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Europas Sammlermagazin
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EXPERTISEN
■ Porzellankatze
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Ich bin Leserin des Trödler-Magazins und würde gerne Ihren Service in Anspruch nehmen. Diese Porzellankatze stammt aus dem Erbe meiner Mutter. Können Sie mir Auskunft erteilen über die Herkunft bzw. den Hersteller und den Wert dieser Figur? Gabriele Fienhold, Berlin
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Die dekorative Porzellanfigur, eine auf einem Kissen sitzende Katze mit Kätzchen, steht in der Tradition asiatischen Export Porzellans, welches in Japan oder China für den europäischen und amerika-
nischen Markt entworfen und produziert wurde. Hinter dem Firmenzeichen verbirgt sich ein chinesischer Hersteller, der gemeinhin mit dem Notnamen „Wong Lee 1895“ aus Hongkong identifiziert wird. Die Firma scheint seit etwa 1995 zu existieren, neben dem WL-1895-Zeichen verwendet sie auch andere fiktive Herstellerzeichen, z.B. in der Art des Jugendstils. Typisch für diesen Hersteller ist ein bei hohen Temperaturen gebranntes Porzellan mit einer Craquelé-Glasur, die Alter vortäuschen soll. Die Produktpalette ist sehr breit, eigentlich wird jeder Gegenstand und Stil kopiert, der im Westen aktuell gefragt ist und dann etwas opulenter, größer und reicher dekoriert auf den Markt geworfen, oft in Kombination mit goldglänzenden Metallmonturen. Ein Sammlermarkt für diese modernen Reproduktionen existiert nicht.
Es handelt sich um rein dekorative Gegenstände, geeignet, um das Heim zu schmücken. Klaus Dieter Mülller, Kunstsachverständiger Jagdschloss Göhrde
■ „Vermeer“
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Seit über 60 Jahren liegt dieses Bild nun schon auf unserem Dachboden. Es gehörte einer Tante meiner Frau. Vermutlich ist dieses Gemälde auf Pappe gemalt. Eine Signatur ist leider nicht zu erkennen. Der Rahmen ist aus Holz mit Stuckverzierung. Das Bild selbst hat eine Größe von 30 cm x 22 cm und der Rahmen ist circa 38 cm x 32 cm. Mich würde interessieren, wie dieses Bild einzuschätzen ist ist, ob es
■ In dieser Rubrik beantworten unsere Experten Ihre Fragen zu dem einen oder anderen guten Stück. Doch leider sehen wir uns außerstande, ganze Nachlässe oder sämtliche sich in Ihrem Haushalt befindlichen Trouvaillen bewerten und schätzen zu lassen. Auch bitten wir um Verständnis, wenn es mit der Bearbeitung länger dauert. Senden Sie uns also Ihre Anfrage nur zu einem zu bestimmenden Objekt – mit detaillierter Beschreibung und gutem Foto, auf dem das Objekt ganz abgebildet ist. Noch ein Hinweis zu den Preisen, die von Fall zu Fall von unseren Experten genannt werden: Hierbei handelt es sich um Richtwerte, die anhand von Fotos allein getroffen werden und je nach Zustand des Objekts nach oben oder nach unten korrigiert werden können. Ihre Anfrage schicken Sie bitte an: Gemi Verlags GmbH Redaktion Leserforum Pfaffenhofener Straße 3 85293 Reichertshausen
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LESERFORUM 5 echt ist und wer es gemalt haben könnte. Vielleicht ist es ja auch nur ein Druck? Der Rahmen hat einige leichte Beschädigungen und das Bild einige Kratzer. Horst Lösch, Worms
