder sauer oder disharmonisch oder alles zusammen. Garçon: Nochmal zurück in die 90er Jahre und zu Ihren Erfahrungen… Pigott: Gegenüber dieser Zeit vor knapp 20 Jahren hat sich heute vor allem auch das Angebot im Berliner Weinhandel verändert. Es ist bunter geworden, das Sortiment der Weinhandlung X in Marienfelde beispielsweise gleicht nicht mehr aufs Haar dem des Konkurrenten Y in Wilmersdorf.

Garçon: Welche Händler sind vorn in Berlin? Pigott: Erstmal - es ist super, dass wir so viele Spezialisten haben. In Berlin kann ich heute fast alle Weine der Welt bekommen. Garçon: Fast? Pigott: Fast. Weil es schwierig ist, die besten Australier, Kalifornier und Neuseeländer zu finden. Garçon: Die besten Weinhandlungen? Pigott: Wein & Glas ist sicher der Platzhirsch. Das größte Sortiment hat wahrscheinlich Weinladen Schmidt, das mutigste Viniculture, ganz klar. Garçon: Wie geht’s dem deutschen Wein in Berlin, verglichen mit 1994? Pigott: Damals war der deutsche Wein in der guten Gesellschaft verpönt. In der normalen Gesellschaft herrschte Skepsis. Man trank Côte du Rhône und Beaujolais

Stuart Pigott und der Winzer Christian Stahl, li.

und fand sich toll. Riesling zum Beispiel wurde gar nicht ernst genommen. Heute ist deutscher Wein in aller Munde. Garçon: Welche Reserven hat Berlin, wenn es um den Wein geht? Pigott: Die Reserven hat die Gastronomie. Ich würde mir eine Weinbar in zentraler Lage mit 100 offenen Weinen wünschen. Garçon: Wie viel Wein trinken Sie eigentlich? Pigott: Ich fürchte, dass es 250 Liter im Jahr sind. Vielleicht auch 300. Der deutsche Durchschnitt liegt etwa bei 25 Litern pro Kopf und Jahr. In Berlin wird er noch um ein, zwei Liter übertroffen. Eine Weinstadt eben. Garçon: Welche Weine stehen derzeit in Ihrem Kühlschrank? Pigott: Drei Flaschen aus Ägypten und drei Flaschen von der Nahe.

Übrigens ist Pigott nun auch unter die Winzer gegangen. Dafür stellte ihm Christian Stahl vom Winzerhof Stahl im fränkischen Auernhofen 0,1 Hektar in der Steillage Tauberzeller Hasennestle zur Verfügung - bestockt mit 25 Jahre alten Rebstöcken der Sorte MüllerThurgau. Der sehr trockene Weißwein wurde im Edelstahltank vinifiziert und im März 2010 in 264 Flaschen gefüllt. Premiere hatte Pigotts Gewächs zur VDP Gutswein Berlin am 5. September. Die Mehrheit des geladenen Fachpublikums war sich einig - hier ist es gelungen, aus der Allerweltstraube Müller-Thurgau einen Wein in GrandCru-Qualität (Großes Gewächs) zu erzeugen. Den Pigott-Wein gibt es allerdings nicht im Handel. Er wird ausschließlich zur Verkostung bei „Wein hilft“ - Veranstaltungen angeboten. Unter diesem Motto sammeln Pauline Schneider und Stuart Pigott Spenden für das Aids-Projekt HOPE in Kapstadt. www.stuartpigott.de

GARÇON

57


WEINLESE spezial

Ost-West-Kartengrüße GEDANKEN ZU ZWEI 1982ER WEINOFFERTEN VON JÜRGEN HAMMER

58

GARÇON


spezial WEINLESE

Jürgen Hammer, Sommelier und Weinexperte. Da hockt er, der Franke und freut sich. Genuss macht glücklich. Der 68er - in seinem Fall zeigt die Zahl allerdings nur das Jahr der Geburt und nicht die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftskritischen Gruppe an - kam vor sieben Jahren nach Berlin: Chefsommelier im Schlosshotel Grunewald, ein Jahr

später in gleicher Funktion in der Weinbar Rutz. 2007 dann machte er sich gemeinsam mit seiner Partnerin Manuela Sporbert und einem ausgewählten Feinkost- und Weinsortiment in Kreuzberg selbstständig.

Zum Wein fand der Würzburger - übrigens wie viele seiner Kollegen - durch Geburt, Zufall und einen guten Lehrer. Da war zuerst der Blick vom heimatlichen Kinderzimmerfenster auf den Würzburger Stein, die wichtigste Weinlage der Gegend. Dem folgten die gelegentlichen Pennälergelage mit saftigem Silvaner aus pummeligen Bocksbeutelflaschen. Für den stud. phil. Jürgen Hammer - Germanistik und Romanistik auf Lehramt lag es nach diesen Erfahrungen auf der Hand, sich das studentische Budget mittels Kellnerei aufzubessern. Zu Zipfeln in Blausud servierte er volle Scheurebe und zu Häckerbrot würzigen Müller-Thurgau. Irgendwie kam es, wie es kam. Goethes Maximen und Reflexionen blieben ebenso außen vor wie die französischen Besonderheiten der unregelmäßigen Verben. Hammer wechselte 1989 ins Weinfach. Im nahen Wertheim nahm ihn Pedro Sandvoss unter seine Fittiche, damals Chefsommelier in den Schweizer Stuben und Herr über Deutschlands besten Weinkeller in einem der drei besten Restaurants Deutschlands. Hammer begleitete Sandvoss auf dessen Weinreisen zu Burgund- und Bordeauxwinzern, zuerst als Französisch-Dolmetscher, später als Degustationspartner. Von 1994 bis 1997 schließlich Chefsommelier in Dieter Müllers Restaurant auf Schloss Lerbach in Bergisch-Gladbach. Dann hatte Hammer „die Schnauze voll von der Drei-Sterne-Gastronomie, den Gästen, die auf großen Pneus vorfuhren und die Mannschaft unter unglaublichen Druck setzten“. Er wechselte ins Kölner Vintage, ein unkompliziertes Restaurant mit glänzend bestückter Weinhandlung und vielen frischen Ideen. Etwa die Weinseminare für Amateurtrinker. Leitung fortan: Jürgen Hammer. 2003 dann rief Berlin und - siehe oben. Wir baten den Weinkenner um seine Meinung zu den Weinkarten zweier Berliner Restaurants. Deren Besonderheit: sie sind 28 Jahre alt, eine aus West-, die andere aus Ostberlin.

GARÇON

59


WEINLESE spezial

Das, was mich am meisten amüsiert hat, als ich diese beiden Weinkarten des Jahrgangs 1982 aus Ost und West in die Hände bekam, war die Tatsache, dass die Unterschiede zwischen BRD und DDR in punkto Wein gar nicht so groß waren, wie mancher vielleicht meint. Klar, die Herkunftsländer: Im Osten gab es neben den Weinen von Saale-Unstrut und Sachsen ausschließlich Produkte aus den sozialistischen Bruderstaaten Ungarn, Bulgarien und Rumänien. Im Westen dominierten vor allem Frankreich und Italien. Spanien war noch außen vor, und Deutschland und Österreich steckten in der Krise, die wenig später in den Weinskandalen Mitte der 1980er ihren traurigen Höhepunkt fand. Was auf beide Weinkarten gleichermaßen zutrifft, ist die begrenzte und ziemlich langweilige Auswahl. Das liegt zum einen sicher daran, dass Alsterhof und Ermelerhaus nicht unbedingt zu den Spitzenrestaurants, sondern eher zur gehobenen Mittelklasse gehörten. Zum anderen war die Weinwelt damals eben viel kleiner als heute. Bei

60

GARÇON

uns spielten Weine aus Übersee so gut wie keine Rolle. Portugal sowie Süd- und Südwestfrankreich schlummerten noch im Dornröschenschlaf. Dafür konnte man im Einzelhandel eine Flasche Mouton Rothschild für 50 bis 60 D-Mark kaufen. Jenseits der Mauer, im Arbeiter-und Bauern-Staat, waren die großen Weine aus Georgien und von der Krim nicht zu bekommen, dafür kostete ein 5-puttiger Tokay Aszu nur ein paar Ostmark. Allerdings sollte man nicht glauben, dass in der DDR nur sozialistische Einheitsplörre am Markt war. Es gab durchaus Weine guter Qualität, zum Beispiel aus Kekfrankos (Blaufränkisch) und Kadarka, die auch heute noch einen sehr guten Ruf genießen. Es gab etwas Licht und viel Schatten, man musste sich halt ein bisschen auskennen. In der BRD war die Situation ähnlich. Auf der einen Seite die großen Bordeaux und Burgunder und auch schon Italien mit tollen Weinen aus dem Piemont und den ersten „Supertoscans“. Auf der anderen Seite der obligatorische Elsässer, oft in Form des Edelzwickers, dessen Qualität meist zu wün-

schen übrig ließ und eben auch noch viele einfache und pappsüße Weine von der Mosel, aus Rheinhessen oder der Pfalz. Was man auch nicht unterschätzen sollte, ist die Tatsache, dass auf beiden Seiten des eisernen Vorhangs Weingenuss zum Essen noch nicht besonders populär war. Bier und Schaps waren angesagt. Im Osten war die Kombination Speise und Wein gar kein Thema. Im Westen hatten Vordenker wie Franz Keller und Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau gerade begonnen, den kulinarisch Interessierten die Harmonie von Speise und Wein nahe zu bringen. Damit leiteten sie übrigens auch die Abwendung vom süßlichen und die Hinwendung zum trockenen Wein ein. Als Fazit bleibt zweierlei: Erstens, dass sich Osten und Westen, wie in einigen anderen Bereichen auch, beim Thema Wein gar nicht so stark voneinander unterschieden. Zweitens, dass eine großartige kulinarische Entwicklung in den letzten 20 Jahren vonstatten ging. Nie zuvor gab es


soviel guten Wein auf der Welt wie heute. Und spätestens seit der Wiedervereinigung so viele interessante gastronomische Innovationen, hüben wie ehemals drüben. Nicht nur in den Spitzenrestaurants, sondern auch in vielen anderen

Lokalen werden spannende Weinkarten mit einer breiten Auswahl und vielen Neuentdeckungen aufgelegt. Also, liebe Weinfreunde, wir leben im „Platinum Zeitalter“ des Weines und ich finde, das ist auch gut so.

