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Europas Sammlermagazin
08/2020 64419
• € 4,90
Schweiz CHF 8,50 | Österreich € 5,50
Jugendstilfliesen Hans Gugelot
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SAMMLERMARKT „Alte Technik Linz“ Samstag 22. August 2020 9.00 bis 16.00 Uhr
A-4040 Linz
Freistädterstrasse 163, Vierkanthof „Traunmüller“ Swingolf-Anlage
Schöner Innenhof und schönes Aussengelände mit großer Wiese für Parkmöglichkeit und Buffet vorhanden.
Historische Elektrotechnik, Motoren, Generatoren, Geräte und Instrumente aus dem Physikunterricht der Schulen, historische Radioapparate, kommerzielle und militärische Funktechnik 1914-1944, TelegraphenApparate, historische Telephon-Apparate, mechanische Rechenmaschinen, technisches Spielzeug, Eisenbahnen ab Spur 0, Phonographen, Heißluftmotore und Dampfmaschinen u.a. Die Anbieter sind Sammler solcher Geräte, die ihre Sammlungen auflösen wollen oder in der Größe reduzieren wollen. Es werden Anbieter aus mehreren europäischen Ländern erwartet. Für nähere Auskünfte besuchen Sie bitte www.alte-technik-linz.at Hinweis: Anbieter von Waren melden sich bitte zur Reservierung von Tischen beim Veranstalter Interessensgemeinschaft „Alte Technik“; Adresse: Prof. Franz Pichler, Systemtheorie, Technisch- Naturwissenschaftliche Fakultät, Universität Linz, Altenbergerstrasse 69, 4040 Linz, Österreich, Tel. 0043 664 233 8775, E-mail: telegraph.pichler@aon.at
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EXPERTISEN
■ Kristallvase
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Ich habe auf einem Trödelmarkt eine schwere Kristallvase erstanden. Auf der Vorder- und Rückseite sind tief eingeschliffene Blumenmotive. Sie misst 25 cm in der Höhe, 12 cm in der Breite und 7 cm in der Tiefe, die Glasstärke beträgt 8 mm. Sie hat ein Monogramm, das ich „JHL“ bzw. „HL“ lese. Als treuer Trödler-Leser möchte ich Sie bitten, das gute Stück zu bewerten und vielleicht können Sie etwas über den Künstler herausfinden? Joachim Schneider, Dresden
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Die quaderförmige Bleikristallvase in Ihrem Besitz zeichnet sich durch einen blauen Überfang und feinen Schliff aus. Der Vasenkorpus wurde in Form geblasen, der Dekor in traditioneller Technik mit Hilfe eines Schleifrades herausgeschliffen. Die Schleiftechnik, bestehend aus Kerbund flachen Olivschliffen, gibt dabei ein 1960er- bis 1980er-Jahren. Leider lässt sich das Monogramm JHL oder HL nicht weiter auflösen. Die Nachfrage nach Bleikristall ist heute sehr begrenzt. Aktuell würde ich einen Wert von 30 bis 50 Euro ansetzen. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger, Jagdschloss Göhrde
■ Porzellanfigur
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Mein Mann brachte mir 1979 von einer Moskau-Reise eine Porzellanfigur mit. Sie passt zwar nicht ganz in meine Sammlung – Rosenthal und Hutschenreuther – aber irgendwie hat sie was. Er hat sie wahrscheinlich im Kaufhaus GUM gekauft. Den Preis weiß ich nicht. Auf dem Radschlägermarkt in Düsseldorf entdeckte ich vor einigen Wochen die gleiche Figur. Bei einem erneuten Besuch habe ich sie dann
begrenztes Spektrum an Dekormöglichkeiten vor. Der Rosendekor ergibt sich aus einer Kombination dieser Schliffe. Ähnliche Dekore finden sich in den großen Zentren der Glasproduktion in Tschechien, im Bayerischen Wald, in der Lausitz, in Polen und seit einigen Jahrzehnten auch in der VR China und der Republik Taiwan. Das Monogramm spricht für einen selbstbewussten Kunsthandwerker, möglicherweise im Gebiet der ehemaligen DDR in den 08 / 20
