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Europas Sammlermagazin
Bauhaus 70er-Jahre
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www.battenberg-gietl.de
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EXPERTISEN
■ Holzstuhl
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Vor einiger Zeit entdeckte ich meinen Sessel in dem Film „Die Fischerin vom Bodensee“. Ich selbst konnte bisher keine Informationen darüber finden. Können Sie mir bitte weiterhelfen? Edith Sorel, Baden-Baden
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Der Stuhl in Ihrem Besitz wurde aus Buchenholz und geflochtener Sisalkordel gefertigt. Die gebogenen Armlehnen sind das einzige nennenswerte Stilelement. Generationen von Designhändlern haben dieses Stuhlmodell in die Nähe des Bauhauses und Erich Dieckmann gerückt, diese Annahme lässt sich jedoch nicht belegen. Im Gegenteil, die Rundungen der Lehne zeugen mehr von einer bürgerlichen Behaglichkeit, die dem Bauhaus fremd war. Gleiche Armlehnstühle werden
staltete Möbel aus wirtschaftlich schwieriger Zeit der 1940er-Jahre, bei denen der Hersteller und Entwerfer unbekannt sind, werden zur Zeit zwischen 40 und 100 Euro gehandelt. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger, Jagdschloss Göhrde
■ Fayencekacheln
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Ich bitte um Ihre Einschätzung dieser beiden Delfter Kachelmotive. Sie sind in einem einwandfreien Zustand und haben eine Größe von 45 cm Länge und 35 cm Höhe. Ich hoffe, Sie können auch anhand der Stempel und Bezifferung auf der Rückseite der Kacheln ein Alter feststellen. Monika Bothe, o. O.
vielfach angeboten, niemand scheint den Entwerfer oder Hersteller wirklich zu kennen. Weder in deutschen Musterkatalogen noch in der Werbung der 1930er-Jahre findet sich irgendein Hinweis, auch keine Herstellerkennzeichen auf andere, völlig gleiche Stühle. Vielleicht muss man den Suchradius erweitern und den Hersteller in der Tschechoslowakei suchen. Der Funktionalismus im Möbelbau der Tschechoslowakei hat ähnliche Möbel hervorgebracht, z.B. die Entwürfe von Karel Kozelka und Antonin Kropacek kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Solch spartanisch ge06 / 20
■ In dieser Rubrik beantworten unsere Experten Ihre Fragen zu dem einen oder anderen guten Stück. Doch leider sehen wir uns außerstande, ganze Nachlässe oder sämtliche sich in Ihrem Haushalt befindlichen Trouvaillen bewerten und schätzen zu lassen. Auch bitten wir um Verständnis, wenn es mit der Bearbeitung länger dauert. Senden Sie uns also Ihre Anfrage nur zu einem zu bestimmenden Objekt – mit detaillierter Beschreibung und gutem Foto, auf dem das Objekt ganz abgebildet ist. Noch ein Hinweis zu den Preisen, die von Fall zu Fall von unseren Experten genannt werden: Hierbei handelt es sich um Richtwerte, die anhand von Fotos allein getroffen werden und je nach Zustand des Objekts nach oben oder nach unten korrigiert werden können. Ihre Anfrage schicken Sie bitte an: Gemi Verlags GmbH Redaktion Leserforum Pfaffenhofener Straße 3 85293 Reichertshausen
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Diese beiden gerahmten Kacheln mit den Maßen 35 x 45 cm sind rückseitig sowohl mit einer Modellnummer beschriftet als auch dem Ortsnamen Delft. Weiter sind Pressnummern zu sehen, die jedoch wieder nur Modellnummern sind für die unbemalten Kacheln. Beide Kacheln zeigen Motive, die an die niederländische Landschaftsmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts angelehnt sind. Wir sehen jeweils drei Kühe an einem Kanalufer ruhend mit Gebäuden, unter anderem einer Windmühle im Hintergrund. Hier werden stolz typische Motive und eine typische niederländische Landschaft verwendet. Delft entwickelte sich im 17. Jahrhundert zu einem Produktionszentrum von zinnglasierten Fayencen, die die von der Niederländischen-Ostindischen Kompanie importierten chinesischen Porzellane mit Blauweiß-Malereien imitierten. Diese Delfter Fayencen und Bildkacheln wurden europaweit exportiert und wurden zu der berühmtesten Gattung niederländischer Keramikproduktion. Diese Kacheln sind wohl im 20. Jahrhundert als Sammelstücke gefertigt und sollten in einer Auktion mit jeweils 10 bis 20 Euro angesetzt werden.
