Trödler 10/2020

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Europas Sammlermagazin

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• € 4,90

Schweiz CHF 8,50 | Österreich € 5,50

Bartmannkrüge Münzbecher


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www.battenberg-gietl.de


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EXPERTISEN

■ Aquarell

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Ich habe hier ein Bild eines Pandabären, Aquarell oder Druck, limitiert 16/200, Edition Berliner Kindl 1986, wohl auf „Japanpapier“ gedruckt. Unten rechts befindet sich die Signatur des Künstlers, die ich leider nicht entziffern kann. Auch mit diesen asiatischen Schriftzeichen kann ich leider nichts anfangen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir weiterhelfen könnten. Das Rahmenaußenmaß beträgt 56,5 x 47,8 cm, der Bildausschnitt etwa 40,5 x 33,5 cm. Ernst Balazs, o.O.

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Das dekorative Aquarell zeigt ein Panda Propaganda-Bärchen, wohl den Berliner Panda Bao Bao (1978-2012), ein Bierglas haltend, daneben ein weiteres Bierglas mit dem Schriftzug „Berliner Kindl“ und darüber auf Chinesisch „Berliner Kenner (?) Bier 1986“. Links unten ist die dekorative Fingerübung mit einem Künstler Namens-

stempel „Wang Nu dessen Siegel“ signiert sowie mit der Nummer als Edition gekennzeichnet, rechts unten mit Bleistift signiert „Wang Nu“ (?). Vermutlich handelt es sich um ein Aquarell und keinen nummerierten Lichtdruck. Die Beschriftung auf dem Passepartout lässt keinen Zweifel, dass es sich um eine Edition der Berliner Kindl Brauerei handelt. Diese Brauerei hat in den 1980er-Jahren eine Reihe von Editionen herausgebracht. Eine weitere Recherche im Firmenarchiv war durch CoronaBeschränkungen leider nicht möglich. Als Zeugnis der inzwischen historischen Panda-Diplomatie / Wandel durch Annäherung-Phase in der deutsch-chinesischen Politik handelt es sich um ein zu be-

wahrendes Dokument. Ein Sammler von Brauereiartikeln mag dafür 50 bis 100 Euro bewilligen. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachversändiger, Jagdschloss Göhrde

■ Kupferrelief

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Diese ovale Kupferprägung ist gut lesbar mit „G. Durst“ signiert und misst quer 77 cm, in der Höhe 48 cm und hat ein Gewicht von 2,3 kg. Können Sie mir mit Ihrem Expertenwissen nähere Auskunft geben zu diesem Künstler und herausfinden, wann das Kunstwerk entstanden ist? Es wäre schön, wenn Sie außerdem einen

■ In dieser Rubrik beantworten unsere Experten Ihre Fragen zu dem einen oder anderen guten Stück. Doch leider sehen wir uns außerstande, ganze Nachlässe oder sämtliche sich in Ihrem Haushalt befindlichen Trouvaillen bewerten und schätzen zu lassen. Auch bitten wir um Verständnis, wenn es mit der Bearbeitung länger dauert. Senden Sie uns also Ihre Anfrage nur zu einem zu bestimmenden Objekt – mit detaillierter Beschreibung und gutem Foto, auf dem das Objekt ganz abgebildet ist. Noch ein Hinweis zu den Preisen, die von Fall zu Fall von unseren Experten genannt werden: Hierbei handelt es sich um Richtwerte, die anhand von Fotos allein getroffen werden und je nach Zustand des Objekts nach oben oder nach unten korrigiert werden können. Ihre Anfrage schicken Sie bitte an: Gemi Verlags GmbH Redaktion Leserforum Pfaffenhofener Straße 3 85293 Reichertshausen

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LESERFORUM 5 ungefähren Wert angeben könnten. Das Werk ist zu hundert Prozent unbeschädigt und in einem sehr guten Zustand.

Kommt sie aus dem östlichen Raum? Ich habe 25 Euro dafür gezahlt. Margret Crisp, Schwalmtal

Vukov Maikel, Althengstett

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Die dekorative Maria mit dem Jesuskind wurde vermutlich in Katalonien hergestellt. Die Figur steht in der Tradition der „Santos"-Heiligen-Darstellungen. Basierend auf romanischen Skulpturen des 12. Jahrhunderts entwickelte sich eine Richtung der Volkskunst, die von Katalonien und Spanien aus auch in spanischen Kolonien weitergeführt wurde. Die Marienfigur in Ihrem Besitz wurde vermutlich in

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Das Kupferdrückbild in Ihrem Besitz ist ein typisches Erzeugnis der 1960er- bis 1970er-Jahre. Dargestellt ist ein Stillleben, bestehend aus Getreideähren, Fruchtschale mit Apfel und Birne sowie Weinpokal und Weinkrug oder Bempel. Die perspektivische Darstellung gehört nicht zu den Stärken des Laienkünstlers „G. Durst“. Im Vergleich zu den meisten Kupferdrückbildern zählt dieses jedoch zu den besseren. Kupfer lässt sich sehr leicht bearbeiten und das glänzende Metall liefert sehr schnell vorzeigbare Ergebnisse, daher sind sehr viele Bundesbürger der Wirtschaftswunderzeit dem Hobby des Kupferdrückens nachgegangen. Das Kupferrelief eines unbekannten talentierten Laien, vermutlich aus der Region Stuttgart, bewerte ich mit unter 50 Euro. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger, Jagdschloss Göhrde

