Aus der Geschichte des Dorfes Möckern bei Leipzig – Leseprobe

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Achtner Media Verlag

19,95 Euro (D)

LEIPZIG BEI

DER

GESCHICHTE

DES

DORFES MÖCKERN

DORFES MÖCKERN LEIPZIG

DES

BEI

GESCHICHTE

Zahlreiche historische, aber auch farbige Illustrationen und Fotografien veranschaulichen die mannigfaltigen Informationen, die das Ehepaar Ulrike und Karl-Heinz Kohlwagen in akribischer ehrenamtlicher Arbeit im Bürgerverein Möckern/Wahren e. V. zusammengetragen hat. Die über die Jahre in der Bürgerzeitung VIADUKT veröffentlichten Beiträge der Autorin werden nun in diesem Buch vom Achtner Media Verlag herausgegeben.

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Natürlich dürfen im Buch wichtige Themen wie Schule und für den Ort markante Gebäude, etwa der Hungerturm, der »Anker« oder die Kernsche Anstalt, nicht fehlen und werden informativ beschrieben.

ULRIKE KOHLWAGEN

ULRIKE KOHLWAGEN · AUS

Unter dem Titel »Aus der Geschichte des Dorfes Möckern bei Leipzig« gibt Ulrike Kohlwagen interessante Einblicke zu Begebenheiten aus sieben Jahrhunderten des einstigen Vorortes der großen Messestadt. Dabei beginnt sie mit der Frühzeit des Dorfes, gibt Einblicke in das Rittergut zu Möckern, beleuchtet die wechselhafte Geschichte der einstigen gastronomischen Einrichtungen des Ortes, wirft aber auch einen Blick auf Szenen des Alltages – so zum Beispiel auf die Armenpflege im alten Möckern und die damaligen Straßenzustände.

Achtner Media Verlag

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BEGEBENHEITEN SIEBEN JAHRHUNDERTEN


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ULRIKE KOHLWAGEN

AUS

DER

GESCHICHTE

DES

DORFES MÖCKERN BEI

LEIPZIG

BEGEBENHEITEN AUS

SIEBEN JAHRHUNDERTEN

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1. Auflage © 2021 Achtner Media Verlag, Leipzig www.8ner-media.de

Achtner Media Verlag Titelbild: Rittergut Möckern, um 1870 (Quelle: Archiv Kohlwagen) Idee & Texte: Ulrike Kohlwagen Layout: Susan Held Umsetzung: 8ner Media Werbeagentur Inhaber: Denis Achtner Leipziger Str. 71, 04178 Leipzig, Tel.: 03 41/4 41 85 05 info@8ner-media.de, www.8ner-media.de USt-IdNr.: DE323865802 Alle Rechte vorbehalten! Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Herausgebers. ISBN: 978-3-949602-04-7

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KURZBIOGRAFIE

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lrike Kohlwagen (*1943) arbeitete nach dem Abschluss des Mathematikdiplomstudiums 1967 bis zu ihrem Ruhestand 2008 als Informatikerin. Ab Mitte der 1980er Jahre beschäftigte sie sich zusammen mit ihrem Ehemann, Karl-Heinz Kohlwagen, mit der Vorortgeschichte Möckerns. Seit der Gründung des Bürgervereins Möckern-Wahren e. V. im Jahre 1992 setzten sie die intensive ehrenamtliche Beschäftigung mit der Historie des ehemaligen Dorfes Möckern fort. Die Ergebnisse publizierte Ulrike Kohlwagen in Vorträgen sowie in regelmäßigen Beiträgen in der Bürgerzeitung VIADUKT.