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Das hier zu bewertende Kunstobjekt ist tatsächlich ein Druck auf Karton mit den Maßen 32 x 38 cm inklusive des Rahmens. Dieser Druck zeigt eine Interieurszene eines holländischen Bürgerhauses. Eine sitzende Frau trinkt Wein aus einem Glas, während ein Mann mit einem Fayencekrug neben ihr am Tisch steht. Um diese beiden herum ist akribisch und detailreich der Innenraum mit seinem gefliesten Boden, den prächtigen Glasfenstern, den Möbeln, dem Teppich als Tischdecke und einem Gemälde an der Wand gezeigt. Dieser Druck ist eine Reproduktion des Gemäldes mit dem Titel „Herr und Dame beim Wein“ des Künstlers Jan Vermeer van Delft (1632-1675), das sich in den Sammlungen der Berliner Gemäldegalerie befindet. Diese Reproduktion ist im 20. Jahrhundert entstanden. In einer Auktion sollte ein solches Stück mit 25 bis 50 Euro zu bewerten sein. Georg Ottomeyer, Experte Berlin
Lhamo im Kampf mit dem Buddhismus unterworfen und gleichzeitig verpflichtet, den Buddhismus zu schützen. Die Gottheit gilt heute als persönliche Schutzgottheit des Dalai Lama und der Stadt Lhasa. Die zweite büffelköpfige Maske bezieht sich auf Yamantanka, den Bezwinger des To-
mus produziert. Der Wert liegt heute bei je 50 bis100 Euro. Klaus Dieter Mülller, Kunstsachverständiger Jagdschloss Göhrde
■ Weihnachtsbild
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Als eifrige Leserin des Trödlers möchte ich Sie heute um Auskunft bitten über ein Bild, das stets in der Weihnachtszeit bei uns seinen „Auftritt“ hat. Es hat die Maße 46,5 cm x 58,5 cm, ist von einem geschnitzten(?) Rahmen umgeben und hinter Glas. Signaturen sind nicht zu finden. Es wäre schön, wenn Sie uns Aufschlüsse über das Alter, die Machart sowie den eventuellen Wert des „Weihnachtsbildes“ geben könnten und dessen Geheimnis gelüftet würde. Irene Schiedges, Bergisch Gladbach
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desgottes Yama (Yama/Todesgott + Antanka/Bezwinger). In dieser tibetischen Glaubensvorstellung nimmt der mitleidsvolle Bodhisattva die büffelförmige Gestalt Yamas an, bezwingt ihn und wird so zum Überwinder des Todes. Beide Maskenwürde ich auf die Mitte des 20. Jahrhunderts datieren, also schon für den Touris-
Dieses Kunstwerk ist höchstwahrscheinlich ein Druck auf Papier. Das Bild zeigt eine nächtliche Winterlandschaft bei Vollmond. Als Hauptmotiv ist eine hell erleuchtete Kirche zu sehen und allerlei Personen, die wohl gerade zur nächtlichen Christmette eilen. Dieses Stück ist hinter Glas gerahmt, was ein Hinweis darauf ist, dass es sich hier um einen Druck handelt und keine Malerei in Öl. Auch die Farbigkeit und die Bildschärfe sprechen für eine Druckgrafik sowie eine Lithographie. Dies ist jedoch nicht mit absoluter Sicherheit auf der Grundlage eines Fotos zu entscheiden. Dieses Stück ist wohl im zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts in Deutschland entstanden. In einer Auktion sollte dieses Stück mit 25 bis 50 Euro angesetzt werden. Georg Ottomeyer, Experte Berlin
■ Holzmasken
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Da ich seit vielen Jahren Abonnent der Zeitschrift „Trödler“ bin, kenne ich Ihre Rubrik „Fundstücke“ und hätte hierzu auch eine Anfrage. Diese beiden Holzmasken befinden sich bereits seit rund 50 Jahren in meinem Besitz. Können Sie mir etwas über die Herkunft bzw. den Preis mitteilen? Ulrich Strecker, o.O.
!