■ In dieser Rubrik beantworten unsere Experten Ihre Fragen zu dem einen oder anderen guten Stück. Doch leider sehen wir uns außerstande, ganze Nachlässe oder sämtliche sich in Ihrem Haushalt befindlichen Trouvaillen bewerten und schätzen zu lassen. Auch bitten wir um Verständnis, wenn es mit der Bearbeitung länger dauert. Senden Sie uns also Ihre Anfrage nur zu einem zu bestimmenden Objekt – mit detaillierter Beschreibung und gutem Foto, auf dem das Objekt ganz abgebildet ist. Noch ein Hinweis zu den Preisen, die von Fall zu Fall von unseren Experten genannt werden: Hierbei handelt es sich um Richtwerte, die anhand von Fotos allein getroffen werden und je nach Zustand des Objekts nach oben oder nach unten korrigiert werden können. Ihre Anfrage schicken Sie bitte an: Gemi Verlags GmbH Redaktion Leserforum Pfaffenhofener Straße 3 85293 Reichertshausen
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LESERFORUM 5 für 25 Euro gekauft. Der Verkäufer sprach kein Deutsch, ich konnte ihm also keine Fragen stellen. Vielleicht können Sie meine Frage nach der Herkunft beantworten? Handelt es sich um einen Bauern oder eine Bäuerin? Mein Mann und ich sind da nicht der gleichen Meinung.
länger in unserem Besitz befindet. Es handelt sich um eine flache Ton(?)-Schale mit 29 cm Durchmesser, die auf einem ca. zwei cm hohen Sockel oder Fuß ruht. Ich hoffe, dass die Fotos so aussagekräftig sind, dass Sie eine Beurteilung vornehmen können. Uwe Raupach, Bad Nenndorf
Karin Hinz, Remscheid
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Die beiden Porzellanfiguren wurden um 1962 in der Kiewer Fabrik für experimentelle Keramik und Kunst hergestellt. Die Fabrik wurde 1924 gegründet und 1993 privatisiert. Entworfen wurde die Figur von Bildhauer V. Shcherbin. Dargestellt ist die resolute Kosakin „Odarka“, eine Figur in der komischen Oper „Kosaken im Exil“ von Semen Hulak-Artemovsky. Um die zaristische Zensur zu umgehen, ist die Handlung der Oper in die Region und Phase der türkischen Oberhoheit verortet, gemeint sind jedoch die Schwierigkeiten mit den russischen Herrschern. Die Saporoger Kosaken gelten nach ukrainischer Geschichtsschreibung als Gründer der ersten ukrainischen Staatsformation. Im übertragenen Sinn handelt es sich also um ukrainisch-patriotische Porzellankunst. Aktuell werden gleiche Figuren im Bereich von 60 bis 80 Euro verkauft. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger, Jagdschloss Göhrde
Nachschlagewerke und Datenbanken ein in Technik und Stil passender Künstler finden. Dies verwundert aufgrund des verwendeten Materials, Porzellan, dessen Herstellung und Bearbeitung eine hohe Spezialisierung und großen technischen Aufwand erfordert. Dieses Porzellanobjekt ist unter der Kategorisierung „Unbekannter Künstler“ mit 15 bis 30 Euro anzusetzen. Georg Ottomeyer, Experte Berlin
Die dekorative Schale oder Schüssel wird der sogenannten Hafnerware zugerechnet, einer niedrig gebrannten Keramik, die mit einer transparenten Bleiglasur wasserundurchlässig gemacht wurde. Die bäuerliche Keramik in Ihrem Besitz weist leider kaum Kennzeichen auf, die eine Zuordnung in eine bestimmte Region ermöglichen würde. Auch der Zeitraum, ca. 17. bis 19. Jahrhundert ist schwer einzugrenzen, da in den ländlichen Regionen abseits der Zentren handwerkliche Techniken über Jahrhunderte gleich fortgeführt wurden. Bäuerliche Keramik wird heute kaum noch gesammelt und die Regionalmuseen haben meist gut bestückte Sammlungen. Der Wert der Schale läge selbst in besserem Zustand bei unter 100 Euro. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger, Jagdschloss Göhrde
