Trödler 07/2020

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U1_Titel_T_0720.qxp_TR Titel 15.06.20 17:00 Seite 1

Europas Sammlermagazin

Fahrräder Tanz in der Werbung

Juli 2020


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Ettensestraat 50 • 7061 AC Terborg (The Netherlands) • Tel. 00(31) 315 39 69 69 • Fax 00(31) 315 39 69 65 E-Mail: sales@baakman.nl • www.baakman.nl


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inHaLT 3

TrÖDLer

als Beilage zum Sammler Journal

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GEMI Verlags GmbH Pfaffenhofener Straße 3 85293 Reichertshausen Tel. 08441 / 4022-0 Fax 08441 / 71846 Internet: http://www.gemiverlag.de eMail: info@gemiverlag.de

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magazin n Ausstellungen – Messen – Märkte

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Gerd Reddersen Rudolf Neumeier

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Reinhard Bogena, Alexander Glück, Heidrun Th. Grigoleit, Theresia Peters

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BÜCHer

Kössinger AG Schierling

n Rolf Ulrici

DruCK

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Leserforum

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TeCHniK n Magnetpendeluhren

TeCHniK

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n Fahrräder

auKTionen

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n Preise – Termine

funDsTÜCKe

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n Flohmarktpreise

ersCHeinungsweise

monatlich

TiTeLfoTos

Alexander Glück; Tillmann Lothspeich

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages vervielfältigt oder verbreitet werden. Unter dieses Verbot fallen die gewerbliche Vervielfältigung per Kopie, die Aufnahme in elektronische Datenbanken und die Vervielfältigung auf CD-ROM. Es gilt die Anzeigenpreisliste 1/17 (Preise gültig seit 01.06.2006)

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LESERFORUM 4

EXPERTISEN

■ Keramikvase

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Ich habe mir kürzlich von einer Bekannten auf dem Flohmarkt diese ungewöhnliche Vase, zu der es wohl noch drei andere Teile gab (Schale, Aschenbecher etc.), die meine Bekannte aber schon vorher veräußert hatte, gekauft und konnte so leider gar nichts über die Herkunft, das Alter oder den Wert herausfinden. Das Material ist vermutlich Steingut oder Steinzeug, außen braun gesprenkelt glasiert mit aufgesetzten Ornamenten. Über die Pressnummern bin ich auch nicht fündig geworden. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir dazu Näheres sagen könnten. Vera Cambensi, Rastatt

!

Die dekorative Keramikvase in Ihrem Besitz wurde um 1916 im Westerwald vermutlich von der Firma Reinhold Merkelbach hergestellt. Westerwälder Steinzeug mit kölnischbrauner Salzglasur hat eine lange Tradition, und diese Vase greift auf diese Vorbilder zurück. Die Vase hat eine

ovoide Form mit kurzem Hals und ist mit nur scheinbar aufgelegten eiförmigen Dekorelementen verziert. Die Entwerferin oder der Entwerfer entlehnte Formen aus Flora und Fauna, fragmentierte Linien oder Rundungen und erschuf durch serielle Wiederholung neue dekorative Elemente. Wer hat´s gemacht? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Im Jahre 1911 hatten sich die führenden Hersteller Westerwälder Steinzeugs, die Firmen Reinhold Merkelbach, Simon Peter Gerz, Reinhold Hanke und Walter Müller zu der Firma Steinzeugwerke Höhr-Grenzhausen in einer Marketing-Organisation zusammengeschlossen, um die moderne JugendstilKeramik erfolgreicher zu verkaufen. Als mögliche Entwerfer kämen Paul Wynand, Josef Breiden oder ein Mitarbeiter der Werkstatt Reinhold Hanke in Betracht. Die qualitätvollen und künstlerisch ambitionierten Entwürfe der Werkstatt Reinhold Hanke waren im Umfeld des noch immer beliebten eklektizistischen Historismus der Wilhelminische Epoche nicht sehr erfolgreich, so dass die Firma 1913 in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet. Die

meisten Entwürfe verblieben bei den Steinzeugwerken und wurden dann vornehmlich von der Firma Reinhold Merkelbach umgesetzt. Aktuell würde ich die dekorative Vase mit 80 bis120 Euro bewerten. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger, Jagdschloss Göhrde

■ Ölgemälde

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Aus dem Nachlass meiner 1989 verstorbenen Mutter habe ich auf dem Dachboden ein Ölgemälde entdeckt, auf Leinwand 70 x 50 cm gemalt, mit Schmuckrahmen 83 x 63 cm. Der Rahmen war an einer Eckstelle beschädigt. Da alle Bruchstücke vorhanden waren, konnte von einer Restauratorin eine Reparatur

■ In dieser Rubrik beantworten unsere Experten Ihre Fragen zu dem einen oder anderen guten Stück. Doch leider sehen wir uns außerstande, ganze Nachlässe oder sämtliche sich in Ihrem Haushalt befindlichen Trouvaillen bewerten und schätzen zu lassen. Auch bitten wir um Verständnis, wenn es mit der Bearbeitung länger dauert. Senden Sie uns also Ihre Anfrage nur zu einem zu bestimmenden Objekt – mit detaillierter Beschreibung und gutem Foto, auf dem das Objekt ganz abgebildet ist. Noch ein Hinweis zu den Preisen, die von Fall zu Fall von unseren Experten genannt werden: Hierbei handelt es sich um Richtwerte, die anhand von Fotos allein getroffen werden und je nach Zustand des Objekts nach oben oder nach unten korrigiert werden können. Ihre Anfrage schicken Sie bitte an: Gemi Verlags GmbH Redaktion Leserforum Pfaffenhofener Straße 3 85293 Reichertshausen

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LESERFORUM 5 vorgenommen werden. Können Sie den Künstler ermitteln und den Wert des Bildes einschätzen? Christian Birk, o.O.