Die beiden aus Holz geschnitzten Masken stellen zwei zornvolle Schutzgottheiten – beide tragen eine Schädelkrone – aus der tibetischen Glaubenswelt dar. Ursprünglich handelt es sich wohl um alte Darstellungen von Dämonen indischen Ursprungs, die dann in den Kanon Buddhistischer Darstellungen inkorporiert wurden. Der Legende nach wurde Pelden 12 / 20
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MAGAZIN 6
AUSSTELLUNGEN n Reizvolle Reise nach Paris Rankende florale Formen und strenge geometrische Elemente, kontrastreiche Farben, klare und zugleich verspielte Typografie – das Grafikdesign des Art déco vereint das scheinbar Gegensätzliche. Kunstvolle Plakate, Illustrationen und Anzeigen spiegeln die großen Themen dieser Zeit: Die neue Werbung für Haute Couture oder Jazz, Tanz und technische Errungenschaften wie moderne Sportwagen und imposante Kreuzfahrtschiffe – nicht zuletzt auch für Kriegs- und Staatsanleihen – entführt in die Illusion einer besseren und schöneren Welt. Das Käthe Kollwitz Museum Köln präsentiert mehr als 100 faszinierende, zum Teil großformatige Druckgrafiken aus der Sammlung des Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe und nimmt seine Besucher mit auf eine Reise in das glanzvolle Paris vor 100 Jahren. Bauhaus in Deutschland, de Stijl in den Niederlanden und russische Avantgarde – das Grafikdesign erlebt in den 1920erJahren international eine Blüte. Auch in Frankreich: Was hier anknüpfend an den Jugendstil der Jahrhundertwende seinen Anfang nimmt und 1925 zur Pariser Weltausstellung der angewandten Künste eine Benennung findet, dokumentiert nichts weniger als den gesellschaftlichen Tanz auf dem Vulkan der Zwischenkriegszeit. In kühn gezeichneten Visionen extravaganten Lebens zeigt Paris sich farbenfroh, progressiv und exaltiert. Die führenden
René Vincent, Peugeot, Plakat, 1928, Lithografie; Käthe Kollwitz Museum Köln © MKG, Hamburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 Pariser Grafiker illustrieren das Lebensgefühl der „Années folles”, der „verrückten 20er-Jahre”, mit künstlerischen Experimenten, innovativen Techniken und spektakulären Bildfindungen. Eine Besonderheit ist das Pochoir – eine anspruchsvolle Drucktechnik mit Schablonen, häufig kombiniert mit Lithografie, Strichätzung, und einem nicht geringen Anteil Handarbeit. Mit bloßem Auge sind
Paul Colin, Das Jazzorchester der Josephine Baker, Tafel aus Le Tumulte noir, 1927, Pochoir und Lithografie; Käthe Kollwitz Museum Köln © MKG Hamburg / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 12 / 20
die aufwändigen Drucke oft kaum von Aquarellen zu unterscheiden. Pochoir wird zum Inbegriff für das Genre der eleganten Mode-Illustration in Magazinen und Almanachen. Eine Reihe hervorragender Zeichner wie Paul Iribe (1883-1935), George Barbier (1882-1932) und André Édouard Marty (1882-1974) wählt dieses Verfahren als ihr Medium. In der Ausstellung wird diese Technik erläutert. Zu den führenden Plakatmalern – Plakate werden in Öl oder Gouache an der Staffelei entworfen und dann traditionell lithografisch gedruckt – zählen A. M. Cassandre (1901-1968) und Paul Colin (1892-1985), jeder mit einem unverwechselbaren Stil. Während Cassandre vor allem im Bereich der Werbung für luxuriöse Produkte tätig ist, spezialisiert sich Colin auf die Theater- und CabaretBühnen der Stadt. Er porträtiert die großen Sängerinnen und Schauspieler der Zeit. Einer der Höhepunkte der Ausstellung ist Colins Mappenwerk über die „Revue Nègre”, die Tanzkompanie von Josephine Baker (1906-1975), die mehrfach in Paris gastiert und für die Colin auch Bühnenbilder und Kostüme entwirft. Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Rahmenprogramm begleitet, unter anderem mit einem Fachvortrag von Prof. Dr. Ekaterini Kepetzis oder dem Talk im Forum mit Hannelore Fischer und Dr. Jürgen Döring. Zur Ausstellung ist ein Katalog in der Edition Braus, Berlin 2018, erschienen, hrsg. von Sabine Schulze und Jürgen Döring, 128 Seiten, 176 Abbildungen, Broschur, 24 x 25 cm, Museumspreis: 22 Euro. (Bis 10. Januar 2021) Telefon: 0221/2272614 Webseite: www.kollwitz.de
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MAGAZIN 7 Führung das Weihnachtsfest für die Kriegspropaganda. Das Dritte Reich versuchte in zahlreichen Veröffentlichungen, die germanischen Wurzeln des Weihnachtsfestes in das Bewusstsein der Deutschen zu rücken und beschwor alte germanische Tugenden zum neuen Inhalt des Festes. Die neuen Herrscher gaben sich große Mühe, dieses emotional bedeutend-