gefertigt und die Beine aus dunklerem Leder. Sie hat wohl am Kopf einmal einen Schlag bekommen, bei dem das eine Auge ins Kopfinnere gefallen ist. Mich würde interessieren, ob Sie anhand der Marke am Rücken den Hersteller sowie ihr Alter ermitteln können und mir auch einen Wert nennen können? Würde es sich lohnen, diese Puppe reparieren zu lassen? Renate Hennig, Senden
Ich habe vor circa zehn Jahren dieses Collier bei Ebay ersteigert, da es mich fasziniert hat. Alles, was ich weiß ist, dass es wohl in Rajasthan, Indien, um 1890 hergestellt wurde. Es würde mich freuen, wenn Ihre Experten mir mitteilen könnten, ob das stimmt und vielleicht auch eine Wertangabe machen könnten?
1 1/2 Srang-Münze von 1937. Der mugelige Türkis-Cabochon ist ebenfalls typisch für Schmuck aus Ladakh oder Tibet. Die kleinen angelöteten Schellen finden sich in vielen Kulturkreisen, u. a. bei den Turkvölkern, selbst in Nordafrika, aber auch in Rajasthan und Ladakh. Ich vermute, das Schmuckstück in Ihrem Besitz wurde entweder in Ladakh oder Himachal Pradesh in den 1950er-Jahren hergestellt. 1950 war die chinesische Armee in Tibet einmarschiert und danach wurde die tibetische Währung langsam durch chinesische Zahlungsmittel ersetzt. Als Wert würde ich heute etwa 80 bis 100 Euro ansetzen. Klaus-Dieter Müller,
Michael Heizmann, o. O.
Kunstsachverständiger, Jagdschloss Göhrde
Georg Ottomeyer, Experte Berlin
■ Collier
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Die Angaben des Verkäufers stimmen nicht ganz. Der Schmuck kann natürlich in der genannten Region gekauft worden sein, hergestellt wurde er jedoch unter Verwendung einer tibetischen silbernen
■ Puppe
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Ich bin im Besitz einer etwas ramponierten, großen Puppe. Sie ist circa 49 cm groß. Das Oberteil ist aus hellem Leder
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Bei dieser Puppe handelt es sich um ein Mädchen aus Celluloid, aus den 1930erJahren. Gemarkt ist sie mit „Germany Nixe 141/2“. Der Kopf ist ein Brustblattkopf, modelliert, mit einem offen/geschlossenem Mund und getönten Haaren auf einem Lederkörper. Aufgrund des Risses am Vorderkopf und des fehlenden Auges hat die Puppe leider keinen besonderen Sammlerwert mehr. Carina Roos-Person, Alino Auktionen, Bad Dürkheim
