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Kontakt: Dr. Ute M端nch Koordinierungsb端ro GEOTECHNOLOGIEN Telegrafenberg, 14473 Potsdam Tel. 0331-288 10 71 geotech@geotechnologien www.geotechnologien.de
Zukunftssicherung f端r Mensch und Erde Konzeption zur Weiterentwicklung des geowissenschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsprogramms GEOTECHNOLOGIEN des Bundesministeriums f端r Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
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GEOTECHNOLOGIEN
Zukunftssicherung für Mensch und Erde Konzeption zur Weiterentwicklung des geowissenschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsprogramms GEOTECHNOLOGIEN des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
Redaktionskomitee: Hans-Peter Harjes · Hans-Joachim Kümpel · Ute Münch · Monika Sester · Ludwig Stroink · Gerold Wefer
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Inhaltsverzeichnis Vorwort .................................................................................................................................................................. 5 GEOTECHNOLOGIEN – Das Forschungsprogramm ............................................................. 6
Forschungsschwerpunkte 11
1.
Klimaänderungen – Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen
2.
Die Biosphäre – Lebensräume und Wandel der Ökosysteme ........................................... 19
3.
Die Tiefsee – Technologische und wissenschaftliche Herausforderung
4.
Der Boden – Die Haut der Erde ............................................................................................................. 41
5.
Zukunftsraum Untergrund – Georessourcen und Geotechnik ........................................ 53
6.
Geomaterialien – Von der Nutzung ihrer Oberflächeneigenschaften bis zu innovativen Hochdrucksynthesen ........................................................................................ 63
7.
Georisiken – Umgang mit extremen Naturereignissen ......................................................... 71
8.
Die virtuelle Erde – Informationstechnologien
9.
Global Monitoring – Erkundung der Erde aus dem Weltraum ........................................ 91
10.
Unser blauer Planet – Die Bedeutung der Erde im Sonnensystem ................................ 101
...........................
..................
........................................................................
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Anhang Bildnachweis/Impressum ...................................................................................................................................... 108 Autorenverzeichnis ..................................................................................................................................................... 110 Abkürzungen ................................................................................................................................................................... 112 Science Reports ............................................................................................................................................................. 114
Inhaltsangabe
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Vorwort Die verheerenden Folgen von Naturkatastrophen, der globale Klimawandel und die intensive Nutzung der natürlichen Ressourcen sind für Politik und Wissenschaft zu einer enormen Herausforderung geworden. Lösungen scheinen nur möglich, wenn die Erde als System begriffen wird, in dem die Geosphäre, Kryosphäre, Hydrosphäre, Atmosphäre, Biosphäre und die Anthroposphäre auf komplexe Weise miteinander verbunden sind. Diesen übergreifenden Ansatz verfolgt das Forschungs- und Entwicklungsprogramm (FuE) GEOTECHNOLOGIEN. Seine interdisziplinär ausgelegten Themenschwerpunkte ermöglichen es, den Lebensraum Erde von der globalen Beobachtung aus dem Weltraum bis in die atomare Dimension seiner einzelnen Bausteine zu untersuchen. Dazu wird ein breites Spektrum modernster Technologien eingesetzt, die den Geowissenschaftlern völlig neue Möglichkeiten an die Hand geben, Prozesse in allen zeitlichen und räumlichen Skalen quantitativ und hoch aufgelöst zu erfassen. Übergeordnetes Forschungsziel der GEOTECHNOLOGIEN ist es: – Prozesse und ihre Wechselbeziehungen besser zu verstehen – die Einwirkungen des Menschen auf diese Prozesse abzuschätzen und – auf der Grundlage dieses System- und Prozessverständnisses zu einem nachhaltig orientierten Erdmanagement zu gelangen.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung dieses systemorientierten Konzepts ist ein disziplinenübergreifendes Forschungsumfeld. In den Verbundprojekten der GEOTECHNOLOGIEN arbeiten Geowissenschaftler, Physiker, Biologen, Chemiker, Ingenieure, Informatiker, Mediziner und Sozialwissenschaftler zusammen. Durch diesen integrativen Ansatz werden Ideen und Kenntnisse gebündelt und neue Synergien geschaffen, die in den einzelnen Fachgebieten selbst nicht entstehen könnten. Das Programm GEOTECHNOLOGIEN hat damit den eingeleiteten Paradigmenwechsel von der disziplinären Forschung zu transdisziplinären Konzepten und Lösungsansätzen konsequent weiterentwickelt. Das breite und differenzierte Themenspektrum der GEOTECHNOLOGIEN ermöglicht es darüber hinaus, Grundlagenwissen in Produkte, Verfahren und Dienstleistungen umzusetzen. Für Klein- und Mittelständische Unternehmen (KMU) wird das Forschungsprogramm damit so attraktiv, dass sich bereits über 50 Unternehmen an den verschiedenen Verbundprojekten beteiligt haben. Damit unterscheidet sich dieses Programm explizit von früheren Initiativen im Bereich der Geoforschung. Nach neun Jahren Forschungsförderung erscheint es uns nun an der Zeit, Bilanz zu ziehen und den Blick nach vorn zu richten. Dazu wurde am 25./26. Mai 2009 in Berlin ein Strategieworkshop durchgeführt, an dem mehr als 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler teilnahmen. Ziel der fach- und institutsübergreifenden Diskussion war es, neue Forschungsfragen aufzuwerfen, bisherige Ziele zu diskutieren und eine Konzentration auf die wichtigen Herausforderungen vorzunehmen. Das Ergebnis dieser Diskussion ist in der vorliegenden Konzeption dargestellt.
Vorwort
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GEOTECHNOLOGIEN – Das Forschungsprogramm
Koordinierte Forschung, grenzübergreifend zwischen Disziplinen und Institutionen Aufbruchstimmung herrschte, als vor gut neun Jahren das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) auf einer gemeinsamen Pressekonferenz das neue Forschungs- und Entwicklungsprogramm GEOTECHNOLOGIEN der Öffentlichkeit vorstellten. Ehrgeizig war nicht nur der Ansatz, ein gemeinsames Forschungsprogramm der beiden wichtigsten deutschen Forschungsförderungseinrichtungen zu etablieren, ambitioniert war auch die Idee, durch ein abgestimmtes Handeln über die Fächer- und Bundeslandgrenzen hinweg den Grundstein für ein globales »Erdsystemmanagement« zu legen. Mit der Jahrtausendwende gingen die ersten Vorhaben in die Förderung. Es ist daher Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen und neue Schwerpunkte für zukünftige Aufgaben zu setzen.
Operativ ist das Programm GEOTECHNOLOGIEN als ein bundesweites Netz interdisziplinärer Forschungsverbünde organisiert. In den Verbünden arbeiten universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sowie Unternehmen eng zusammen. Seit dem Start des Programms im Jahre 2000 wurden viele damals gesetzte Themenschwerpunkte in erste konkrete Forschungsprojekte umgesetzt (Tab. 1). Sie wurden und werden entweder im Rahmen der Projektförderung des BMBF oder als Schwerpunktprogramm der DFG bearbeitet. Wissenschaftlich sind sie eng miteinander vernetzt. Insgesamt haben sich bis heute 46 Universitäten, 34 außeruniversitäre Einrichtungen und 55 Unternehmen an weit über 100 Verbundprojekten beteiligt (Abb. 1). BMBF und DFG unterstützten die Forschungsarbeiten bislang mit circa 140 Millionen Euro. Durch das FuE-Programm GEOTECHNOLOGIEN wurden zudem zahlreiche neue Forschungsinitiativen mit einem Fördervolumen von über 40 Millionen Euro angestoßen.
Abb. 1: Übersicht der bislang am FuE-Programm GEOTECHNOLOGIEN beteiligten Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
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Tab 1 : Übersicht über die bislang im FuE-Programm GEOTECHNOLOGIEN geförderten Themenschwerpunkte (SPP = Schwerpunktprogramm).
Themenschwerpunkt
Förderstatus
Förderinstitution
Erfassung des Systems Erde aus dem Welltraum
· 17 Forschungsverbünde seit 2001 · 10 Projekte im Normalverfahren (NV) · SPP: »Massentransport und Massenverteilung im System Erde«
· BMBF · DFG · DFG
Das Erdinnere als treibende Kraft geowissenschaftlicher Prozesse
· SPP: »Erdmagnetische Variationen – Raum-Zeitliche Struktur, Prozesse und Wirkungen auf das System Erde«. (2000 - 2006)
· DFG
Kontinentränder: Brennpunkte im Nutzungs- und Gefährdungspotenzial der Erde
· 3 Forschungsverbünde (2004 - 2007) · 11 Projekte im NV als Beitrag zu ESF-EUROMARGINS (2003 - 2008) · SPP: SAMPLE: South Atlantic Margin Processes and Links with onshore Evolution (seit 2008)
· BMBF · DFG
Tomographie der Erdkruste
· 9 Verbünde empfohlen (ab 2010)
· BMBF
Sedimentbecken – Die größte Ressource der Menschheit
· SPP: Dynamik sedimentärer Systeme (2002 - 2008)
· DFG
Gashydrate im Geosystem
· 20 Forschungsverbünde (seit 2000)
· BMBF
Stoffkreisläufe: Bindeglied zwischen Geosphäre und Biosphäre
· Öffentliche Bekanntmachung steht noch aus
· BMBF
· 4 Verbundprojekte (2005 - 2009)
· BMBF
· 20 Verbundprojekte (seit 2005)
· BMBF
Mineraloberflächen: Von atomaren Prozessen zur Geotechnik
· 13 Verbundprojekte (seit 2008)
· BMBF
Frühwarnsysteme im Erdmanagement
· 11 Verbundprojekte (seit 2007) · Graduiertenkolleg METRIK
· BMBF · DFG
Informationssysteme im Erdmanagement
· 6 Verbundprojekte (2003 – 2005)
· BMBF
· · Deutsches Klimaforschungsprogramm DEKLIM (2001 – 2006)
· · BMBF
· Rundgespräche sind in Planung
· BMBF
Erkundung, Nutzung, Schutz des unterirdischen Raumes (1) Entwicklung innovativer Vorauserkundungstechnologien im Untertagebau (2) Geologische Speicherung von CO2
Globale Klimaänderungen – Ursache und Auswirkungen Das gekoppelte System Erde-Leben
· DFG
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Marktpositionierung – Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Industrie Die Forschungsthemen des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN sind disziplinenübergreifend und vielfach an der Schnittstelle zwischen Geowissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Biowissenschaften, Physik und Chemie angesiedelt. Entsprechend breit sind die Einsatzmöglichkeiten, die eine hier entwickelte Basistechnologie besitzt. Darin unterscheiden sich die Geowissenschaften von vielen anderen Wissenschaftsbereichen. Eine besondere Herausforderung ist es daher, Unternehmen an den Forschungsvorhaben zu beteiligen und den Know-how Transfer in die Anwendung zu unterstützen.
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Netzwerken und die Bildung von strategischen Allianzen im geowissenschaftlichen Umfeld unterstützen. Neue Allianzen zwischen Forschungsinstituten und Unternehmen ermöglichen überdies überraschende und innovative Entwicklungen: Das ist das Ergebnis eines systematisch ausgebauten Kommunikationskonzeptes, das durch gezielte Vermittlung beide Seiten motivieren konnte. Über die wichtigsten bislang erzielten Forschungsergebnisse wird in den nächsten Kapiteln jeweils unter der Überschrift Förderstatus kurz berichtet.
Öffentlichkeitsarbeit Das wissenschaftliche Steuerungsgremium und das Koordinierungsbüro GEOTECHNOLOGIEN fördern gezielt die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Forschungsinstitutionen. Primäres Ansinnen ist es, Firmen so zu integrieren und sicherzustellen, dass sie einen eigenen Beitrag zu den Zielen des Verbundes leisten können: Nur so ist auch ein wirtschaftliches (und persönliches) Interesse an der Entwicklung innovativer Technologien und Methoden gewährleistet, was letztlich dem Gesamterfolg des Verbundes zu Gute kommt. Der Wunsch nach Zusammenarbeit ist somit beiderseitig, was sich auf die Bereitschaft der Unternehmen zur Beteiligung am Programm positiv auswirkt. Durch diese »nachfrageorientierte« Strategie konnte im Laufe der Zeit die zahlenmäßige Beteiligung von Firmen signifikant gesteigert werden. Mehr als 50 Unternehmen aus den unterschiedlichsten Marktsegmenten haben sich bislang in den diversen Verbundprojekten engagiert. Damit unterscheidet sich das FuE-Programm GEOTECHNOLOGIEN explizit von früheren Initiativen im Bereich der Geoforschung. Komplementär zu diesen Maßnahmen wurde 2007 die Kommunikationsplattform Geotechmarket gegründet. Ziel ist es, technische Innovationen aus geowissenschaftlichen Forschungsvorhaben frühzeitig zu erkennen und erfolgreich am Markt zu platzieren. Das viel zitierte »Matching« findet so seine praktische Umsetzung. Bevorzugt werden Klein- und Mittelständische Unternehmen, die über keine eigenen Forschungsabteilungen verfügen. Auf diese Weise wird der Zugang zum anwendungsorientierten Know-how der Hochschulen und Forschungseinrichtungen erleichtert. Darüber hinaus will Geotechmarket die Entwicklung von
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Forschung transparent und kommunikativ zu gestalten, ist ein weiteres Merkmal des GEOTECHNOLOGIEN-Programms. Bundesweite Wanderausstellungen vermitteln der Bevölkerung Inhalte und Ergebnisse des Forschungsprogramms verständlich und spannend: Die Bedeutung und Alltagsrelevanz geowissenschaftlicher Forschung wird für breite Kreise der Öffentlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes so begreifbar. Mehr als 100.000 Besucher sahen die Wanderausstellung »In die Tiefe gehen«. Zwischen April 2004 und Oktober 2005 stellte diese Ausstellung an sechs Orten Nutzungsmöglichkeiten des Untergrundes in den Fokus des öffentlichen Interesses. Einen noch größeren Erfolg erzielte die im Herbst 2009 abgeschlossene Ausstellung »Unruhige Erde«. Sie begleitete den jüngst gestarteten Forschungsschwerpunkt »Innovative Frühwarnsysteme gegen Naturgefahren«. In Frankfurt/Main, Münster, Bremen, München, Bonn, Berlin, Dresden und Rostock ließen sich insgesamt knapp 250.000 Besucher von den spektakulären Mitmachexponaten, Großaufnahmen und interaktiven Computeranimationen begeistern. In zahlreichen Beiträgen in Funk und Fernsehen sowie in über 60 Zeitungsartikeln wurde über die Ausstellung berichtet. »Unruhige Erde« wurde von über 30 Institutionen aus Wissenschaft und Wirtschaft durch Beiträge unterstützt.
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Zukunftsperspektiven Nach neun Jahren erfolgreicher Forschung ist es an der Zeit, bestehende Forschungsthemen auf den Prüfstand zu stellen und an aktuelle Anforderungen, die von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft an die Geowissenschaften herangetragen werden, anzupassen. Zentrales Anliegen muss es sein, sich an wissenschaftlichen und technologischen Bedürfnissen zu orientieren und neue Wissensgebiete zu definieren, die einerseits Spitzenforschung garantieren, andererseits aber auch konkrete Verwertungsperspektiven ermöglichen. Die »Verwertung« muss dabei nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Faktoren einbeziehen. Am 25. und 26. Mai 2009 fand daher in den Räumen der Bundespressekonferenz zu Berlin ein Symposium zu den zukünftigen Herausforderungen der Geowissenschaften statt. Initiiert wurde das Treffen vom Wissenschaftlichen Koordinierungsausschuss GEOTECHNOLOGIEN und der DFG-Senatskommission für Geowissenschaftliche Gemeinschaftsforschung. Mehr als 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 20 Forschungseinrichtungen und Unternehmen nahmen an diesem Treffen teil.
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aus dem bisherigen Programm aufgegriffen. Darüber hinaus wurden zahlreiche neue Aspekte einbezogen, die zum damaligen Zeitpunkt entweder noch nicht absehbar waren oder erst mit dem heutigen Wissens- und Technologiestand gezielter bearbeitet werden können. Das Resultat ist die vorliegende Konzeption »GEOTECHNOLOGIEN – Zukunftssicherung für Mensch und Erde«, die den neuesten wissenschaftlich-technologischen Erkenntnissen und zukünftigen Forschungsbedarfen Rechnung trägt. Politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträgern können so konkrete Handlungsmöglichkeiten und neue wirtschaftliche Anwendungsfelder aufgezeigt werden. Prof. Dr. Gerold Wefer Vorsitzender des Koordinierungsausschusses GEOTECHNOLOGIEN
Ziel der zweitägigen Veranstaltung war es, bisherige Ziele und Ergebnisse zu diskutieren, neue Forschungsfragen aufzuwerfen und eine Konzentration auf die wichtigen Herausforderungen vorzunehmen. Die Ergebnisse dieses konstruktiven Diskurses sind in 10 große Schlüsselthemen eingeflossen. Sie werden zukünftig eine erhebliche wissenschaftliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung erlangen, und sie sind nur in breiter transdisziplinärer Kooperation zu bearbeiten. Inhaltlich wurden unterschiedliche Fragestellungen
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1. Klimaänderungen – Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen
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Trotz großer Fortschritte in der Klimaforschung sind Klimaprojektionen für die kommenden Jahrzehnte mit großen Unsicherheiten verbunden. Es ist daher dringend erforderlich, diese Unsicherheiten mit Daten aus der Paläoklimaforschung zu verringern. So können frühere Klimavariationen rekonstruiert, Veränderungen der Umwelt quantifiziert und ursächliche Prozesse entschlüsselt werden. Durch die Kombination moderner Klimamodelle mit Paläoklimadaten kann abgeschätzt werden, welchen natürlichen Schwankungen das Klima ausgesetzt war, bevor der Mensch begann, es zu beeinflussen. Paläodaten sind also erforderlich, um natürliche Klimavariationen von menschlichen Einflüssen zu unterscheiden. Zukünftige Meeresspiegeländerungen etwa sind eng mit der Entwicklung der Eiskappen auf Grönland und in der Antarktis verknüpft. Um diese Entwicklung besser abschätzen zu können, müssen die verfügbaren Eisschildmodelle dringend mithilfe globaler Paläodaten verbessert werden. Weiterer Forschungsbedarf besteht bei der technologischen Ausstattung von Observatorien, mit denen kontinuierlich gemessen werden kann, wie Eisschilde etwa auf Änderungen der Temperatur des umgebenden Meerwassers reagieren. Solche Daten sind für die Weiterentwicklung der Eisschildmodelle sehr wichtig. Beim globalen Wasserkreislauf sind die Unsicherheiten der projizierten Änderungen sogar so groß, dass für weite Teile der Erde nicht sicher gesagt werden kann, ob die jährliche Niederschlagsmenge zum Ende dieses Jahrhunderts zu- oder abnehmen wird. Auch in diesem Zusammenhang gilt es, Klimamodelle anhand von Paläoklimadaten zu testen und zu verbessern. Die weltweite Verteilung von Niederschlagsmengen sollte mit neuen Rekonstruktionsmethoden erfasst werden. Dazu bieten sich insbesondere marine und terrestrische Klimaarchive an. Hinsichtlich der Weiterentwicklung von Klimasystemmodellen sollten die Schwerpunkte darauf gelegt werden, die numerische Effizienz bestehender Modelle zu steigern sowie regionale Klimamodelle zu verbessern. Ergänzend sollte ein Informationssystem entwickelt werden, um Modellergebnisse für Anwender leichter zugänglich zu machen.
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1. Klimaänderungen – Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen Einführung Die moderne Industriegesellschaft führt im Klimasystem der Erde ein Großexperiment mit ungewissem Ausgang durch. Trotz immenser Fortschritte in der Klimaforschung sind Klimaprojektionen für die kommenden Jahrzehnte mit großen Unsicherheiten behaftet (vgl. 4. Sachstandsbericht des Weltklimarats). Solche Projektionen zukünftiger Klimaänderungen setzen einerseits ein sehr gutes Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse voraus, andererseits stützen sie sich auf komplexe Rechenmodelle des Klimasystems. Sämtliche Klimaprojektionen für das 21. Jahrhundert zeigen zum Beispiel, dass die Temperaturen in den Polarregionen stärker ansteigen werden als in niederen Breiten. Allerdings ist ungewiss, wie groß diese polare Verstärkung des Klimawandels ausfallen wird. Geowissenschaftliche Klimarekonstruktionen können dazu beitragen, diesen Effekt in Zukunft genauer vorherzusagen. Besonders wichtig ist es, die Stabilität der Eisschilde auf Grönland und in der Antarktis besser einzugrenzen. Die Frage, wie stark und wie schnell der Meeresspiegel in Zukunft ansteigen wird, ist damit eng verknüpft. Die verfügbaren Wasserressourcen werden sich aufgrund des globalen Wandels ebenfalls verändern. Dies wird teilweise gravierende Auswirkungen auf Gesellschaften haben. Neben Veränderungen der verfügbaren Wassermenge sind hier vor allem Änderungen im jährlichen Verlauf der Niederschlagsverteilung von großer Bedeutung. Projektionen der zukünftigen Niederschlagsverteilung weisen gegenwärtig für weite Teile der Erde noch große Unsicherheiten auf. Grund für die Unsicherheiten, die mit den Projektionen des zukünftigen Klimas einhergehen, ist das noch immer ungenügende Verständnis zentraler Prozesse im Klimasystem. Die dokumentierten Zeitreihen des Klimawandels umfassen bestenfalls einige Jahrzehnte und sind damit zu kurz, um die Dynamik der zugrunde liegenden Prozesse ausreichend genau zu analysieren. Aufgrund der kurzen Beobachtungsdauer ist der Test von Klimasystemmodellen nur eingeschränkt möglich. So ist unklar, wie verlässlich diese Modelle für einen Zustand sind, der sich wie das Klima der Zukunft deutlich vom heutigen unterscheidet. Vor dem Hintergrund der Unsicherheiten von Klimaprojektionen hat der Weltklimarat in seinem
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4. Sachstandsbericht die Rolle der Paläoklimaforschung hervorgehoben. Mithilfe von geowissenschaftlichen Daten können frühere Klimavariationen rekonstruiert, Veränderungen der Umwelt quantifiziert und ursächliche Prozesse entschlüsselt werden. Darüber hinaus bieten solche Rekonstruktionen die Möglichkeit, Klimasystemmodelle zu testen und zu verbessern. Die Kombination von Modellen und Paläoklimadaten ermöglicht es außerdem, abzuschätzen, welchen natürlichen Schwankungen das Klima ausgesetzt war, bevor der Mensch begann, es zu beeinflussen. Diese Rekonstruktionen helfen dabei, menschliche Einflüsse von natürlichen Klimavariationen zu unterscheiden. Sie sind somit von bedeutendem Wert für die Forschung zum globalen Klimawandel. Um zu einer möglichst umfassenden Analyse globaler Umweltvariationen zu gelangen, verknüpfen moderne Ansätze der Paläoklimaforschung alle verfügbaren Klimaarchive (terrestrisch, marin sowie glazial). Gemeinsam erlauben paläoklimatische Rekonstruktionen und Ergebnisse der Klimasystemmodellierung weit reichende Einblicke in die Dynamik von Klimavariationen, die für Projektionen des zukünftigen Klimas bedeutend sind. Durch interdisziplinäre Forschungsansätze auf einer globalen Skala gelingt es auch, die räumliche Ausprägung von Variationen im Erdsystem zu entschlüsseln, sodass auch detaillierte Analysen regionaler Aspekte des globalen Klimawandels möglich sind. Klimaforschung bildet eine gesellschaftlich relevante und unabdingbare Vorsorge, um einerseits zu erkennen wie das Klimasystem funktioniert und andererseits, um das notwendige Handlungswissen für mögliche Gegen- und Anpassungsmaßnahmen zu erhalten.
Förderstatus Als echtes Querschnittsthema ist die Klimaforschung in fast allen Projekten des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN präsent. Unter der Maßgabe »Geoforschung ist Klimaforschung« finden sich in mehreren Themenschwerpunkten zahlreiche Forschungsprojekte mit konkreter, zielgerichteter Klimarelevanz. Themen übergreifend werden im Rahmen der verschiedenen GEOTECHNOLOGIEN-Projekte grundlegende Handlungs- und Orientierungshinweise für in der Praxis wichtige Klimaschutzmaßnahmen erarbeitet. Komplementär und nahezu zeitgleich mit dem Start des FuE-Pro-
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gramms GEOTECHNOLOGIEN förderte das BMBF zwischen 2001 und 2006 das deutsche Klimaforschungsprogramm DEKLIM mit insgesamt 37 Millionen Euro.
