Trödler 07/2022

Page 1

01_Titel_T_0722.qxp_TR 07.06.22 09:54 Seite 1

Europas Sammlermagazin

07/2022 07

4 196441 905502

64419

• € 5,50

Schweiz CHF 9,– | Österreich € 6,–

Á

TERMINHEFT als Beilage Märkte und Börsen

Julius Pinschewer Summertime Jazz


Muenzblog-GEMI-2022-210x297mm.qxp_Layout 11.05.22 11:11 Seite 1

MUENZEN-ONLINE.COM DAS Online-Magazin für Münzensammler

AKTUELLES | TERMINE | FACHARTIKEL LITERATUR | FACHHANDEL | AUKTIONEN VEREINE | KOSTENLOSER NEWSLETTER


04_05_Leserforum.qxp_TR 07.06.22 10:04 Seite 2

LESERFORUM 4

EXPERTISEN n Medizinschränkchen Ich hätte gerne eine Beurteilung dieses kleinen Schränkchens. Es ist aus Holz gefertigt und hat folgende Maße: Höhe 62 cm, Breite 53 cm, Tiefe 22 cm.

?

Uwe Greiner, o.O.

Hierbei handelt es sich um einen typischen koreanischen Heilkräuterschrank aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die einzelnen Schubladen tragen Beschriftungen in chinesischer Sprache. Die chinesischen Schriftzeichen wurden in die koreanische Kultur integriert und waren bis Ende des 19. Jahrhunderts insbesondere in der Verwaltung allgemein gebräuchlich. So ähnlich wie Französisch im 18. Jahrhundert in Europa die Lingua Franca der Gelehrten in Europa war. Die Übersetzung der Schriftzeichen ist nicht immer eindeutig, da Korea ein Mittler mongoli-

!

scher, japanischer und chinesischer Kultureinflüsse war. Jede Kultur entwickelt eigene Begriffe und fügt scheinbar bekannten Worten neue Bedeutungsinhalte hinzu. Auf einer Schublade steht „nützlich“, auf einer anderen „Lebensholz“, möglicherweise handelt es sich hier um Eigennamen, die nicht zu übersetzen sind. Der kleine Kräuterschrank bzw. die Hausapotheke ist aus Rüster (Ulmenholz) gefertigt und scheint eine schöne Patina zu haben. Im Zuge der Modernisierung des Landes und insbesondere nach dem Koreakrieg wurden viele dieser Schränke ins Ausland verkauft. In den USA sind ähnliche Schrän-

ke häufig in Auktionen zu finden und für unter 200 USD käuflich zu erwerben. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger, Lüneburg

n Porzellanfigur Als Abonnentin bitte ich nun auch einmal um eine Einschätzung dieser kleinen Hutschenreuther-Figur. Es handelt sich um ein Mädchen das mit einem Bären tanzt. Die Figur ist nur ca. 10,5 cm hoch. In dem dicken Hutschenreuther-Buch, das eigentlich alle Figuren und Vasen beinhaltet, habe ich zu dieser Figur nichts gefunden. Das Merkwürdige dabei ist auch die Falschschreibung der Marke, Huschenreuther (also ohne das T geschrieben). Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie dieses

?

aufklären könnten und einen Wert dieser netten Figur zuschreiben könnten.

Sybille Bastert, Düsseldorf

n In dieser Rubrik beantworten unsere Experten Ihre Fragen zu dem ein oder anderen guten Stück. Doch leider sehen wir uns außerstande, ganze Nachlässe oder sämtliche sich in Ihrem Haushalt befindlichen Trouvaillen bewerten und schätzen zu lassen. Auch bitten wir um Verständnis, wenn es mit der Bearbeitung länger dauert. Senden Sie uns also Ihre Anfrage nur zu einem zu bestimmenden Objekt – mit detaillierter Beschreibung und gutem Foto, auf dem das Objekt ganz abgebildet ist. Noch ein Hinweis zu den Preisen, die von Fall zu Fall von unseren Experten genannt werden: Hierbei handelt es sich um Richtwerte, die anhand von Fotos allein getroffen werden und je nach Zustand des Objekts nach oben oder unten korrigiert werden können. Ihre Anfrage schicken Sie bitte an: Gemi Verlags GmbH Redaktion Leserforum Pfaffenhofener Str. 3 85293 Reichertshausen oder per E-Mail an info@gemiverlag.de

07 / 22


04_05_Leserforum.qxp_TR 07.06.22 10:04 Seite 3

LESERFORUM 5 schiedlich, Gesamtgewicht über 3.000 Gramm. Mich würde vor allem interessieren, wie alt diese Medaillen sind und wer der Hersteller ist. Auch über eine ungefähre Wertangabe sowie über eine Expertise und Veröffentlichung in der Zeitschrift „Trödler” würde ich mich als langjähriger Abonnent sehr freuen.

Euclides Vaz (1916-1991) war ein portugiesischer Bilderhauer, der in einem gemäßigten akademischen ModernismusStil zahlreiche Skulpturen, Reliefs und Medaillen schuf. Er arbeitete sowohl in Portugal als auch in den ehemaligen portugie-

!

