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Interview robert halver

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Investieren Sie anti-zyklisch!

Die Anlegerstimmung liegt am Boden – dennoch halten sich die Weltbörsen gut. Wie es an den Finanzmärkten weitergeht und welche Strategie die Investoren verfolgen sollten, erläutert Marktstratege Robert Halver.

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WOLFGANG REGNER

Wo sehen Sie die größten Risiken für die Finanzmärkte?

Eindeutig bei der Inflation und den Notenbanken, die diese bekämpfen. Denn eine restriktive Zinspolitik ist der größte natürliche Feind der Aktienmärkte, weil Zinspapiere die klassische Alternativanlage sind. Die anstehende Rezession in Europa ist zwar auch ein Belastungsfaktor – doch hat sie auch den Effekt, den Inflationsdruck zu bremsen. Europa wird 2023 in die Rezession gehen. In den USA sollte die Kontraktion der Konjunktur eher milde ausfallen.

Wie geht es in den USA weiter?

Ich glaube, eine strikte Inflationsbekämpfungspolitik wie in den 80er-Jahren wird es heute nicht mehr geben. Einerseits wird man den Preisdruck bremsen, da ansonsten dem Konsum als wichtigste Konjunkturstütze zu viel Kaufkraft geraubt wird. Andererseits sind negative Realzinsen erwünscht, weil sie Verschuldung künstlich reduzieren. Wir dürfen nicht vergessen, dass Amerika dramatisch hoch verschuldet ist. Bei etwa 4,5 Prozent FED-Funds-Rate ist also Schluss. Damit ist Anfang 2023 zu rechnen.

Die US-Renditestruktur am Anleihemarkt ist invers geworden: ein untrügliches Anzeichen für eine Rezession …

Ja, dieser Indikator ist recht zuverlässig. Die Rendite der zehnjährigen US-Treasuries liegt bei rund vier Prozent, bei den fünfjährigen Zinstiteln gar bei 4,2 Prozent. Investoren befürchten, dass die FED übers Zins-Ziel hinausschießen könnte.

Ist der Gipfelpunkt der Inflation in den USA bereits erreicht?

Wir befinden uns schon recht nahe beim

Robert Halver: „Eine strikte Inflationsbekämpfung wie in den 1980er-Jahren wird es nicht mehr geben.“

Top. Die Lieferketten sind wieder fester und die Frachtraten geben nach. In den USA sind zudem die Lager gut gefüllt, was in einzelnen Segmenten sogar zu Preisnachlässen führen könnte. Auch sind die Preiserhöhungsabsichten kleinerer und mittlerer Betriebe weit weniger stark ausgeprägt als noch vor einiger Zeit. Dies ist ein zuverlässiger Indikator für eine fallende Kerninflationsrate auf Sicht der kommenden Monate.

Wie ist die Stimmung an den Weltbörsen?

Ich denke, wir sind in einer Bodenbildung. Das, was uns wirtschaftlich erwartet, ist ja an den Börsen bekannt, z.B., dass die Unternehmensgewinne bis ins erste Quartal 2023 enttäuschen könnten. Im Übrigen ist die Nacht kurz vor der Morgendämmerung am dunkelsten. Schlechte Stimmungsindikatoren sind ein Kontraindikator, denn wer verkaufen wollte, hat dies schon getan. Deshalb sehe ich die berechtigte Hoffnung, dass wir das Schlimmste bald überstanden haben. Daneben sind die Cash-Quoten der Fondsmanager so hoch wie seit 2001 nicht mehr. Man kann das Geld ja zwischenzeitlich in Zinspapieren parken. Aber bei Anleihen sind die Anleger trotz der Renditesteigerungen alles andere als euphorisch gestimmt, denn die Realzinsen gemessen an den aktuellen Inflationsraten sind immer noch deutlich negativ. Aktien gewinnen wieder an Stärke.

Wie schätzen Sie die Lage in China ein?

Früher war Xi Jinping noch ein Freund des unternehmerischen Freigeistes. Heute reicht

aber schon die theoretische Möglichkeit, dass Social Media-Giganten die Allmacht der KP stören könnten, aus, um sie wie bisswütige Hunde an die kurze Leine zu nehmen. Die totale Kontrolle bremst aber den technologischen Fortschritt. Der Regierung zwangsweise treu ergebene Unternehmensvorstände werden aus Angst vor Repressalien nicht mehr das umsetzen, was sie für richtig halten, sondern das, was der KP gefällt. Ein autoritärer Staat ist zwar schnell in der Umsetzung von Maßnahmen, aber sind diese überhaupt angemessen? Erst das freie Denken gestattete chinesischen High-Tech-Firmen, sich mit der Konkurrenz des amerikanischen Klassenfeindes zu messen. IT-Spezialisten werden in China nun sozialistische Bleiwesten angelegt. Der Brain-Drain aus China ist der Brain-Flow nach Amerika. Dies alles behindert eine positive Sichtweise chinesischer Aktien.