■ Fotolithografie

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Trotz des auf der Rückseite der Umrahmung aufgeklebten Zettels habe ich keine Infos zu dem Künstler und einen möglichen Wert der Grafik. Neben dieser Grafik habe ich noch zwei weitere des mutmaßlich selben Künstlers. Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mir die entsprechenden Informationen geben könnten und auch ob der Wert für diese Graphik als Anhaltspunkt für die beiden anderen Graphiken verwendet werden kann. Dieter Steiner, o.O.

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Das zu bewertende Objekt ist eine Fotolithografie auf Papier mit den Maßen 70 x 50 cm. Das Blatt zeigt eine kniende Dame mit einem blumengeschmückten Hut, die vor einem Brunnen in der Gesellschaft weißer Vögel kniet. Einer dieser Vögel hat sich auf ihrer Hand niedergelassen. Die Grafik ist nicht signiert und ist handschriftlich in Bleistift mit der Edition von 32/500 versehen. Das heißt dies ist die 32. Grafik aus einer Gesamtauflage von 500 Stück. Laut des Klebeetiketts auf der Rückseite

des Kunstwerks ist diese Grafik nach einem Entwurf des italienischen Künstlers Innocenzo Melani gefertigt. Dieser Künstler wurde 1933 geboren und wählt häufig Frauen in sommerlicher Kleidung zum Motiv seiner Kunst, die meist in Druckgrafiken und wenigen Gemälden auf dem Auktionsmarkt zu finden ist. In einer Auktion sollte diese Grafik mit 30 bis 60 Euro angesetzt werden. Georg Ottomeyer, Experte Berlin

■ Maria mit dem Jesuskind

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Kürzlich kaufte ich auf dem Radschlägermarkt Düsseldorf eine Heiligenfigur. Sie ist 46 cm hoch, aus Holz mit einer weißen gipsartigen Grundierungsmasse bestrichen, auf die dann die Farbe gegeben wurde. Es handelt sich um die Gottesmutter, die eine russisch-grüne langärmelige Bluse trägt und einen langen dunkelbraunen Rock. Das lange Kopftuch hat die gleiche Farbe. Gesicht und Hände sind cremefarben, die Augen blau, die sichtbaren Füße angestoßen. Mit ihren klobigen cremefarbenen Händen umfasst sie Jesus, der ein älteres Gesicht aufweist, also schon 12 Jahre alt sein könnte. Sein Gesicht und seine sichtbaren rechte segnende Hand sind cremefarben. Die langen schwarzen Haare sind in der Mitte gescheitelt. Er trägt ein weißes Gewand und einen blauen Umhang. Die Holzfigur ist von der Stirn aus bis zur Mitte hinten gespalten. Auch die rechte Seite zeigt von der Mitte bis unten einen Riss sowie Wurmlöcher. Wie alt könnte die Figur sein?

den 1960er-Jahren hergestellt. Als Vorlage könnte die „Jungfrau von Ger“ aus der Kirche Santa Coloma de Ger gedient haben. Seit 1958 befindet sich die Statue im Museu Nacional d´Art de Catalunya in Barcelona. Die Schnitzerei in Ihrem Besitz ist betont einfach, das gleiche gilt für die Fassung und zudem wurde die Figur mit einer künstlichen Patina versehen. Aktuell würde ich für dieses Werk der Volkskunst 50 bis 100 Euro ansetzen. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger, Jagdschloss Göhrde

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! In diesem Jahr feiert das Oberlandesgericht Hamm seinen zweihundertsten Geburtstag. Das Gustav-Lübcke-Museum zeigt anlässlich dieses Jubiläums eine Ausstellung zu einem bislang kaum beachteten Thema: die Gerichtszeichnung. Bedingt durch das Verbot der Medien-

hand entstandenen Werke schließen eine Lücke in der medialen Berichterstattung. In der Ausstellung werden Zeichnungen zu verschiedenen prominenten Prozessen, die uns auch heute noch in Erinnerung sind, präsentiert. Darüber hinaus wird die Gerichtszeichnung künstlerisch weitergedacht, wodurch neue, spannende und eigenständige Werke entstehen. Insgesamt sind fast 80 Werke in der Studio-Ausstellung bis 3. Januar zu sehen. berichterstattung aus deutschen Gerichtssälen entstehen bis heute gezeichnete Bilder, die Prozesse nicht nur dokumentieren, sondern die interessierte Öffentlichkeit an den Verhandlungen regelrecht teilnehmen lassen. Auftraggeber für die zumeist kolorierten Zeichnungen sind TV-Anstalten und Zeitungen. Die durch Künstler-

