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Europas Sammlermagazin
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Paper Dolls Einhorn
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www.battenberg-gietl.de
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EXPERTISEN
■ Tasse
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Ich komme mit einer großen Bitte zu Ihnen: Vor einiger Zeit habe ich diese Moccatasse erworben. Der Unterteller misst elf cm im Durchmesser, die Tasse ist fünf cm hoch. Ich würde gerne wissen, wer der Hersteller war, wie alt sie sein mag und warum die Porzellanmarke mit Goldfarbe übermalt wurde? Wie hoch würden Sie den Wert der Tasse einschätzen? Margitta Batzner, o.O.
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Die Tasse wurde von der Porzellanfabrik Tirschenreuth um 1900 hergestellt. Der übermalte Stempel lässt noch das Herstellerzeichen, bestehend aus Krone, Wappenschild mit den Buchstaben „P“ und „T“ sowie „Bavaria“ und „Tirschenreuth, erkennen. Die Porzellanfabrik Tirschenreuth hat weißes Porzellan an Porzellan veredelnde Betriebe verkauft, diese übermalten dann das Herstellerzeichen und setzten ihr Zeichen daneben. In diesem Fall lässt sich das Piktogramm der Geweihstangen als „Hirsch“ lesen und so als Produkt der Firma Franziska Hirsch in Dresden, tätig circa 1901 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges, identifizieren. Mokkatassen sind ein internationales Sammlerthema, daher würde ich die fein bemalte und reich vergoldete Tasse heute mit 100 bis 150 Euro bewerten. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger Jagdschloss Göhrde
■ Herbstlandschaft
eine herbstliche Ansicht in Öl auf Leinwand, 26 x 37cm bzw. 31 x 40 cm mit Rahmen. Das Bild ist rechts unten mit A. Ellinghaus signiert. Dr. E. Ocklitz, o. O.
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Zu einem meiner Flohmarktfunde von vor vielen Jahren hätte ich gerne, wenn möglich, eine Auskunft zum Künstler und zum Wert des Bildes. Es handelt sich um
Das fragliche Ölgemälde zeigt genauer betrachtet die Ansicht eines herbstlichen Parks mit einem Bachlauf in der Mitte und Bäumen die teilweise ihr Laub schon ver-
■ In dieser Rubrik beantworten unsere Experten Ihre Fragen zu dem einen oder anderen guten Stück. Doch leider sehen wir uns außerstande, ganze Nachlässe oder sämtliche sich in Ihrem Haushalt befindlichen Trouvaillen bewerten und schätzen zu lassen. Auch bitten wir um Verständnis, wenn es mit der Bearbeitung länger dauert. Senden Sie uns also Ihre Anfrage nur zu einem zu bestimmenden Objekt – mit detaillierter Beschreibung und gutem Foto, auf dem das Objekt ganz abgebildet ist. Noch ein Hinweis zu den Preisen, die von Fall zu Fall von unseren Experten genannt werden: Hierbei handelt es sich um Richtwerte, die anhand von Fotos allein getroffen werden und je nach Zustand des Objekts nach oben oder nach unten korrigiert werden können. Ihre Anfrage schicken Sie bitte an: Gemi Verlags GmbH Redaktion Leserforum Pfaffenhofener Straße 3 85293 Reichertshausen
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LESERFORUM 5 loren haben und einigen widerspenstigen Bäumen, die ihr Laub noch am angestammten Platz tragen. Zur Signatur „A. Ellinghaus": Dieser Künstler ist in keinem der üblichen Nachschlagewerke oder Datenbanken vermerkt. Die Qualität der Malerei lässt darauf schließen, dass dies ein Werk eines nicht akademisch ausgebildeten Künstlers gewesen ist, der eher zu seinem eigenen Vergnügen arbeitete. Das Bild wird in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden sein und sollte in einer Auktion mit 30 bis 60 Euro angesetzt werden. Georg Ottomeyer, Experte Berlin
ven Charme eines Objektes aus dem Bereich der Volkskunst. Das Monogramm HRM oder HPM ist in der Gestaltung etwas unausgereift und deutet auf einen begabten Laien hin. Ich vermute, es handelt sich um ein Produkt der 1960er-Jahre, möglicherweise entstanden in der damaligen DDR oder etwas weiter östlich. Als dekorative Keramik eines unbekannten Töpfers würde ich nur einen Wert von unter 100 Euro sehen. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger Jagdschloss Göhrde
■ Porzellanmarke
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■ Gemälde auf Holztafel
Können Sie mir mit dieser Porzellanmarke weiterhelfen? Ich habe Geschirr mit dieser Marke, aber ich kann leider nicht in Erfahrung bringen, wer der Hersteller war und aus welcher Zeit das Porzellan stammt. Gaby Schraudner, o.O.