Centgrafenberg Schlossberg Hunsrück Karthäuser

Trockene Spitzenweine aus Churfranken

Weingut Rudolf Fürst Hohenlindenweg 46 63927 Bürgstadt Tel.: 09371 8642

www.weingut-rudolf-fuerst.de info@weingut-rufolf-fuerst.de


WEINLESE spezial

Der Berliner Weinführer von Norbert Pobbig

Norbert Pobbig, Herausgeber des Berliner Weinführers

„Aha, so kann Wein auch schmecken.“ Diese Initialzündung erlebte ich auf einer Weinreise an den Mittelrhein Mitte der 1990er Jahre. Zu krass war der qualitative Unterschied zwischen Massenweinen aus dem Supermarkt und den mit traditioneller Winzerkunst hergestellten Rebsäften. Kurz darauf reifte die Idee, einen Berliner Weinführer zu publizieren. Ein Buch sollte her, in dem die regionalen Bezugsquellen für gute und bezahlbare Weine jenseits des Mainstreams aufgeführt sind. 120 Adressen umfasste die Erstausgabe 1999. Für den weinfachlichen Teil, zu dem die Blindverkostung und Beschreibung von Weinen aus dem Sortiment Berliner Weinfachhandlungen gehört, holte ich die Kompetenz von Sommeliers, Weinhändlern und Journalisten an den Degustationstisch. Daran hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn ich mich inzwischen längst selbst zu den Weinexperten zähle. Jährlich ca. 3 000 verkostete Weine, dazu ungezählte Fahrten in die Anbaugebiete, Diskussionen mit Winzern und die Teilnahme an geschätzten hundert

62

GARÇON

Weinseminaren sorgten für einen großen Erfahrungsschatz. Jedem, der sich in Sachen Wein unsicher fühlt, rate ich deshalb aus eigener Erfahrung: „Probieren und nochmals probieren. Weinwissen lässt sich antrinken, wobei nicht jeder Schluck im wahrsten Sinne des Wortes geschluckt werden muss.“. Die Blindtests zum Weinführer beispielsweise stellen harte Arbeit dar. Über mehrere Wochen werden täglich bis zu 50 Weine internationaler Herkunft und unterschiedlicher Rebsorten verkostet, verglichen, diskutiert, bewertet und beschrieben. Die Zahl der im Berliner Weinführer vorgestellten Weine ist von anfänglich 250 auf über 1 000 gewachsen. Auch die Zahl der in Wort und Bild beschriebenen Weinfachhandlungen und -restaurants hat sich vervielfacht auf über 350. So wurde aus der Idee, geboren im Anschluss an eine Weinreise, ein Standardwerk, das schon auf der Bestsellerliste des Berliner Buchhandels zu finden war. Der Berliner Weinführer ist bis heute das einzige Buch in Deutschland, das die Weinszene einer Region beschreibt, die nicht in einem der 13 deutschen Quali-

tätsweinbaugebiete liegt. Berlinern, die dennoch sehen wollen, wo die Reben wachsen, empfehle ich eine Reise nach Dresden, Meißen, Freyburg oder Naumburg. Mit Sachsen und Saale-Unstrut liegen zwei aufstrebende Weinbaugebiete nur zweieinhalb Autostunden vom Alexanderplatz entfernt. Auch dazu gibt der Berliner Weinführer viele nützliche Tipps. Das Jahrbuch, die Ausgabe 2011 übrigens erscheint voraussichtlich im Dezember, kostet zehn Euro, und kann bis zum Erscheinungstermin zum Subskriptionspreis von 8,50 Euro versandkostenfrei beim Verlag bestellt werden. Die Leser können sich außerdem zu einem E-Mail-Informationsbrief anmelden, mit dem sie alle sechs bis acht Wochen kostenfrei über Termine von Weinproben und Degustationsmenüs sowie andere Neuigkeiten aus der Welt des Weins informiert werden. Außerdem verlost der Berliner Weinführer regelmäßig unter seinen Lesern Freikarten für Weinveranstaltungen sowie Weinbücher, Probepakete und jährlich eine Weinreise.

Verlag Medienbüro Norbert Pobbig Tel. 030 - 44 00 86 26 www.berliner-weinfuehrer.de


spezial WEINLESE

„Eigentlich bin ich nur eine Weinbotschafterin“, sagt die 26-jährige Diplom-Kauffrau Sonja Christ. Die Bescheidenheit ehrt sie, aber sie ist nun mal auch Deutsche Weinkönigin 2009/2010. Standesgemäß wurde Majestät deshalb beim Berlinbesuch durch die Hauptstadt chauffiert - von Opel-Lady Heidi Hetzer in einem 6,6 Liter Hispano-Suiza, Baujahr 1921. Die Meinung der Weinkönigin zum Automobil: „Starkes Teil.“ Und zur Weinstadt Berlin: „Ganz vorne“.

Am Pariser Platz: Die Deutsche Weinkönigin Sonja Christ, re., Opel-Lady Heidi Hetzer und Reiner Jäck, Initiator der Berliner Weingarten-Initiative

GARÇON

63


WEINLESE spezial

„Ein bissel Wein muss sein“

Herbert Beltles bester spruch von MARC STEYER

Weingutbesitzer Herbert Beltle mit Winzernachwuchs Marina Lea

64

GARÇON

Winzer und Horcher-Kellermeister Wolfgang Grün


spezial WEINLESE

Tatsächlich, Herbert Beltle war mal Fernsehmoderator. Der Gastronom führte durch eine lokale Essen-und-TrinkenSendung, an die sich kaum noch einer erinnert. Und wenn, dann nur an deren letzte Minuten. In bester Hans-JoachimKulenkampff-Manier ließ sich Beltle von seinem „Butler“ Holger Görzel, damals Restaurantleiter im Aigner am Gendarmenmarkt, ein Glas Wein kredenzen, lobte dessen Duft oder Frucht und verabschiedete sich mit dem Spruch: „Ein bissel Wein muss sein!“ Der Reim war Beltles Markenzeichen. Im Jahr 2005 wechselte Beltle das Attribut. Begründung: „Ein bissel ist ein bissel wenig.“ Der Berliner Gastronom hatte im rheinland-pfälzischen Kallstadt ein Weingut gekauft - knapp fünf Hektar Rebfläche, eine Halle, Nebengebäude. Auch der Name stand fest: Horcher. Reverenz an ein Berliner Restaurant der 1920er Jahre und an ein Stück Berliner Gastronomiegeschichte. Beltle investierte rund 1,8 Millionen Euro und fand einen jungen Winzer mit dem richtigen Gespür für Qualität. Ein Glücksfall namens Wolfgang Grün. Der gebürtige Heidelberger war nach seinem Weinbaustudium durch die halbe Weinwelt gewandert: Österreich, Spanien, Chile, Australien, Kalifornien, Südafrika. Den letzten Schliff holte sich Grün im fränkischen Bürgstadt auf dem Weingut Rudolf Fürst. Heute sagt er: „Qualität beginnt mit Sorgfalt und Gründlichkeit im Weinberg, im Keller werden weder die natürliche Struktur noch der aromatische Charakter der Weine beeinflusst. Methoden der industriellen Weinerzeugung sind tabu.“ Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Horcher-Weine weisen die typisch pfälzische volle Frucht auf, Säure und Alkohol sind gut ausbalanciert. Bereits im Juli 2008 kam bei einem Tagesspiegel-Sommerwein-Blindtest der Horcher Riesling Qba trocken auf den ersten Platz, immerhin vor einem Sauvignon blanc QbA trocken vom Weingut Knipser und fünf weiteren Gewächsen. Nicht schlecht, Herr Beltle.

Das Weingut Horcher mit Weinlounge

Die Parade der Horcher-Weine

GARÇON

65


Der Christ Ries WEINLESE spezial

Wenn Kapital, Kompetenz und Leidenschaft zusammenkommen VON JÖRG TEUSCHER

66

GARÇON


ling Ein zufälliges Zusammentreffen in der Lorenz Adlon Weinhandlung. Meine Antwort auf seine Frage nach dem Probierschluck im Glas vor mir kontert Heinz Horrmann mit der knallharten Feststellung, dass deutscher Riesling für ihn die Höchststrafe sei. Ich weiß nicht, ob man den Berliner KritikerGuru und Küchenarena-Juror noch umstimmen kann. Wenn überhaupt, dann könnte das vielleicht ein Christ Riesling. Christ Riesling? Die Geschichte des Weingutes gleichen Namens beginnt vor gut sechs Jahren in Dubai. Drei Männer machen Urlaub im Emirat, lernen sich im Hotel kennen, es folgen Gespräche über Gott, die Welt und – wie sich schnell herausstellt – über eine gemeinsame Leidenschaft, den Wein.

spezial WEINLESE

Der Berliner Christian Gebranzig, diplomierter Finanzwirt, Weinliebhaber und Absolvent der Ecole du Vin de Bordeaux, betreibt in Hamburg einen Weinvertrieb. Zuvor, zwischen 2000 und 2003, hatten Gebranzig und sein damaliger Küchenchef Claudio Andreatta mit dem kleinen Restaurant Svevo auf sich aufmerksam gemacht – auch mit einer erstklassigen Weinauswahl, die persönliche Entdeckungen über große Namen stellte. „Unser Liebling Kreuzberg“, feierte die Kritik das Svevo. Zweiter im Bunde ist Jochen Dreissigacker aus dem rheinhessischen Bechtheim, der nach Winzerlehre und einer Ausbildung zum Weinbautechniker seit vier Jahren das 1728 gegründete elterliche Weingut leitet.

Das Trio vervollständigt der Unternehmer Harald Christ. Der gebürtige Wormser ist als Vorstandsvorsitzender der Berliner Conomus Treuhand Aktiengesellschaft und der Custodia Treuhand und Vermögensverwaltung Aktiengesellschaft tätig und war im Bundestagswahlkampf 2009 Mitglied im Schattenkabinett des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier. Auch er – ein Weingenießer. Die Urlaubs-Bekanntschaft der drei hätte wahrscheinlich keine Folgen gehabt. Wenn jedoch Kapital und Kompetenz zusammenkommen, eine gemeinsame Idee gefunden und deren Realisierung nicht auf die lange Bank geschoben wird, dann steht am Ende beispielsweise die Gründung eines Weingutes.

GARÇON

67


WEINLESE spezial

Im Wonnegau, einer Gegend nahe seiner Heimatstadt Worms, erwirbt Christ anderthalb Hektar Rebfläche der Spitzenlagen Bechtheimer Geyersberg und Westhofener Morstein mit 25 bis 35 Jahre alten Rebstöcken. Der Winzer Jochen Dreissigacker kümmert sich gemeinsam mit Christian Gebranzig um den An- und Ausbau, Gebranzig übernimmt auch den Verkauf der Weine.

Chloé Kuhlow, Lorenz Adlon Weinhandlung und Christian Gebranzig, Weinhändler

Harald Christ, Unternehmer

Das Weingut Christ setzt auf biologischen Weinbau, Herbizide und Kunstdünger im Weinberg sind tabu, geerntet wird von Hand, je nach Reifegrad der Trauben. „Perfekte Trauben mit Kraft und Struktur durch eine konsequente Verringerung der Erträge und den optimalen Zeitpunkt der Lese“, so das Credo der Neu-Winzer.

Jochen Dreissigacker, Winzer

Doch nicht nur damit will sich das Weingut von den Produzenten geschmacksmanipulierter Weine abheben und individuellen Genuss fördern.

68

GARÇON

Um eine optimale Ausbeutung der Aromastoffe zu gewährleisten, werden die Beeren leicht angemahlen und bleiben für einige Stunden im eigenen Saft. Dadurch entsteht ein extraktreicher und ausdrucksstarker Most, der dann durch eine natürliche Hefeflora den Fruchtzucker über mehrere Monate zu Alkohol vergärt. Der vergorene Wein reift anschließend für mindestens 18 Monate auf seiner Hefe heran, bevor er in Flaschen abgefüllt wird, in denen er weitere sechs Monate nachreifen kann. Das Ergebnis ist ein eleganter, vom Terroir gekennzeichneter Riesling. Vor ein paar Wochen präsentierten Christ, Dreissigacker und Gebranzig in Berlin ihren Christ Riesling 2007. „Fast schon burgundisch“, „eine beeindruckende Kombination von Frische und Kraft“, „ein hervorragendes Beispiel für die Möglichkeiten der Rebsorte“, jubelten die Tester. Allerdings: bei einem Ertrag von 25 bis 30 hl/ha kommen lediglich 3500 Flaschen in den Handel. Die Lorenz Adlon Weinhandlung hat exklusiv den deutschlandweiten Vertrieb übernommen. Heinz Horrmann sollte sich überwinden und probieren. Rheinhessen, das ist also längst nicht mehr nur Liebfraumilch und andere billige Plörre. Dafür stehen Weingüter wie Gunderloch, Keller, Sankt Antony, Wittmann – und nun eben auch Christ.

