01_Titel_T_0522.qxp_TR 06.04.22 11:36 Seite 1
Europas Sammlermagazin
05/2022 05
4 196441 905502
64419
• € 5,50
Schweiz CHF 9,– | Österreich € 6,–
Á
TERMINHEFT als Beilage Märkte und Börsen
Bauernkalender Songs for Peace and Freedom
02_Interantik.qxp_TR 07.04.22 10:33 Seite 1
www.retro-vintage-antikmarkt.de
04_05_Leserforum.qxp_TR 07.04.22 09:30 Seite 2
LESERFORUM 4 staunlich, doch krasse Gestaltungsfehler entlarven die Falsifikate schnell. Ähnliche Gegenstände aus chinesischer Produktion werden in Auktionen um die 50 Euro verkauft.
EXPERTISEN n Fayence-Terrine
Kunstsachverständiger, Klaus-Dieter Müller, Lüneburg
In unserem Haushalt befindet sich eine Schale (wohl Fayence) mit Widderköpfen beidseitig und Füßen sowie einem Deckel. Könnten Sie uns darüber Auskunft geben, ob es sich um eine bekannte Marke handelt und wie der Wert der Schale einzuschätzen ist R. Münchmann, o. O.
!
Die Form der Terrine ähnelt barocken Vorbildern, der Dekor imitiert das beliebte „Willow Pattern“, eine englische Interpretation chinesischer Motive. Dieses Chinoiserie-Muster wurde ab 1780 populär, insbesondere weil über das neue Umdruckverfahren eine günstige Massenproduktion möglich wurde. Die englische Keramik aus Stoke-on-Trent zeigt hin und wieder kleine Verfärbungen und minimale Craqueluren in der Oberfläche, jedoch ist ein gleichmäßiges Craqueluren-Muster wie bei dieser Terrine so nie bei englischer Keramik zu sehen. In diesem Fall sind die oberflächlichen Spannungsrisse im hart gebrannten Porzellan absichtlich per Cra-
n Bambuspfeife Kürzlich haben wir in Keferloh eine relativ große Pfeife aus Bambus erstanden. Der Verkäufer wusste leider fast nichts über Herkunft, Alter etc. zu berichten. Wegen
!
?
quelé-Glasur herbeigeführt. Die bronzierten Messing-Widderköpfe an der Seite sind wohl von französischen Vorbildern entlehnt, die Standfüße aus gerolltem Akanthus und Blumengirlanden sind schlecht proportioniert. Der durchbrochene Rand aus C-förmigen Rocaillen und einer Art Knotenmotiv (?) wirkt plump und ist rein funktional unsinnig. Speisen würden in der Terrine schnell abkühlen. Technisch macht es Sinn, denn so kann das im 05 / 22
Druckgussverfahren hergestellte Formstück aus Widderköpfen und durchbrochenem Rand leicht auf den Rand aufgeklebt werden. Auf der Unterseite wäre das Zeichen „WL 1895“ zu erwarten. Möglicherweise ist es hier nicht mehr aufgedruckt worden. Diese Art dekorativer Gefäße wurden mit Fälschungsabsicht ab Mitte der 1990er-Jahren in Guangzhou oder Jingdezhen hergestellt und über Hong Kong vermarktet. Im allgemeinen ist dieser Hersteller unter dem Namen „Wong Lee 1895 bekannt“ (die Jahreszahl ist bewusst irreführend). Andere Pseudo-Herstellerzeichen sind bekannt. Meist ist der Stempel sehr opulent und soll eine Nähe zum z.B. Sonnenkönig, Jugendstil oder einem namhaften Hersteller suggerieren. Die Bandbreite der Erzeugnisse ist er-
n In dieser Rubrik beantworten unsere Experten Ihre Fragen zu dem ein oder anderen guten Stück. Doch leider sehen wir uns außerstande, ganze Nachlässe oder sämtliche sich in Ihrem Haushalt befindlichen Trouvaillen bewerten und schätzen zu lassen. Auch bitten wir um Verständnis, wenn es mit der Bearbeitung länger dauert. Senden Sie uns also Ihre Anfrage nur zu einem zu bestimmenden Objekt – mit detaillierter Beschreibung und gutem Foto, auf dem das Objekt ganz abgebildet ist. Noch ein Hinweis zu den Preisen, die von Fall zu Fall von unseren Experten genannt werden: Hierbei handelt es sich um Richtwerte, die anhand von Fotos allein getroffen werden und je nach Zustand des Objekts nach oben oder unten korrigiert werden können. Ihre Anfrage schicken Sie bitte an: Gemi Verlags GmbH Redaktion Leserforum Pfaffenhofener Str. 3 85293 Reichertshausen oder per E-Mail an info@gemiverlag.de
04_05_Leserforum.qxp_TR 07.04.22 09:30 Seite 3
LESERFORUM 5 der angeblichen Samurai-Darstellung vermutete er allerdings, sie stamme aus Japan. Können Sie dies bestätigen?