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! In der Sonderausstellung im Spielzeug Welten Museum Basel sind voraussichtlich bis 4. Oktober über 250 besonders faszinierende System- oder Funktionsstöcke zu sehen, die offensichtlich oder unauffällig einen Zusatznutzen bergen. Da können im Griff für Herren Rasierpinsel und Seife verborgen sein, für Damen ein Riechfläschchen, für den Globetrotter Kompass und Thermometer. Auch Raritäten von um 1800 des Schweizer Instrumentenbauers Ulrich Ammann, die StockKlarinetten, können bewundert werden. Mit Leihgaben von Privatsammlungen aus der Region ist diese einzigartige Ausstellung zustande gekommen. In dieser Form wird sie exklusiv nur in Basel zu sehen sein. Das Ausstellungskonzept ist ebenfalls einzigartig. Die Systemstöcke werden mithilfe modernster Technik offen wie geschlossen zu sehen sein. Die System- oder Funktionsstöcke erfinderischer Geister sind möglicherweise die faszinierendsten und am meisten gesammelten Gehstöcke. Seit Stöcke benutzt werden, hat es Erfinder und Tüftler gegeben. Sie fügten den Stöcken etwas hinzu oder verbargen etwas in der Länge des Schusses (Schaft des Stocks) oder im Griff. Ein wesentlicher Anreiz der Systemstöcke ist die humoristische Seite. Man wollte überraschen, zum Staunen oder zum Lachen bringen. Der englische Ausdruck Gadget Cane zeigt das deutlich. Systemstöcke waren wohl sehr beliebte Geschenke, welche zum Schmunzeln animieren oder auch die Fantasie und unerfüllte
Sehnsüchte stimulieren sollten. Ein gutes Beispiel dafür sind die PflanzenjägerStöcke, Utensilien für den Traumberuf des Entdeckers in fernen Landen des 18. und 19. Jahrhunderts. Wirklich brauchbar waren diese Gartenwerkzeuge nämlich nicht. Zu den vielfältigen Stockvarianten gehört auch etwa ein Gehstock mit Klinge oder einer Whiskyflasche samt Whiskyglas. Eine gern von Apothekern benutzte Version enthält kleine Fläschchen mit speziellen Tinkturen. Aber auch Erfindungen wie der Fahrradstock, an dem eine Art ausklappbares Notfahrrad montiert war, oder bekanntere Schöpfungen wie der Stockschirm, der so genannte Stockdegen, aber auch die Stockpistole waren begehrt. Alle diese soeben erwähnten Systemstöcke sind in der Ausstellung vertreten. Der Fantasie waren hier keine Grenzen gesetzt. So wurden allein während des 18. und des 19. Jahrhunderts mehr als 1500 Patente für Funktionsstöcke beantragt. Das Richtige für jeden Geschmack – ob mit rund gebogenem Griff, mit Stahl- oder Eisenspitze, mit Klinge oder mit anderen Kuriositäten–, aber stets kostbar, individuell und mit großem handwerklichem Raffinement gefertigt. Nicht zu vergessen sind die oft humoristischen Automatenstöcke mit einem Tierkopf als Griff. Drückt man auf einen Knopf, öffnet der Hund das Maul oder der Vogel seinen Schnabel. Es gab Stöcke mit Narren, welche die Augen verdrehten und die Zunge herausstreckten, oder mit einem Totenkopf aus Elfenbein, der mit den Augen rollte und mit dem Kiefer klapperte. Solche Spielereien waren seinerzeit äußerst beliebt.