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Meine Mutter, die vor über zwei Jahren verstorben ist, war im letzten Jahrhundert oft mit ihrer Schwester in halb Europa unterwegs und brachte aus vielen Ländern die unterschiedlichsten Kunst- und Designobjekte mit, so auch diese bemalte Holztafel. Können Sie diese einordnen?
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Die Untertasse in Ihrem Besitz wurde in Thüringen im Zeitraum circa 1920 bis 1954 hergestellt. Das auf der Glasur gestempelte Firmenzeichen liest sich „S & C
Paul Paulus, o.O.
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Das hochformatige Gemälde auf einer Holztafel zeigt eine symbolgeladene Traumsequenz, diverse mit Gesichtern
oder Landschaften gefüllte Kugeln, die unterste Kugel wird von einem Dolch durchstochen und das Wasser färbt sich blutrot. Rechts unten sieht man ein grimassenhaftes Gesicht, möglicherweise das Selbstbildnis des Monogrammisten „HB“. Datiert ist das Bild (19) 75. Mit etwas Wohlwollen könnte man das Bild der Richtung „art brut“ oder „outsider art“ zuordnen. Der vermutlich junge, offenbar an Comics geschulte Künstler ist leider nicht zu ermitteln. Der Wert liegt bei unter 50 Euro. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger Jagdschloss Göhrde
■ Keramikfigur
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Diese Vogelkeramik habe ich vor drei Jahren in einem Dresdner Antiquariat erworben. Ich nehme an, es handelt sich dabei um einen Auerhahn und die Löcher dienen wohl zum Einstecken von Blumen. Vom Kopf bis zum Ende der Schwanzfeder misst sie 35 cm und ist auch genauso hoch, in der Tiefe misst sie 25 cm. Ich würde gerne erfahren, wer der Künstler war, wann sie hergestellt wurde und welchen Wert sie heute wohl hat? Joachim Schneider, Dresden
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Die Keramikfigur oder Vase in Form eines Wiedehopfs (?) wurde aus Hohlkörpern zusammengesetzt, die auf einer Töpferscheibe gedreht worden sind. Die Löcher im Korpus wurden in den noch feuchten Ton gedrückt, die Streifen der Flügel mit Ritzungen und wenig farbiger Glasur akzentuiert. Die Ausführung ist durchdacht, die gleich dicken Wandungen der Figur verhindern Risse beim Brand. Neben der professionellen Ausführung hat die Figur gleichzeitig den nai-
H zwischen gekreuzten Tonpfeifen“ mit dem Zusatz „Handmalerei“. Die Firma Swaine & Co in Hüttensteinach (heute Stadtteil von Sonneberg) bestand in dieser Form seit 1854, mit Vorläufern die bis 1817 zurückreichen. Neben einfachem Gebrauchsporzellan stellte die Firma für kurze Zeit auch Charakterpuppen her. Das Dekor der Untertasse in Ihrem Besitz wird gemeinhin als „Indisch blau Strohmuster" bezeichnet. Klaus-Dieter Müller, Kunstsachverständiger, Jagdschloss Göhrde
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! In der Gemeinde Föritztal, Ortsteil Judenbach, wurde vor drei Jahren die Stiftung Judenbach, ein wunderbares Haus mit vielen Möglichkeiten eröffnet. Es birgt zwei Museen und zwar die „Sammlung Weidner – mechanisches Spielzeug“ und das Ali Kurt Baumgarten-Museum (ein bekannter Künstler aus dem Ort). Dazu gibt es ein Cafe und eine große Halle für Sonderausstellungen, vor allem Kunstausstellungen. Die Sammlung Weidner umfasst etwa 600 mechanischen Figuren, die in Judenbach, Sonneberg und Umgebung hergestellt
wurden. Sie sind somit an ihren Geburtsort zurückgekehrt. Ab 16. Oktober zeigt die Stiftung eine Sonderausstellung von mechanischem, Uhrwerk betriebenem japanischem Aufziehspielzeug im Vergleich auch zum deutschen Spielzeug, das manchmal erstaunliche Ähnlichkeiten zeigt.