„Gé grand a petit“ = „J´ai grand appétit“ = „Ich habe großen Appetit“. Die abgerundeten Formen sprechen für eine Ausführung in Stuckmarmor. Stuckmarmor wird aus Alabastergips, Wasser, Knochenleim und Pigmenten hergestellt. Der kleine weiße Kratzer am Sockel der Figur könnte ein Hinweis auf Gips sein. Vermutlich fühlt sich die Figur eher warm an, nicht kalt wie Stein. Als Schätzpreis scheinen 300 bis 500 Euro realistisch. Falls es sich doch um eine Ausführung in Marmor handelt, könnte man den Schätzpreis leicht verdoppeln.
A. und P. Dessoy, München
Die dekorative Bambus-Schnitzerei wurde in der Meiji-Priode um 1880 für den Export hergestellt. Dem unbekannten Schnitzer diente vermutlich ein Ukiyo-e
?
Kunstsachverständiger, Klaus-Dieter Müller, Lüneburg
schmack entsprechen sie nicht. In den 1980er-Jahren wurden solche Schnitzereien noch nachgefragt, getragen vom allgemeinen, durch sehr günstige Kredite finanzierten Boom der japanischen Wirtschaft. Seit dem Zusammenbruch der japanischen Immobilienblase im Jahre 1989 sind die Preise für durchschnittliche japanische Antiquitäten gesunken oder stagnieren auf niedrigem Niveau. Aktuell sind ähnliche Schnitzereien schon für 100 bis 250 Euro zu erwerben. Angesichts der aktuell platzenden Immobilienblase in der VR China ist auch dort eine ähnliche Anpassung der Preise für Sammlungsgegenstände zu erwarten. Kunstsachverständiger, Klaus-Dieter Müller, Lüneburg
n Sitzender Voltaire Die nichtsignierte Marmorfigur ist 4 kg schwer, 28 cm hoch, 18 cm breit und 20 tief. Sie kam 1930 aus Polen. Wer und was bedeutet sie und wie alt könnte sie sein?
! Farbholzschnitt als Grundlage für seine Arbeit. Farbholzschnitte waren quasi die japanischen Comics jener Zeit, meist wurden populäre Themen in reißerischer Manier dargestellt. In diesem Fall wird der Kampf zweier Samurai gezeigt, der Kämpfer der in diesem Moment die Oberhand hat, trägt eine formelle 烏帽子 Eboshi Mütze, das kennzeichnet ihn als ein Mitglied der Oberschicht. Dem Schnitzer gelingt es durch wechselnde Schraffuren und Ritzungen eine fast haptische Textur zu schaffen mit welcher der dramatische Moment überzeugend eingefangen wird. Schnitzereien dieser Art wurden für den Export-Markt in Europa und USA geschaffen. Dem verfeinerten japanischen Ge-
Bernd Haake, Oldendorf
Die kleine Skulptur ist eine miniaturisierte Version der 1781 von Jean Antoine Houdon (1741-1828) gefertigten Statue in der Comédie-Française, Paris (bzw. der Terrakotta im Musée Fabre, Montpellier). Dargestellt ist der Philosoph, Lotterie-Gewinnler, Spekulant und für seinen bissigen Spott berühmte Satiriker Voltaire (16941778), dessen Bücher und auch die Korrespondenz mit Friedrich dem Großen noch heute inspirieren. Legendär ist seine Antwort auf eine Einladung zum Essen in Sanssouci. Seine Antwort lautete „G a“. Also in etwa großes „G“, kleines „a“, d. h.
?
05 / 22
06_07_Magazin.qxp_TR 07.04.22 09:32 Seite 2
MAGAZIN 6
n Keith, Bob und Carl
AUSSTELLUNGEN n Ikone Die Sonderausstellung „Marilyn – die Frau hinter der Ikone“ im Knauf-Museum Iphofen widmet sich der Schauspielerin, Sängerin und Stilikone Marilyn Monroe (1926-1962). Ihr Todestag am 4. August jährt sich 2022 zum 60. Mal. Sie ist die meistfotografierte Frau des 20. Jahrhunderts, ihre Beliebtheit ungebrochen. Marilyns Einfluss auf die Filmindustrie, die Mode, Kunst und den Lifestyle ihrer Zeit prägte Generationen und macht sie zu einer der kulturhistorisch interessantesten Personen des letzten Jahrhunderts. Die neue Ausstellung legt den Schwerpunkt auf die wenig bekannte Seite dieser außergewöhnlichen Frau, die bis heute nichts von ihrer Anziehungskraft verloren hat.