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INHALTSVERZEICHNIS Vorwort.........................................................................................................13 Aus der Frühzeit des ehemaligen Dorfes Möckern ........................................15 Überlegungen zur Entstehung Möckerns .................................................15 Episoden aus den frühen Jahrhunderten..................................................18 Das Rittergut zu Möckern .............................................................................20 Aus den Anfangsjahren ............................................................................20 Ein dörflicher Konflikt im Jahre 1679 ......................................................22 Wechselvolle Zeiten (1681–1852)............................................................24 Das Rittergut in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts .................................26 Die Gräfin Schimmelmann .......................................................................29 Das ehemalige herrschaftliche Gut in Möckern – eine Übersicht..............31 Gastliches......................................................................................................35 Vom Bierausschenken in Möckern............................................................35 Die »Goldne Krone« .................................................................................37 Die herrschaftliche Schenke .....................................................................44 Der »Weiße Falke«....................................................................................47 Der »Goldne Anker« .................................................................................51 Der »Goldne Löwe« ..................................................................................55 Die »Kiachtahütte« ...................................................................................59 Das »Sängerheim« – die frühen Jahre ......................................................62 Heißer Kaffee gefällig?.............................................................................64 Ereignisse......................................................................................................67 Möckern am 16. Oktober 1813 – »Verfluchtes Nest« ................................67 »Land unter« im Februar 1909 .................................................................69 Aus dem Alltag .............................................................................................74 Die Armenpflege im alten Möckern..........................................................74 Die Armenhäuser in Möckern ..................................................................77 Abgabenlasten..........................................................................................80 Steuerschulden? Na, prost!? ....................................................................82 Die Möckernsche Wasserversorgung im 19. Jahrhundert.........................85 Nur noch den Hahn aufdrehen …............................................................88 Weg mit Schaden?....................................................................................90 Das Elsterbad ...........................................................................................93 Die Pferdeschwemme...............................................................................97 Straßenzustände ....................................................................................100 Handel mit Wandel ................................................................................104

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Schule und mehr.........................................................................................110 Von den Anfängen des Schulwesens – nicht nur in Möckern..................110 Wie Möckern eine eigene Schule bekam ................................................113 Die Schulneubauten 1858 und 1875......................................................117 Der Schulneubau ab dem Jahre 1885 ....................................................120 Die Möckernsche Schule wird städtisch .................................................125 Die Möckernsche Schule und das kühle Nass.........................................127 Mehr als nur Unterricht .........................................................................129 25 Jahre 39. Grundschule ......................................................................132 Die ehemalige Kinderbewahranstalt in der Thärigenstraße ...................135 Einzelne Bauwerke .....................................................................................138 Die Holländische Windmühle.................................................................138 Am Wiederitzscher Weg .........................................................................141 Der Möckernsche Hungerturm ...............................................................143 Die Kernsche Anstalt ..............................................................................149 Die Geflügelfarm »Elster-Aue« ...............................................................152 Nach 128 Jahren (Georg-Schumann-Straße 273) ..................................155 Die Georg-Schumann-Straße Nr. 203 .....................................................158 Die Georg-Schumann-Straße Nr. 183 .....................................................161 Die Georg-Schumann-Straße Nr. 238 .....................................................164 Kinokunst in Möckern ............................................................................168 Kies für den Hauptbahnhof ....................................................................172 Möckern und die Welt.................................................................................175 Historisches zur Georg-Schumann-Straße..............................................175 Die Hallesche Chaussee in ihren ersten Jahrzehnten .............................178 Die Georg-Schumann-Straße um 1880 ..................................................181 Die Bebauung der Georg-Schumann-Straße 1885–1914........................186 Trari Trara – die Post ist da! ...................................................................189 Wie die Post nach Möckern kam – 1839–1883.......................................191 Wie die Post nach Möckern kam – 1883–1888.......................................193 Wie die Post nach Möckern kam – 1888–1904.......................................196 Die Post in Möckern ...............................................................................197 Die Brücken in Möckern .............................................................................201 Über sieben Brücken musst du geh'n .....................................................201 Die Damaschkebrücke............................................................................202 Die Faradaybrücke .................................................................................205 Die Falladabrücke – ein Übergang mit Tradition ....................................207 Die Möckernsche Bauernbrücke.............................................................211

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Wie die Wettinbrücke entstand ..............................................................214 Die Brücke am Möckernschen Rittergut .................................................218 Die Georg-Schumann-Brücke .................................................................220 Grünes Möckern .........................................................................................223 Die Flur Möckern ...................................................................................223 Grünes Möckern.....................................................................................226 Der Berg von Möckern ...........................................................................231 Die Friedhöfe zu Möckern......................................................................234 Zusammenstellung der Quellen ..................................................................238

