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Interview mit Martin Kocher

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Kurzmeldungen

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„Das Potenzial nützen“

Die Österreicherinnen und Österreicher sollten möglichst lange und gesund in der Arbeitswelt aktiv sein, meint Martin Kocher. Weiters spricht sich der Minister für eine überregionale Job-Vermittlung aus.

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HARALD KOLERUS

„Wenn Menschen länger im Arbeitsprozess sind, profitieren alle davon“, Martin Kocher

Der breiten Öffentlichkeit war Martin Kocher bereits als Leiter des IHS bekannt, jetzt führt er die Agenden des Arbeitsministeriums. Im (schriftlich geführten) Interview mit dem GELD-Magazin kristallisiert sich heraus, dass Kocher in der gegenwärtigen Situation vor allem auf Stabilität setzt. Auf Experimente, etwa Änderungen bei der Höhe des Arbeitslosengeldes, will sich der Experte momentan nicht einlassen. Für Diskussionen und Denkanstöße steht er aber offen.

Sie haben mit der Überlegung für Aufsehen gesorgt, das Arbeitslosenentgelt zu Beginn zu erhöhen (die Rede ist von 70% des Letztbezugs), später aber „ein wenig“ zu senken. Können Sie das Modell und seine Zielsetzung kurz vorstellen?

Generell halte ich eine Reform des Arbeitslosengelds zum jetzigen Zeitpunkt nicht richtig. Darüber kann man diskutieren, wenn sich der Arbeitsmarkt wieder etwas erholt hat. Das degressive Modell ist eine mögliche Variante, die wir nach der akuten Krisenbewältigung diskutieren können. Es geht hier darum, dass die Entschädigung am Anfang höher als jetzt liegt, und dann absinkt. Betroffene verlieren damit anfangs nicht so viel, wenn sie arbeitslos werden. Der Anreiz wäre dann aber größer als jetzt, sich schneller einen Job zu suchen.

Können Sie die Höhe der geplanten Senkung bereits beziffern? Derzeit liegt der Ersatz bei 55 Prozent des Letztbezuges. Bei einem durchschnittlichen Netto-Monatsgehalt von 1600 bis 1700 Euro bleibt da bereits heute nicht viel übrig. Sind weitere Senkungen überhaupt zumutbar?

Es gibt verschiedene Modelle, über die man diskutieren kann, sobald sich der Arbeitsmarkt erholt hat. Die Ersatzrate ist dabei nur ein Element. Derzeit ist eine Reform wie gesagt kein Thema, weil die akute Bewältigung der Krise Priorität hat. Der Fokus liegt auf Qualifikationen, um später bessere Chancen zu haben.

Die politische Opposition wittert hinter dieser Maßnahme beim Arbeitslosengeld „Sozialabbau“, was antworten Sie den Kritikern?

Wir verfügen in Österreich über ein sehr engmaschiges soziales Netz und liegen damit auch im europäischen Spitzenfeld. Das halte ich für richtig. Zusätzlich dazu haben

wir jetzt während der Krise dort unterstützt, wo es notwendig ist – wir haben zwei Einmalzahlungen bereitgestellt, auch haben wir die Notstandshilfe auf das Niveau des Arbeitslosengeldes angehoben.

Es ist sicher richtig, Arbeitslose zur Jobsuche zu animieren. Aber ist es nicht so, dass es – vor allem in Zeiten von Corona – schlichtweg an freien Stellen mangelt?

Corona ist natürlich eine Ausnahmesituation am Arbeitsmarkt. Trotzdem haben wir in Österreich derzeit rund 58.000 offene Stellen, die aber regional sehr ungleich verteilt sind. Die überregionale Vermittlung ist hier ein Baustein, mit dem Ziel, das vorhandene Potenzial bestmöglich zu nutzen. Es gibt bereits einige Pilotprojekte, die zum Beispiel durch die Bereitstellung einer Unterkunft und optimaler Betreuung vor Ort beim Umzug unterstützen. Es ist wichtig, das weiter zu stärken, vor allem nach Corona. Darüber hinaus ist es wichtig, auch zu berücksichtigen, dass viele der derzeit verfügbaren Stellen nicht beim AMS gemeldet sind und daher bei der Stellenvermittlung auch nicht aufscheinen. Es kommen auch ständig neue freie Stellen dazu, man darf die Dynamik des Arbeitsmarkts nicht unterschätzen. Es ist daher davon auszugehen, dass das tatsächliche Stellenangebot deutlich größer ist.