■ Keramikschale
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Mit Interesse habe ich in den vergangenen Jahren immer wieder Ihre sehr interessanten Bewertungen diverser Gegenstände verfolgt. So schicke ich Ihnen nun Fotos einer Schale zu, die sich schon
■ Porzellanei
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Ich bin in Besitz eines Porzellaneis, über das ich leider gar nichts weiß. Es ist 12 cm groß. Können Sie anhand der Signatur über dessen Herkunft etwas herausfinden und mir zudem einen möglichen Wert nennen? Bettina Hellmig, Hamburg
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Bei dem fraglichen Objekt handelt es sich um eine skulpturale Keramik. Das hohl gearbeitete Stück aus Porzellan ist in Blaumalerei mit einem abstrahierten Gesicht dekoriert und auf der Rückseite ist ein Monogramm und wohl die Datierung „1994“ oder „1991“ zu erkennen. Das Monogramm ist als „KT“ oder „TK“ aufzulösen. Bedauerlicherweise lässt sich zu diesem Monogramm in keiner der geläufigen 08 / 20
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! Komische Kunst von Chas Addams, Janosch und Tomi Ungerer, Überlebenskünstler im großstädtischen Dschungel von Jean-Jacques Sempé oder fotografisch anmutende Karikaturen von Gerhard Haderer: Die neue Ausstellung im Museum Wilhelm Busch zeigt bis 23. August 120 bisher nie gezeigte Meisterwerke der Karikatur des 20. und 21. Jahrhunderts aus einer süddeutschen Privatsammlung, die den Bestand der Museumssammlung als neue Dauerleihgabe bereichert: Ein begeisterndes Kaleidoskop der Karikatur. „Ich fühle mich in letzter Zeit etwas heruntergekommen”, sagt der Patient in einer Arbeit des US-Karikaturisten Chas Addams zu seinem Hausarzt. „Na, hab ich zuviel versprochen?”, jubeln bei Peter Gaymann zwei verliebte Schweinchen in der Jauchegrube sitzend, und in der „Pflüger-WM” von Gerhard Haderer sehen wir vier wie Bundesligaspieler anmutende Sportler, die – fernab der Debatte um Geisterspiele – in der Landwirtschaft beim Furchenziehen auf dem Feld aushelfen. Grandiose Zeichenkunst, die mit viel Humor den alltäglichen Kampf mit den Widrigkeiten des Alltags im Fokus hat. Weit vor der Corona-Krise entstanden – und dennoch aktuell wie nie. Die Ausstellung „Grandios! Virtuos!” versammelt Alltägliches, Skurriles und Bitterkomisches im Museum Wilhelm Busch. Allen Arbeiten gemeinsam ist die Meisterschaft ihrer Künstler, ein mitreißender
Querschnitt durch die Höhepunkte der Karikatur des 20. und 21. Jahrhunderts, der in Jahrzehnten von den Privatsammlern zusammengetragen wurde, die anonym bleiben möchten: Mal unbarmherzig, mal leise belächelnd, aber immer beste Zeichenkunst von insgesamt 45 internationalen Künstlern wie beispielsweise Fernando Puig Rosado oder Paul Flora, die uns allen eine Lehre im aktuellen Pandemie-Krisenmanagement mitgibt: Läuft es einmal nicht ganz rund, dann ist Lachen immer noch die beste Medizin. Eine Kabinettausstellung in der EnsmannGalerie ergänzt das Hoch auf den Humor mit einer Auswahl herausragender Schenkungen der letzten zehn Jahre, darunter Arbeiten von Wilhelm Busch, Steve Bell, Honoré Daumier, F. W. Bernstein und „Charlie-Hebdo”-Zeichnerin Coco. Die rund 40 Kunstwerke geben einen unterhaltsamen Einblick in den Sammlungsbestand des Museums. (Bis 23. August)
! Mit fast 400 Exponaten von rund 200 Künstlerinnen und Künstlern und Designerinnen und Designern bietet die Ausstellung „Das Plakat” im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) einen groß angelegten und repräsentativen Überblick über die Geschichte des Plakates von den Anfängen im frühen 19. Jahrhundert bis heute. Im Plakat treffen Kunst und Geschichte, Design und Werbung aufeinander. Plakate begleiten politische Ereignisse genauso wie die Film- und die Theatergeschichte. Sie dokumentieren die gesell-
