Sammler Journal 07/2020

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Juli 2020 · B 1309 | € 4,90 Schweiz CHF 7,50 | Österreich € 5,50 | Be/ne/lux € 5,50

Sammler Journal

JulI 2020

KUNST • ANTIQUITÄTEN • AUKTIONEN

FOTOKUNST KUNSTMARKT SAMMLER-GUIDE

TSCHECHISCHER KUBISMUS Teil II: Architektur und Design

AUSGEZEICHNETE KERAMIK

GEMI

Andreas Fritsche


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SAMMLERMARKT „Alte Technik Linz“ Samstag 22. August 2020

A-4040 Linz 9.00 bis 16.00 Uhr

Freistädterstrasse 163, Vierkanthof „Traunmüller“ Swingolf-Anlage

Schöner Innenhof und schönes Aussengelände mit großer Wiese für Parkmöglichkeit und Buffet vorhanden.

Historische Elektrotechnik, Motoren, Generatoren, Geräte und Instrumente aus dem Physikunterricht der Schulen, historische Radioapparate, kommerzielle und militärische Funktechnik 1914-1944, TelegraphenApparate, historische Telephon-Apparate, mechanische Rechenmaschinen, technisches Spielzeug, Eisenbahnen ab Spur 0, Phonographen, Heißluftmotore und Dampfmaschinen u.a. Die Anbieter sind Sammler solcher Geräte, die ihre Sammlungen auflösen wollen oder in der Größe reduzieren wollen. Es werden Anbieter aus mehreren europäischen Ländern erwartet. Für nähere Auskünfte besuchen Sie bitte www.alte-technik-linz.at Hinweis: Anbieter von Waren melden sich bitte zur Reservierung von Tischen beim Veranstalter Interessensgemeinschaft „Alte Technik“; Adresse: Prof. Franz Pichler, Systemtheorie, Technisch- Naturwissenschaftliche Fakultät, Universität Linz, Altenbergerstrasse 69, 4040 Linz, Österreich, Tel. 0043 664 233 8775, E-mail: telegraph.pichler@aon.at


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INHALT • JULI 2020

KUNSTMARKT Hockney, De Staël, Lange

FOTOKUNST Heartfield, Holtappel, Horowitz, Kinold

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Titelbild: Ensemble mit Möbeln von Josef Gočár aus dem Jahr 1913, Prag, Haus zur Schwarzen Muttergottes, Muzeum českého kubismu

SAMMLER-SERVICE

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AUSGEZEICHNET!

MAGAZIN

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von Dr. Mayako Forchert

KLEINER SAMMLER-GUIDE: Auktionen, Teil II: Versteigerungsbedingungen

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AUKTIONSNOTIZEN

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AUSSTELLUNGSTERMINE

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AUSSTELLUNGEN

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LITERATURTIPP

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VORSCHAU | IMPRESSUM

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Andreas Fritsche im Keramikmuseum

TSCHECHISCHER KUBISMUS Teil II: Architektur und Design von Dr. Harald Tesan

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Die Rubriken Auktionstermine und Auktionspreise finden Sie im Innenheft. Abb. unten: „Coca Cola Girl 9“ von Alex Katz gibt es neben sieben weiteren Farbserigrafien aus Katz’ CocaCola-Girl-Reihe zum Schätzpreis von 17.000 bis 19.000 Euro in der Contemporary-Auktion am 16. Juli von Neumeister in München.

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SAMMLER-SERVICE

Kleinteilige Pracht Gemälde von Johanna von Destouches

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Das Blumenbild von Johanna von Destouches kam in den 1960er-Jahren in unsere Familie. Es ist ein Dachbodenfund, und die Vorbesitzerin schätzte es nicht sehr. Wir haben es ungefähr in den 1990er-Jahren restaurieren lassen. Dabei wurde festgestellt, dass das bis dahin bekannte Format in Oval ursprünglich rechtwinklig war, der Restaurator hat es in den Originalzustand versetzt und beide Signaturen stehen lassen. Das Gemälde in Öl auf Malpappe ist circa 45 x 31 cm groß. Wir würden nun gerne etwas mehr dazu erfahren: die Entstehungszeit, warum die zwei Formate, Informationen zur Künstlerin, den heutigen Wert etc. Sonja Werra, Bayern