! Denim gehört für viele zum absoluten Basic-Teil für die Garderobe. Praktisch jeder hat ein entsprechendes Teil in seinem Kleiderschrank. Denim ist heute aber weit mehr als ein Stoff für Kleidungsstücke. Man könnte glauben, dass Denim und Kunst nichts miteinander zu tun haben. Weit gefehlt: Viele Künstler weltweit haben Denim als Werkstoff für sich entdeckt. Diese einzigartige Sonderausstellung zeigt die Vielseitigkeit und Geschichte dieses beliebten Materials. Von Gemälden des sogenannten The Master of the Blue Jeans vom Ende des späten 17. Jahrhunderts über Jeanshosen, Jeansjacken, Taschen, Schuhe, Möbel und Gebrauchsgegenstände zu Skulpturen oder Installationen wie The Secret Garden von Ian Berry und den Panthern von Milan Art & Events Center. Der meistverwendete Stoff der Welt hat eine verrückte Geschichte, die vermutlich in Italien beginnt und in Amerika ankommt, unter Goldsuchern und Filmstars. Haben Sie sich jemals gefragt, wer den Stoff für die Jeans erfunden hat, die Sie jeden Tag tragen? Die Geschichte ist ziemlich fesselnd, und es gibt immer noch einen Streit zwischen Italien und Frankreich darüber,
welches die Stadt ist, in der dieser strapazierfähige Stoff geboren wurde, der zum berühmtesten und meistverwendeten der Welt geworden ist und der sich bald von einem Tuch für Arbeitskleidung zum unbestrittenen Protagonisten der zeitgenössischen Mode entwickelt hat. Doch woraus besteht eigentlich Jeans und woher kommt der Name? De Nîmes oder eher Gênes? Jahrelang haben Historiker den Vorläufern der Jeans immer zwei Ursprungsgewebe außerhalb der Vereinigten Staaten zugeordnet: einen strapazierfähigen Stoff aus der südfranzösischen Stadt Nîmes, wovon sich auch der Name Denim ableiten soll, sowie ein BaumwollGewebe aus dem italienischen Genua,
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wodurch sich aus dem französisch ausgesprochenen Stadtnamen Gênes das englische Wort Jeans entwickelt haben kö nnte. Für beide Erklärungen fehlen aber die historischen Nachweise. Es ist schon über hundert Jahre her, dass die Blue Jeans als praktische und robuste Arbeiterhose erfunden wurde. Was damals niemand erwartet hätte und was auch sicherlich nicht geplant war, ist eingetreten: Die blaue Hose aus Denim hat sich zum Modeartikel entwickelt. Obwohl sie jedes Jahr neu gestylt und gestaltet wird, sind der Hose der Goldgräber und Cowboys ihre wichtigsten Merkmale geblieben. Sie ist bequem und strapazierfähig. Doch die Blue Jeans hat sich nicht nur zur Trendkleidung gemausert, sondern gilt außerdem als Kultobjekt. Aufgrund ihrer Geschichte diente sie schon den unterschiedlichsten Bewegungen als Statussymbol. Sie gehört heute sowohl bei den Arbeitern wie auch bei ihren Chefs zur Standardgarderobe. Ja sogar Staatsoberhäupter, Models und auch Schauspieler posieren in dem komfortablen Beinkleid vor den Kameras. Die Blue Jeans gibt es heute für Herren und fü r Damen und fast für jeden Anlass. In dieser Ausstellung, mit ihren rund 200 Objekten, werden die Besucher auf eine Reise durch die Facetten dieses faszinierenden Materials mitgenommen. (17. Oktober bis 5. April 2021)