schaftliche Entwicklung und spiegeln nicht zuletzt die Kunst und ihre wechselnden Stile. Porträts von Politikern findet man auf Wahlplakaten, die von Musikern auf Konzertplakaten, die Industrie wirbt für ihre neuen Produkte, die Tourismusbranche für die schönsten Reiseziele und selbst für Websites wird mittlerweile mit Plakaten geworben. Es gibt keine zweite Kunstgattung, die bis heute unseren Alltag in einer solchen Brei-
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und wichtigen Werken vor. (Bis 20. September)
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te begleitet. Der bedeutende polnische Plakatkünstler Jan Lenica sagte 1966: „Das Plakat hat zweifellos eine Funktion, es hat eine Aufgabe, und dieser Pflicht muss es gerecht werden. Aber seine Bedeutung liegt nicht in dem, was es zu vermitteln hat, sondern darin, was es selbst zu sagen hat.“ Die Botschaft guter Plakate ist mehrschichtig, sie geht über die bloße Werbung hinaus und macht Aussagen über die Zeit, über die Gestaltung, über Geschichte, Mode oder Geschmack. Dieser ‚Mehrwert‘ ist es, der aus einem Plakat ein Kunstwerk machen kann. Die Höhepunkte der Plakatgeschichte liegen im Jugendstil um 1900, im Art déco und der Avantgarde der 1920er-Jahre und erneut in den 1960er-Jahren. Immer wenn sich, wie im Jugendstil, in der BauhausZeit oder zur Zeit der Pop Art, Kunst und Alltag besonders nahekommen, verschwimmen die Grenzen zwischen angewandter und freier Kunst. Es können Plakate entstehen, die bis heute als künstlerische Höhepunkte ihrer Zeit gelten. Dazu gehören die berühmten Lithografien von Henri de Toulouse-Lautrec oder Alfons Mucha genauso wie dreißig Jahre später die Filmplakate der Brüder Stenberg in Moskau oder die Kompositionen von Cassandre in Paris. Die Ausstellung stellt die führenden Plakatkünstlerinnen und -künstler, von denen die meisten in Deutschland viel zu wenig bekannt sind, mit typischen
Am 29. und 30. August 2020 veranstaltet der Oldtimer Schlepper Club Kurpfalz in Zusammenarbeit mit dem Technik Museum Sinsheim das bereits fünfte Treffen von Freunden historischer Sägemaschinen. Eigentlich findet dieses Treffen nur alle drei Jahre statt. Aber anlässlich der Heimattage Sinsheim hat man es um ein Jahr vorgezogen. Museumsbesucher können auf dem Freigelände des Museums historische selbstfahrende Sägemaschinen ab Baujahr 1932 sowie Zweimann-Handzugsägen in Aktion erleben. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg musste das insbesondere für die Landbevölkerung unverzichtbare Brennholz noch mühevoll von Hand gesägt werden. Mit der zunehmenden Verbreitung von Automobilen und Verbrennungsmotoren kamen findige Dorfschmiede auf die Idee, Auto-Fahrgestelle mit Stationärmotoren insbesondere von Deutz und Schlüter zu versehen und diesen mittels eines Flachriemens sowohl zum Antrieb des Fahrzeugs als auch zum Betrieb einer Bandsäge zu nutzen. Zur Umschaltung von Fahrauf Sägebetrieb wurde der Flachriemen über einen Freilauf auf die entsprechende Riemenscheibe verschoben. Diese Säge-
maschinen prägten das winterliche Dorfbild bis zum Beginn der 1970er-Jahre. Im Rahmen des Treffens können bei Vorführungen auf dem Museumsgelände zahlreiche Maschinen dieser Art live erlebt werden. Die Veranstaltung findet am Samstag, 29. August, von 11 bis 17 Uhr und am Sonntag, 30. August, von 10 bis 16 Uhr statt.