Federbaum mit amerikanischem Weihnachtsschmuck; Spielzeug Welten Museum Basel
n Unchristlicher Weihnachtsschmuck Die diesjährige kleine Sonderschau des Spielzeug Welten Museums in Basel befasst sich mit dem Christbaumschmuck, der für die Zeit der beiden Weltkriege hergestellt worden ist. Weihnachten zu Kriegszeiten kam eine besondere Bedeutung zu. Die meisten Familienväter und Söhne waren an der Front. So schickte man Christbäume in Streichholzschachteln an die Front und zu Hause wurde die christliche Friedensbotschaft radikal umgedeutet. Zu Zeiten des Kaiserreichs löste sich die Baumschmuckindustrie vom klassischen Christkindmotiv und setzte auch auf die Verehrung des Kaiserpaars. Pickelhaube und Panzer komplettierten das Bild am Zweig. Der Weihnachtsbaum ist eine Reflexion der Industrialisierung und der Vorbereitung des Ersten Weltkriegs. Das starke Deutsche Reich spiegelte sich darin wider. Auch in Lauscha (Thüringen) wurde natürlich patriotischer Christbaumschmuck hergestellt. In echter Handarbeit und mundgeblasen entstanden unter anderem der Graf Zeppelin (Luftschiff), Kaiser Wilhelm, ein patriotischer Doppeldecker oder eine Kugel mit Krone in Gold. Solch ein Baumschmuck wurde damals auch den Soldaten an die Front geschickt, um eine schöne Erinnerung an die Heimat zu haben. In der Ausstellung ist ein dekorierter Weihnachtsbaum zu sehen, wie er in der Zeit vom Ersten Weltkrieg in einer Stube hätte stehen können. Während des Ersten Weltkrieges trug der Weihnachtsbaum nationale Symbole. Er wurde zu einer nationalen Angelegenheit, der vaterländische Gefühle beschwören sollte. Während des Zweiten Weltkrieges vereinnahmte die nationalsozialistische
Weihnachtsschmuck aus Glas, USA; Spielzeug Welten Museum Basel ste Familienfest des Jahres propagandistisch für sich zu nutzen. Es wurde jede Gelegenheit wahrgenommen, christliche Bräuche und Inhalte in germanischen Ursprung und Inhalt umzudeuten. Weih-
nachtsschmuck, welcher den Vorstellungen der obersten Führung entsprach, gab es auch zu kaufen. Gläserne gedrückte Kugeln, auf welchen stark reliefierte, alte germanische Symbole waren. Wichtig ist jedoch zu betonen, dass auf zeitgenössischen Fotos die Stücke selten zu finden sind. Viele Familien scheinen dem friedlichen Gedanken Vorrang gegeben zu haben. Das Winterhilfswerk verkaufte im Dritten Reich vor Weihnachten eine Serie mit Märchenfiguren aus Laubsägearbeit und eine große Zahl von runden, gedrechselten Figuren, die nur wenige Zentimeter groß waren. Dann gab es andere Figuren, welche im Erzgebirge hergestellt wurden und als Baumschmuck ebenso wie als Kinderspielzeug geeignet waren. Mit den Einnahmen aus dem Verkauf dieser beliebten WHW-Figürchen wollte das NS-Regime seine wirtschaftlichen Probleme ein wenig lindern und die Spendenbereitschaft der Bevölkerung wecken. Die in der Ausstellung dekorierten Weihnachtsbäume in der Vorstellung jener Zeit wirken trotz der eindeutigen Hinweise und des Glasschmucks sehr harmlos. Man muss schon zweimal hinsehen, um die Symbole dieser dunklen Zeit erkennen zu können. In den USA ist der patriotische Weihnachtsschmuck in den Nationalfarben Blau-Weiß-Rot auch heute noch äußerst beliebt. Dies aber ohne ideologische Bedeutung. Man will damit lediglich zeigen, dass man stolz auf sein Land ist. Dieses schwierige Kapitel der Geschichte des Christbaumschmuckes wird veranschaulicht u. a. mit Leihgaben aus der Privatsammlung von Herrn Dünnenberger und der Bibliothek am Guisanplatz BiG. In dieser Form wird die Ausstellung nur in Basel zu sehen sein. (Bis 14. Februar 2021) Telefon: +41/(0)612259595 Webseite: www.swm-basel.ch
Kaiser-Vogel, Glas, Erster Weltkrieg; Spielzeug Welten Museum Basel Leihgeber: Alfred Dünnenberger 12 / 20
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REKLAME 8
TABAKRAUSCH AN DER ELBE HEIDRUN TH. GRIGOLEIT
Unter dem Motto „Tabakrausch an der Elbe. Geschichten zwischen Orient und Okzident“ widmet sich das Dresdner Stadtmuseum in einer Sonderausstellung noch bis zum 28. März einem fast vergessenen Kapitel Industriegeschichte. Die ungewöhnliche Schau gibt anhand einzigartiger Exponate Einblicke in die Bedeutung des Rauchens im Wandel der Zeiten. Gezeigt werden Objekte zum Tabakanbau, zur Zigarettenproduktion, zeitgenössische Werbeplakate und auch Beispiele für Antiraucherkampagnen. Denn in Dresden gab es auch eine starke Hygiene- und Abstinenzbewegung.