„Marken zeigen ihr Gesicht“, unter diesem Motto findet am 12. November der 23. Verpackungsdialog des Deutschen Verpackungsmuseum in Heidelberg statt. In jährlicher Regelmäßigkeit präsentieren sich hier hochrangige Vertreter bedeutender Marken. Viele dieser Markenbilder sind längst etablierter Bestandteil der Alltagskultur. Was es bedeutet, wenn sich ein Konzern von seiner Kernmarke verabschiedet, den Marlboro Cowboy endgültig in Rente schickt, erläutert den Besuchern des diesjährigen Verpackungsdialogs der Marketing Direktor von Philip Morris Deutschland, Thorsten Scheib. Weitere Speaker sind William Verpoorten (Eierlikör), Moritz Bahlsen (Lorenz SnackWorld) und Oliver Sladek (SURIG). Marken sind lebendig, sie kommunizieren ihre Eigenschaften, ihre Attribute, über Werbung und ihr identitätsstarkes, unverwechselbares Verpackungsdesign. Die Figur des „Marlboro Man“ wurde 1954 von Werbern der Agentur Leo Burnett, Chicago, geschaffen. Männlicher wollte die Zigarettenfirma Philip Morris die Marke positionieren, empfanden doch viele Kunden Zigaretten mit Filter damals als zu weiblich. Einer Historie der Werbefigur in der „Denver Post“ zufolge posierten besonders in den frühen Zeiten der Werbekampagne mehrere hundert Männer als „Marlboro Man“. Abenteuer, Freiheit, Genuss und die Unabhängigkeit des Mannes standen im Mittelpunkt der erfolgreichen Mar-
kenikone. Jetzt ist der Abschied des Konzerns Philip Morris von seinem langjährigen Kernprodukt zum Greifen nah. Ein spannender Transformations-Prozess steht an, der von Philip Morris Marketing Direktor, Thorsten Scheib, begleitet und erläutert wird. „Ei, ei, ei Verpoorten“ – mit dem gesungenen Markenslogan, heute würde man das als „Soundlogo“ bezeichnen, wurde ab 1961 dem traditionsreichen Eierlikör aus Bonn der Zugang zu neuen Zielgruppen geschaffen. Die Marke reicht in ihren Anfängen bis 1876 zurück und wird in fünfter Generation von der Familie geführt. William Verpoorten wird von einer Marke berichten, die unter anderem auch Tiefkühltorten, Gebäck, Pralinen, Schokolade, Eiscreme und Desserts im Portfolio hat. Auch wenn aus den einstigen „Salzletten“, die für die salzige Snack-Kultur seit ihrer Einführung 1935 stehen, mittlerweile „Saltletts Sticks“ (2003) geworden sind: Die erfolgreiche Marke führt zu Hermann Bahlsen (1859-1919) einen der bedeutendsten deutschen Unternehmer und Kunst-Mäzene. Über die Zukunft der salzigen Marken des einstigen „Bahlsen-Imperiums“ wird Moritz Bahlsen (Lorenz Snack-WorldWorld) berichten. „SURIG“ ist der Name einer Essigessenz, die in der markenprägenden Flasche mit dem gelben Verschluss bereits 1922 das Licht des Marktes erblickte. In Zeiten der Covid 19-Pandemie ist aus dem Lebensmittel auch ein essigsaurer Hygiene-Spender in Spray-Form geworden. Welches Potenzial in der geschichtsreichen Marke steckt, davon berichtet Oliver Sladek.
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Im mitteleuropäischen Raum ist der Hut als selbstverständliches Element der Standardgarderobe verschwunden. Immer mal wieder taucht er jedoch als modi-
sches Accessoire im Retro-Look auf und seine ehemalig allgegenwärtige Präsenz zeigt sich manchmal auch noch in der Sprache: „Ich ziehe meinen Hut“ ist eine Formulierung der Achtung (die französische Variante heißt schlicht „Chapeau!“) und bedeutet einen Verweis auf die früher übliche, ehrerbietige Geste des Hut-Tra-
genden gegenüber einer anderen Person. Ein leichtes Tippen an den Hut als Gruß ist schon eine sehr verkürzte Restform dieser Respekterweisung oder die militärische Variante. Wobei die Kopfbedeckung einer Uniform oft eher eine Kappe ist oder Mützenform hat. Kopfbedeckungen im Allgemeinen haben ja nicht nur die Funktion des Schutzes vor der Witterung, sondern sie sind – oder waren zumindest lange Zeit – ebenso ein Hinweis auf die soziale Stellung und gegebenenfalls sogar den Beruf des Hut-Trägers. Koch- oder Kapitänsmütze, Professorenbarett oder Kutscherhut sind Accessoires, die den jeweiligen Ansprechpartner sofort identifizierbar gemacht haben.