Marco Lorenz, Kasendorf

Der Entwurf dieser Figur stammt von Carl Werner (1895-1980), einem der produktivsten Porzellanmodelleure des 20. Jahrhunderts. Die Figur wurde ab 1929 zum Kauf angeboten. Einmal in der Variante „weiß – goldstaffiert“ sowie in der Variante mit Aufglasurmalerei. Verzeichnet ist die Figur im Fachbuch von Ellen Mey „Im Zeichen des Löwen“, Seite 348 unter der Nummer 916 „Kleines Mädchen mit Teddybär“. Der fehlerhafte Aufdruck ist ungewöhnlich. Da es sich um ein im UmdruckVerfahren aufgebrachtes Firmenzeichen handelt, werden wohl so einige Figuren dieses fehlerhafte Herstellerzeichen tragen. Das ist ein Kuriosum, am Wert der Figur ändert das wenig. Porzellansammler haben nicht die gleiche Mentalität wie Briefmarken- oder Euro-Münzen-Sammler. Die Figur erinnert etwas an die WinnieThe-Pooh / Pu-der-Bär-Illustrationen von Ernest H. Shepard, die 1926 in England das Licht der Kinderwelt erblickten. Möglicherweise hat sich Carl Werner davon inspirieren lassen. Als Schätzpreis sind wohl 100 bis 150 Euro angemessen.

!

sischen Kolonien. Die Firma Gravarte in Lissabon wurde 1952 gegründet und besteht noch heute. Im Angebot hat die Firma ein breites Spektrum an Gedenkmedaillen – zu überraschend niedrigen Preisen. Christliche Themen haben es heutzutage schwer, einen Käufer zu finden. In den 1970er-Jahren war das noch anders. Die Firma war sich damals sicher, 1000 Sets dieser Medaillen in einer „limitierten“ Edition verkaufen zu können. In Portugal und Spanien werden ähnliche Medaillen zu niedrigen Preisen angeboten und selten verkauft. Ich würde hier von einem Preis von unter 200 Euro ausgehen.

Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger, Lüneburg

Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger, Lüneburg

n Medaillen Bei meinem letzten Besuch einer Haushaltsauflösung in der näheren Umgebung ist mir ein großes schmales Etui aufgefallen. Bei näherer Betrachtung und Öffnung des Etuis kamen zwölf Medaillen, ein kompletter Satz, VIDA DE CRISTO – Por Mestre EUCLIDES VAZ zum Vorschein. Folgende Informationen konnte ich bis jetzt recherchieren: Das Material ist Bronze, Gravur: Gravarte Lisboa, limitierte Auflage 404 / 1000. Das Gewicht beträgt circa 250 Gramm je Stück, jede etwas unter-

?

07 / 22


06_07_Magazin.qxp_TR 07.06.22 10:20 Seite 2

MAGAZIN 6

Darüber hinaus bestanden intensive Kontakte zu Künstlerinnen und Künstlern der Berliner Secession wie Käthe Kollwitz, Julie Wolffthorn, Max Liebermann oder die Brüder Paul und Bruno Cassirer und vielen weiteren Künstlerinnen und Künstlern, mit denen Annemarie Kruse über viele Jahre freundschaftlich verbunden war, wie Ida Gerhardi, Hermann Huber, dem Ehepaar Purrmann, Friedrich Ahlers-Hestermann oder mit ihrer Jugendliebe Gerhard Marcks. Schon in Kinderjahren erlebte Annemarie regelmäßige Treffen von bekannten Persönlichkeiten der Berliner Kunst im Haus des Onkels Oskar Kruse, der später auf Hiddensee in der Lietzen-

AUSSTELLUNGEN n Sie wollte nur malen Das Malen war für die im Rahmen der Sonderausstellung des Käthe-Kruse-PuppenMuseums Donauwörth 2022 vorgestellte Künstlerin Annemarie Kruse schon seit früher Jugendzeit ein starker Drang, zu dem sich eine außergewöhnliche Begabung gesellte. Ihr Vater Max Kruse war nicht grundsätzlich der Meinung, dass den Frauen die Kunst gegeben sei und versuchte, seine Tochter dahingehend zu beeinflussen, einen kunsthandwerklichen Beruf zu ergreifen. Aber Annemarie „wollte ja malen“, wie sie es selbst in ihren Erinnerungen formulierte, die sie als 80-Jährige verfasste. Ihr ganzer Lebensweg bis ins hohe Alter ist geprägt von entbehrungsreichem Existenzkampf, schweren Schicksalsschlägen, aber auch von der ungebrochenen Lust am Malen. Auf der Suche nach dem ihr eigenen Weg weigerte sie sich beharrlich, zeitgemäßen Kunstrichtungen oder dem Zeitgeschmack zu folgen, sie blieb der gegenständlichen Darstellung ihrer Motive und der an den französischen Impressionismus angelehnten Malweise treu. Ihre Porträts fühlen der Persönlichkeit der wiedergegebenen Person nach und ihre Landschaften vermitteln sinnlich-sensible Eindrücke des Gesehenen und Erlebten in der Natur. Eine kunsthistorisch orientierte Ausstellung im Käthe-Kruse-Puppen-Museum mag verwundern. Es gibt aber direkte Bezüge zur Manufaktur der weltbekannten

Annemarie Jakimow-Kruse, Selbstbildnis mit Igor, Öl auf Leinwand, 1917, Leihgabe Julia Lehfeldt; Käthe-Kruse-Puppen-Museum Donauwörth Foto Julia Lehfeldt Puppengestalterin. Annemarie Kruses erster Ehemann Igor von Jakimow schuf Kopfmodelle für die Puppe VIII und die Puppe XII, zwei Puppen, die sich von Verkaufsbeginn in den Jahren 1929 und 1930 bis heute großer Beliebtheit erfreuen. Das Künstler-Ehepaar arbeitete zeitweise auch in der Manufaktur bei der Herstellung der Puppenstuben-Figuren. Annemaries Sohn Erasmus und Friedebald, ein Sohn von Käthe Kruse, waren von Kindertagen an eng befreundet, Friedebalds Porträt, von Igor von Jakimow geschaffen, diente sogar als Vorlage für den Puppenkopf der Puppe VIII.