Besonders faszinieren die Systemstöcke, die offensichtlich oder unauffällig einen Zusatznutzen bergen. Gern von Ärzten benutzt wurde die Variante mit Skalpellen und Spritzen oder für Damen ein Stock mit Fächer und Fernglas für den Spaziergang. Für die hohen Herren stellten Kunsthandwerker über mehrere Jahrhunderte komplizierte wie kostbare Stöcke her. So wird im Inventar des Schlosses zu Greenwich bei einem Stock des englischen Königs Heinrich VIII. (1491-1547) vermerkt, dass im Griff ein ganzer Werkzeugkasten enthalten gewesen sein muss mit Zange, Meterstab, Messer, Feile und einen in Gold gefassten Probierstein. Ferner trug er ein Parfumbüchschen, eine Sonnenuhr und einen Kompass. Im 18. Jahrhundert breiten sich die Systemstöcke mit Zubehör immer mehr aus. Systemstöcke mit Vielfachzwecken wurden auch noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hergestellt, als die Systemstöcke bereits ein Massenprodukt geworden sind. Unter den Systemstöcken gibt es auch die Waffenstöcke. Darin war immer eine Waffe verborgen, wie Degen, Dolch, Pistole oder Gewehr. Die Freude am Erfinden und Konstruieren hat eine Unzahl von in Stöcken verborgenen Waffen zum Schlagen, Stoßen und Schießen hervorgebracht. Trotz der Fülle und der Vielfalt der Systemstöcke kann man diese in zusammengehörende Gruppen einteilen. Zur ersten Gruppe gehören sicherlich die Berufsstöcke, die eine wirkliche Funktion hatten. Wie die Stimmgabel im Stock für den Musiker oder Meterstäbe für Stoffhändler, Schuhmacher und Sargtischler. Zur zweiten Gruppe zählen die praktischen Stöcke,
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die das Ausgehen erleichterten oder dem Wanderer oder Jäger eine Hilfe waren. Dazu gehören auch Stöcke mit Pfeife im Griff und Platz für Tabak, wie auch Stöcke mit Kerze oder Taschenlampe zum Lesen der Hausnummern im Dunkeln, Sitzstöcke, Hundeflöten, Stöcke mit Angel oder Schmetterlingsnetz, mit Fernrohr, mit Spielwürfeln oder mit Musikinstrumenten. Zur dritten Gruppe gehören die Gag- oder Gimmick-Stöcke. Dazu gehören die sogenannten Automaten, also figürliche Griffe, die auf Knopfdruck die Augen verdrehen und die Zunge herausstrecken. Zur vierten Gruppe kann man die Stöcke mit Instrumenten, Uhren, Mikroskop, Vergrößerungsglas und Entfernungsmesser zählen. Auch in der Blütezeit der Systemstöcke waren diese keineswegs allgemein verbreitet, sondern es handelte sich eher um Prestigesymbole. Systemstöcke sind vom Äußeren her selten schön, meist zweckmäßig und unscheinbar. Deshalb wurden sie oft nicht zur Schau gestellt und landeten gerne im Keller oder auf dem Speicher. Dadurch ging ihr Inhalt oft verloren oder wurde beschädigt. Darum sind komplette Systemstöcke selten und umso seltener, je reicher ihr Innenleben ist. Dies kann man heute an den Ergebnissen sehen, welche Systemstöcke in Auktionen erzielen.
! Die Ausstellung „Rasenglück. Die Erfindung des Elfmeterschießens“ spannt einen spektakulären Bogen von der Geschichte des Elfmeterschießens zu zeitgenössischen Künstlern wie Andreas Gursky, Christoph Niemann, Günther Uecker und Regina Schmeken, die sich mit dem Phänomen Fußball in ihren Kunstwerken auseinandersetzen. Mit teils humorvollem Blick schauen die Künstlerinnen und Künstler auf den populären Sport – und entfalten hierbei ihre unverkennbare Bildsprache.