! Zum zehnjährigen Jubiläum präsentieren die Komischen Künste in Wien eine hochkarätige Auswahl der lustigsten Bilder aus den 52 Ausstellungen, die in den Jahren 2010 bis 2020 in der Galerie der Komischen Künste im MuseumsQuartier in Wien zu sehen waren – ein Best-of, bei dem garantiert jede(r) etwas zum Lachen findet, mit Cartoons und Karikaturen von Bruno Haberzettl, Dan Piraro, Heike Drewelow, Katharina Greve, Martin Zak, Michael Sowa, Miriam Wurster, Nicolas Mahler, Oliver Ottitsch, Rudi Hurzlmeier, Schilling & Blum und vielen mehr. Zur Ausstellung erscheint auch ein Katalog, in dem alle Cartoons enthalten sind. (Bis 27. Februar 2021)

! Welchen Einfluss hatten der Expressionismus und die sachliche Moderne auf die staatliche Ästhetik der ersten deutschen Demokratie? Wie wurde über die Gestal-

tung nationaler Symbole wie Adler oder Flagge entschieden? Der Kunsthistoriker und Werkbund-Akteur Edwin Redslob hatte in der Weimarer Republik das Amt des Reichskunstwarts inne. In dieser bis heute einmaligen Funktion versuchte er, Prinzipien moderner Gestaltung auf ein nationales Erscheinungsbild zu übertragen, das auf Wappen, Schildern, Geldscheinen, Briefmarken, Urkunden und Siegeln sichtbar werden sollte. Alle staatlichen Symbole sollten neu – im Sinne einer parlamentarischen Demokratie – gestaltet werden und sich vom Kaiserreich abgrenzen. Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge spürt auf der Basis von Redslobs Nachlass den künstlerischen Entwurfs- und politischen Entscheidungsprozessen nach


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historischen Zeitzeugnissen entsprechend zelebrieren zu kännen. Das Großereignis in Sachen Antiquitäten und Sammeln hält mit einem ausgeklügelten Sicherheitskonzept bereit. Aus engen Marktgassen werden weite Besucherwege und während des gesamten Marktgeschehens kontrollieren Ordnungskräfte die Einhaltung der Abstandsregeln, die gebotene Maskenpflicht etc. Unter dem Motto „Erlaubt ist alles, nur alt, selten oder schräg muss es sein“ findet sich Antikes neben Second Hand, opulente Stücke neben feinen Preziosen. Ob am Biedermeier, dem 20er-Jahre-Style, an purer Ostalgie oder historischen Zeitzeugnissen, nicht nur Sammler und Nostalgiefans erfreuen sich an den alten Zeiten und Dingen, an diesem lebendigen Durch- und Miteinander – Geschichte zum Anschauen, Anfassen und mit nach Hause nehmen, gelebte Erinnerungskultur par excellence. Bei weit mehr als 800 Ständen im Freien vom Reiterdenkmalplatz bis hin zur Tribühne, in deren lichtdurchfluteten Halle die diesmal kleinere Sammlerbörse Platz findet, und weiter zu den riesigen Wiesenflächen entlang und im Oval der Rennbahn, wo sich Händler von weiter her mit ihren großen, prallvollgefüllten Hängern niederlassen, lässt es sich großzügig mit allem Drum und Dran in die „gute alte Zeit” eintauchen. und hinterfragt dabei deren Grundlagen damals wie heute. Wozu dienen Nationalsymbole wie der Reichs- bzw. heute der Bundesadler? Welche Bedeutung haben sie für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft? (Bis 20. Oktober)

! Die nächste Puppen- & Bärenbörse findet am Sonntag, dem 25. Oktober im Vortragssaal des Kunsthauses Zürich statt. Den Umständen entsprechend ist eine Börse wie diese leichter möglich zu organisieren. Beim Ersatztermin im Juni sind die Hygie-

! Berlins größter Marktevent wird übersichtlicher und exklusiver denn je. Der Riesenflohmarkt zum Tag der Deutschen Einheit findet auf der Trabrennbahn Berlin Karlshorst zwei Tage lang, am Samstag und Sonntag, 3. und 4. Oktober 2020 von 9 bis 17 Uhr statt. Der oldthing-Feiertagsevent ist mit 800 Ständen und rund 20.000 Besuchern eine Nummer für sich und seit Jahren bekannt für seine gepflegte und entspannte Stimmung. Von Glück kann man allerdings reden, dass die weitläufige Trabrennbahn seit drei Jahren ein neues Zuhause ist. Am 3,7 Quadratkilometer großen, offenen Pferdesportparkgelände in unmittelbarer Nähe zum S-Bahnhof Karlshorst hat selbst Corona keine Chance, den beliebten Markt zu verhindern. Das traditionelle, jährliche Treffen der Antik- und Nostalgiefans wird sich hingegen noch ausladender präsentieren, um das überbordende Aufgebot an

ne-Maßnahmen von allen respektiert worden. Es waren weniger Aussteller und Besucher da und dennoch war die Veranstaltung nach so langer Abstinenz ein großer Erfolg. Einige Austeller waren sehr zufrieden mit dem Verkauf. Andere waren froh, wieder mal bei einer Börse zu sein. Für die kommende Puppen- & Bärenbörse am 25. Oktober sind wieder weit mehr Aussteller angemeldet. Da an der Börse Maskenpflicht angesagt ist, sind auch wieder im Saal mehr Aussteller zugelassen. Diese haben wieder einiges zu bieten. Zu finden werden Sasha Puppen, Bekleidung und Zubehör für Puppen sein, ein Stand mit ausgesucht schönen Steifftieren und Teddybären wird das Angebot bereichern. Des Weiteren wird ausgewählter Weihnachtsschmuck zum Verkauf kommen. Edle Stuben, Küchen und Krämerläden und dem entsprechen Zubehör wird erwartet.