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Die aus armen Verhältnissen stammende, gelernte Näherin Gabrielle Chanel (geboren als „Chasnel“, 1883-1971) konnte sich, zunächst finanziell von Freunden unterstützt, 1910 mit einem Modegeschäft in Paris und 1913 mit einem Hutsalon im französischen Küstenort Deauville selbständig machen, weil sie früh erkannte, dass das lange, gehbehindernde Kleid und der großkrempige, extrem üppig garnierte Hut ausgedient hatten und schlichteren Modellen Platz machen mussten. Die Zeitgenossinnen, die durch die französische Hauptstadt und das mondäne Seebad flanierten, waren begeistert, und nach diesen ersten Erfolgen florierte ihr Unternehmen, so dass sie bald auch international bekannt wurde. Im nüchternen Nachruf des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ hieß es zum Tod der 87-jährigen (Ausgabe 4/1971, S. 126): „Aschenbrödel starb reich und emanzipiert. (...) Sie war in einem Original-Chanel-Kostüm aufgebahrt.“ Der Klappentext der Biografie von Edmonde Charles-Roux (2005) formulierte dagegen eine kleine Hymne: „Sie hat die Grundlinie der Mode im 20. Jahrhundert geprägt. Sie kürzte den Rock, schuf das Badekostüm der Frau, den Modeschmuck und 'das kleine Schwarze', das ein Grundbestandteil der modernen Damengarderobe ist. Sie brachte das erste Blumenparfum auf den Markt, das nicht nach einer Blume roch. Durch sie wurde Paris das Modezentrum der Welt: Coco Chanel.“ Und in dieser einfachen Zusammenfassung wird bereits deutlich, wie wichtig Chanel für alle Mo-
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debegeisterten immer noch ist, aber und vor allem auch, wie umfangreich ihr Wirkungsfeld war. Marietta Riederer schrieb 1962: „Mit nachtwandlerischer Sicherheit und ohne sich durch irgendwen oder irgend etwas beeinflussen zu lassen als durch ihre eigene Sensibilität und Sensualität macht Coco Chanel nur Kleider, die allen Frauen einen Hauch Erotik verleihen. (...) Chanels Geheimnis ist, zu wissen, daß man in einem Kleid lebt, liebt, leidet, ißt, telephoniert. Daß ein Rock bequem zu sein hat, daß man darin gehen, laufen, hocken, knien und liegen kann, ohne daß er 'beult'.“ („Wie Mode Mode wird“, S. 96).
Wer Frankreich und Mode erwähnt, bewegt sich auf einem von Chanel geprägten Terrain, und wer sich klassisch kleiden möchte, kommt um das von ihr favorisierte 'kleine Schwarze' nicht herum. Dass sie sich zunächst auch als Hutmacherin einen Namen gemacht hat, ist heute kaum noch im Bewusstsein, war aber zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als der Hut jegliche Mode komplettieren musste, noch von ganz anderer Wichtigkeit. Chanels ebenfalls bereits sehr früh entwickelte „Mode à la garçonne“, also Da-