Porträt von Marilyn Monroe, Gemälde von Alexander Timofeev; Knauf-Museum Iphofen © Alexander Timofeev / Courtesy Sammlung Ted Stampfer
Marilyns pinkfarbene Satinstola, ca. 1956; KnaufMuseum Iphofen © Courtesy Sammlung Ted Stampfer Die Besucherinnen und Besucher tauchen ein in Marilyns Welt und begleiten sie auf ihrem Weg zu der Stilikone, als die sie bis heute wahrgenommen wird. In den verschiedenen Lebensabschnitten rückt in den Ausstellungsstücken auch ihre emanzipierte Seite in den Fokus: Ihre optische Veränderung, der bewusste Einsatz ihres Körpers vor ihrem Durchbruch wie während ihrer Karriere und ihr Mut, sich gegen die von Männern dominierte Filmbranche in den 1950er-Jahren aufzulehnen. Sie erkämpfte sich Vertragsbedingungen, die ihr Mitspracherechte sicherten, und gründete eine eigene Filmproduktionsgesellschaft, um unabhängiger zu werden. Das Knauf-Museum zeigt 200 ausgewähl05 / 22
te Objekte aus dem Privatleben von Marilyn Monroe, aus ihrer Karriere sowie Einzelstücke aus dem Besitz von Zeitgenossen. Sie alle sind Teil der exklusiven und weltweit tourenden Privatsammlung von Ted Stampfer, der die größte und vielfältigste Sammlung von Marilyn-Devotionalien zusammengetragen hat. Es handelt sich um exquisite wie alltägliche Kleidungsstücke, Accessoires, Pflege- und Stylingprodukte, Requisiten, private Briefe und Filmdokumente sowie Fotografien, die erstmals auf diese Weise kombiniert werden. (Bis 6. November 2022) Zum Knauf-Museum Iphofen: In den 1960er-Jahren begann der Gips-Fabrikant und Kunstmäzen Dr. Alfons N. Knauf mit dem Umbau eines prächtigen Iphöfer Barockbaus von 1688 zu einem privaten Museum. Dr. Knauf, den die Erforschung der Materie Gips zeitlebens faszinierte, besuchte gemeinsam mit seinem Bruder Karl viele Jahre lang die bedeutendsten Museen der Welt und sammelte Gipsabgüsse in Reliefform. Heute präsentiert das Knauf-Museum Iphofen über 200 Repliken dieser international renommierten Museumsstücke. Seit der Eröffnung am 30. Juni 1983 können Besucher die „Reliefsammlung der großen Kulturepochen“ bestaunen, die bis ins Jahr 3.500 v. Chr. zurückreicht. Neben der Dauerausstellung entwickelt das Knauf-Museum Iphofen jährlich eine exklusive Sonderausstellung, die teilweise in Eigenregie entsteht. Dabei kooperiert das Museum mit national und international angesehenen Museen. Telefon: 09323 31528 Webseite: www.knauf-museum.de
Die Weissenhofer sind zurück! 1995 wurde die Künstlergruppe gegründet und besteht heute aus Keith (alias Jörg Mandernach), Bob (alias Uwe Schäfer) und Carl (alias Matthias Beckmann). Der eigenen Legende nach sind die drei Brüder auf dem Weissenhof im Schweizer Wallistal aufgewachsen. Als das Leben dort zu beschwerlich wurde, wanderten sie in die Staaten aus und kamen als berühmte Künstler und Rock ‘n‘ Roll-Musiker zurück. In der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen stellen sie nun in einer raumgreifenden Installation Relikte ihrer gemeinsamen Herkunft und ihres eignen Mythos‘ aus – ein spielerisch-humorvoller Rückblick auf die Geschichte einer fiktiven Familie. Zum ersten Mal wird nun die Rekonstruktion des Baus ihrer Urgroßtante Alma gezeigt, den diese ab 1900 im Inneren des Weissenhofes schuf. Längst wollten die Alter Egos der drei Künstler nach 27-jähriger Erfolgsgeschichte zum „Playback” einladen – jetzt realisieren sie endlich ihr revolutionäres Gesamtkunstwerk in der Städtischen Galerie. Um dieses Zentrum der Ausstellung herumgruppiert zeigen die Drei – die überzeugend mit dem Bild und Selbstbild des Künstlers jonglieren – anhand von Einzelpräsentationen, wohin sie ihre individuellen Wege geführt haben. Die Weissenhofer sind: Keith (alias Jörg Mandernach, *1963, lebt in Ludwigsburg), Bob (alias Uwe Schäfer, *1965, lebt in Stuttgart) und Carl (alias Matthias Beckmann, *1965, lebt in Berlin). Bis 19. Juni 2022 in der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen. Telefon: 07142 74483 Webseite: http://galerie.bietigheim-bissingen.de