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VORWORT

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er Bürgerverein Möckern/Wahren e. V. in Leipzig gibt seit 1993 in regelmäßigen Abständen die Bürgerzeitung »Viadukt« heraus. Darin bot sich von Anfang an für die Ortschronisten von Möckern und von Wahren die Möglichkeit, Beiträge zur Historie zu veröffentlichen. Nun bin ich mehrfach gebeten worden, meine »Möckernschen Geschichten« zu einem Heft zusammenzustellen. Ich habe mich erst einmal davor gescheut, da sich für manche der Darstellungen inzwischen neue Erkenntnisse ergeben hatten, es konnte also kein einfaches »Herüberheben« sein. Seit die Hefte des »Viadukt« im Internet stehen, sehe ich nun aber doch die Notwendigkeit, eine Zusammenstellung der an einigen Stellen unbedingt zu korrigierenden Artikel vorzulegen. In der Einleitung zu dem Kapitel »Die Goldne Krone« habe ich auf diese spezielle Problematik hingewiesen. Außerdem war und ist es bei der Veröffentlichung im »Viadukt« erforderlich, die Texte auf den verfügbaren Platz zu beschränken – dabei gingen manches Mal mir eigentlich wichtige Details verloren. Auch musste aus Platzgründen auf Quellennachweise verzichtet werden, die nun angefügt werden. Bei älteren Beiträgen habe ich behutsame Aktualisierungen vorgenommen, wenn es mir unumgänglich erschien, weil es zu grundlegenden Veränderungen der

betreffenden Gegebenheiten gekommen war (Abriss, Neubau, Umbenennung o. ä.). In anderen Fällen habe ich auf den Zeitbezug einer Darstellung durch die Angabe der Jahreszahl hingewiesen. Wichtige Textstellen aus den Quellen wurden zur Wahrung eines gewissen Zeitkolorits wörtlich übernommen. Sie werden auch hier durch kursive Schrift und mittels Anführungszeichen als solche gekennzeichnet. Die Artikel wurden ihrem Inhalt nach zu »Oberthemen« zusammengefasst, sie stehen also nicht in der Reihenfolge ihres Erscheinens im »Viadukt«. Die Beiträge zu den Themen »Magdeburger Eisenbahn« und »Kirschberg(straße)« wurden hier nicht mit aufgenommen. In Fußnoten, die der Angabe häufig benutzter Quellen dienen, wird gelegentlich nur der (eindeutige) Verfassername angegeben, wenn nötig, mit dem Erscheinungsjahr der Druckschrift bzw. des Manuskripts. In der Quellenübersicht findet sich die ausführliche Angabe zu dem Werk. An dieser Stelle möchte ich meinem Mann für seine unermüdliche Unterstützung und für die nicht nachlassende Bemühung um aktuelle Fotografien herzlich danken! Ulrike Kohlwagen Leipzig, im Oktober 2021 13


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AUS DER FRÜHZEIT DES EHEMALIGEN DORFES MÖCKERN Überlegungen zur Entstehung Möckerns

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enn man sich mit der Geschichte eines Ortes beschäftigt, stellt sich irgendwann einmal die Frage nach dessen Gründung und den Gründern. Für Möckern liegen keine schriftlichen Zeugnisse zu seiner Gründung vor: Der Ort wird erstmals 1335 in einem Steuerverzeichnis aufgeführt,1 er existierte also bereits. Nun könnte es bei unserer Suche von Nutzen sein, dass in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts allgemein das Interesse an siedlungsgeschichtlichen Vorgängen wuchs. Das wurde nicht zuletzt durch Ausgrabungen, gezielte oder zufällige, gefördert. In Möckern ist es damit allerdings recht dürftig bestellt. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass im Jahre 1884, als der Bau des jetzigen Heisenberg-Gymnasiums begann, bei der Anlage des Brunnens eine Mammutzahnplatte gefunden wurde, die dem Geologischen Institut überlassen wurde – und verschollen ist.2 Doch führt uns das in unserer Frage nicht weiter. Irgendwann fand man eine Steinklinge, einen sogenannten 1 2 3 4