„Ich kann das nicht mehr mit ansehen. Bitte, gucken Sie für mich weiter“, sagte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt während der TV-Übertragung des Elfmeterschießens im WM-Halbfinale 1982, das Deutschland 8:7 gegen Frankreich gewann. Jeder, der schon einmal ein Elfmeterschießen gesehen hat, weiß, wovon Helmut Schmidt spricht. Dass dieser Krimi in der 120. Minute eines Turnierspiels in der oberbayerischen Bergarbeiterstadt Penzberg erfunden wurde, wissen jedoch die wenigsten. Im Mai 1970 reichte der Penzberger Schiedsrichter Karl Wald den sogenannten „Elfmeter-Antrag“ beim Bayerischen Fußball-Verband ein – bis dato entschied u. a. der Münzwurf über den Ausgang eines Fußballspiels. Bereits in der Saison 1970/71 führte man in Bayern das Elfmeterschießen als Spielentscheidung ein, mit etwas Verzögerung schlossen sich der Deutsche Fußballbund (DFB), UEFA und FIFA dem von Karl Wald entworfenen Regelwerk an. Ausgehend von der Persönlichkeit Karl Walds eröffnen sich in der Ausstellung verschiedene Aspekte zu den historischen Gegebenheiten, psychologischen Faktoren und aktuellen Debatten um faire Entscheidungen im Sport. Auf der unparteiischen Figur des Schiedsrichters liegt dabei ein besonderer Fokus. Kunstrasen, ein Kicker und ein Tor sorgen für Stadion-Atmosphäre im Museum. Zugleich feiert der 1. FC Penzberg, einer der traditionsreichsten Sportvereine der Stadt, sein 100-jähriges Bestehen. Der Geschichte und Bedeutung des Fußballs für die Bergarbeiterstadt Penzberg wird ein eigenes Ausstellungskapitel gewidmet. Einen anderen Blickwinkel auf die Fußballwelt eröffnen die Stadien-Fotografien des renommierten Fotografen Andreas Gursky. Die immense Kraft, die hinter einem Schuss steckt, vermittelt Christoph Niemann mit einem Augenzwinkern in dem
Sunday Sketch „World Cup“, welcher in Niemanns Serie für das Magazin The New Yorker entstanden ist. Auch Künstler wie Günther Uecker und Greg Colson zeigen eine humorvolle Perspektive auf den populären Sport. Die großformatigen Fotoarbeiten von Regina Schmeken entstanden bei einem künstlerischen Projekt mit der deutschen Fußballnationalmannschaft. In den Schwarzweiß-Kompositionen der Fotografin zeigt sich ihr Interesse an Bewegungsabläufen und Choreographie auf eindrucksvolle Weise. (Bis 12. Juli)
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Mit dem Anbruch der sechziger Jahre war das sozialpsychologische Klima in der Bundesrepublik stark abgekühlt. Lautstark forderten die Arbeitnehmer jetzt ihren An-
teil am Wirtschaftswunder ein. Sie taten es umso selbstbewusster, je länger der Arbeitsmarkt im Zeichen der Vollbeschäftigung stand. Die Gewerkschaften erkannten die Gunst der Stunde: Lohnrunde folgte auf Lohnrunde, und die Abschlüsse lagen bei Steigerungsraten von jährlich acht, zehn oder gar zwölf (!) Prozent. Mit
der Errichtung der Mauer quer durch Berlin ab dem 13. August 1961 verschärfte sich die Situation für westdeutsche Firmen. Jetzt fiel auch noch der Zustrom gut ausgebildeter Facharbeiter aus der DDR fort – Arbeitskräftemangel wurde zum existentiellen Problem vieler Betriebe. Da geschah Anfang September 1961 etwas Unerwartetes. An den Kiosken hing ein bis dahin völlig unbekannter Typ Zeitschrift: „Deutsche Mark. Erste Zeitschrift mit Warentests“. Nun sollte der selbstbewusste
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Arbeitnehmer auch noch zum kritischen Konsumenten werden. Was von der Wunderaura der Warenwelt der fünfziger Jahre noch übrig war, wurde jetzt von ihr geradezu hinweggespült.