Bob Weissenhofer, Im Wallistal, 2007, Aquarell auf Papier; Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen
06_07_Magazin.qxp_TR 07.04.22 09:32 Seite 3
MAGAZIN 7 derausstellung in der Veranstaltungshalle „Terminal“ behandelt das Thema „Schlepper made in Baden-Württemberg“. Ein Teilemarkt rundet das Angebot ab. Die Technik Museen Sinsheim Speyer zeigen zusammen auf mehr als 200.000 m2 über 6.000 Exponate aus allen Bereichen der Technikgeschichte in einer weltweit einzigartigen Vielfalt. Vom U-Boot bis zum Oldtimer, von der Concorde bis zum Space Shuttle Buran ist alles vertreten. Neben den Dauer- und wechselnden Sonderausstellungen gibt es zahlreiche Fahrzeugund Clubtreffen sowie Events. An 365 Tagen im Jahr geöffnet, ziehen die Museen über eine Million Besucher im Jahr an. Eine wahre Sensation sind die beiden IMAXGroßformat-Kinos. Während in Sinsheim das IMAX 3D Kino – „das schärfste Kino der Welt“ – exklusive Dokumentationen und die neuesten Hollywood-Blockbuster präsentiert, werden im IMAX DOME Kino im Technik Museum Speyer die Filme auf eine gigantische Kuppel projiziert. Bei der Agri Historica in Sinsheim gibt es Traktoren bis Baujahr 1970 mitsamt deren typischen Anbaugeräten wie Mähwerke, Pflüge oder Seilwinden
MESSEN / MÄRKTE / TREFFEN n Ackern mit Porsche, Lanz und Deutz 2019 legte die Agri Historica ein erfolgreiches Revival auf dem Außengelände des Technik Museum Sinsheim hin. Nach der zweijährigen Zwangspause lädt der Oldtimer Schlepperclub Kurpfalz (OSCK) erneut zum markenoffenen Schlepperfest auf das Museumsgelände ein. Umgeben von imposanten Zeitzeugen der Luftfahrtgeschichte können sich die Besucher und Teilnehmer am Samstag und Sonntag, 21. und 22. Mai 2022, auf Hochglanz polierte Traktoren, einen großen Teilemarkt sowie Fachsimpeln und Erinnerungsaustausch unter Schlepperfreundinnen und -freunden und -fans freuen. Die Agri Historica ist nicht nur für Kenner und Sammler gedacht. Mit den zahlreichen Vorführungen und Ausstellungsstücken bietet die markenoffene OldtimerZusammenkunft jede Menge Unterhaltung für Jung und Alt. Ob Lanz, Schlüter oder Deutz – 2022 erwarten die Organisatoren hunderte Teilnehmer auf dem Museumsplatz: Traktoren bis Baujahr 1970 mitsamt deren typischen Anbaugeräten wie Mähwerken, Pflügen oder Seilwinden. Bei der Agri Historica, dem Dreh- und Angelpunkt rund um historische Landmaschinen, wird die Geschichte des agrarhistorischen Fortschrittes lebendig. Dabei werden ausgewählte Fahrzeuge in Aktion präsentiert, von fachkundigen Mitgliedern des OSCK vorgestellt und erklärt. Neben den klassischen Zugmaschinen kommen auch andere Werkzeuge der Landwirtschaft zum Einsatz. Die diesjährige Son-
Telefon: 07261 929973 Webseite: www.technik-museum.de
n Gut geschätzt Porzellaninteressierte- und Sammler dürfen sich freuen: Am Donnerstag, dem 12. Mai 2022 öffnet das Porzellanikon – Staatliches Museum für Porzellan in Hohenberg a.d. Eger seine Pforten für den zweiten Expertisentag in diesem Jahr. Besucherinnen und Besucher aus nah und fern können jeweils bis zu drei Porzellanobjekte zum Expertisentag mitbringen. Von 10 bis 17 Uhr stehen Hauptkuratorin Petra Werner und Kurator Thomas Miltschus, die Porzellan-Experten des Porzellanikon, mit ihrem Fachwissen über Porzellane aus Deutschland und allen namhaften europäischen Manufakturen zur Verfügung.