menmode, die sich der Herrenmode anglich, ergänzte überdies die Kleidung um geschlechterübergreifende Elemente wie den am Herrenjackett orientierten Damenblazer und speziell die weißgrundigen dunklen Blockstreifen der bretonischen Fischerkleidung, die bis heute immer wieder Revivals haben. Als besonders Chanel-typisch aber gelten das kragenlose Tweedkostüm, die Schuhe mit der kontrastierenden Kappe und der Kamelienschmuck, also große, blütenförmige Broschen oder Clips. Bei dem klassischen Chanel-Kostüm kombinierte die Designerin einen nur ganz leicht ausgestellten Tweed-Rock (der knapp übers Knie reicht) mit einer kurzen, schlicht geschnittenen Jacke ohne Revers im gleichen Stoff, meist mit großen, goldenen Knöpfen zu schließen und mit kontrastierenden Borten an den Kanten besetzt. Lange Ketten komplettieren das Ensemble. Über diese schrieb Riederer (S. 97): „Auch die Manie, am Tage verschwenderisch Schmuck zu tragen, schwere Goldketten zum alltäglichen Kostüm über zarte
Blusen und um die Taille zu legen, kommt aus der Erkenntnis, daß das Leben der modernen Frau sich bekanntlich mehr während des Tages abspielt. Abends zeigt Chanel sehr viel weniger Schmuck.“
Dass die Designerin 1921/22 mit „Chanel No. 5“ ihre Mode durch ein eigenes Parfum ergänzte, war eigentlich nur das Tüpfelchen auf dem „i“ für ihre Firma, die seither die gesamte weibliche Ausstattung in Sachen Mode übernahm. Der heutige Chanel-Konzern, seit den 1920er Jahren größtenteils in den Händen der Familie Wertheimer (und bis zu ihrem Tod 1971 mit Coco Chanel als Designerin), produziert neben Kleidung Schmuck, Parfum, Kosmetika und Lederwaren im Luxussegment, und keine Ausgabe der „Vogue“ kommt ohne ganzseitige Chanel-Anzeigen auf den Markt, keine Haute Couture-Besprechung
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ohne einen Blick auf diesen Laufsteg aus. In der weltkriegsbedingten Zeit der Unterbrechung der Modeherstellung in den Jahren 1939 bis 1954 lief die Produktion des Parfums „Chanel No. 5“ unvermindert weiter, und es war international so erfolgreich, dass 1947 in Deutschland sogar eine Operette mit dem Titel „Chanel No. 5“ aufgeführt wurde (Musik Friedrich Schröder, Libretto Bobby E. Lüthge). Bis heute taucht es immer einmal wieder in Romantiteln auf, wenn es um weibliche Eleganz oder französisches Flair gehen soll. So prägte einerseits die schlichte und edle Schneiderkunst der Designerin das Image der Firma, dazu kam aber gleichzeitig die Assoziation der Marke „Chanel“ sowohl mit einem exklusiven Lebensstil als auch mit französischer Lebenskunst an sich. Bis
heute ist unklar, ob das 1955 in „Harper's Bazaar“ veröffentlichte Foto, das von Marilyn Monroe mit einer Flasche Chanel-Parfum existiert, als Werbebild geplant war, oder ob sie es einfach nur benutzte; jedenfalls wird aus einem Interview zitiert, in dem sie kokett gesagt haben soll, sie ginge mit nicht mehr auf der Haut als „Chanel No. 5“ ins Bett. Wer also einen weißen Karton mit schwarzem Rahmen und dem Schriftzug „Chanel“ im Schlafzimmer stehen hat, zeigt immer auch einen Hauch Marilyn, und 2013 nutzte Chanel auch das Foto zu Werbezwecken. Das Firmenlogo aus den beiden „C“, die rückseitig ineinander greifen, so dass sie wie zwei Kreise mittig eine Schnittmenge bilden, ist ebenso schlicht und pfiffig, wie die meisten von Chanels Entwürfen. Sie
sind in Schwarz auf reinem Weiß auf Verpackungen und Etiketten zu finden, sofort erkennbar. Das Gleiche gilt für den „CHANEL“-Schriftzug, der serifenlos größtmögliche Schlichtheit vermittelt.