Der Zylinder, bis heute als ikonisches Zeichen für Hut auch in den sozialen InternetMedien benutzt, ist der Klassiker des Männerhutes schlechthin. Die ganz feinen Herren trugen bereits seit etwa 1790 in der Öffentlichkeit hohe glänzende Zylinder – der Name stammt direkt von ihrer Röhrenform. Die Herstellung von Zylindern war aufwändig und teuer; der feine, langflorige Samt musste kunstvoll in eine Richtung gebürstet werden. Für Kutscher und Schornsteinfeger gehörten Zylinder zur Berufskleidung und noch heute sind die würdigen Sargträger bei aufwändigeren Bestattungen ebenfalls damit ausgestattet. Zum Dresscode des „Royal Ascot“, dem berühmten britischen Pferderennen, das seit dem 18. Jahrhundert jährlich im Juni statt findet, gehört bis jetzt obligatorisch ein Hut, für Männer unabdingbar ein schwarzer oder grauer Zylinder. Bei einem traditionellen Hutmacher wie Thomas Townend & Co. in London („Hat, Cap & Umbrella Manufacturers“) bekam
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ein Herr den Zylinder an den Kopf angepasst (mit einem speziellen, naturwissenschaftlich anmutenden, metallenen Vermessungswerkzeug, dem „conformateur“) und die Kopfbedeckung wurde dann speziell für ihn angefertigt. Der „Chapeau Claque“ ist eine besondere Form des Zylinders, bei der der Hut so faltbar konstruiert ist, dass er sich mit Hilfe einer kleinen Bewegung aus dem flach zusammengelegten Zustand mit einem mehr oder minder dezenten „Klack“-Laut in die hohe Form aufrichtet und straff zieht. Ein Drahtgestell mit Klappmechanismus wird mit Seide bespannt und ist so zusammenlegbar besonders für Oper oder Theater beliebt gewesen, wo er dadurch unter dem Sitz verstaut werden konnte. Was das Geschlecht der Huttragenden betrifft, changieren manche Hutformen gelegentlich zwischen 'männlich' und 'weiblich'. Auch der nicht selten als Zauberer-Accessoire benutzte Herrenhut Zylinder wird von Frauen getragen, oftmals als Variété-Verkleidung, wenn Frauen als Conferenciers auftauchen. Marlene Dietrich wurde als „Der blaue Engel“ (in dem Film von 1930) damit bekannt. Der „Fedora“ dagegen, heute ein scheinbar klassischer Herrenhut, ist eine Form des Filzhutes. Er war ab 1889 populär, weil die Schauspielerin Sarah Bernhardt in einem Theater mit einem solchen Hut die russische Fürstin Fedora Romanova spielte. Er war damals ungeheuer modern, zunächst auch für Vertreterinnen der Frauenbewegung. Erst ab etwa 1924 übernahm ihn die Männermode, weil der skandalbehaftete britische Thronfolger Edward, Prince of Wales und Liebling der Regenbogenpresse, ihn trug, dann aber auch gleich richtig: Der Obermafioso Al Capone (1899-1947) trug Fedora, Geschäftsleute, Detektive und Gangster, Humphrey Bogart in „Casablanca“ (1942)
und später auch Harrison Ford in „Indiana Jones“. 1986 trug die Schlagersängerin Nana Mouskouri auf einem Platten-Cover ebenfalls einen grauen Fedora. Der Fedora ist längs der Krone nach unten geknickt und beidseitig eingekniffen. Seine Variante „Trilby“, britisch, ist vergleichsweise höher und schmaler, hinten steil hoch geknickt, oftmals braun. Der Schauspieler, Musiker und Regisseur JanJosef Liefers, 2016 zum „Hutträger des Jahres“ gekürt, trägt oft einen grauen Trilby, im Sommer auch gerne einen aus Stroh.
Die seit dem 19. Jahrhundert auch in Europa von Herren getragenen so genannten leichten, hellen „Panamahüte“ stammen übrigens in der Regel aus Ecuador
(manchmal auch aus Mexiko) und werden dort bis heute aus Palmfasern in Handarbeit gefertigt. Je dünner und feiner die Fasern sind, desto teurer. (In Panama war lediglich zur Zeit ihrer ersten Großimporte der Umschlaghafen für südamerikanische Waren.)
Wer sich sportlich gab, Rad fuhr oder Tennis spielte, konnte sich im ersten Viertel
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des 20. Jahrhunderts auch mit einem kleinen, runden flachen Strohhut oder einer weichen Kappe zeigen. Die männliche, lohnarbeitende Bevölkerung trug zu dieser Zeit oft „Schiebermützen“ („Schieber“ ist ein Berliner Begriff für Vorarbeiter). Sie hatten in den frühen 1970er-Jahren ein Revival, als beispielsweise der junge Robert Redford in der Gaunerkomödie „Der Clou“ einen charmanten Gangster mit einer solchen Tweedmütze spielte. Die dekorativen kleinen Herren-Strohhüte trugen den Spitznamen „Kreissäge“, wurden englisch „boater“ genannt oder französisch „canotier“ und gehören bis heute zum Stereotyp des Gondoliere in Venedig. Die Fertigung von Hüten aus Stroh, Leinen- oder Seidenstoffen war bis Mitte des 19. Jahrhunderts gängig, der Filz setzte sich erst später durch. Aber so, wie der Gondoliere einen Strohhut trägt, so ist auch der Alpenbewohner oft mit einem seitlich mit unterschiedlich auffälligen Federn oder Gamsbart verzierten grünen Filzhut unterwegs, wenn er den touristischen Anforderungen entsprechen möchte. Speziell der Tirolerhut ist als Trachtenelement unverzichtbar.