Die Idee zu dieser ersten deutschen Verbrauchergazette hatte der ehemalige Spiegel-Redakteur Waldemar Schweitzer gehabt. Nach dem Vorbild von in den USA schon in den zwanziger Jahren erhältlichen Titeln wie „Consumer Reports“ unternahm es die „Deutsche Mark“ jetzt, auch hierzulande Waren und Dienstleistungen aller Art einer kritischen General-Inspektion zu unterziehen. Ob Toilettenpapier oder Blumenkohl, ob Saftpressen oder
Bausparkassen: Bald gab es kaum etwas, das ihre Redakteure nicht unter die Lupe nahmen – bis hin zu Entbindungsheimen, Berufschancen von Beamten oder dem Bundeswehr-Kantinenessen. Und der Zuspruch der westdeutschen Leser war in den ersten drei Jahren des Bestehens der „DM. Deutsche Mark“ enorm. Von anfangs 60.000 Exemplaren kletterte die Auflage binnen Jahresfrist auf 350.000 Stück, erreichte 1963 über 700.000 Exemplare, um ab Frühjahr 1964 allmählich abzusinken. Zeitweise standen über 170 Mitarbeiter in ihren Diensten. Der Name war nicht nur Programm, sondern Symbol: Für die eine Deutsche Mark, die sie kostete, wurde die Frage nach dem (Gegen-)Wert von Gütern und Dienstleistungen auf ungewohnt rigorose, nicht selten aggressive Art gestellt. Angetreten, ausschließlich dem Verbraucherinteresse zu dienen, verkündeten ihre Redakteure selbstbewusst: „Anzeigen haben keinen Einfluss auf die Redaktion!“
Natürlich wurde die „DM“, die sich auf die Fahne geschrieben hatte, zum „Gewissen der Industrie“ zu werden, von dieser nicht begeistert aufgenommen. Schließlich
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brach sie ein bis dahin geltendes Tabu: Sie bediente sich des Vergleichs als Methode. Den Unternehmen ihrerseits war (und ist) hingegen vergleichende Werbung für ihre Erzeugnisse per Gesetz verboten. „Die ganze Tendenz der Zeitschrift behagt uns nicht!“ beklagte schon Ende 1961 der Markenverband in Wiesbaden die neue Situation. In der Tat kamen die DM-Benotungen („empfehlenswert“ – „nicht empfehlenswert“) immer wieder Abstrafungen vieler Hersteller gleich. Aura und Ruf vieler Markenprodukte wie etwa der berühmten Constructa-Waschmaschine wurden gnadenlos demontiert. Entsprechend harte Auseinandersetzungen mit den betroffenen Firmen folgten. Einstweilige Verfügungen, Prozesse, Durchsuchungen der Redaktionsräume im Stuttgarter DM-Stammhaus waren an der Tagesordnung – bis die Zeitschrift ein Sakrileg beging und den größten Prozess der Nachkriegszeit zwischen einem Industriekonzern und einem Presseunternehmen heraufbeschwor.
Im August 1963 hatten sich ihre Redakteure entschlossen, einen vergleichenden Langzeit-Autotest über 50.000 km in der 1,5-Liter-Klasse durchzuführen. Neben einem Opel Rekord, einem Ford Taunus, einem BMW 1500 und drei Fahrzeugen ausländischer Produktion war zu diesem Zweck auch ein Modell von VW gekauft worden, der 1500 S. Eigentlich war in diesem Wagen noch der alte VW-Käfer versteckt, wenngleich nun eine moderne Pontonkarosserie sowie ein stärkerer Motor den Anschluss an den zeitgemäßen automobilen Standard signalisierten und den Aufstieg in die Mittelklasse verhießen – natürlich gepaart mit allen vom Käfer bekannten VW-Qualitäten wie Sparsamkeit und Zuverlässigkeit. Dieser Wagen musste nun mit seinen bescheidenen 54 PS