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Auf dem Gemälde ist eine Waldlandschaft zu sehen, mit allem, was dazu gehört. Mittig fließt ein Fluss, der zwei Ufer trennt, an denen Gebüsche neben Bäumen emporwachsen. Der Fluss verliert sich in der Ferne und fließt auf eine weitere Baumfront zu. Diese Malerei, in Öl auf Leinwand mit den Maßen 70 cm x 50 cm, ist schnell und flächig aufgetragen um die überlappenden Zweige des Buschwerks zu erfassen. Eine solche Malerei ist typisch für die 1960er- und 1970er-Jahre. In der rechten unteren Ecke ist eine nicht ganz klar lesbare Signatur, die mit der Leseweise „Evol“ interpretierbar wäre. Leider ist hierzu kein Künstler in Nachschlagewerken oder Datenbanken vermerkt und derart konservative Motive, wie diese herbstliche Waldlandschaft erfreuen sich eher spärlicher Nachfrage am derzeitigen Kunstmarkt. In einer Auktion sollte dieses Gemälde mit 40 bis 60 Euro bewertet werden. Georg Ottomeyer, Experte Berlin

nen Guido Knauth handeln soll, der um 1912 in Thüringen gelebt hat. Die Puppe ist ca. 60 cm groß, hat einen Porzellankopf mit festen Augen, offenem Mund mit vier Zähnen. Arme und Beine sind aus Holz, der Körper dürfte Masse sein. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie uns Näheres über den Hersteller und eventuell auch über den Wert berichten könnten. E. Arandt, o.O.

!

Bei dieser Puppe handelt es sich, wie bereits festgestellt wurde, um eine Charakterpuppe der Firma Guido Knauth. Der Kopf ist aus Bisquitporzellan und gemarkt 501 12 1/2 Knauth 4 1/2, mit blauen

■ Puppe

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Wir sind Puppensammler und haben vor ein paar Wochen an der Mosel auf einem Antikmarkt eine Puppe gekauft mit der Kennung KNAUTH 4 1/2 301oder 501 12 1/2. Leider konnten wir nicht viel in Erfahrung bringen, außer dass es sich um ei-

ne Größe von 32 x 39 cm. Hinten auf dem Rahmen ist der abgebildete Aufkleber angebracht. Wer könnte das Bild gemalt haben? Was hat das Siegel des Fürstentums Liechtenstein zu bedeuten. Für eine Aufklärung wäre ich dankbar. Erhard Schaukal, Schorndorf

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Schlafaugen, offenem Mund, Zähnen oben sowie durchstochenen Ohrläppchen. Er sitzt auf einem Kugelgelenkkörper aus Holz/Masse mit drehbaren Händen. Der aktuelle Sammlerwert liegt derzeitig bei ca. 100 bis 150 Euro. Zu unseren Schätzpreisen möchte ich noch folgendes ergänzen: Die von uns angesetzten Schätzpreise basieren auf Erfahrungsund Vergleichswerten, die wir haben und die momentan auf dem Sammlermarkt bezahlt werden. Hier möchten wir hinzufügen, dass der Zustand der Ware ganz entscheidend für den zu erzielenden Preis ist. Carina Roos-Person, Alino Auktionen

■ Farblithografie

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Ich habe dieses Bild vor kurzer Zeit auf einem Antikmarkt erworben. Das Bild misst 20 x 28 cm, der Holzrahmen hat ei-

Bei dem hier besprochenen Kunstwerk handelt es sich um eine Farblithografie auf Papier oder Karton mit dem Rahmenmaß 39 x 32 cm. Dieser Druck ist eine Reproduktion nach dem bekannten Gemälde des Barockkünstlers Peter Paul Rubens (1577-1640) mit dem Titel „Ein Kinderkopf“. Das Porträt zeigt die Tochter des Künstlers Clara Serena Rubens. Das originale Ölgemälde befindet sich in der Fürstlich Liechtensteinischen Gemäldegalerie in Vaduz. Rückseitig ist der Herstellervermerk der Druckerei noch teilweise zu lesen. Die Firma, als Rechtsform eine GmbH, bleibt unleserlich, jedoch ist noch die Bezeichnung „Bildabteilung Kunst“ erkennbar. Solche Drucke wurden seit dem Ende des 19. Jahrhundert in hoher Stückzahl hergestellt, nicht im Sinne einer Fälschung oder Täuschung, sondern mit dem Hintergedanken, Kunst allen zugänglich zu machen und den unmittelbaren Eindruck eines Gemäldes auch in die Stuben derjenigen zu holen, die sich Gemälde finanziell nicht leisten konnten. Solche Reproduktionen sind auch teilweise mit Prägungen der Oberfläche oder einem profilierten Lack versehen, um die Struktur des Pinsels auf der Öloberfläche zu imitieren. Ein solcher Druck sollte eingedenk des Rahmens mit 20 bis 40 Euro in einer Auktion anzusetzen sein. Georg Ottomeyer, Experte Berlin