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Das fragliche Gemälde hat die Maße 31 x 45 cm und ist in Öl auf Leinwand gefertigt. Das Blumenstillleben zeigt Rosen, die sich in einer weiten Glasschale befinden. In der rechten unteren Ecke ist eine doppelte Signatur „Johanna von Destouches“ und die Lokalisierung München zu lesen. Die doppelte Signatur ist mit einem Formatwechsel während des Erstellungsprozesses des Gemäldes zu erklären. Johanna von Destouches (1869-1956) war eine Münchner Malerin, die vor allem Blumenstillleben als Motiv ihrer Kunst wählte. Als Tochter des Gründers des Münchner Stadtmuseums Ernst von Destouches entstammte sie einer

kunstsinnigen Familie, erhielt zunächst eine musikalische Ausbildung und studierte im Anschluss daran an der Kunstgewerbeschule in München. Sie war Schülerin von Olga Weiß (1835-1898) und Elsa Gürleth-Hey (1969-1949), die beide mit der Stilllebenmalerei verbunden sind. Diese Vorliebe für die Darstellungswürdigkeit der kleinteiligen Pracht der Natur in der still- und alleingestellten Blumenmalerei übernahm Johanna von Destouches für ihre Gemälde und Aquarelle. Der Markt für die Werke dieser Künstlerin hat leider in den letzten Jahren nachgelassen und daher sollte dieses Werk in einer Auktion aufgrund des traditionellen Motives mit 400 bis 500 Euro angesetzt und ein Zuschlagpreis von über 1.000 Euro erreicht werden. Georg Ottomeyer, Experte Berlin

Vielfältig im Dekor Art-déco-Gedecke von Noritake/Morimura

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Das grüne Art-déco-Geschirr habe ich auf einem Flohmarkt in Bath in England gekauft für umgewechselt circa 35 Euro für vier Tassen und mit entsprechenden Untertassen, die auch Platz für Gebäck haben, bezahlt. Das Geschirr ist in gutem Zustand und gemarkt mit made in N.N. Japan.

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Die dekorativen Art-déco-Gedecke in Ihrem Besitz wurden Mitte der 1920er-Jahre in den „roaring twenties“ in den USA entworfen und in Japan von der Firma Noritake/


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Morimura hergestellt. Ichizaemon Morimura IV hatte bereits 1904 den westlichen Markt als Ziel auserkoren, erst 1914 gelang eine Produktion, die den westlichen Vorstellungen entsprach. In den goldenen Zwanziger Jahren hatten günstige Kredite die Börsenkurse in die Höhe getrieben, der Glaube, dass dieser Aufschwung nie enden würde, war allgemeine Überzeugung. Für Jay Gatsby und Daisy Buchanan waren diese snack trays wohl unter ihrem Niveau. John Smith und Jane Doe aus dem Mittleren Westen jedoch konnten sich etwas von diesem Glanz sehr günstig in Warenhäusern kaufen oder per Versandhauskatalog nach Hause holen. Die Grundform dieser snack trays wurde noch bis zum Kriegseintritt der USA 1941 und dann wieder in den frühen 1950er-Jahren produziert, die Dekorvarianten sind vielfältig. Aktuell würde ich einen Schätzwert von 150 bis 200 Euro für die vier Gedecke ansetzen. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger Jagdschloss Göhrde

Klassische Szene Ölgemälde von E. Diehl

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Ich besitze das gerahmte Ölgemälde mit den Maßen 88 x 38 cm. Es ist signiert mit E. Diehl. Ich habe versucht, den Maler E. Diehl ausfindig zu machen. Das Landesmuseum in Mainz hat mir einen möglichen Maler Edgar Diehl in Wiesbaden genannt. Recherchen haben jedoch ergeben, dass die Signatur nicht von Edgar Diehl, Walkmühle, Wiesbaden stammt. Wer könnte dann der Maler sein? Renate Michel, Wiesbaden

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Das hier zu besprechende Objekt ist ein Gemälde wohl in Öl oder Akrylfarbe auf Leinwand gefertigt mit den Maßen 38 x 88 cm. Der Künstler hat eine klassische Szene aus dem Alltag von Fischern für dieses Kunstwerk gewählt. In einer kleinen Bucht, eingerahmt von Uferlinie mit einer Fels- oder Kreideküste, sind Fischer beim Anlanden ihres Bootes zu beobachten. In einem zweiten Boot ist ein Fischer bei dem Zusammenfalten seines Netzes zu sehen. Dieses Gemälde ist mit dem Namen „E. Diehl“ signiert und ist im dritten Viertel des 20. Jahrhunderts in Deutschland entstanden. Zu einem Künstler dieses Namens sind leider keine weiteren Informationen zu Biografie und Werk vermerkt. Die Qualität des Gemäldes in Ausführung und Komposition lassen einen nicht akademisch ausgebildeten Künstler vermuten. In einer Auktion würde ein solches Gemälde mit 60 bis 120 Euro angesetzt werden. Georg Ottomeyer, Experte Berlin www.peege.de