LORENZ ADLON WEINHANDLUNG Behrenstraße 72 10117 Berlin-Mitte Tel. 030 – 301 11 72 50 www.adlon-wein.de



lieblingsweine unserer mitarbeiter. sehr geehrte gäste, liebe weinfreunde, die weinauswahl vermittelt einen kleinen einblick in unsere welt der weine. damit sie viel trinken kalkulieren wir knapp: verkaufspreis + 18,00 € korkgeld = restauranttrinkpreis. dieses konzept lebt seit gründung der weinbar durch lars rutz und nun mit uns. dafür vielen dank, auch im namen der winzer dieser welt. kaufen

trinken

billy • hausmeister special cuvee brut, champagne bollinger, champagne, frankreich

65,00 €

83,00 €

61,00 €

79,00 €

14,00 €

32,00 €

19,00 €

37,00 €

21,00 €

39,00 €

16,00 €

34,00 €

17,00 €

35,00 €

30,00 €

48,00 €

16,00 €

34,00 €

19,00 €

37,00 €

lucie • die bar chefin 2004 blanc de blanc brut, champagne veuve-fourny et fils, champagne, frankreich kerstin • commis sommelier 2008 kalk und schiefer blaufränkisch, weingut hans & anita nittnaus, neusiedlersee, österreich nina • chef de rang 2008 weiß erd riesling qualitätswein trocken, weingut künstler, rheingau jule • chef de rang 2008 kallstadter saumagen riesling spätlese trocken, weingut koehler-ruprecht, pfalz marco • küchenchef eisweissbier, weissbierbrauerei hopf, miesbach, oberbayern, bayern

4,90 €

0,33 l

torsten • sous chef 2008 camins del priorat, alvaro palacios, priorat, spanien christoph • sous chef 2008 wolfer goldgrube riesling kabinett trocken, weingut vollenweider, mosel guido • der mann fürs süße 2002 piesporter domherr spätlese, weingut reinhold haart, mosel cornelius • gardemanger 2008 heiligenstein grüner veltliner, weingut hirsch, kamptal, österreich frank • entremetier 2007 sestalino, finca talaioles - sebastian keller, mallorca titus • chef steward dark & stormy (pampero seleccion 1938, fentiman`s ginger beer, limette)

0,2 l

11,00 €

frank • computermann zweigelt - roter traubensaft, gegenbauer, wien, österreich

schaumwein

70

GARÇON

schaumwein rose

weißwein

rose

rotwein

0,2 l

süßwein

5,90 €

Billy Wagner, Restaurantfachmann, Jahrgang 1981, geboren in Mittweida, aufgewachsen in Erlangen und ausgebildet in Herzogenaurach, entdeckte seine Leidenschaft zu vergorenem Traubensaft im Restaurant Essigbrätlein am Nürnberger Weinmarkt. Nach Stationen in Grevenbroich, Köln und Düsseldorf folgte er dem Ruf in die Hauptstadt. Seit 2008 Herr der Weine im Rutz und Berliner Meistersommelier 2009, hat er auf die erste Seite der Weinkarte des Sternerestaurants die Lieblingsgetränke der Rutzianer geschrieben. Eine von vielen Wagner-Ideen, die Absicht liegt auf der Hand. Die Vorlieben der Köche und Kellner bieten Gesprächsstoff, und wem die Qual der Wahl zu groß ist, der trinkt einfach das, was die Leute hier gerne trinken. Die werden schon wissen, was gut ist.


Wein, weiniger, am weinigsten spezial WEINLESE

Eine Entwicklung, die wir sehr begrüSSen von Billy Wagner In den 90ern flog man nach Ibiza. Dort hatte man die Chance, exzessive Nächte zu erleben. 2010 ist nicht mehr viel von dem geblieben. Man reist nun in die Hauptstadt. Deutsch sein ist hip und besonders in Berlin. Mittwoch geht es los. Meist endet es Dienstag früh in der Bar25, und am Abend klingelt schon wieder das Telefon, und das Cookies ruft. Zwischendrin besucht man die Panorama Bar inklusive Darkroom, das Watergate und seine Terrasse auf der Spree und das Weekend mit seiner Terrasse über der Stadt, und wenn gar nix mehr offen hat, geht es trotzdem noch im Golden Gate oder in der Wilden Renate weiter. Genauso spannend ist es, die weinige Seite Berlins zu erleben. Ein Erfahrungsbericht von einem langen Wochenende zwischen Tiergarten und Friedrichshagen. Der Flieger landet. Wir checken im Hotel ein und trinken bei Gunnar (1) zum Wachwerden eine Flasche Leitz Riesling. Wir fühlen uns „angekommen“ in Berlin. Wir werden heute beim Riesling bleiben. Dafür Sorge tragen wird Herr Wu (2). Also, auf ins Taxi und den Kudamm hoch nach Westen, bis wir fast in Hannover angekommen sind. Wir werden mit Umarmung und einem gekühlten Glas Christoffel empfangen. Dazu gibt es Aubergine im Fischduft, Schwein und Rind, ich verliere den Überblick. Das Glas ist immer voll, und je länger der Abend dauert, desto älter werden die Flaschen und desto voller die Tischnachbarn. Wohl genährt, aber noch nicht so richtig müde, nehmen wir den Fussmarsch

zum Fasanenplatz auf uns. Dort öffnet der charmante Gregor Scholl (3) die Tür. Nach Begutachtung und Vorstellung der einzelnen Herren wir werden bedauert, dass wir nur Herren sind - dürfen wir einschreiten. Die Magnum Bollinger wird geöffnet und im Nu geleert. Mehrere London Bucks und Seelbachs aus Silberschalen später kommen wir zerstört zurück ins Palace. Gunnar ist schon lange im Bett. Am Donnerstag gibt es Frühstück im Einstein (4). Es ist 8.30 Uhr. Wir sind die einzigen Gäste. Die Atmosphäre und das Gefühl, drei junge Servicedamen für uns zu haben, ist einfach großartig. Mit vielen hervorragenden Cappuccini, etwas Ei im Glas und einer Flasche Delamotte machen wir uns auf zum zweiten Frühstück nach X-berg. Hier öffnen Manu und Jürgen (5) ihre Schatzkiste. Wir probieren schwefelfreie Naturweine aus Amphoren oder alten Holzfässern. Georgien runter, Friaul und Slowenien wieder rauf. Bei exzellentem und höchst persönlichem Service schlagen wir uns zwischen den Gläsern den Ranzen mit selbstgemachter Wurst und reifen Käsen voll. Am Nachmittag schlafen wir gemütlich im Görli auf einer Parkbank ein. Gott sei Dank haben wir etwas Weinproviant – trockener Riesling von Melsheimer - von Jürgen mitbekommen. Gläser - Fehlanzeige. Kein Problem. Am Abend laufen wir zuerst am Helmholtzplatz bei Roy (6) ein. Etwas Wollschweinschinken mit frischem Meerrettich, etwas warme Suppe und einige Flaschen reifen Heymann-Löwenstein später machen wir uns auf den Weg zu Oliver und Cristina (7). Nach Bronx, Pegu Club und vielen weiteren Buck & Brecks mit Marie Luise

von Raumland treten wir die Heimreise in Richtung Westen an. Es ist schon wieder hell. Freitag starten wir spät, das Taxi wartet und bringt uns nach Köpenick zum Hauptmann Canis (8). Nach Aust, Pawis und anderen Schorlen liegen wir gesättigt am Müggelsee. Wir kehren zurück nach Berlin-Mitte, machen einen Schlenker übers Rutz (9) und stärken uns mit Saumagenburger, Eisbein und Roulade. Dazu Helles von Rollberger und Eisweizen von Hopf. Gegen Abend verschlägt es uns noch zu Herrn Schulz (10). Nach vielen alten Roten und Weißen von Philippi machen wir es uns bei Maureen und Jakob (11) mit einigen Jimmie Roosevelts gemütlich. Am Samstag starten wir später, und das ist gut so. Ein fröhliches Salve und eine Pfütze bei Grobi am Kolle (12), dann ein paar Probierschlücke bei Sébastien (13) und ein paar weitere Naturweine bei Holger (14). Auf geht’s zu Baroli und Babaresci zu Antonio (15). Es ist Samstagabend, und wir sind in Berlin. Das Watergate (16) ist offen, wir stehen an, wir nehmen Platz, tanzen bis es wieder hell wird und stillen unseren Durst genüsslich mit Antony Gutsriesling aus Rheinhessen. Was Sonntag passiert, überlassen wir jedem selbst. Wir für unseren Teil lassen Sonntag einfach aus. Nehmen es nach dem Bar25-Motto: Sonntag ist Montag, und Montag ist Feiertag. Berlin ist frei, und die Gedanken sind´s auch. Bevor es nach Hause geht, beschließen wir unsere weinige Berlin-Reise mit Burger, Rock´n Roll, Riesling und Scheurebe bei Helen & Walli (17). Es ist spät, aber egal, das Cookies ruft schon wieder. Prost, mein Berlin. Dein Billy


Billy Wagners gute Adressen (1) Palace Hotel, Budapester Straße 45, Berlin-Charlottenburg, Chefsommelier Gunnar Tietz (2) Hot Spot, Eisenzahnstraße 66, Berlin-Wilmersdorf, (3) Rum Trader, Fasanenstraße 40, Berlin-Wilmersdorf (4) Stammhaus Einstein, Kurfürstenstraße 58, Berlin-Tiergarten (5) Hammers Weinkostbar, Körtestraße 20, Berlin-Kreuzberg, Inhaber Manuela Sporbert und Jürgen Hammer (6) Weinstein, Lychener Straße 33, Berlin-Prenzlauer Berg, Inhaber Roy Metzdorf (7) Becketts Kopf, Pappelallee 64, Berlin-Prenzlauer Berg, Inhaber Oliver Ebert und Cristina Neves (8) Die Spindel, Bölschestraße 51, Berlin-Friedrichshagen, Inhaber Hendrik Canis (9) Rutz-Wein-Bar, Chausseestraße 8, Berlin-Mitte

(10) Kurpfalz Weinstuben, Wilmersdorfer Straße 93, Berlin-Charlottenburg, Inhaber Rainer Schulz (11) Stagger Lee, Berlin-Schöneberg, Nollendorfstraße 27 D, Inhaber Maureen Reichl und Jakob Etzold (12) Weinladen Schmidt, Kollwitzstraße 50, Berlin-Prenzlauer Berg (13) Vin sur Vin, Köpenicker Straße 18-20, Berlin-Kreuzberg, Inhaber Sébastien Visentin (14) Viniculture, Grolmannstraße 44-45, Berlin-Charlottenburg, Inhaber Holger Schwarz (15) Il Calice, Walter-Benjamin-Platz 4, Berlin Charlottenburg, Inhaber Antonio Bragato (16) Watergate, Falckensteinstraße 49, Berlin-Kreuzberg (17) White Trash Fast Food, Schönhauser Allee 6-7, BerlinPrenzlauer Berg



GESCHMACKSSACHEN Fuhrmanns Früchtekorb

Wenn in Berlin oder Brandenburg ein weißer 7,5-Tonnen-Kühltransporter mit dem Zeichen der Kirsche ein Hotel, Krankenhaus, den Knast, eine Kantine oder ein Restaurant ansteuert, heißt es dort schlicht: Fuhrmann kommt.   Dieter Fuhrmann, Chef des gleichnamigen Fruchtgroßhandels und der Grand Old Man seines Berufsstandes in Berlin, gehört zu den frischeverrücktesten, qualtitätsbesessensten und kenntnisreichsten Männern seiner Branche. Lieber klein, dafür fein – mit diesem Motto startete er 1977 auf einem Charlottenburger Hinterhof ins Obst- und Gemüsegeschäft. 1980 Umzug auf den Fruchthof an der Beusselstraße, 1996 Eintritt seines Sohnes Marcus als Juniorchef in die Firma, 2007 Übernahme einer neuen Kühl-

Firmenchef Dieter Fuhrmann

halle. Inzwischen beschäftigen die Fuhrmänner 28 Mitarbeiter, die mit 18 Kühltransportern rund 500 Produkte ausliefern, pünktlich, zuverlässig und

in hoher Qualität. Für Garcon stellen Dieter und Marcus Fuhrmann im Wechsel ihre Früchte vor.