Wie geht es an den Märkten weiter?

Wir sehen Strukturbrüche, Krieg, eine DeGlobalisierung, dazu die Energiekrise. Angesichts dieser Belastungsfaktoren haben sich die Aktienmärkte erstaunlich gut gehalten. Enttäuschungen bei den Unternehmensgewinnen sind in naher Zukunft zwar durchaus möglich, doch diese sind in die Analystenschätzungen bereits miteingeflossen. Ich denke, dass wir spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2023 einen Turnaround der Aktienmärkte sehen werden. Der Ukrainekrieg ist in den Zeitungen kein Top-Thema mehr. Natürlich können sich Risiken einstellen, wenn „schwarze Schwäne“, wie die Börsianer sagen, auftauchen. Putins Verbünde-

ter China ist aber strikt gegen einen Nuklearwaffeneinsatz. Und zum Glück hat China die „Gunst“ der Stunde verstreichen lassen, und Taiwan nicht bald nach dem Beginn des Ukrainekrieges angegriffen. Doch die Chinesen kaufen lieber westliche Infrastruktur für ihre neue Seidenstraße, als Taiwan zu überfallen, aktuell einen Teil des Hamburger Hafens. Zudem sind Wir werden uns an eine sie von Halbleitern höhere Inflation gewöhnen ‚Made in Taiwan‘ abmüssen. hängig. Das Fazit lautet: Ich glaube, dass die Märkte in ihrer Korrekturphase bereits weit vorangeschritten sind. Natürlich bleibt Vorsicht angesagt. Aber wer nur auf Risikovermeidung setzt, verpasst auch die Chancen. Bei Einzelaktien würde ich derzeit die USA bevorzugen. Wenn der US-Zinsgipfel in Sicht kommt, dürften die schwer geprügelten US-Technologiewerte outperformen. Europa ist aufgrund seiner konjunkturzyklischen Orientierung erst gefragt, wenn die Weltkonjunktur wieder lächelt.

Könnte es wegen geringer Preismacht vieler Unternehmen nicht zu bösen Überraschungen bei den Gewinnen kommen?

Die Käufer treten bei zu hohen Preisen in den Streik. Also gehen die höheren Einstandspreise zulasten der Marge. Auf diese Entwicklung gehen die Unternehmen aber in ihren Ausblicken bereits ein. Und sie sparen, wo es geht. Die Enttäuschungen werden sich also in Grenzen halten, zumal das Management vor Bekanntgabe von Ergebnissen gerne tiefstapelt, so dass diese positiv überraschen. Ja, Unternehmen beherrschen auch das psychologische Spiel ohne Ball.

Ihre Top-Empfehlung für Privatanleger?

An der Börse wird nicht zum Einstieg geklingelt. Daher sollten Anleger auf regelmäßige Aktienansparpläne in Fonds oder ETFs setzen, um langfristig günstige durchschnittliche Aktienkurse zu erreichen. So können Anleger niedrige Kurse ausnützen, da sie dann automatisch mehr Fondsanteile für ihr Geld erhalten. Dies erlaubt es Investoren, auch ohne Know-how für Marktindikatoren und Charttechnik antizyklisch zu investieren. Dabei sollten sie eine breite Aufstellung wählen, auf der Aktienseite also nicht nur die gut gelaufenen Value-Fonds bevorzugen, sondern auch Growth-Produkte beimischen. Denn die Energiepreise könnten 2023 nach unten korrigieren, wie dies bereits in den letzten Wochen geschehen ist. Und kommt der Zinsgipfel in Sicht, werden auch die Wachstumswerte wieder besser laufen.

www.baaderbank.de

ZUR PERSON

Nach Abschluss seines wirtschaftswissenschaftlichen Studiums begann Robert Halver seine berufliche Karriere als Wertpapieranalyst bei der Sparkasse Essen. Anschließend war er bei der Privatbank Delbrück & Co für die Analyse der internationalen Kapitalmärkte verantwortlich. Später formulierte er als Chefstratege die Anlagepolitik für Aktien- und Renten-Investments. Seit 2008 ist Herr Halver bei der Baader Bank AG in Frankfurt beschäftigt. Als Leiter der Kapitalmarktanalyse ist er für die Einschätzung der internationalen Finanzmärkte zuständig.

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