2020: Jahr der Industriekultur Das Jahr 2020 hatte der Freistaat Sachsen zum „Jahr der Industriekultur“ erklärt. An den landesweiten Aktivitäten beteiligt sich
das Stadtmuseum Dresden nun mit diesem Ausstellungs- und Publikationsprojekt, in dem Dresden als „Deutsche Tabakhauptstadt“ mit europäischer Bedeutung im Fokus steht, was bisher noch nie unternommen wurde. Das gute Echo auf vergleichbare Projekte andernorts verspricht
jedoch auch hier großen Zuspruch des Publikums, wie auch das große Interesse an der Revitalisierung des Tabakviertels im bulgarischen Plovdiv, Kulturhauptstadt Europas 2019, gezeigt hat.
Dresdner Erfolgsgeschichte Der Konsum von Tabakwaren in Form von Schnupf-, Kau- und Rauchtabak war schon weit verbreitet, bevor die Zigarette in Deutschland Fuß fasste. Beliebt war das Kolonialgut Tabak vor allem in Handelsund Residenzstädten mit vermögender Einwohnerschaft. In der Hochindustrialisierung, als die Zigarette dann zum Massenkonsumgut wurde, avancierte Dresden, die Hauptstadt des ersten deutschen Industriestaats Sachsen, zur Tabakmetropole des Reichs, denn 1910 kamen drei Viertel der deutschen Tabaksteuer aus Dresden. Die Dresdner Erfolgsgeschichte nahm 1862 ihren Anfang mit einer Niederlassung der Compagnie Laferme – ein russisches Unternehmen aus St. Petersburg. Die russischen Fachkräfte hatte der Eigentümer aus seiner Heimat mitgebracht. Einwanderer aus dem Osmanischen Reich und Osteuropa gründeten dann mehrere Dutzend weitere Unternehmen. So kamen Firmen wie Georg A. Jasmatzi, A. M. Eckstein & Söhne oder Yenidze hinzu, die ihren Tabak aus Anbaugebieten in Nordgriechenland, dem heutigen BulgariLinks: Ehemalige Zigarettenfabrik Yenidze, später Tabakkontor Dresden, heute Bürohaus Foto: Stadtmuseum Dresden, Franz Zadniček, 1996 Oben: Zigarettenhülsenmaschine, Eisen/Stahl. Hersteller: I. J. Tillmanns, Moskau 1903. Schenkung der Dresdner-Zigaretten-Industrie. DrepaWerk Th. Güntzel, Stadtmuseum Dresden
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REKLAME 9 auch in die Verpflegungsrationen der Soldaten. Der Zigarettenmarkt wuchs fast explosionsartig und so wurden Anfang des Jahrhunderts bald mehr Zigaretten als Zigarren hergestellt – im Jahre 1913 waren es bereits eineinhalb mal so viele.