Heute: Die Himbeere

FUHRMANNS FRÜCHTEKORB ROT, SÜss UND LECKER von Dieter Fuhrmann Der Gastroteil des Stadtmagazins tip hat eine interessante Rubrik – „Wo gibt’s denn so was?“ Die Redakteure tun hier kund, wo fast oder völlig vergessene Gerichte noch aufgetischt werden. Holsteiner Schnitzel zum Beispiel, Käseigel oder Soleier. Als ich las, dass auf einem Ausflugsdampfer der Reederei Bethke noch der Eisbecher Pfirsich Melba serviert wird, erinnerte ich mich an meine Lehrzeit und musste unwillkürlich lächeln. Wer damals das von Auguste Escoffier zu Ehren der begnadeten australischen Opernsängerin Nelly Melba kreierte Dessert als schnöden Eisbecher bezeichnet hätte, wäre bestenfalls mit Missachtung bestraft worden. Pfirsich Melba! Dafür mussten reife Pfirsiche blanchiert, sauber abgezogen, exakt halbiert, vorsichtig in Vanillesirup pochiert, akkurat auf Vanilleeis angerichtet und mit frischem Himbeerpüree übergossen werden. Pfirsich Melba war Chefsache. Wir Lehrlinge durften bes-

74

GARÇON


Fuhrmanns Früchtekorb GESCHMACKSSACHEN

Himbeerprobe: Andreas Kurtzky, li. und Christian Mölder

tenfalls die Himbeeren durchs Sieb streichen, womit ich beim Thema und einem Bekenntnis wäre. Von allen Beerenobstsorten ist mir die Himbeere die liebste. Das mag an ihrer Zartheit, an der frischen Säure oder am intensiven Aroma liegen, so genau kann ich das gar nicht sagen. Auf jeden Fall scheine ich diese Vorliebe mit vielen Gästen von Berliner und Brandenburger Restaurants zu teilen, denn anders ist es wohl kaum zu erklären, dass auch bei deren Küchenchefs die Himbeere nach der Erdbeere am höchsten im Kurs steht. Wir jedenfalls merken das an der in den letzten zehn Jahren stetig steigenden Bestellmenge. Botanisch gesehen gehört der Himbeerstrauch übrigens zur Familie der Rosengewächse und zu den „Ureinwohnern“ nördlich der Alpen. Bereits im Altertum war die Himbeere als Heilpflanze bekannt, im Mittelalter kultivierten Mönche sie in Klostergärten. Heute wird sie – um den Bedarf zu decken – in Plantagen gezüchtet. Unser Unternehmen verkauft frische Himbeeren aus Deutschland und Polen, vor allem in der Zeit zwischen Juni und September. Obwohl Himbeeren durch Importe inzwischen das ganze Jahr über erhältlich sind, gelten sie für mich noch immer als Boten von Sommer und frühem Herbst. Ernährungsphysiologisch hat es die

Himbeere reichlich in sich: Fruchtsäure, vor allem Zitronensäure, Fruchtzucker, Mineralstoffe, besonders Kalium und Magnesium sowie erhebliche Mengen der Vitamine C und E. Übrigens, es muss ja nicht immer Pfirsich Melba sein. Nichts geht beispielsweise über hausgemachte Himbeerkonfitüre. Die Früchte lassen sich auch gut einfrieren. Dazu werden sie auf einem Tablett im Tiefkühler vorgefroren und erst dann in Beutel verpackt. So sind Himbeeren fast bis zur nächsten Ernte haltbar. Die für mich beste Art, Himbeeren zu verarbeiten, zeigte während eines Sommerfestes der Berliner Kochelite kürzlich Altmeister Karl Wannemacher. Joghurt-HimbeerBarren nannte er seine

Kreation. Ich bat den langjährigen Sternekoch um das Rezept, bekam zwei seiner legendären Karteikarten geschickt, entschied mich dann aber doch für einen Besuch im Alt Luxemburg. Wannemacher kann’s einfach besser. Mit kulinarischen Grüßen

www.dieter-fuhrmann.de

GARÇON

75


GESCHMACKSSACHEN Sojasauce

Shoko Kono und Holger Zurbrüggen testen:

しょうゆ(jap.Shoyu),Sojasauce

Die Testsieger

76

GARÇON

Eine große deutsche Wochenzeitung bat den Modeschöpfer und Kochbuchautor Wolfgang Joop auf ein Wort zu seinen kulinarischen Vorlieben und Abneigungen. Die Frage, welches der modernen Lebensmittel ihm besonders gefalle, beantwortete Joop so: „Instant-Brühe, Knorr-Salat-Krönung, Ketchup aus Werder, Soja-Sauce.“ So ist das. Das Wort eines Großmeisters und, zack, ist die gute alte Sojasauce in der Schublade der geschmacksverstärkenden Trendlebensmittel. Dort allerdings gehört sie nun wirklich nicht hin. Das wichtigste Ausgangsprodukt der Würze, die Sojabohne, wird in China seit rund 4000 Jahren kultiviert, die Sauce daraus ist nicht viel jüngeren Datums. Mit dem zunehmenden Grad der Beliebtheit der asiatischen Küche in Europa fand auch die Sojasauce ihren Weg in

deutsche Feinkostgeschäfte und Supermärkte, in Asialäden gehört sie ohnehin zum Standardangebot. Dementsprechend kauften wir auch für unseren Test ein: insgesamt elf verschiedene Sorten – drei davon aus Japan, zwei aus China, zwei aus Hongkong, zwei aus Holland und je eine aus Thailand und Korea. Grundsätzlich unterscheidet man bei Sojasaucen zwischen Tamari, die nur aus fermentierten Sojabohnen gewonnen wird und Shoyu, bei der gerösteter Weizen oder Reis mitvergoren wird. Shoyu ist vor allem in Japan beliebt, in China werde Saucen nach TamariBrauart bevorzugt. Indonesische und thailändische Sojasaucen sind meist nachgesüßt und haben einen ausgeprägten Karamellgeschmack. Das Gros der Testsaucen war industriell hergestellt,


Sojasauce GESCHMACKSSACHEN

Sojabohnen vor der Ernte

nur zwei der elf Probanden wurden traditionell gebraut. Bei der traditionellen Herstellung werden die in Wasser eingeweichten Zutaten in Holzfässern mit einem Schimmelpilz geimpft. Der sorgt dann mit Milchsäurebakterien und Hefen in einem Fermentationsprozess, der bis zu fünf Jahre dauern kann, für den typischen Geschmack. Bei der industriellen Fertigung wird Sojamehl benutzt. Die darin enthaltenen Proteine werden mit Salzsäure aufgespalten und dann erst mit Milchsäurebakterien und Hefen versetzt. Die Fermentation erfolgt bei erhöhter Temperatur im Eilverfahren. Das Endprodukt wird aus Geschmacksgründen meist noch mit hochwertigeren Sojasaucen gemischt, hinzu kommen Aromen, Farbund Konservierungsstoffe.

Die Tester: Shoko Kono, Köchin, Kochbuchautorin und Kochlehrerin aus Kyoto, die seit 1991 in Berlin lebt (www.japanische-kochkurse.de) und Holger Zurbrüggen, gebürtiger Westfale, Inhaber und Küchenchef des Restaurants Balthazar am Kurfürstendamm, der italienischjapanische Küche schon praktizierte, als in Berlin noch keiner über Fusion sprach (www.balthazar-restaurant.de). Das Ergebnis: Die Sojasauce aus Thailand (Exotic-Food) fiel völlig durch. Die Tester urteilten: „Künstlicher Geschmack, wie Maggi.“ Die Sojasauce von Heinz, hergestellt in Holland, war zu süß. Zurbrüggen: „Hier wurde versucht, eine Einheitssauce für den europäischen Geschmack zu kreieren.“ Die Soy Sauce Jona, eine japanische Bio-Sauce und eine der zwei nicht industriell gefertigten Saucen, er-

hielt das Urteil „gut, aber zu salzig“. Der Rest – bis auf drei – naja. Shoko Kono: „Eine Mischung aus Wasser, Salz, Zucker, Gewürzen, Farbstoffen, Geschmacksverstärkern und einem Anteil Sojasauce. Leider ist es eine Tatsache, dass solche ‚Fälschungen‘ auch Sojasauce genannt werden dürfen.“ Die Testsieger: Kikkoman Sojasauce, Giujyo Shoyo Nama, ebenfalls von Kikkoman Foods Europe und die traditionell gebraute Sojasauce Inoue Shoyu IzumoMurasaki. Diese Sauce gibt es allerdings nur im Internetshop von www.windmuehlenmesser.de. Das Solinger Unternehmen vertreibt in Zusammenarbeit mit Tomoyuki Takada, Dolmetscher in Düsseldorf, handgeschmiedete japanische Messer und manufakturelle Zutaten und Gewürze aus Japan.

GARÇON

77


GESCHMACKSSACHEN Hammers Käsebrett

Manuela Sporbert und Jürgen Hammer

Manuela Sporbert und Jürgen Hammer – sie Hotelfachfrau aus dem sächsischen Rochlitz, er Sommelier aus

Würzburg – lernten sich in der Servicebrigade des Drei-Sterne-Restaurants von Dieter Müller in Bergisch Gladbach

kennen. Nach weiteren gemeinsamen Stationen, u.a. in der Weinbar Rutz, eröffneten sie im November 2007 ein eigenes Geschäft in der Kreuzberger Körtestraße. Hammers Weinkostbar mauserte sich schnell zu einer der ersten Berliner Wein- und Feinkostadressen. Die kulinarischen Seminare von Manuela Sporbert und Jürgen Hammer gelten als gleichermaßen lehrreich wie unterhaltsam. Das Stadtmagazin Zitty zeichnete die Weinkostbar dafür als „Beste Genussschule Berlins“ aus. Im Garcon vermitteln die beiden Experten Wissenswertes über Käsesorten und deren Besonderheiten, geben Tipps für den Einkauf und empfehlen zum Käse passende Weine.