Stand von Forschung, Entwicklung und Anwendung Kryosphäre im Wandel Durch satellitengestützte Fernerkundung (z. B. GRACE) und Überfliegungen werden seit einigen Jahren Veränderungen in der Massenbilanz der Eisschilde in der Antarktis und in Grönland festgestellt. So schmilzt Grönlands Eisschild an den Rändern verstärkt ab, während er in Teilen des Zentrums anwächst. In der Gesamtbilanz dominiert allerdings – trotz Unsicherheiten zwischen den unterschiedlichen Messmethoden – seit einigen Jahren offenbar das Abschmelzen. Vor allem an den Rändern des Eisschildes variiert die Fließgeschwindigkeit stark. Weshalb, ist bisher aber nur sehr unzureichend verstanden. Eisschildmodelle können diese Dynamik nicht korrekt wiedergeben. Noch schwerer lassen sich die Veränderungen des antarktischen Eisschildes beurteilen. Die beobachteten Veränderungen in der Massenbilanz sind dort aufgrund des kurzen Beobachtungszeitraumes mit so großen Fehlern behaftet, dass derzeit keine verlässliche Aussage darüber möglich ist, ob der Eis-
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schild insgesamt schmilzt oder wächst. Entsprechend ist auch der projizierte Meeresspiegelanstieg mit großen Unsicherheiten behaftet. In der letzten Zwischeneiszeit vor zirka 125.000 Jahren war es in weiten Teilen der Arktis wärmer als heute. Rekonstruktionen zeigen, dass die Sommertemperaturen in Grönland zirka vier bis fünf Grad Celsius über den heutigen Temperaturen lagen. Diese Temperaturerhöhung entspricht ungefähr der Temperaturenzunahme, die gegen Ende des 21. Jahrhunderts in Grönland erwartet wird. In der letzten Zwischeneiszeit führten allerdings unterschiedliche Erdorbitalparameter zur Temperaturzunahme, während die Erwärmung in diesem Jahrhundert im Wesentlichen auf die Zunahme der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre zurückgeführt werden kann. So ist zwar die Ursache der Erwärmung eine andere, die Auswirkungen aber sind vermutlich ähnlich. Der Vergleich von glaziologischen Befunden und Ergebnissen aus Klimasystemmodellen lässt vermuten, dass 30 bis 50 Prozent der heutigen grönländischen Eiskappe in der letzten Zwischeneiszeit abgeschmolzen waren. Dies entspricht einer Zunahme des mittleren Meeresspiegels um zirka zwei bis drei Meter. Entscheidend ist, wie schnell der Meeresspiegel in Zukunft steigen könnte. Auch hier liefern Paläoklimadaten wichtige Informatio-
Abb. 1-1: Sommerliche minimale Meereisbedeckung in der Arktis mit eisbedeckter Fläche am 14. September 2007 (weiß) sowie durchschnittlicher Bedeckung für den Zeitraum 1979-2007 (ocker). Die Zeitreihe (oben links) zeigt den stetigen Rückgang der Meereisfläche seit Beginn der Satellitenaufzeichnung Ende der 1970er Jahre.
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nen. In Warmzeiten können Meeresspielanstiege von einem bis zwei Metern in hundert Jahren nicht ausgeschlossen werden. Substanzielle Veränderungen finden gegenwärtig auch in der Meereisbedeckung des Arktischen Ozeans statt. Hier ist die sommerliche Meereisbedeckung seit Ende der 1970er Jahre bis 1996 um zwei Prozent pro Dekade geschrumpft, danach um zehn Prozent pro Dekade. Ob der seit 2007 beobachtete dramatische Anstieg im Eisrückgang (Abb. 1-1) Teil eines natürlichen Zyklus ist, oder ob ein Schwellenwert hin zur eisfreien Arktis überschritten wurde, kann gegenwärtig noch nicht geklärt werden. Keines der im Rahmen zukünftiger Klimaprojektionen verwendeten Klimasystemmodelle hat den Rückgang der letzten Jahre korrekt vorausgesagt. Natürliche Klimavariabilität in Warmzeiten auf gesellschaftlich relevanten Zeitskalen Die Warmzeit des Holozäns ist der Ausgangspunkt für die zukünftige Klimaentwicklung und sollte entsprechend untersucht werden. Die Bandbreite der natürlichen Klimavariabilität lässt sich aber nur erkennen, wenn das Holozän mit früheren Interglazialen verglichen wird. Um die Folgen des aktuellen Klimawandels abschätzen zu können, sind dabei Klimaschwankungen auf Zeitskalen von einigen Dekaden bis hin zu wenigen Jahrhunderten von besonderem Interesse. Aufzeichnungen von Klimaschwankungen der vergangenen Jahrzehnte belegen, dass sich das Klimasystem bereits innerhalb solch kurzer Zeitspannen verändert. Das sicherlich bekannteste Beispiel für solche Klimaschwankungen in historischer Zeit ist die sogenannte »Mittelalterliche Wärmeperiode« im 11. Jahrhundert mit der anschließenden »Kleinen Eiszeit«, deren kältester Abschnitt vom 17. bis zum 19. Jahrhundert dauerte. Obwohl sich die Durchschnittstemperatur zwischen beiden Perioden auf der Nordhemisphäre damals nur um etwa 0,4 Grad Celsius unterschied, wirkte sich die Abkühlung der »Kleinen Eiszeit« drastisch auf die Menschen aus. Das belegen historische Aufzeichnungen. Schwankungen der Sonnenaktivität oder Vulkanismus könnten die Klimaschwankungen im Mittelalter ausgelöst haben. Klimaschwankungen über längere Zeiträume hin-
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weg sind dagegen kaum dokumentiert, da nur sehr wenige instrumentelle und historische Datensätze aus vergangenen Jahrhunderten existieren. Die Zeitreihen aus den vergangenen 300 Jahren lassen zwar regionale Trends erkennen, doch erst eine Verlängerung der instrumentellen Aufzeichnungen durch Paläoklimadaten brachte Hinweise, dass diese Trends oft Abschnitte längerer Klimafluktuationen waren. Auf einer Zeitskala von wenigen Jahren prägen sogenannte »Klimamoden« die Schwankungen des Klimas. Dazu gehören zum Beispiel die El NiñoSüdliche Oszillation, die Arktische Oszillation und die Nordatlantische Oszillation. Es ist ein vordringliches Ziel der modernen Klimaforschung, diese Schwankungen zu verstehen und vorherzusagen. Ob die globale Erwärmung diese Moden abschwächen oder verstärken wird, lässt sich derzeit nicht eindeutig beantworten. Anhand von Paläoklimaarchiven und Klimasystemmodellen kann jedoch untersucht werden, wie sich diese Moden langfristig entwickeln (Abb. 1-2). Neben Temperaturänderungen sind vor allem Veränderungen im Wasserkreislauf von Bedeutung. Sie entscheiden letztlich über verfügbare Trinkwasserressourcen und landwirtschaftliche Erträge. Insbesondere in den Monsungebieten verstärkt die hohe Bevölkerungsdichte die Empfindlichkeit von Gesellschaften gegenüber Schwankungen im hydrologischen Kreislauf. Anhand von Beobachtungsdaten wurden deshalb in den vergangenen Jahren unterschiedliche Hypothesen dazu formuliert, welchen Einfluss z. B. die Ozeanoberflächentemperatur auf den hydrologischen Kreislauf dieser Regionen haben könnte. Die Kürze der Beobachtungszeitreihen erlaubt allerdings keinen abschließenden Test der unterschiedlichen Hypothesen. So wurden zum Beispiel für die Trockenheit in Nordamerika in den 1930er Jahren und der Sahelregion in den 1970er Jahren Veränderungen der Ozeantemperaturen und Veränderungen der großskaligen Ozeanzirkulation im Nordatlantik verantwortlich gemacht. Dieser Zusammenhang wird zwar auch durch Paläoklimadaten untermauert, hinsichtlich der zukünftigen Niederschlagsverteilung und -variation bestehen jedoch nach wie vor immense Unsicherheiten.
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Abb. 1-2: Die Dynamik vergangener Klimavariationen kann durch die Kombination geowissenschaftlicher Klimarekonstruktionen mit Ergebnissen der Klimasystemmodellierung entschlüsselt werden.
Atmosphärische Aerosole beeinflussen maßgeblich die globale Strahlungsbilanz. Der durch Menschen verursachte Eintrag von Aerosolen in die Atmosphäre trägt heute zu einer Abkühlung bei, sodass die globale Erwärmung weniger stark ausfällt als aufgrund der Treibhausgaskonzentrationen zu erwarten wäre. Während die Rolle der Treibhausgase in der Atmosphäre inzwischen gut verstanden ist, sind bei den Prozessen, die durch Aerosole beeinflusst werden, noch viele Fragen offen (Abb. 1-3). Sie betreffen beispielsweise die aerosolbedingte Wolkenbildung sowie Änderungen in der Bildung von Aerosolen bei einem sich wandelnden Klima. Darüber hinaus stellen Aerosole ein wichtiges Bindeglied im Erdsystem dar, etwa indem sie die Biosphäre über weite Distanzen mit Nährstoffen versorgen. Natürliche Klimaarchive zeigen, dass sich der Gehalt von Schwebeteilchen in der Atmosphäre zwischen Kaltzeiten und Warmzeiten, aber auch auf einer Skala von einigen Jahren oder Jahrzehnten stark ändern kann. So zeigen die Eiskerne in Kaltzeiten zehn- bis hundertmal so viel Meersalz- und Mineralstaubaerosole an wie in
Warmzeiten. Wie sich die Aerosol-Quellen und ihr Transport in der Atmosphäre mit der Zeit verändern, konnte bisher nur unzureichend modelliert werden. Es ist deshalb weitgehend unbekannt, welche Ursachen dafür verantwortlich sind.
Notwendige FuE-Aufgaben Um kritische Unsicherheiten zu reduzieren, die mit Vorhersagen des zukünftigen Klimas einhergehen, sind folgende Aufgaben zu lösen: (i) Eisdynamik und Meeresspiegelanstieg Eine der größten Herausforderungen ist es, verlässliche Aussagen zum Anstieg des globalen Meeresspiegels zu treffen. Mit Inlandeismodellen können die beobachteten Veränderungen der grönländischen und antarktischen Eiskappen derzeit nicht korrekt simuliert werden. Daher ist es unbedingt erforderlich, die Eisdynamik besser in Modellen abzubilden. Notwendig ist dabei in erster Linie eine engere Zusammenarbeit zwischen Glaziologen und Fluiddynamikern. Gleichzeitig sollten Fernerkundungsdaten in Inlandeis- sowie Meer-
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Abb. 1-3: Komponenten und Unsicherheiten des global gemittelten Strahlungsantriebs (SA) seit Beginn der Industrialisierung für anthropogenes Kohlendioxid (CO 2), Methan (CH4), Lachgas (N2O) und andere wichtige Faktoren und Mechanismen, zusammen mit der typischen geographischen Wirkung (räumliche Skala) und dem heutigen Wissensstand.
eismodelle einbezogen werden. Diese Technik ist für Modelle von Atmosphäre und Ozean gut etabliert und erlaubt eine realitätsnahe Modellierung von Veränderungen. Darüber hinaus muss die Schnittstelle zwischen Ozean und Inlandeiskappen, insbesondere der Kontaktbereich zwischen Ozeanwasser und Eisschild (grönländische Fjorde, Westantarktischer Eisschild) verstärkt beobachtet werden. Vereinzelte Beobachtungsdaten weisen darauf hin, dass die zu erwartende Zunahme der Ozeantemperatur die Abschmelzrate der Eisschilde beschleunigen könnte. Dieser möglicherweise bedeutsame Verstärkungseffekt ist gegenwärtig nicht in Klimasystemmodellen enthalten. Die Datenbasis muss entsprechend verbessert werden, damit die Eis-Ozean-Schnittstelle in der nächsten Generation von Klimasystemmodellen angemessen dargestellt werden kann.
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Aus technologischer Sicht sind hierzu kontinuierliche glaziologische und ozeanographische Messsysteme notwendig, die die Aktivität der Eisschilde und der hydrographischen Bedingungen gleichzeitig erfassen. Entsprechende Installationen wären vor allem am Fuß der großen Gletscher Grönlands sinnvoll. Hier besteht Entwicklungsbedarf, um entsprechende Messungen unter polaren Umweltbedingungen über längere Zeiträume durchzuführen. Neben automatischen Messstationen mit Datenübertragung über Bojen und Satelliten bieten sich hierzu auch kabelgebundene Observatorien im Ozean an. Um die neue Generation von Eisschildmodellen zu testen, sind insbesondere Daten zu Extremsituationen notwendig. Zentrale Herausforderungen bestehen hier im Hinblick auf die Stabilität der Eisschilde. Es gilt, die maximale Abschmelzrate korrekt zu quantifizieren und damit einhergehend die maximale Rate des Meeresspiegelan-
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stiegs. Beide Informationen können nur aus Paläoklimadaten abgeleitet werden. Die notwendigen hochauflösenden, kontinuierlichen Meeresspiegelrekonstruktionen können aus marinen Archiven generiert werden. Dazu müssen hochauflösende marine Sequenzen an Schlüsselpositionen (z. B. Rotes Meer; südwestlicher Atlantik) gewonnen werden, die es erlauben, regionale Muster von Änderungen des Meeresspiegels in der Vergangenheit genauer zu quantifizieren. Durch den Vergleich mit geophysikalischen Modellen können aus diesen Daten entscheidende Erkenntnisse über das dynamische Verhalten von Eisschilden abgeleitet werden. (ii) Wasserkreislauf Mögliche regionale Änderungen im globalen Wasserkreislauf sind bislang nicht ausreichend verstanden, um zum Beispiel das Risiko von Megadürren in den Subtropen oder Veränderungen im globalen Monsunsystem verlässlich abzuschätzen. Angesichts der großen Zahl der Menschen, die von solchen Klimaänderungen betroffen wäre, sind derzeitige Vorhersagen aus planerischer Sicht unzureichend. Die Kombination von Modellierungen und zeitlich hochauflösenden Paläoklimazeitreihen wird neue wesentliche Erkenntnisse zur Funktionsweise des globalen Wasserkreislaufes bringen. Mithilfe gezielter Probenentnahmen entlang hydrologischer Gradienten können einerseits die Verlagerung von Niederschlagsgürteln dokumentiert, andererseits die Änderungen der Niederschlagsmenge quantifiziert werden. Hierzu bieten sich Transekte entlang der Kontinentalränder mit marinen Archiven wie auch entsprechende terrestrische Transekte an. Das Vorhandensein von Mineralstäuben, die als Aerosole einen großen Einfluss auf die Strahlungsbilanz der Atmosphäre haben, steht in engem Zusammenhang mit dem globalen Wasserkreislauf. Werden Rekonstruktionen von Aerosoleinträgen in die Atmosphäre (z. B. aus Eisbohrkernen, marinen und limnischen Sedimenten) mit Klimasystemmodellen kombiniert, ist es in Zukunft möglich, die Rolle der Aerosole besser zu quantifizieren. Um den Transport von Aerosolen und ihren Effekt auf die Strahlungsbilanz zu erfassen, müssen allerdings die Modelle verbessert werden.
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(iii) Klimasystemmodelle Mit Paläoklimadaten lässt sich das dynamische Verhalten von Klimasystemmodellen hervorragend überprüfen. Voraussetzung ist allerdings, dass identische Modelle für vergangene und zukünftige Änderungen des Klimas verwendet werden. Viele durch Paläoklimadaten entwickelte Fragestellungen erfordern jedoch lange Rechenzeiten, sodass häufig Modelle mit reduzierter Komplexität oder Auflösung eingesetzt werden. Um die Kette von Paläoanwendungen zu Prognosen zu schließen, sind schnellere Modelle notwendig. Entwicklungsbedarf besteht hier bei der Implementierung effizienterer numerischer Algorithmen. Daher sollte die Zusammenarbeit zwischen Numerik und Klimamodellierung verstärkt werden. Regionale Klimamodelle und ihre weitere Entwicklung sind für die Forschung zum globalen Klimawandel und für den Umgang mit ihm wichtig. Wie erfolgreich sie sind, lässt sich nicht nur daran messen, wie gut sie den Bedarf an Informationen für aktuelle gesellschaftliche Entscheidungen decken. Entscheidend ist auch, wie sie das Wissen über das Klima und seine Entwicklung vermehren und neue (interdisziplinäre) Forschungsansätze hervorbringen. Bei der Weiterentwicklung von Modellen sollten auch Klimakomponenten wie die dynamische Vegetation oder die Dynamik der Nord- und Ostsee berücksichtigt und zentrale Prozesse wie Konvektion, Niederschlagsentstehungen oder die Kopplung von Boden und Atmosphäre besser dargestellt werden. Auch sollten regionale Klimamodellierungen für sich entwickelnde Regionen wie Afrika und Asien gefördert werden. Um entsprechend der neuen Modellierungen planen zu können, sollten die Ergebnisse der Modellrechnungen etwa über ein geeignetes Expertensystem zugänglich gemacht werden und kontextbasierte Fragen mithilfe einer Web-Schnittstelle möglich sein.
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2. Die Biosphäre – Lebensräume und Wandel der Ökosysteme Bohrmann, MARUM Bremen
Die Erde ist der Lebensraum des Menschen und einer großen, bisher aber nur zu einem sehr geringen Teil bekannten Vielfalt von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen. Die belebte Umwelt erstreckt sich über den gesamten Planeten bis mehrere Hundert Meter unter den Erdboden, Meeresboden oder das Eis. Die Erde ist der einzige bekannte Himmelskörper mit einer Biosphäre. Sie besteht aus einer enormen Diversität von Ökosystemen und war in der Entwicklungsgeschichte der Erde großen Schwankungen in Atmosphärenchemie, Umweltbedingungen und der Artenvielfalt ausgesetzt. Die Biosphäre ist eine zentrale Komponente im System Erde: Sie beeinflusst alle wichtigen oberflächennahen Stoffkreisläufe, so etwa des Wassers, des Kohlenstoffs und Stickstoffs, und wirkt unmittelbar auf Verwitterung, Erosion und Sedimentation sowie auf das Klima. Darüber hinaus liefert die Biosphäre den Menschen zahlreiche Produkte und Ökosystemdienstleistungen, deren Wert bisher auf über 30 Billionen Euro jährlich geschätzt wird. Ein großes Potenzial besitzt die Biosphäre ferner für die Entwicklung eines nachhaltigen Erdsystemmanagements oder Geoengineerings. Doch die Biosphäre und ihre Bedeutung für das Erdbeziehungsweise Klimasystem und damit für den Menschen ist bisher nur unzureichend erforscht. Es fehlt vor allem das quantitative Verständnis von Prozessen, das die Entwicklung von konsistenten Biosphärenmodellen erlaubt. Zudem ist die Biosphäre durch die wachsende Landnutzung und den Klimawandel hochgradig bedroht, sodass man bereits von dem 6. Massenaussterben der Erdgeschichte spricht. Im Rahmen der GEOTECHNOLOGIEN sollten daher vor allem zwei Großthemen der Biosphärenforschung bearbeitet werden: (1) Beobachtung des lokalen und globalen Wandels der Ökosysteme und ihrer Funktion/Dienstleistung und daraus die Entwicklung von Konzepten für ein nachhaltiges Erdsystemmanagement. (2) Erforschung neuer, z. B. extremer und unbekannter Ökosysteme (z. B. »Tiefe Biosphäre«, polare Habitate) zur vollständigeren Erfassung der Diversität des Lebens und seiner Funktionen. Hierfür wird eine Vielzahl neuer Geo- und Biotechnologien benötigt, etwa der Gelände-Beobachtung, der System-Modellierung, der experimentellen Ökologie, der Satelliten- und Unterwasser-Technik sowie hochauflösende und sensitive analytische Messverfahren.
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2. Die Biosphäre – Lebensräume und Wandel der Ökosysteme Einführung Die Biosphäre ist – zusammen mit Wasser – die wichtigste Ressource der Menschheit. Der Mensch ist nicht nur Bestandteil der Biosphäre, er lebt auch von ihr. Die Biosphäre ist die Grundlage für unsere Ernährung und liefert zahlreiche weitere wichtige Produkte, so etwa Bauholz und Rohmaterialien für Papierherstellung oder pharmazeutische Erzeugnisse. Auch als Energielieferant spielt sie nach wie vor eine wichtige Rolle. So stammt etwa ein Viertel bis ein Drittel der jährlichen anthropogenen Kohlenstoffemission aus der Verbrennung von Biomasse. Der wachsende Technologiebereich der Bionik, das heißt die Entschlüsselung von Erfindungen der belebten Natur und ihre innovative Umsetzung in die Technik, schöpft ihre Ideen für »smarte« Technologielösungen ebenfalls aus der Biosphäre. Vor allem aber haben biologische Systeme stets den größten und entscheidenden Einfluss auf die unbelebte Natur, wie sich schon in der Entwicklung des Sauerstoffs in der Atmosphäre in der Erdgeschichte eindrucksvoll gezeigt hat. Das Potenzial für eine Nutzung der Biosphäre, insbesondere der Mikroorganismen, ist riesig und bisher erst in Ansätzen bekannt und entwickelt. Beispiel Arzneimittel: Allein in den USA werden jährlich Biopharmarka im Wert von vielen Milliarden Dollar umgesetzt. Die pharmazeutische Industrie nutzt bisher aber nur einige wenige Organismen, um neue Wirkstoffe zu entwickeln. Dabei ist von den rund 350.000 bekannten Landpflanzen jede fünfte eine potenzielle Heilpflanze. Auch in der Bionik werden die Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft. In Deutschland werden mit bionischen Produkten aber bereits jährlich mehrere Millionen Euro umgesetzt. Die Biosphäre spielt auch in dem komplexen System Erde eine zentrale Rolle. So werden nahezu alle Stoffkreisläufe der Erdkruste von der Biosphäre kontrolliert oder beeinflusst, insbesondere die Kreisläufe des Wassers (H2O), des Kohlenstoffs (C) und des Stickstoffs (N). Auch Teile des Gesteinskreislaufes wie Verwitterung, Erosion und Sedimentation werden entscheidend von der Biosphäre geprägt. Riffe, Karbonatplattformen oder Kohlen bilden ganze Gebirgszüge und Schichtpakete und belegen die erdgeschichtliche Bedeutung der
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Biosphäre. Nicht zuletzt spielt die Biosphäre aber eine wichtige Funktion im Klimasystem: Sie verändert – etwa über die Vegetationsbedeckung – die Albedo (Reflexion der einstrahlenden Sonnenenergie) und damit die Strahlungsbilanz der Erde. Sie beeinflusst über die Stoffkreisläufe die atmosphärische Konzentration von Treibhausgasen wie Wasserdampf, CO2 oder CH4 sowie von Aerosolen und sie wirkt auf das Windfeld. Für GEOTECHNOLOGIEN wichtige Aspekte sind die Erzeugung von Biotreibstoffen, die Nutzung von Biogas oder die verbesserte Bildung von organischer Bodenmatrix als Funktion der Kohlenstoffspeicherung. Aber auch die Beeinflussung der Bioverfügbarkeit und damit der relevanten ökotoxikologischen Konzentrationen von Schwermetallen, die mit dem Bergbau auf großen Flächen des Abraums und in Tailings freigesetzt werden, könnten bei einem tiefergehenden Prozessverständnis modifiziert und damit die nutzbare Agrarfläche erweitert werden. Die Funktionen der Selbstreinigung (»natural attenuation«) könnten ebenfalls genutzt werden, wenn die Prozesse verstanden und damit eine gezielte Förderung der erwünschten Prozesse möglich wäre. Damit spielen die vielfältigen Funktionen der Biosphäre nicht nur für Nahrungsnetze sondern auch für GEOTECHNOLOGIEN eine zunehmend bedeutendere Rolle. Die Biosphäre ist also eine Schlüsselkomponente im Erd- und Klimasystem. Die Funktionen dieses Systems werden auch als »ecosystem services« oder »Ökosystem-Dienstleistungen« des Menschen bezeichnet und umfassen neben dem Einfluss auf Klima, Wasserqualität und -quantität auch die Rolle der Biosphäre für Umweltstabilität und -resilienz, Bodenqualität, oder Luftreinhaltung. Der gesamte volkswirtschaftliche Wert der Biosphäre ist bisher nur schwer zu fassen, doch wird er auf über 30 Billionen Euro jährlich geschätzt. Angesichts der zentralen Bedeutung der Biosphäre für den Menschen sowie für das Klima- und Erdsystem stehen wir heute im Wesentlichen vor zwei großen Herausforderungen: So muss die Biosphäre mit ihren Wechselwirkungen und ihrer Bedeutung für uns Menschen umfassend erforscht werden. Vor allem bei der Quantifizierung von Prozessen ist unser Wissen bisher ausgesprochen rudimentär. Zwar hat die Biologie in den letzten Jahrzehnten auf der molekularen und physiologischen Ebene
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große Fortschritte erzielt, auf der organismischen, ökosystemaren und Biosphären-Ebene ist man aber von einem ähnlich tiefen und umfassenden Verständnis noch weit entfernt, insbesondere weil nur ca. 0,1 % der Mikroben-Arten bisher bekannt und diese noch weniger als Reinkultur einer physiologischen Untersuchung zugänglich sind. Zudem leben Mikroorganismen nie allein, sondern im natürlichen Lebensraum haben sich Konsortien mit verteilten Funktionen und syntrophe Gemeinschaften herausgebildet, die sich mit einem experimentellen Ansatz nur schwer erfassen lassen. Man kennt heute knapp zwei Millionen Tier- und Pflanzenarten und einige wenige Tausend Mikroorganismen, dies ist aber nur ein Bruchteil der Biosphäre, vermutlich existieren weit über 100 Millionen Arten auf der Erde. Ganze Lebensräume wie die Tiefsee oder die sogenannte »Tiefe Biosphäre«, die in der Erdkruste bis mehrere Hundert Meter tief reicht, sind fast gar nicht erforscht. Große und grundsätzliche Kenntnislücken bestehen auch bezüglich der Reaktionen der Biosphäre auf den Klimawandel. Auch die dynamische Vegetations- und Biosphärenmodellierung steht noch ganz am Anfang. Die Erde als den bisher einzig bekannten belebten Planeten wird man erst verstehen, wenn auch die Rolle der Biosphäre im System Erde verstanden ist und Erdsystemmodelle auch dynamische Biosphärenmodelle enthalten. Eine große Herausforderung ist der nachhaltige Schutz und die nachhaltige Nutzung der Biosphäre. Die menschlichen Aktivitäten beeinflussen oder dominieren inzwischen alle Lebensräume und biogeochemischen Zyklen der Erde – die Menge reaktiven Stickstoffs in der Umwelt hat sich beispielsweise in den letzten 50 Jahren mindestens vervierfacht und verändert Landschaften, Seen, Flüsse und den Küstenozean. Der Klimawandel und sein Einfluss auf regionale Temperaturen, Niederschlag und Trockenheit führt zu erheblichen Verschiebungen von Arten und Ökosystemen. Diese reichen von den Genen der Individuen über die Artebene bis hin zur Vielfalt der Lebensgemeinschaften und der Wechselwirkungen zwischen Organismen und ihrer Umwelt. Als Folge der menschlichen Eingriffe in die Umwelt
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beobachten wir heute ein Massenaussterben von Arten. Die »Rote Liste« der International Union for Conservation of Nature (IUCN) nennt knapp 40 Prozent der untersuchten Tier- und Pflanzenarten als vom Aussterben bedroht. Täglich sterben mehr als 100 Arten aus, viele Lebensräume sind bedroht und bis 2050 werden vermutlich mehr als 50 Prozent der Riffe zerstört sein. Welche Folgen der Verlust an Biodiversität für das Erd- und Klimasystem sowie für die Ökosystem-Dienstleistungen haben wird, ist bisher nicht bekannt. Sicher ist aber, dass die Konsequenzen weitreichend sein werden. Gerade für Mitigations- und Adaptationsstrategien könnte die Biosphäre eine wichtige Rolle spielen. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, dass sich die Geowissenschaften mit der Erforschung der Biosphäre und ihrer Bedeutung für das Erd- und Klimasystem sowie mit der nachhaltigen Nutzung und dem Schutz der Biosphäre befassen. Dabei geht es insbesondere um die Entwicklung von quantitativen Erd- und Biosphären-Beobachtungsmethoden und entsprechenden Archiven.