Petra Werner beim Expertisentag im Porzellanikon Hohenberg Sie erzählen auf unterhaltsame Weise alles, was es über die mitgebrachten Erboder Lieblingsstücke, Kuriositäten oder Sammlerstücke zu sagen gibt. Bereits nach wenigen Augenblicken erfahren die Besitzerinnen und Besitzer, ob es sich bei ihrem Porzellan um wahre Schätze oder liebenswerten Trödel handelt. Um mögliche Wartezeiten zu verkürzen, lohnt sich ein Blick in die Dauerausstellung. Der Expertisentag kostet 3 Euro pro Person (Museumseintritt). Eine Anmeldung ist notwendig unter besuchercenter@porzellanikon.org oder telefonisch. Es gilt die aktuelle Corona-Regelung. Nächster Termin ist der 4. August. Telefon: 09287 918000 Webseite: www.porzellanicon.org
Traktor von Fendt; Agri Historica Sinsheim 05 / 22
08_13_Bauernkalender.qxp_TR 07.04.22 09:41 Seite 2
KULTURGESCHICHTE 8
BAUERNKALENDER ALEXANDER GLÜCK
Gab es vor zweihundert Jahren schon Apps für Terminplanung und Wetterprognosen? Selbstverständlich: Diese Aufgaben wurden von Kalendern übernommen, die vor allem eins konnten – sie gaben dem Jahreslauf des Landmanns, der kaum des Lesens und Schreibens kundig war, eine Struktur. Zugleich gaben sie auf der Basis langjähriger Beobachtungen und Erfahrungswerte mehr oder weniger sicher zutreffende Wetterprognosen. Beides war für die Menschen, als sie noch mit der Natur lebten, von besonderer Bedeutung, denn sie mussten über Aussaat und Ernte entscheiden, die Weinstöcke anbinden, die Trauben ernten, das Vieh auf die Weide lassen oder eben nicht, und sie mussten die eine oder andere Reise planen – oft zu Fuß oder offen auf dem Pferd, vielleicht auf einem Fuhrwagen, kaum in der Kutsche. Die Frage, wie das Wetter werden würde, hatte damals eine erheblich größere Tragweite als heute, wo man das nur aus Interesse wissen will, allenfalls für einen Ausflug oder Besuch im Zoo. Festtage und Fastenzeiten Kalender legten eine Matrix über die namenlos dahinlaufenden Tage, sie zeigten an, ob Montag oder Dienstag ist, welcher Monat und welches Jahr gerade durchmessen wurde. Sie sagten, in welchem Sternzeichen sich die Sonne befand, und ob der Mond gerade zu- oder abnahm. Ebenso wichtig waren die Heiligen, die dem an ihrem Tag Geborenen ihren Namen gaben, sowie die Festtage und Fastenzeiten. Solche Kalender wurden früher
in verschiedenen Städten verlegt und auf Jahrmärkten wie auch im Kolportagebuchhandel (also von reisenden Händlern) vertrieben, in vielen Häusern waren sie überhaupt das einzige Buch. Wenn das Jahr um war und der Kalender durchschritten, wurde er nicht weggeschmissen, sondern zusammen mit den anderen aufgehoben: Man heftete sie mit Nadel und Faden zusammen, wodurch ein längliches Paket entstand. Hierdurch wurden die Jahre anschaulich, Jahr um Jahr wurde dieses Werk immer etwas breiter. Sammlungen dieser Art befinden sich heute noch in einigen Museen.