Igor von Jakimow, Porträt Annemarie, Bronze, um 1920, Leihgabe Julia Lehfeldt; Käthe-Kruse-Puppen-Museum Donauwörth Foto: Stadt Donauwörth / Thomas Heitele

burg lebte, wo auch Thomas Mann oder Gerhart Hauptmann zu Gast waren. Die Sonderausstellung zeigt einen breiten Überblick über das künstlerische Werk von Annemarie Kruse, von Jakimow-Kruse später Kirchner-Kruse und erklärt die weit gestreuten und vielfältigen Freundschaften und Bekanntschaften im Umkreis der Familie Kruse, die für die Malerin prägend waren und die sie selbst in ihrer Autobiografie „Erinnerungen“ erwähnt. So ist diese Sonderausstellung nach der umfassenderen Präsentation „Die Kruses – Eine geniale Künstlerfamilie und ihr Freundeskreis“ im Jahr 2016 ein weiterer Baustein, dieses Beziehungsgeflecht um die Familie Kruse zu erforschen und der Öffentlichkeit vorzustellen. (Bis 25.09., Begleitheft) Annemarie Jakimow-Kruse, Purrmanngarten, Öl auf Leinwand, 1930; Käthe-Kruse-Puppen-Museum Donauwörth Foto: Stadt Donauwörth / Kirsten Göbner 07 / 22

Telefon: 0906 789170 Webseiten: www.donauwoerth.de www.kaethe-kruse-puppenmuseum.de


06_07_Magazin.qxp_TR 07.06.22 10:20 Seite 3

MAGAZIN 7

Ford Capri – ein Lebensgefühl mit PS; Technik Museum Speyer

MESSEN / MÄRKTE / TREFFEN n Lebensgefühl von Ford Fans aus ganz Europa treffen sich vom 2. bis 3. Juli 2022 zum großen European Capri Post Meeting auf dem Parkplatz des Technik Museum Speyer. Wer gerne mit seinem eigenen Ford Capri teilnehmen möchte, kann sich im Vorfeld unter www.capripost.de über die Anmeldung informieren. Der Besuch, ohne Teilnahme mit einem Fahrzeug, ist für Interessierte kostenfrei. Nach zwei Jahren Corona-Pause organisieren die Herausgeber des Magazins „Capri Post“ wieder das Treffen in Speyer. Die Veranstaltung entwickelte sich zu einer beliebten Plattform für Fans, um Tipps und Tricks rund um den Oldtimer zu erfahren. Zu Gute kommt den Organisatoren dabei ihre jahrelange Erfahrung. Gerald und Andrea Mandl sind schon seit mehr als 30 Jahren in der Automobil-Szene aktiv. In Sachen Ford Capri geht an ihnen in Deutschland kein Weg vorbei. Seit 28 Jahren zieht es die Mandls in die Domstadt, um dort mit hunderten Capri-Fans den „Mustang des kleinen Mannes“ gebührend zu würdigen. Zum diesjährigen Treffen werden 250 bis 300 Capris erwartet. Die Teilnehmer kommen unter anderem aus Großbritannien, Schweden, Österreich oder Spanien. „Unsere Fans sind das ganze Wochenende über auf dem Museumsgelände. Wer sich als Besucher die Fahrzeuge anschauen möchten, dem empfehlen wir am Samstag, 2. Juli, vorbeizukommen. An diesem Tag sind die meisten Capris auf dem Platz“, empfiehlt Andrea Mandl, Organisatorin

und Herausgeberin der Capri Post. Weitere Informationen zur Veranstaltung gibt es unter: Telefon: 06232 670868 Webseite: www.technik-museum.de

n Zeitakt Sause Das Technik Museum Speyer widmet Oldtimern, Motorrädern und Flugzeugen seit Jahren verschiedene Veranstaltungen, doch das Mofa ging bisher leer aus. Mit der Moped Garage GmbH und der 50 ccm