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MAGAZIN 6

AUSSTELLUNGEN n Haustier, Nutztier, Leibspeise Bis 4. Oktober präsentiert das Museum Oberschönenfeld zwei neue Ausstellungen zum Thema „Tiere“. Das Volkskundemuseum geht auf Spurensuche unter dem Titel: „Zum Fressen gern? Tiere und ihre Menschen“ und beleuchtet die unterschiedlichen Funktionen von Tieren in unserer Gesellschaft. Haustier, Nutztier, Leibspeise – Tiere begegnen uns überall: als Stubentiger oder Schnitzel, Joghurt oder Jagdwurst, als Kopflaus oder Hausmaus. Unsere Beziehung zu ihnen ist widersprüchlich: Wir lieben Tiere und wir töten Tiere. Wie passt das zusammen? Die Ausstellung wandelt auf dem Spannungsfeld zwischen „pudelwohl“ und „hundeelend“, Ausbeutung und Fürsorge, Freundschaft und Feindschaft. Anhand ausgewählter Objekte aus der Sammlung sowie privater Leihgaben werden die Beziehungen zwischen Menschen und Tieren in historischen und gegenwärtigen Lebenswelten facettenreich präsentiert. Gleichzeitig wird in der Schwäbischen Galerie die Kunstausstellung „Tiere! Hanne Kroll und Matthias Hirtreiter“ eröffnet. Die Malerin Hanne Kroll und der Bildhauer Matthias Hirtreiter präsentieren hier neue Sichten auf ein großes Thema der bildenden Kunst. Beide Künstler haben nach ihrem Studium an der Akademie der bildenden Künste München das Tier als eines ihrer großen Schwerpunktthemen gewählt. Den Werken beider Künstler liegen intensive Naturstudien zugrunde. Viele ihrer lebendigen und realistischen Darstel-

Zur Ausstellung „Zum Fressen gern? Tiere und ihre Menschen“; Museum Oberschönenfeld, Gessertshausen Foto: Ulrich Ammersinn 07 / 20

Hanne Kroll, ohne Titel, 2020; Schwäbische Galerie, Gessertshausen Foto: Hanne Kroll lungen wirken wie Momentaufnahmen, erschließen sich aber bei näherer Betrachtung als Sinnbilder für menschliches Handeln in einer überraschenden Inszenierung. Telefon: 08238/30010 Webseite: www.bezirk-schwaben.de

n Herrin der Töpfe Der Begriff Künstlerkeramik bezeichnet keramische Kunstwerke, die nicht von Keramikerinnen und Keramikern, sondern von bildenden bzw. freien Künstlerinnen und Künstlern wie Pablo Picasso oder Cindy Sherman entworfen wurden. Die Künstlerkeramik gehört also zur bildenden Kunst. Sie ist essentieller Bestandteil der stilistischen Entwicklung einer Epoche und reicht weit über die Gebrauchskeramik hinaus. In ihr manifestiert sich die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Gedankengut der Zeit. Zahlreiche herausragende Beispiele dieser Künstlerkeramiken sind bis 29. November in der Sonderausstellung „Picasso & Co – Berühmte Künstler*innen und ihre Keramiken“ im Keramikmuseum Staufen zu sehen. Die Künstlerkeramik entstand immer dann, wenn bildende Künstlerinnen und Künstler abseits ihrer gewohnten Arbeitsweise einen Exkurs in den Bereich Keramik unternahmen. Dies blieb meistens auf eine temporäre Episode ihres künstlerischen Schaffens oder auf einzelne Werke beschränkt. Nur bei wenigen freien Künstlerinnen und Künstlern führte die Auseinandersetzung mit der Keramik zu einer Entwurfstätigkeit für keramische Serienprodukte. Die ersten Keramiken, die wir heute als Künstlerkeramik bezeichnen, entstanden Ende des 19. Jahrhunderts. Die Geschichte der europäischen Keramik war bis dahin vor allem eine Geschichte der Manufakturen mit vielen namenlosen Keramikerinnen und Keramikern. Wer wiederum eine klassische Malerei- oder Architekturausbildung durchlaufen hatte, bezog die Kera-

mik nur selten als künstlerisches Medium in das eigene Œuvre ein. Erst als Jugendstilkünstlerinnen und -künstler das Kunsthandwerk gleichberechtigt neben der bildenden Kunst, also neben der Malerei und der Architektur, positionierten, änderte sich die Situation. Max Laeuger verlagerte sogar seinen künstlerischen Schwerpunkt auf die Keramik. Die künstlerischen Wege, das Medium Keramik für sich zu entdecken, waren sehr unterschiedlich. Bei Picasso gab zum Beispiel ein Besuch des Töpfermarktes im mondänen Seebad Vallauris den Anstoß. Kandinsky und Malewitsch wurden aufgefordert, avantgardistische Keramiken im Rahmen der ästhetischen Revolution Sowjetrusslands zu kreieren. Telefon: 07633/6721 Webseite: www.landesmuseum.de

n Selbstoptimierung Eine Badekur kann Entspannung, Erholung, Heilung, Training, Straffung, Verjüngung, Verschönerung bieten. Wellnessbäder, Fitnessclubs, Körperkult bis zur plastischen Chirurgie, Zahnspangen für Teenager als medizinischer Standard – viele heutige Körpertechniken nehmen ihren Anfang in der Badekultur des 19. Jahrhunderts. Damals mischten sich künstlerische Ideale und medizinischer Fortschritt, Gesellschaftsutopien und Apparatetechnik zu einem neuen Menschenbild. Der Leib war nun nicht mehr Gott und Natur schicksalhaft ergeben. Als Körper wurde er zum Projekt, zum zukunftsoffenen Entwurf. Die Ausstellung im Museum LA8 in BadenBaden zeigt ein Panorama der künstlerischen und medizinischen Strategien, den menschlichen Leib zu befreien – vom banal Zufälligen, Unidealen oder gar Hässlichen und von Krankheiten, Missbildungen oder Alterungsspuren. Maler, Bildhauer