Heute: Munster

HAMMERS KÄSEBRETT FROMAGE DE MUNSTER D’ALSACE von mANUELA sPORBERT

Jacques Haxaire, den ich während eines Elsassbesuchs kennenlernte, ist Affineur in Lapoutroie, einem Ort rund 20 Autominuten westlich von Colmar. Seine Fromagerie Haxaire „La Graine au Lait“ produziert seit Jahrzehnten den für diese Gegend typischen Munsterkäse. „La

78

GARÇON

fabrication du Munster est millénaire. Les gestes et les outils ont très peu évolué…“, heißt es im Prospekt der HaxaireSchaukäserei. Hinweis auf die weit über 1000-jährige Vergangenheit des Munsterkäses und seine traditionelle Herstellung.

Tatsächlich sollen Benediktinermönche bereits um 600 in den östlichen Vogesen den Weichkäse mit der gewaschenen Rinde aus Kuhmilch gefertigt haben. Ursprünglich war er ausschließlich im namensgebenden Munstertal zu Hause, später auch im westlicher gelegenen Lothringen. 1978 erhielt der Munster die kontrollierte Herkunftsbezeichnung A.O.C. (Appelation d‘Origine Contrôleé) verliehen, unabhängig davon, ob er im Elsass (Munster) oder auf der anderen Seite der Vogesen in Lothringen (Munster Géromé) hergestellt wird. Ausgangspunkt der Käsespezialität ist die kaseinreiche Milch der Vogesenrinder, einer ursprünglich in Skandinavien heimischen robusten Rinderrasse. Die Reifung des Käseteigs vollzieht sich in speziellen Kellern mit hoher Luftfeuchtigkeit, einer Temperatur um 15 Grad Celsius und einer natürlichen Flora von Rotschimmelbakterien. Alle zwei Tage werden die Käse ge-


wendet und mit einer Salzlösung abgebürstet. Das fördert die Rotflora, die dem Munster seine besondere orangerote Farbe und seinen typischen Duft verleiht. Je nach Größe der Käselaibe dauert die Reifung im Keller zwischen zwei und acht Wochen. Rund 10 000 Tonnen Munsterkäse werden jährlich in Frankreich produziert. Lediglich der seltene und teuerste Munster fermier stammt noch aus bäuerlichen Hofkäsereien (jährlich ca. 600 Tonnen) und wird ausschließlich aus Rohmilch hergestellt. Der Rest kommt aus größeren Betrieben (Munster coopératives) oder Käsefabriken (Munster industriel). Seine Basis ist zum überwiegenden Teil pasteurisierte Milch, A.O.C.-Label hin oder her. Charakteristisch ist in jedem Fall neben der orangeroten Rinde (die man übrigens mitessen kann) der glatte weiche Teig, der strenge Geruch und der milde Geschmack. Im Elsass wird der Munster traditionell mit Pellkartoffeln und separat gereichtem Kümmel serviert. Genauso traditionell empfehle ich zum Munster einen Gewürztraminer. Also, Traminer 2009, QbA trocken, Anthony Hammond - Garage Winery, Oestrich-Winkel, Rheingau. Ein sehr säurebetonter Wein mit schönem Duft nach Rose und Lychee, ein toller Traminer.

HAMMERS WEINKOSTBAR Körtestraße 20 10967 Berlin-Kreuzberg Tel. 030 - 69 81 86 77 www.hammers-wein.de

Reinhard Fischer Rheinstr. 42, 12161 Berlin Tel. 030 - 851 57 32 www.tabakundpulver.de



Nachrichten und Neuigkeiten BOUQUET GARNI

entenrenaissance Das Restaurant Lindenlife agierte trotz der erstklassigen Lage Unter den Linden 44-50, seiner Rheinland-PfalzWeinbar und eines angeschlossenen N24Fernsehstudios ziemlich glücklos. Über 60 Bewerber standen seit der Schließung als mögliche neue Betreiber auf der Matte, darunter fast alles, was in der Berliner Gastronomie Geld, Rang und Namen hat. Den Zuschlag erhielt nun Hans-Peter Wodarz, Erfinder der Erlebnisgastronomie, Palazzo-Patron und als solcher auch von Rang und Namen. Das Geld für sein Millioneninvestment musste sich Wodarz allerdings erst be-

sorgen. Seine Investoren kommen aus St. Petersburg. Die haben auch kein Problem damit, ‚ dass Wodarz neue Firma, die das Projekt stemmen wird, Berlin Moskau Gastronomie & Event GmbH heißt. Hauptsache Erfolg, denn erst der bringt Rendite. Ein russisches Bistro ist geplant, eine Feinkosthandlung mit (vorwiegend) russischen Produkten und das Restaurant Beluga mit (vorwiegend) russischen Spezialitäten. Der gastronomische Clou jedoch wird wohl die Wiederbelebung der Wodarzschen Ente werden.

Hans-Peter Wodarz...

Nach seiner Münchner „Ente im Lehel“ und der „Ente vom Lehel“ in Wiesbaden wird der umtriebige Gastro-Unternehmer in Berlin nun die „Ente Unter den Linden“ eröffnen. Aller guten Dinge sind eben drei. Ob die kulinarischen Evergreens des HansPeter Wodarz von „Entensülze mit Schnittlauchsahne“ bis „Entenbrust an Orangen-Pfeffer-Sauce“ oder gar die berühmten „Parfaits aus dreierlei hellen Entenlebern“ im neuen Restaurant Unter den Linden Wiederauferstehung feiern werden, wollte Wodarz allerdings bisher nicht bestätigen.

...und sein neuer Restaurantkomplex Unter den Linden

GARÇON

81


BOUQUET GARNI Nachrichten und Neuigkeiten

Meisterköche 2010 Als 1997 Berlin zum ersten Mal sechs hauptstädtische Küchenchefs mit dem Titel Meisterkoch auszeichnete, war Michael Kempf gerade 20 geworden und hatte nach seiner Kochlehre die erste Gesellenstelle angetreten. Im Wald- und Schlosshotel Friedrichsruhe in der Nähe von Heilbronn stand Kempf bei Lothar Eiermann am Herd und hörte dessen Ansprache: Denke, bevor du kochst. Von Friedrichsruhe ging es nach Schaffhausen zum Fusion-Pionier André Jäger und von dort nach Bergisch Gladbach zu Dieter Müller - beide, wie Eiermann, Meister ihres Fachs. Das prägte. Inzwischen ist der FacilKüchenchef selbst einer und einer der besten in der Hauptstadt. Ehre, wem Ehre gebührt - Michael Kempf ist der Berliner Meisterkoch 2010. Chapeau! Neben ihm wurden geehrt: Matthias Diether (first floor, Berliner Aufsteiger 2010), Manuel Finster (Facil, Berliner Maître 2010), Christian Wilhelm (Fischers Fritz, Berliner Sommelier 2010) und Altmeister Hans-Peter Wodarz (Palazzo, Gastronomischer Innovator 2010). Brandenburger Meisterkoch wurde Peter Krüger vom Restaurant Klostermühle in Alt Madlitz. Garçon gratuliert allen Ausgezeichneten!

Michael Kempf (Facil), Berliner Meisterkoch 2010

82

GARÇON


BERLINS GRÖßTER GRILLFACHHANDEL IN DER CITY

PRESTIGE II Hans-Peter Wodarz (Palazzo), li., Gastronomischer Innovator 2010 und Franz Raneburger, Berliner Meisterkoch 1997

PT600RSBIPSS IN EDELSTAHL AUCH IN BRONZE EMAILLIERT

Christian Wilhelm (Fischers Fritz), Berliner Sommelier 2010

€ 2.999,Manuel Finster (Facil), re., Berliner Maître 2010

VIELE WEITERE ANGEBOTE FINDEN SIE IM

ONLINE-SHOP

Matthias Diether (first floor), Berliner Aufsteiger 2010

HOHENSTAUFENSTR. 42 | 10779 BERLIN

TEL: 030 / 34 33 75 73 WWW.GRILL-SHOP-BERLIN.DE


BOUQUET GARNI Nachrichten und Neuigkeiten

ITALIENBUCH Rose Marie Donhäuser schreibt schnell, viel und gut. Die Oberbayerin, gelernte Köchin und einst erfolgreiche Food & Beverage Managerin international renommierter Hotels, legte bisher über 160 Kochbuchtitel vor - da kann selbst Johann Lafer nur vor Neid erblassen. In ihrem neusten Buch führt die Wahlberlinerin ihre Leser in die Basilikata, das geheime Herz Süditaliens. Sicher, es ist nicht das erste Werk über die „Region zwischen Absatz und Stiefelspitze“, aber ein besonderes wohl schon.

Kurznachrichten

Basilikata - Eine kulinarische Reise in das geheime Herz Süditaliens, UMSCHAU Buchverlag, 29,90 Euro ISBN: 978-3-86528-671-0

SCHWEINEREI Zum einen, weil sie es gemeinsam mit Pino Bianco geschrieben hat, dessen Trattoria á Muntagnola in der Schöneberger Fuggerstraße nicht nur der Liebling unter Berlins Italo-Lokalen ist, sondern längst auch eine kulinarische Hauptstadt-Institution. Zum anderen, weil die Autoren ein wirklich umfassendes Bild der lukanischen Küche zeichnen (in der Antike hieß die Gegend Lukanien), deren wichtigste Produkte ebenso ausführlich beschreiben wie die über 80 landestypischen Rezepte: Gamberetti con salsa di frutta (Garnelen mit Fruchtsauce) etwa, Funghi gratinati (Überbackene Pilze, Foto re.) oder Bruschetta alla pancetta (Brot und Speck). Einen besonderen Kick erhalten die Traditionsgerichte durch die Geheimtipps von La Mama. Das ist Pino Biancos Mutter Angela, inzwischen 75 und die Patronin der Trattoria á Muntagnola.

84

GARÇON

Ein Schweine-Menü in sechs Akten serviert das Restaurant Brechts am 10. und 11. Oktober 2010: Wolfgang Müller, Küchenchef mit Hang zu gesunden Lebensmitteln und Autor des jüngst erschienenen Schweine-Kochbuchs, wird an den beiden Oktobertagen in der Brechts-Küche am Schiffbauerdamm 6-7 Regie führen. Seine Kreationen begleiten Weine der Weingüter Müller Catoir (Pfalz) und Kurt Angerer (Kamptal). Der Preis für das Menü inkl. Weinbegleitung beträgt 109 Euro. www.brechts.de

+++ Domäne Dahlem +++ Das ländliche Brandenburg genießen - unter diesem Motto veranstaltet die Domäne Dahlem am 11. Und 12. September einen Brandenburger Spezialitätenmarkt: Fläminger Schmorwurst und Werderaner Kirschbier gehören zu den ausgefallensten Angeboten. +++ Schleswig-Holstein +++ Die kulinarischen Höhepunkte des 24. Schleswig-Holstein Gourmetfestivals werden auch von Berliner Spitzenköchen gesetzt. So ziehen Thomas Kammeier (5.9.), Michael Hoffmann (12./13.9.) und Michael Kempf (7./8.11.) in den hohen Norden. www.schleswig-holstein-gourmetfestival.de +++ Meliá Berlin +++ Hola y Buenos Dias, sagt die spanische Hotelkette Sol Meliá am 8. Oktober 2010. Dann feiert ihr Berliner Flaggschiff 4. Geburtstag. +++ Rotes Rathaus +++ Zu einem Gipfeltreffen der hauptstädtischen Spitzengastronomie kommt es am 14. September 2010 auf dem Hoffest des Regierenden Bürgermeisters. Den Organisatoren mit Hans Peter Wodarz an der Spitze gelang es in diesem Jahr, 30 (sic!) der besten Berliner Küchenchefs unter ein Zeltdach zu holen. Einziger Nachteil: Essen kann dort nur, wer von Klaus Wowereit eingeladen wurde.