Tabakmoschee
en und der westlichen Türkei importierten. Der eher milde, sogenannte Orienttabak wurde zu einem Markenzeichen der Dresdner Tabakindustrie. Um 1880 hatten 21 von 33 deutschen Zigarettenunternehmen ihren Sitz in Dresden. Im Jahre 1901 übernahm die „American Tobacco Company“ die zweitgrößte Zigarettenfabrik Georg A. Jasmatzi. Zugleich eröffnete die mit ihr verbundene „Cigarette Mashine Company“ ein Zweigwerk in Dresden. Dort wurden Universal-Zigarettenmaschinen nach J. Bonsack gefertigt, wodurch die Handfertigung von Zigaretten unterer Preisklassen unrentabel wurde. Dank findiger Unternehmer und Ingenieure entwickelte man weitere bahnbrechende Innovationen – etwa die Zigarettenstrang-Maschine. Auch eine Stopf-Maschine nach einem Patent von Otto Bergsträßer setzte sich durch, die für Zigaretten mit Kartonmundstücken gedacht war, wie sie in der Compagnie Laferme in Dresden gefertigt wurden. Innovationen, die hier entstanden, waren neben dem Zigarettenfilter auch verschiedene Tabaksorten, die am Institut für Tabakforschung gezüchtet wurden. Im Jahre 1925 gab es allein in Dresden an die 140 Tabak-Unternehmen.
Bevölkerungsschichten. Und auch die Belieferung des Militärs mit Zigaretten sicherte den Absatz, denn Zigaretten kamen
Der berühmteste Reklamebau für Tabak in Europa war jedoch die im Stil einer Moschee erbaute, hochmoderne Zigarettenfabrik Yenidze – die erste gläserne Fabrik der Welt, die 1908/09 nach Plänen von Martin Hammitzsch entstand. Dabei handelte es sich um einen echten MarketingGag, denn hinter dem exotischen Minarett
Zigarettenboom Einen wahren Boom erlebte die Dresdner Zigarettenindustrie zwischen 1900 und dem Ersten Weltkrieg. Denn technischer Fortschritt verbilligte auch die Herstellung erheblich und machte aus der Zigarette ein Massenprodukt. Zigaretten galten nun moderner als dicke Zigarren. Damit standen die schlanken Zigaretten auch sinnbildlich für die damalige nervöse und schnelllebige Zeit. Die rasch süchtig machende Wirkung des Nikotins bewirkte zudem eine anhaltende Verbreitung in alle Oben: Fenstergitter am Ostflügel des Neuen Rathauses in Dresden, Entwurf: Fritz Mönkemeyer, 1962-1965 Foto: Stadtmuseum Dresden, Franz Zadniček, 2020 Rechts: Plakat, Georg A. Jasmatzi AG, 1931, Stadtmuseum Dresden 12 / 20
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REKLAME 10 verbarg sich ein wenig romantischer Industrie-Schornstein. Ende der 1920er-Jahre setzte mit den Übernahmen durch die Reemtsma AG ein Konzentrationsprozess ein. Nach 1945 führten die Verantwortlichen in der Sowjetischen Besatzungszone, später die Funktionäre der DDR-Regierung dann diese Entwicklung mit der Kombinatsbildung fort.
Industriestandort Dresden Dresden war Sitz von vielen Industrie-Verbänden, ein beliebter Verlagsort für Fach-
blätter und Zentrum der Genusswarenindustrie für Orienttabakwaren – aber auch für Schokolade und Bier. Denn mit der Lückenschließung der Eisenbahn Mitte des 19. Jahrhunderts und dem Ausbau der Elbe zum schiffbaren Fluss seit den 1860er-Jahren verfügte die Stadt über regionale und internationale Verkehrswege, die für die Lieferung von Rohstoffen aus anderen Regionen erforderlich waren. Vor allem mit der Bahn erfolgte auch der Export der verschiedenen Fertigwaren. Für deren Vermarktung sorgten dann herausragende Plakat-Gestalter wie Fritz Rehm, Willy Petzold oder Ilse Lagerfeld. Auch die Boehner-Film AG war ein Mitbegründer dieser Werbekunst der Moderne: Auf Zi-
Links oben: Zigarettenschachtel der Marke „Jubilar“, aufgelegt zum 750-jährigen Stadtjubiläum von Dresden 1956, Stadtmuseum Dresden Links unten: Neue Packmaschinen von G. D. aus Bologna in der Zigarettenfabrik, Werk II aus: Fotoalbum „Dokumentation der VEB Dresdner Zigarettenfabriken zum 20. Jahrestag der DDR“, 1969, Stadtmuseum Dresden, Reproduktion: Philipp W. L. Günther Ganz oben: Bewohner der Siedlung posieren auf einem Feldgrundstück bei dem prominenten Tabakgegner Hermann Müller (2. Reihe von oben, rechts), ca. 1926, Privatbesitz, Dresden Oben: Werbeprospekt, Zigarettenmaschine Dekajet, VEB Kombinat Nagema Dresden, 1971, Privatbesitz 12 / 20
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REKLAME 11 schen Vorläufern gründete sich 1914 in Dresden der „Bund deutscher Tabakgegner“. In den 1920er-Jahren entstand die Tabakgegner-Siedlung im Süden der Stadt – die unbekannte Schwester der weltberühmten Gartenstadt Hellerau.
