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Interview mit Karim El-Gawhary

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„Nicht polarisieren“

Vor rund zehn Jahren wurde der „Arabische Frühling“ ausgerufen. Warum dieser Begriff aber zweifelhaft ist, und wieso die Region nicht zur Ruhe kommt, erklärt der bekannte Nahost-Korrespondent Karim El-Gawhary.

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HARALD KOLERUS

Die Telefonleitung nach Kairo funktioniert einwandfrei, als das GELD-Magazin Karim El-Gawhary an seinem ORF-Standort erreicht. Von dort aus deckt er den arabischen Raum ab, er kommt bei seiner Berichterstattung aber auch schon einmal der Front des sogenannten Islamischen Staates auf wenige Kilometer nahe. „Dabei bin ich überhaupt kein Draufgänger und überlege mir genau, wo ich hingehe und wohin nicht“, so der Reporter. Sein Einsatz in der unruhigen Region hat ihm jedenfalls schon mehrere Auszeichnungen eingebracht, so wurde er 2012 zum Auslandsjournalisten des Jahres gewählt. Eine seine Botschaften lautet, Arabien nicht schwarz-weiß zu sehen.

Die erschütternde Terrorattacke von Wien drängt auch die Frage auf, warum sich junge Europäer in Syrien dem sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) anschließen wollen? Wenn das nicht funktioniert, wird ein Blutbad unter Unschuldigen angerichtet. Woher kommt dieser unglaubliche Hass?

Das ist wirklich sehr schwer zu erklären. Ein Faktor ist, dass sich viele junge Muslime in Europa auf verlorenem Posten sehen. Wer später zum Terroristen wird, hatte zuvor auch schon oft in der kleinkrimminellen Szene Erfahrung gemacht. Viel wichtiger ist aber die Frage: Was will der IS eigentlich erreichen? Er sagt selbst, dass er die Gesellschaft spalten will. Das erfolgt anhand eines simplen schwarz-weiß- bzw. gut-böseSchemas. Sollte Europa junge Muslime wirtschaftlich und gesellschaftlich ausgrenzen, hätte der IS sein Ziel erreicht. Europa darf nicht in diese Falle tappen! Die vernünftige Gegenstrategie lautet, der Polarisierung entgegenzuwirken.

Betrachten wir die internationalen Zusammenhänge: Vor rund zehn Jahren begann der sogenannte „Arabische Frühling“, den Sie in Ihrem jüngsten Buch „Repression und Rebellion“ ausführlich behandeln. Können Sie hier einen kurzen Einblick geben?

Zunächst möchte ich anfügen, dass es nicht sinnvoll ist, die arabische Welt mit KoranZitaten oder Jahreszeiten erklären zu wollen. Wir sehen hier politische Prozesse, die Jahre und Jahrzehnte andauern, ich wehre mich daher gegen den Begriff des „Arabischen Frühlings“. Tatsächlich ist es auch schwer zu sagen, was die Arabische Welt ausmacht. So wie man nicht pauschal beantworten kann, wie sich Europa definiert. Arabien ist nicht schwarz-weiß, sondern sehr vielschichtig und nicht durch die „reli-

giöse Brille“ zu erklären. Klar ist, dass die Region von einer sehr jungen Bevölkerung geprägt wird: 60 Prozent der Bürger sind unter 30 Jahre alt. Wobei sehr viele Menschen in der Arabischen Welt meinen, dass die Religion eine zu große Rolle in der Gesellschaft spielt. Und Umfragen zufolge sagen rund 80 Prozent, dass religiöse Institutionen reformiert werden müssten. Soziale Identität wird somit zunehmend wichtiger als religiöse Identität.

Wie sieht nun das Resümee nach zehn Jahren arabischer Revolution aus?

Ich war 2011 in Ägypten, als der Langzeitdiktator Mubarak gestürzt worden ist. Alle dachten damals: Die Arabische Welt wird friedlicher werden. Das war eine Fehleinschätzung. Die arabischen Autokraten haben Veränderungen nicht zugelassen und die Protestbewegungen brutal unterdrückt. Es wird also versucht, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Die Folgen sind offensichtlich, etwa der Bürgerkrieg in Syrien und das Chaos in Libyen. Wobei hinzukommt, dass diese Autokraten untereinander gut zusammenarbeiten. In den letzten zehn Jahren haben wir somit eben einen Wettlauf zwischen Rebellion und Repression gesehen. Einen Wettkampf zwischen denen, die ihre Macht zu verlieren haben – und denen, die gar nichts mehr zu verlieren haben.