Diese Seite: Hierbei handelt es sich um eine zusammengeheftete Folge von Bauernkalendern aus den Jahren 1862 bis 1905. Pakete dieser Art werden trotz schlechten Zustands für mehrere hundert Euro angeboten 05 / 22
08_13_Bauernkalender.qxp_TR 07.04.22 09:42 Seite 3
KULTURGESCHICHTE 9 tage als Übersicht. Später kamen Kalender auf, die mit Rezepten und Anleitungen verschiedenster Art aufwarteten und dadurch die Funktion einer umfassenden Informationsquelle übernahmen. Landwirtschaftliche Kalender mit Wissenswertem und etwas Literatur waren noch vor wenigen Jahrzehnten völlig normal. Aber ein Kalender im Stil des 18. Jahrhunderts wird heute eher nicht aufgrund der darin enthaltenen Wetterprognosen gekauft, sondern wegen seiner altmodischen Gestaltung „wie einst“. Und dazu passt es dann auch sehr gut, dass dieser Kalender, der früher als „Neuer Bauernkalender“ vermarktet wurde, heute „Alter Bauernkalender“ heißt, als wäre es ein besonderer Vorzug, wenn ein Kalender alt ist. In diesem Fall ist es das durchaus, ansonsten sollten Kalender aber stets möglichst neu sein.
Zeichensprache Die Vorläufer der kleinformatigen Bauernkalender mit ihren seltsamen Zeichen für die Wetterprognosen und verschiedene Obliegenheiten des ruralen Jahreskreises (Aussaat, Nägelschneiden usw.) waren Kanthölzer, in denen Kerben für jeden Tag eingeschnitzt waren. An diesen Markierungen konnten die verstrichenen Tage abgezählt werden, eine rote bezeichnete den Sonntag. Aus Gründen der Zweckmäßigkeit vervielfältigte man die Kalender im Buchdruck, übernahm dabei aber die Zeichensprache der Dreiecke. Allerdings gab und gibt es verschiedene Kalender, die sich natürlich in ihrem Inhalt und in ihrer Bildsprache unterscheiden. Sie alle kann man sammeln, auch wenn sie als Kalender längst abgelaufen sind. Interessant ist dabei, wie die Kalender das Wissen, das sie vermitteln sollen, in vielen Variationen dargeboten haben – mal mit mehr Inhalt, mal mit sinnfälligen Symbolen, mal nur mit Zahlen oder mit ausgeschriebenen Wetterprognosen. Nur einer von ihnen überdauerte die Jahrhunderte bis auf den heutigen Tag. Und das kann auch damit zu tun haben, dass er als Reminiszenz an die alten Zeiten den romantischen Nerv seiner Leser trifft. Denn Bauernkalender waren zu ihrer jeweiligen Zeit als zweckmäßiger Helfer im Alltag gedacht. Zunächst boten sie die wichtigsten kalendarischen, meteorologischen und astronomischen Informationen wie Mondphasen, Jahreszeiten oder Fest-
Eisheilige und Schafskälte Kulturgut für die Rocktasche – in der Steiermark gibt es seit Jahrhunderten jene kleine Kalender, an denen man sich, wenn man sie zum ersten Mal in einer Buchhandlung oder einem Lädchen entdeckt, unvermittelt festliest. Die seltsam anmutenden Zeichen stehen da in einer alten Symbolschrift, die vorne erklärt wird. Es dauert nur wenige Minuten, bis sich der reichhaltige Inhalt dieser dezenten Literatur jedem erschließt. Wo andere verzweifeln, weil sie kein W-Lan haben und daher die Wetter-App nichts anzeigt, zückt der Steirer seinen Bauernkalender und findet darin das Wetter auf Monate hinaus. Diese Prognosen sind aus dem „Hundertjährigen Kalender“ abgeleitet, dessen Angaben auf langjährigen astronomisch-meteorologischen Erfahrungen gründen, ähnlich wie die bäuerlichen Wetterregeln. So manches davon tritt auch heute noch zuverlässig ein, etwa die Eisheiligen oder die Schafskälte, aber die seit einiger Zeit auftretenden Unwägbarkeiten bei der Wetterentwicklung haben zur Folge, dass die Angaben im Bauernkalender zusehends an Glaubwürdigkeit verlieren. Trotzdem ist dieser Kalender ein Klassiker, weil er geschichtsreich ist.