Die städtische Herrenbekleidung hat in der Regel kein schmückendes Beiwerk, außer den besonders fein gewirkten Hutbändern zwischen Hutkrone und Krempe, die aus Seide oder Ripsband, Leder oder Flechtwerk sein können und gegebenenfalls auch einer schmalen, zusätzlichen Einfassung der Krempe selbst. Im Bürger-
tum war der gefilzte „Bowler“ (hierzulande „Melone“ genannt) jahrzehntelang Herrenmode. Die Briten Thomas und William Bowler hatten ihn 1849 erfunden und er wurde wie der Zylinder ein Klassiker. Einen Bowler trugen Charlie Chaplin, Stan Laurel und Oliver Hardy, auch Prinz Charles wurde noch in jüngster Zeit damit gesichtet. Zu den Stummfilm-Stars gehörte der Hut ganz selbstverständlich dazu, denn die Herren trugen ohnehin zu ihrer Zeit immer Hüte. Komiker wie Stan & Olli konnten herrlich Schabernack damit treiben und Chaplin ist wie die beiden auch ohne Melone nicht denkbar. Den Kindern der 1970erJahre ist darüber hinaus die tschechische Märchenfigur des zaubernden, Melonetragenden „Pan Tau“ aus dem Fernsehen vertraut.
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Die heute noch bekannten Typen von Hüten sind neben dem Zylinder oft Markennamen, die dann eine ganze Form bezeichnen, obwohl die Herstellerfirma auch ganz Anderes produziert. „Borsalino“ oder „Stetson“ sind jeweils Marken, die für ihre Fedora-Hüte bekannt sind, aber keineswegs nur solche produzieren. Andere bekannte Hersteller sind „Christy's Hats“ (seit 1773 in London), „Dobbs Hats“, seit 1908 an der Fifth Avenue in New York City, oder die seit 1912 „Akubra“ genannte Hutfabrik in Kempsey, die für Australien-Freunde inzwischen Kultstatus hat. Überregional bekannte deutsche Firmen sind „Mayser“ (gegründet 1800 in Lindenberg im Allgäu) und „Seeberger“ (gegründet 1890 nur vier
Kilometer entfernt) oder die Firma „Wegener“, deren Hauptsitz im mittelhessischen Lauterbach zu finden ist. Handwerklich arbeitende Hutmachermeister gibt es in Deutschland allerdings nur noch drei.
Die bereits seit dem 19. Jahrhundert von Damen und Herren getragene Hut-Form „Porkpie“ (übersetzt „Schweinepastete“), die wegen ihrer Topfartigkeit so heißt, zeichnet sich durch eine flache, von einer schmalen Rille umrundeten Hutkrone aus und wurde in jüngerer Zeit von Brad Pitt oder Justin Timberlake getragen. Der „Homburg“ wiederum ist ebenfalls (wie der Fedora später) mit Hilfe eines britischen Prinzen Edward (in diesem Fall des VII.) um 1882 bekannt geworden, weil dieser eine in Bad Homburg entdeckte Hutform so bezeichnete und gerne trug. Diese eher hohe Filzhut-Variante mit hoch gebogener, eingefasster Krempe wurde auch von Winston Churchill, Konrad Adenauer und Willy Brandt zu offiziellen Anlässen gerne genutzt. Adenauer trug im Urlaub, so wird berichtet, vier verschiedene Hüte zu unterschiedlichen Gelegenheiten. An seiner Garderobe hing, wie es im Adenauer-Gedenkband der Bunten Illustrierten von 1967 heißt, „für jeden Zweck der richtige Hut“: Er besaß „einen grauen für die Reise, einen hellen für Spaziergänge, einen karierten für das Boccia-Spiel und einen schwarzen für die Besuche bei Nato-Generalsekretär Dirk Stikker, der am Comer See Adenauers Nachbar war“. Für die Reise nach Italien muss Adenauer demnach mindestens eine Hutschachtel gehabt haben, in die die Hüte gestapelt werden konnten, auch wenn es keine Zylinder waren, die er im Gepäck hatte. Diese benötigen spezielle, besonders hohe Hut-
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wie der Witterung oder der individuellen Schutzbedürftigkeit des Kopfes, oder er möchte auffallen und seiner Erscheinung eine besondere Note verleihen. Bei Filmstar John Wayne (1907-1979) machte der Hut den Western-Look perfekt, obwohl er wohl vor allem deshalb gerne von ihm getragen wurde, weil er ein Toupet darunter verstecken konnte. Für die australische Filmfigur „Crocodile Dundee“ (gespielt von Paul Hogan) wurde die Garnitur des Akubra-Hutes mit hübschen Krokodilzähnen ergänzt – so ähnlich wie Winnetou ein Schlangenstirnband trug. Die Attraktivität des Wilden wurde hier gepaart mit einer bürgerlichen Kopfbedeckung. Elton John nutzt den Hut oft als Teil seiner auffälligen und bunten Garderobe, und Udo Lindenberg ist ohne Hut gar nicht mehr denkbar. So sind Hüte oft auch Markenzeichen von Prominenten, die sich keiner Norm anpassen müssen oder wollen.