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Wer auf Münzbecher stößt, der kommt entweder von der Numismatik oder vom Silbergeschirr und fasst diese Becher als seinem Sammelgebiet anschließbare Variation auf, doch es ist auch möglich, Münzbecher als solche zu sammeln. Anhand einer solchen Sammlung lassen sich die Grundlagen dieses sehr speziellen und beeindruckenden Sammelbereichs aufdecken.

Münzen wurden aus verschiedenen Gründen in Objekte eingesetzt und damit weiterverwertet. Häufig wurden solche Umar-

beitungen als Geschenk weitergegeben, was genauso auf Münzen zutrifft: Als Geldgeschenk waren Münzen wie auch Münzattrappen zu allen Zeiten beliebt. Als Zierelement in einem Becher, einer Schale oder einem Schmuckstück erfüllen Münzen diesen Zweck in besonders ansprechender Weise. Handelte es sich um außer Kurs gesetzte Zahlungsmittel, so vermochte die Münze durch ihren Materialwert und ihre Gestaltung einen neuen Zweck zu erfüllen. Bei besonders wertvollen oder seltenen Stücken kam noch ein gewisser Sammlerreiz hinzu. Auch thematisch konnte die Münze dem Beschenkten etwas „sagen“, wenn es etwa um bestimmte Herrscherporträts, die Region ihrer Gültigkeit oder etwa um die Aussage einer Medaille ging.

Zweifellos lag aber der Hauptgrund für die Verarbeitung von Münzen zu Zierobjekten in der immensen dekorativen Wirkung, die von dieser handwerklich oft überaus kunstvoll bewerkstelligten Kombination ausging. Die Gleichmäßigkeit einer regelmäßig mit Münzen überzogenen Becherwandung wirkt schon für sich; das Wechselspiel, das die Münzbilder mit den dazwischenliegenden, oft ornamental gravierten Freiflächen eingehen, gibt eine Vorstellung vom gestalterischen Geschmack und den Ordnungsprinzipien einer Zeit, die auch noch eine andere, ähnliche Verbindungsform mit runden Scheiben gefunden hat: nämlich die bleiverbundenen Butzenscheiben, in denen in regelmäßiger Anordnung runde Glasscheiben verlötet wurden. Im 16. Jahrhundert, als die ersten Münzbecher auftauchten, waren solche Glasfenster der Standard, ihre Textur war jedermann geläufig, auch in den höheren Ständen, die sich der schmuckvollen Becher aus Repräsentationsgründen bedienten. Es war einfach ein Stück Designsprache dieser Zeit. Die Geschichte dieser Becher erlebte ihre hohe Zeit bis ins 19. Jahrhundert, danach gerieten diese Kunststücke aus der Mode, wenngleich die alten Stücke auch dann noch gehütet und weitergegeben wurden. Nur neu hergestellt wurden sie danach nicht mehr so oft, vielleicht auch, weil dies auch für einen befähigten Gold- oder Silberschmied eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe ist. Und wenn man sie doch noch anfertigte, dann gerieten sie zunehmend schlichter, zumal auch der Historismus mit seiner saftigen Formengewalt längst abgeebbt war.


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Die Herstellung eines guten Münzbechers ist schon deshalb schwierig, weil die Münzen nicht etwa auf die Becheroberfläche aufgelegt werden, sondern weil überall da, wo eine Münze eingesetzt werden soll, eine ebenso große Fläche aus der Wandung ausgeschnitten werden muss, in die man dann die Münze paßgenau einsetzt und gleichmäßig mit dem Wandmaterial verlötet. Das wirft von Anfang an das Problem auf, diese Durchbrüche exakt über den

Becherumfang zu verteilen, und zwar in der Weise, dass jede dieser Münzreihen in etwa gleich große Zwischenräume aufweist oder mindestens harmonisch zu den anderen passt. In der Regel wurde versucht, möglichst viele Münzen auf dem Becher unterzubringen, und die Flächen, die dazwischen stehenblieben, wurden mit filigranem Blatt- oder Ornamentwerk graviert oder anderweitig mit Dekorationselementen verziert. Schließlich schuf man bei den meisten dieser Becher auch noch eine Staffelung durch das Vergolden bestimmter Teile, so dass sich aus dem Wechselspiel goldener und silberner Flächen und Ornamente noch ein weiterer optischer Reiz ergab. Nicht unerwähnt soll außerdem bleiben, dass auch im Boden meist noch eine Münze oder Medaille zu finden ist, sehr häufig sogar das beste und teuerste Stück des ganzen Bechers – was schon deshalb nicht verwundert, weil dort unten der einzige Platz ist, der auch deutlich größere Münzen umfassen kann, ohne dass man sie verformen muss.