Volkskundliche Sensation Denn die kleinen unscheinbaren Heftchen, die mit dem Titel „Alter Bauernkalender“ weit über die Grenzen der Steiermark hinaus bekannt sind, stellen eine kleine volkskundliche Sensation dar: Seit rund dreihundert Jahren in gleicher Form werden sie Jahr für Jahr neu berechnet und
Oben: Almanach 1828 – Titelseite eines „anderen“ Bauernkalenders. Sie waren oft ähnlich aufgebaut, in etlichen Fällen wurden sie anderen Kalendern nachgeahmt Mitte und unten: Bauernkalender 1589 – Dieses äußerst seltene Stück ist mit etwas Glück als Reprintausgabe zu finden. Man kann diesen Kalender gut mit dem heutigen Bauernkalender aus der Steiermark vergleichen 05 / 22
08_13_Bauernkalender.qxp_TR 07.04.22 09:42 Seite 4
KULTURGESCHICHTE 10 dienen seither nicht nur den Bauern als geradliniger Wegweiser durchs Kirchen- und Wetterjahr. Und schon bei ihrem Entstehen knüpften sie an ältere, gleichartige Vorgänger an. Diese Kalender sind kein Nostalgieprodukt, sondern ein lebendiges Stück Geschichte: Weltweit gibt es keinen anderen Kalender, der eine längere ununterbrochene Erscheinungsfolge hat. Das kaiserliche Privileg, das bis heute auf dem Titelblatt steht, stammt aus dem Jahre 1706. Übrigens wurde der Kalender in den vergangenen Jahren revidiert und sogar
um zwei neue Wetterzeichen erweitert – sie zeigen Phasen markanter Erwärmung bzw. Abkühlung an.
Eindrucksvolle Bilder Ursprünglich waren solche Kalender auch in anderen Gegenden verbreitet und richteten sich an ein Publikum, das sichere Informationen eher in Form von Bildern auf-
nehmen konnte. Für diese Leserschaft gab es einst sogar Bibeln (Biblia Pauperum), die ihre Geschichten anhand von eindrucksvollen Bildern erzählten. Kalender waren besonders wichtig, weil sie mit vielen Angaben über Sonn-, Fest- und Fastentage sowie die wichtigsten Heiligen dem Jahreslauf Struktur gaben. Zugleich enthielten sie auch ziemlich treffsichere Wetterprognosen und – je nach Kalendervariante verschiedene – Anweisungen zur Feldarbeit, Aussaat und sogar Körperpflege (Haare- und Nägelschneiden). Die steirische Version dieses Kalenders wird inoffiziell „Mandlkalender“ genannt, die drei Mandln (Männer) auf dem Titelblatt tragen sogar eigene Namen: Drischmicherl, Kornjockerl und Brottommerl. Obwohl auch andere Kalender von drei Bauern geziert waren, hat man diese drei, wahrscheinlich willkürlich, mit den drei Landesteilen Ober-, Mittel- und Untersteiermark in Verbindung gebracht. Der Kalendertitel wandelte sich mehrmals, in früherer Zeit hieß er (bis 1948) „Neuer Bauernkalender“, heute „Alter Bauernkalender“. Andere vergleichbare Kalender wurden auch als „Almanach“ angeboten.
Peter Rosegger Der Bauernkalender war in früheren Zeiten in etlichen Haushalten überhaupt das einzige Buch, allenfalls gab es noch ein Gebetbuch. Peter Rosegger hat ihn in seinem Buch „Das Volksleben in Steiermark“ beschrieben, außerdem machte er ihn auf Vortragsreisen seinen Zuhörern bekannt: „Dieser Kalender ist ihm Begriff der Zeit; zwanzig solche Kalender, da ist noch das erste Viertel und er kann heiraten, sechzig Auf dieser Seite: Bauernkalender 1864 – Dieser Kalender wurde offenbar einer zusammengehefeteten Folge entnommen, was die Neigung etlicher Antiquare zum Zerteilen belegt. Ob das die Verkaufschancen hebt, ist fraglich 05 / 22
08_13_Bauernkalender.qxp_TR 07.04.22 09:42 Seite 5
KULTURGESCHICHTE 11
Oben links und rechts: Kalender 1591 – Auch hierbei handelt es sich um eine Faksimileausgabe eines alten Kalenders, der im Original kaum zu finden sein dürfte. Der umfangreiche Druck enthält viele Informationen, z. B. Mondauf- und „-nidergang”, die Heiligen Stephanus, Sixtus, Donatus, Cyriacus, Romanus, Laurentius, Hippolit u. a. und Feiertage wie „Mariae Himmelfarth” Links: Kalender 1591 – Der weiße Einband ist mit floralen und grafischen Mustern geprägt Unten links und rechts: Kalender 1823 – Das durchschossene Exemplar eines allgemeinen Haushaltungs- und Geschichts-Kalenders für 1823 enthält auf den leeren Seiten verschiedene Eintragungen des damaligen Besitzers. Verlegt wurde er in Quedlinburg
solche Kalender – dann ist Matthäi am Letzten. Es wollen sich viele andere Jahrbücher einschmuggeln, aber der Bauer mag sonst keines; in keinem sonst sind so viele Fasttagkreuze angesetzt, die ihm Sterz und Krapfen verheißen, in keinem sonst sind die Bauernfeiertage so roth gemalt, als in seinem „Neuen Bauernkalender“.“
Steirischer Klassiker Der älteste noch erhaltene steirische Mandlkalender bezieht sich auf das Jahr 1757. Seit 1784 gibt es lückenlose Reihen, seit 1785 firmerte Andreas Leykam als Drucker, heute wird der Kalender vom Ver-
05 / 22
08_13_Bauernkalender.qxp_TR 07.04.22 09:42 Seite 6
KULTURGESCHICHTE 12
lag Leykam-Alpina veröffentlicht. Inzwischen gibt es auch größere Varianten, etwa als Wand- oder Tischkalender, ergänzt um Bauernregeln. Eine Buchveröffentlichung erklärt genau die Zeichen und Bilder des Kalenders und führt in die Geschichte dieses kleinen steirischen Klassikers ein, der auch heute noch jedes Jahr von vielen Menschen gekauft wird.