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Förderstatus Der Themenschwerpunkt »Das gekoppelte System Erde – Leben« ist derzeitig in Vorbereitung. Rundgespräche hierzu sind in Planung. Danach erfolgt auf Basis des zu erarbeitenden Wissenschaftsplans voraussichtlich Ende 2010 ein Vorschlag zur Ausschreibung an das BMBF. Aspekte des Themenschwerpunktes »Stoffkreisläufe: Bindeglied zwischen Geosphäre und Biosphäre« werden aber ebenfalls einen wichtigen Beitrag für den Forschungsschwerpunkt »Biosphäre – Lebensräume und Wandel der Ökosysteme« geben. Eine öffentliche Bekanntmachung des Themenschwerpunktes »Stoffkreisläufe« (s. auch Kap. 4) steht noch aus.
Stand von Forschung, Entwicklung und Anwendung Die Forschung an Fossilien und die Rekonstruktion vergangener Umweltbedingungen haben es möglich gemacht, Veränderungen der Biodiversität – also der Vielfalt von Genen, Arten und Gemeinschaften auf der Erde – erdgeschichtlich zu erfassen. Eine der spannendsten Fragen besteht darin, wieso die Vielfalt des Lebens mehrfach rapide zuoder abgenommen hat. Besonders interessant sind
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die Massensterben während der Erdgeschichte (Abb. 2-1). In der Erdgeschichte brach die Biodiversität mehrfach drastisch ein. Mehrere Massensterben ereigneten sich. Obwohl diese Krisen bereits lange erforscht werden, sind die auslösenden Faktoren immer noch umstritten. Ein weiteres Aussterbeereignis hängt mit der Besiedlung der Erde durch den Menschen im Pleistozän und Holozän und dem exponentiellen Anstieg der Weltbevölkerung zusammen. Die Folgen waren schrumpfende natürliche Lebensräume und eine Flora und Fauna, die durch ihre erschöpfende Nutzung oder durch eingeschleppte Arten und Krankheiten verdrängt und vernichtet wurden. Die Effekte menschlichen Handelns sind in allen Ökosystemen der Erde zu beobachten. Ein neues Problem besteht darin, dass manche Umweltveränderungen wesentlich schneller vor sich gehen als angenommen. Abgesehen von der Überfischung der Meere wurde erst in jüngerer Zeit bekannt, dass die erhöhte Aufnahme von CO2 aus der Atmosphäre die Ozeane saurer werden lässt und dadurch die Kalkausscheidung von Organismen (z. B.
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von Riffkorallen und kalkigem Plankton) erschwert. Besonders die noch wenig bekannten polaren Ökosysteme sind durch den Klimawandel stark bedroht und schrumpfen. Meereis und Gletscher verschwinden in ungeahntem Tempo, manche Meeresgebiete wie die Arktis versauern und erwärmen sich rapide; damit leiden die Funktionen des Ökosystems wie O2-Bildung, CO2-Fixierung und Nahrungsproduktion (Plankton und Krill), die eine essenzielle Energiequelle für Meeressäuger und Fische darstellen. Viele Regionen an Land leiden zunehmend unter unerwartet starken Trockenheiten und Überflutungen. Ein großes Problem ist auch die globale Verteilung von persistenten und toxischen neuen Stoffen, die ihren Weg aus den Industrieländern in entfernte Regionen finden und dort in der Nahrungskette akkumulieren. In den wenigsten Fällen sind Verteilungswege und Wirkungen bekannt. Die gezielte Untersuchung von Prozessen ist – neben der Entdeckung neuer Phänomene – eine Aufgabe der Zukunft, die eng an eine Umweltüberwachung gekoppelt ist. Schon immer hat sich der Mensch unbekannte
Abb. 2-1: Massenaussterbe-Ereignisse im Phanerozoikum (schwarze Rauten); die Dreiecke entsprechen Eiszeiten. In C ist der Temperaturverlauf im Phanerozoikum gegenüber der heutigen Temperatur zu sehen.
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Regionen erschlossen. Dabei hat er zum einen nach geographischen Informationen gesucht, zum anderen nach Wissen über Lebensräume und ihre Bewohner. Dank neuer, hochauflösender geophysikalischer Methoden zur Kartierung des Meeresbodens und durch den Einsatz von Forschungstauchbooten und Tauchrobotern werden auch im Meer immer häufiger neue Lebensräume entdeckt. Das Meer ist also kein einheitliches Ökosystem, sondern es besteht aus einer enormen Vielfalt von unterschiedlichen Systemen. Bei Bohrungen in tiefe Boden- und Eisschichten sind zudem neue Lebensräume unbekannter Mikroorganismen entdeckt worden, die sogenannte »Tiefe Biosphäre«. Auf der Erde existieren zahlreiche extreme Lebensräume, zum Beispiel Salzseen, saure oder basische Gewässer, Eis oder heiße Flüssigkeiten. Die Erforschung der Ökosysteme in diesen extremen Lebensräumen zeigt, wo die Grenzen des Lebens auf der Erde und auf anderen Planeten liegen. Sie trägt auch dazu bei, den Ursprung des Lebens zu verstehen. Ohne ein breites Wissen um die Bedeutung und die Gefährdung der biologischen Vielfalt wird es weder eine nachhaltige Nutzung noch einen ausreichenden Schutz der Biosphäre geben. Es müssen schnelle und zuverlässige Verfahren der Artbestimmung und Phylogenie entwickelt werden. Bildgebende in-situ Verfahren mit möglichst schneller Identifizierung und hohem Probendurchsatz und die Verknüpfung der guten, international verfügbaren DNA und Spezies-Sammlungen mit gut vernetzten und zugänglichen Umweltdatenbanken sind hierbei nur einige der notwendigen Entwicklungen. Die Geowissenschaften tragen dazu bei, indem sie zum Beispiel Lebensräume an Land und im Meer kartieren, Geoinformationssysteme (GIS) entwickeln und Umweltbedingungen über lange Zeit messen. Die Frage, wie sich die Biodiversität auf der Ebene von Genen, Populationen und Gemeinschaften im Verlauf der Erdgeschichte verändert hat, ist nur schwer zu beantworten. Trotz technologischer Fortschritte sind wichtige Kenngrößen der Biodiversität noch immer unbekannt. Wie viele unterschiedliche Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen es auf der Welt gibt, weiß niemand, die Schätzungen schwanken zwischen zehn und 500 Millionen.
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Notwendige FuE-Aufgaben Aus der obigen Darstellung wird deutlich, dass die GEOTECHNOLOGIEN vor allem zu zwei Großthemen der Biosphärenforschung einen Beitrag leisten können: – Beobachtung des lokalen und globalen Wandels der Ökosysteme und ihrer Funktion/Dienstleistung und daraus Entwicklung von Konzepten und Modellen für ein nachhaltiges Erdsystemmanagement – Erforschung extremer und unbekannter Ökosysteme (z. B. »Tiefe Biosphäre«, polare Habitate) und Erfassung der Diversität des Lebens und seiner Funktionsvielfalt unter Entwicklung innovativer Methoden.
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(i) Dynamik und Funktionsweise von Ökosystemen und ihr möglicher Beitrag zu einem nachhaltigen Erdsystemmanagement Heute wird der Biosphärenforschung vor allem eines abverlangt: Sie soll Antworten auf die Frage geben, wie das Leben auf der Erde auf den Klimawandel reagiert und mit welchen Umweltveränderungen zu rechnen ist. Wenn heute von ökologischen Krisen gesprochen wird, so geht es um spürbare Veränderungen der Ökosysteme und der Lebensqualität der Menschen. Solche Krisen ereignen sich zum Beispiel, wenn sich Klimazonen verschieben, wenn eisbedeckte Lebensräume schrumpfen oder Wüsten sich ausdehnen: Einschnitte, die auch auftreten, wenn große Mengen an Treibhausgasen (z. B. CO2 und CH4) oder Stickstoffgasen freigesetzt werden, wenn sich El-Niño-bedingte Klimaanomalien häufen oder wenn sich durch die abnehmende Biodiversität die genetischen Ressourcen und Funktionalitäten von Ökosystemen verringern. Eine wichtige Herausforderung im Rahmen des GEOTECHNOLOGIEN-Programms besteht deshalb darin, die biogeochemischen Umsatzprozesse, die die globalen Stoffkreisläufe antreiben, quantitativ zu erforschen und dafür konsistente Modelle zu entwickeln. Das ist wichtig, weil derartige »Ökosystem-Funktionen« und »Ökosystem-Leistungen« eine herausragende Bedeutung für den Menschen und für den Klimawandel besitzen. Der Mensch greift vor allem durch seine Landnutzung weltweit in die natürlichen Stoffkreisläufe ein. Gleichzeitig
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bestehen komplexe Wechselwirkungen zwischen dem Klima und anderen Umweltfaktoren und Elementkreisläufen. Um diese Kreisläufe und Wechselwirkungen zu erforschen, muss man verstehen, wie das System sich zeitlich verändert und welche Faktoren es steuern. Dafür müssen hochauflösende Geländeuntersuchungen an Land und im Meer durchgeführt und die Erkenntnisse in globale Modelle eingearbeitet werden. Insbesondere die biologischen CO2-Senken und der Stickstoffkreislauf müssen in Zukunft stärker erforscht und quantifiziert werden. Eine weitere Aufgabe besteht darin, die Reaktion der für die CO2-Senken und den Stickstoffkreislauf wichtigen Arten, die biogeochemischen Prozesse und Ökosysteme auf Änderungen des Klimas und der Atmosphärenchemie zu untersuchen. Der globale Kohlenstoffkreislauf und insbesondere der Anstieg des Treibhausgases CO2 in der Atmosphäre sind von hohem politischem und zunehmend auch wirtschaftlichem Interesse. Für den globalen Handel von CO2-Emissionsquoten müssen alle CO2-Reservoire, Senken und Quellen besser
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bekannt sein. Vordringliche Aufgabe ist es außerdem, festzustellen, ob und in welchem Ausmaß sich die biologische Speicherfähigkeit des Ozeans für CO2 im Laufe des globalen Wandels verändern wird und welche Rolle dabei Veränderungen in der Biodiversität spielen. Einige klimarelevante Spurengase sind zudem bedeutend effektiver in ihrer Treibhauswirkung als CO2. Sie sind mit hoher Reaktivität an atmosphärenchemischen Prozessen (z. B. Zerstörung der Ozonschicht) oder an der Wolkenbildung beteiligt. Über die biologischen Prozesse und Schlüsselorganismen, die zu Variationen in der Produktion von Spurengasen wie Dimethylsulfid, Lachgas oder Methan führen, ist allerdings wenig bekannt. Eine wichtige Komponente im globalen Stoffsystem ist der Stickstoffkreislauf, der ebenfalls starken Veränderungen durch den Menschen unterworfen ist. Schon jetzt werden global über 100x1012 Gramm (100 Mio. t) Stickstoff pro Jahr als Düngemittel produziert – mit steigender Tendenz. Sie stehen einer natürlichen, biologischen Stickstofffixie-
Abb. 2-2: Autonome Messung der Sauerstoffzehrung an Bakterienmatten in 1.100 Meter Wassertiefe am pakistanischen Kontinentalrand.
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rung von circa 40x1012 Gramm (40 Mio. t) Stickstoff pro Jahr gegenüber. Insbesondere küstennahe Gewässer werden durch die Einträge von landwirtschaftlichen und industriellen Abflüssen sowie Stickoxiden, die bei Verbrennung entstehen, stark beeinflusst. Der Stickstoffkreislauf ist eng mit dem Sauerstoffgehalt im Ozean verknüpft, da Stickstoff bei Sauerstoffmangel durch mikrobielle Prozesse (Denitrifikation) aus dem biologischen Kreislauf entfernt wird. Eine Erwärmung des Ozeans, eine veränderte Ventilation der mittleren Wassertiefen sowie ganz besonders die Eutrophierung von Küstenzonen und Randmeeren führen dazu, dass der Sauerstoffgehalt im Meer abnimmt. Es muss daher untersucht werden, wie sich Sauerstoffmangelgebiete, die zum Teil schon jetzt beobachtet werden und sich weiter ausdehnen, regional und global auf die Stoffkreisläufe auswirken. Doch auch die Wirkung von veränderten Staubund Aerosol-Verteilungen auf die Biosphäre ist ein wichtiges Thema der Zukunft. Spurenmetalle sind beispielsweise häufig limitierende Faktoren für biologische Prozesse und damit die Biodiversität und den Wandel der Biosphäre. So begrenzt etwa Eisen das Algenwachstum in den Ozeanen. Welche Ursachen und Folgen Veränderungen lokaler Ökosysteme der Erde haben, ist nur in Einzelfällen bekannt. Viele der derzeitigen Probleme stehen in einem globalen und gesellschaftlichen Kontext. Um Probleme mit globalen Auswirkungen modellieren und Vorhersagen entwickeln zu können, ist ein gemeinsames Systemverständnis der Geo- und Biowissenschaften notwendig – die GEOTECHNOLOGIEN schaffen die Grundlage der Erdsystembeobachtung, der experimentellen Eingriffe sowie der Informationssysteme und Datenbanken. Eine weitere wesentliche Zukunftsaufgabe der Geo- und Biowissenschaften wird darin bestehen, gekoppelte biologische und geologische Prozesse des Erdsystems auf unterschiedlichen Zeitskalen zu verstehen. Aktuelle Ökosystem-Beobachtungen umfassen dabei je nach Problemstellung Zeitskalen von Stunden bis zu Jahrzehnten. Mithilfe von Umweltarchiven können Szenarien entwickelt werden, die untersuchen, wie sich Ökosysteme über längere Zeiträume entwickeln.
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Die engen Rückkopplungen zwischen terrestrischen und marinen Ökosystemen und dem Klima spiegeln sich noch nicht ausreichend in gemeinsamen Forschungsansätzen wieder. Viele wichtige Fragen sind daher noch nicht beantwortet. Zum Beispiel ist es ungeklärt, welche Bedeutung die Artenvielfalt für die Funktion von Ökosystemen hat und wie Landschaft und Lebewesen auch über weite Distanzen und Zeiträume miteinander wechselwirken. Zur Lösung dieser Probleme müssen Geo- und Biowissenschaften fachübergreifend zusammenarbeiten. In europäischen und internationalen Forschungsprogrammen zur Ökosystemforschung werden Langzeitbeobachtungen und Systemanalysen bereits als multidisziplinäre Aufgabe der Geo- und Biowissenschaften betrachtet. In Deutschland fehlt noch eine entsprechende interdisziplinäre Strategie für Forschung, Lehre und Infrastruktur. Dies gilt insbesondere für Pläne, die nachhaltige Entwicklung der Erde durch »Ökosystem-Management« oder sogar »Geo-Engineering« bewusst zu steuern. In der Öffentlichkeit wird zunehmend darüber diskutiert, wie sich der CO2-Überschuss in der Atmosphäre verringern lässt, etwa durch Eisendüngung im Meer, durch die Nutzung pflanzlicher Biomasse zur Energiegewinnung, durch die Langzeit-Speicherung von CO2 an Land oder im Meer. Dabei ist die geowissenschaftliche Expertise besonders gefragt, um das Risiko für Ökosysteme abzuschätzen.
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(ii) Biodiversität und extreme Lebensräume Eine große zukünftige Herausforderung besteht darin, Erkenntnisse über die Funktion, Stabilität und Erholungsfähigkeit der Biodiversität zu gewinnen. Dazu können die großen erdgeschichtlichen Krisen des Lebens, die durch Fossilien und Sedimente dokumentiert sind, herangezogen werden. Untersuchungen haben ergeben, dass es nach einem Massensterben etwa zehn Millionen Jahre dauert, bis die ursprüngliche Vielfalt bei Tieren wieder erreicht ist, unabhängig von der Intensität der Krise. Pflanzen und insbesondere Mikroorganismen sind schwerer über Fossilien zu erfassen. Dies bedeutet, dass der gegenwärtige Verlust der Biodiversität auf menschlichen Zeitskalen nicht reparabel ist. So ist es wichtig zu ergründen, weshalb manche Lebensformen bei einer globalen Katastrophe vollständig ausgestorben sind, während
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andere nahezu unbeschadet fortleben konnten. In diesem Zusammenhang ist auch das Phänomen der sogenannten lebenden Fossilien interessant. Die unterschiedliche Geschwindigkeit der Evolution gilt als eine der interessantesten gegenwärtigen Fragen der Evolutionsforschung. Dieses Problem lässt sich nur mithilfe detaillierter Untersuchungen von Fossilien lösen, beruhend auf hochauflösenden Archiven zu Stratigraphie, Datierung, Rekonstruktion von Umweltbedingungen – kombiniert mit aktueller Erd- und Ökosystembeobachtung sowie Biodiversitätserfassung. Im Meer sind Korallenriffe die Ökosysteme mit der größten Artenvielfalt, an Land die Regenwälder der Tropen und Subtropen, doch bergen auch die Böden noch eine große Fülle unbekannter Lebensformen. Auch die bisher noch kaum erforschte Tiefsee gilt als Ort hoher Biodiversität, allerdings überwiegen dort Kleinstlebewesen mit einer Körpergröße von weniger als einem Zentimeter (Abb. 2-2), wenn man einmal von den erst seit wenigen Jahrzehnten bekannten Tiefwasserriffen absieht. Wie sich die Flachwasserriffe im Laufe der Erdgeschichte entwickelten, ist relativ gut bekannt, da viele fossile Riffe erhalten geblieben sind. Über die vergangene und heutige Vielfalt des Lebens im Ozean weiß man dagegen nur wenig. Wie vielfältig Einzeller (z. B. Bakterien, Archaeen und Eukaryonten) an Land und im Meer sind, kann noch nicht bestimmt werden. Zudem konnten bisher nur in wenigen Regionen der Erde langfristige Beobachtungen durchgeführt werden. Der Biodiversitätsforschung fehlen dabei bis heute die einfachsten Grundlagen. Eine öffentlich zugängliche Datenbank möglichst aller vorhandenen Arten und ihrer biologischen Eigenschaften und Wechselwirkungen einschließlich der Dokumentation von Referenzexemplaren ist notwendig. Biologische Merkmale umfassen den Bauplan, die genetische Information, Physiologie, Anpassungen im Verhalten, Inhalts- und Wirkstoffe, Lebensgeschichte, genutzte Lebensräume (Biotope), Habitatansprüche, Verbreitung, Bestand und Bestandsentwicklung, Beziehungen zu anderen Arten sowie die Beiträge zu Stoffumsätzen und Dienstleistungen im Ökosystem. Solch komplexe biologische Informationen müssen Teil der Erdsystemdatenbanken werden, um die Entwicklung der Biosphäre be-
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obachten, modellieren und vorhersagen zu können. In Zukunft müssen geologische und geographische Werkzeuge stärker kombiniert werden, um Wandlungsprozesse in Ökosystemen räumlich darzustellen. Weitere Aufgaben bestehen darin, die Expertise an Universitäten, Instituten und Museen zu vernetzen, Informationen in nutzerfreundlichen Datenbanken zu speichern und moderne Visualisierungsverfahren einzusetzen, um Zusammenhänge darzustellen. Unbekannte und extreme Ökosysteme und ihre Biodiversität können nur mit einem erheblichen technischen Aufwand erforscht werden. Das Ziel der Erkundung besteht darin, die Lebensräume umfassend geographisch, geologisch, geophysikalisch, chemisch und biologisch zu kartieren und die neu gefundenen Lebensräume funktionell zu verstehen. Dieser Aufwand lohnt sich: Häufig werden bei solchen Forschungsprojekten völlig neue Lebewesen entdeckt. Außerdem wird es möglich, die Anpassungsfähigkeit, die Entwicklung und die Grenzen des Lebens besser zu verstehen. So lässt sich etwa herausfinden, welche Gene Organismen befähigen, extrem kalte, heiße, saure, basische oder saline Standorte zu besiedeln. Dies ist nicht nur für die Grundlagenforschung interessant, sondern auch für die angewandte Biotechnologie. Die Möglichkeit, mit Forschungstauchbooten, ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugen, verankerten und geschleppten Kamerasystemen das Leben am Meeresboden zu beobachten und seine Interaktion mit der Umwelt zu untersuchen, hat zu einer Vielzahl von neuen Entdeckungen geführt. Wir wissen heute vor allem, dass wir nur einen Bruchteil der Vielfalt des Lebens und seiner Habitate im Meer kennen. Einige der neu entdeckten Meeresumwelten sind so fremdartig, dass sie als Parallelen zu möglichen Lebensräumen auf anderen Planeten untersucht werden (Gashydrat, CO2-Seen, Salzseen, »Tiefe Biosphäre«). Andere beherbergen Mikroorganismen, deren Metabolismus eine bisher ungeahnte Rolle in globalen Stoffkreisläufen spielt, oder werden von Lebewesen besiedelt, die in ihrem Lebenszyklus oder Verhalten bisher nicht bekannte Anpassungen an den Meereslebensraum zeigen. Völlig unterschätzt wurde bisher die Biomasse und Vielfalt von Mikroorganismen in Sedi-
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Abb. 2-3: Unterwasser-Roboter (ROVs) zur Untersuchung der Tiefsee.
menten und Gestein unter dem Meeresboden und ihre Interaktion mit mineralischen Oberflächen und Geofluiden. Für die Quantifizierung von Prozessen in extremen aquatischen Lebensräumen werden ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge (ROV) (Abb. 2-3) genutzt sowie geophysikalische Messsysteme und autonome Unterwasserfahrzeuge mit Messsensoren (AUV) zum Erfassen der Bodentopographie und zum Auffinden der Quellen von Geofluiden. In zunehmendem Maße werden Infrastrukturen für umfangreiche experimentelle Arbeiten benötigt (z. B. in Drucktanks und Mesokosmen) sowie verschiedene Bohrgeräte, um auch dem Leben im Untergrund auf die Spur zu kommen. Eine neue Erkenntnis besteht zum Beispiel darin, dass es ähnliche Ökosysteme wie an Hydrothermalquellen auch in einiger Entfernung von den ozeanischen Spreizungsachsen gibt. Durch chemische Reaktionen zwischen Meerwasser und Mantelgesteinen entstehen dort große Mengen CO2, Wasserstoff und Methan. Diese Stoffe bilden die Lebensgrundlage für spezielle chemosynthetische Lebensgemeinschaften. Im Pazifik hat man andere Typen von Hydrothermalquellen und Gas-Austrittsgebieten entdeckt. Dort strömen große Mengen CO2 aus dem Boden, das sich in eisförmiges CO2Clathrat umwandelt. Anhand der dort vorhandenen Lebensgemeinschaften lässt sich erforschen, wie das Leben auf die Versauerung der Meere reagiert. An Kontinenträndern existieren Oasen des Lebens, die den Lebensgemeinschaften an Hydro-
thermalquellen ähneln. Diese sogenannten »kalten Quellen« wurden erst in den letzten Jahren genauer untersucht. Die Lebensgemeinschaften siedeln sich da an, wo Gas oder Flüssigkeiten aus dem Meeresboden austreten. Das ist oft in der Nähe von Gashydratvorkommen der Fall. Hier ist eine wichtige Frage, welche biologischen, chemischen und physikalischen Prozesse der Methanemission aus dem Meer in die Hydro- und Atmosphäre einwirken. Die Entdeckung der »Tiefen Biosphäre« in der Erdkruste war eine der größten geowissenschaftlichen Sensationen des letzten Jahrzehnts (Abb. 2-4). Diese Entdeckung hat gezeigt, dass wir einen großen Teil des Lebens auf der Erde bisher kaum kennen. Die »Tiefe Biosphäre« ist neben der Tiefsee das größte zusammenhängende Ökosystem der Erde. Sie enthält ein Drittel der gesamten Biomasse auf der Erde. Das Leben in der »Tiefen Biosphäre« scheint nur durch zwei Faktoren begrenzt zu sein: durch die Verfügbarkeit von Wasser und durch die Temperatur. Die »Tiefe Biosphäre« existiert nur in den Bereichen der Erdkruste, in denen die Temperatur niedriger als 120 Grad Celsius ist. Bislang ist unklar, wie Mikroorganismen unter solchen Bedingungen vielleicht Jahrmillionen überleben können. Die Erforschung der »Tiefen Biosphäre« wird daher dazu beitragen, das Verständnis des Stoffwechsels, der Biochemie und der Thermodynamik des Lebens in den nächsten Jahren wesentlich zu erweitern. Zahlreiche Forscher welt-
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Abb. 2-4: Die »Tiefe Biosphäre«: Mikroorganismen sind auch in alten, tief begrabenen Sedimenten intakt und lebensfähig (bis ca. 1000 m Sedimenttiefe). Dies zeigen mikroskopische Aufnahmen und geochemische Analysen.
weit untersuchen derzeit, welche Mikroorganismen in welchen Gesteins- und Sedimentschichten vorkommen, wie diese Mikroorganismen sich ernähren und was für eine Funktion sie für die Elementkreisläufe, für die Mineralisierung und die Verwitterung haben. Geomikrobiologen haben erstmals einen festen Platz an Bord der Forschungsbohrschiffe. Um einzelne Zellen auf MikrometerSkalen zu untersuchen, müssen Methoden wie Massenspektrometrie, Chromatographie, Mikroskopie, Element- und Gasanalytik, Chemosensorik sowie Umweltgenomik weiterentwickelt werden. Verschiedene Felder der Geowissenschaften profitieren von solchen technischen Fortschritten, zum Beispiel die Astrobiologie und die Kosmochemie, aber auch die Erforschung der frühen Erde.