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MAGAZIN

Himmlisches Theater Die Passionsdarstellungen im Kloster Neuzelle Die Neuzeller Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab in Neuzelle sind ein einmaliger Schatz. Im brandenburgischen Neuzelle hat sich ein Theater mit fünf Bühnenbildern, 14 Passionsszenen und der Auferstehungsszene erhalten. Die Theaterkulissen zeigen die komplette Darstellung der Passionsgeschichte, das Leiden und Sterben Jesu samt der Kreuzigung durch die Römer in Jerusalem. In hoher künstlerischer Qualität ist das Ensemble ein herausragendes Zeugnis der Theatergeschichte, Barockkunst und Volksfrömmigkeit, das in Europa seinesgleichen sucht. Seit 2015 sind Teile dieses Juwels im Museum Himmlisches Theater in Neuzelle für die Öffentlichkeit zugänglich. Bis 1997 waren die Kulissen im Turm der Stiftskirche in Neuzelle. Regenwasser und Taubenschmutz setzten ihnen zu. Die Stiftung Stift Neuzelle verlagerte 1997 den gesamten Bestand in Depoträume sowie in den Südflügel des Kreuzganges in Neuzelle. Die 224 Einzelteile wurden gereinigt, fotografiert und dokumentiert. Die außerordentliche Vollständigkeit und künstlerische Qualität sind neu ins Bewusstsein der Fachwelt und der Öffentlichkeit gerückt. Die Kulissen, die bis dahin recht spärlich in der Fachliteratur erwähnt waren, offenbarten sich als ein Kunstwerk von hohem Rang. Nach umfangreichen Sanierungsarbeiten wurden 2015 die beiden Szenen „Judaskuss“ im Bühnenbild „Garten“ und „Kreuztragung“ im Bühnenbild „Stadt der Öffentlichkeit“ zugänglich gemacht. Zu den Feierlichkeiten des 750-jährigen Jubiläums von Kloster Neuzelle im Jahr 2018 konnte die

Kloster Neuzelle, Himmlisches Theater

© Bernd Geller

Jean-Étienne Liotard (1702-1789), William Ponsonby, 2nd Earl of Bessborough, 1754, pastel on vellum, Lowell Libson & Jonny Yarker Ltd auf der London Art Week

dritte restaurierte Kulisse, „Jesus von Kaiphas“ mit dem Bühnenbild „Palast“, präsentiert werden. Sie ist im Museum zusammen mit der Kulisse „Judaskuss“ zu sehen. Den imposanten Umfang der Kulissen zeigen Modelle des gesamten Theaters. Das einzigartige barocke Kunstwerk erhielt mit dem Bau des Himmlischen Theaters einen angemessenen repräsentativen Raum. Im Kutschstallgebäude ist eine einführende Ausstellung zur Kultur- und Religionsgeschichte der Kulissen zu sehen. 1751 zeigte der böhmische Maler Joseph Felix Seyfrit dem Neuzeller Abt Gabriel Dubau seine Papiermodelle der Neuzeller Passionsdarstellungen. Sie verwirklichten den kühnen Plan. 1753 waren die bis zu 6 Meter hohen und 4,70 Meter breiten Kulissen fertiggestellt. Das komplette Theater besteht aus den fünf Bühnenbildern Garten, Palast, Palasthof, Stadt und Kalvaria und aus 15 Passionsszenen. Von den ursprünglich 240 Leinwand- und Holztafeln sind 224 Einzelteile erhalten. Somit können alle 15 Szenen weitgehend originalgetreu aufgebaut werden. Die Kulissen bestehen aus Holzbahnen und mit bemalter Leinwand bespannten Holzrahmen. Die hintereinander gestaffelten Kulissen sind einer Theaterbühne ähnlich. Der Bühnenraum ist relativ schmal, aber tief. Die Vorkulisse simuliert die Theatersituation als Guckkasten. Sie blieb immer stehen und leitete alle Bilder ein. Für die zweite Szene im Himmlischen Theater wurde eine mit einem aus Textil nachempfundenen Vorkulisse hergestellt. TELEFON | 033652/8140 WEBSEITE | www.klosterneuzelle.de