Stichwort Corona: Welche weiteren konkreten Hilfsmaßnahmen sind für den Arbeitsmarkt geplant? Wirtschaftsforscher gehen ja davon aus, dass viele Firmenpleiten und somit Jobverluste erst heuer im zweiten Halbjahr kommen …

Aktuell geht es um die Sicherung von Beschäftigung und Qualifizierung während der akuten Krisenbewältigung. Die Kurzarbeit ist derzeit sicher eines der wichtigsten Kriseninstrumente, mit der wir die Menschen in Beschäftigung halten. So haben wir in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern die Verlängerung der Kurzarbeit bis Ende Juni in ihrer derzeitigen, relativ großzügigen Form beschlossen. Das ist auch wichtig, weil die Pandemie noch nicht überstanden ist und wir in einigen Bereichen immer noch mit behördlichen Schließungen konfrontiert sind. Längerfristig ist meiner Meinung nach Qualifizierung der Schlüssel. Wenn wir jetzt qualifizieren, haben wir ausreichend gut ausgebildete Arbeitskräfte, wenn die Konjunktur wieder Fahrt aufnimmt. Das ist mir auch persönlich ein besonderes Anliegen in meiner Arbeit.

Welche Maßnahmen wird es für Teleworking geben?

Wir haben Ende Jänner gemeinsam mit den Sozialpartnern neue Regeln für das Arbeiten im Homeoffice beschlossen, die meiner Meinung nach die Rahmenbedingungen für das Arbeiten zu Hause sehr klar machen und die Bedürfnisse beider Seiten – die der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und die der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – berücksichtigen. Unser Regelwerk enthält unter anderem arbeitsrechtliche Bestimmungen, wie den Unfallversicherungsschutz für Beschäftigte im Homeoffice. Auch steuerlich haben wir Begünstigungen geschaffen und einen steuerlichen Absetzbetrag von in Summe 600 Euro pro Jahr für das Homeoffice ermöglicht.

Seit Jahrzehnten wird eine Senkung der Lohnnebenkosten gefordert, wollen Sie hier neue Initiativen setzen?

Der Faktor Arbeit ist bekanntermaßen in Österreich stark belastet. Über eine Senkung der Lohnnebenkosten kann man meiner Meinung nach jedenfalls diskutieren, um Impulse für den Aufschwung zu generieren.

Eine Reduktion der Lohnnebenkosten würde automatisch weniger Einnahmen für den Staat bedeuten. Wie lässt sich der Ausfall kompensieren?

So einfach ist das nicht. Die Struktur der Lohnnebenkosten und Lohnabgaben in Öster-

In Österreich gibt es derzeit rund 58.000 offene Stellen.

reich ist sehr komplex. Jede Entlastung, sei es eine Steuerentlastung, sei es eine Senkung der sonstigen Abgaben, führt natürlich zu Mindereinnahmen. Gleichzeitig hat das auch positive Effekte auf die Beschäftigung und auf die Einkommen der Menschen, wovon wiederum der Staat profitiert.

Ein Dauerbrenner der Arbeitsmarktpolitik ist ebenfalls die Anhebung der Lebensarbeitszeit. Müssen wir also bald bis 70 arbeiten? Außerdem sagt der Volksmund: Wenn die „Alten“ länger arbeiten, nehmen sie den „Jungen“ die Jobs weg. Stimmt das?

Das ist ein vielverbreiteter Mythos. Vielleicht in einzelnen Fällen, aber auf der Ebene der Gesamtwirtschaft ist das nicht der Fall, weil unterschiedliche Qualifikationen vorliegen. Menschen, die im Arbeitsprozess sind, haben zudem mehr Konsummöglichkeiten und schaffen damit auch zusätzlich Arbeitsplätze. Wenn Menschen länger im Arbeitsprozess sind, profitieren alle davon. Als Arbeitsminister ist es natürlich mein Ziel, die Menschen möglichst lang gesund in Beschäftigung zu halten. Wenn sich das faktische Pensionsalter an das gesetzliche annähert, haben wir schon einen großen Schritt gemacht.

www.bmafj.gv.at

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