gegen zum Teil deutlich stärker motorisierte Konkurrenz wie die Giulia 1600 TI von Alfa Romeo (92 PS) oder den BMW 1500 (80 PS) antreten. Nach gut vier Monaten war das Ergebnis für den VW nach einer Fahrstrecke von 40.000 km verheerend. Aufgrund schwerer Motorschäden war der Wagen mehrfach abgeschleppt und repariert worden, sodass sich für die „DM“-Redakteure Mitte Februar 1964 die Gewissensfrage stellte: „Kann man eigentlich bei uns gegen den VW etwas schreiben? Der VW ist doch in der ganzen Welt ein Sinnbild für Zuverlässigkeit, für deutsche Wertarbeit. Das weiß jedes Kind. Aber uns widerfuhren Dinge mit diesem VW, die nicht zum Bild passen. Sollen wir das schreiben oder nicht? Viele Leser beschimpfen uns schon: Das kann doch nicht sein. Es ist so. Darum schreiben wir es.“ Damit nicht genug. Kurz vor Ende des Tests, nach weiteren Motorschäden, wurde der VW aus dem Test genommen. Gesamturteil: „unzuverlässig“, „nicht empfehlenswert“. Niemals zuvor und niemals danach hat es eine deutsche Zeitschrift gewagt, über ein Automobil aus einheimischer Produktion in dieser Weise den Stab zu brechen – selbst nicht der mächtige ADAC. Umgekehrt war nun für den Automobilkonzern das Maß voll: VW-Chef Heinz Nordhoff strengte eine Zehn-Millionen-DM-Klage gegen die „DM“ an. Aus Wolfsburger Sicht hatte hier eine Journaille, bar jeder wissenschaftlich fundierten Testmethode, das Fahrzeug mutwillig zer-
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stört. Fortan wurde die „DM“ selbst zum Testobjekt, wurden Widersprüche in vielen Reportagen aufgedeckt, mehrten sich Zweifel an der Gewissenhaftigkeit bei der Durchführung der Tests oder der Qualifikation der Tester. Bestärkt wurde der Argwohn des VW-Konzerns, der Wagen sei durch ständiges Überdrehen in unteren Gängen vorsätzlich kaputtgefahren worden, durch Aussagen der Testfahrer, die
aus ihrer Antipathie gegen das VW-Produkt gar keinen Hehl machten. Die „DM“ hatte die Meinungen in der Bundesrepublik polarisiert. Viele versuchten sich schon in Ehrenrettungen für das nationale Auto-Symbol. Die Bild-Zeitung schrieb: „Der VW ist doch ein Star!“ „Gehen Sie heute in irgendeine Gesellschaft,“ schrieb der Publizist Joachim Besser, „lassen Sie das Wort ‚VW’ fallen und erleben Sie, wie die Gesellschaft nach byzantinischem Vorbild sofort in die Parteien der ‚roten’ und der ‚blauen’ zerfällt. Kein Streit über Gott und die Welt kann solche Hitzegrade erreichen wie dieser. Das Auto wird zum Inhalt und zum Ersatz verdrängter Gefühle.“ In der Tat stand hinter dem emotional so aufgeladenen DM-VW-Streit etwas ganz anderes, das die Redakteure im Juli 1964 so zum Ausdruck brachten: „Wie alt soll ein Tester sein? Uns wird oft vorgeworfen, wir seien noch zu jung. Zu jung, um überhaupt dieses oder jenes beurteilen zu können. Zu jung, um gar Empfehlungen aussprechen zu können. Wir sind alle zwischen 20 und 40. Und wie alt sind diejenigen, die uns gern vorwerfen, wir seien zu
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jung? Die sind zwischen 50 und 65. Die testen zwar nicht, aber sie rechten. Immer unter der Voraussetzung, dass sie es besser wissen, weil sie älter sind...“ Im Herbst 1964 stand man vor dem großen Prozess David gegen Goliath. Den Redakteuren schwante Böses: „VW will DM erdrücken!“ Doch beiden Parteien war die Lust auf eine lange juristische Auseinan-
dersetzung mit unkalkulierbarem Ausgang verflogen. Der Grund: Ausgerechnet der VW 1500 S führte inzwischen die Zulassungsstatistik in seiner Klasse an – ein eindeutiges Verbraucherurteil. Auf der anderen Seite hatte sich „DM“-Herausgeber Schweitzer, vom schnellen Erfolg seiner Zeitschrift beflügelt, in Filmprojekten verzettelt, sich gar noch ein Konkurrenzblatt zum Spiegel („Die Zeitung“) geleistet, das nach nur 16 Monaten wieder eingestellt werden musste. Im Dezember 1964 schloss man einen Vergleich. Die „DM“ druckte, wenn auch zähneknirschend, die ausgehandelte Friedensformel ab: „Der VW ist besser geworden“. Im Grunde war die Redaktion froh, so davongekommen zu sein. Doch unter dem Strich hatte „DM“ endgültig verloren. 1966 kam dann, fast zwangsläufig, der Konkurs.