Zeichnung: Junona, 8 Jahre, Anna-Lindh-Schule, Berlin-Wedding

Abenteuer Tirol LEBENSART

Abenteuer Tirol Notizen zu einer ungewöhnlichen Ferienreise von Jörg Teuscher

Touristen staunen und wittern eine Promiparade. Doch das ist mitnichten so. Die 204 Berlinerinnen und Berliner, deren Konterfeis seit dem 12. August an der verhüllten Siegessäule zu sehen sind, gehören weder zur Berufsgruppe Supermodel noch sind sie singende Superstars. Es sind Nachbarn, die sich engagieren. Die Hilfe leisten, wo Hilfe nötig ist; die Unterstützung geben, wo Unterstützung gebraucht wird und die das meist unsichtbar tun. Die Hauptstadtkampagne be Berlin hat das auf ganz besondere Weise gewürdigt. Auch der Kaufmann Helmut Russ, seine Lebenspartnerin Mary Paluselli und der Küchenchef Franz Raneburger hätten diese Art öffentlicher Anerkennung durchaus verdient. Russ, 58, gebürtiger Schleswig-Holsteiner, studierter Sozialpädagoge und in der Hauptstadt als Veranstalter des Weihnachtsmarktes auf dem Gendar-

menmarkt bekannt, hatte vor nunmehr vier Jahren mit österreichischen Geschäftsleuten und Tourismusmanagern zu tun. Eine Idee entstand. Kurze Zeit später wurde das Projekt Sommercamp Ziller-

tal aus der Taufe gehoben. Dessen Ziel: Weddinger Kindern eine Woche Ferien in der Tiroler Urlaubsregion zu ermöglichen. Russ bekam Kontakt zur Anna-LindhGrundschule; den Ablauf-Erörterungen

Die Initiatoren des Tiroler Abenteuers: Helmut Russ, li. und Mary Paluselli mit Franz Raneburger, Küchenchef Edelweiss Catering

GARÇON

87


LEBENSART Abenteuer Tirol

folgte die Sponsoren-Suche und der wiederum die Organisation der ersten Reise mit 30 Kindern im Sommer 2006. „Gesunde Ernährung und Bewegung“, so deren Motto. In diesem Jahr ging das Projekt also bereits in die fünfte Runde. 31 Erst- bis Sechstklässler waren dabei, darunter viele aus Familien, die sich keinen Urlaub leisten können. Knödel-Kochen mit Franz Raneburger und seinem Tiroler Kollegen Heinz Jansen - Motto: Alles, was rund ist, ist ein Knödel - Rafting auf der Ziller, eine Almwanderung zur Kristallhütte, ein Kletterkurs auf dem Spieljoch, eine Fahrt mit der Dampfbahn, Besichtigungen und Besuche - der Sommerrodelbahn in der Arena Coaster, der Schaukäserei Rieser und eines Goldbergwerks - ein Programm, das Kinderherzen höher schlagen ließ. Am höchsten schlugen sie aber wohl nach dem kräftezehrenden sechsstündigen Aufstieg zur 2040 Meter hoch gelegenen Berliner Hütte in den Zillertaler Alpen, der ältesten alpinen Schutzhütte in diesem Gebiet. Kommentar Franz Raneburger, Berliner Meisterkoch und gebürtiger Tiroler, der zum zweiten Mal Weddinger Kinder in seine Heimat begleitete: „Ich sehe in ihre Augen und weiß, dass es richtig war, ein paar Tage Freizeit für dieses soziale Projekt zu opfern.“ Und Helmut Russ fügte hinzu: „Jeder Berliner sollte für seine Stadt Verantwortung tragen.“ “Sei engagiert, sei hilfsbereit, sei Berlin“, heißt es. Ein Motto, das sich sowohl die Initiatoren des Sommercamps Zillertal als auch die Sponsoren des Projekts zu eigen gemacht haben. Aber das ist in der deutschen Hauptstadt noch längst nicht selbstverständlich. Sicher, in Berlin gibt es keinen Dietrich Mateschitz, der von seinen Red-Bull-Milliarden mal eben 350 Millionen Euro im Jahr für Sport-, Kultur- und Sozialsponsoring ausgibt. Aber es gibt eben auch noch viele Unternehmer, die das Wort Sponsoring für ein Fremdwort halten. Umso wichtiger sind solche Beispiele wie Helmut Russ‘ Sommercamp Zillertal.

88

GARÇON

Großer Ehrgeiz: Kochen mit Heinz, li. und Franz

Großer Mut: Klettern am Spieljoch

Großer Spaß: Rafting auf der Ziller


Abenteuer Tirol LEBENSART

GARÇON

89


LEBENSART Abenteuer Tirol

Das Projekt Sommercamp Zillertal unterstützten: Theater am Potsdamer Platz, Berlin Q 110 - Deutsche Bank der Zukunft, Berlin Edelweiss Catering, Berlin, Franz Raneburger Restaurant VAU, Berlin, Kolja Kleeberg Hilton Berlin, Leander Roerdink-Veldboom Zillertal Tourismus GmbH / Arena 1. Ferienregion im Zillertal Spieljochbahn Fügen / Zillertal Gastronomie auf dem Spieljoch, Fügen, Heinz Jansen Eder GmbH Kristallhütte, Hochfügen, Familie Eder Berliner Hütte, Ginzling, Familie Schöneborn Schaukäserei Hermann Rieser, Zell am Ziller

90

GARÇON


Abenteuer Tirol LEBENSART

Dr. Thomas Leeb, Schulleiter

Garçon: Wie bewerten Sie die Tatsache, dass ein Berliner Unternehmer 30 Ihrer Schüler kostenlose Ferien in Tirol ermöglicht? Dr. Leeb: Was für eine Frage, natürlich 100prozentig positiv. Garçon: Schafft das nicht eher Neid - die dürfen, wir nicht? Dr. Leeb: Ganz im Gegenteil. Es spornt an. Garçon: Wie ist das zu verstehen? Dr. Leeb: Eine kurze Frage, auf die eine ebenso kurze Antwort allerdings nicht möglich ist. Dazu muss ich etwas ausholen und über die Besonderheiten unserer Schule sprechen. Garçon: Bitte. Dr. Leeb: Wir sind eine Grundschule in Wedding, einem Bezirk also, der einsame Spitze ist - bei Hartz IV, Kriminalität, Schmutz, der traurige Wedding eben. In 31 Klassen betreuen wir 720 Schüler, 30 Prozent davon mit Migrationshintergrund. So gesehen, Durchschnitt. Was uns aus der Masse heraushebt, ist die Tatsache, dass wir Hochbegabtenklassen haben. In diesen Klassen lernen insgesamt 90 Kinder mit einem getesteten IQ über 130 gemeinsam mit „normalen“ Kindern, allerdings nur solchen, die die deutsche Sprache gut beherrschen. Das zahlenmäßige Verhältnis in einer Hochbegabtenklasse beträgt ein Drittel zu zwei Drittel.

Anna-Lindh-Grundschule Berlin-Wedding

Auf 20 Schüler mit durchschnittlicher Begabung kommen also 10 hochbegabte Schüler, wobei es gleich ist, auf welchem Gebiet diese Hochbegabung besteht…

Dr. Leeb: Da ist es genauso gelaufen. In den Klassen wurde diskutiert und abgestimmt, wer fahren soll und wer Reserve ist.

Garçon: Was hat das denn mit der Ferienreise für Ihre Schüler zu tun? Dr. Leeb: Wir haben auf unserer Schule noch eine zweite Besonderheit. Das ist unser Kinderparlament.

Garçon: Welche Rolle haben dabei materielle Aspekte gespielt, also etwa durch Hartz IV oder andere Umstände benachteiligte oder arme Kinder? Dr. Leeb: Erstmal - alle Kinder unserer Schule, die aus dem Wedding kommen, sind in gewisser Weise soziokulturell benachteiligt. Aber - die wichtigste Rolle in der Diskussion darüber, wer mit nach Tirol fährt, haben zwei Fragen gespielt - Wer ist höflich und freundlich gegenüber seinen Mitschülern? und Wer hat etwas für die Schule und damit für die Gemeinschaft getan?

Garçon: Was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Dr. Leeb: Wir haben 31 Klassen an der Anna-Lindh-Grundschule. Jede Klasse wählt einen Vertreter in das Kinderparlament. Das tagt einmal im Monat, diskutiert Angelegenheiten, die die Schule betreffen, entscheidet, und die Mitglieder des Parlaments tragen diese Entscheidungen dann in ihre Klassen und begründen sie dort. Garçon: Haben Sie ein Beispiel parat? Dr. Leeb: Vielleicht wissen Sie es, die Benutzung von Mobiltelefonen ist in der Schule nicht gestattet. Nun gab es den Antrag einiger Schüler, eine „Handyzone“ einzurichten. Darüber hat dann das Kinderparlament diskutiert und abgestimmt. Garçon: Mit welchem Ergebnis? Dr. Leeb: Zwei-Drittel-Mehrheit gegen eine Handyzone in der Schule. Garçon: Zurück zur Tirolreise…

Garçon: Wie haben Lehrer und Erzieher die Diskussion gesteuert? Dr. Leeb: Gar nicht. Es war im vorigen Jahr ebenso eine Entscheidung der Schüler wie in diesem Jahr. Und es wird im nächsten Jahr genauso sein, ohne Beeinflussung durch uns Lehrer. Wir üben Basisdemokratie und sagen „leben lernen“, das heißt auch, kommunizieren lernen, lernen, sich eine Meinung zu bilden und sie öffentlich kund zu tun. Garçon: Klingt gut. Dr. Leeb: Danke. Das wichtigste Motto an unserer Schule heißt: Zeig, was du kannst!

GARÇON

91


TOUR D´ALSACE Eine kulinarische Exkursion - zweiter Teil von Lee Ann Dördrechter und Wolfgang Schuhmacher

Wolfgang Schuhmacher, pensionierter Manager, jahrelang für Merci Storck im Schokoladengeschäft tätig, ist gebürtiger Saarländer, bekam also die Genussfreude sozusagen in die Wiege gelegt. Lee Ann Dördrechter wuchs in Hamburg auf, studierte in Berlin Modedesign und betrieb jahrelang am Klausenerplatz ein kleines Café. Beide leben in Charlottenburg, kulinarische Reisen zählen zu ihren Leidenschaften. Im Frühsommer 2010 waren sie im Elsass und in Lothringen unterwegs – besuchten Dorfgasthöfe und Sternerestaurants, waren bei Bauern und Winzern zu Gast und entdeckten ein kulinarisches Konzept, dass noch als Geheimtipp gehandelt wird. Für Garcon dokumentierten sie ihre Tour in Wort und Bild. „Durchaus als Anregung zur Nachahmung empfohlen“, erklärte Wolfgang Schuhmacher. Heute Teil 2 ihres Reiseberichts:

Von Kaysersberg nach Mittelbergheim

92

GARÇON


Elsass LOKALTERMIN


LOKALTERMIN Elsass

Kaysersberg 94

GARÇON


Elsass LOKALTERMIN

Tarte flambée, Flammenküeche oder Flammenkuchen gehört zum Elsass wie die saure Gurke zum Spreewald. In Kaysersberg, so hatten wir gehört, soll das Nationalgericht der Gegend zwischen Vogesen und Rhein besonders hofiert werden. Also, auf nach Kaysersberg. Die mittelalterliche Stadt im Tal der Weiss ist 365 Tage im Jahr herausgeputzt wie ein Kommunionskind. Jeder Winkel ist sehenswürdig, jede Ecke ein Fotomotiv. Dazu das Geburtshaus von Albert Schweitzer und im Dezember ein Weihnachtsmarkt, den selbst die größten Lokalpatrioten anderswo im Elsass als den schönsten bezeichnen. Seit einem Jahr hat Kaysersberg nun neben den altväterlichen Winstuben und einigen gutbürgerlichen Restaurants auch eine gastronomische Attraktion. Flamme & Co heißt der gestylte Laden, dessen Modernität manche Schickimicki-Bar locker in den Schatten stellt. Das kulinarische Konzept setzt auf den Flammenkuchen, allerdings nicht nur in dessen klassischer Variante mit Speck, Zwiebeln und Crème frâiche. So gibt es hier Flammenkuchen mit Fisch und Fleisch, mit Gänseleber und Wildkräutern, mit Obst und Schokolade. Selbst ein Flammenkuchen-Menü steht auf der Speisenkarte. Und: Flamme & Co brummt selbst dann, wenn keine Touristen kommen.