schachteln. Jeder Hutsalon verkauft daher auch die passenden Lederwaren oder besonders geformten Pappschachteln. Die wenigsten Hüte sind komplett zerknautschbar und behalten dennoch ihre Form. Wer sie wieder in Form bringen will, muss sie normalerweise vorsichtig über heißem Wasserdampf bearbeiten oder besser noch zu einem Fachmann oder einer Fachfrau zur Restaurierung bringen.
Die Arbeit des Hutmachers beinhaltet eine sehr vielseitige Handwerkskunst. Noch bis ins 18. Jahrhundert waren manche Appreturen überdies quecksilberhaltig und gesundheitsschädlich, so dass der Topos des bei „Alice im Wunderland“ auftauchenden „Verrückten Hutmachers“ („mad hatter“) aus der Erfahrung mit einer Berufskrankheit stammte. Der in der jüngsten Verfilmung von Johnny Depp getragene Hut des „Verrückten Hutmachers“ wurde auf Anfrage von Disney von der Hutmanufaktur König in Regensburg gearbeitet.
Heute wird die handwerkliche Arbeit zunehmend wieder geschätzt, und es gibt sehr berühmte Designer unter ihnen, beispielsweise den 1967 geborenen Iren Philip Treacy. Der Hoflieferant der Queen, der diverse Designpreise gewann, ist der derzeit gefeiertste Hutmacher. Er stattete nicht nur die Königsfamilie zu diversen Anlässen, sondern auch die „Harry Potter“Filme aus und belieferte Pop-Ikonen wie Lady Gaga, Grace Jones und Boy George mit schrillen Kreationen.
Spätestens in den 1970er-Jahren ist der Herrenhut komplett aus der Mode gekommen und kein obligatorischer Bestandteil der männlichen Garderobe mehr. Zum Abschied der Accessoires gab es eine Zeitlang noch verschiedene Kappen oder exotisch anmutende Pelzmützen, aber die Standardbekleidung kam nun ohne Kopfbedeckung aus. Wer seither Hut trägt, tut dies mit Bedacht, beispielsweise tatsächlich wegen äußerlicher Gegebenheiten
Viele, nicht massengefertigte Hüte haben neben Namen oder den Initialen des Eigners im Hutband auch den Herstellernamen oftmals mittig im Seidenfutter des Hutkopfes (manchmal nur als Signet, was schwer zu identifizieren sein kann) und eventuell den eines Zwischenhändlergeschäftes, das ihn verkauft hat. Wichtig für den Wert ist neben dem Erhaltungszustand selbstverständlich vor allem das Design, also der Herstellungsbetrieb. Mancher Sammler ist aber auch besonders am Vorbesitzer interessiert, vor allem wenn es sich um ein großes Idol aus der Popkultur handelt. Es gab beispielsweise inzwischen mehrere Auktionen, bei denen Hüte von Michael Jackson unter den Hammer kamen. 2012
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verkaufte das renommierte Auktionshaus Christie's einen schwarzen Fedora, hergestellt vom Pariser Hutmacher Jean Barthet (1920-2000), der auch für Sophia Loren, Jackie Kennedy oder Gracia Patricia von Monaco tätig war. Er hatte Jacksons Tournee 1988 ausgestattet, und der für 2.125 £ versteigerte Hut trug einen goldenen Namenseintrag im Hutband. Dazu gehörte ein Echtheitszertifikat der Herstellerfirma. Im Herbst 2019 wurde ein schwarzer Fedora im Auktionshaus Eppli in Stuttgart für 5.000 € versteigert, den Jackson 1988 bei einem dieser Konzerte in die Zuschauermenge geworfen hatte. Wer einen solchen Hut betrachtet, sieht nur einen einfachen schwarzen, recht unspektakulären Wollfilzhut mit Ripsband, wie er aus jedem Kaufhaus stammen könnte. Aber er kommt eben aus prominenter Hand, von einem Künstler, der sich gerne mit Hut inszenierte, und der neue Besitzer ist ein echter Fan. In Los Angeles wurde 