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Als Werbeträger für das Parfum „Chanel No. 5“ fungieren seit Jahrzehnten nur die bestbezahlten, meist als klassische Schönheiten geltenden Schauspielerinnen (und seit 2012, als Brad Pitt dafür lächeln durfte, auch männliche Stars). Cathérine Deneuve (1968-1977), Carole Bouquet (in den 1980er-Jahren), Nicole Kidman (2003-2008) oder Audrey Tautou (2009-2011) durften der Kampagne, die auf intensive, großformatige Porträts setzt, ihre Züge leihen. Das erste Gesicht für die Werbekampagne aber war Gabrielle Chanel 1937 selbst: In der schwarz-weißen Anzeige posierte sie stehend vor ihrem Kamin im Pariser „Ritz“-Hotel. Ihr Imperium funktionierte auch nach ihrem Tod reibungslos weiter, es gab jedes Jahr neue Entwürfe, aber die Grundlinien (schlicht und edel) blieben bestehen. Der ab 1983 für Chanel als Chefdesigner wirkende Modezar Karl Lagerfeld (19332019) hatte mit dem von ihm entdeckten und protegierten Supermodel Claudia Schiffer (*1970) dann zur richtigen Zeit den richtigen Blick: Das Duo LagerfeldSchiffer setzte ab 1988 gemeinsam ästhetische Maßstäbe nicht nur für die Marke Chanel, und Lagerfeld konnte auch mit seiner eigenen Firma große Erfolge feiern. Der Werbegrafiker und Designer Jean
Paul Goude (*1940) schuf 1990 die legendäre Kampagne für „ÉGOÏSTE“: Eine große Hotelfront (in Brasilien) wurde zur Bühne. Verschiedene Frauen in Abendkleidern mit Tränen in den Augen echauffieren sich „Égoȉste, où es tu?“ („Egoist, wo bist Du?“), und ergänzen „Nur wer die
Sehnsucht kennt, weiß was wir leiden!“ oder „Zeige Dich!“, schließen und öffnen die Fensterläden und rufen dabei jeweils laut und emotional „Égoȉste!“. Der bezeichnete Mann streckt nur seinen behaarten Arm aus einem einen Spalt geöffneten
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Fensterladen und stellt demonstrativ sein Parfum auf die Brüstung davor – die Duftmarke. Und auch für „Coco“ ließ sich Goude ein einprägsames Motiv einfallen: Er zeigte Vanessa Paradis wie einen Vogel im Käfig. Für „Coco Mademoiselle“ posierte 2009 und 2010 auch Keira Knightley, damals vor allem durch die weibliche Hauptrolle in der „Fluch der Karibik“-Kino-Reihe in aller Munde. In einer für Chanel erstaunlich freizügigen Anzeige war sie nur bedeckt mit einem Tuch über den Hüften und einem vor die Brust gehaltenen Hut zu sehen, in einer anderen ebenfalls mit beinahe nacktem Oberkörper, 'jugendfrei' nur durch einen Hosenträger.
Die Liebhaberei der Düfte und Fläschchen ist weit verbreitet, Setzkästen und Vitrinen zeigen Fläschchen aller Formen und Größen. Parfumflakons von Chanel sind sicher der Grundstock jeder Sammlung auf diesem Gebiet, es gibt sie von der Pröbchen-Miniaturausgabe bis in Riesenformat: Eine 5-Liter-Faktise von „Chanel No. 5“ wurde 2019 im Kölner Auktionshaus Lempertz für 3.720 € versteigert. Es gibt unter anderem die Sorten „Chanel No. 5“ (seit 1921), „Chanel No. 19“, „Chanel No.
22“, „Coco“, „Coco Mademoiselle“, „Coco Noir“, „Chance“, „Allure“, „Bleu“, „Cristalle“ (zunächst übrigens „Cristal“), „Antaeus“, „Gabrielle“, „Égoȉste“, „Pour Monsieur“ oder „Paris – Venise“ (seit 2018). Viele andere sind nur kurz auf dem Markt
gewesen. Allerdings sind die Flakons selbst alle sehr schlicht, unterscheiden sich oft nur durch das aufgeklebte Etikett und haben sich über die Jahrzehnte kaum geändert. Lediglich „Chance“ befindet sich in einem kreisförmigen Flakon, die übrigen sind Quader, die von geschliffenen, ebenfalls quaderförmigen Glasstöp-
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seln verschlossen werden, manche auch mit schlichten, runden, in der Regel schwarzen Drehverschlüssen. Dabei existieren seit den 1950er-Jahren auch eigene Sorten beziehungsweise Varianten für
Männer oder „Sport“-Parfums, es gibt verschiedene Stärken, Sprüh- und Zerstäubergefäße und jeweils unterschiedliche Größen. Besonders beliebt bei Gebrauchtwarenjä-
gerinnen und Lederwarenfans sind aber auch die oft gesteppten Chanel-Handtaschen, die es nicht selten in sehr teuren limitierten Auflagen gibt. Kostüme, Jacken, Schmuck, Sonnenbrillen und Schuhe werden ebenfalls sehr gerne Second Hand gehandelt.