IG Enkenbach/Pfalz fand das Technik Museum die richtigen Partner für eine neue Veranstaltungsidee. Die Zweitakt-Sause findet vom 29. bis 31. Juli 2022 auf dem Gelände des Technik Museum Speyer statt. Zugelassen sind alle Zweiräder bis 80 ccm. Die Idee des Museums traf bei den beiden Mitstreitern genau ins Schwarze. Schnell waren spannende und lustige Programmpunkte zusammengestellt, um Teilnehmern wie auch Besuchern ein abwechslungsreiches Programm zu bieten. Ob ein 1/12 Mile-Rennen, die Bewertung beim Leistungsprüfstand, ein Geschicklichkeitsparcours, die Prämierung verschiedener Klassen oder ein Hill Climbing Wettbewerb – es ist für jeden etwas dabei. Museumsfan Chris Sass von Sass Motorblog ermöglichte eine Kooperation mit dem Deutschen Motorsport Verband (DMV e.V.), welcher das 1/12 Mile-Rennen und die dazugehörige Siegerehrung ausrichten. Bei der Mofa-Sause am Samstagabend können Besucher den Tag mit gutem Essen, Trinken und einer Live-Band ausklingen lassen. Über die Technik Museen Sinsheim Speyer – Technik von Unterwasser bis ins Weltall: Vom gemeinnützigen Förderverein Auto + Technik Museum Sinsheim e. V. getragen und ganz nach dem Motto „für Fans von Fans“ gehören den Technik Museen Sinsheim Speyer weltweit rund 3.500 Mitglieder an. Die Finanzierung erfolgt ausschließlich durch Eintrittsgelder, Spenden sowie Mitgliedsbeiträge der Vereinsmitglieder. Alle Überschüsse werden zur Erhaltung und zum Ausbau der Museen verwendet. Informationen zur Anmeldung mit dem eigenen Mofa gibt es unter: Telefon: 06232 670868 Webseite: www.technik-museum.de/2-takt-sause

Norbert Edlinger von der Moped Garage GmbH Quelle: TMSP 07 / 22


08_14_Pinschewer.qxp_TR 07.06.22 10:25 Seite 2

WERBEFILM 8

JULIUS PINSCHEWER / TEIL 1: 1910-1923 DIRK SCHINDELBECK

Niemand hat die Entwicklung des Werbefilms in Deutschland vor und nach dem Ersten Weltkrieg stärker beeinflusst als Julius Pinschewer (1883-1961). Nicht nur als Ideengeber für Dutzende von Real- und Zeichentrickfilmen, sondern auch als Produzent mit eigenem Studio und als geschickter Stratege bei der Durchsetzung des neuen Werbemittels in den Kinos der Weimarer Republik.

Faszination Kino Für die Menschen um und nach 1900 bedeutete das Kino eine fundamentale Umwälzung in ihrem Lebensalltag. Ein solches Überwältigungsmedium hatten sie bis dahin nicht gekannt. Die Filmemacher erschienen ihnen wie Zauberer, die, wenn sie ihre Trickkiste mit Slow-Motion-Sequenzen oder dem Rückwärts-Abspielen einer Szene öffneten, nur Staunen und Verblüffung hervorriefen – wenn etwa ein Raucher seinen gerade ausgestoßenen Rauch wieder einsog. Innerhalb kürzester Zeit wurde das Kino zum beliebtesten Unterhaltungsort breiter Bevölkerungsschichten. Allein in Hamburg wurden um 1910 mehr als 60 Kinos mit jeweils bis zu 1.200

Plätzen betrieben. Dass darin vor allem rührselige Massenunterhaltung geboten wurde, verdeutlichen schon die Titel der Stummfilme wie „Sündige Liebe“, „Zerbrochenes Glück“ oder „Die Herrin des Nils“. Auch Julius Pinschewer, von Haus aus gelernter Volkswirt, war vom Kino fasziniert. Um 1910 kam der 27-Jährige auf die Idee, es auch für Werbezwecke einzusetzen. Das gab es zu dieser Zeit noch nicht – im Gegensatz zur Tageszeitung, die neben Nachrichten und unterhaltendem Fortsetzungsroman auch immer ganze Seiten mit Annoncen enthielt. Dabei war doch die Situation der Menschen, die im Kino dichtgedrängt in eine Richtung starrten und dem, was auf der Leinwand geschah, geradezu ausgeliefert waren, für das Einspielen von Werbebotschaften ideal und vermutlich höchst wirkungsvoll.

Bilder lernen Laufen Natürlich musste es dazu überhaupt erst Werbefilme geben und den Bildern das Laufen beigebracht werden. Schließlich war alle andere bis dahin bekannte Reklame, ob auf Plakaten oder in Anzeigen, flächig und zweidimensional. Der Film hingegen konnte der Werbung die Dimension Zeit erobern und Entwicklungsprozesse – etwa vor und nach einer Produkt-Verwendung – sinnfällig vorführen. Nur er, so Pinschewer könne „zeigen, wie die Seife schäumt, die Schokolade schmeckt, wie der Einkochapparat gehandhabt wird oder wie sauber ein Nahrungsmittel von Links: Typisches Kino um 1905 Quelle: Deutsche Kinemathek Oben: Pinschewers Patentanmeldung „animated advertisements“ in London 1910 Quelle: André Amsler: „Wer dem Werbefilm verfällt, ist verloren für die Welt“. Das Werk von Julius Pinschewer, Zürich 1997, S. 52