Sie nennen aber auch positive Beispiele, etwa Tunesien. Was läuft dort besser?

Der Erfolg einer Revolution hängt auch davon ab, wie fest ein Regime im Sattel sitzt, wobei Öl-Milliarden für die Machterhaltung natürlich dienlich sind. Die sind in Tunesien im Vergleich zu den Golf-Staaten nicht vorhanden. Die Revolution hat in Tunesien aber auch besser geklappt, weil hier bereits starke Institutionen vorhanden waren: Zum Beispiel Gewerkschaften, Berufs- und Frauenverbände. Soll eine Protestbewegung zu Erfolgen führen, benötigt man einen langen Atmen: Es wäre naiv zu glauben, dass es reicht, wenn man einige Wochen auf die Straßen geht und einen Autokraten stürzt. Solide Institutionen müssen die Führung übernehmen.

Wie wird es nun in Nahost weitergehen?

Es wäre sehr verwegen, hier exakte Prognosen erstellen zu wollen. Man kann aber mit Sicherheit sagen, dass die Situation alles andere als nachhaltig ist: Große Armut, extreme Ungleichheit sowie Machtlosigkeit der Bevölkerung prägen das Bild und sind der Nährboden für Konflikte. Sie müssen sich vorstellen: Zum Beispiel in Ägypten muss ein Drittel der Bevölkerung mit durchschnittlich 1,3 Euro pro Tag auskommen. Zusätzlich hat die Covid-19-Pandemie die allgemeine Lage verschärft und Ungleichheit sowie Armut in Nahost weiter ansteigen lassen. Es herrscht somit vielerorts ein Gefühl der Machtlosigkeit. Für mich ergeben sich vier Optionen für die weitere Entwicklung. Erstens: Resignation, der sich tatsächliche sehr viele Menschen hingeben. Zweitens: Militanz und Terrorismus. Drittens: Flüchtlingsbewegungen. Und Viertens das Erklimmen der Barrikaden. Letzteres werden wir noch viel häufiger sehen, ob diese Protestbewegungen blutig oder eher friedlich verlaufen werden, lässt sich dabei nicht sagen. Jedenfalls glaube ich, dass alle vier genannten Optionen gleichzeitig passieren werden; wir werden also noch sehr viel Unruhe in der Arabischen Welt sehen.

Wie könnte Europa zu einer Verbesserung der Situation beitragen?

Zunächst muss man sagen, dass der Einfluss Europas in Nahost begrenzt ist und die wahren Veränderungen aus der Region selbst kommen müssen. Jedenfalls sollte Europa versuchen, die Arabische Welt nicht mit der „religiösen Brille“ erklären zu wollen. Die Rechnung: „Arabien ist gleich Islam“ geht nicht auf. Und der Versuch, die Spannungen in Nahost alleine auf die Spaltung zwischen Schiiten und Sunniten zurückzuführen, halte ich für Unsinn. Vielmehr geht es um einen knallharten Machtkampf zwischen den Staaten in der Region, etwa dem Iran, Saudiarabien und der Türkei. Was Europa jedenfalls machen sollte: Aufzuhören, die Autokraten in Nahost bedingungslos zu hofieren.

https://twitter.com/Gawhary

Europa sollte aufhören, die Autokraten in Nahost bedingungslos zu hofieren.

ZUR PERSON

Karim El-Gawhary wurde 1963 in München geboren und studierte an der FU Berlin Islamwissenschaften und Politik mit dem Schwerpunkt Nahost. Seit Mai 2004 leitet er das ORF-Büro in Kairo und betreut von dort den gesamten arabischen Raum. Seit 1991 arbeitet er auch als Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Zeitungen, darunter „Die Presse“, „taz“ oder den „Bonner Generalanzeiger“. El-Gawhary ist außerdem erfolgreicher Buchautor. Sein neuestes Werk „Repression und Rebellion“ wird in diesem GELDMagazin auf Seite 82 vorgestellt.

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