Neben reinen Münzbechern gibt es die besonders bemerkenswerten Talerbecher, deren bescheidene Erscheinungsform leicht darüber hinwegtäuschen kann, welche Kunstfertigkeit für ihre Herstellung

aufgewendet werden muss: Ein solcher Talerbecher wird durch kaltes Umschmieden aus einem einzigen Talerstück getrieben, und zwar so genau und sorgfältig, dass der Rand der Münze unversehrt erhalten bleibt und nun auch den oberen Rand des fertigen Bechers bildet. Durch Vergleichen der Ränder lässt sich feststellen, aus welchem Taler der jeweilige Becher einst entstanden ist. Vergleicht man die Gewichte, so kann man, wie bei den uns gezeigten Exemplaren, 26,62 bzw. 26,4 g ermitteln, während ein entsprechender Taler auf 27,2 g kommt. Der Gewichtsverlust kann auf den Schmiedevorgang sowie späteres Polieren der fertigen Becher zurückgeführt werden, vielleicht waren aber auch die Ursprungsmünzen etwas leichter als das uns vorliegende Vergleichsstück. Die in die Wandung eines Bechers eingearbeiteten Münzen müssen nicht zwangsläufig besonders stark abgegriffen sein, weil solche Becher keine Gebrauchsgegenstände, sondern stets Repräsentationsstücke waren. Nirgends aber gehen sie mit dem Trägerobjekt eine so sinnfällige Verbindung ein wie mit dem Becher. Im christlichen Ritus ist es bis heute konfessionsübergreifend der wichtigste Gegenstand. Dementsprechend kunstvoll wurden Becher, die in diesem Sinne gebraucht werden sollten, verfertigt. Sie werden als besonders symbolstarkes Objekt mit Bedacht benutzt und mit großer Sorgfalt verwahrt. In den Pokalen des Sports und anderer Wettbewerbe begegnet uns


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der Becher wieder, in den Medaillentrophäen die Grundform der Münze. Die Entwicklung der Münzbecher-Formen geht vom relativ einfachen, meist deckellosen, zuweilen aber auch mit Deckeln versehenen Becher des 16. bis 18. Jahrhunderts zum üppigen Henkelpokal mit aufwändigem Klappdeckel, Tatzenfüßen und bauchig ausladender Form des Historismus. Nach der Zeitenwende des Ersten Weltkriegs hielt man die opulenten Prunkpokale überwiegend für Relikte einer vergangenen Zeit. Lediglich im familiären Bereich wurden solche Träger von Tradition weiterhin wertgeschätzt, wie auch zu besonderen Anlässen weiterhin Münzobjekte in Auftrag gegeben wurden. Die historischen Stücke wurden entweder weitervererbt oder gerieten in private oder öffentliche Sammlungen. In unserer Zeit tauchen Münzbecher immer wieder einmal in Auktionen oder Online-Angeboten auf, sie erfreuen sich als kleines, aber distinguiertes Sammelgebiet großer Beliebtheit: Einerseits der Sache selbst wegen, weil diese Becher in der Regel immer sehr attraktiv sind, andererseits aufgrund der Tatsache, dass hier jeder Schritt ein großer ist, vor allem finanziell. Wer Münzbecher sammelt, muss bei jedem neuen Stück mindestens vierstellig denken. Das führt zwangsläufig zu einer starken Fokussierung auf die Frage, was genau man eigentlich will. Aber nicht zuletzt hält das auch die Sammlung selbst kompakt und überschaubar, schützt sie vor Verwässerung und bewahrt den Sammler davor, sich zu verzetteln.

Eine solche Sammlung kann zeitlich, thematisch, regional oder formbezogen geplant werden. Aus dem gerade genannten

finanziellen Grund wird so eine Sammlung aber in den wenigsten Fällen das Dutzend überschreiten, weshalb man wahrscheinlich auf Sammelkriterien verzichten kann und sich einfach an dem orientiert, was einen anspricht. In einer Sammlung, die langfristig vielleicht drei Stücke umfasst, spielen die gängigen Planungskriterien also keine besonders große Rolle. Weit eher kann es vorkommen, dass ein Münzobjekt zur Ergänzung einer bereits bestehenden Münzsammlung herangenommen wird. Hier spielt gerade der Münzbecher wieder seinen großen Vorzug aus, dass er überragend repräsentativ ist und damit einer Münzsammlung, die als Einheitsfront eines Schubladensystems streckenweise nicht eben sexy ist, ein prunkvoll-anziehendes Gesicht gibt. Interessanterweise ist die Ausstrahlung eines Münzbechers