Essplatte „Herrin der Töpfe", Entwurf Elvira Bach, Herstellung Werkstatt Katrin Kühn, Berlin 1998, Steingut, glasiert und bemalt; Keramikmuseum Staufen © VG Bild-Kunst, Bonn 2019, Fotograf: Th. Goldschmidt


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MAGAZIN 7 und Fotografen wie Christian Landenberger (1862-1927), Ludwig von Hofmann (1861-1945), Karl Albicker (1878-1961) und Sascha Schneider (1870-1927) feierten den nackten weiblichen wie männlichen Körper beim Baden in freier Natur. Gusseiserne Turnapparate wie der Rumpfdrehstuhl von Gustav Zander (1835-1920) sollten die Gesundheit, aber auch die äußere Erscheinung des Menschenkörpers verbessern. Aus der Bildhauerei wanderte die Idee der freien Formbarkeit der Körperhülle in den frühen Fitnesskult ein. Forschung und Wissenschaft ermöglichten den immer präziseren Eingriff in die menschlichen Organe und ihre Abläufe. Viele damalige Innovationen und Erfindungen sind bis heute gültig und erfolgreich, weil sie konsequent das Unsichtbare, das körperlich und seelisch Innere, mit dem Sichtbaren, dem Messbaren, Trainierbaren, Operierbaren verknüpften. Die mikroskopische Einsicht in Bazillen und Erreger führte zu allgemeiner Hygiene, klinischer Antisepsis und völlig neuen chirurgischen Möglichkeiten. Ab 1895 konnte mit der Röntgentechnik direkt in das Körperinnere hineingeschaut werden. Die moderne Technik schien eine Art rationalen Gesundheitszauber zu erlauben. Immer beinhalteten die Therapien Ziele oder Versprechungen, die unter der Hand zu Leitbildern des Körperselbst und Vorschriften der Lebensführung werden konnten. Wie die medizinische Technik experimentierten auch Malerei und Skulptur im 19. Jahrhundert mit der realistischen Erforschung, idealischen Verschönerung und gezielten Optimierung des menschlichen Leibes. So lieferte die Kunst die visuellen Leitbilder für die medizinische Optimierung. Die Ausstellung findet im Rahmen des Kooperationsprojektes BADEN gemeinsam mit dem Stadtmuseum Baden-Baden und der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden statt. (Bis 6. September)

plätze für Antiquitäten, Kunst, Sammeln und Ansichtskarten Besonders beliebt sind Antiquitäten, antike Möbel, alte Bücher, Schallplatten, Briefmarken und historische Postkarten. Aber auch in den Rubriken Design und Vintage Möbel, Kleidung, Antikschmuck und grafischer Kunst finden sich attraktive Angebote. Der Flohmarkt für Antiquitäten ist rund um die Uhr geöffnet. Ständig wechseln Antiquitäten, antike Kunst, Sammlerwaren und günstig angebotene Gebrauchtwaren den Besitzer. Damit der Einkauf stets sicher ist, kann der Handelspartner öffentlich sichtbar bewerten. Die Käuferschutzgarantie sichert obendrein jeden Ankauf mit bis zu 250 Euro ab. Der Verkauf ist einfach und online, Verkaufsanzeigen bis zu zehn Artikel sind gratis. Der Marktplatz für Antiquitäten bietet für jeden Anspruch passende Verkaufsmöglichkeiten. Anbietern von großen Antiksammlungen und Händlern mit umfangrei-

Bauchschwimmen und Rückenschwimmen, aus: Friedrich Eduard Bilz (1842-1922): Das neue Naturheilverfahren, Leipzig 1910, Privatsammlung; Museum LA8 Baden-Baden

Ludwig von Hofmann (1861-1945), Bad im Waldsee, um 1890, Farblithografie auf Papier, Alfons Niedhart, Zürich; Museum LA8 Baden-Baden

chen Angeboten von Antiquitäten oder Sammlerstücken empfiehlt die Plattform das Verkaufen auf Provisionsbasis. Jeder, der selbst einmal nach einem selten Stück gesucht hat weiß, dass der Kauf von Antiquitäten, Kunst, Gemälden oder speziellen in der persönlichen Sammlung noch fehlenden Teilen einiges an Mühe erfordert. Um den Ankauf einfacher zu machen, können die Angebote und Kleinanzeigen auf vielfältige Weise durchsucht, gefiltert und sortiert werden. Telefon: 030/5099382 Webseite: www.oldthing.de

Telefon: 07221/5007960 Webseite: www.la8.de

MÄRKTE n Trödeln im Netz Antikmarktfeeling im Netz? Geht das überhaupt? Doch, Flohmarkt mit Klasse und Stil geht eben nicht nur auf der Straße, sondern auch digital – acht Millionen handverlesene Raritäten sind auf der Berliner Sammlerplattform www.oldthing.de bereits online, und wer hier sucht, findet tatsächlich alte Dinge; von der historischen Ansichtskarte über ein stylisches 60er-Jahre-Tischchen bis zum Jugendstilhimmelbett aus Messing mit Perlmutteinlagen um 1900. oldthing ist einer der größten online Markt-

Flohmärkte im Schlafmodus Foto: www.oldthing.de 07 / 20


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TEcHNIK 8

MAGNETPENDELUHREN ALExANDER GLücK

Das Ticken war leiser, aber es klang moderner, technischer. Die Uhren waren elektrisch geworden, und das hieß damals: präziser, akkurat, unfehlbar. Offenbar war einfach ihre Zeit gekommen in jenen Jahren um 1925, in denen sich überall Beschleunigung und industrielle Umtriebigkeit ankündigte. Nun gab es die ersten elektrischen Uhren.