07 / 22


08_14_Pinschewer.qxp_TR 07.06.22 10:25 Seite 3

WERBEFILM 9

Neuland Was war zu tun? Erstens mussten die Voraussetzungen zur Herstellung von Werbefilmen geschaffen werden, zweitens – und mindestens ebenso wichtig – war der Aufbau stabiler Abnahmevereinbarungen mit möglichst vielen Kinos. Beides war Neuland, und beides musste parallel in die Hand genommen werden. Schon ein Studio einzurichten, in welchem Filmaufnahmen gemacht werden konnten, war ein Abenteuer, angefangen von den damals noch in der Frühphase ihrer Entwicklungen steckenden Kameras, den unvollkommenen Beleuchtungsmitteln und Schneidetischen bis hin zum Bau der benötigten Kulissen. Zudem ließ sich auf keinerlei Erfahrungen zurückgreifen, was die Konzeption von Werbefilmen betraf, wie deren Drehbücher beschaffen sein mussten,

welche Schauspieler dafür in Frage kamen. Nicht kleiner waren die Probleme der Verbreitung der Filme in den Kinos. Schnell musste Pinschewer feststellen, dass deren Betreiber sich sperrten, Werbefilme ins Programm zu nehmen. Sie fürchteten, die Zuschauer würden sich um einen Teil ihres Eintrittsgelds betrogen sehen, wenn ihnen die Aufführungsdauer des Unterhaltungsfilms durch Werbefilme geschmälert würde.

Ideen Doch Pinschewer ließ sich nicht entmutigen; er war offensichtlich der richtige Mann zur richtigen Zeit, um eine sich abzeichnende Entwicklung energisch voranzutreiben. Und er brachte die dazu notwendigen Voraussetzungen mit. Einerseits war er ein guter Kaufmann und kluger Stratege, andererseits besaß er eine künstlerische Ader und lieferte ständig einer sinnreichen wird.“ Vor diesem Pinschewer 1910 führung „lebender an.

Maschine verpackt Hintergrund meldete ein Patent zur VorKarikaturen“ im Kino

Oben links: Maggi-Plakat (um 1910) Quelle: Werbepostkarte (Faksimile) Kultur und werbegeschichtliches Archiv Freiburg kwaf Oben rechts: Julius Pinschewer (1883 Hohensalza (heute: Inowroclaw) - 1961 Bern) Quelle: DVD. arte Edition (2010). Martin Loiperdinger (Hg.): Julius Pinschewer. Klassiker des Werbefilms. Absolut Medien, Begleitheft Mitte und rechts: Reklamemarken für Prym’s Zukunftdruckknöpfe (ca. 1912) Quelle: Kultur und werbegeschichtliches Archiv Freiburg kwaf


08_14_Pinschewer.qxp_TR 07.06.22 10:25 Seite 4

WERBEFILM 10 neue Werbeideen, die auch filmisch umsetzbar waren. Selbst gezeichnet hat er nie, aber fast immer die zugrunde liegenden Storys geliefert. Zudem verstand er es, die fähigsten Drehbuchschreiber und Zeichner seiner Zeit an sich zu binden. Man würde ihn heute mit Fug und Recht als Medienunternehmer bezeichnen.

Links von oben nach unten: Reklame-Postkarte für Kupferberg-Sekt (ca. 1913) Quelle: Werbepostkarte (Faksimile), Kultur und werbegeschichtliches Archiv Freiburg kwaf Szenenbilder aus dem Pinschewer-Film „Sektzauber“ für Kupferberg (1912) Quelle: DVD. arte Edition (2010). Martin Loiperdinger (Hg.): Julius Pinschewer. Klassiker des Werbefilms. Absolut Medien Berlin Szene aus dem Pinschewer-Legetrickfilm für Maggi „Tanz der Flaschen“ (1912) Quelle: DVD. arte Edition (2010). Martin Loiperdinger (Hg.): Julius Pinschewer. Klassiker des Werbefilms. Absolut Medien Berlin Oben: Herstellung eines Zeichentrickfilms (aus: Die Reklame, 2. Septemberheft 1930) Quelle: Die Reklame, 2. Septemberheft 1930 07 / 22

Kundschaft Dabei galt es nicht nur, den Werbefilm in die Kinos zu bringen, auch die dafür infrage kommenden Kunden mussten erst gewonnen werden. Doch von entsprechend finanzkräftigen, werbewilligen und reichsweit bekannten Firmen gab es um 1910 vielleicht gerade zwei Dutzend wie etwa Maggi, Henkel oder Beiersdorf. Hinzu kam, dass diese Unternehmen ohnehin schon massiv Reklame betrieben und ihre Produkte dem Publikum längst bekannt waren. Wenn nun noch Werbefilme hinzukommen sollten, so konnten diese kein Ersatz für Plakat- und Anzeigenwerbung sein, sondern allenfalls flankierend eingesetzt werden, wenn sie ein schon bekanntes Produkt „in Aktion“ zeigten und dessen Qualität in einer Alltagssituation „bewiesen“. Das bedeutete für die Unternehmen


08_14_Pinschewer.qxp_TR 07.06.22 10:25 Seite 5

WERBEFILM 11

Bundesarchivs), wenn wohl gut zwei Drittel aller zwischen 1910 und 1940 produzierten deutschen Werbefilme für immer verloren gegangen sind. Vor allem ein Napfkuchen, der, um die Wirkung der Hefe sinnfällig zu machen, durch Tricktechnik innerhalb weniger Sekunden zu formidabler Größe anschwoll, muss ungläubiges Staunen hervorgerufen haben. Tricks wie diese, die den einfachen Zuschauer in Bann schlugen, verfehlten auch bei den infrage kommenden Unternehmern ihre Wirkung nicht.