Medizinische Erkenntnisse Die Erkenntnisse des Dresdner Mediziners Fritz Lickint zu den schädlichen Wirkungen des Tabakkonsums auf den
Buchautoren sind Fachwissenschaftler aus Europa, Kanada und den arabischen Staaten.
Informationen „Tabakrausch an der Elbe. Geschichten zwischen Orient und Okzident“, Sonderausstellung mit Begleitpublikation, noch bis 28. März im Stadtmuseum Dresden. Fotos: Stadtmuseum Dresden
garettendosen, Schachteln, Plakaten, Werbemarken und sogar auf einem Reklame-Klappstuhl wurde das Rauchen in allen Facetten nicht selten in orientalischer Umgebung plakativ beworben: Auf einer Zigarettendose der Marke „Kairo“ aus dem Jahre 1935 erlebt der Betrachter den Herkunftsort von Tabak in einer Illustration mit Palmen, Kamel und dessen Treiber mit Turban. Ein Reklameplakat der Zigarettenfabrik „Xanthi“ von F. Walther Scholz, das um 1905 entstanden ist, zeigt hingegen eine modisch gekleidete, lässig rauchende Dame, die gekonnt blauen Dunst in Kringeln aufsteigen lässt.
Abstinenzbewegung Dresden war aber nicht nur Hauptort der deutschen Zigarettenproduktion, sondern auch Drehscheibe der bürgerlichen Lebensreform- und proletarischen Abstinenzbewegung in Europa. Im Jahre 1911 gab die weltweit ausstrahlende Deutsche Hygiene-Ausstellung Impulse für deren Vernetzung. Inspiriert von skandinaviOben: Reklameplakat der Zigarettenfabrik „Xanthi“, Chromolithografie, um 1905, Entwurf: F. Walther Scholz (1861-1910), Druck: Chromolithografische Anstalt vorm. Bäcker & Co., Stadtmuseum Dresden Mitte: Zigarettenfabrik Kosmos Dresden: Zigarettendose der Marke „Kairo", um 1935, Stadtmuseum Dresden, Philipp W. L. Günther Unten: Reklameklappstuhl für POI Zigaretten, Georg A. Jasmatzi AG, um 1905, Stadtmuseum Dresden
menschlichen Organismus stellten die wissenschaftliche Grundlage zur Zurückdrängung des Tabakkonsums dar. Sie standen Pate bei den Gesundheitskampagnen des Deutschen Hygiene-Museums für die gesamte DDR und hatten Einfluss auf den Werbeverzicht der vom Staat gelenkten Industrie. Seit Jahrzehnten wird über Tabakkonsum zwischen Rauchern und Nichtrauchern kontrovers und vehement gestritten. Da die Ergebnisse der Wissenschaft aber die Gefahren für die Gesundheit klar aufzeigen und eindeutig gegen das Rauchen – auch Passivrauchen – sprechen, ist ein Ende der Tabakwarenindustrie auf dem Kontinent über kurz oder lang absehbar. Das ist ein weiterer Anlass, auf dieses prägende Kapitel europäischer Industrie- und Kulturgeschichte zurückzublicken. Auch im Rahmenprogramm zur Ausstellung will das Projektteam aufklärerisch wirken und Forum für den Austausch über das Gestern und das Heute in der globalen Moderne sein. Zu der attraktiven Sonderausstellung erscheint ein wissenschaftlich fundierter Begleitband, in dem Exponate gezeigt werden, die aus Kavala (Griechenland), Wien oder Hamburg nach Dresden geholt wurden. Die beteiligten 12 / 20