Begehrte Sammelobjekte Heute sind die Veteranen dieser Jahre begehrte Sammelobjekte und laufen noch immer mit überragender Genauigkeit! Aber ist das auch sammelwürdig? Antike Uhren haben Gewichte, man zieht sie auf. Sie stehen als respektable Standuhren in Zimmerecken, Geißlein vermögen sich darin zu verstecken, wenn der Wolf kommt. Später traten Federwerke an die Stelle der Gewichte. Die erstaunliche Welt der frühesten elektrischen Uhren eröffnet sich erst auf den zweiten Blick. Überhaupt sind die Anfänge des Neuen immer gera-

de für Sammler sehr spannend, man denke nur an die frühesten Kunststoffe Bois durci* und Bakelit, die man auch dann preist, wenn man Plastik hasst. Diese Übergangsphasen beeindrucken durch den Erfindergeist, der in ihnen sichtbar wird. Der Schritt von der mechanischen zur elektromagnetischen Pendeluhr ist bedeutend: Die Tüftler mussten zunächst die Wirkungsrichtung der Kräfte umkehren. Dem lag offenbar der Gedanke zugrunde, dass der elektrische Strom das Pendel direkt bewegen sollte. Schon 1815 war Alois Ramis der Bau einer elektrostatischen Uhr gelungen, deren Pendel sich aufgrund von Ladungszuständen zwischen zwei Kugeln

bewegte. Die entscheidende Idee war dann die Verwendung des Magnetismus: Elektrischer Strom, durch eine Spule geleitet, zieht ein Eisenpendel an oder stößt es ab. Bei einer mechanischen Pendeluhr wird das Pendel vom Uhrwerk bewegt. Bei einer elektromagnetischen Uhr ist es andersherum: Das Pendel bewegt das Uhrwerk.

Die Umkehrung des Kraftwegs Eine mechanische Uhr nutzt als Energiequelle entweder die Schwerkraft oder die

Magnetpendeluhren von ATO (L. Hatot). Oben: Wanduhr, frühes Modell mit nur einer Spule Unten: Klassisches Design der Zeit mit „Spinnennetz”-Zifferblatt 07 / 20


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Spannung eines Federstahls. Die hier gespeicherte Energie treibt ein Werk aus verschiedenen Zahnrädern an. Damit dies langsam und genau genug geschieht, sind solche Uhren mit einer Hemmung und einem Pendel ausgestattet. Kleine Taschen- und Armbanduhren funktionieren im Prinzip genauso: Die Kraft läuft aus dem Energiespeicher durch das Uhrwerk in das Pendel oder die Unruh. So ist es seit dem 13. Jahrhundert. Doch dabei wirken vergleichsweise hohe Kräfte im Kilobereich. Sie drücken auf Zahnräder, Lagerstifte und Lagersteine, das Material ermüdet. Wenn hingegen die Wirkrichtung umgekehrt wird, so dient das Räderwerk nicht mehr zum Antrieb, sondern es zählt einfach die Pendelausschläge mit. Die Kräfte sind geringer, man benötigt viel weniger Energie und die Uhr geht genauer. Statt die Uhr wöchentlich aufzuziehen, legt man alle vier Jahre eine Batterie ein. Die Lösung liegt im Elektromagnetismus. Fließt Strom durch eine Spule, wirkt sie magnetisch, sie zieht dann also einen Magnetstab an oder stößt ihn ab. Wenn dieser Vorgang pulsieren soll, so braucht man nur einen Kontakt einzusetzen, der durch das schwingende Pendel geöffnet und geschlossen wird. Die elektrische Klingel funktioniert ganz genauso, nur viel schneller. Diese Uhren enthalten auch weniger Technik, sie konnten also deutlich billiger hergestellt werden. All dies hat sie in den Jahrzehnten nach ihrer Einführung zu einem großen Erfolg gemacht. Ihre hohe Zeit lag in den dreißiger Jahren, wovon einige sehr attraktive Art-déco-Gehäuse zeugen. Teilweise waren sie aus Pressglas, doch bleiben auch traditionelle Holzgehäuse gefragt. Tischuhren wurden oft mit einem Glasdom geschützt, andere haben ein rechteckiges Glasgehäuse. Reparaturen sind einfach, und es gibt nicht viel Verschleiß, allenfalls Korrosion, Schmutz oder

Beschädigung. Uhren dieser Art lassen sich also wesentlich leichter instand setzen als mechanische Pendeluhren. Im Gegensatz zu mechanischen Uhren sind sie tendenziell in einem besseren Erhaltungszustand. Deshalb eignen sie sich gut als Sammel- und Gebrauchsobjekte.

Uhren im Stil einer neuen Zeit Und es kommt noch etwas hinzu: Sie gehören einer anderen Zeit an und sind deshalb in anderen Stilen zuhause. Moderne Entwürfe, die mit den SkyscraperDeckenlampen des Art déco korrespondieren, finden sich genauso wie schlichte

Kästchen und Formen, die an alte Kilometersteine erinnern. Was nicht vorkommt, sind altdeutsche Gehäuse oder die oft unsäglich überladene Kuckucksuhrenästhetik. Denn die Magnetpendeluhr war keine deutsche Angelegenheit, weit mehr eine aufgeweckte Französin, die sanft parlierte, wogegen deutsche Pendeluhren bierernst tickten. Zwar gab es auch Geräte aus deutscher Produktion (Pfeilkreuz und Junghans/ ATO), doch handelte es sich dabei immer um Nachbauten, nicht immer mit gültiger Lizenz. Die Heimat der Magnetpendeluhren ist Frankreich, und dort verband sich die neue Erfindung trefflich mit einem Gestaltungsstil, der sich als höchstmögliche Historisierung gerade ein paar Anleihen aus dem Émpire erlaubte, und das

