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Interview klaus neusser

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Die abgesagte Rezession

Österreichs Wirtschaft könnte mit einem blauen Auge davonkommen und nicht in die Rezession abrutschen. Das wahrscheinlichste Szenario heißt Stagflation, meint IHS-Direktor Neusser.

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HARALD KOLERUS

Positive Botschaften hört man in diesen Tagen nur selten. In einer Zeit, in der Krieg und Teuerung das Geschehen bestimmen. Aber vielleicht kommt manches doch nicht ganz so schlimm wie befürchtet, zumindest für die heimische Wirtschaft. Das Institut für Höhere Studien (IHS) prognostiziert für das kommende Jahr in Österreich ein Wachstum von 0,3 Prozent. Das ist wahrlich nicht viel, die Rezession könnte somit aber doch abgewehrt werden, das sagt IHS-Direktor Klaus Neusser im Gespräch mit dem GELD-Magazin.

Corona-Nachwehen, Ukraine-Krieg, extreme Inflation: Das alles sieht nicht rosig aus. Können Sie bitte kurz die globale Wirtschaftslage zusammenfassen?

Tatsächlich hat sich seit Juni das gesamte ökonomische Umfeld eingetrübt. Für die USA sind die Prognosen allgemein nach unten angepasst worden. Die Vereinigten Staaten stehen unterschiedlichen Schätzungen zufolge kurz vor der Rezession oder befinden sich bereits in dieser. Auch für Deutschland, dem für Österreich wichtigsten Wirtschaftspartner, werden die Prognosen zurückgefahren. Manche Experten und Expertinnen gehen für Deutschland von einer Rezession im kommenden Jahr aus.

Wie sieht die Situation nun für die heimische Volkswirtschaft aus?

Österreich reagiert mit einer gewissen Verzögerung auf die weltwirtschaftliche Entwicklung, das IHS hat seine Prognosen jetzt aber nach unten revidiert. Ich möchte dabei festhalten, dass Österreich nicht so schlecht aufgestellt ist. So trifft uns etwa der Einbruch in China nicht so dramatisch wie Deutschland, das stark von Exporten abhängig ist. Ein Vorteil für Österreich ist, dass der Tourismus im Sommer gut gelaufen ist, das merkt man sowohl an den Nächtigungs- als auch Beschäftigungszahlen. Wenn es im Winter so weiter geht, ist das ein großer Pluspunkt für unsere Wirtschaft.

Österreich wird also nicht in die Rezession abrutschen?

ZUR PERSON

IHS-Direktor Prof. em. Dr. DI Klaus Neusser: Nach dem Studium der Technischen Mathematik mit Nebenfach Volkswirtschaftslehre promovierte Neusser an der Technischen Universität Wien (PhD) und habilitierte 1990 an der Uni Wien in den Bereichen Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik sowie Ökonometrie. Von 1993 bis 1994 war Klaus Neusser ordentlicher Professor für Volkswirtschaftslehre an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), Deutschland. Von 1994 bis 2019 war er ordentlicher Professor für Volkswirtschaftslehre, mit Schwerpunkt auf Ökonometrie und Makroökonomie an der Universität Bern, Schweiz. Am 2. Mai 2022 wurde Neusser interimistisch zum Direktor des Instituts für Höhere Studien (IHS) ernannt. Er wird die Funktion innehalten, bis die statutenmäßige Nachbesetzung der Leitung erfolgt ist – die Position ist bereits ausgeschrieben und der Bewerbungsprozess läuft. Seine Forschungsschwerpunkte sind Makroökonomie und Zeitreihenanalyse. So sieht es derzeit aus. Das heimische Wachstum befindet sich auf hohem Niveau, das wird voraussichtlich zurückgehen aber nicht in die Rezession abstürzen. Das wahrscheinlichste Szenario lautet somit: Stagflation, das bedeutet Stagnation plus Inflation.

Die österreichische Volkswirtschaft dürfte in der ersten Jahreshälfte im laufenden Jahr um 4,7 Prozent zulegen. Für 2023 wird nur noch ein Wachstum von 0,3 Prozent erwartet. Übrigens scheinen unsere Gas-Speicher bereits ausreichend gefüllt zu sein, um gut über den Winter kommen zu können.

Eine gute Nachricht, aber wie wird es mit der extrem hohen Inflation weitergehen? Ist endlich Entspannung in Sicht?