Flamme & Co-Chef: Olivier Nasti

FLAMME & CO 4, rue du Gal de Gaulle F-68240 Kaysersberg Tel. 0033 - 3 89 47 16 16 www.flammeandco.fr

GARÇON

95


LOKALTERMIN Elsass

Niedermorschwihr Im Kaysersberger Office de Tourisme bekamen wir einen DIN-A4-Straßenplan der Gegend, übersichtlicher und handlicher als unsere quadratmetergroße Michelin-Straßenkarte. Dazu eine ausführliche Erklärung, wie wir am besten nach Niedermorschwihr kommen. Das Dorf ist tatsächlich nur einen Katzensprung entfernt, 570 Einwohner, eine Sehenswürdigkeit - die St. Gallus Kirche mit ihrer Silbermann-Orgel - und eine Berühmtheit: Christine Ferber. Die Pâtissière, Chocolatière und Confiseuse gilt als die beste Marmeladenköchin des Elsass, ja ganz Frankreichs. Und sie ist es wohl auch. „Au Relais des Trois Epis“, so der Name ihres Geschäfts an der Hauptstraße von Niedermorschwihr, gehört zu den kulinarischen Wallfahrtsorten von Feinschmeckern aus der ganzen Welt. Ein süßer Tempel, in dem Christine Ferbers Schwester Elisabeth die Geschäfte führt. Neben Gebäck, Pralinen

96

GARÇON

und diversen Kuchen - Gateau de Heidi und Gateau de Marguerite sind die neuesten Kreationen - füllen vor allem Gelees, Marmeladen und Konfitüren die Regale. Rund 300 Sorten, darunter viele raffinierte Kompositionen: Hagebutte-Orange, Heidelbeere-Lakritz, Kastanie-Birne, Limette-Mango, Nektarine-Lavendel, Pfirsich-Safran oder Tomate-Apfel. Fruchtige Träume, die in ihrer Naturbelassenheit und geschmacklichen Vollendung tatsächlich konkurrenzlos sind. Nach ausführlichen Proben dürfen wir noch einen Blick ins Allerheiligste werfen - Christine Ferbers Kellerküche. 20 Mitarbeiter kochen hier Obst und Beeren, mischen Gewürze, füllen Gläser. Künstliche Gelierhilfen oder gar Geschmacksverstärker - Fehlanzeige. Der Rest bleibt Christine Ferbers Geheimnis. Die 50-Jährige übernahm 1984 nach ihrer Ausbildung an der Brüsseler Pâtisserie-Schule die elterliche Bäckerei und Konditorei. Hier begann sie, Marmeladen

zu kochen und in Gläser zu füllen, die eigentlich nur als Schaufensterdekoration gedacht waren. Spätestens seit Alain Ducasse ihre Produkte mit höchstem Lob adelte, war die Sache mit den Deko-Gläsern gegessen. Christine Ferber avancierte zur „La reine des confitures“, zur Marmeladenkönigin.

Im Allerheiligsten, der Küche: Christine Ferber, re.


Elsass LOKALTERMIN

MAISON FERBER 18, rue des Trois Epis F-6820 Niedermorschwihr Tel. 0033 - 3 89 27 05 69 www.christineferber.com Der gute Geist im Laden: Elisabeth Ferber

Christines Credo: Schlichtes Etikett, starker Inhalt

GARÇON

97


LOKALTERMIN Elsass

Mittelbergheim Wer ins Elsass fährt, sollte um Mittelbergheim keinen Bogen machen. Wir folgten dem Rat von Freunden, besuchten das Dorf und hatten ein Aha-Erlebnis. Der 2 700-Einwohner-Ort nördlich von Colmar ist ein pittoreskes Kleinod und zählt nicht umsonst zu den schönsten Dörfern Frankreichs. Verwinkelte Gassen und uralte Höfe, die fast alle mit geöffneten Toren und großen Schildern werben - Vins d’Alsace. Mittelbergheim ist ein Winzerdorf an der elsässischen Weinstraße. Diese 170 Kilometer lange Route beginnt im südelsässischen Thann und endet im Norden am Weinberg von Cleebourg. Die Rebfläche beträgt 14 500 Hektar, rund 1,1 Millionen Hektoliter Wein werden von den Elsasswinzern jährlich produziert. 50 Spitzenlagen dürfen die Bezeichnung Grand Cru tragen, darunter auch der Mittelbergheimer Zotzenberg. Der Mann, der uns das erzählt, heißt Marcel Schwob und ist natürlich Winzer.

98

GARÇON

Mit 76 einer der ältesten im Elsass, sagt er. Gemeinsam mit seinem Sohn Patrick betreibt er sein kleines Weingut in Mittelbergheim und natürlich eine Probierstube mit angeschlossenem Verkauf. Wir kosten uns durch Schwobs Gewächse und erfahren dabei noch, dass im Elsass sieben Rebsorten angebaut werden: Sylvaner, Riesling, Pinot Blanc (Weißburgunder) Muscat d’Alsace, Gewürztraminer, Tokay Pinot Gris (Grauburgunder) und Pinot Noir (Blauer Spätburgunder). Die Entscheidung fällt nicht schwer - unser Favorit ist der Gewürztraminer Grand Cru Zotzenberg 2008: würzig, aromatisch, trocken ausgebaut. Zwölf der schlanken Flaschen, der Flûtes, an denen Elsässer Weine leicht zu erkennen sind, treten die Reise nach Berlin an. Wir trinken Gewürztraminer übrigens gern zu asiatischer Küche und natürlich zu jeder Art von Dessert. Noch ein Tipp am Rande: Nicht weit von Mittelbergheim entfernt, liegt Schloss Kientzheim. Im Schloss ist das Elsässische Weinmuseum untergebracht.

Elsass-Winzer Marcel Schwob


ICH KANN AUCH SCHWIMMEN

• von 300g bis 3000g • eichfähig • abwaschbar durch Staub- und Strahlenschutz (IP65) • Edelstahlkonstruktion • flexibler Einsatz durch Batteriebetrieb betrie • Nettogewicht und Stabilitätsanzeiger • Anzeige für schwache Batterien • separate Tasten zum Einschalten und TARA • Auto Power OFF • optionaler AC Adapter

ab

275,- €

WEINGUT SCHWOB 10, rue Rotland F-67140 Mittelbergheim Tel. 0033 - 3 88 08 02 33 earl.schwob@orange.fr

LONSCHER WAAGEN BEUSSELSTRAßE 44 F - G 10533 BERLIN - MOABIT WWW.LONSCHER-WA AGEN.DE


RUBRIKEN Coledampf´s Küchenkolumne

COLEDAMPF´S KÜCHENKOLUMNE PREUSSEN SIND AUCH NUR BAYERN VON ANDREAS LANGHOLZ

Andreas Langholz, 49, geboren im SchleswigHolstein-Städtchen Eutin, aufgewachsen in Timmendorfer Strand, studierte in Berlin Kommunikationswissenschaften. 1995 eröffnete er Coledampf´s CulturCentrum in Wilmersdorf, fünf Jahre später am Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg. Die „Kochtopfläden“ mauserten sich rasch zu den bestsortierten Haushaltswarengeschäften der Hauptstadt. Nicht nur Herr Sarrazin, auch die Hersteller von Gummibärchen neigen dazu, Statistiken zu missbrauchen, um ihre Kundschaft, unabhängig von Geschlecht, Konfession, Alter, Gewicht, Gendefekten oder Reproduktionsverhalten, in Schubladen zu stecken – ausschließlich nach einem einzigen Kriterium: mögen sie Lakritz oder nicht? Und siehe da, auch wenn der völlig migrationshintergrundfreie Ur-Berliner mit „Lakaritze“ für die Leckerei eine eigene Bezeichnungsvariante entwickelt hat, in Bezug auf den Verzehr derselben gehört

100

GARÇON

er in einen Topf mit Bayern, Schwaben, Hessen oder Thüringern. Bei Hans Riegel in Bonn wird die RheinMain-Linie auch als Lakritz-Äquator bezeichnet. Mit einer Exklave: Berlin. Ganz anders beispielsweise in Schleswig-Holstein. Dort gehört Lakritz zu den Grundnahrungsmitteln. Es liegt auf der Hand, dass die Nordlichter es zu einer gewissen Kennerschaft gebracht haben. Mein Großvater beispielsweise hatte immer eine Schachtel Lakritz in der Jackentasche. Er kaufte sie in der Apotheke („die sind nicht so süß, Junge“) und


Coledampf´s Küchenkolumne RUBRIKEN

Aroma wie es die Lakritz-Spezialitäten von Johan Bülow aus Bornholm haben, noch nie vor den Gaumen gelaufen. Ob klassisch salzig, scharf mit Chili, süßsauer mit Preiselbeeren oder in einer Hülle aus edler Schokolade: lecker. Und wenn sich herausstellen sollte, dass es nicht gelingt, die Berliner in den Norden zurück zu holen, hat wenigstens mein Personalnachtisch eine großartige Heimatgefühl-Komponente. Lakritzmacher: Johan Bülow

setzte sie regelmäßig zur Abhärtung seiner Enkel ein, die Dinger waren nämlich ziemlich scharf. Auch der Hinweis „die sind aus Eselsblut“ fehlte fast nie. So hatten wir wenigstens auch was Gruseliges, die armen Bayern hatten damals nur Franz Josef Strauß. Das mit dem Blut ist natürlich eine Legende, nur gab es damals noch kein Wikipedia, um Opa zu überführen. Dort steht nämlich: „Bei der Herstellung (von Lakritz) werden die Inhaltsstoffe aus den Wurzeln (Süßholz oder Glycyrrhiza) extrahiert und eingedickt. Zusätzlich werden Zuckersirup, Mehl und Gelatine zugesetzt, um daraus die üblichen Lakritzformen herzustellen. Vermischt mit Stärke, Agar, Anis, Fenchelöl, Pektin und teilweise Salmiak werden die diversen Lakritzvariationen gefertigt. Angeblich hat Lakritz je nach Anbaugebiet einen unterschiedlichen Geschmack.