Magnetpendeluhren von ATO (L. Hatot) im futuristischen Stil. Jetzt war alles möglich – die untere Uhr ließ sich auch mit Holzmöbeln gut kombinieren 07 / 20


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TEcHNIK 10 wirkt auch heute noch geschmackvoll. Und obwohl das Grundprinzip dieser Uhren eigentlich recht simpel ist, wurden in diesen Jahrzehnten sehr unterschiedliche Antriebssysteme für diese Uhren entwickelt. Ein Beispiel: Während bei den Bulle-Uhren eine Magnetspule über einem fest montierten Dauermagneten hin und her pendelt, bewegt sich bei den Uhren von Hatot und Brillié ein Magnetstab in die fest montierte Spule hinein. Am Grundprinzip ändert das freilich nichts.

Die Uhren werden elektrisch Wie viele andere Erfindungen auch, wurde die elektrische Uhr von verschiedenen Menschen erdacht. Die ersten Experimente in dieser Richtung wurden von Uhrmachern wie Breguet oder Steinheil gemacht. Wichtige Schritte wurden in England von Alexander Bain unternommen. Viele Anwendungen der Elektrizität im Uhrenbau gehen auf ihn zurück, aber er konnte keine elektrische Uhr in Serie produzieren. 1843 gelang dem deutschen Uhrmacher Matthäus Hipp der Bau eines funktionierenden elektromagnetischen Pendelantriebs: Ein kleiner Hebel am Uhrenpendel schloss bei schwächerem Pendelausschlag – in der Praxis etwa alle 30 bis 120 Sekunden – einen elektrischen Kontakt, wodurch ein Elektromagnet dem Pendel eine neue Portion Schwung verpasste. Im Jahre 1860 gründete Hipp eine Uhrenfirma und

begründete damit die elektrische Uhrenindustrie. Uhren mit diesem Antriebssystem wurden gut hundert Jahre lang ohne prinzipielle Veränderungen gebaut.

Mit der Hipp-Uhr (später: Favarger) war zum ersten Mal eine serienreife Pendeluhr mit elektromagnetischem Antrieb des Pendels (sogenannter „direkter Antrieb“) geschaffen worden. Ab diesem Bauprinzip war das Pendel nicht mehr der vom Uhrwerk aus angetriebene Regulator der Uhr, sondern zugleich dessen Motor. Pendel und Kontakt können auch alleine laufen, das restliche Uhrwerk dient nur noch dem Zählen der Pendelschwingungen und ihrer Übersetzung in Sekunden, Minuten und Stunden. Diese Uhren konnten auch als reine Taktgeber dienen, mit denen sich sogenannte Nebenuhren ansteuern ließen. Beispielsweise konnte die Hauptuhr in einer Apotheke hängen und die Nebenuhr über der Eingangstür im Freien. Die Abnahme der Pendelschwingungen kann mechanisch oder elektrisch erfolgen. Bald wurde das Hipp-System verbessert, indem ein Permanentmagnet ins Spiel kam. Die erste Modifikation dieser Art (von Ch. Féry aus Frankreich) bestand darin, einen am unteren Ende des Pendels angebrachten Permanentmagneten durch eine Spule ohne Eisenkern schwingen zu lassen. Dieses Prinzip findet sich auch bei späteren Hipp/Favarger-Uhren sowie bei den Marken Hatot (ATO), Brillié, Lepaute und anderen. Doch es geht auch andersherum: Die Uhren der Marke Bulle (Clock Oben: Magnetpendeluhr von Matthäus Hipp, Nachbau einer ATO-Uhr durch die Firma Junghans, Version mit zwei Spulen Unten: ATO-Tischuhr mit barocken Designelementen

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TEcHNIK 11

und Clockette) verfügen über ein Pendel, an dessen Ende sich eine leere Spule befindet, während der Permanentmagnet fest am Gehäuse befestigt ist. Schwingt das Pendel, läuft die Spule über den Magnetstab in ihrem Inneren hinweg.

ihr, sobald der Magnetstab eintaucht, Wirbelströme bilden, die den Pendelausschlag abbremsen, und zwar desto stärker, je weiter das Pendel ausschlägt.

Firmengeschichten Genauer Gang Allen diesen Systemen ist gemeinsam, dass eine Klinke am Pendel dessen Schwingungen auf ein Sperrad überträgt, von wo aus das Räderwerk des Zeigersystems angetrieben wird. Bei den meisten dieser Uhren wird der Kontakt, der den Elektromagneten aktiviert, bei jeder Schwingung geschlossen. Die Hipp-Bauart hingegen löst nur dann den Elektromagneten aus, wenn die Pendelschwingung unter einen bestimmten Wert fällt. Hierdurch werden störende Einflüsse vermieden und die Kontakte geschont. Neben dem empfindlichen Kontakt, von dem die präzise Anforderung der elektrischen Energie abhängt, gibt es oft noch ein weiteres etwas heikles Bauteil, nämlich die Isochronismusfeder. Diese Feder sorgt dafür, dass der Pendelausschlag bei größerer Amplitude nicht länger dauert als bei kleinerer. Einfacher gesagt: Die Uhr soll immer gleich schnell gehen, unabhängig von der Batteriespannung. Es gibt noch eine andere Möglichkeit, den Isochronismusfehler auszugleichen. Bei den Uhren, an deren Gehäuse auf einer Seite die elektromagnetische Spule befestigt ist, in die der Magnetstab hineinschwingt, kann man auf der gegenüberliegenden Seite eine Spulenattrappe montieren. Diese kann man so konstruieren, dass sich in

Aus Sammlersicht sind die hinter den Uhren liegenden Firmengeschichten fast noch interessanter, weil die ambitionierten Hersteller aus der Blütezeit dieser Uhren der Gestaltung der Gehäuse fast noch

mehr zuneigten als der Weiterentwicklung des technischen Innenlebens. Magnetpendeluhren aus dieser klassischen Zeit sind fast immer auch Objekte gediegenen Designs. Oft blieben Pendel und Mechanik durch das geschlossene Gehäuse sichtbar.