Flaschen-Ballett

zusätzliche Kosten, nicht nur für die Herstellung der Filme selbst, sondern auch für die Mieten in den Filmtheatern. Doch Pinschewer muss so überzeugt von seiner Idee gewesen sein, dass er das Wagnis einging, 1911 auf eigene Kosten einen zweistündigen Zusammenschnitt von Musterwerbefilmen zu produzieren und vor Unternehmern zu präsentieren. Die Filme selbst haben sich leider nicht erhalten, wie denn auch (nach einer Verlustliste des Links von oben nach unten: Schlussszene des Pinschewer-Films „Die Suppe“ für Maggi-Würze (1911) Quelle: DVD. arte Edition (2010). Martin Loiperdinger (Hg.): Julius Pinschewer. Klassiker des Werbefilms. Absolut Medien Berlin Szenen aus dem Pinschewer-Film „Der Nähkasten“ für Pryms-Druckknöpfe (1912) Quelle: DVD. arte Edition (2010). Martin Loiperdinger (Hg.): Julius Pinschewer. Klassiker des Werbefilms. Absolut Medien Berlin Mitte und rechts: Szenen aus dem PinschewerFilm „Der Zahnteufel“ für Beiersdorfs Zahnpasta Pebeco (1915) Quelle: DVD. arte Edition (2010). Martin Loiperdinger (Hg.): Julius Pinschewer. Klassiker des Werbefilms. Absolut Medien Berlin

Zur filmischen Bewerbung eines Produkts boten sich grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten an: als mit Schauspielern realisierte kleine 3- bis 5-Minuten-Geschichten, in welcher das Produkt als Retter in einer verfahrenen Situation auftauchte oder durch Präsentation des Produkts als Held einer Handlung ohne weitere menschliche Akteure. Für die Filmemacher muss die zweite Variante besonders reizvoll gewesen sein, konnten sie hier doch zeigen, dass sie z. B. eine Maggioder Sekt-Flasche durch Umlegen und Abfotografieren in verschiedenen Positionen regelrecht zum Tanzen brachten. Pinschewer hat dies um 1912 gleich mehrfach realisiert mit seinen Flaschen-Balletts für Maggi oder Kupferberg.

26 Bilder pro Sekunde Schon vor dem Ersten Weltkrieg war das gesamte Spektrum von Gestaltungsmöglichkeiten von Werbefilmen ausgelotet. Es ließen sich Schauspieler ebenso einsetzen wie Puppen, aber auch Gegenstände wie von Zauberhand mittels Legetrick zum Leben erwecken. Die damals technisch größte Herausforderung stellte aber der reine Zeichentrickfilm dar. Dafür konnte in ihm ein Produkt sozusagen als Star agieren, indem z. B. einem Waschmittelpaket oder einer Zahnpastatube ein Gesicht aufgemalt wurde und diese, mit StrichÄrmchen und -Beinchen versehen, ihre Abenteuer bestanden. Tricktechnisch erforderte die Animation eines solchen Wer07 / 22


08_14_Pinschewer.qxp_TR 07.06.22 10:25 Seite 6

WERBEFILM 12

behelden die Zerlegung der gewünschten Bewegungsabläufe in verschiedene Phasen, die vorab alle einzeln gezeichnet und dann nacheinander aufgenommen wurden. Um die Bewegung flüssig wirken zu lassen, waren pro Sekunde 26 gezeichnete Einzelbilder notwendig, die aneinandergereiht dem Auge des Betrachters den Eindruck einer Animation gaben.

Neue Ideen Fatal an vielen damals so kühnen Trickeinfällen war allerdings, dass sie sich schnell verbrauchten. Was noch 1912 ungläubiges Staunen bei den Zuschauern auslöste wie der Trick der tanzenden Flaschen, tat dies zwei Jahre später schon nicht mehr, sodass ständig mit neuen Ideen nachgelegt werden musste. Schon dieser Umstand zeigt, dass an die UnterhaltungsQualität von Werbefilmen immer die höchsten Maßstäbe anzulegen waren. Schließ-

lich musste dieser ja mit dem Hauptfilm konkurrieren und durfte ihm gegenüber nicht abfallen – und musste im Kern im Grunde ein Spielfilm im Miniaturformat sein. Nur mit solchen Erzeugnissen ließen sich sowohl die werbenden Unternehmen als auch die Kinobetreiber und das Publikum langfristig gewinnen. Doch auch beim Realfilm waren technische Zaubertricks gang und gäbe wie etwa im Maggi-Film „Die Suppe“ von 1911: In einer Gartenwirtschaft isst ein wohlbeleibter Herr eine Suppe, die ihm nicht schmecken will. Erst der herbeigerufene Ober löst das Problem, indem er sie mittels mehrerer Gaben aus der Würzflasche verbessert. Bei der Aufnahme war die Kamerakurbel immer langsamer gedreht worden, was bei der Vorführung im Kino den

umgekehrten Effekt einer sich bis zur Raserei steigernden Geschwindigkeit zur Folge hatte. Neben dem dadurch erzielten großen Heiterkeitserfolg wurde zugleich die Botschaft „Der Appetit kommt beim Essen“ (mit Maggi-Würze) transportiert.