2014 im Auktionshaus Sanders ein sandfarbener Cowboyhut für 37.500 $ versteigert, den John Wayne in mehreren berühmten Western getragen hat und der eine Art Markenzeichen für 'Cowboys' wurde. Es gibt in Deutschland wohl kaum einen kleinen Jungen der 1970er- oder 1980er-Jahre, der nicht einmal einen ähnlichen zur Verkleidung getragen hätte. Die „Marlboro“Reklame konnte über Jahrzehnte diese Männerträume nutzen, wenn ihre Reiter wohl behütet in den Sonnenuntergang von „Marlboro-Country“ ritten. Mit Popularität kann allerdings auch anders umgegangen werden. Ein verantwortungsvoller Geschäftsmann hat daher im November 2019 nebst diversen anderen
Gegenständen einen Zylinder Adolf Hitlers im Auktionshaus Hermann Historica für 50.000 € ersteigert, um ihn einer jüdischen Stiftung zu übereignen, damit er nicht zum Kultgegenstand von Neonazis werden kann. Ein ganz anderer berühmter Hut erzielte im Ensemble mit einem Stock bereits 2012 einen noch höheren Preis: Das Auktionshaus Bonhams in Los Angeles konnte die Stücke aus dem Film „Moderne Zeiten“ von Charlie Chaplin für zusammen 63.000 $ versteigern. Ein gut erhaltener alter Bowlerhut, dessen Vorbesitzer nicht bekannt ist, wird normalerweise zwischen 50 und 100 € gehandelt, Zylinder können je nach Material und
Verarbeitung schon deutlich darüber liegen und mehrere Hundert Euro erzielen. Zur Freude von Fans alles Komischen kam auch 2002 bereits eine Melone von Oliver Hardy bei Sotheby's für 7.000 $ unter den Hammer. Der „Welt“-Redakteur HannsGeorg Rodek titelte damals liebevoll
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„Sotheby’s versteigert den Hut der Hüte: Ollies Bowler“ (in „Die Welt“, 18.12.2002). Er beschrieb genüsslich die „Leiden, die sämtliche Derbyhüte in Laurel-&-HardyFilmen erleiden mussten. Unweigerlich landete ein fallendes Objekt auf ihnen, setzte sich Ollie auf sie oder wurden sie Opfer der berühmten Hutvertauschprozedur: Erst verliert einer seinen Deckel, dann
der andere, und beide schaffen es einfach nicht, den eigenen wieder aufzusetzen.“ Ob allerdings ein derart zerstörter Hut auch bereits zum Sammlerstück hat wer-
den können, ist doch zu bezweifeln, der versteigerte Bowler war jedenfalls intakt. Deutlich teurer noch verkaufte das Londoner Auktionshaus Prop Store den von Harrison Ford als „Indiana Jones“ in „Jäger des verlorenen Schatzes“ getragenen Hut: Er wurde für umgerechnet 443.000 € dem neuen Besitzer übereignet. Der eher ramponiert aussehende braune Filzhut hat eben enormen ideellen Wert.
In Bernhard Roetzels „Standardwerk der klassischen Herrenmode“ („Der Gentleman“ getitelt) erklärt ein Fachmann für den Laien, was stilistisch geht und was unbedingt zu vermeiden ist. Der Klassiker wird regelmäßig neu aufgelegt. Wer ein paar aktuelle Grundlagen braucht, kann sich hier gut einlesen, wenn „Mut zum Hut“ gefragt ist. Der Katalog „Von Kopf bis Hut. Kopfbedeckungen aus der Textilsammlung des Münchner Stadtmuseums vom 18. Jahrhundert bis 1984“ (Buchendorfer Verlag 1984) dagegen zeigt Damen- und Herrenhüte im Wandel und mit Hilfe von John Peacocks Werk „Männermode – das Bildhandbuch. Von der Zeit der Französischen Revolution bis zur Gegenwart“ (erschienen im Haupt-Verlag 1996) lässt sich die Kombination von Anzug und Hut in Dekadensprüngen sehr gut nachvollziehen. Alle Abbildungen / Objekte privat, wenn nicht anders angegeben, Anzeigen aus dem Archiv der Autorin, www.kabinettstueckchen.de