Modernistisches Design Der Lauf der Zeit wurde sichtbar gemacht, nun etwas hektisch-urban, dabei gegen-

Verschiedene Versionen der Bulle-clock (Maurice Favre-Bulle). Die untere Uhr folgt ebenfalls dem clock-Aufbau. Der Magnetstab einer clockette hat eine andere Form 07 / 20


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TEcHNIK 12 über den mechanischen Uhren wesentlich leiser angetrieben von elektrischem Strom. So ein wohlfeiles Gerät verstand sich als eine „Uhr von heute“ für Menschen, die Wert auf Pünktlichkeit legten, trotzdem aber auch Geschmack hatten. Und so gesellten sich neben die fast biedermeierliche Sachlichkeit der Holzgehäuse und die wissenschaftliche Durchsichtigkeit musealer Glasdome schrille Entwürfe aus Pressglas sowie Naturstein und auch futuristisch große Zifferblätter mit lanzettenförmigen Zeigern. Diese Uhrengattung ließ genügend Raum, dass Uhren nun auch zum Designobjekt werden konnten, zum Stück gewollter Wohnkultur. Unter den vier wirklich großen Marken dieser Uhren – Hipp, Bulle, Brillié und Hatot – stechen zwei besonders hervor, nämlich Bulle aufgrund ihrer Eigenwilligkeit in technischer Hinsicht sowie Hatot wegen ihrer technischen Reife und zugleich ihrer gestalterischen Finesse. Technisch machen sie keine besonderen Probleme, sie eignen sich daher gleichermaßen zum Sammeln wie auch in Verwendung. Ihr Schöpfer Léon Hatot (1883-1953) war nicht in erster Linie Uhrmacher, sondern Gestalter, und das sieht man den meisten dieser Uhren an.

Der Pionier Léon Hatot Hatot stammt aus Châtillon-sur-Seine und besuchte von 1895 bis 1898 die Uhrmacherschule und danach die Schule der schönen Künste in Besançon im Osten Frankreichs, unweit der Schweiz. Mit 22 Jahren machte er sich selbständig, gra-

vierte Uhrengehäuse und wandte sich der Juwelierkunst zu. Mit zwölf Arbeitern stellte er hochwertige Gold- und Silberuhren her. Eine Filiale in Paris zog bald auch das Interesse des dortigen Publikums an. Besondere Bekanntheit erlangte er als einer von wenigen Anbietern, der Armbanduhren und Goldschmiedearbeiten fertigte. Er erkannte das Potential und die Marktchancen der neuen Uhrentechnik und richtete 1920 eine eigene Entwicklungsabteilung für elektromagnetische Pendeluhren ein. 1923 stieß Marius Lavet zu dem Unterneh-

men. Lavet war Fachmann: Der ‚Ingenieur des Arts et Metiers’ und Lehrer an der ‚École supérieure d'électricité’ hatte längst schon Feuer für das neue Entwicklungsgebiet gefangen. Im selben Jahr begann der Vertrieb der Hatot-Uhren unter dem Markennamen ATO. Die Fabrik befand sich in der Rue de la Rotonde 13 in Besançon. Die neuartigen Uhren, funktionstechnisch auf der Höhe des Fortschritts, aber auch gestalterisch sehr ambitioniert, erfreuten sich von Anfang an großen Zuspruchs. Auf einer internationalen Designausstellung gab es schon 1925 einen ersten Großen Preis für das gesamte ATO-Uhrenprogramm. Es gab Uhren im Holzgehäuse, reich mit Intarsien verziert, oder in Marmor, Chrom oder Glas, letzteres aus den Werkstätten von Lalique und für sich nicht minder begehrt. Das offizielle Frankreich überschüttete Hatot mit Meriten verschiedener Art.

1928 – die erste Funkuhr Die reichlichen Gewinne aus dem Verkauf der ATO-Uhren ermöglichten die teure Forschung auf dem Gebiet elektromagnetischer Uhren. Der Gipfel dieser Entwicklungsarbeit wurde 1928 mit der elektrischen Pendeluhr „ATO-Radiola“ erreicht, die mit dem Zeitsignal synchronisiert wurde, das vom Eiffelturm aus (Langwelle 2.000 m) sowie von Radio Paris gesendet wurde. Eine wöchentliche Synchronisation reichte für genauen Gang völlig aus. Oben links: Bulle clock als Stand- und Wandmodell. Rechts: Bulle clockette in Luxusausführung Unten: Brillié-Uhren mit Zentralsekunde 07 / 20