Schuhleistenkeil, wie er in der Zeit der Linienbandkeramiker (bis Ende des 5. Jahrtausends v. Chr.) zur Holzbearbeitung benutzt wurde – Fundort und Funddatum sind unbekannt; er befand sich in der Sammlung von Max Näbe und wurde 2011 in Dresden dokumentiert.3 Von einem bronzenen Tüllenmeißel, der der Sammlung der »Deutschen Gesellschaft zur Erforschung und Bewahrung vaterländischer Altertümer in Leipzig« übergeben worden sein soll, verlor sich schon 1932 die Spur – auch hier sind Fundort und Funddatum unbekannt. Letzteres gilt auch für die altrömische Münze, die dem Völkerkundlichen Museum übergeben worden war.4 Diese Einzelfunde allein lassen jedoch keineswegs auf eine frühe Besiedlung schließen. Im Laufe der Jahre fanden sich auf Möckernschem Gebiet keine Siedlungsreste oder Begräbnisstätten. Fallen Sie nicht auf den Druckfehler im »Neuen Leipzigischen Geschichtbuch« (erschienen 1990) herein, wo von der Ausgrabung eines Gräberfeldes bei Möckern (statt Mockau) die Rede ist. Dieser Fehler wurde brav in das Buch »Zeitreise – 1200 Jahre Leben in Leipzig« (erschienen 2007) übernommen.

StaatsAD, Beteverzeichnis 1335; Beschorner 1933, vgl. dazu das Kapitel »Abgabenlasten« Leipziger Dorfanzeiger vom 13.06.1884 Mitteilungen auf eigene Nachfragen 2011 Lehmann, R.: Frühgeschichte

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Ein dörflicher Konflikt im Jahre 1679 er Ort des Geschehens:19 Das Schenkgut (die spätere »Goldne Krone«), auf dessen Areal jetzt der 193820 errichtete Wohnhof Knopstraße/Slevogtstraße/Bucksdorffstraße steht. Von alters her sammelte sich das Wasser von den Feldern, die sich nördlich der Hallischen Chaussee hügelaufwärts ausdehnten, in Gräben und floss in die Elster. Einer dieser Gräben führte durch den genannten Hof und weiter in Richtung der jetzigen Wettinbrücke. Noch bis etwa 1880 war auf

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der südlichen Seite der Bucksdorffstraße ein offener Graben zwischen dem jetzigen Haus Bucksdorffstraße 25 und dem damaligen Eckgebäude, jetzt mit Slevogtstraße 10 bebaut, vorhanden. In den darauffolgenden Jahren wurde er überwölbt, bis mit der allgemeinen Beschleusung das Problem grundlegend behoben war. Die Geschichte, von der ich berichten möchte, hat sich im Februar des Jahres 1679 zugetragen. Der sogenannte »Wüste Hof«, den 1669 Dr. Michael Horn zusammen mit dem Mö-

Der Gasthof zu Möckern, Ansicht vom Hofe. Die Ansicht zeigt den Zustand nach 1815, aber vor dem Umbau 1866. Stahlstich: Reschke. (Quelle: SGM, Mü. XV/54 b)

StadtAL, Gerichtshandelsbuch Gohlis Neue Leipziger Zeitung vom 19.07.1938

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Die Gräfin Schimmelmann

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s gibt Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, bereits zu Lebzeiten einen Gegenstand unverminderten Interesses darstellen, und um die sich nach ihrem Tode aus fantasievoll aufbereiteten oder auch fehlerhaft gedeuteten Geschehnissen ein Rankenwerk von Legenden bildet. So ist es mit Elsa Gräfin Schimmelmann geschehen. Kaum einer der alteingesessenen Möckernschen, der uns nicht fragte, sobald er von unserem Interesse an der Historie Möckerns erfuhr: ob wir denn wüssten, was da so alles geschehen wäre – Amouren am Dresdner Königshof, häufige Besuche des sächsischen Königs in Möckern, er habe dann gern mit den Bauern in der »Goldnen Krone« Skat gespielt und die Straße nach Möckern habe deshalb sogar Königstraße geheißen (vgl. aber S. Haustein: Die Straßennamen in Wahren). Hatte ich bis dahin noch interessiert gelauscht, so wurde ich ab diesem Moment skeptisch. Auch die Geschichte, dass sie das Geld für die Brücke über die Magdeburger Eisenbahn im Zuge der Faradaystraße verjubelt habe, so dass es nur zu einem Fußgängersteg gereicht habe, stellt sich beim genaueren Hinsehen völlig anders dar. Doch das ist schon wieder ein Thema für sich. Bleiben wir also auf dem Boden der Tatsachen und stellen erst einmal fest: Sie wurde am 16. März 1861 in 37