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Die Ozeane bedecken mehr als 70 Prozent unserer Erdoberfläche und bilden mit einer mittleren Wassertiefe von 3800 Metern eine der größten Biosphären unserer Erde. Dieser Lebensraum wird von komplexen Wechselwirkungen zwischen Geosphäre und Biosphäre bestimmt, die unser Klima beeinflussen. Gleichzeitig beherbergt die Tiefsee natürliche Ressourcen, die wir zwar bereits nutzen, die aber möglicherweise in Zukunft noch größere Bedeutung erlangen werden. Die vergangenen drei bis vier Jahrzehnte der Tiefseeforschung haben fundamental neue Erkenntnisse gebracht, welche für ein integriertes, globales Verständnis von Funktion und Bedeutung des Erdsystems essenziell sind. So wurden erstmals Austrittsstellen von heißen Fluiden an Spreizungszonen von Lithosphärenplatten durch den Einsatz eines Tiefseetauchbootes entdeckt. Sie führen neben einem hohen Energieaustausch zur Bildung von metallischen Lagerstätten und haben durch spezielle Anpassungen von Mikroben und Makroorganismen sehr spezifische Lebensformen hervorgebracht. Die Untersuchung der Kontinentränder mit videokontrollierten Beprobungen zeigte, dass dort Quellen am Meeresboden existieren, die Teil einer tief reichenden Fluid- und Gaszirkulation sind. Bathymetrische Vermessungen mit Fächerecholoten und seismische Verfahren belegen, dass die oberen Kontinentränder meist durch Rutschungen überprägt sind und die Sedimente mit freiem Gas und – im Bereich der Gashydrat-Stabilitätszone – mit Methanhydraten assoziiert sind. Stetig neue Erkenntnisse der Tiefseeforschung zeigen, wie lückenhaft unser Verständnis dieses Teils der Erde ist, sodass auch in Zukunft große Anstrengungen notwendig sind, eine breit angelegte Tiefseeforschung auf multidisziplinärer Basis zu betreiben. Zunehmend werden in nationalen und internationalen Rahmen Strategien und Planungskonzepte für die Meere entwickelt, um diesen Lebensraum besser bewirtschaften zu können. Um dies für die Zukunft sinnvoll und wirksam zu gestalten, bedarf es aber der wissenschaftlich fundierten Kenntnis auch des tieferen Ozeans, seiner Besiedlung, seiner geologischen und biologischen Prozesse und seiner Bedeutung für das Gesamtsystem Erde. Ähnlich der Raumfahrt ist bei der Tiefseeforschung die Entwicklung und Anwendung von Technologie entscheidend. Forschungsschiffe dienen zwar noch immer als die wichtigsten Plattformen der marinen Forschung, andere Basisstationen, zum Beispiel verkabelte Tiefseeobservatorien und mobile Systeme wie Roboter und autonome Fahrzeuge werden aber in Zukunft immer wichtiger. Fortschritte in der Erforschung der Tiefsee werden ganz entscheidend von der zusätzlichen einzusetzenden Technologie abhängen. Diese ist nur zum Teil verfügbar und muss entsprechend der Fragestellungen angepasst beziehungsweise vielfach noch entwickelt werden. Das in Deutschland entwickelte ferngesteuerte Meeresbodenbohrgerät (MeBo) sollte hinsichtlich der maximalen Bohr- und Einsatztiefe weiter entwickelt werden. Mit solchen Weiterentwicklungen könnte Deutschland den technologischen Vorsprung im Bereich ferngesteuerter Tiefseebohrungen weiter ausbauen.
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3. Die Tiefsee – Technologische und wissenschaftliche Herausforderung Einführung Aufgrund seiner unwirtlichen Bedingungen, des hohen Drucks, der Dunkelheit und Kälte, ist der tiefe Ozean ein relativ unbekannter Bereich der Erde, der viele fasziniert. Seine Erforschung ist bis heute eine Herausforderung, denn im Rahmen der gesellschaftlichen Nutzung unserer Georessourcen spielt der Ozean eine immer größer werdende Rolle. Während früher vor allem der Fischfang und die militärische Nutzung der Ozeane von Interesse waren, beschäftigen sich die heutigen Forschungsfragen mit Georessourcen von Kohlenwasserstoffen (KW), metallischen Vorkommen/Lagerstätten und der Nutzung des Ozeans und seines geologischen Untergrunds als Deponie von Abfallstoffen. Als Lagerstätten für Kohlenwasserstoffe sind vor allem Gas- und Ölvorkommen zu nennen, die heute in immer tieferen Bereichen der Kontinentränder exploriert werden. So wird im Golf von Mexiko bereits in 1400 Meter Wassertiefe gefördert und im Bereich des Nigerfächers und vor Brasilien in mehr als 2000 Meter Tiefe. Ein grundlegendes Verständnis der wichtigsten geologischen und biologischen Prozesse ist dort die Basis für einen sachgerechten und nachhaltig ausgerichteten Abbau von Kohlenwasserstoffen. Eine besondere Stellung nehmen die Methanhydrate ein, die bei hohen Drücken und niedrigen Temperaturen in marinen Sedimenten ab 400
Meter Wassertiefe in allen Weltmeeren vorkommen. Die hohe Konzentration von Methan in der Gashydratstruktur und die weltweite Verbreitung von Methanhydraten bilden eine Kohlenwasserstoffressource, deren zukünftige Nutzung bisher noch nicht abschließend bewertet werden kann (Abb. 3-1). Ein potenzieller Methanhydratabbau zur Energiegewinnung wird sicher in Zukunft von vielen Faktoren abhängen. Bevor Gashydrate überhaupt genutzt werden können, muss zunächst noch besser verstanden werden, wie Gashydrate in den Sedimenten verteilt sind und wie sie sich auflösen lassen. Weiterhin könnten Methanhydratvorkommen eine wichtige Rolle bei der CO2-Sequestrierung spielen. CO2-Hydrate sind stabiler als Methanhydrate und bilden sich bei der Einleitung von flüssigem CO2 in einem Methanhydratreservoir. Das auf diese Weise in fester mineralischer Form gebundene CO2 wird dabei vermutlich stabiler dem atmosphärischen Kreislauf entzogen, als dies durch Sequestrierung an Land und in Flachmeeren wie der Nord- und Ostsee geschehen kann. Gekoppelt an die Erdgasgewinnung aus Methanhydratvorkommen könnte die CCS-Technologie (Carbon Capture & Storage), die die im Rahmen der Klimaveränderung notwendige CO2-Reduktion unterstützt, eine Alternative zur normalen CCS-Technologie sein. Sie erlaubt wahrscheinlich eine deutlich sichere CO2-Sequestrierung als die bisher angedachten Verfahren. Neben dieser sehr angewandten Fra-
Abb. 3-1: Fluidzirkulation der Erdkruste in Wechselwirkung mit dem Ozean. Schematische Darstellung der wichtigsten Prozesse an »Kalten Quellen« (B) und »Heißen Quellen« (C).
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gestellung ist bei marinen Methanhydratvorkommen die Klärung der Folgewirkungen der Methanmoleküle als Treibhausgas für das Klima besonders wichtig. Darüber hinaus ist die Bereitstellung von Methan aus Methanhydraten für die Entwicklung von chemosynthetisch-lebenden Faunengemeinschaften und für die »Tiefe Biosphäre« essenziell. Metallische Rohstoffe sind im Ozean als Bildungen von Hydrothermalquellen, von Mangankrusten und von Manganknollen aus großen Wassertiefen zwischen 3500 bis 5500 Metern bekannt und aus rohstoffstrategischen Gründen von Bedeutung. Es sind vor allem die Metalle Nickel (Ni), Kobalt (Co) und Kupfer (Cu). Weiterhin werden seltene Metalle mit besonderen Eigenschaften wie zum Beispiel Gallium (Ga), Germanium (Ge), Indium (In), Selen (Se) und Terbium (Tb), die in Zukunftstechnologien wie Computer-, Elektronik-, oder Solarindustrie eine Rolle spielen, stark nachgefragt. Sie scheinen in marinen Vorkommen zum Teil stärker angereichert zu sein, was ihre Produktion erleichtern könnte. Die marin-geowissenschaftliche Erforschung solcher Vorkommen außerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszonen wird in Absprache mit der Internationalen Meeresbodenbehörde der Vereinten Nationen durchgeführt werden, in der Deutschland neben mehr als 150 anderen Staaten Mitglied ist. Die Untersuchungen ermöglichen es nicht nur, die Ressourcen des Meeresbodens zu erschließen. Sie tragen auch zum Schutz der marinen Umwelt in Abbauregionen bei und gewährleisten eine gerechte Verteilung des wirtschaftlichen Nutzens. Viele der potenziell nutzbaren Gebiete liegen außerhalb von nationalen Wirtschaftszonen und müssen daher international geregelt werden. Fluid- und Gasaustrittsstellen von heißen und kalten Quellen am Meeresboden sind extreme Lebensräume im tiefen Ozean. Sie werden von Lebewesen dominiert, die in Symbiose mit chemosynthetischen Bakterien vorkommen. Insbesondere diese Mikroorganismen, die in großen Tiefen der Ozeane unter extremen Bedingungen leben, werden als mögliche Quelle für biologische Substanzen gesehen, die sich auch für technische Prozesse verwenden lassen (Blaue Biotechnologie). Zum Beispiel besitzen einige Tiefseebakterien an hydrothermalen Austrittsstellen Enzyme, die auch unter
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extrem heißen Bedingungen als Biokatalysatoren funktionieren, während normale Enzyme bei hohen Temperaturen denaturieren. Auch die Mikrobenpopulationen, die über lange Zeiträume überleben können und in mehreren hundert Metern Sedimenttiefen der Kruste vorkommen, stellen in ihrer Gesamtheit eine große Biomasse dar (»Tiefe Biosphäre«). Spezielle metabolische Prozesse und enzymatische Katalysatoren sind uns bisher verborgen und haben möglicherweise ein großes Potenzial für biotechnologische Anwendungen. Insofern wird die biogeochemische und biologisch-ökologische Tiefseeforschung neue biotechnologische Einsatzgebiete mit sich bringen. Die Fluid- und Gaszirkulation der Kontinentränder ist mit einer Reihe von Meeresbodenveränderungen wie Zementation des Meeresbodens (z. B. mit Karbonaten, Schwerspat und Gashydraten) oder Gasemissionen in die Wassersäule verbunden.
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Gashydrate stehen in einem sensiblen Gleichgewicht mit den natürlichen Umgebungsbedingungen. Änderungen von Druck und Temperatur können sehr schnell zur Destabilisierung von Gashydraten führen. Instabile Gashydrate setzen einerseits das Treibhausgas Methan frei. Andererseits könnten sie zur Instabilität der Kontinentalhänge beitragen und Flutwellen (Tsunamis) auslösen. Tsunamis haben verheerende Folgen für die dicht besiedelten Küstenregionen. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) misst in seinem Sondergutachten von 2003 der Erforschung der Gashydrate daher eine besondere Bedeutung zu.
Förderstatus Deutschland war weltweit eines der ersten Länder, das im Rahmen der GEOTECHNOLOGIEN ein eigenes Forschungsprogramm zur Untersuchung von Gashydraten initiierte. Diese bauten auf wegweisenden Untersuchungen der Gashydratzone der Cascadia-Subduktionszone an der Westküste der USA auf, die mit dem deutschen Forschungsschiff SONNE durchgeführt wurden. Die multidisziplinären Arbeiten haben zu einer Bohrkampagne auf dem Hydratrücken im Rahmen des »Ocean Drilling Program« (ODP) geführt, wobei erstmals eine belastbare Quantifizierung von Methanhydraten in einem regionalen Rahmen durchgeführt wurde.
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Inzwischen nehmen deutsche Forschergruppen auf mehreren Gebieten der Gashydratforschung eine internationale Spitzenstellung ein. Dies schließt auch die Entwicklung neuer Technologien, insbesondere auf den Gebieten der Sensorik, Erkundungs-, Entnahme- und Gewinnungstechniken sowie des Anlagenbaus, ein. Seit 2000 fördert das BMBF im Rahmen des FuEProgramms GEOTECHNOLOGIEN die Gashydratforschung. Zwanzig interdisziplinäre Forschungsverbünde aus Wissenschaft und Wirtschaft wurden bislang mit 25 Millionen Euro unterstützt. Beteiligt waren insgesamt 13 Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sowie sieben Unternehmen aus dem Anlagenbau und der Energieversorgung. Die Forschungsaktivitäten initiierten eine Vielzahl internationaler Kooperationen. Unter anderem wurden weitreichende Kontakte bis hin zu gemeinsamen Forschungsprogrammen mit den Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres, mit China, Japan und Korea aufgebaut. Darüber hinaus waren deutsche Wissenschaftler Partner der weltweit ersten Produktionsbohrung (MALLIK) für Methan (CH4 ) aus Gashydraten, die im Permafrostboden im Norden Kanadas durchgeführt wurde. Durch die koordinierte Forschungsförderung des BMBF und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) werden seit 2008 in dem Verbundvorhaben SUGAR Explorations- und Produktionstechnologien optimiert und weiterentwickelt, um mittelfristig eine kommerzielle Förderung von Gashydraten zu ermöglichen. Die Ränder der Kontinente gehören zu den wichtigsten Lebens- und Wirtschaftsräumen des Menschen. Kontinentränder sind daher weltweit in den Blickpunkt der Forschung gerückt. Zum Schutz der Menschen, aber auch, weil sich an ihnen grundlegende Prozesse des Systems Erde in-situ studieren lassen – wie in einem gigantischen natürlichen Labor. Zwischen 2004 und 2007 förderte das BMBF drei Forschungsverbünde mit einem Gesamtfinanzvolumen von sechs Millionen Euro. Während sich die Verbünde TIPTEC und SUNDAARC auf aktive Kontinentränder konzentrierten, konnte der Verbund NAMIBGAS wichtige Neuerkenntnisse über Prozesse an passiven Kontinenträndern gewinnen. Komplementär förderte die DFG in den Jahren 2003 bis 2008 mit circa zwei Millionen Euro weitere elf Projekte im Normalverfahren als Beitrag
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zum europäischen Forschungsprogramm EUROMARGINS, einem Programm, das durch die European Science Foundation (ESF) koordiniert wurde. Aufbauend auf den vorangegangenen Projekten startete 2008 schließlich das DFG-Schwerpunktprogramm SAMPLE: South Atlantic Margin Processes and Links with onshore Evolution. Um die amphibische Seismologie, eine für die moderne Kontinentrandforschung unerlässliche Technologie, zu stärken, wurde 2004 der Deutsche Geräte-Pool für amphibische Seismologie (DEPAS) gegründet. Hierbei handelt es sich um einen GerätePool breitbandiger Seismometer für Langzeiteinsätze an Land und auf dem Meeresboden. Er besteht zurzeit aus 100 Landstationen sowie aus 80 Ozeanboden-Seismometern (OBS) und fünf Ozeanboden-Hydrophonen (OBH). Ein Teil der Geräte wurde im Rahmen des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN vom BMBF mit insgesamt drei Millionen Euro finanziert.
Stand von Forschung, Entwicklung und Anwendung Mehr als 95 Prozent des Wassers auf der Erde befinden sich in den Ozeanen. Dieses gewaltige Volumen von etwa 1,4 Milliarden Kubikkilometer Wasser wird Berechnungen zufolge etwa alle eine Million Jahre durch die submarinen Anteile von Kruste und Mantel gepumpt. Meerwasser zirkuliert entlang von Störungssystemen durch offene Kluftoder permeable Kanalsysteme der Lithosphäre, wobei die hydrologische Zirkulation vor allem durch Wärmeverteilung und Advektion aufrechterhalten wird. Das zirkulierende Wasser alteriert die durchfließenden Gesteinsformationen und ändert dabei seine chemische Zusammensetzung. Diese Zirkulation führt außerdem zu Metallbildungen am Meeresboden. In Subduktionszonen wird zirkulierendes Wasser mit der Kruste in die Tiefe transportiert und beeinflusst dort geologische Prozesse wie Erdbeben und Magmatismus. Zirkulierendes Meerwasser dieser Konvergenzzonen, aber auch solches an passiven Kontinenträndern, kann im höheren Teil Kohlenwasserstoffe aufnehmen und durch Transport in anderen Stockwerken Öl- und Gaslagerstätten bilden. Insgesamt führt die submarine Zirkulation von Wasser beziehungsweise wässrigen Fluiden am Meeresboden zu sehr unterschiedlichen Aus-
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trittsstellen, an denen eine intensive Wechselwirkung zwischen Litho- und Hydrosphäre stattfindet. Hydrothermalquellen Die bekanntesten Austrittsstellen sind die der Hydrothermalfelder. Es sind die Austrittsstellen von Konvektionszellen, die meist einige Kilometer groß sind und durch Energieaufnahme in der Nähe von krustalen Schmelzkammern angetrieben werden. Dies geschieht zum Beispiel im Bereich der plattentektonischen Divergenzzonen entlang der Mittelozeanischen Rücken, die mit 60.000 Kilometern Länge eine der größten geologischen Provinzen darstellen. Mit jährlich 21 Kubikkilometern Magma sind die ozeanischen Divergenzzonen für mehr als 60 bis 65 Prozent der gesamten Magmenproduktion der Erde verantwortlich. Diese Magmenproduktion der Ozeane führt dazu, dass kaltes Meerwasser, welches in die Kruste eindringt, durch die magmatische Wärmequelle erhitzt wird und zum
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Teil in überkritischem Zustand entlang eines aufsteigenden Astes der Konvektionszelle wieder zum Meeresboden transportiert wird. Die hydrothermale Zirkulation sorgt dabei für einen effektiven Wärmetransport, der für einen Großteil des globalen Energietransportes verantwortlich ist. Bei dieser konvektiven Zirkulation wird durch intensive Gesteins-Fluid-Wechselwirkung aus dem ehemaligen Meerwasser ein hydrothermales Fluid, welches nun fundamental andere Eigenschaften als das Meerwasser besitzt. Solche hochtemperierten, hydrothermalen Lösungen sind meist durch niedrige pH- und Eh-Werte gekennzeichnet sind, sauerstoffarm und schwefelwasserstoffreich und haben eine große Zahl gelöster Substanzen (z. B. Cu, Zn, Fe, Mn, S) aufgenommen. Durch Vermischung der heißen Fluide mit kaltem, alkalischem und sauerstoffhaltigem Meerwasser in der Nähe des Meeresbodens kommt es zu starker Übersättigung und spontaner Ausfällung von spurenmetall-
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Abb.3-2: Schwarze Raucher »Kandelabra« in 3.000 Meter Wassertiefe am Logachev Hydrothermalfeld, Mittelatlantischer Rücken; Einsatz von Temperatursonden.
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reichen Sulfiden, Sulfaten, Oxiden und Silikaten. Dabei bilden sie stockwerksgebundene Vererzungen, deren Lagerstättenpotenzial je nach Metallvorkommen variiert. Die fokussierten Hydrothermalaustritte bilden meist Schwarze und Weiße Raucher (Abb. 3-2), während großflächigere diffuse Austritte weniger spektakulär erscheinen. Die bisherigen Untersuchungen von Hydrothermalquellen zeigen ein sehr breites Spektrum, dessen Inventar in seiner Fülle bis heute noch nicht erfasst ist. So sind in neuerer Zeit hoch konzentrierte CO2-Austritte im Okinawa Trog entdeckt worden sowie reine Schwefel-Austritte an submarinen hydrothermalen Quellen, die aus dem Marianen-Inselbogenvulkanismus gespeist werden. Kalte Quellen der Kontinentränder Obwohl weniger bekannt, sind die kalten Quellen (»Cold Seeps«) wahrscheinlich aufgrund ihres globalen Auftretens von noch größerer Bedeutung als die heißen Quellen. »Cold Seeps« sind sowohl an passiven als auch aktiven Kontinenträndern zu finden. Sie sind die meeresbodennahen Erscheinungsformen der Fluidzirkulation an den Kontinenträndern. Während bei aktiven Konvergenzzonen durch die Subduktion und die dadurch verursachten tektonischen Spannungen die Entwässerung der Kontinentrand-Sedimente tektonische Ursachen hat, sind die Ursachen bei passiven Kontinenträndern vielfältiger. So werden zum Beispiel in mächtigen Kontinentrandabfolgen durch die Freisetzung von Süßwasser advektive Fluidzirkulationen aufrecht erhalten, die meist durch Migration von Kohlenwasserstoffverbindungen wie Methan unterstützt werden. Die Süßwasserfreisetzung wird von Mineralreaktionen wie der Umwandlung von Smektit in Illit oder Opal-A in Opal-CT oder Quarz verursacht. Salinare Wässer, die in Verbindung zu den an passiven Kontinenträndern häufig auftretenden Salzstöcken stehen, vermischen sich mit Süßwässern und verursachen eine Fluid-Zirkulation, die durch Dichteunterschiede im Wasser gesteuert wird. Störungssysteme, die durch die allgemeine Dehnungstektonik entstanden sind oder durch Halokinese im Dachbereich eines Salzstockes auftreten, sind häufig genutzte, natürliche Zirkulationsbahnen.
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Aufstiegszonen mit besonders hohen Flussraten sind Schlammvulkane, in denen sehr wasserhaltige Schlämme meist mit freiem Gas assoziiert zum Meeresboden transportiert werden. Schlammvulkane haben in der Regel zylinderförmige Schlote von 0,5 bis fünf Kilometer Durchmesser, durch die der Schlamm aus zwei bis 15 Kilometer tiefen, fluidreichen Ursprungsschichten zum Meeresboden transportiert wird. Durch den raschen Transport entstehen am Meeresboden sogenannte Schüttungskegel, die magmatischen Vulkanen nicht unähnlich sind. Wie an allen kalten Quellen treten auch bei Schlammvulkanen Fluide und Gase aus dem Meeresboden in die Wassersäule. Die Austrittsstellen selbst sind durch biogeochemische Prozesse gekennzeichnet, die zum Beispiel zur Ausbildung von authigenen Karbonaten oder Baryten führen. Viele dieser submarinen kalten Quellen sind durch austretendes freies Methan gekennzeichnet. So werden heute weltweit an Kontinenträndern Gasblasenaustritte vielfach mit akustischen Systemen am Meeresboden detektiert, welche für die Gesamtbilanz des Kohlenstoffeintrags nicht unerheblich sind. Geosphären-Biosphären Wechselwirkung/ »Tiefe Biosphäre« Sowohl heiße Quellen (»Hot Vents«) als auch kalte Quellen (»Cold Seeps«) sind durch chemoautotrophe Organismengemeinschaften gekennzeichnet. Es sind vorwiegend Muscheln und Bartwürmer, die in Symbiose mit methanotrophen und Schwefelwasserstoff (H2S) oxidierenden Bakterien leben und die Fluid- und vor allem auch Gasaustrittsstellen besiedeln. Die symbiotischen Bakterien oxidieren die in den Fluiden enthaltenden reduzierten chemischen Verbindungen (Schwefelwasserstoff, Wasserstoff und Methan) und bauen mit der so gewonnenen Energie organische Verbindungen auf. Die neu gebildeten Moleküle werden dann von dem Wirt übernommen, der von dieser Nahrungsquelle abhängt und selbst wiederum eine Nahrungsgrundlage für weitere Organismen wie Krebse, Schnecken, Schwämme und Aktinien in der Tiefsee darstellt. Daneben existieren chemoautotrophe Prokaryonten und Archaea, die zum Teil mit den Fluiden aus tieferen Sedimenthorizonten transportiert werden. Obwohl die Seep- und Vent-Organismen nur den unmittelbaren Bereich der Quellen besiedeln
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und eher als sehr lokale Phänomene gelten, wird aufgrund der Untersuchungen der letzten Jahre klar, dass vor allem entlang der gesamten Kontinentränder Seep-Organismen eine sehr viel größere Verbreitung haben als früher angenommen. Entsprechend hoch ist die gebildete Biomasse, die zu deutlicher Sauerstoffzehrung am Boden führt und zu biogeochemischen Wechselwirkungen beiträgt. Gashydrate Gashydrate sind feste Verbindungen aus Gasmolekülen und Wasser, welche je nach Wassertemperatur im Ozean und entsprechendem Druck ab 300 bis 700 Meter Wassertiefe in Form von Methanhydraten vorkommen. In einem Kubikmeter Methanhydrat der Struktur I sind bei Erdoberflächenbedingungen bis zu 164 Kubikmeter Methan enthalten. Obwohl die chemische Struktur der Gashydrate schon seit fast 200 Jahren bekannt ist, wird uns ihre Bedeutung erst allmählich bewusst. Bisher sind in der Natur drei Strukturen (sI, sII und sH) nachgewiesen. Die physikalischen Bedingungen (Druck P/Temperatur T) der natürlichen Hydratvorkommen können sehr gut beschrieben werden, sodass die prinzipiell mögliche Gashydratverteilung im Meeresboden bekannt ist. Die Verfügbarkeit von Methan als weitere Grundvoraussetzung für Methanhydratbildung ist allerdings von weiteren geologischen Faktoren abhängig, sodass quantitative Gashydratvorkommen, ähnlich den Öl- und Gasvorkommen, nur durch lokale Studien (geophysikalische Untersuchungen und Bohrungen) erarbeitet werden können. Solche Studien wurden im Rahmen des internationalen Integrated Ocean Drilling Program (IODP) auf dem Blake Ridge und auf dem Hydratrücken am Kontinentrand von Oregon durchgeführt. Globale Abschätzungen von Methanhydrat-Gehalten sind sehr unsicher und variieren zwischen 500 und 75.000 Gigatonnen Kohlenstoff. Diese Schätzwerte basieren auf Hochrechnungen von sehr wenigen Bohrungen und globalen numerischen Modellen. Dabei gehen die meisten Wissenschafter von einer vorhandenen Menge von etwa 5.000 bis 10.000 Gigatonnen Kohlenstoff in Gashydraten aus. Die Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass Gashydrate in weit mehr Prozessen involviert sind, als dies früher angenommen wurde. Da viele rohstoffarme Schwellenländer aktive Gashydratprogramme zur Energie-
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gewinnung verfolgen, steht zu erwarten, dass auf diesem Gebiet in den nächsten Jahren große Fortschritte gemacht werden. Hydrogenetische Manganknollen und Krusten Neben den hydrothermalen Metallanreicherungen im Ozean sind vor allem die Manganknollen der Tiefsee zu nennen, die aufgrund ihrer Metallgehalte von wirtschaftlichem Interesse sind. Es handelt sich um konzentrisch gewachsene Knollen, die in den landfernsten Teilen der Tiefsee gebildet werden, wo eine extrem geringe Sedimentationsrate vorherrscht. Neben Eisen (Fe) ist Mangan (Mn) das häufigste Element, das aufgrund seiner großen Adsorptionskapazität vor allem die Kationen Ni2+, Cu2+ und Zn2+ vom Ozeanwasser adsorbiert und in die Knollenstruktur einbindet. Aufgrund ihres langsamen Wachstums über Millionen von Jahren entstehen bis zu 25 Zentimeter große Knollen. Mn und Fe sind beide redoxsensitiv und wandern prinzipiell vom weniger oxischen Sedimentmilieu ins stark oxische Bodenwassermilieu. Ebenfalls hydrogenetisch gebildete kobaltreiche Mangankrusten mit Co-Gehalten über einem Prozent sind typischerweise fünf bis 100 Millimeter dick und häufig im Pazifik – vorwiegend in 3.000 bis 11.000 Meter Tiefe – als Aufwuchs auf exponierten Gesteinen von alten Seamounts (100 bis 60 Millionen Jahre) zu finden.