Kalender sammeln Wer sich mit dem Sammeln alter Bauernkalender befassen will, wird sich wahrRosegger 1895 – In seinen Schriften über die Volkskunde der Steiermark widmet Peter Rosegger dem Bauernkalender ein ganzes Kapitel 05 / 22
08_13_Bauernkalender.qxp_TR 07.04.22 09:42 Seite 7
KULTURGESCHICHTE 13 eingebunden. Dadurch bot er genügend Raum für umfangreiche Eintragungen. An solchen Exemplaren zeigt sich, dass die Funktion der im bäuerlichen Alltag verwendeten Kalender deutlich über das reine Anzeigen des Tages und des Wetters hinausging. Schon Peter Rosegger berichtete, dass die Benutzer Markierungen verschiedenster Art in ihren Kalendern anbrachten, zuweilen wurde der errechnete Termin einer Niederkunft mit einer Nadel eingestochen. War der Kalender das wichtigste Buch im Haus, so kam ihm auch die Funktion zu, wichtige Ereignisse zu dokumentieren. Diese Familienchronik kam zuweilen auf leere Seiten in der Hausbibel, aber im Kalender ist sie aus naheliegenden Gründen besser aufgehoben. Und daraus erhellt auch, warum man diese Heftchen eben nicht weggeschmissen hat.
Kalender als Dokument
scheinlich nicht mit dem Erstellen von Zeitreihen begnügen wollen. Spannender ist nämlich die Suche nach historischen Exemplaren, durchaus auch aus verschiedenen Entwicklungstraditionen. Ähnliche Kalender wurden im Barock als Einblattdrucke vertrieben, Originale Stücke sind allerdings sehr selten. Dann und wann kann man eine Reproduktion finden. Aus dem 18. und 19. Jahrhundert, der hohen Zeit fortschrittlichen Bauerntums in unseren Ländern, sind zahlreiche Kalender erhalten, unter anderem auch originale Exemplare des „Hundertjährigen Kalenders“, die gar nicht teuer sind. Aus verschiedenen Gegenden lassen sich einige Varianten historischer Kalender zusammentragen. Als Sammlungsfokus eignen sich Länder, Regionen oder auch bestimmte Zeiträume, so etwa die Zeit der Napoleonischen Kriege oder die Regierungszeit Maria Theresias. Eine besondere Sammlung könnte Kalender umfassen, die mit Spuren ihrer Benutzung versehen sind, also Eintragungen verschiedener Art (Termine, Abrechnungen).
Der etwas größere Kalender auf den Abbildungen ist ein „durchschossenes“ Exemplar, in ihn wurden also leere Seiten mit
Damit schließt sich der thematische Kreis, der Kalender, der den Menschen Informationen über die kommenden Tage, Wochen und Monate bot, wurde zur Matrix für Eintragungen und damit zum Dokument der durchlebten Zeit. Er wurde seinen Besitzern zur Mitschrift des abgelaufenen Jahres, und daher hob man ihn auf, um später nochmal nachsehen zu können, wann ein Kalb zur Welt gekommen ist oder wann die Scheune gebrannt hat. Im Gegensatz zu alten Tagebüchern sind die so erhaltenen Eintragungen so knapp wie nur möglich. Sie sind Merkpunkte in einem Meer aus Zeit, und die Kalender geben uns mit etwas Glück einen kleinen Einblick in das Leben, wie es wogt. Fotos: Alexander Glück
Eine neue Ausgabe des „Alten Bauernkalenders“, wie man ihn in unserer Zeit kaufen kann, vor dem Hintergrund eines alten Einblattkalenders 05 / 22