Gräfin Schimmelmann, um 1940. (Quelle: Archiv kohlwagen)

Leipzig als viertes Kind von Julius Wilhelm Fuchs-Nordhoff und Marie geb. Thärigen geboren. Die Familie verbrachte in der Regel die Wintermonate in Dresden, den Sommer aber auf Möckern. Im Jahre 1895, also für die damalige Zeit verhältnismäßig spät, heiratete sie Fritz Graf von Schimmelmann (geb. 1861 in Promnitz, gest. 1943 auf Möckern).37 Ein Neffe der Gräfin Schimmelmann hat eine Fuchs-Nordhoffsche Familienchronik verfasst, daraus möchte ich zwei Abschnitte zitieren: »Meine Tante Elsa, versehen mit einem gesunden Geschäftssinn, war eine mehr den praktischen Dingen unseres Daseins zugewandte Natur, ohne dabei ihr Gefühl für die idealen Seiten des Lebens, ihr Interesse für Kunst und Wissenschaft zu

Fuchs-Nordhoff; auch für das nachfolgende Zitat

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Neubebauung ist genehmigt u. soll anschließend erfolgen«.91 Vom 13.12.1937 bis zum 22.02.1938 erfolgten die Ab-

brucharbeiten. Damit verschwand die »Goldne Krone« aus dem Möckernschen Straßenbild.

Der Kronenplatz 1936 (Quelle: StadtAL, 0563 Fotosamml. BA 1977/1106) und 2008. (Foto: K.-H. Kohlwagen)

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StadtAL, Gemeinde Möckern

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Also wohl das einzig Richtige für die Gäste aus den benachbarten Sportvereinen, speziell dem Polo- und Radsportklub. 1908 wurde auf dem Grundstück ein dreistöckiges, unterkellertes Wohnhaus errichtet, der heutige Marienweg 1.149 Wie Postkarten zeigen, war im Erdgeschoss eine Gaststätte mit vorgelagertem Freisitz eingerichtet. In den Obergeschossen wohnten Lasrich selbst und Angestellte von ihm. Interessanterweise lief trotz der weithin sichtbaren Beschriftung an dem Haus »Kiachta-Hütte« das Restaurant nicht unter diesem Namen, sondern unter dem des Gastwirts Lasrich. Nach seinem Tod (ca. 1931)

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führte seine Witwe bis etwa 1940 die Gaststätte weiter.150 Und was ist nun mit den Gerüchten um die »Kiachtahütte«? Bei Sanierungsarbeiten an dem Gebäude fanden sich wirklich auffallend viele Wasseranschlüsse im Kellergeschoss. Es war aber niemals eine Badeanstalt ausgewiesen – also doch die berühmte Tarnung? Es begegnet uns zwar immer wieder, dass Gebäude, die abgetrennt von geschlossenen Gemeinwesen stehen, der Anlass für Klatsch und wilde Phantasien sind. Daraus entstehen schnell Legenden, die im Laufe der Zeit eine Patina ansetzen, die den Anschein historischer Wahrheiten erweckt. Und die Anekdoten? Deren

»Gruß aus der Kiachtahütte« – Postkarte, vor 1908. (Quelle: Archiv Kohlwagen)

StadtAL, Gemeinde Möckern adressbuecher.sachsendigital.de Leipzig (1910)

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Diese Gebäude erhielten nach 1990 neue Läden:

Kernstr. 1. 1996 wurde bei der Sanierung des Hauses der Laden ganz links eingebaut. Seit ca. 2005 Blumenladen. (Foto: Karl-Heinz Kohlwagen 2014)

Georg-Schumann-Str.178. Dieser Laden wurde nach 1990 eingebaut. (Foto: KarlHeinz Kohlwagen 2014)

Georg-Schumann-Str. 226. Der Laden links wurde 1991 eingebaut, der Laden rechts nach 2000. (Foto: Karl-Heinz Kohlwagen 2020)

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EINZELNE BAUWERKE Die Holländische Windmühle