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Notwendige FuE-Aufgaben Zukünftige Forschungsaktivitäten in der Meeresforschung im Rahmen von GEOTECHNOLOGIEN müssen das Wissen zu folgenden Fragenkomplexen verbessern: 1. Wie funktioniert der Austausch zwischen Lithosphäre, Meeresboden und Wassersäule und welcher Stoffaustausch ist dabei essenziell für Klimaänderungen? Wie wirken sich Klimaänderungen auf den Stoffaustausch aus? Wie groß ist die Verbreitung von chemoautotrophen Organismengemeinschaften und welche Bedeutung haben sie im Vergleich zu heterotrophen Meeresorganismen? Wie funktioniert die Fluidzirkulation in bestimmten geologischen Provinzen und welchen Einfluss hat die Zementation der Gesteine auf die marine Hydrologie? Wie kann die Abschätzung von Gashydraten in den ozeanischen Sedimenten verbessert und die Dynamik von Methanhydraten korrekter quantifiziert werden?
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2. Welche Faktoren beeinflussen die Ökologie des Meeresbodens und wie kann bei einer zunehmenden Nutzung der Georessourcen eine nachhaltige Nutzung des Meeresbodens gewährleistet werden? Welche Georessourcen sind von ökonomischem Wert und welche könnten in Zukunft eine Rolle spielen? 3. Was sind Ursachen und Auslösemechanismen für Rutschungen am oberen Kontinenthang? Welche Ursachen sind natürlich und welche sind anthropogen? Welche Techniken werden zur Untersuchung von »Geohazards« benötigt und wie können vergangene Ereignisse besser datiert werden? Wie können zukünftige Naturkatastrophen verhindert werden beziehungsweise wie kann man ihre Folgeschäden mildern? Diese sehr allgemeinen Fragen sind nicht einfach und schnell durch einzelne Forschungsprojekte zu beantworten. Es sind Fragen, die im Rahmen einer mittel- bis langfristigen Forschungsperspektive verfolgt werden müssen. Es lassen sich aber Teilfragen mit Forschungsprojekten lösen, deren Einzelbeiträge wichtige Grundlagen für weitere Studien bilden. Marine Forschung in diesem Bereich sollte als Grundlagenforschung auf breiter Basis betrieben werden. Aufgrund der Komplexität bedarf es eines interdisziplinären Ansatzes, bei dem Geologen und Geophysiker mit Biologen, Geochemikern, Biogeochemikern und Ozeanographen zusammenarbeiten. Ein sehr wichtiger Aspekt dabei ist die Bereitstellung von Infrastruktur und Gerätetechnik, die nur in Zusammenarbeit mit Ingenieuren entwickelt werden kann. Der unmittelbare Forschungsbedarf ist vorwiegend in folgenden Bereichen zu empfehlen: (i) Biosphären-Geosphäreninteraktion in der Tiefsee Notwendig sind Untersuchungen zum Verständnis der Mechanismen, wie die Organismen der tiefen Biosphäre organisches Material oder andere Substanzen als Energiequelle nutzen. (ii) Fluidzirkulation in Hydrothermalgebieten und Kontinenträndern Ein Fokus ist hier unter anderem auf die Quantifizierung der Methanbildung und dessen Verteilung im Sediment zu legen. Belastbare Untersuchungen zu den ökonomischen Perspektiven und ökologischen (Klimarelevanz) Risiken stehen ebenfalls noch aus.
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(iii) Nachhaltige Nutzung der Tiefsee-Ressourcen Während die Meeresforschung in der Vergangenheit im Wesentlichen von der Verfügbarkeit von Forschungsschiffen und deren technologischer Ausrüstung abhing, spielen in Zukunft die Entwicklung und der Einsatz innovativer Geräte und Messstationen eine entscheidende Rolle. Die Anwendung von Schlüsseltechnologien ist dabei je nach Untersuchungsschwerpunkt besonders wichtig, um u. a. bestehende Ressourcen und das Risikopotenzial bei geplanten Eingriffen zu quantifizieren. Besondere Bedeutung werden zukünftig effiziente Fern- und Naherkundungsmethoden mit sehr guter räum licher Auflösung und Technologien zur Unterstützung des Tiefseebergbaus haben. Im tiefen Ozean können schon heute durch das in Deutschland entwickelte Meeresbodenbohrgerät (MeBo; Abb. 3-3) bis zu 75 m lange Bohrkerne in Wassertiefen bis 2.000 m gewonnen werden. Es ist sinnvoll, die Entwicklung des Meeresbodenbohrgeräts für größere Bohr- und Einsatztiefen voranzutreiben.
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Abb. 3-3: Meeresboden-Bohrgerät beim Aussetzen vom Forschungsschiff METEOR.
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4. Der Boden – Die Haut der Erde
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Der Begriff »Critical Zone« umschreibt die Grenzschicht der Erdoberfläche, in der alle Austausch- und Umsatzprozesse zwischen Lithosphäre, Biosphäre, Hydrosphäre und Atmosphäre stattfinden. Zentraler Bestandteil der »Critical Zone« sind die Böden (Pedosphäre). Die Pedosphäre ist der Ausgangspunkt des gewaltigen Transportes von Sedimenten durch Flüsse und der Verlagerung chemischer Stoffe in die Ozeane. Böden, einschließlich Flussebenen und angeschlossene Küstenregionen, sind die wichtigsten Lebensräume des Menschen und zugleich die verwundbarsten Regionen der Erde. Im Rahmen des globalen Klimawandels nimmt der Mensch direkt oder indirekt Einfluss auf die unterliegenden Prozesse und Strukturen der »Critical Zone«, zumeist in negativer Weise. Derzeit ist nicht absehbar, wie sensibel die »Haut der Erde« auf diesen Einfluss reagieren wird. Zurzeit entwickelt sich mit dem »Critical Zone«-Konzept ein sehr dynamisches Forschungsfeld, das skalenübergreifend Lösungen, Technologien und Produkte für die Herausforderungen der nächsten Jahrzente bereitstellen wird. Neue moderne Hochleistungstechniken zur Identifizierung und Quantifizierung der relevanten Prozesse können Erfolg versprechend eingesetzt werden. Ferner lassen sich neue Produkte wie Bodenhilfsstoffe mit definierten Eigenschaften herstellen und bei Landnutzungsverfahren zum Schutz und zur Wiederherstellung von Bodenfunktionen einsetzen. Zu den spezifischen Technologien gehören die hochauflösende Vermessung der Erdoberfläche mit geodätischen Methoden (high precision, real time), der Einsatz neuartiger geochemischer Prozessproxies und die Bestimmung der Raten von Erosion und Stoffumsätzen mit kosmogenen Nukliden. Außerdem zählen dazu die Erkundung des oberflächennahen Untergrunds mit nichtinvasiven geophysikalischen Verfahren, die Kennzeichnung biogeochemischer Prozesse an den reaktiven, heterogenen und dreidimensionalen Grenzflächen der Böden mittels neuer mikrospektroskopischer und mikrotomographischer Methoden auf Nanometer bis Mikrometer-Ebene sowie der Zugriff auf molekularbiologische Methoden, die helfen sollen, die Bedeutung biologischer Prozesse für die Funktionsfähigkeit der oberflächennahen Böden zu untersuchen. In der Entwicklung dieser neuartigen Techniken für den Forschungsbetrieb einerseits und ihre Weiterentwicklung zu von Wirtschaft/Gewerbe, Behörden und Ländern der Dritten Welt einsetzbaren Routinemethoden andererseits besteht erhebliches Marktpotenzial.
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Einführung Als interaktive Schnittstelle zwischen Atmosphäre, Biosphäre, Hydrosphäre, Anthroposphäre und Lithosphäre ist die Pedosphäre als Haut der Erde (Geoderma) eine existenzielle Grundlage für den Lebensraum des Menschen. Die Ansprüche an die Bodenwissenschaften sind daher enorm: So wird die Erdbevölkerung bis zum Jahre 2050 voraussichtlich auf neun Milliarden Menschen anwachsen. Gleichzeitig soll der Wohlstand der Entwicklungsländer verbessert werden. Das führt besonders in den Bereichen Ernährung, Wasserversorgung, Rohstoffbereitstellung und Biodiversität zu immer vielfältigeren Anforderungen an die Ressource Boden; Anforderungen, die durch globale Veränderungen, wie dem sich aktuell vollziehenden Klimawandel mit seinen spezifischen regionalen Auswirkungen, noch verstärkt werden. Sowohl durch die anthropogene Inanspruchnahme der Pedosphäre als auch durch natürliche Veränderungen werden die Böden in ihren Eigenschaften und in ihrer Tragekapazität verändert. Global betrachtet nehmen eine Übernutzung und die damit einhergehende Degradation der Ressource Boden zu. Internationale Experten sind sich einig, dass Böden die bedeutendste – nicht vermehrbare – Georessource der Zukunft sind. Die zuvor genannten He-
rausforderungen können nur durch fundiertes Wissen über die Pedospäre und ihre Wechselwirkung mit dem System Erde-Mensch bewältigt werden. Der Begriff »Critical Zone« umschreibt die Grenzschicht der Erdoberfläche von der Oberseite der unverwitterten Gesteine bis zur Oberseite der Vegetation, in der die meisten terrestrischen, chemischen, physikalischen und biologischen Austauschund Umsatzprozesse stattfinden (Abb. 4-1, 4-2). Die Definition schließt also auch die Vorgänge ein, die durch menschliche Aktivitäten beeinflusst werden oder diese beeinflussen. Zentraler Bestandteil der »Critical Zone« sind die Böden (Pedosphäre). Sie sind das Produkt aller Vorgänge in der »Critical Zone«. Als Haut der Erde kontrollieren sie nicht nur die globalen Stoffkreisläufe, sondern Böden reinigen auch als Reaktor die Atmosphäre und Hydrosphäre und stellen die Ernährung der Lebewesen auf der Erde sicher. Vor allem Flusstäler und Flussdeltas, die die Erosionprodukte der Böden enthalten, gehören zu den wichtigsten Lebensräumen der Menschen. Gleichzeitig zählen sie zu den verwundbarsten Regionen des Planeten. Im Rahmen des globalen Wandels beeinflusst der Mensch direkt oder indirekt immer mehr auch die Prozesse der Pedosphäre. Zurzeit ist noch nicht absehbar, wie sensibel diese Haut tatsächlich auf Ver-
Abb. 4-1: Die »Critical Zone« als Schnittstelle zwischen Litho-, Hydro-, Atmo- und Biosphäre.
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änderungen reagieren wird. Sicherlich aber ist es sinnvoll, die Georessource Boden schon heute im Rahmen eines nachhaltigen Soil Engineerings zu nutzen. Das heißt konkret: Produktions-, Rohstoffsowie Pufferfunktionen sollten besser und vor allem nachhaltiger genutzt werden. Mit Blick auf die anthropogenen Treibhausgasemissionen gilt das insbesondere auch für die Transformationsfunktion von Böden. Die globale Bedeutung der Pedosphäre wird deutlich, wenn man die gewaltigen Stoffkreisläufe betrachtet, die an der Erdoberfläche stattfinden: – 20×109 Tonnen Sediment werden jedes Jahr auf natürliche Weise erodiert und in Flüssen transportiert. – 2×109 Tonnen chemischer Elemente werden jährlich aus Gesteinen herausgewittert und in die Ozeane verfrachtet. – Die chemische Verwitterung entzieht der Atmosphäre jedes Jahr ungefähr 0,1×109 Tonnen CO2 und stabilisiert seit Milliarden Jahren den Treibhauseffekt. Damit hält sie die Atmosphärentemperatur in einem »wohnlichen« Bereich; umgekehrt ist auch die Entwicklung der Erdoberfläche ein Resultat der vorherrschenden lokalen klimatischen Bedingungen. Verändern sie
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sich, beeinflusst das ebenfalls die Entwicklung der Böden. – Auch auf kurzen (dekadischen) Zeitskalen wirken die Prozesse in der »Critical Zone« dem globalen Wandel entgegen. Durch die natürliche Sequestrierung von Kohlenstoff während der Photosynthese der Pflanzen wird Kohlenstoff als stabile organische Substanz im Boden festgelegt. So werden der Atmosphäre über Photosynthese jährlich circa 120×109 Tonnen Kohlenstoff entzogen. Die gespeicherte Menge (bis zu 3000 Gigatonnen) übertrifft die in der gesamten Biosphäre und Atmosphäre enthaltenen Mengen CO2. Deshalb führen schon kleine Veränderungen der Kohlenstoffvorräte im Boden zu relevanten Veränderungen des CO2Partialdruckes der Atmosphäre. Gleichzeitig werden diese Prozesse aber auch massiv durch klimabedingte Änderungen der Vegetation sowie die Degradation des Bodens beeinflusst. – Da höhere Pflanzen beträchtliche Mengen an Metallen und Silizium aufnehmen, wird ein großer Teil dieser Elemente durch die Pflanzenstreu dem Stoffkreislauf zugeführt. Die auf diese Weise umgesetzte Menge entspricht einem Vielfachen des jährlichen Flusstransportes dieser Elemente. Durch diese effiziente Rezyklie-
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Abb. 4-2: Fragestellungen und Zusammenhänge der »Critical Zone«, die die Prozesse der Atmosphäre, Biosphäre, Hydrosphäre und Lithosphäre an der Erdoberfläche verbinden.
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rung nutzen Pflanzen Nährstoffe, die sie sonst aus der Geosphäre nur langsam und ungenügend beziehen würden. Ebenso nehmen biologische Prozesse eine wichtige Position in den Boden-Pflanzen-Interaktionen ein; etwa indem sie aktiv in die Verwitterung eingreifen und so Nährstoffe zum Aufbau von Biomasse bereitstellen. – Seit dem Beginn des Holozäns greift der Mensch zunehmend in die natürlichen Prozesse ein. Die Menge an Sediment und Boden, die durch Landnutzung und Siedlungsbau jährlich bewegt wird, beträgt 100×109 Tonnen. Davon entfallen 30×109 Tonnen auf Bautätigkeiten und 70×109 Tonnen auf landwirtschaftliche Nutzflächen. Dieses entspricht einer Verfünffachung des globalen Abtrags und ist damit einer der größten menschlichen Eingriffe in terrestrische Systeme überhaupt. Die große wissenschaftliche und sozioökonomische Bedeutung der Kreisläufe für unsere Gesellschaft hat die Erforschung der Prozesse der Erdoberfläche und die Lehre davon enorm gestärkt. Dabei verschmelzen die Grenzen zwischen den klassischen geowissenschaftlichen Fächern der Geologie, Geomorphologie, Physischen Geographie, Geochemie, Geophysik und der Bodenkunde. Sie werden zudem durch neue Teilgebiete der Bodenwissenschaften (z. B. Geopedologie und Hydropedologie) sowie der Mikrobiologie, Botanik, Pflanzenphysiologie, Biogeochemie und der Umweltchemie ergänzt. Wissenschaftlich geht es dabei um die vertiefte Erforschung von Grundlagenfragen. Dazu zählen die landschafts- und sediment-formenden Prozesse und die struktur- und prozessbasierte Funktionalität der Böden einschließlich der Pedogenese mit den wichtigen Schnittstellen Lithosphäre-Pedosphäre beziehungsweise Pedosphäre-Biosphäre und Pedosphäre-Atmosphäre. Auch die Hydropedologie an der Schnittstelle Hydrosphäre-Lithosphäre (einschließlich Bodenphysik/-mechanik/-hydrologie) ist Teil der modernen Bodenforschung. Die »Critical Zone« bildet ein Kompartiment von Ökosystemen beziehungsweise von Landschaften. In diesem Zusammenhang ist die Heterogenität der Böden von besonderer Bedeutung. Nur wenn die kleinräumigen Unterschiede und die daraus ableitbaren Muster, die zum Beispiel im Landschaftsmaß-
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stab wiederkehren, bekannt sind, lassen sich notwendige Skalenübergänge realisieren. Die Heterogenität in den bodenchemischen beziehungsweise bodenphysikalischen Eigenschaften sowie in der Zusammensetzung und Funktion der Mikroorganismen und der Bodenmikrobiologie wirkt sich in der Bodendiversität aus. Dies schließt auch den Gashaushalt von Böden im Sinne der »Critical Zone« mit ein. Es entwickelt sich ein neuer konzeptioneller Ansatz von der Biosphäre der Oberfläche über die tiefere bis zur »Tiefen Biosphäre« (Gashaushalt der oberen belebten Erdkruste). Ohne das Wissen darüber, wie diese Faktoren miteinander wechselwirken, ist ein Verständnis der Stoffkreisläufe oder aber die Quantifizierung von Stoffhaushalten nicht möglich. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang neue methodische und analytische Ansätze wie die Isotopenanalytik, die quantitative Erfassung von Landschaftsformen mit Methoden der Erdbeobachtung, die Bodenmetagenomik sowie innovative Modellierungsansätze, Global Change Observatorien und der Transfer von Informationen über Skalen (z. B. von Bodenstruktur/Laborexperiment bis zur flächenhaften Kartierung/Modellierung). In diesem Kontext entsteht derzeit ein sehr dynamisches Forschungsfeld, das Skalen-übergreifend Lösungen und Technologien für die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte bereitstellen wird. So ist der Einsatz moderner Hochleistungstechniken zur Identifizierung und Quantifizierung dieser Prozesse Erfolg versprechend. Auch das Marktpotenzial neuer Technologien, die zwar für die Forschung konzipiert, aber so weiterentwickelt werden, dass sie schließlich routinemäßig von der Privatwirtschaft, von Behörden und von Ländern der Dritten Welt eingesetzt werden können, ist groß.
Förderstatus Erste grundlegende Arbeiten zu diesem Thema wurden durch das BMBF mit der öffentlichen Ausschreibung »Tomographie des nutzbaren Untergrunds – Von der Durchschallung zum Echtzeitmonitoring« im Januar 2009 auf den Weg gebracht. An der Ausschreibung beteiligten sich 47 Forschungsinstitutionen und 32 Unternehmen mit insgesamt 38 Skizzen und einem Gesamtvolumen von 33 Millionen Euro. Durch ein internationales Expertengremium wurden 9 Verbundprojekte zur Förde-
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rung empfohlen. Der Förderbeginn ist für das Frühjahr 2010 geplant. Im Jahr 2008 wurden auf Empfehlung des Koordinierungsausschusses GEOTECHNOLOGIEN insgesamt drei Rundgespräche zur Charakterisierung und Quantifizierung einzelner Stoffkreisläufe (C und N) und ihrer Reservoire initiiert. Dabei lagen die Schwerpunkte vor allem auf den heutigen Ökosystemen sowie der Entwicklung neuer Technologien zur C- und N-Speicherung und deren Quantifizierung. Auf der Basis eines in diesen Rundgesprächen erarbeiteten Wissenschaftsplans wurde dem BMBF ein Vorschlag zur öffentlichen Bekanntmachung übermittelt.
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Stand von Forschung, Entwicklung und Anwendung Der Startpunkt aller bio- und geochemischen Vorgänge an der Erdoberfläche sind die Prozesse in der »Critical Zone«: unverwittertes Gestein wird zersetzt, es entsteht das Ausgangsmaterial zur Bodenbildung; Feststoffe und gelöste Frachten sammeln sich für den Flusstransport an; Nährstoffe werden für Ökosysteme bereitgestellt. Das »Critical Zone«Konzept sieht für diese Prozesse (1) ein Dauermonitoring in Modelleinzugsgebieten sowie (2) eine virtuelle Dauerbeobachtung vor, die besonders hervorzuheben ist. Sie ermittelt in weltweit verteilten Typlokalitäten die zeitabhängigen und zeitintegrierten Resultate der beobachteten Prozesse mit morphometrischen, geochemischen, geophysikalischen und biogeochemischen Methoden und simuliert die verschiedenen Stadien eines Systems. Besonders betrachtet werden dabei transiente Ökosystemgrenzen und -zustände wie fortschreitende Grenzen von Permafrost oder Wüsten, aber auch Grundwasserabsenkungen, Wiedervernässungen, junge Abtrags- und Sedimentationsflächen oder Sukzessionsflächen. Dies geschieht auf drei räumlichen Skalen (Abb. 4-3): a) der des Flusseinzugsgebiets mit seinen sehr heterogenen Bodenlandschaften; b) der des einzelnen Pedons; und c) der Skala der Nanometer- bis Mikrometer-Strukturen (Minerale und organo-mineralische Assoziationen). Es stellen sich folgende grundlegende Fragen: 1. Welches sind die Raum- und Zeitskalen, über die Sedimentflüsse und Lösungsfrachten und deren Antriebskräfte variieren? Welches ist die
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Architektur des Bodens und wie ist ihre Wechselwirkung mit physikalischen und biogeochemischen Prozessen auf kleinster Raumskala (was hält den Boden zusammen und bedingt dessen Reaktivität)? Wie können diese Kenntnisse auf Skalen von Kleineinzugsgebieten bis Kontinenten extrapoliert werden? Wie sind die Zusammenhänge zwischen Erosionsrate, Relief und Geschwindigkeit der Krustendeformation sowie zwischen krustaler Verformung, Silikatverwitterung und dem Entzug von atmosphärischem CO2 in Abhängigkeit vom Versatzbetrag an Störungen und klimatisch-gesteuerten Prozessen an der Erdoberfläche? Welche Wechselbezüge bestehen zwischen Klima und Erdoberfläche? Wie reagieren insbesondere Reliefformen und Böden auf den Klimawandel und inwieweit sind pedogene Prozesse vom Klima abhängig? Wie lassen sich Wechselwirkungen zwischen Leben und Erdoberfläche charakterisieren und quantifizieren? Dies beinhaltet die Suche nach dem topographischen Fingerabdruck des Lebens auf der Erdoberfläche sowie die Suche nach den für bestimmte Mikroorganismen und höhere Pflanzen charakteristischen isotopengeochemischen Systemen und die Abschätzung des Einflusses von Biodiversität auf die Entwicklung der Erdoberfläche. Welcher Art und welchen Ausmaßes sind die Eingriffe des Menschen in das Erdoberflächensystem vom Beginn der Agrargesellschaften bis heute? In die Frage eingeschlossen sind: der Einfluss von systemexternen Vorgängen (z. B. Klima, Landnutzung), die Folge erhöhter Denudation auf die Bodendegradation, die Sequestrierung und der Transport von organischem Kohlenstoff, die Kontamination des Bodens, gelöste Stoffflüsse und die Nährstoffversorgung der Flüsse und Ozeane. Außerdem werden die Konsequenzen für eine nachhaltige Land- und Forstwirtschaft bei Wind- und Wassererosion, Bodenverdichtung, Bodenkontamination, Bodenversalzung und Desertifikation betrachtet, die die Puffer-/Transformationsvermögen und Neubildung des Bodens übersteigen. Wie lässt sich das System durch Soil Engineering und hydrologisches Management nachhaltig nutzen? Dazu zählen die Erwirkung einer
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Abb. 4-3: Die drei Raumskalen, auf denen Erdoberflächenprozesse stattfinden und untersucht werden. (Links) Stark durch Abholzung verändertes Flusseinzugsgebiet in Sri Lanka; (Mitte) chemische und physikalische Prozesse in der »Critical Zone«; (Rechts) Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines verwitternden Feldspates, der sich zu Tonmineralen zersetzt.
nachhaltigen Ressourcennutzung sowie die Rekultivierung und Renaturierung von übernutzten beziehungsweise degradierten Standorten, aber auch die Verbesserungen des Bodenzustands und der Bodenfunktionen durch gezielte Eingriffe. Ferner sind in diesem Kontext der Schutz vor Bodendegradationen durch den Klimawandel zu nennen, zum Beispiel trockenheitsinduzierte Schäden wie Bodenhydrophobizität und Nährstoffverluste. 7. Wie verläuft die Systemgenese vom »Punkt Null« an (Richtung, Intensität) unter definierten Randbedingungen als Basis großflächiger Wiederherstellungs- und Rekultivierungsmaßnahmen bei degradierten oder devastierten Standorten sowie Landschaften? Dazu zählt auch die Entwicklung von Geo- zu Geo-Hydro- und schließlich zu Geo-Hydro-Bio-Systemen, die einer Inwertsetzung im Rahmen der Landnutzung oder dem Prozess- und Artenschutz dienen sollen. Für die »Critical Zone«-Observatorien haben sich in der aktuellen prozessgeomorphologischen Forschung vier Systeme herausgestellt, die als kritisch für die Steuerung der Stoffkreisläufe anzusehen sind. Von diesen können die ersten beiden im Sinne eines stationären Gleichgewichtes interpretiert werden, während das dritte und vierte extreme Ungleichgewichtssysteme beschreiben: 1. Verwitterung ist reaktionslimitiert – physikalische Erosion ist zu schnell für vollständige Mineralverwitterung, aber Pflanzen werden kontinu-
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ierlich mit frischen mineralischen Nährstoffen versorgt (tektonisch aktive Gebirge). 2. Verwitterung ist verfügbarkeitslimitiert – physikalische Abtragungsprozesse sind zu langsam, die chemische Verwitterungszone liegt unterhalb der Erreichbarkeit für Pflanzen, wodurch diese mit mineralischen Nährstoffen unterversorgt sind (tropische Kratone). 3. Verwitterung, Neubildung und biotische Besiedlung beginnt am »Punkt Null«. Die initiale Transformation von unverändertem Locker-/Festgesteinsmaterial findet durch Erstexposition statt. Auf natürliche Weise geschieht dies z. B. durch den Rückzug eines Gletschers, Sedimentablagerungen oder die Eruption vulkanischer Laven; anthropogen z. B. durch bergbauliche Aktivitäten wie der Kippen-/Haldenrenaturierung. 4. Erosion und Verwitterung werden durch Landnutzung beschleunigt. Ist die Landnutzung nicht an den Standort angepasst, verändert sich auch die Verwitterungsintensität. Beides zusammen beschleunigt die wind- und wassergetragene Erosion in der »Critical Zone« stark. Wie hoch sind in der Folge die Stoffflüsse durch anthropogen beschleunigten Bodenabtrag und welche Auswirkung hat dies auf den C-, N- und Wasserkreislauf? Die Erforschung dieser Zusammenhänge profitiert von neuartigen Untersuchungsmethoden, die diese Prozesse in einen physikalisch und chemisch fundierten Zusammenhang stellen. Zudem können
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die Prozesse in komplexen numerischen Modellen in vier Dimensionen simuliert werden. Es besteht beispielsweise aktuell keine Kenntnis darüber, ob die Böden in Deutschland eine C-Quelle oder eine C-Senke sind, wobei in der Klimamodellierung – jedenfalls was den Kohlenstoffhaushalt anbelangt – diese Defizite nicht wirklich adressiert, sondern in einem Black Box-Ansatz als mehr oder weniger bekannt angenommen werden.