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MAGAZIN

Neue Gesichter London Art Week digital Die innovative digitale Präsentation mit der die London Art Week in diesem Sommer vom 3. bis 10. Juli 2020 zum ersten Mal stattfindet, kann viele neue Gesichter willkommen heißen. Neben langjährigen Teilnehmern, die die Veranstaltung Jahre lang unterstützt haben, sind dieses Mal sowohl neue internationale Kunsthändler als auch Händler aus London dabei. Unter den Neuen mit dabei sind ArnoldiLivie und Daxer & Marschall aus München und Jacques Leegenhoek aus Paris, Nicolás Cortés Gallery aus Madrid, Walter Padovani und Antichita Alberto di Castro aus Italien, Jill Newhouse Gallery und Mireille Mosler aus New York. Zu den neuen Londoner Händlern zählen Stuart Lochhead Sculpture, Philip Mould & Company, Osborne Samuel, Benjamin Proust Fine Art und Offer Waterman. Insgesamt sind bereits 50 Teilnehmer bestätigt und die London Art Week hat damit eine Rekordzahl erreicht. Ausgelöst durch die globale Covid-19 Situation, hat die London Art Week neue online-Räume kreiert, in denen Händler ihre Kunst Sammlern, Museen und Kunst Liebhabern weltweit gemeinsam präsentieren können. Besucher von LAW DIGITAL werden auch weiteres informatives Material auf der Webseite finden, wie beispielsweise Videos, Ausstellungskataloge und Artikel über Höhepunkte der Ausstellungen. Zusätzlich wird erwartet, dass einige in London ansässige Galerien auch ihre Türen für Besucher öffnen können. Ein Katalog mit allen Teilnehmern wird dieses Jahr digital verschickt. Mehrere Händler organisieren Ausstellungen, die sich auf Porträts und Gesichter konzentrieren – möglicherweise ausgelöst durch die aktuelle Situation. Es erwarten die Besucher einige faszinierende Ausstellungen, besonders von Lullo Pampoulides Porträts vom 16. bis 20. Jahrhundert; Galleria Carlo Virgilio & C. zeigt Faces 4, eine Serie von italienischen Selbstporträts und Gemälden, besonders aus dem frühen 20. Jahrhundert. Sam Fogg präsentiert mittelal-

Aloys Zötl (1803-1887), Two Amazonian Horned Frogs, 1884, watercolour, Stephen Ongpin Fine Art

terliche Gesichter und vereint damit 40 Objekte von europäischen Künstlern vom 13. bis 16. Jahrhundert. Philip Mould & Company stellt Porträts von Anthony van Dyck, Duncan Grant, Sir Peter Lely und ein faszinierendes Porträt, das den Künstler James Abbott McNeill Whistler zeigt, aus.

Sir Anthony Van Dyck (1599-1641), Portrait of a Young Girl in a White Apron, c 1630, oil on canvas, Philip Mould & Company

Mehrere Ausstellungen beschäftigen sich besonders mit Frauen in der Kunst und Ben Elwes Fine Art präsentiert dabei ein Gemälde der schwedischen Künstlerin Anna Katerina Boberg (1864-1935), die über mehrere Jahrzehnte Kunstwerke kreiert hat, die vom Eis und der See inspiriert wurden. Karen Taylor Fine Art hat ihre Ausstellung „Britische Künstlerinnen, 1780-1890 – eine Auswahl von Arbeiten auf Papier” genannt. Der neue Teilnehmer Stuart Lochhead Sculpture hat mit Georg Laue, Kunstkammer Ltd. an einer gemeinsamen Ausstellung gearbeitet, die dem „Studiolo: Von der Renaissance zur Moderne” gewidmet ist. Kunst im Haus ist eine Ausstellung, in der Trinity Fine Art Kunst in einer häuslichen Umgebung präsentieren wird. Stephen Ongpin Fine Art zelebriert die Natur mit 40 Zeichnungen vom 16. Jahrhundert bis heute, mit Preisen von £1.000 bis £150.000. Die Sladmore Gallery wird eine Anzahl von wichtigen Skulpturen zeigen, die die Galerie normalerweise nur an internationale Galerien und Museen entleiht und die sonst nicht zu sehen sind, darunter auch die Gruppe von Verkleinerungen von Rodins Bürger von Calais, die im Moment im Städel Museum in Frankfurt bis Ende Oktober zu sehen ist. TELEFON | +44/(0)/7932618754 WEBSEITE | www.londonartweek.co.uk