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n diesem Kapitel möchte ich über die Möckernsche Windmühle erzählen, von der keine Spur geblieben ist als eine kleine steinerne Reminiszenz. Doch davon später. Gab es überhaupt eine Windmühle in Möckern? Aus früher Zeit liegt uns nur eine Erwähnung im Kirchenbuch von Eutritzsch vor, wohin Möckern bekanntlich lange Zeit eingepfarrt war. Dort wurde 1671 »Frau Regina, George Rischens, Müllers und Einwohners zu Möckern Eheweib« als Gevatterin erwähnt.370 Leider reicht diese Angabe als Beweis für die Existenz einer Mühle in Möckern nicht aus. Und es gibt weiter keine Erwähnung eines Müllers, geschweige einer Mühle. In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Möckernschen Ortskundler der 1930er Jahre immer wieder von einer Windmühle sprachen, die vor 1813 in Möckern bestanden hätte. Das liest sich beispielsweise so: »Maria Regina Schmidt geb. Grimpin tritt ihr von Andreas Händeln weiland Nachbar und Einwohner auch Gerichts-Schöppe hierselbst besessene, zwischen dem Gasthofe und Christoph Werms Guthe gelegene Halbhufenguth ihrem Ehemanne Joh. Gottlieb Schmidt erb- und 370 371

Hoffmann, E.: Alt-Möckern StaatsAL, Grundherrschaft Möckern

eigenthümlich ab. 1807 verkauft J. G. Schmidt, Pachtschenkwirt auf der Holländischen Windmühle, das Gut an Joh. Gottlieb Dietrich, Nachbar und Einwohner zu Möckern. In dieser Eintragung wird zum ersten, aber auch zum letzten Male die Möckernsche Windmühle genannt, die wahrscheinlich in der Schlacht bei Möckern, am 16. Okt. 1813 zusammengeschossen und durch Brand völlig vernichtet worden ist. Wir erfahren weiter, daß mit der Mühle auch eine Schankwirtschaft, die verpachtet wurde, verbunden war«. Bei diesen messerscharfen Schlussfolgerungen, die von anderen gern aufgegriffen wurden, blieb leider unbeachtet, dass genau dieser Ehemann Johann Gottlieb Schmidt im Jahre 1800, als seiner Ehefrau ihr Erbe zugesprochen wurde, als »Pachtschenkwirt auf der Holländischen Windmühle bei Dölitz«371 erwähnt wird. Im Jahre 1821 erhielt Heinrich Friedrich Matthäi von dem Möckernschen Gerichtsherrn und Rittergutsbesitzer, Samuel Traugott Vogel, eine Konzession zum Anlegen und Betreiben einer Grütz- und Graupenmühle. Die Gemeinde wollte ihm zu diesem Zwecke ein Stück Gemeindeanger überlassen. Matthäi ließ sein Vorhaben allerdings eine Weile ruhen, denn erst 1832 hat er auf einem Feldstück des nunmehrigen Rittergutsbe-

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1956 der damalige Eigentümer, der VEB Haus- und Grundbesitz, den Abriss vor. Allerdings geschah erst einmal nichts – denn Wohnraum und Abrisskapazitäten waren knapp. Als schließlich Leerstand erreicht war, erfolgte 1979 durch einen sogenannten Initiativeinsatz der Abbruch.383 Da-

nach wurde die Parzelle ihrem Schicksal überlassen. Nach den im Jahre 2003 ringsum einsetzenden Aktivitäten für den Bau der Straßenunterführung und der S-Bahn-Haltestelle Leipzig-Slevogtstraße erinnert nichts mehr an die ehemalige Bebauung.

Der Möckernsche Hungerturm

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an nannte ihn »Hungerturm«, »Schuldturm« oder »Gefängnisturm« – bis Anfang der 1950er Jahre stand er in der Mitte des ehemaligen Dorfes Möckern, mitten auf der Slevogtstraße. Seine Herkunft lag im Dunklen, sein Alter war unbekannt. Auch über sein Inneres gab es wahrscheinlich keine genaueren Kenntnisse. Es gab zwei oder drei übereinanderliegende Räume,384 die kreisrunden Öffnungen in den Decken wurden durch Falltüren verschlossen. Der Aufstieg erfolgte mittels Leitern. Allerdings: einen Keller hatte der Turm nicht, also wird es wohl etwas schwierig mit dem legendären Geheimgang zum Rittergut gewesen sein. Die hinter dem Turm verlaufende gemauerte Wölbschleuse385 leitete vor ihrer Stilllegung das Wasser 383 384 385 386 387 388 389