Notwendige FuE-Aufgaben Im Mittelpunkt der notwendigen FuE-Aufgaben stehen (1) die vier genannten Systemzustände der »Critical Zone« und ihr Einfluss in der Gegenwart und in der geologischen Vergangenheit, (2) die Stoffkreisläufe, die Produktion, Transportwege und Ablagerungen von Sedimenten sowie (3) ein nachhaltiges Management im Sinne von »Geo- und Soil Engineering« und (4) die Verteilung anthropogener »High-tech-Elemente« an der terrestrischen Erdoberfläche. Diese Kernthemen sollen mit den folgenden Entwicklungsvorhaben erforscht werden: (i) Terratraces Terratraces befasst sich mit den geochemischen Spuren, die Stoffkreisläufe an der terrestrischen Erdoberfläche hinterlassen. Das Vorhaben soll den Einfluss natürlicher Prozesse und menschlicher Aktivitäten auf Kreisläufe wichtiger Elemente wie Kohlenstoff (C), Eisen (Fe), Aluminium (Al), Silizium (Si), Alkali- und Erdalkalimetalle sowie Stickstoff (N) und Schwefel (S) in der »Critical Zone« in unterschiedlichen Maßstabsebenen bilanzieren. Deutschland verfügt auf dem Gebiet der Geochemie der Elemente und deren Isotope über eine einzigartige wissenschaftliche Expertise und analytische Infrastruktur. Auch im Bereich des globalen C-Haushaltes bestehen mit den genannten Methoden einzigartige Möglichkeiten zur Quantifizierung des anthropogenen Einflusses auf Stoffflüsse in der »Critical Zone«. Terratraces soll Expertise auf alle Prozesse anwenden, inklusive denen des Boden-, Grund-, Fluss-, und Niederschlagswassers und der Sedimentationssysteme, die sich daraus entwickeln. Dazu gehören auch Spurenstoffe, die durch anthropogene Emissionen in die Geosphäre gelangen; außerdem solche Prozesse, die zur Bildung supergener Metallrohstoffe führen sowie die Stoffkreisläufe, die
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durch die Vegetation induziert werden. Terratraces enthält starkes Anwendungspotenzial auf dem Gebiet der Georessourcen, der Umwelttechnik, der Ernährungswissenschaften, der Verteilung künstlicher Radionuklide in der Umwelt sowie in der Verbesserung des Bodenmanagements (etwa im Hinblick auf den erosionsbeeinflussten und/ oder trockenheitsveränderten C-Haushalt der Pedosphäre); außerdem in der Verwendung von Zuschlagsstoffen (sog. Bodenhilfsstoffe) sowie der Entwicklung neuer analytischer Techniken und Methoden zur Einbringung dieser Bodenhilfsstoffe in Böden durch Unternehmen aus den Bereichen Bodenbearbeitung, Bodensanierung und Sonderkulturen.
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(ii) Kosmogene Nuklide: Zeitachse von Erdoberflächenprozessen Die Vermessung von Raten und Altern sind unerlässlich, um Stoffumsätze in Erdoberflächenprozessen zu quantifizieren. Die Messung kosmogener Nuklide in Materialien der Erdoberfläche bietet hierfür exzellente Werkzeuge. Kosmogene Nuklide sind sehr seltene Isotope, die durch Kernreaktionen kosmischer Strahlen mit Atomen in der Atmosphäre oder an der Erdoberfläche entstehen. Mit der Installation des DFG-geförderten Beschleunigermassenspektrometers an der Universität zu Köln verfügt Deutschland ab 2010 über eine herausragende Forschungsmöglichkeit auf diesem Gebiet. Die dort möglichen Methoden umfassen die kosmogenen Nuklide Beryllium-10 (in-situ und meteorisch), Kohlenstoff-14, Aluminium-26, Chlor-36, sowie außerdem das Falloutnuklid Iod-129 und die Aktiniden. Nun gilt es, neue Anwendungen zu entwickeln, die sich diese Möglichkeit zunutze machen. Vorgeschlagen wird ein Programm, das die Messung großer Mengen an Daten (Größenordnung: 1000 Daten pro Projekt) und die dazugehörige Probenpräparation unter anderem an Eisbohrkernen, Sedimentkernen, rezentem Flusssediment, Bodenproben und Grundwasser gewährleistet. Technologietransfer findet hier auf dem Gebiet der AMS-Technologie und der analytischen Peripherieentwicklung statt. Bei Letzterem besteht starker Nachholbedarf. Zudem stellen die gewonnenen Erosionsraten und Expositionsalter wichtige Zeitmarken auf dem Gebiet der Georisikoabschätzung (Erdbeben- und Erd-
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rutschwiederholraten) dar, der Hochwasserforschung, der Sedimentbeckenentwicklung und der Bildung von Lockergesteinen und Böden, der knappsten Georessource in Deutschland.
– Monitoring mittels permanenter Messeinrichtungen (z. B. Widerstandstomographie) zur Überwachung von Parametern bei Hang-, Felsstabilität etc. (Feuchte, Leitfähigkeit, Eis-/Wassergehalt).
(iii) Nichtdestruktive Erkundung des oberflächennahen Untergrunds mittels geophysikalischer Technologien – Identifikation und Lokalisierung von internen Strukturen (Permafrost, wasserstauende Horizonte, Gleitflächen bei Rutschungen etc.) durch kombinierte Anwendung von relevanten Verfahren (Elektromagnetische Induktion, Elektrische Widerstands-Tomographie, Bodenradar, Seismische Reflektion und Refraktion, Magnetotellurik, Mikrogravimetrie) – Identifizierung und Quantifizierung von Sackungen, Setzungen, Rutschungen und Verdichtungen im oberflächennahen Untergrund. Kopplung mit Analysen zur Detektion und Frühwarnung von Naturgefahren, zum Beispiel Hangrutschungen und anderer Massenbewegungen – Quantifizierung von Sedimentkörpern (2D/3D), Kopplung mit geomorphologischen Prozessen und hochauflösenden Daten (DGM, TLS) sowie mit Relief- beziehungsweise Sedimenthaushaltsmodellen
(iv) Morphometrie und Krustenbewegungen Vorgeschlagen wird ein Programm für Befliegungen weltweiter Forschungsgebiete mit LIDAR (Light Detection and Ranging). Das Ziel ist die hoch aufgelöste 3D-Topographie. Beispiel ist NCALM (US National Center for Airborne Laser Mapping) (Abb. 4-4). (v) Management anthropogener biogeochemischer Stoffkreisläufe und hydrologischer Systeme Kohlenstoff steht im Mittelpunkt der Diskussion um die Anpassung an den Klimawandel. Besonders in seiner oxidierten Form als CO2 und seiner reduzierten Form als CH4 verstärkt Kohlenstoff den Strahlungsantrieb und trägt so zur globalen Erwärmung bei. Neben klassischen Verbrennungsprozessen sind es insbesondere biologische Prozesse der Atmung und Gärung/Faulung, die diese Gase erzeugen. Biologische Prozesse werden aber vor allem durch das Vorhandensein von Wasser und Stickstoff kontrolliert. Diese Erkenntnis wird bisher in der fächerübergreifenden Erforschung der Stoff-
Abb. 4-4: Beispiel für die Entwicklung des Reliefs entlang der aktiven Verschiebung der San Andreas-Störung. Das digitale Höhenmodell wurde mit LIDAR aufgenommen.
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kreisläufe nur wenig berücksichtigt. Im Bereich der Wirkung anthropogen beschleunigter Erosion auf den globalen C-Haushalt herrscht selbst über die Richtung dieses Prozesses keine Einigkeit. Der Aufbau von nutzungsspezifischen Bodenmanagementsystemen für Agro- und Agro-Forst-Systeme sowie Rekultivierungs- und Renaturierungsaufgaben, die alle drei Stoffströme mit den Funktionen und Serviceleistungen dieser Systeme (Grundwasserreinigung, Nahrungsmittelproduktion, Kohlenstoffspeicherung, Nährstoffbereitstellung) in Einklang bringen, erscheint besonders zukunftsträchtig. Darüber hinaus sollen Optionen zur Modifikation von Böden einschließlich der ungesättigten Zone zur Erhöhung der C-Speicherung und der damit im Zusammenhang stehenden Bodenfunktionen (z. B. Wasser- und Nährstoffspeicherung, nachhaltige Ertragsfähigkeit) erarbeitet werden (Soil Engineering mittels Bodenhilfsstoffen). (vi) Kohlenstoffspeicherung und standorttypische Humusgehalte in Böden und der tieferen ungesättigten Zone Der Humusgehalt von Böden bestimmt wesentlich Prozesse und Struktureigenschaften, die die natürlichen Bodenfunktionen und damit die Nutzungseigenschaften aufrechterhalten. Gleichzeitig bestimmen die natürlichen Standorteigenschaften und die Nutzung durch den Menschen Humusgehalt und Humusqualität eines Bodens. Zum Schutz des Bodens, aber auch im Rahmen der aktuellen Klimadebatte, sind die Humuswirtschaft und die Kohlenstoffvorräte der Böden von wissenschaftlichem, gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Interesse. Die grundsätzliche Bedeutung der organischen Substanz für natürliche Bodenfunktionen ist wissenschaftlich gut belegt, und relevante Zusammenhänge sind qualitativ erforscht. Eine umfassende Beurteilung des Status quo der Humusgehalte und der Humusversorgung von Böden in Deutschland und eine verlässliche Ableitung von Potenzialen zur Kohlenstoff-Sequestrierung kann auf der Basis der vorhandenen Daten derzeit nicht getroffen werden. Besonders für agrarisch genutzte Böden ist es notwendig, den Humusgehalt und weitere Parameter, die den Humushaushalt adäquat charakterisieren, flächenbezogen zu erfassen. Die Entwicklung eines bundesweiten Boden-C-Monitorings ist eine zentrale und
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mit Nachdruck von verschiedenen Expertengremien geforderte Maßnahme. (vii) Systemgenese und -entwicklung vom Punkt Null unter Bedingungen des stationären Gleichgewichtes und bei induzierter Störung als Basis großflächiger Wiederherstellungs- und Rekultivierungsmaßnahmen Neue Forschungsansätze untersuchen, welche Strukturen und Prozesse und welche Wechselwirkungen zwischen den Strukturen und Prozessen die Entwicklung in einem Ökosystem beziehungsweise Landschaftsausschnitt während der Initialphase steuern und wie sich Art und Intensität dieser Entwicklung von der Art und Intensität reiferer Phasen unterscheiden. Gegenstand ist die Erforschung der »Critical Zone« in den vier oben genannten Systemzuständen: 1. Verwitterung ist reaktionslimitiert 2. Verwitterung ist verfügbarkeitslimitiert 3. Verwitterung, Neubildung und biotische Besiedlung beginnt am »Punkt Null« 4. Erosion und Verwitterung werden durch Landnutzung beschleunigt.
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Die zentrale Hypothese lautet: Die Initialphase prägt die weitere Entwicklung, ihre Kenntnis verbessert damit die Prognostik des späteren Zustandes von Ökosystemen. Dazu werden Studien unter definierten Randbedingungen auf der Ebene von Landschaftsausschnitten (Global Change Observatorien, künstliche Wassereinzugsgebiete) konzipiert. Erkannte Prozessabläufe und Strukturveränderungen sowie ihre Wechselwirkungen werden experimentell verifiziert. Ziel der Untersuchungen ist es, initiale Entwicklungsprozesse, die unter den vorherrschenden Standortfaktoren von vorhandenen und sich ausbildenden Strukturen beeinflusst und gesteuert werden, zu analysieren und ihre Dependenzen zu erklären. In der Phase des stationären Gleichgewichtes wird erkundet, inwiefern sich die initiale Systementwicklung durchpaust und welches die Steuerfaktoren sind (z. B. Krustenbewegungen, Klimawandel). Es sollen schließlich integrale Modellvorstellungen zur ökosystemaren Strukturentwicklung und Prozessdynamik und der zugrunde liegenden chemischen und geomorphologischen Prozesse weiterentwickelt werden. Diese Interaktionen werden während der Initialphase
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und der späteren Gleichgewichtsphase sowie nach späteren Störungen der Ökosystemgenese auf der Basis hydrologisch klar abgrenzbarer Wassereinzugsgebiete analysiert und bilden die Basis für Modell-Validierungen. Damit besteht die Möglichkeit, die relevanten Prozesse wie Stoff- und Wasserhaushalt zu quantifizieren. Vor der Annahme, dass die Initialphase die weitere Entwicklung prägt, wird so die prognostische Ökosystemmodellierung auch reiferer Systeme deutlich verbessert; denn bislang haben sich Ökosystemprognosemodelle auf nicht wirklich quantifizierbare Systeme bezogen. Diese hatten zudem bereits eine in der Regel nicht hinreichend bekannte Entwicklung durchlaufen. Mithilfe des hier vorgestellten Ansatzes können zukünftig verbesserte Aussagen, beispielsweise zur Entwicklung des Kohlenstoffhaushaltes terrestrischer Ökosysteme, realisiert werden. Besonders wichtig ist auch das grundsätzliche Verständnis darüber, wie Pflanzen je nach Bodenbeschaffenheit mit Nährstoffen versorgt werden. Wie zum Beispiel unterscheidet sich die Nährstoffversorgung von Pflanzen auf den verfügbarkeitslimitierten Böden der Tropen von der von Pflanzen auf reaktionslimitierten Böden, wie sie in aktiven Gebirgsregionen zu finden sind? Gerade für den hier erforderlichen Vergleich der Prozessraten der verschiedenen Systeme erlauben die neuen Technologien einen enormen wissenschaftlichen Fortschritt. Eine stark verbesserte Prognosefähigkeit wird damit verbunden sein.
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5. Zukunftsraum Untergrund – Georessourcen und Geotechnik
Der Untergrund enthält die wichtigen Georessourcen Energie, Wasser und Infrastruktur. Die Geowissenschaften bieten Konzepte für eine verantwortliche Nutzung des Untergrundes: (1) Für eine versorgungssichere und umweltverträgliche Energiebereitstellung können geothermische Ressourcen, Kohlenwasserstoffreserven und geologische Speichermöglichkeiten einen entscheidenden Beitrag leisten. (2) Für die Umstellung auf neue Energieträger können neue Gewinnungstechnologien entwickelt und (3) neue Erzsysteme erschlossen werden, um den Bedarf an Hochtechnologiemetallen auch in Zukunft decken zu können. (4) Für Infrastrukturentwicklungen der Zukunft, die vielerorts nur im Untergrund aufgebaut werden können, müssen neue Erkundungsmethoden und technologische Strategien entwickelt werden. Damit in diesen Bereichen Deutschland auch in Zukunft eine internationale Führungsrolle spielt – von der Exploration über die Erschließung, bis hin zur Überwachung – sind zielgerichtete Anstrengungen in multidisziplinären Pilot- und Demo-Projekten notwendig. In diesen Projekten muss es gelingen, die Ergebnisse der Grundlagenforschung über FuE-Aktivitäten bis hin zu Vorserienprodukten zu entwickeln. Die deutsche Ingenieurkunst und deutsche Unternehmen bestimmen in vielen Bereichen den Stand des Wissens und der Entwicklung. Die hier vorgeschlagenen Projekte, die in enger Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Forschungsinstituten sowie kleineren und größeren Unternehmen geplant sind, sollen helfen, diesen Vorsprung zu erhalten. Georessourcen sind endlich; nur wenn wir heute beginnen, diese verantwortungsbewusst zu nutzen, können wir nachkommenden Generationen eine lebenswerte Umwelt hinterlassen. Es liegt in unserer Verantwortung, die Georessourcen künftig intelligenter zu nutzen, zu sichern und zu schützen.
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5. Zukunftsraum Untergrund – Georessourcen und Geotechnik Einführung Die Erde beherbergt heute mehr als 6,75 Milliarden Menschen. Sie alle leben auf und von der Georessource Untergrund. Um die Grundbedürfnisse der Menschen nach Nahrung, Kleidung und Wohnraum zu befriedigen, werden Rohstoffe und Energie in einem bisher nie dagewesenen Umfang benötigt und eingesetzt. Bei einem Nettobevölkerungswachstum von über 75 Millionen Menschen pro Jahr und einer immer stärkeren Bevölkerungskonzentration in Städten ist die verantwortliche Bewirtschaftung des Untergrunds eine große Herausforderung. Wohnten um 1800 etwa 2 Prozent der Erdbevölkerung in Städten, so waren es 1950 30 Prozent und im Jahr 2000 bereits 47 Prozent. Im Jahr 2008 lebten erstmals mehr Menschen in Städten als außerhalb. Stimmt die Vorhersage von UNHabitat, so werden 2030 ca. 60 Prozent der Menschen Stadtbewohner sein. Die wachsende Bevölkerungskonzentration insbesondere in großen Städten erfordert den Aufbau von Infrastrukturen zur Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Energie und Gütern. Diese Infrastrukturen müssen soweit als möglich in den Untergrund verlagert werden, um eine sichere Versorgung zu gewährleisten. Vor dem Hintergrund einer stetig wachsenden Weltbevölkerung formulierte der Nobelpreisträger für Chemie 1996, Richard E. Smalley, die größten Herausforderungen für das 21. Jahrhundert. Die vier größten davon hängen direkt an begrenzten Georessourcen: – Energie (heute überwiegend durch fossile Brennstoffe gedeckt)
– Wasser (neue Herausforderungen durch prognostizierte Klimaänderung) – Nahrung (heute sehr energieintensiv durch Kunstdünger, Bewirtschaftung, Transport) – Umwelt (Klimavariationen, anthropogene Einflüsse auf Klima und Umwelt). Verstärkt wird der Bedarf an Georessourcen noch durch eine auf Energie- und Rohstoffverbrauch basierte wirtschaftliche Entwicklung, vor allem in den Industrie- und Schwellenländern. So erwartet die Internationale Energie Agentur (IEA) eine Verdoppelung des Energiebedarfs in den kommenden zwei bis drei Jahrzehnten (Abb. 5-1) – und damit einhergehend eine Verdoppelung der CO2-Emmissionen. Die Energieversorgung Deutschlands und auch der Welt insgesamt beruht im Wesentlichen auf einem »Mix« aus fossilen Energieträgern (Erdöl, Erdgas und Kohle), erneuerbaren Energien und Kernenergie (Abb. 5-1 Rechts). Die fossilen Energieträger stellen mit über 80 Prozent den weitaus größten Anteil an der Gesamtenergieversorgung. Trotz aller Anstrengungen, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern aus Gründen des Klimaschutzes und anderen Aspekten der Nachhaltigkeit zu reduzieren, werden Erdöl, Erdgas und Kohle weltweit noch viele Jahre die Hauptlast der Energieversorgung tragen. Seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird weltweit mehr Öl verbraucht, als neue Vorkommen entdeckt werden (Abb. 5-1 Links). Auch wenn in der Summe zumindest für die kommenden Jahrzehnte genügend kohlenstoffbasierte Brennstoffe vorhanden sein werden (unter Einbeziehung auch der unkonventionellen fossilen
Abb. 5-1: (Links) Weltweite Ölproduktion (Verbrauch) und neu entdeckte Vorkommen. Seit den 90er Jahren wird mehr Öl verbraucht, als neue Vorkommen entdeckt werden. (Rechts) Projektion des zukünftigen Energiebedarfs
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Brennstoffe wie Ölsande, unkonventionelles Gas etc.), sind erhebliche Engpässe und Preissteigerungen absehbar, ausgelöst durch einen zunehmenden Verbrauch. Nur durch die Nutzung sogenannter unkonventioneller fossiler Energieträger wird die Situation in Bezug auf die mittelfristige Energieversorgung entschärft werden können; allerdings bestehen hier noch vielfältige geotechnische Probleme. Diese erfordern die Entwicklung intelligenter Explorations- und Produktionstechnologien. Potenzielle Auswirkungen der Verbrennung fossiler Brennstoffe, insbesondere von Kohle, umfassen Desertifikation, Veränderung des Wasserhaushaltes der Erde, Meeresspiegelanstieg oder Rückgang des Gletschereises. Neben direkten CO2-Reduktionstechnologien (z. B. Carbon Capture and Storage, CCS), bei denen CO2 geologisch gespeichert wird, sind kurz-, mittel- und langfristig erhebliche FuE-Anstrengungen notwendig, um den Umstieg in eine CO2-arme Energieproduktion zu schaffen. Ein Beispiel ist die Nutzung geothermischer Energie. Um den Lebensraum des Menschen für zukünftige Generationen verantwortungsvoll zu gestalten, werden zu den Reduktions- auch geeignete Adaptionstechnologien benötigt. Die meisten Technologien, die zu einer Reduktion von CO2-Emissionen angedacht werden, benötigen wertvolle Rohstoffe. Dabei ist oft unbekannt, dass die heute bekannten Rohstoffreserven den Bedarf der nächsten Jahrzehnte nicht decken können, wenn die in verschiedenen Klimaszenarien vorgeschlagenen CO2-Reduktionstechnologien tatsächlich eingesetzt werden sollten. Um den wachsenden Bedarf an Rohstoffen stillen zu können, sollen unter anderem neue Erztypen, oxidische Platinerze sowie Manganknollen und -krusten genutzt werden. Neben der Förderung von Erzen, fossilen Brennstoffen oder Steinen und Erden wird die Georessource Untergrund in zunehmendem Maße für die Speicherung und Deponierung von Stoffen oder als geothermische Energieressource genutzt. Um eine verantwortliche Nutzung des begrenzten Untergrunds zu erzielen, müssen FuE-Anstrengungen unternommen werden, mit denen der Untergrund möglichst synergetisch genutzt werden kann. Das heißt, es müssen Technologien entwickelt werden, die statt einer konkurrierenden Nutzung des Untergrunds eine gemeinsame – intelligente – Nut-
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zung dieser wertvollen Ressource ermöglichen. Jeder Eingriff in die Georessource Untergrund bedeutet ein Risiko. Um die Risiken zu minimieren, die Effizienz bei der Nutzung zu steigern und die Bewirtschaftung des Untergrunds auch für zukünftige Generationen zu ermöglichen, benötigen wir neue Grundlagenerkenntnisse zu den komplex rückgekoppelten Prozessen. Innovative Geotechnologien müssen entwickelt und erfolgreich in Pilot-, Demo- und Großexperimenten eingesetzt werden. Eine verantwortliche Nutzung der Georessource Untergrund erfordert eine multidisziplinäre Herangehensweise, bei der nicht in einzelnen Kompartimenten gedacht, sondern der Untergrund als Ganzes betrachtet wird. Dazu muss die gesamte Prozesskette von der Exploration über die Erschließung bis hin zur Überwachung abgedeckt werden. Insbesondere der oberflächennahe Bereich unseres Planeten (Meter bis mehrere Kilometer) ist für das Alltagsleben der Menschen von großer Bedeutung. Hier finden sich die lebenswichtigen Wasserund Rohstoffvorkommen, wichtige Speicherräume und umweltfreundliche Energieressourcen. Auch als Baugrund für Industrie- und unterirdische Verkehrsanlagen ist der oberste Teil der Erdkruste wichtig. Die Erkundungstechnologien sind für diesen ökonomisch wie ökologisch sensiblen Bereich jedoch erst unzureichend entwickelt. Besonderer Bedarf besteht an Technologien und Methoden, die auf unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Skalen eine hochauflösende Abbildung von Strukturen und Prozessen im Untergrund ermöglichen. Neben Neu- und Weiterentwicklungen im Bereich der mathematischen Geophysik und der Feldmessung gilt es insbesondere Ansätze zu entwickeln, die eine gezielte und einsatzspezifische Verknüpfung bestehender Verfahren erlauben. Zu nennen sind hier beispielsweise die Reflexionsseismik, Geomagnetik oder Elektromagnetik. Mithilfe dieser Verfahren lassen sich neue Anwendungsbereiche erschließen – etwa zur Materialprüfung oder zur Erkundung unterirdischer Räume als potenzielle Speicher des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2).