Bis zum Ende des Jahres wird die Teuerung noch etwas fortschreiten, dann ist langsam eine gewisse Entspannung in Sicht. Getrieben von den hohen Energiepreisen und in Einklang mit der internationalen Entwicklung dürfte die heimische Inflationsrate laut unserer Herbst-Prognose heuer im Jahresdurchschnitt 8,5 Prozent betragen und mit etwa 6,8 Prozent auch im nächsten Jahr hoch bleiben. Wir sehen aktuell keine extremen Inflations-Treiber mehr, auch wenn höhere Lohnabschlüsse einen gewissen Schub darstellen werden und die hohen Gaspreise noch nicht völlig bei den Konsumenten und

Die Sanktionen gegen Russland sind auch eine moralische Frage.

der Industrie angekommen sind. Für 2024 haben wir beim IHS noch keine Prognose angestellt, die Inflation könnte sich dann aber auf einem Niveau von rund fünf Prozent bewegen.

Gefordert wird auch eine Besteuerung von Zufallsgewinnen ...

Ich bin ein Gegner solcher Formen der Besteuerung, die übrigens steuerrechtlich und ökonomisch schwer zu definieren wären.

Tatsache ist: Unser Leben bleibt teuer. Wie sind Sie mit den heimischen Plänen zur Abfederung zufrieden? Es gibt ja heftige Kritik an der „Gießkanne“, was ist Ihre Meinung?

In Summe halte ich die sehr vielen Maßnahmen für positiv, wobei ich die Kritik an der „Gießkannen-Methode“ schon nachvollziehen kann, denn es wird praktisch jeder profitieren. Allerdings ist es sehr schwierig, zielgerichtet vorzugehen, das ist viel leichter gesagt als getan. Es handelt sich bei dem umfangreichen Maßnahmenpaket aus meiner Sicht jedenfalls um keinen Fehlschlag.

Eine durchaus umstrittene Forderung an die Regierung zielt in Richtung einer Senkung der Mehrwertsteuer ab – was halten Sie davon?

Der Großteil der Ökonomen spricht sich einhellig gegen solche Pläne aus, dem schließe ich mich an. Denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine Senkung eins zu eins an die Konsumenten weitergegeben würde. Weiters besteht das Problem, für welche Güter die Reduktion gelten sollte? Beispiel: Es gibt „normales“ Brot als Grundnahrungsmittel genauso wie teure „Luxusprodukte“. Und letztlich würde mit einer generellen Senkung erst recht die Gießkanne für alle ausgeschüttet werden. Aber jedenfalls würden Unternehmen, die auf Erneuerbare Energien gesetzt haben, jetzt dafür bestraft werden. Das wäre ein schlechtes Signal und würde Investitionen in die Zukunft schädigen. Und wir benötigen enorme Investitionen in die Infrastruktur, Alternativenergie etc. dringend, wenn die Energiewende gelingen soll. Was wir ja alle wollen.

Die Inflationsbekämpfung kostet Unsummen, wer soll das bezahlen?

An dieser Stelle gilt es festzuhalten, dass der Schuldenstand der Republik gemessen am BIP gesunken ist und laut Prognosen weiter sinken wird. Durch die hohe Inflation wird die Problematik gemildert, weil Schulden „weginflationiert“ werden. Natürlich stimmt das Argument, dass kommende Generationen durch Deficit-Spending belastet werden, zumindest zum Teil. Aber was wäre jetzt die Alternative? Der Staat muss Solidarität zeigen und die Krise nicht voll durchschlagen lassen, das wäre der falsche Weg.

Abschließend ein Schwenk zur Ukraine: Die Sanktionsfront in der EU scheint zu bröckeln. Sollte man sie aufweichen?

Nein. Denn ich kann aus rein ökonomischer Sicht der These nicht zustimmen, dass die Sanktionen dem Westen mehr schaden würden als Wladimir Putin. Russlands Wirtschaft befindet sich auf Talfahrt, man kann dabei zusehen, wie ein Staat in die Misere schlittert. Daran ändern auch die geschönten offiziellen russischen Klaus Neusser: „Ich bin ein Gegner der Besteuerung von Zufallsgewinnen.“ Zahlen nichts. Auch wäre es naiv zu glauben, dass bei einer Aufhebung der Sanktionen Gas wieder ungebremst in den Westen fließen würde. Letztlich befinden wir uns in einer Auseinandersetzung zwischen einem westlich-liberalen Weltbild und der russisch geprägten Verachtung gegenüber unseren Werten. Sanktionen sind auch eine moralische Frage. www.ihs.ac.at

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