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Bei den Handtaschen bildet in jüngerer Zeit das Chanel-Logo den Verschluss, bei dem zunächst das rechte „C“ über dem linken und dann unten das linke über dem Rechten liegt. Schon an diesem lässt sich manchmal erkennen, dass es sich um eine Fälschung handelt, wenn nämlich eine Wölbung im Metall ist, das im Original flach gearbeitet ist. Außerdem sollte eine Seriennummer, die seit Mitte der 1980er-Jahre auf einer zugehörigen Authentizitätskarte steht, dabei sein: Zwischen 1984 und 1986 bestand diese Seriennummer aus sechs Ziffern, zwischen 1986 und 2004 aus sieben und alle seit 2005 haben acht Ziffern. Vor allem aber ist eine echte ChanelHandtasche sehr gut mit feinen, gerade laufenden Nähten gearbeitet und aus Material, das gut (und nicht nach Plastik oder Klebstoff) riecht. Ein mitgelieferter Staubbeutel mit präzise gedrucktem Logo ist ein weiterer Hinweis auf die Echtheit. Diese ist bei den oft sehr hohen Preisen der Taschen ja nicht unwichtig: So erzielte bei einer Auktion im Dorotheum eine schwarze Chanel „Jumbo Caviar Kelly Classic Bag“ von 2005/2006 mit „in Rauten gestepptem Kaviar-Leder“ im Jahr 2016 immerhin 3.750 Euro.
Die Chanel-Uhren sind vermutlich fälschungssicherer: Mit Schweizer Präzision hergestellt werden sie inzwischen extrem aufwändig gestaltet und mit einem großen Werbeaufwand versehen. Die aus kratzfester Keramik gearbeitete schwarze Sportuhr „J12“, die 1999 von Jacques Helleu (1938-2007) für Chanel entworfen wurde, sollte mit der Namensgebung an eine bekannte, schnelle Yacht erinnern, wurde zum 20-jährigen Jubiläum neu aufgelegt und erhielt den begehrten UhrmacherPreis „Grand Prix d'Horlogerie de Genève 2019“. Bei Christie's wurde 2019 eine der
seltenen „J12“ aus Weißgold und Keramik für 293.000 US-Dollar versteigert. Helleu hatte auch schon andere Chanel-Uhren wie „Première“, „Mademoiselle“ oder „Matelassée“ entworfen. Auch sie werden gerne Second Hand zu hohen Preisen gekauft.
inzwischen jährlich produzierten Schneekugeln, je nach Größe, Alter und Zustand zwischen 50 und 1.000 € gehandelt. Bei Parfum-Miniaturen jedoch kann ein Euro schon genügen, um der eigenen Sammlung etwas Hübsches, Neues hinzuzufügen.
Chanel-Fans lieben selbstverständlich auch die raren Kataloge (mit Titeln wie „Latin Lover“ mit Lagerfeld-Fotos von 2010), Leuchtreklamen oder große Plakate, all dies wird immer mal wieder verkauft, die Preise sind dabei sehr variabel. Speziell für Sammlerinnen und Sammler hergestellt gibt es darüber hinaus aber auch dekorative Dinge, wie die als Weihnachtsedition
Edmonde Charles-Roux: „Coco Chanel. Ein Leben“, Fischer Taschenbuch Verlag (Frankfurt am Main), 2005. „Coco Chanel. Der Beginn einer Leidenschaft. Ein Film von Anne Fontaine“ (in der Hauptrolle Audrey Tautou, Original: „Coco avant Chanel“), Warner Bros. Pictures, Haut et Court & Ciné, 2009. Marietta Riederer: „Wie Mode Mode wird“, Bruckmann (München) 1962. Vogue Mars, Spécial: „Coco Chanel. Une allure au présent“ (Vogue-Sonderheft zum Thema Chanel), 2009. „Mythos Chanel“, Ausstellungskatalog, Hamburg (Museum für Kunst und Gewerbe) 2014. Tilar J. Mazzeo: „Chanel No. 5: Die Geschichte des berühmtesten Parfums der Welt.“ dtv (München) 2014. Alle Abbildungen / Objekte privat, wenn nicht anders angegeben, Anzeigen aus dem Archiv der Autorin, www.kabinett-stueckchen.de