Lakritzhändlerinnen: Hanne Goertz, re. und Lotte Jakobsen

COLEDAMPF‘S CULTURCENTRUM Uhlandstraße 54/55 10719 Berlin-Wilmersdorf Tel. 030 - 883 91 91 Wörther Straße 39 10435 Berlin-Prenzlauer Berg Tel. 030 - 43 73 52 25 www.coledampfs.de

Unser Autor arbeitet übrigens gerade an dem Buch „Lakritz schafft sich nicht ab“, ein Erscheinungstermin steht allerdings noch nicht fest. Kenner sollen den Geschmacksunterschied zwischen den in Spanien, Italien, der Türkei und Frankreich angebauten Pflanzen herausschmecken können.“ Die Zutaten kennen wir jetzt, aber wie bei allen guten Produkten kommt es natürlich auf die Rezeptur an und - da können Sie mir glauben – ist mir so ein

Apropos Komponente: Johan Bülow macht auch süßen Lakritz-Sirup für Desserts und salzigen für Saucen. Na, liebe Küchenchefs, was sagt Eure kulinarische Fantasie?

GARÇON

101


RUBRIKEN Lannis Mix

LANNIS MIX BERLINS BARKEEPER NR. 1 PRÄSENTIERT SEINE DRINKS HEUTE: SPARKLEY Das ist eine neue Garcon-Rubrik. Zuständig dafür ist Andreas Lanninger, ein Mann, der in Berlins gewiss nicht unterprivilegierter Barkeeperszene eine Ausnahmestellung innehat. Manche sagen sogar, Lanninger sei Kult. Lanni, wie ihn Freunde und Stammgäste nennen, beherrscht wie kaum ein zweiter aus der Riege der hauptstädtischen Mix-, Rühr- und Schüttelprofis die hohe Kunst der Drinks. Er hat hunderte Rezepturen von krachenden Klassikern und softigen Schmeichlern im Kopf und das Ohr immer an den Gästen. Und so fließen ständig neue Cocktailkreationen aus seinem Shaker in die Gläser - neuerdings auch immer mehr alkoholarme und alkoholfreie. Eins ist allen Lanninger-Kreationen

102

GARÇON

eigen: jener imaginäre Schuss Lebensfreude, der aus einem schnöden Mixgetränk erst einen individuellen Cocktail macht. 1988 landete der gebürtige Saarländer - Lehre im Restaurantfach in Homburg in Berlin. 17 Jahre lang war er Chef in Harry’s New York Bar, wurde vom Gault Millau als Barkeeper des Jahres geehrt, machte dann Le Bar zum Mittelpunkt des Maritim-Hotels in der Stauffenbergstraße und eröffnete schließlich unter dem Moabiter Abion-Dach Ende April 2008 sein eigenes Domizil. Lanninger - der Name steht auch hier für die Sache. Für 160 Cocktails, 120 Whisk(e)ys, eine Davidoff-Lounge und für jene Mischung aus Charme und Witz, die in Berlins Bars noch viel zu selten ist.

Andreas Lanninger präsentiert fortan in jeder Garcon-Ausgabe einen seiner Cocktails - zum Nachmixen oder Nachrühren und natürlich - Klappern gehört zum Keeper-Handwerk - auch zum Nachdenken, ob nicht mal wieder ein Barbesuch angesagt wäre. Sparkley heißt Lanningers heutige Kreation. Ein Cocktail, der gerührt und im Bordeaux-Glas serviert wird, angenehm frisch und belebend.

LANNINGER BERLIN im Abion Hotel Alt-Moabit 99 10559 Berlin-Tiergarten Tel. 030 - 39 92 07 98 www.lanninger.de


Lannis Mix RUBRIKEN

6 Kumqu ats 4 Stänge l frische Minze 1 cl Crèm e de me n the 5 cl troc kener W e iß wein 5 cl Sekt 5 cl Sprit e ¼ Limett e Eiswürfe l Minzespit zen und Puderzu für die D cker ekoratio n


RUBRIKEN Herzogs Zigarren

HERZOGS ZIGARREN El Malecón an der Spree Von Heiko Gralki

Dr. Maximilian Herzog: Der Berliner Zigarrenkönig

Ganz so reizvoll wie El Malecón, Havannas 8 Kilometer lange Meerpromenade, ist der Weg entlang des Osthafenkais in Berlin natürlich nicht. Aber was tut‘s - gut Party machen, lässt es sich auch hier. Man nehme Musica cubana, schnellen Guaracha und flotten Cha Cha Cha, kräftigen Mojito, eine gute Puro - und das Motto „El Malecón an der Spree“ hat durchaus seine Berechtigung. Berlins Zigarrenkönig Maximilian Herzog mixte diese Ingredienzen, versah das ganze noch mit einigen überraschenden Dekorationen, lud 300 Gäste in den Stralauer Hafen und feierte ein rauschendes Fest. Geschäftsleute tun das in der Regel natürlich nicht ohne guten

104

GARÇON

El Malecón in Havanna

Grund, auch nicht Maximilian Herzog. Als er vor drei Jahren neben seinem Stammhaus am Ludwigkirchplatz ein zweites Geschäft in der Stralauer Allee eröffnete, lobten viele die Risikofreude des Geschäftsmannes. Genauso viele allerdings erklärten Herzog auch schlicht

Der Osthafen in Berlin

für verrückt. „J.w.d.“ und „Zone“ waren noch die freundlichsten Ortsbestimmungen. Tatsächlich kam Herzog damals auf eine freudlose Brache, und man musste wohl schon viel Optimismus aufbringen, um daran zu glauben, hier kubanische Zigarren verkaufen zu können.


Herzogs Zigarren RUBRIKEN

Heute sagt der Händler stolz: “Unser Geschäft am Hafen hat sich gemausert vom Säugling zum Kleinkind.“ Diese Entwicklung von der heruntergekommenen Hafenarbeiterkantine zur noblen Habana-Lounge ging natürlich einher mit dem Aufschwung des gesamten Osthafen-Areals. Strukturbestimmende Firmen wie Universal Music und MTV siedelten sich hier an, über 2000 Arbeitsplätze entstanden. Das historische Gelände entlang des Spreeufers zwischen Elsen- und Oberbaumbrücke gleicht tatsächlich einer blühenden Landschaft. Maximilian Herzog hatte damals, als er sich für diesen Standort entschied,

also den richtigen Riecher. Grund genug, den Gästen des zigarrophilen Festes Besonderes zu offerieren: Eine Por Larrañaga Robusto, die letzte der Ediciones Regionales 2010, die in limitierter Stückzahl speziell für den deutschen Markt konzipiert wurde. Und, ebenso exklusiv, die Ausstellung „Cubanische Tabak-Bild-Kisten-Objekte“ des Berliner Fotokünstlers Hitch. „Diese Objekte verbreiten mit ihren farbintensiven Bildern einen wunderbaren Eindruck ländlich-kubanischen Lebensgefühls und wecken die Lust am Genuss“, formulierte der Berliner Kulturwissenschaftler Micheal Nungesser. Und genau darum geht es Maximilian Herzog.

ZIGARREN HERZOG AM HAFEN Stralauer Allee 9 10245 Berlin-Stralau Tel. 030 - 29 04 70 15 www.herzog-am-hafen.de

GARÇON

105


GASTROQUIZ Schon vor Wende und Wiedervereinigung testete der Gault Millau Restaurants in Ostberlin. Ab 1989 wurden sogar Punkte und Kochmützen vergeben - allerdings mit einer Einschränkung: „Die Noten für die Restaurants der DDR-Hauptstadt bewerten nur die Kreativität der Köche, die Harmonie der Zubereitung und die Exaktheit der Garung, nicht aber die Qualität der verwendeten Produkte. Denn Köche in der DDR können nicht marktgerecht einkaufen, sondern müssen nehmen, was sie kriegen.“ Über das Weinangebot verloren die Gault-Millau-Tester kaum ein Wort. Rot oder weiß - mehr hatte das kabarettreife DDR-Warenverteilungssystem ohnehin nicht zu bieten. Mit einer Ausnahme. Die wird im Gault Millau 1989 so beschrieben: „Die Weinkarte unterscheidet sich vom Angebot der übrigen DDR-Restaurants wie ein Rolls-Royce vom Trabant: über 300 Sorten mit allem, was in Europa gut und teuer ist.“

Wir wollen heute wissen, welches Ostberliner Restaurant einen derart lobenswerten Weinkeller besaß:

A

das Märkische Restaurant im Palasthotel?

B

das Restaurant La Habana im Hotel Metropol?

C

das Restaurant Silhouette im Grand Hotel?

Ihre Antwort bitte an: Bildart Media Verlag GmbH Redaktion GARÇON Marzahner Promenade 26 12679 Berlin E-Mail: info@bildart-verlag.de Die Gewinne, drei Kochbücher deutscher Spitzenköche, werden unter den Teilnehmern verlost, die unsere Frage richtig beantwortet haben. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Einsendeschluss ist der 15. Oktober 2010. Die Gewinne werden von der Redaktion per Post zugesandt.


IMPRESSUM HERAUSGEBER Bild Art Media Verlag GmbH Marzahner Promenade 26, 12679 Berlin Fon 0 30 - 28 86 79 70 Fax 0 30 - 28 86 79 69 info@bildart-verlag.de www.garcon24.de REDAKTION Yvonne Weinlich (V.i.S.d.P.), Jörg Teuscher, Hans-Jürgen Bergs, Heiko Gralki, Claudia Lerch, Marc Steyer, Anna Weber, Malwin Grundmann (Praktikant) AUTOREN DIESER AUSGABE Lee Ann Dördrechter, Dieter Fuhrmann, Jürgen Hammer, Maximilian Herzog, Susanna Kraus, Andreas Langholz, Janusz-A. Lerch, Norbert Pobbig, Andreas Schiechel, Wolfgang Schuhmacher, Manuela Sporbert, Billy Wagner

Das Original seit 1846

N EU

GRAFIK & LAYOUT Maik Kleinhanns/davin-c www.davin-c.de TITEL Karin Baetz www.karindrawings.de FOTOS Heiko Gralki, Jörg Teuscher, Andreas Klitsch, Rolf Muller, SAT.1/Willi Weber, UMSCHAU/Antje Plewinski, Archiv Alsterhof, Archiv Garcon, Archiv Axel Volgmann, Archiv Zander ANZEIGEN Yvonne Weinlich, Henriette Jüngel anzeigen@bildart-verlag.de BEZUGSHINWEISE Zu beziehen in Zeitschriftenhandlungen oder im Abonnement über den Verlag. Einzelheftbestellung: Jedes Heft kostet 4,00 € zuzüglich 1,80 € anteilige Versandkosten pro Sendung. Bezahlung nach Erhalt der Rechnung oder im Lastschrifteinzugsverfahren. Diese Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung bedarf der Zustimmung des Verlages. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Unterlagen und Fotos wird keine Haftung übernommen. Über die Verwendung der Materialien entscheidet die Redaktion. Eine Rückantwort ist nicht vorgesehen, wenn nicht individuelle Absprachen dem entgegen stehen. Aufnahme in Online-Dienste, Internet und Vervielfältigung auf Datenträgern nur nach schriftlicher Bestätigung des Verlages.

Seit mehr als 150 Jahren überliefert die Familie Schamel das Geheimnis feinster Meerrettichqualität. Ob zum Würzen, Dippen, Mischen oder Garnieren: Schamel Meerrettich aus Bayern macht jedes Essen pikanter und weckt die Lebenskräfte. Deutschlands beliebteste Meerrettichmarke ist ein gesunder Genuss zur Krönung aller Speisen. Infos & Rezepte: www.schamel.de

Zur Wurst, zum Fleisch, zum Fisch bring Schamel auf den Tisch!



Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.