ungleich stärker, wenn er alleine oder in der kleinen Gruppe steht, zum Beispiel mit anderen Münzobjekten. Aus den oben beschriebenen spirituellen Gründen ist der Becher per se ein Solitär, und wenn er als solcher inszeniert wird, zieht er alle Aufmerksamkeit ungeteilt auf sich. Die Becher selbst lassen sich nach verschiedenen Aspekten ihrer Entstehung und der auf ihnen angebrachten Münzen befragen. Zunächst ist dies die Grundform, die selbstverständlich im Zusammenhang mit der allgemeinen Gestaltung von Bechern korrespondiert – alleine schon deshalb, weil für die Herstellung eines Münzbechers üblicherweise ein bereits vorhandener Becher verwendet wurde. Im engen Zusammenhang damit steht die Frage nach der Entstehungszeit und der regionalen Herkunft, nicht selten lässt sich sogar der Meister ausmachen, der den Becher hergestellt hat. Für die Entstehung des Bechers selbst lässt sich keine exakte Datierung vornehmen, weil es hier ja um Umarbeitungen geht. Der Zeitpunkt derselben kann jedoch nicht vor dem Entstehungsjahr der dafür verwendeten Münzen liegen, d. h., dass die jüngste verwendete Münze das Alter des fertigen Münzbechers auf jeden Fall nach hinten absichert. Da jedoch in vielen Fällen schon damals als historisch angesehene Münzen eingearbeitet worden sind, ist dieses Verfahren trotz allem nicht genau und kann daher nur einen groben Hinweis geben. Weitere Informationen wie Signaturen, Gravuren, Widmungen, Punzierungen oder formale Hinweise helfen bei der Eingrenzung der Entstehungszeit.


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Wir hatten die besondere Gelegenheit, für die Recherche zu diesem Artikel die vielleicht größte private Sammlung solcher Münzbecher im deutschen Sprachraum

zu besuchen, wollen aber aus naheliegenden Gründen keine näheren Angaben zum Sammler und zur Örtlichkeit machen. Jedenfalls führt die Anreise durch eine der schöneren Landschaften Deutschlands, nördlich eines stark von Autobahnen durchflochtenen Ballungsraums. Hier, wo für alles etwas mehr Platz zu sein und die Zeit ein bisschen langsamer zu vergehen scheint, gelangt man schließlich an ein langgezogenes, altes Haus, in welchem sich zwei Menschen eine richtige eigene Welt geschaffen haben, deren Details aufzuzählen schier jeden Rahmen sprengen würde. Zwischen historischen Möbeln von Rang, zwischen Gemälden und antiken Waffen, mystischen Naturalien und wertvollen Kleinodien befindet sich eine Sammlung von rund fünfzehn Münzbechern und -pokalen, von denen jeder für sich schon als Glanzstück gelten kann. Flankiert werden diese Stücke von verwandten Kunsterzeugnissen, also etwa einer Münzschale oder einer Deckeldose mit eingearbeiteten Münzen, von den schon beschriebenen Talerbechern und einem Münzbecher aus experimenteller Neuanfertigung, deren Zweck allein darin lag, die Machart dieses Kunsthandwerks besser zu verstehen. Die beiden Sammler zeigen ihre Becher mit diskretem Stolz: Es ist schließlich überhaupt nicht leicht, solche Stücke überhaupt zu finden und dann auch noch die jeweilige Auktion für sich zu entscheiden. Unter den Münzbechern haben die älteren, schlichten Stücke die kräftigere Ausstrahlung, obwohl ihre Formen einfacher gehalten sind und ihrer kleineren Maße wegen nicht einmal besonders viele Münzen auf ihre Wandung und den Boden passen. Der Grund, warum sie sozusagen mehr Appeal haben als ihre größeren Nachfolger, liegt darin, dass sie ohne den historischen Pomp auskommen, auf den die Gold- und Silberschmiede des späten neunzehnten Jahrhunderts setzten. Ihre Form ist die eines schlichten Bechers, allenfalls am Fuß und am Rand mit einer zierenden Auswölbung versehen, das war’s. Alles Weitere machen die Münzen und die zwischen ihnen angeordneten Verzierungen und Teilvergoldungen. Diese Nonchalance des geschmackvoll gestaltenden handwerklichen Meisters wich im Historismus einem Prunk, der nicht mehr nur mit souveränem Können spielt, sondern mit dem Effekt, und das sieht man diesen Bechern an.

Zunächst werden vier ältere Münzbecher vorgestellt, danach die etwas jüngeren Exemplare. Der erste Becher ist etwa 15 cm hoch und hat einen Durchmesser von 11,8 cm. Er wiegt ungefähr 500 Gramm. Im Boden befindet sich eine Silbermünze auf den Kurfürsten Johann Georg I. von Sachsen (Regierungszeit 1615-1656), gestaltet im Jah-

re 1631 von S. Dadler. Sie thematisiert den haushohen sächsisch-schwedischen Sieg über die kaiserlichen Truppen Tillys bei Breitenfeld (Leipzig) im Dreißigjährigen Krieg und erlaubt daher eine sichere Festlegung des frühestmöglichen Entstehungszeitpunkts dieses Bechers. In der Becherwandung befinden sich etliche Münzen mit Herrscherabbildungen, die natürlich kunstgerecht durch die Wandung gehen, also nicht bloß aufgelötet sind. Diese Methode, Münzen in eine gekrümmte Becherwandung einzufügen, ist sehr schwierig, weil sich das Material verzieht, und genau das macht einen Teil des hohen Ansehens aus, das Becher dieser Art unter Sammlern genießen. Der zweite Becher wiegt nur 350 Gramm, er hat eine Höhe von 12 cm und einen Durchmesser von 10,5 cm. Im Boden ist ein großer Taler auf Albert von Brandenburg eingesetzt, die Wandung ist mit kleineren Münzen und einigen Namensgravuren versehen. Der dritte Becher wiegt etwa 320 Gramm, ist 11,5 cm hoch und misst 9,6 cm im Durchmesser. Im Boden trägt er eine Münze aus dem Jahre 1711. Der vierte dieser älteren Becher wiegt ungefähr 200 Gramm, er ist 10,5 cm hoch und hat einen Durchmesser von 8 cm, auch er trägt im Boden eine Münze. Allen vier Bechern ist nicht nur gemeinsam, dass sie eine Münze im Boden tragen, sondern sie haben auch alle keinen Deckel. Ob sie früher welche hatten, ist fraglich; eventuell könnte die Suche nach Schleifspuren am oberen Rand Aufschluss geben. Aus späterer Zeit sind viele Exemplare bekannt, die mit Deckeln ver-