Tanz auf dem Glas Deutlich höhere Ansprüche bei Konzeption und Herstellung stellten Mischformen aus Real- und Trickfilmsequenzen, wenn etwa in einer Sektwerbung vier Mädchen auf dem Rand eines überdimensionalen Glases tanzten. Durch Legetrick dagegen eher einfach zu realisieren war die Animation von Gebrauchsgegenständen wie einer Schere, die sich wie von Zauberhand aus einem Nähkorb herausarbeitete (für Prym-Druckknöpfe 1913). Oben von links nach rechts: Schlussbild des Pinschewer-Propagandafilms „Der neue Dreibund“ zur Bewerbung der 8. Kriegsanleihe (1918) Quelle: DVD. arte Edition (2010). Martin Loiperdinger (Hg.): Julius Pinschewer. Klassiker des Werbefilms. Absolut Medien Berlin Plakat-Propaganda für die 8. Kriegsanleihe von 1918 (Grafik Louis Oppenheim) Quelle: Deutsche Nationalbibliothek, Sammlung Erster Weltkrieg Pinschewer-Eigenwerbung in „Das Plakat“ 1921 mit Kundenliste, Anzahl der Vorführkinos und Publikumskontakten Quelle: Das Plakat, Juli 1921 Links: Pinschewer-Eigenanzeige „künstlerischer Werbefilm“ von ca. 1922 Quelle: Strategien der Werbekunst von 1850-1933. Katalog zur Ausstellung des Deutschen Historischen Museums 22.4.-29.8.2004, S. 90

07 / 22


08_14_Pinschewer.qxp_TR 07.06.22 10:25 Seite 7

WERBEFILM 13

Der Zahnteufel Als die spektakulärste Produktion dieser Jahre darf der wohl erste deutsche reine Zeichentrickfilm „Der Zahnteufel“, 1915 für Beiersdorf gedreht, gelten. Als dramaturgisches Element tritt in ihm erstmals die Figur eines typischen Kobolds auf – als Bösewicht und Gegenpart zum Helden der Geschichte, einer freundlichen Zahnpasta-Tube. In der Anfangseinstellung der drei Minuten langen, mit Klavierspiel und mit Texttafeln untermalten, Filmhandlung sitzt das Teufelchen auf einem Zahn und versucht ihn mit einem gewaltigen Bohrer zu zerstören. Drei weitere Zähne rennen um Hilfe schreiend davon. Ihr Rufen erreicht eine aus der Beiersdorf-Fabrik entschlüpfende und durch Augen, Nase und Mund vermenschlichte Zahnpasta-Tube. Mit Zahnbürste bewaffnet, nimmt sie den Kampf mit dem Widerling auf, spritzt ihn mit Zahnpasta voll, reibt ihm mit der Bürste gehörig den Rücken ab. Die vom TerrorRegime befreiten Zähne bedanken sich und herzen die Zahnpasta-Tube.

Kriegsanleihen Mit Beginn des Ersten Weltkriegs brachen Pinschewers Werbefilm GmbH die Auftraggeber aus der Privatwirtschaft weg. Doch der clevere Geschäftsmann verstand es, die Kriegsjahre zu überstehen, indem er, nunmehr als „Vaterländischer Filmvertrieb Julius Pinschewer“ firmierend, Berater der Deutschen Reichsbank wurde und sich auf die Herstellung von Szenenbilder aus dem von Harry Jaeger realisierten Pinschewer-Film „Am Nil“ für ExcelsiorAutoreifen (1922) Quelle: DVD. arte Edition (2010). Martin Loiperdinger (Hg.): Julius Pinschewer. Klassiker des Werbefilms. Absolut Medien Berlin

Propagandafilmen verlegte. Wie so viele Juden stand ja auch er treu zu „Kaiser und Vaterland“. Von seinen zwischen 1916 und 1918 entstandenen Streifen haben sich etwa 20 erhalten, die meisten davon warben zur Zeichnung von Kriegsanleihen, andere wie etwa „ein Boxkampf mit John Bull“ betrieben antienglische Propaganda. Einen Eindruck eines solchen Streifens vermittelt der per Legetrick realisierte Film „Ein neuer Dreibund. Filmkomödie in einem Akt“ zur Bewerbung der achten Kriegsanleihe vom Sommer 1918, in dem ein Sparstrumpf, eine Brieftasche und ein Sparschwein 98 Mark zur Kriegsfinanzierung zusammenlegen.

Innovative Spezialisten Nicht zuletzt durch seine Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen war Pinschewers Werbefilm-Studio nach dem Krieg das führende Unternehmen seiner Art in Deutschland. Und nicht zuletzt, weil er es verstand, eine Mannschaft von innovativen Spezialisten zusammenzubringen wie den Zeichentrickfilmer Hans Fischerkösen, den Experimentalfilmer Walter Ruttmann oder die Scherenschnitt-Künstlerin Lotte Reiniger, um nur einige von ihnen zu nennen. Mit solchen Mitarbeitern war seine Firma in der Lage, „künstlerische Werbefilme“ jedweden Genres zu realisieren, vom abstrakten bis hin zum Puppentrickfilm.