Gleichwohl war es die DM und nur sie gewesen, die der Idee regelmäßiger Waren-
tests als Verbraucherorientierung in der Bundesrepublik Beine gemacht hatte. In seiner Regierungsklärung 1962 – ein Jahr nach dem furiosen „DM“-Start – hatte Konrad Adenauer die Einrichtung eines Warentestinstituts erstmals in Aussicht gestellt. Doch es brauchte wiederum zwei Jahre, bis die endgültige Form einer solchen Institution gefunden war und der Bundestag ihr im Dezember 1964 zustimmte. Lange hatte man um das Wie die-
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republik salonfähig gemacht zu haben. Im Oktober 1966 – „DM“ gab es schon nicht mehr – machte sich die Satire-Zeitschrift „Pardon“ gerade darauf einen Spaß. Im erbsenzählenden „DM“-Stil, ein Preis/Leistungsverhältnis zum Maßstab jeder Verbraucherempfehlungen zu machen, nahm sie elf Sex-Magazine unter die Lupe. Gemessen wurde das mithilfe von Millimeterpapierschablonen erhobene Quantum an Mädchenbrust, das der Heft-Käufer für sein Geld bekam. Alle elf Hefte erhielten das Urteil: „nicht empfehlenswert“ – sie alle boten „zu wenig Mädchen“. Heute sind DM-Einzelhefte bei onlineAntiquariaten für kleines Geld zu haben. Noch sind sie kein Sammelgebiet mit Kultstatus. Aufmerksame Zeitzeugen der frühen 60er-Jahre in einer Phase sich stark verändernder Strömungen in der Gesellschaft sind sie allemal. Fotos: Dirk Schindelbeck
ser Institution gerungen und schließlich eine Stiftung mit Sitz in Berlin favorisiert, die, in der Anlaufphase mit Bundesmitteln ausgestattet, sich später durch den Verkauf ihrer Publikationen selbst tragen sollte. Neben dem hehren Ziel, „Untersuchungen an miteinander vergleichbaren Waren und Dienstleistungen nach wissenschaftlich gesicherten Methoden“ in diesem Institut zu gewährleisten, war natürlich von vornherein klar, dass dieses Mal Herstellerund Verbraucherinteressen durch paritätisch besetzte Ausschüsse gleichermaßen Berücksichtigung finden sollten. Typische „DM“-Fragen wie „Warum tut Bonn nichts für gutes Gulasch?“ sollte der Verbraucher denn auch in der zukünftigen
Instituts-Zeitschrift vergeblich suchen. Dafür sorgte nun schon der starke Einfluss der Industrie-Vertreter. Und so schlug das Pendel diesmal nach der anderen Richtung aus.
Als im Frühjahr 1966 das erste Heft der Stiftung erschien, zierte nun ein „süß blickendes“ Model die Frontseite von „DER test“; auch bot das erste Heft lediglich die Begutachtung von zwei Warengruppen. Der Eindruck, dass es sich hier um ein im Industrieinteresse stehendes Alibi-Blatt handelte, wurde noch dadurch verstärkt, dass keinerlei Empfehlung ausgesprochen wurde. Dementsprechend gering war anfangs die Akzeptanz der Zeitschrift bei den Verbrauchern. Auch bei der Stiftung Warentest musste man einsehen, dass es ohne Benotungen und Empfehlungen, die zwangsläufig immer wieder Abmahnungen von Firmen bedeuteten und Prozesse nach sich zogen, nicht ging. Nur so ließ sich auf Dauer das Vertrauen der Verbraucher gewinnen, die heute – nach langen Jahren erfolgreicher Arbeit – der Stiftung ein hohes Renommee bescheinigen. Insofern kommt der „DM“ das Verdienst zu, einen bestimmten Stil, der sehr viel mit der Einübung von Opposition und Gesellschaftskritik zu tun hatte, in der Bundes-