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TEcHNIK 13 und taucht der Magnetstab in diese ein, so entsteht ein schwacher Induktionsstrom. Dieser reicht aus, um einen angeschlossenen Transistor zu einem Schaltvorgang anzuregen, und mit diesem Schaltvorgang kann der auf der anderen Seite befindliche Elektromagnet aktiviert werden. Damit ist eine berührungsfreie, rein elektrische Schaltung möglich, und ab diesem Zeitpunkt spricht man von Elektronik. Uhren der neuen Art wurden bei den größten und besten Firmen der Branche in Lizenz gebaut. Zu diesen ATO-Errungenschaften gehören auch die elektronisch gesteuerten Chronostat-Marinachronometer, die unter anderem auf Passagierund Handelsschiffen, Kriegsschiffen, Öltankern und sogar Polarexpeditionen eingesetzt wurden. Doch mit der Grundlagenentwicklung auf dem Gebiet der elektrischen und elektronischen Zeitmessung hatten Léon Hatot und andere jenen Geist 1929 machte Hatot dann ein weiteres Mal auf sich aufmerksam – mit der Entwicklung eines automatischen Aufziehsystems für Armbanduhren. Die Lizenz für die Herstellung vergab er an die Nobelfirma Blancpain, doch die Wirtschaftskrise von 1929 verhinderte den durchschlagenden Erfolg. In dieser schwierigen Zeit nahm Léon Hatot den Exportmarkt ins Visier. In Deutschland vergab er Lizenzen an die Firmen Haller & Benzing und HAU (später Junghans). 1931 entwarf er noch mal ganz neue Uhren, indem er das Werk selbst als wesentliches dekoratives Element inszenierte. Die Gehäuse bestanden hauptsächlich aus Glas und Metall und fügten sich perfekt in das zeitgenössische Interieur ein. Hinzu kamen technische Spielereien, mit denen das Unternehmen seine Expertise im Uhrenbau unter Beweis stellen konnte. 1933 übernahm Hatot die 1825 gegründete Firma Garnier, die sich mit Uhren im öffentlichen Raum befasste. Die Fabrik wurde von Besançon nach Paris verlegt. Als Frankreich dem Deutschen Reich am 3. September 1939 den Krieg erklärte, stellte Hatot seine Produktion auf kriegswichtige Erzeugnisse um – Kompasse, Höhenmesser und andere Geräte für die Navigation zur See und in der Luft.

Kontaktfreie Schaltung Kurz vor Léon Hatots Tod wurde noch eine weitere bedeutende Erfindung gemacht, nämlich die kontaktfreie Schaltung des Elektromagneten mittels eines Transistors. Hierfür ist die Spulenattrappe gegenüber der elektromagnetischen Spule der ideale Ort: Montiert man hier eine einfache Spule Oben: Bulle clockette im Metallgehäuse mit kleinem Pendelfenster Unten: Bulle clockette im Marmorgehäuse, in beiden ist das gleiche Werk verbaut 07 / 20


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TEcHNIK 14 aus der Flasche gelassen, der dafür sorgen sollte, dass ab etwa 1970 von Ostasien aus die gesamte europäische Uhrenfertigung nahezu vollständig weggefegt werden sollte.

Magnetpendeluhren sammeln ATO-Uhren eignen sich als Sammelgebiet ebenso gut wie die Erzeugnisse anderer guter Marken wie Bulle oder Brillié. Auf Vollständigkeit kommt es dabei nicht an – eher auf die Frage, wo und wie man solche Schätze aufstellen will. Man kann verschiedene Marken aus einer Epoche zusammenstellen, die Erzeugnisse einer Firma aus verschiedenen Zeiten oder auch eine Übersicht über die technische Entwicklungsgeschichte mit ihren bedeutenden Meilensteinen. Preislich ist dieses Gebiet nicht besonders herausfordernd. Für gute, gepflegte Modelle mit hoher Ganggenauigkeit kann man 250 bis 500 Euro rechnen, für einfache Tischuhren wie die Bulle Clockette 150 bis 300 Euro, für etwas bessere Wand-

uhren oder solche mit einer angeschlossenen Nebenuhr 400 bis 800 Euro und für seltenere, gediegenere Uhren in Glas-

gehäusen 600 bis 1.000 Euro. Insbesondere in den Niederlanden sind einige stark überteuerte Angebote zu finden, auch einfache Magnetpendeluhren kosten dort schnell 1.200 Euro oder mehr. Ein Preisvergleich lohnt sich immer, Schnäppchen sind vor allem in Frankreich zu finden. Interessant sind auch die späteren Modelle mit „Doppelspule“, wobei die zweite Spule, wie oben beschrieben, eine Isochronismusbremse oder auch eine Induktionsspule für die Transistorschaltung enthalten kann. Das wirklich Spannende an den Magnetpendeluhren ist ihr genial neu erfundenes technisches Prinzip. Sie sind keine irgendwie elektrifizierten mechanischen Uhren, sondern bauen auf dem oszillierenden Pendel als konstruktivem Kernstück auf. Diese Uhren gibt es in verschiedenen Größen und Ausführungen, die sich nicht im Grundprinzip, oft aber in der Konstruktion unterscheiden. Dabei gilt, dass größere Uhren mit längerem Pendel genauer eingeregelt werden können, weniger Verschleiß haben, weniger störanfällig sind und länger laufen werden. Auch dies spricht dafür, dass man sich beim Sammeln solcher Uhren eher auf die größeren Modelle konzentriert, die überdies auch noch attraktiver sind als ihre kleinen Kollegen. Fotos: Alexander Glück

*) Bois durci: Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte Mischung aus Holzmehl und Ochsenblut, die unter Hitzeeinwirkung in Formen gepresst wurde und dem Bakelit ähnelt. Bulle clockette in der Standardausführung mit Holzgehäuse und in der etwas nobleren Variante unter einem Pressglas-Dom. Auch hier: gleiches Uhrwerk, verschiedenste Ausführungen für jeden Geschmack 07 / 20


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