Mündliche Mitteilungen von Mitarbeitern des den Abriss ausführenden Betriebes Aus der Geschichte von Möckern…hier spricht man von 2, Kalch spricht von 3 übereinanderliegenden Räumen. StadtAL, Gemeinde Möckern Nr. 16 F.013R Aus der Geschichte von Möckern … Kröber Achtelik Kalch

des Grabens von den Feldern nördlich der Georg-Schumann-Straße hinunter zur Elster – eine Verbindung zum Turm hatte sie nicht. Über die Erbauung des Turmes haben sich die Möckernschen Ortskundler der 1920er/1930er Jahre viele Gedanken gemacht. »Der rätselhafte alte Turm« wird er genannt,386 »das eigenartigste Gebäude in Alt-Möckern«,387 einmal heißt es: »… ein scheinbar uralter runder Turm. Niemand konnte mir sagen, wozu er eigentlich einmal diente«.388 Allerdings wurde auch die Vermutung geäußert, dass der Bau mit der Umbildung der Möckernschen Dorfherrschaft im Jahre 1743 in Zusammenhang stünde:389 Der sächsische Geheime Kriegsrat und Leipziger Bürgermeister Gottfried Lange, der das damals endgültig als schriftsässig erklärte Möckernsche Rittergut besaß, habe die damit verbundene Gerichtsbarkeit über das Dorf demonstrieren wollen. Und diese vorerst reine Spekulation wurde sogleich als unumstößliche Gewissheit weiterverbreitet, und man findet sie immer wieder. Es

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Blick aus der Bucksdorffstr., 1930. Von links: ehemaliges Schulhaus mit dem kleinen Hof; der Anbau am Turm (sog. Wächterhaus); der Turm; rechts vorn eine Ecke des Hirtenhauses. (Foto: Archiv Kohlwagen)

Der Turm stand nun ungenutzt da. Ab 1889 wurde mehrfach die Slevogtstraße aufgefüllt, um das Gefälle zu verringern. Damit wurde der Turm scheinbar kürzer.399 Der bauliche Zustand wurde öfters gerügt, und allmählich wurde von Seiten der Verwaltung von einem Abriss gesprochen. Andererseits begann aber auch eine Rückbesinnung auf die Vergangenheit des Ortes, und ab 1932 wurde energisch um den Erhalt des alten Bauwerkes gekämpft. Das war nicht einfach, 399 400 401 402

Kalch Hoffmann, E.: Heimatverein StadtAL, Kap.26A Nr.128 StadtAL, Kap.24 Nr.2186 StadtAL, Gemeinde Möckern

denn nach dem Abbruch der ehemaligen Schule (1933) stand er recht verloren im Straßenraum.400 Das Argument der Stadtverwaltung, er sei nur ein Verkehrshindernis auf der Zufahrt zur entstehenden Müllkippe, wurde von den Enthusiasten damit entkräftet, dass man ihn sich sehr gut als eine Art Verkehrsinsel vorstellen könne. Und auch die Rittergutsherrschaft fing an, sich für den alten Turm zu erwärmen. Die Gräfin Schimmelmann bot sogar an, wenn die Stadt sich nicht für den Erhalt entscheiden könnte, solle er abgerissen und auf einem ihrer Grundstücke wieder aufgebaut werden – allerdings nicht auf ihre Kosten.401 Der Einsatz des Möckernschen Heimatvereins führte endlich dazu, dass im August 1935 der Turm unter Heimatschutz gestellt wurde. Im gleichen Jahr wurden der verfallene kleine Anbau, das sogenannte Wächterhäuschen, abgerissen und der Turm saniert. Eine Nutzung war allerdings nicht vorgesehen.402 Nach 1945 gab es erst einmal andere Probleme, als sich um einen alten kleinen Turm zu kümmern. Und mit einem Male war er weg. Als wir jetzt, mehr als ein halbes Jahrhundert