Vier Millionen Zuschauer In einer Eigenwerbeanzeige vom Juli 1921 behauptet Pinschewer, er habe inzwischen Kontrakte mit 1000 Kinos und erreiche über sie vier Millionen Zuschauer (!) pro Woche. Neben seinen Altkunden aus der Zeit vor dem Kriege wie Prym, Kupferberg oder Kornfrank-Malzkaffee werbe er

inzwischen auch für die Zigarette SalemGold, die Sirius-Lampe, den GloriaSchwamm, den Excelsior-Gummi-Kamm, Continental-Reifen oder die Bremer Börsenfeder (ein Schreibutensil). Aber auch politisch bzw. sozialpolitisch ist er aktiv, wirbt für die „Säuglings-Spende“ oder die Oberschlesien-Hilfe. Wenngleich ein Großteil aus Pinschewers Filmoeuvre verloren gegangen ist – seine Stellung im Werbegeschehen dieser Jahre erscheint außerordentlich dominant.

Excelsior Die Bandbreite der filmischen Möglichkeiten seiner Werbefilm GmbH dokumentieren dabei zwei so völlig unterschiedliche Streifen für ein- und dasselbe Produkt, den Excelsior-Autoreifen (damals Pneumatik genannt). Der eine, vom Trickzeichner 07 / 22


08_14_Pinschewer.qxp_TR 07.06.22 10:26 Seite 8

WERBEFILM 14 Harry Jaeger realisiert, erzählt unter dem Titel „Am Nil“ die Geschichte eines Farbigen, der auf einem Fahrrad vor einem Krokodil fliehend sich auf eine Palme rettet und das Rad am Stamm der Palme zurücklassen muss. Als das Krokodil sich darüber hermacht, versucht es den Reifen zu zerbeißen. Da dies misslingt, verschluckt es ihn. Der Mann nutzt die Chance, von der Palme herunter zu steigen und den Reifen, dessen Ventil noch aus dem Maul des Krokodils herausschaut, aufzupumpen. Das Krokodil wird kugelrund und platzt fast. Dem Reifen haben seine Zähne nichts anhaben können: er ist unbeschädigt geblieben.

Erster deutscher Farbfilm Der andere, von Walter Ruttmann geschaffene Werbefilm für dasselbe Produkt gilt als erste „absolute“ – d. h. rein mit abstrakt-geometrischen Formen arbeitender – Film. Wie sein Gegenstück „Am Nil“ entstand auch er 1922 und war der erste deutsche Farbfilm überhaupt. Eingangs wird eine Traum-Landschaft mit Palme gezeigt. Die Sonne geht auf, dunkle Wolken schie-

ben sich ins Bild, die Sonne wird rot, von blauen und roten Blasen umspielt. Sie verwandelt sich zu einem Fächer, zu roten, immer größer werdenden Ringen, die einen weißen Reifen bilden, der die Aufschrift „Excelsior“ trägt. Rote und dann blaue Berge und Täler schieben sich ins

Schornstein, was den Mond zum Lachen bringt. Der Mond verschwindet, der Reifen ist jetzt allein im dunklen Raum. Plötzlich erscheint ein grüner Kegel mit scharfer Spitze, wütendem Gesicht und drohendem Finger, stößt auf den Reifen ein, doch ohne Erfolg. Von unten taucht ein zweiter, kleinerer roter Spitzkegelwüterich auf und sticht ebenfalls erfolglos zu. Weitere abstrakte spitze rote, grüne und blaue Dreiecke versuchen vergeblich, den Reifen durch Stiche zu beschädigen. Sie verschwinden, und der Reifen erstrahlt in einer Art Heiligenschein, während silbenweise die Schrift Excelsior über ihm erscheint.

Vorsprung Erneut war es Pinschewer gelungen, mit einem kurzen Werbefilm so viel Staunen zu erzeugen, dass vom Genre selbst nur noch mit Hochachtung gesprochen wurde und sehr deutlich geworden war, dass der technologische Vorsprung des Werbefilms gegenüber dem großen Spielfilm beträchtlich war und eher dieser von ihm Impulse empfing als umgekehrt. Wie Pinschewer seine Marktposition Mitte der 1920er-Jahre verlor, den Tonfilm einführte und 1933 in die Schweiz emigrierte, im nächsten Heft. Bild, über die der Reifen gleitet; aus der Landschaft schießen plötzlich blaue Säulen unterschiedlicher Höhe hervor. Sie formieren sich zu einer absteigenden Treppe, von welcher der Reifen stufenweise herabrollt, nicht ohne seine federnde Elastizität auf jeder Stufe zu beweisen. Da erscheint der Mond mit einem staunenden Gesicht. Von unten schiebt sich die Silhouette der Excelsior-Fabrik hervor, der Reifen rollt über deren Dach, an einem Schornstein hoch, auf der anderen Seite wieder herunter, tanzt auf einem anderen 07 / 22

Antiquarisch erhältlich: DVD. arte Edition (2010). Martin Loiperdinger (Hg.): Julius Pinschewer. Klassiker des Werbefilms. Absolut Medien GmbH, Adalbertstr. 15, 10997 Berlin Fotos: wie angegeben

Szenenbilder aus dem von Walter Ruttmann realisierten Pinschewer-Film „Der Sieger“ für Excelsior-Autoreifen (1922) Quelle: DVD. arte Edition (2010). Martin Loiperdinger (Hg.): Julius Pinschewer. Klassiker des Werbefilms. Absolut Medien Berlin


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.