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KUNSTMARKT

Schlüsselwerke Hockney, großer Liebling unserer Zeit Am 11. Februar hat das Gemälde „The Splash“ von David Hockney mehr als 31,2 Millionen Dollar eingebracht. Mehr als das Achtfache des Preises, der für diesen Hockney 2006 erzielt wurde. „The Splash“ ist ein essenzielles Werk, das Emma Baker, Direktorin des Sotheby's Contemporary Art Evening Sale, folgendermaßen analysiert: „Nur wenige Kunstwerke haben einen so legendären Status wie dieses Gemälde erreicht […] es ist nicht nur ein prägendes Werk von David Hockney, sondern eine wahrhaftige Pop-Ikone, die einer Epoche ihren Stempel aufgedrückt und Los Angeles eine visuelle Identität verliehen hat […] Ebenso bekannt wie der Schrei von Munch, die Seerosenbilder von Monet oder die Blumen von Van Gogh sind die Farbspritzer von Hockney in unserem kulturellen Gedächtnis verankert.“ „The Splash“ ist so prägend für eine Epoche, eine Art Pop-Ikone, die Quintessenz des amerikanischen Traumes, die große Sammler natürlich suchen. Der Verkauf von „The Splash“ ist der vierte Zuschlag über 20 Millionen für einen David Hockney auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Man darf nicht vergessen, dass vor dem Verkauf von „Rabbit“ von Jeff Koons (91 Mio. Dollar im Mai 2019) Hockney für einige Zeit der teuerste lebende Künstler war. Sein Gemälde „Henry Geldzahler and

Christopher Scott“ (1969) wurde Ende 2018 bei Christie’s für 90,3 Millionen Dollar verkauft. Ein so bedeutendes Werk war für Christie’s ein Garant für ein hervorragendes Resultat, denn die Sammler sind höchst interessiert an diesem so begehrten Künstler. Davon zeugt ein starker Anstieg bei der Anzahl der verkauften Lose in den letzten drei Jahren, eine Explosion des Verkaufsumsatzes auf über 179 Millionen Dollar im Jahr 2018, einem Preisindex mit einer fulminanten Steigerung von plus 270 Prozent in 20 Jahren; nicht zu vergessen die exzellente Retrospektive anlässlich Hockneys 80. Geburtstags. Sie hat mehr als eine Million Besucher in Beaubourg, der Tate Modern, dem Metropolitan Museum in den

David Hockney, Henry Geldzahler and Christopher Scott, 1969, Christie's, London, März 2019, Zuschlagspreis 38.413.254 Euro © 2019 Christie’s Images Limited


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KUNSTMARKT

Jahren 2017/18 angelockt. Dieser Besucherstrom zeigt eine wahrhaftige Leidenschaft auf: Die „Biggest-ever Retrospektive“ hat sich als am stärksten besuchte Ausstellung in der Tate für einen lebenden Künstler erwiesen; die am zweithäufigsten besuchte Ausstellung in Beaubourg für einen noch aktiven Künstler. Kurz, Hockney ist ein Superstar, der Superlative geradezu anhäuft: der am meisten besuchte Künstler in den Museen und einer der beliebtesten lebenden Künstler. Seine besten Gemälde sind heute ein Schlüsselfaktor für den Erfolg der Kunstauktionen von Christie’s, Sotheby’s, Phillips oder anderen Auktionshäusern.

so bedeutender, als er – im Gegensatz zu jenem davor in New York – in der Pariser Zweigstelle von Christie’s erzielt wurde. Der französische Markt gewinnt derzeit wieder an Dynamik. Davon zeugt nicht nur der Rekord von De Staël.