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das im Jahre 1910 von Guido Buresch übernommen wurde und bis nach dem 2. Weltkrieg fortbestand. Über die weiteren zwei Läden, die anfangs hier bestanden, ist leider nichts bekannt. Erst auf einer Ansichtskarte aus dem Jahre 1900 sehen wir links eine »Civilu. Militairschneiderei«, und in der Mitte wird für Oben: Ausschnitt aus einer Postkarte, gelaufen 1900. (Quelle: Sammlung Karsten Brösel)

Links: Die GeorgSchumann-Str.183 im Jahre 2021. (Foto: Karl-Heinz Kohlwagen)

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DIE BRÜCKEN IN MÖCKERN Über sieben Brücken musst du geh’n…

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ur sieben? Die Möckernsche Flur hat einiges mehr an Brücken aufzuweisen, wobei eingeräumt werden muss, dass nicht alle begehbar sind. Sollte man aber die Anzahl der Brücken einfach mal so angeben, wird es schon schwierig. Nehmen wir also die Finger zu Hilfe und beginnen mit den Eisenbahnbrücken: über die Elster, die Luppe und die Nahle (letztere allerdings wie einige andere hier noch zu nennende Brücken »grenzüberschreitend«, also nicht komplett auf der Flur Möckerns liegend), dazu als neueste die S-Bahn-Brücken über die Slevogtstraße und über die neue B6. Das sind die nicht begehbaren Brücken. Der Wiederitzscher Flurgrenzgraben wird zwischen dem ehemaligen Wiederitzscher und dem Möckernschen Weg von einer kleinen unauffälligen Brücke überquert, auf der Südtangente ist die Querung dieses Grabens kaum zu entdecken. Über die Elster führen die Wettinbrücke, die Heuwegbrücke und die Marienbrücke sowie die nicht öffentliche »Klärwerksbrücke« zwischen der Marienbrücke und dem Elsterwehr. Über die

Luppe führen zwei parallel verlaufende Brücken, über die Nahle der Nahlesteg. Über Eisenbahnlinien führen die Landsberger Brücke, die Georg-Schumann-Brücke, die Kirschbergbrücke und die Brücke im Zuge der neuen S1, dazu die Fußgängerbrücke in Verlängerung der Faradaystraße und – aber nicht mehr auf Möckernscher Flur, also nicht mit zu zählen – die neu entstehende an der Falladastraße sowie die Verbindung zwischen Sternsiedlung und Damaschkestraße. Es befinden sich also derzeit 19 Brücken ganz oder teilweise auf Möckernscher Flur, über 13 von ihnen kann man gehen. Hätten Sie es gedacht ? Nachtrag zur Brückenanzahl: Die Brücke über die Luppe zur Kippe war bei dem Hochwasser im Juni 2013 überflutet und stark beschädigt worden und seitdem gesperrt. Um die weitere Benutzung zu verhindern, wurde die Decke abgetragen, nur die Stützen blieben stehen. Ein Wiederaufbau ist bislang nicht geplant, trotz umfangreicher Proteste. Es finden sich also nur noch 18 Brücken…

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Dr Leibz'cher Bärch In Leibz'ch, da war ich neilich mal mit meinem Freind ze Gaste! Mir gingen erscht off eenen Saal, weils ähm so grade baßte. Da meente Sie mei Freind zu mich: »Is das in Leibzich scheene! Bloß – daß se geene Bärche ham, das finde ich gemeene!« Druff latschten mir nach Wahren naus, vergniecht wie änne Lärche. Off eemal, Gottvernacheldohr, stehn mir vor eenem Bärche! Ich traute meinen Oochen gaum: »Was die hier alles machen!« Mei Freind, der meente wie im Draum: »De allerschwersten Sachen!« Dann heckerten mir beede nuff, es ging, weeß Gott, ganz scheene. Bloß ä baar Schärbeln traten dorch de Schdiwweln in de Beene. Sonst awer war Sie's wunderscheen, mr ganns nich andersch sachen; dut ohm erscht änne Kneipe stehn, wärd sich das Ding schon machen. De Leibz'cher wärn da unbeärrt sich so da dran ergetzen, Daß bald der Rath gezwung'n sein wärd, ä Zweeten hinzesetzen!

Der Berg von Möckern – Gipfelpyramide 2008. (Foto: Karl-Heinz Kohlwagen)

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