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sehen sind. Es ist hingegen unwahrscheinlich, dass alle frühen Becher ihre Deckel verloren haben sollten. Anschließend bekommen wir einen kleinen Münzbecher zu sehen, der ungefähr 90 Gramm wiegt, eine Höhe von 6 cm und einen Durchmesser von 5,5 cm aufweist. Die Münze, die er im Boden trägt, ist besonders interessant, denn sie stammt aus Magdeburg und weist einen Nominalwert von 2/3 Talern auf. Der Becher ist mit dem Heiligen Georg und zwei Radschlosspistolen verziert. Georg, der Schutzpatron der Reiter bzw. Ritter, also der Soldaten, und die Waffen verweisen auf eine Verwendung dieses Bechers im militärischen Kontext, vielleicht war er ein Geschenk für einen General. Der Becher besteht aus Silber und ist teilvergoldet, an ihm fällt besonders seine sehr feine, schöne Girlandengravur auf. Die neueren Becher, die wir hier gezeigt bekommen, sind oft in der Form eines Humpens gestaltet und verfügen schon deshalb öfter über ihre Deckel. An ihnen ist sehr gut nachvollziehbar, wie sich die Gestalt dieser Gefäße vom schlichten Becher zum auffällig gearbeiteten Humpen oder Pokal entwickelt hat. Erst hier kann man von der Form des voll ausgebildeten Zier- oder Schaubechers sprechen, seine Funktion war ganz klar die der Repräsentation. Symbolträchtige Zierelemente weisen in vielen Fällen auf den jeweiligen Stiftungszweck hin. Der erste dieser neueren Becher ist mit einem Äskulapstab verziert und verweist damit auf den medizinischen Bereich. Mit der beeindruckenden Höhe von 34 cm und dem seltenen Merkmal einer Innenvergoldung gehört er auf jeden Fall zu den besonders bemerkenswerten Bechern seiner Zeit. Er ist nicht nur mit zahlreichen Münzen verziert, sondern trägt auch eine Gravur: „Aus Dankbarkeit“, womit er verrät, weshalb er angefertigt worden ist. Höchstwahrscheinlich wurde er einst einem Arzt zum Geschenk gemacht. Der zweite Becher aus dieser Gruppe ist mit einer Höhe von 41,5 cm noch üppiger dimensioniert. Verziert ist er mit einem Fahnenträger und dem Mainzer Stadtwap-

pen. Die auf ihm angebrachte Gravur dokumentiert einwandfrei seinen Entstehungsgrund: „Jubiläumsschießen 1912 Frankfurt am Main – Ehrengabe der Stadt Mainz“. Der Becher ist allerdings komplett mit Zaponlack beschichtet. Dies ist wohl erfolgt, um ein Anlaufen des Silbers zu verhindern. Allerdings ist der Becher dadurch ganz matt geworden. Eine Reinigung, bei der dieser Lack entfernt werden könnte, würde den Becher wieder in seinem ursprünglichen Glanz erstrahlen lassen. Zu dem Becher gibt es sogar eine genaue Beschreibung aller Münzen, außerdem ist er signiert („Rückert“) und mit Halbmond,


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Krone und der Zahl 800 punziert. Das Stadtwappen ist emailliert gearbeitet. Auch wenn also der Erhaltungszustand dieses Bechers im Augenblick nicht so besonders gut ist, weist er eine bemerkenswert gute Substanz und Provenienz aus und kann sich nach erfolgter Restaurierung zum echten Glanzstück der Sammlung entwickeln. Der historistische Stil ist wahrscheinlich nicht jedermanns Sache, und so wird es Leute geben, die dem dritten Becher mit seiner zeitbedingten Ästhetik eher skeptisch gegenüberstehen. Er weist einen etwas knubbeligen Griff auf, ist aber insgesamt sehr gut ausgeführt: Eine Gravur „Karlshorst, 12. Mai 1910“ weist ihn als Rennpokal aus, im Deckel befindet sich eine Münze mit dem Kaiser Wilhelm. Der Pokal ist signiert mit „Wagner & Sohn 800“.