Nicolas de Staël bricht Rekorde Das Werk hatte alles, um für Nicolas de Staël der neue Rekord zu werden. Sein Motiv: Fußballer in der Energie einer abstrakten Komposition, die für die besten Werke Anfang der 1950erJahre typisch ist. Seine Herkunft: tadellos. Das Bild wurde den aktuellen Eigentümern vom Künstler vererbt. Seine Abmessungen: außergewöhnlich. Geradezu museal erstreckt sich das Gemälde auf mehr als drei Meter (201 mal 351,5 Zentimeter). Einige wussten es sicher zu schätzen, dieses Meisterwerk im Centre Georges Pompidou in Paris oder in der Fondation Pierre Gianadda in der Schweiz zu sehen. Es wurde bei den letzten großen Retrospektiven von Nicolas de Staël 2003 und 2010 ausgestellt und in den Pariser Herbstauktionen versteigert. 1952 wurde „Parc des Princes (Les grands footballeurs)“ bei einem Schätzwert von 20 bis 28 Millionen Dollar um 22,2 Millionen Dollar verkauft. Eine Verdoppelung des ursprünglichen Rekords von De Staël für ein fantastisches „Nu Debout“ von 1953 für 12,1 Millionen Dollar. Dieser Rekord ist um-

Nicolas de Staël, Nu Debout, 1953, Christie's, New York, Mai 2018, Zuschlagspreis 8.890.402 Euro © 2018 Christie’s Images Limited, © VG-Bildkunst Bonn

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KUNSTMARKT

Dorothea Lange vom MoMA gefeiert

Drei weitere Werke, von Cimabue, Pierre Soulages und Paul Gauguin, wurden im Vorjahr um mehr als zehn Millionen Dollar auf französischem Staatsgebiet verkauft. Aus diesen Ergebnissen lässt sich schließen, dass der Premium-Markt nicht auf London beschränkt ist und die europäischen Länder Werke von höchster Qualität wunderbar verkaufen können. Der Brexit hat vielleicht zur Folge, dass sich der Kunstmarkt ein bisschen nach Osten verschiebt.

Das MoMA in New York hat sehr früh intensive Beziehungen zur Fotografin Dorothea Lange hergestellt. Lange trug zur allerersten Fotoausstellung des MoMA im Jahre 1940 bei und nahm an der Vorbereitung ihrer ersten Retrospektive teil, die 1966, drei Monate nach ihrem Tod, stattfand. Das New Yorker Museum widmet ihr von Februar bis Mai 2020 eine wichtige Ausstellung. Als eine der wenigen Fotografinnen, die noch zu Lebzeiten anerkannt wurde, nimmt Dorothea Lange den Mädchennamen ihrer Mutter an, um 1918 ein Studio in San Francisco zu eröffnen. Zehn Jahre später, 1929, kommt die Krise. Die Große Depression treibt Tausende Arbeiter auf Jobsuche auf die Straßen und Dorothea verlässt ihr Atelier, um ihnen zu folgen. Bald wird sie von der Resettlement Administration (später: Farm Security Administration, FSA) damit beauftragt, die Lebensbedingungen der Landarbeiter zu dokumentieren, die die katastrophalen Klimabedingungen und der Börsenkrach schwer getroffen hatte. Ihr erster Feldbericht hat eine reale Auswirkung und gelangt sogar in die Hände der Bewohner des Weißen Hauses. Es wird eine Soforthilfe gewährt, um den Schicksalsgenossen des Baumwollpflückers zu helfen. Der informativen und emotionellen Macht dieses auf Regierungsebene noch zu wenig eingesetzten Mediums bewusst, stellt die FSA ein Team zusammen, aus dem die großen Meister der Fotografie wie Walker Evans, Russell Lee, Arthur Rothstein oder Ben Shahn hervorgehen. Die Arbeit von Dorothea Lange trifft sehr früh auf ein großes Publikum. Da die Fotos Staatseigentum sind, werden sie ohne Zahlungsaufforderung veröffentlicht, was zu ihrer schnellen Verbreitung beiträgt. Fast 80 Jahre später ist die emotionale Wirkung noch ebenso stark. Der Markt von Dorothea Lange hat nach seinem absoluten Rekord von 2005 für White Angel Breadline (822.400 Dollar) bei Sotheby’s New York einen Anstieg verzeichnet. Es war ein goldenes Jahr, mit einem Spitzenumsatz, der vor 2019 nicht mehr erreicht worden war. So haben sich die Transaktionen im Vorjahr beschleunigt – 40 verkaufte Lose gegenüber zwölf im Jahr 2018. Dank dem Jahresumsatz (fast 1,2 Mio. Dollar) hat Dorothea Lange in der weltweiten Rangliste einen großen Sprung nach vorne (vom 2.300. Platz auf den 876. Platz) gemacht. Die Ausstellung im MoMA hat sicherlich dazu beigetragen. QUELLE | artprice.com

Dorothea Lange, White Angel Breadline, 1933, Christie's, New York, April 2014, Zuschlagspreis 50.770 Euro © 2014 Christie’s Images Limited


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