Förderstatus Auf Empfehlung des Koordinierungsausschusses GEOTECHNOLOGIEN haben BMBF und DFG ihre Förderaktivitäten in diesem Zukunftsthema bisher auf drei Schwerpunkte fokussiert:
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(1) Entwicklung innovativer Vorauserkundungstechnologien im Untertagebau Zwischen 2005 und 2009 förderte das BMBF vier Verbundprojekte mit insgesamt vier Millionen Euro. In den Projekten wurden unter anderem neue seismische Vorauserkundungssysteme entwickelt, die sich direkt in Tunnelbohrmaschinen einbauen lassen. Sie eignen sich besonders für den Einsatz in Großstädten. Hier ist aufgrund der dichten Bebauung eine verlässliche geophysikalische Erkundung des Untergrunds vor Beginn der Baumaßnahme nicht oder nur eingeschränkt möglich. Damit öffnet sich ein breites Feld von Anwendungen für eine Technologie, die in Deutschland entwickelt und nun zur Serienreife gebracht wird.
tiv kleinen Teil der Gesamtoberfläche der Erde ein. Als Schnittstelle zwischen Atmosphäre, Hydrosphäre und Biosphäre enthalten Sedimentbecken den größten Teil der für die Menschheit wichtigen Rohstoff- und Energieressourcen, so beispielsweise die fossilen Energieträger Erdöl und Erdgas. Aber auch die Erdwärme, ein Großteil der natürlichen Baustoffe und das lebensnotwendige Trinkwasser werden aus Sedimentbecken gewonnen. Zudem stellen diese Bereiche der Erdkruste wichtige Wirtschaftsräume dar, zum Beispiel als Standorte für Deponien oder Speicherkavernen. Eine nachhaltige Nutzung der Sedimentbecken durch den Menschen setzt ein umfassendes Verständnis der hier ablaufenden Prozesse voraus.
(2) Geologische Speicherung von CO2 Das BMBF hat im Rahmen des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN die Federführung für Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur geologischen Speicherung von CO2 in Deutschland übernommen. Für grundlagenorientierte und standortspezifische Projekte stehen bis 2011 circa 45 Millionen Euro zur Verfügung. Bereits seit Mitte 2005 werden 20 interdisziplinäre Forschungsverbünde gefördert, in denen Unternehmen mit Universitäten und anderen Wissenschaftsinstitutionen zusammenarbeiten. Die Arbeiten sind in erster Linie grundlagenorientiert und auf Laborversuche beziehungsweise Modellrechnungen beschränkt. Die Vorhaben sind die ersten bundesweit koordinierten Aktivitäten zur unterirdischen Speicherung von CO2 und tragen maßgeblich dazu bei, das Knowhow in Deutschland zu dieser Thematik zu festigen. Alle Forschungsprojekte werden in enger Kooperation mit internationalen Forschungsaktivitäten durchgeführt. Komplementär zu den FuE-Arbeiten des BMBF unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) in dem Forschungsprogramm COORETEC die Entwicklung neuer und verbesserter Technologien zur CO2-Abscheidung und Effizienzsteigerung zukünftiger Kraftwerke.
Zwischen 2002 und 2008 förderte die DFG das Schwerpunktprogramm »Dynamik sedimentärer Systeme unter wechselnden Spannungsregimen am Beispiel des zentraleuropäischen Beckensystems« mit knapp 6,5 Millionen Euro. In 19 Forschungsprojekten waren Vertreter aus 13 Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen beteiligt. Die Arbeiten wurden in enger Kooperation mit in- und ausländischen Energieunternehmen durchgeführt und trugen maßgeblich zur Etablierung des Studienganges »Angewandte Geowissenschaften« an der German University of Technology (GuTech), einer an die RWTH Aachen angegliederte Privatuniversität in Muscat, Oman, bei.
(3) Sedimentbecken – Die größte Ressource der Menschheit Obwohl Sedimentbecken zum Teil viele Tausend Quadratkilometer große Senkungsstrukturen an der Erdoberfläche sind, nehmen sie nur einen rela-
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Stand von Forschung, Entwicklung und Anwendung (i) Geothermie Bereits heute wird geothermische Energie in Sedimenten (z. B. in Molassebecken) und in Festgesteinen (u. a. auf Island) erfolgreich kommerziell genutzt (Abb. 5-2). Durch die Weiterentwicklung spezifischer geophysikalischer Reservoircharakterisierungen, Bohrtechnologien und durch ein erweitertes Bewirtschaftungsmanagement der Reservoire wird es möglich, auch solche Standorte geothermisch zu nutzen, die bisher als nicht geeignet eingestuft wurden. Für den großtechnischen Einsatz von Geothermie, der bis ins Jahr 2050 zu einer Reduktion des Netto-Treibhausgasausstoßes von circa einer Gigatonne CO2 pro Jahr beitragen soll, reichen die heute vorhandenen Technologien allerdings nicht aus.
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Abb. 5-2: (Links) Geothermie in mehr als 3000 m Tiefe, Hot-Dry-Rock-Verfahren. (Rechts) Speicherung von Wärme und Kälte als Teil einer gesamtheitlichen Energieversorgung des Reichstages.
(ii) Geologische CO2-Speicherung Die großtechnische geologische Speicherung von CO2 erfordert eine Bewirtschaftung des Untergrunds in bisher nicht erreichter Dimension. Das gilt ganz besonders in Gebieten mit hoher Bevölkerungsdichte. Dabei müssen die Exploration unterirdischer Speicher, die Speicherung des CO2 und seine Überwachung langfristig sichergestellt werden. In Ketzin existiert eine weltweit einzigartige Forschungsinfrastruktur, die es erlaubt, die gesamte Prozesskette von der Exploration bis zur Überwachung abzubilden und neue Verfahren zu testen. (iii) Unkonventionelle KohlenwasserstoffRessourcen In Anbetracht der hohen Bedeutung fossiler Energieträger für unsere Gesellschaft ist es erstaunlich, dass mit den verfügbaren Fördermethoden im weltweiten Durchschnitt derzeit nur etwa ein Drittel des Erdöls gefördert werden kann, das in den Lagerstätten vorhanden ist. Der größte Teil des Öls verbleibt, technisch oder wirtschaftlich nicht nutzbar, in der Lagerstätte. An die Stelle der klassischen Erdöl- und Erdgasvorkommen treten in Zukunft zunehmend unkonventionelle Kohlenwasserstoff-Vorkommen wie Öl-
schiefer, Teersande, niedrigpermeable Erdgas-Muttergesteine, Gashydrate, niedrigpermeable Gasführende Sandsteine, extrem tief liegende Gasvorkommen (unterhalb 4 km Teufe) und in Kohleflözen adsorbiertes Methan. Die Förderung unkonventioneller Kohlenwasserstoff-Vorkommen ist zum Teil mit erheblichen Umweltbeeinträchtigungen verbunden (z. B. Teersande). Anderereits bieten etwa unkonventionelle GasReservoire die Möglichkeit, den saubersten fossilen Energieträger, das Erdgas, länger nutzen zu können, als es die Produktion der klassischen Erdgasfelder zulässt. In Europa ist bisher wenig über das Potenzial dieser Lagerstätten bekannt. Die effiziente Aufsuchung und Gewinnung unkonventioneller Kohlenwasserstoffe erfordert neuartige geologisch-geotechnische und mikrobiologische Methoden und Strategien. Insbesondere die Förderung solcher Vorkommen in dicht besiedelten Gebieten Zentraleuropas stellt eine technische Herausforderung dar. (iv) Hochtechnologiemetalle Metalle für Zukunftstechnologien und prospektive Zukunftstechnologien (z. B. Solarenergie, Elektroantrieb, Brennstoffzellen) benötigen eine Reihe seltener Metalle. Dabei überschreiten die erforderlichen
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Abb. 5-3: Bedarf an metallischen Rohstoffen für Zukunftstechnologien 2006 im Vergleich zu 2030 in Bezug auf die heutige globale Produktionsmenge.
Mengen für die strategisch wichtigen Hochtechnologiemetalle Gallium (Ga), Neodym (Nd), Indium (In), Scandium (Sc), Germanium (Ge), Platin (Pt) und Tantal (Ta) erheblich die heutige Jahresproduktion (Abb. 5-3). (v) Nutzung des Untergrunds in urbanen Räumen Jeder Eingriff in den Untergrund ist ein Eingriff in ein komplex rückgekoppeltes System. Um Bauvorhaben und ihre Auswirkung auf die Umgebung zu bewerten, existiert eine Vielzahl empirischer und prozessbasierter Methoden. So können beim Bauen auch bestehende benachbarte Gebäude erheblich gefährdet werden (Abb. 5-4, Links). Gut bekannt sind die Beschreibung der Interaktion zwischen Bauwerk und Boden, die Nutzung der bekannten Stoffgesetze, der Einsatz von Beobachtungs- und Vorhersagemodellen sowie der Einsatz geophysikalischer Methoden und geostatistischer Analyseverfahren zur Vermeidung beziehungsweise Minimierung von Verformungen im Untergrund. Zukünftig wird es darum gehen, quantitative Stoffgesetze (z. B. veränderliche feste Gesteine, Wirkung von Fluiden) mit noch besser belastbaren Parametern zu finden. Sie müssen auch für komplexe Bauvorhaben oder technische Eingriffe zuverlässige Voraussagen ermöglichen. Wichtig ist das vor allem in dem bisher kaum erkundeten Teufenbereich unterhalb von drei Kilometern. Dazu ist es notwendig, die geophysikalischen Methoden und (geo-)statistischen Analyseverfahren beträchtlich zu verbessern. Entwickelt werden müssen aber auch innovative Bautechniken und geeignete Verfahren, um Material im Labor unter den gegebenen Druck-Temperatur-Verhältnissen und anderen Stress-Bedingungen zu untersuchen.
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(vi) Kritische Phänomene Natürliche und anthropogen getriggerte kritische Phänomene wie Felsstürze, Erdfälle oder Schlammvulkane und Dammbrüche oder Hanginstabilitäten führen jährlich zu Milliardenschäden (Abb. 5-4, Rechts). Der Einfluss des Klimas auf kritische Zustände (z. B. Felsstürze aufgrund von Veränderungen in Permafrostböden im Hochgebirge) sowie ein Prozessverständnis der Mechanismen, die den kritischen Phänomenen zugrunde liegen (z. B. veränderliche feste Gesteine, Auslaugungs- und Phasenübergangsprozesse etc.), gehören zu den aktuellen Herausforderungen moderner GEOTECHNOLOGIEN-Forschung. (vii) Sensornetzwerke Die zunehmende Nutzung des Untergrunds erfordert eine neue, automatisierte und strukturintegrierte Sensorik. In ersten Projekten ist es gelungen, mit Verfahren der künstlichen Intelligenz (KI) (neuronale Netze) automatisierte Warntechnologien zu entwickeln. Gesteigerte Computerleistung und neue methodische Ansätze zur KI erlauben heute die Entwicklung neuer Monitoring- und Auswertetechnologien. Sie führen nicht nur zu einer integrierten Auswertung (Joint Inversion) unterschiedlicher Beobachtungen (Seismik, Geoelektrik, Gravimetrie etc.), sondern ermöglichen auch die Auswertung der Beobachtungen in Echtzeit.
Notwendige FuE-Aufgaben Für die verantwortliche Nutzung des Untergrunds ergibt sich eine Reihe von Fragestellungen mit großem Innovationspotenzial. Um die gesamte Kette von der Grundlagenforschung bis hin zur Anwendung abbilden zu können, werden Projektthemen
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5 Bild 5-4: (Links) Eingestürztes Archiv der Stadt Köln aufgrund eines hydraulischen Grundbruchs in einer Tunnelbaustelle. (Rechts) Felssturz im Topanga Canyon, Kalifornien, USA.
vorgeschlagen, an denen zielgerichtet und effektiv drängende Fragen bearbeitet werden können. Dieser Ansatz erfordert eine enge multidisziplinäre Kooperation, die die geowissenschaftliche Forschungslandschaft über die Grenzen der einzelnen Einrichtungen hinaus zusammenführt. (i) Reservoir-Charakterisierung: Von konkurrierender zu synergetischer Nutzung des Untergrunds In Europa werden in den nächsten Jahren voraussichtlich einige Milliarden Euro aus der öffentlichen Hand in große geologische CO2-Speicherprojekte fließen. Dabei ist noch nicht geklärt, wie und wo sich Geothermie und CO2-Speicherung wechselseitig positiv oder negativ beeinflussen. Eine wissenschaftliche Begleitung dieser Demonstrationsprojekte würde es erlauben, an realen Beispielen eine synergetische Nutzung zu testen (Abb. 5-5). Diese Vorhaben reichen von der geowissenschaftlichen Exploration (mit geologischen, geophysikalischen, geochemischen, petrologischen und weltraumbasierten Methoden) über die Reservoir-Charakterisierung und Erschließung (Bohrtechnologie, Reservoir-Engineering, Geomechanik, Reservoir-Modellierung) bis hin zur kurz-, mittel- und langfristigen Überwachung mit geochemischen, geophysikalischen und biologischen Methoden. Dabei müssen die geochemischen, physikalischen und biologischen Prozessparameter, die auf den Untergrund einwirken, quantitativ verstanden sein. Neue RiskAssessment Methoden sollen eingesetzt werden, um Best-Practice-Richtlinien zu entwickeln, anzuwenden und zu validieren.
Großer Forschungsbedarf besteht auch hinsichtlich der Verteilung von Porösitäten und Permeabilitäten im Bereich von KW-Vorkommen, insbesondere unkonventioneller Erdgaslagerstätten. Bei sehr niedriger Durchlässigkeit sind zur wirtschaftlichen Nutzung fast immer Stimulierungsverfahren notwendig. Wie erfolgreich diese sind, hängt jedoch von einer möglichst genauen Kenntnis der Porositäts- und Permeabilitätsverteilung, der Gassättigung und der Kluft- und Störungsverteilung ab. Daher ist eine detaillierte Analyse der Reservoir-Eigenschaften Voraussetzung für eine erfolgreiche Exploration. Neue Forschungsansätze müssen deshalb die verschiedenen geowissenschaftlichen Datensätze entsprechend eines optimierten Reservoir-Managements zusammenführen. Zwei große Real-Scale Experimente werden vorgeschlagen: – Geothermische Nachnutzung im Vorfeld einer CO2-Enhanced Oil/Gas Recovery – Kombiniertes Geothermie/CCS-Projekt zur Optimierung der Reservoir-Kapazität bei gleichzeitiger Erhöhung der Speichersicherheit. (ii) Unkonventionelle Energieträger: Von der Reservoir-Analyse zum Reservoir-Management Die Durchlässigkeiten unkonventioneller Gasvorkommen, zum Beispiel in niedrigpermeablen Sandsteinen, in Tonsteinen oder in Kohleflözen, liegen weit unter denen konventioneller Lagerstätten. Um diese Reservoire nutzen zu können, müssen deshalb neue Methoden entwickelt werden, mit denen das Gas mobilisiert werden kann. Die mikrobiologischen und geochemischen Fragen zur
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Abb. 5-5: Synergetische Nutzung des Untergrunds am Beispiel von CO2-Speicherung und geothermischer Nutzung.
Gasbildung bei hohen Temperaturen sowie die Erhöhung der Ausbeutung der Lagerstätten bilden die zentralen Herausforderungen. In Deutschland existieren vermutlich erhebliche Vorkommen der oben genannten unkonventionellen Energieträger. Ihre verantwortliche Nutzung verlangt disziplinenübergreifende FuE-Vorhaben. So müssen nach geologischer, geophysikalischer und geochemischer Exploration unter Umständen dreidimensionale Modelle der Untergrundstrukturen erarbeitet und deren geologischzeitliche Entwicklung rekonstruiert und modelliert werden. Nur so können die Kohlenwasserstoffsysteme quantifiziert und ihre Bildungs-, Migrations-, Akkumulations- und Alterationsprozesse quantitativ verstanden werden. Die Suche nach fossilen Energieträgern und ihre Gewinnung erfordern umfangreiche praxisnahe Forschungen. Bei zukünftig weiter steigendem Energiebedarf werden Erdöl, Erdgas und Kohle auch in den kommenden Jahrzehnten die wesentliche Energiequelle sein und die Energieversorgung sichern. (iii) Hochtechnologiemetalle (HTM) Die jungen Technologien (z. B. weiße LEDs, CIGS-
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Solarzellen, schnelle und energiearme Mikrochips, Hochleistungspermanentmagnete, Li-Ionen-Akkus oder Brennstoffzellen) werden in den nächsten Jahren enorm wachsen. Dabei wird die Verfügbarkeit seltener Metalle wie Gallium, Scandium, Indium oder Germanium eine große Rolle spielen. Die Versorgung der Industrie mit diesen Metallen wird dadurch erschwert, dass sie meist in Erzen mit anderen Elementen vergesellschaftet sind. Darüber hinaus sind bei einigen dieser Hochtechnologiemetalle einzelne Länder oder Bergbauunternehmen weltweit Marktführer; es ist also eine starke Produzentenkonzentration zu verzeichnen. Ziel ist es, die Rohstoffbereitstellung zu verbessern und die Produktion bei gleichzeitiger Erhöhung der Ressourceneffizienz auszuweiten. So kann es gelingen, die Versorgung der Industrie mit den knappen Hochtechnologiemetallen sicherzustellen. Um das Ziel zu erreichen, muss die gesamte Produktions- und Wertschöpfungskette mineralischer Rohstoffe von der Lagerstätte über die Aufbereitung und Metallurgie bis zum Recycling untersucht werden. Mit anderen Worten: Es müssen »Life Cycle«-Strategien für seltene Metalle mit strategischer Bedeutung für Zukunftstechnologien entwickelt werden.
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(iv) Kritische Prozesse: Von der Materialeigenschaft zur Risikominimierung Um kritische Phänomene über Stoffgesetze und probabilistische Ansätze beschreiben zu können, müssen die Mechanismen und Prozesse, die den Materialeigenschaften zugrunde liegen, quantitativ bekannt sein und über geeignete Modellierungsstrategien miteinander verbunden werden. Die Eigenschaften haben eine meist unbekannte Skalenabhängigkeit, die aber ist wichtig, um das Risiko von Bauwerken zu verringern. Strategien sollen entwickelt werden, um die Sicherheit geotechnischer Vorhaben zu erhöhen. Dabei sollen neue Materialien (z. B. auf der Basis von Nanopartikeln) entwickelt, getestet und eingesetzt werden. Nötig sind in diesem Zusammenhang Laborstudien, Feldexperimente und geeignete Technologien, um die Annäherung an kritische Zustände erkennen und rechtzeitig entsprechende Maßnahmen ergreifen zu können. Darüber hinaus muss untersucht werden, wie genau prediktive Modellierungsstrategien sind.
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(v) Explorations- und Überwachungstechnologien: Vom Sensornetzwerk zur Echtzeitinformation Zur Erhöhung der Sicherheit von Bauwerken (Infrastruktur unter- und übertage, Dämme, Gebäude etc.) sowie zur Überwachung von geologischen Speichern und Deponien werden innovative Konzepte benötigt, die eine automatisierte und permanente Überwachung sowie Echtzeit-Alarmierung ermöglichen. Dazu müssen unterschiedliche Beobachtungstechnologien intelligent verknüpft und ausgewertet werden (Sensorfusion, Netzwerkfusion, Joint Inversion). Eine sinnvolle Überwachung setzt bereits im Vorfeld geeignete Explorationstechnologien (in der Geophysik, Geologie, Geochemie und Biologie) voraus. Sie sind Basis für die Entwicklung angepasster Überwachungskonzepte. Neben neuen geotechnologischen Entwicklungen – von neuartigen Sensoren bis hin zu innovativen Experimenten und Auswerte-Algorithmen – sollen dabei Sensornetzwerke und Auswertelogiken implementiert werden, die unter anderem auf Auswerte-Algorithmen oder neuronalen Netzen basieren. So soll den komplexen Datensätzen eine geeignete Auswertelogik gegenübergestellt werden.
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6. Geomaterialien – Von der Nutzung ihrer Oberflächeneigenschaften bis zu innovativen Hochdruckeigenschaften Die Dynamik der Erde wird entscheidend durch die Eigenschaften der Minerale und Gesteine an ihrer Oberfläche und in ihrem Innern geprägt. Die Untersuchung von Materialeigenschaften hat daher in den modernen Geowissenschaften eine ähnliche Bedeutung wie die Molekularbiologie für die Erforschung des Lebens. Erst ein vollständiges Verständnis der Ursachen und Mechanismen geologischer Prozesse von der atomaren bis zur planetaren Skala erlaubt quantitative Vorhersagen im System der Erde. Praktische Bedeutung haben Geomaterialien nicht nur als Rohstoffe und Baumaterialien. Die an ihnen erforschten Strukturprinzipien werden auch in mesoskopisch strukturierten Keramiken oder bei mikroskopischen Funktionsmaterialien (z. B. schnelle elektronische Speicher) angewendet. Selbst in speziellen Extremmaterialien, die zum Beispiel eine extreme Härte und Elastizität aufweisen, werden die Prinzipien genutzt. Zahlreiche dieser besonderen Eigenschaften resultieren aus der Kombination von Textur (Cluster, Korngrenzen, innere und äußere Oberflächen) und atomarer Struktur (Unordnung/Ordnung und Defektkonzentration) der Geomaterialien. So definiert der lokale Aufbau und die Symmetrie des Materials physikalische und chemische Eigenschaften wie elektronische, magnetische oder optische Qualitäten. Durch zusätzliche Textureffekte kann das makroskopische Materialverhalten darüber hinaus drastisch verändert werden. Geomaterialien können so exakt auf industrielle Anwendungen (z. B. niedrigdimensionale Leiter, schnelle ferroelektrische Datenspeicher, biomimetische Keramiken) zugeschnitten werden. Ähnliche Effekte spielen auch eine große Rolle bei der Magnetisierung natürlicher Gesteine, die letztlich Auskunft gibt über die Bewegung von Platten in der geologischen Vergangenheit und über die Entwicklung des Erdmagnetfeldes.
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Methoden und Verfahren, die entwickelt wurden, um die Vorgänge im Erdinneren besser zu verstehen, werden heute auch zur Synthese neuer Industriematerialien genutzt. Die Hochdruckforschung und ihre Methoden ermöglichen aber auch die Synthese von Materialien mit neuen Eigenschaften. Beispiel dafür sind neuartige Halbleiter, aber auch ultraharte Materialien wie Industriediamanten, die heute größtenteils synthetisch hergestellt werden. Der aktuelle Forschungsbedarf konzentriert sich auf folgende Anwendungsbereiche von Geomaterialien: (1) Reaktionen an äußeren und inneren Grenzflächen (z. B. Immobilisierung toxischer Elemente/Verbindungen und metamikter, radioaktiv bestrahlter Phasen) sowie Biomineralisation (z. B. biomimetische Funktionsmaterialien, Zahn-Knochenimplantate). (2) Fortentwicklung der Hochdrucktechnik und deren Anwendungen für die Erforschung des Erdinnern einerseits und die Synthese neuer Materialien (z. B. Verformungshärtung, Ultrahartphasen) andererseits.
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6. Geomaterialien – Von der Nutzung ihrer Oberflächeneigenschaften bis zu innovativen Hochdruckeigenschaften Einführung Der geochemische Stoffaustausch zwischen der Litho-, Hydro- und Atmosphäre erfolgt zumeist über Reaktionen zwischen wässrigen Lösungen und Mineralen und an Mineraloberflächen und inneren Grenzflächen. Die chemische Verwitterung beeinflusst oberflächennah wichtige Elementzyklen (Kohlenstoff, Sauerstoff, Schwefel, Eisen) auf globaler Ebene. Sie kontrolliert beispielsweise die chemische Zusammensetzung von Gewässern und Flüssen oder reichert die Böden mit Nährstoffen an. Auch die Mobilität von Schadstoffen wird durch Verwitterungsreaktionen gesteuert. Häufig werden die Vorgänge durch Mikroorganismen zusätzlich katalysiert. Verwitterung ist der wichtigste geologische Prozess, der über lange Zeiträume der Atmosphäre CO2 entzieht und damit das Klima auf der Erde reguliert. Prozesse an Mineraloberflächen erfolgen auf atomarer und molekularer Längenskala. Elementare Reaktionen wie Auflösung und das Wachstum sowie Mineralumwandlungen, Adsorption und Ionenaustausch sind für eine Vielzahl von geologischen Prozessen wichtig. Auch bei technischen Verfahren macht man sich Verwitterungsreaktionen zunutze: zum Beispiel bei der Fixierung von Schadstoffen (auch radioaktive Elemente) an Mineraloberflächen (Abb. 6-1) (insbesondere für die
Verfügbarkeit von Trinkwasser), bei Korrosionsprozessen oder bei der Aktivierung und Funktionalisierung von Industriemineralen (z. B. Schichtsilikate). Auch bei der industriellen Sequestrierung von CO2 ist die Untersuchung von Mineralreaktionen von besonderem Interesse. Denn nur, wenn die lokalen Wechselwirkungen verstanden sind, kann das Speichervermögen und die Sicherheit möglicher geotechnischer Ansätze beurteilt werden.