Seine bis zur Daumenruhe gemessene Höhe beträgt 30,5 cm. Beim vierten Becher handelt es sich um den sogenannten „Becher der Welfen“, auch dieser Becher ist ein Reiterpokal. Er wurde von Kaiser Wilhelm am 4. Juli 1886 dem Sieger in der „Großen Hannoverschen Stiepelsches“ verliehen. Dabei handelte es sich um ein gleichermaßen berühmtes wie traditionsreiches Pferderennen von Kirchturm zu Kirchturm. Die Höhe dieses Pokals beträgt 37 cm. Anschließend sehen wir einen aufgrund seiner Entstehungsgeschichte besonderen Becher, sozusagen einen Sonderfall. Dieser Hochzeitsbecher weist einige Besonderheiten auf. Seine Gravuren stammen zwar aus dem 18. Jahrhundert, aber er wurde wahrscheinlich nachbearbeitet.

Er weist Punzierungen neben dem Griff auf, außerdem ist er mit Tauftalern versehen. Im Boden befindet sich eingeritzt eine Gewichtsangabe: 2 lb 59 g, geschrieben in einer Handschrift des 19. Jahrhunderts. Punziert ist der Becher mit dem Zeichen der Firma Wagner vor 1871 und dem Berliner Bären. Als Familienhumpen der Familie Jürst wurde dieser Becher auf den jährlichen Familientreffen herumgereicht, was auf einem beiliegenden Blatt genau dokumentiert ist. Dadurch ist ein interessantes und nachahmenswertes Beispiel gegeben, wie diese Becher auch heute noch praktisch und sinnstiftend verwendet werden können. Mit einer Höhe von 22,5 cm ist dies ein nicht so besonders großer Becher, aber seine rätselhafte Entstehungsgeschichte stiftet zum Weiterdenken an: Möglicherweise hat man ihn im 19. Jahrhundert durch Weiterbearbeitung eines damals schon historischen Stückes geschaffen. Eine genauere kunsthistorische Obduktion könnte Licht in diese Frage bringen. Als nächstes bekommen wir einen schö-


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nen Deckelpokal aus dem 19. Jahrhundert zu Gesicht. Er hat eine Höhe von 35 cm und ist an der Oberseite mit einem Pinienzapfen versehen. Der Hersteller L. Bertsch hat auf dem Becher seine Punze angebracht und dabei den Silbergehalt mit 800 angegeben. Der Becher ist mit Kaiserreichsmünzen und einem Familienwappen verziert. Auch hier also ein Hinweis auf die Verwendung als einigendes Familiensymbol – eine passende Verwendungsidee für Becher dieser Art, gerade weil man gemeinsam einen Schluck daraus trinken kann, wie man es ja aus dem Ritus christlicher Gemeinden als einigendes Element kennt. Dieser Becher weist keinen Henkel auf. Der nächste Becher ist wiederum genau datiert, er trägt die Inschrift: „Düsseldorf 1891, Leopold Fürst von Hohenzollern, Protektor des St. Sebastian-Schützenvereins, dem Schützenkönige“. Oben auf dem Deckel ist eine Münze montiert, die aber ausgetauscht ist. Die Höhe mit Münze beträgt 31 cm. Der prunkvolle Siegespokal ist mit beeindruckenden Greifenklauen verziert und mit Halbmond, Krone, der Zahl 800 und einem Herstellerzeichen punziert. Ein weiterer Becher hat ebenfalls Greifenklauen als Zierelement im Bereich des Becherfußes. Dieser Deckelpokal ist etwa 33,5 cm hoch und wurde von Strunz & Sohn hergestellt und mit Halbmond und Krone sowie der Zahl 800 punziert. Dieses bedeutende Exemplar zeigt Ansichten von Bergbaustandorten. Es könnte sein, dass dieser Pokal einst für jemanden aus dem Bergbau, eventuell innerhalb einer Familie mit Minenbesitzungen, gestiftet worden ist.

Münzobjekte erfreuten sich bis heute einer gewissen Beliebtheit. Heute kann man das Metier der Hersteller von Münzbechern als nahezu erloschen ansehen, unsere Zeit darf sich mit dem reichen Erbe aus der Vergangenheit begnügen. Oder anders gesagt: Man könnte die erreichten Standards unserer Altvorderen sowieso nicht mehr übertreffen, geschweige denn erreichen. Offen gesagt, wollen wir uns gar nicht vorstellen, was ein „Künstler“ der Gegenwart auf diesem Gebiet anrichten würde. Diese Objekte stammen eben aus Zeiten, in denen „Kunst“ noch zu 100 Prozent von Können kam, und an ihre Gestaltung durfte sich nur derjenige wagen, der in der La-

ge war, die Münzen überhaupt richtig und in passender Anordnung in die Becherwandung zu bekommen. Kunst und Können haben sich längst voneinander abgekoppelt. Die alten Münzbecher sprechen zu uns als Relikte alter Zeiten, die vielleicht nicht in jeder Hinsicht besser waren, ganz gewiss aber in Sachen Kunstfertigkeit und Geschmack. Wenn einer dieser Becher seinem Besitzer weiter nichts sagt als dies – und vielleicht regelmäßig – , dann ist das schon eine ganze Menge und allemal ein sehr guter Grund, sich eines dieser besonderen Stücke in den Schrank oder auf die Kommode zu stellen. Fotos: Alexander Glück


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