Förderstatus Seit April 2008 werden dreizehn Verbundprojekte zum Thema »Mineraloberflächen: Von atomaren Prozessen zur Geotechnik« mit einem Gesamtfördervolumen von knapp acht Millionen Euro durch das BMBF gefördert. In den 9 Verbundprojekten sind 23 Forschungseinrichtungen und Kliniken sowie 20 Unternehmen beteiligt. Ziel der Forschungsarbeiten ist es, Mineraloberflächen und innere Grenzflächen in ihrer vollen Komplexität vom Nanometer- bis zum Millimetermaßstab zu verstehen, quantitativ zu bewerten und im Hinblick auf neue Prozesse und Produkte durch chemische, physikalische und biologische Funktionalisierung gezielt zu verändern. Tonminerale mit ihren spezifischen Ladungsverteilungen sind dabei von besonderem Interesse. Auch biotechnologische Veredelungsverfahren und die Entwicklung bioaktiver Mineraloberflächen werden untersucht. Die neuen Abb. 6-1: Teilweise verwittertes glaziales Sediment mit Ausfällung von fächerförmigen Manganoxiden. Neben der Elementmobilisierung durch die Umwandlung von primären Mineralen kommt es auch zur Retention von Metallen im Porenraum und damit zur Verfestigung. Rückstreuelektronenbild (Links) und farbcodiertes Elementverteilungsbild (Rechts). Rot=Silizium, Grün=Mangan, Blau=Eisen.
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Technologien könnten eines Tages in der Umweltoder Medizintechnik zur Anwendung kommen.
Stand von Forschung, Entwicklung und Anwendung Um Vorgänge im Erdinneren zu untersuchen, werden in Hochdruckexperimenten die Druck- und Temperaturbedingungen soweit wie möglich nachgestellt. Extrem hohe Drücke, die den Bedingungen im Kern der Erde entsprechen, lassen sich etwa mit Diamantstempelzellen erreichen. Dabei wird die Probe zwischen den Spitzen zweier Diamanten komprimiert. Der Nachteil dieser Methode ist: Es lassen sich nur extrem kleine Proben von 0,01 bis maximal 0,1 Millimeter untersuchen. Derartig kleine Proben aber reichen weder aus, um alle nötigen physikalischen Eigenschaften, die für das Verständnis des Erdinnern essenziell sind, zu messen, noch können aus ihnen in den Stempelzellen neue Materialien entstehen. Will man die Verhältnisse im Erdkern simulieren, müssten zudem Temperaturen bis über 5000 Grad Celsius erreicht werden. Diese Temperaturen lassen sich zwar durch spezielle LaserHeizungen in Diamantstempelzellen prinzipiell erreichen, jedoch bilden sich dabei aufgrund der hohen Temperaturgradienten stets chemische Heterogenitäten aus, sodass chemisch komplexe Systeme wie Minerale und Gesteine des Erdinnern mit dieser Technik nicht untersucht werden können. Mithilfe von Mehrstempel-Pressen können einige der oben geschilderten Probleme umgangen werden. In diesen Apparaturen wird die Probe von mehreren Seiten aus von sechs bis acht Stempeln komprimiert. Damit lassen sich größere Probenvolumina bis zu etwa einem Kubikmillimeter realisieren. Temperaturgradienten können soweit reduziert werden, dass auch chemisch komplexe Systeme untersucht werden können. Mit konventionellen Multi-Anvil-Pressen lassen sich jedoch maximal Drücke von 26 Gigapascal erreichen, die gerade dem Druck im obersten Teil des unteren Erdmantels entsprechen. Der überwiegende Teil des Erdinneren ist experimentell nicht zugänglich. Grundsätzlich können mit diesen Apparaturen auch Deformationsexperimente ausgeführt werden, mit denen sich die Verformung von Mineralen und Gesteinen bei der Mantelkonvektion untersu-
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chen lässt. Solche Experimente sind enorm wichtig für das Verständnis der Dynamik unseres Planeten, da die Konvektion des Erdmantels letztlich die Bewegung der Platten an der Erdoberfläche antreibt und damit Phänomene wie Gebirgsbildung, Vulkaneruptionen und Erdbeben verursacht. Mit der gegenwärtig verfügbaren Technik sind jedoch Deformationsexperimente nur bis zu einem Druck von maximal etwa acht Gigapascal möglich, sodass weder die Rheologie der Übergangszone noch die des unteren Mantels überhaupt untersucht werden kann.
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In-situ Untersuchungen, bei denen die Proben direkt bei hohem Druck und hoher Temperatur untersucht werden können, haben in den letzten Jahren in den Geowissenschaften und in den Materialwissenschaften erheblich an Bedeutung gewonnen. Die meisten dieser Methoden verwenden Röntgenstrahlen, sowohl für Strukturuntersuchungen mithilfe von Beugungsmethoden als auch für die radiographische Beobachtung der Probe und spektroskopische Untersuchungen. Da sich leichte Atome mit Röntgen-Methoden nicht oder nur sehr schwer lokalisieren lassen, ist die Neutronenbeugung eine sinnvolle Alternative. Gerade bei der Untersuchung von Materialien mit leichten Atomen hat sie große Vorteile gegenüber der Röntgenbeugung. Bisher wird sie allerdings in diesem Zusammenhang kaum genutzt. Eine wesentliche technische Voraussetzung für die erfolgreiche Anwendung von Neutronenbeugung unter Druck ist die Entwicklung von Hochdruckapparaturen, mit denen sich größere Probenvolumina realisieren lassen.
Notwendige FuE-Aufgaben (i) Mineraloberflächen- und Grenzflächenprozesse Um physikalisch-chemische Prozesse an Mineraloberflächen zu verstehen und damit technologisch gezielt einsetzen zu können, muss ihre Struktur und Zusammensetzung bekannt sein. Die Weiterund Neuentwicklung präziser chemisch-physikalischer Messverfahren ist notwendig, um quantitative Strukturuntersuchungen an Mineraloberflächen durchzuführen. Eine neue Generation von experimentellen Untersuchungstechnologien erlaubt es erstmalig, Reaktionsprozesse nahezu in
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Echtzeit mit Ortsauflösungen im Submikrometerbereich zu erfassen. Weiterer FuE-Bedarf besteht bei der gezielten Manipulation von Mineraloberflächen. Aufbereitungs- und Veredlungsverfahren lassen sich beispielsweise gezielt an verschiedene funktionelle Mineraloberflächen anpassen. Die Migration von Schadstoffen und ihre Fixierung an Mineraloberflächen spielt in der natürlichen Trink- und Brauchwasserbereitung mithilfe mineralischer Rohstoffe eine große Rolle. Aus dem detaillierten Verständnis der physikalisch-chemischen Prozesse und der Eigenschaften von Mineraloberflächen lässt sich das Adsorptionsverhalten der Minerale erklären. Neben den anorganisch-geochemischen Vorgängen sind Fragen zu den Wechselwirkungen von organischer Materie mit Mineraloberflächen zu beantworten. Besonderer Forschungsbedarf besteht hinsichtlich der Rolle von Mikro- und Makroorganismen. Sie modifizieren durch die Aufnahme gelöster Substanzen sowie die Freisetzung von Stoffwechselprodukten zum Beispiel das chemische Nano- und Mikro-Milieu entscheidend und induzieren auf diese Weise die Fällung, Lösung und Umwandlung von Mineralen. Aufbauend auf einem verbesserten Verständnis der chemisch-physikalischen Prozesse sollen Mineraloberflächen gezielt verändert werden. Die Art der Oberflächenmodifizierung erfolgt auf chemischem und physikalischem Wege und/oder durch die Einwirkung von Mikroorganismen. Wichtiger FuE-Bedarf besteht – hinsichtlich der rheologischen Wirkmechanismen zwischen Mineralgemengen und Additiven in wässrigen Systemen, – auf dem Gebiet der chemischen Funktionalisierung, insbesondere bezüglich der Stabilität einer wässrigen Dispersion, sobald sich die Mineralgemenge in der mineralogischen Zusammensetzung und ihren physikalischen und chemischen Oberflächeneigenschaften ändern, – bei Ionenaustauschprozessen und Ionendepots, – bei der Aktivierung der technologisch besonders breit einsetzbaren Bentonite bei chemischer Konditionierung und Funktionalisierung von Mineraloberflächen (z. B. Kontrolle der Ladung von Schichtsilikaten oder der mechanischen Stabilität von Mineralaggregaten und
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Haftverbünde zwischen Reaktionspartnern). Die mechanische Funktionalisierung von Mineraloberflächen lässt sich über die Mikronisierung mineralischer Rohstoffe und über deren thermische Behandlung herbeiführen. – in der Frage, wie sich bei Mineralumwandlungsund Neubildungsprozessen, bei der Hydrothermalbehandlung von Rohstoffen zur gezielten Einstellung produktionsrelevanter Eigenschaften und bei der washcoat-Entwicklung zur Verbesserung der mechanischen Haltbarkeit unter extremen Reaktionsbedingungen der thermische Einfluss auf die Oberflächenstruktur auswirkt, – in der Entwicklung von Technologien und Methoden zum Aufbau von Metallionendepots in Tonen und Bentoniten sowie in der heterogenen Katalyse an der Oberfläche von Aschenpartikeln. Breite Anwendung finden diese Prozesse beispielsweise in der Papierindustrie durch die Modifikation der Kaolinoberflächen im Mikround Nanobereich. Andere Anwendungsgebiete bestehen in der Keramik-, Gießerei- und Katalysatortechnologie. (ii) Biomineralisation Besondere geowissenschaftliche Beachtung erfährt gegenwärtig das Gebiet der Biomineralisation. Die Prozesse an Oberflächen und Grenzflächen von Biomineralen sind unter verschiedenen geowissenschaftlichen Aspekten wichtig. So wird zum Beispiel befürchtet, dass mit steigender CO2-Konzentration in der Atmosphäre die Ozeane übersäuern, sodass Kalzit und insbesondere Aragonit bildende Organismen (z. B. Korallen, Mollusken) kein Kalkskelett mehr bilden können (Abb. 6-2). Neben derartigen Umwelteffekten wurden bisher auch die lokalen strukturellen Phänomene der Biomineralisation, das heißt die Details darüber, wie solche organisch-anorganischen Verbundmaterialien gebildet werden, nur ungenügend studiert. Entsprechend wurden auch die damit korrelierenden industriellen Einsatzmöglichkeiten nur wenig ausgeschöpft. Derzeit werden Methoden entwickelt, wie sich die natürliche Mikrostruktur, Textur und Oberflächenreaktivität von Biomineralen für technologische Anwendungen, wie Implantate oder Zahnkeramiken, optimal nutzen lässt. Dazu ist jedoch ein besseres Verständnis der oberflächenchemischen Interaktion der anorganischen mit der organischen
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Abb. 6-2: Schnitt durch die Molluskenschale Patella crenata. 1) kalzitische Kreuzlamellen, 2) aragonitisches Myostracum, 3) aragonitisches Hypostracum, die innere Kreuzlamellenstruktur. Organisches Material befindet sich primär in den Grenzflächen zwischen den kalzitischen und aragonitischen Zonen, Lamellen.
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Komponente nötig. Forschungsbedarf besteht außerdem bei Grenzflächenprozessen, die zur Unterstützung und Steuerung der natürlichen Mineralbildung und Mineralauflösung im Körper dienen. (iii) Erweiterung des Druckbereiches von Mehrstempelapparaturen Durch den Einsatz von Stempeln aus gesintertem Diamant könnte der Druckbereich von Mehrstempel-Apparaturen wahrscheinlich von 26 Gigapascal auf nahezu 100 Gigapascal erweitert werden. Damit wären praktisch die gesamten Druck- und Temperaturbedingungen des Erdmantels experimentell zugänglich. Japanische Arbeitsgruppen arbeiten seit mehreren Jahren an der Lösung dieses Problems. Sie haben bereits einige beeindruckende Erfolge erzielt und konnten in einzelnen Experimenten Drücke bis über 90 Gigapascal bei relativ geringen Temperaturen erreichen. Die Vorversuche der japanischen Kollegen zeigten jedoch auch einige grundsätzliche Probleme mit dieser Technik, die gelöst werden müssen: – Die Stempel aus gesintertem Diamant sind extrem anfällig gegen Scherbeanspruchung, die bei geringen Abweichungen von der idealen Orientierung der Stempel auftritt. Da sich das druckübertragende System bei hoher Belastung stets verformt, müssen hydraulische Pressen konstruiert werden, mit denen Veränderungen
in der relativen Orientierung der Stempel unter hohem Druck ausgeglichen werden können. Bisher führen Experimente noch regelmäßig zum Bruch der extrem teuren Stempel aus gesintertem Diamant. – Wegen der sehr hohen thermischen Leitfähigkeit von Diamant ist es schwierig, mit Stempeln aus gesintertem Diamant gleichzeitig die hohen Temperaturen (bis über 2000 °C) zu erreichen, die im tiefen Erdinneren herrschen. Deshalb müssen neue Materialien entwickelt werden, die Probe von den Stempeln thermisch abzuschirmen. Möglicherweise ist es sinnvoll, die neuen Materialien mit neuen Methoden zur Heizung der Probe (z. B. durch Induktion) zu kombinieren. – Mit den hier skizzierten technischen Neuentwicklungen könnte einerseits der Aufbau des unteren Mantels der Erde direkt im Labor untersucht werden. Andererseits könnten die Hochdruckphasen zahlreicher Oxide, Nitride und anderer Substanzen erstmals in größerer Menge synthetisiert werden. Dadurch ergäben sich völlig neue Möglichkeiten in der Synthese von ultraharten Materialien, Halbleitern und ferroelektrischen Materialien (Abb. 6-3). Nicht zuletzt wegen dieser möglichen technischen Anwendungen wird diese Technologie derzeit in Japan mit sehr großem Aufwand vorangetrie-
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Abb. 6-3: Ultraharte Materialien. Die Oberfläche eines natürlichen Diamanten ist zerkratzt von synthetischen Nano-Diamanten. Die Kratzspuren (rote Pfeile) zeigen, dass diese Nano-Diamanten härter sind als ein gewöhnlicher Diamant.
ben. Vergleichbare Forschungsanstrengungen gibt es weder in Europa noch in den USA. (iv) Entwicklung neuer Apparaturen für Deformationsexperimente unter hohem Druck Um zu untersuchen, wie sich Minerale unter hohem Druck verformen, müssen neue Apparaturen entwickelt werden, mit denen sich ein Druckbereich bis mindestens 26 Gigapascal realisieren lässt und gleichzeitig die Probe unter Druck kontrolliert verformt werden kann. Ein Beispiel wäre eine neue Generation von Mehrstempelpressen mit mehreren, völlig unabhängig voneinander bewegbaren hydraulischen Stempeln. Herkömmliche Pressen besitzen dagegen nur einen Stempel, dessen Kraft dann durch ein System von Führungsblöcken so umgeleitet wird, dass ein allseitiger Druck auf die Probe erzeugt wird. Gleichzeitig sollten diese Pressen so konstruiert sein, dass die direkte Beobachtung von Stress und Strain mithilfe von Röntgenbeugung und -radiographie möglich ist.
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Mit einer derartigen Apparatur wäre es erstmals möglich, die mechanische Festigkeit und das Fließverhalten der Minerale in der Übergangszone und im unteren Erdmantel direkt im Labor zu untersuchen. Diese Daten sind unverzichtbar für die Entwicklung geodynamischer Modelle, die die Evolution des gesamten Planeten Erde korrekt wiedergeben sollen. In der Materialforschung könnte eine solche Apparatur darüber hinaus genutzt werden, um Mechanismen der Verformungshärtung unter hohem Druck zu untersuchen. (v) Entwicklung von Apparaturen für Neutronenbeugung unter hohem Druck Für Neutronenbeugungs-Experimente werden typischerweise verhältnismäßig große Probenmengen benötigt. Selbst mit modernen, sehr intensiven Neutronenquellen sind immer noch Probenvolumina von mehr als 10 Kubikmillimetern notwendig. Aus diesem Grund wird die Neutronenbeugung derzeit relativ selten für Untersuchungen unter hohem Druck angewendet. Die meisten Hochdruckexperimente mit Neutronen wurden bis-
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her in der Paris-Edinburg-Zelle ausgeführt. Die Möglichkeiten, mit dieser Zelle gleichzeitig hohe Temperaturen und hohe Drücke über längere Zeit aufrecht zu erhalten, sind jedoch sehr begrenzt. Hier ist eine technische Weiterentwicklung von Mehrstempelpressen notwendig (Abb. 6-4). Größere Probenvolumina könnten realisiert werden, wenn – wie oben für die Deformationsapparatur skizziert – der Druck von mehreren unabhängigen hydraulischen Stempeln gleichzeitig erzeugt wird. Darüber hinaus müsste die Presse so modifiziert werden, dass der gebeugte Neutronenstrahl über einen weiten Winkelbereich zugänglich wird. Die Materialien von Dichtungen, druckübertragendem Medium und Heizkörper wären so zu modifizieren, dass die Absorption für Neutronen minimiert wird.
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Eine Apparatur für Neutronenbeugung bei bis zu 26 Gigapascal und 3000 Grad Celsius wäre weltweit einmalig. Sie würde beispielsweise auch die direkte Untersuchung von wasserhaltigen Silikatschmelzen und von wasser- und CO2-reichen Fluiden erlauben. Geowissenschaftliche Anwendungen der Neutronenbeugung unter hohem Druck werden gegenwärtig an der neuen »Spallation Neutron Source« der USA intensiv vorangetrieben. Die dort verwendete Technologie ist jedoch für Hochdruckexperimente bei gleichzeitig hohen Temperaturen nicht geeignet. Deutschland könnte auf dem Gebiet der geowissenschaftlichen Anwendung von Neutronenbeugung mit der Entwicklung der oben skizzierten Technologie eine internationale Führungsrolle einnehmen.
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Abb. 6-4: Eine Mehrstempel (Multi-Anvil) -Presse mit einer Presskraft von 1000 Tonnen (Linkes Bild). Mit dieser Presse kann man Bedingungen im obersten Teil des unteren Erdmantels simulieren. Rechts sind sieben der acht Würfel aus Wolframkarbid gezeigt, die den Druck auf die Probe übertragen. Die Probenkapsel (Rechtes Bild, ganz vorne) ist nur wenige Millimeter groß. Weiterhin sind Teile des elektrischen Heizkörpers um die Probe sowie ein Thermoelement zur Messung der Temperatur zu sehen. Durch Ersatz der Wolframkarbid-Würfel durch Würfel aus gesintertem Diamant könnte der Druckbereich dieser Apparaturen soweit erhöht werden, dass praktisch der gesamte Erdmantel für Experimente zugänglich wäre. Hierfür wäre jedoch gleichzeitig eine komplette Neukonstruktion der hydraulischen Presse notwendig.
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7. Georisiken – Umgang mit extremen Naturereignissen
Die in den vergangenen Jahren exponentiell wachsenden Zahlen von Schäden, die durch Naturkatastrophen entstehen, spiegeln eine sich ändernde Risikolandschaft wider, die von den Faktoren Klimawandel und wachsende Bevölkerungszahl geformt wird. Die Folgen sind – neue Gefahren (häufiger Hagel, Hangrutschungen durch schwindenden Permafrost und Extremniederschläge, neue Niederschlags- und Hochwassermuster, Zyklone in mediterranen Regionen etc.), – neue Risikogruppen (Betroffenheit großer Bevölkerungszahlen und vieler Staaten, Instabilitäten urbaner Räume, großräumiger Ausfall von Infrastruktursystemen etc.) und – Extremereignisse mit unbekannten Ausmaßen im Bereich der geologischen und hydrometeorologischen Gefahren.
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Das FuE-Programm GEOTECHNOLOGIEN hat bereits zu wesentlichen wissenschaftlichen Ergebnissen in den Bereichen Frühwarnsysteme im Erdmanagement, unterirdischer Raum, Satellitentechnologien und Informationssysteme geführt. Es hat Technologien entwickelt, an die man bei der Bewältigung der neuen Herausforderungen anknüpfen kann. Das Spektrum der zukünftigen Methoden umfasst: – Geowissenschaftliche Großexperimente wie Tiefbohrungen und Langzeitmonitoring der Prozesse der Erde, – Entwicklung von physikalischen und rechnergestützten Modellen zur Simulation komplexer dynamischer Prozesse unter adäquater Assimilation von Daten und Beobachtungen, – Instrumentierung und Überwachung von Prozessen und Regionen mit hohem Gefährdungspotenzial, – Entwicklung von Informationssystemen für eine effektive Nutzung vorhandener Informationsressourcen (z. B. Daten, Modelle) zur Vorbereitung und schnellen Reaktion auf Ereignisse; dazu gehört auch die Frühwarnung, – Entwicklung und Konzeption effektiver Schutz- und Vorbeugemaßnahmen; Förderung und Erforschung von gesellschaftlichen Abwehr- und Adaptionsmaßnahmen. FuE-Arbeiten mit diesen Zielsetzungen stellen direkte Beiträge zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel (DAS) und seine europäischen und internationalen Pendants dar. Sie unterstützen die globalen Anstrengungen zur Reduktion der Naturrisiken auf wissenschaftlicher Ebene (ICSU Science Plan for Integrated Research on Disaster Risk) und politischer Ebene (UNISDR Hyogo Framework for Action).
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7. Georisiken – Umgang mit extremen Naturereignissen Einführung Naturkatastrophen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu immer höheren Schäden geführt. Im Jahr 2008 betrug die Schadenssumme etwa 200 Milliarden US-Dollar. Eine besonders signifikante Zunahme zeigen dabei die Schäden, die durch hydrometeorologische Ereignisse verursacht werden und als Folge des Klimawandels interpretiert werden können. Dazu gehören die steigende Häufigkeit und Intensität von Ereignissen wie Hagelschlag, Hitzewellen oder das vermehrte Auftreten von Tornados – auch in Deutschland. Gleichzeitig erhöht sich die Bevölkerungszahl der Erde – vorwiegend in Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Folgen: Große urbane Ballungszentren (Megacitys) entstehen und die Küstenregionen sind immer dichter besiedelt. Zusammen genommen bilden diese Umstände ein wachsendes Risikopotenzial, das insgesamt dazu führen wird, dass Katastrophen in bisher nicht gekanntem Ausmaß zu den Szenarien der Zukunft gehören werden. Beispiele solcher Ereignisse waren der Tsunami im Indischen
Ozean im Jahr 2004, die Erdbeben von Kaschmir im Oktober 2005 (Abb. 7-1), Wenchuan (China) im Mai 2008 sowie Port-au-Prince (Haiti) 2010 und der tropische Wirbelsturm Nargis, der Myanmar 2008 verwüstete. Diese Herausforderungen erfordern die Entwicklung neuer wissenschaftlicher Methoden und Technologien zur Prognose und Schadensminderung zukünftiger Katastrophen. Das Spektrum umfasst: – geowissenschaftliche Großexperimente wie Tiefbohrungen und Langzeitmonitoring der Prozesse der Erde, – Entwicklung von physikalischen und rechnergestützten Modellen zur Simulation komplexer Prozesse unter adäquater Assimilation von Daten und Beobachtungen, – Instrumentierung und Überwachung von Prozessen und Regionen mit hohem Gefährdungspotenzial, – Entwicklung von Informationssystemen für eine effektive Nutzung vorhandener Informationsressourcen (z. B. Daten, Modelle) zur Vorbereitung
Abb. 7-1: Nicht nur Erdbeben, sondern auch Hangrutsche haben in Pakistan 2005 zu großen Zerstörungen geführt.
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und schnellen Reaktion auf Ereignisse. Dazu gehört auch die Frühwarnung. – Entwicklung und Konzeption effektiver Schutzund Vorbeugemaßnahmen; Förderung und Erforschung von gesellschaftlichen Abwehr- und Adaptionsmaßnahmen. Diese Erfordernisse beinhalten ein hohes Potenzial an technologischen Entwicklungen, z. B. Instrumentenentwicklung, Kommunikationstechnologien, Softwareentwicklung, Satellitentechnologien und Auswertemethoden. Sie schließen auch sogenannte »Soft Technologies« ein, die wesentlich für die Implementierung von Vorbeugemaßnahmen und die effiziente Nutzung von Technologien sind. Die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie für die Minderung von Risiken stellt einen Beitrag zur Sicherung nachhaltiger Entwicklung dar, dient demzufolge den Millenniumszielen der Vereinten Nationen und kann auch als Beitrag zur Deutschen Anpassungsstrategie (DAS) an den stattfindenden Klimawandel gewertet werden.
Förderstatus Das BMBF fördert im Rahmen des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN bis 2010 11 Verbundprojekte zum Thema »Frühwarnsysteme im Erdmanagement« mit insgesamt 11 Millionen Euro. Dabei stehen Projekte zur Frühwarnung gegen Erdbeben (sechs Projekte), gegen Vulkanausbrüche (ein Projekt) und gegen Hangrutschungen (vier Projekte) im Vordergrund. Die Vorhaben werden komplementär und zum Teil in direkter Kooperation mit den Projekten zur Hochwasservorsorge im Rahmen des BMBF-geförderten RIMAX Programms und zum Aufbau eines Tsunami-Frühwarnsystems für den Indischen Ozean (GITEWS) durchgeführt. Die Forscher stehen zudem im regelmäßigen Erfahrungsaustausch mit Kollegen aus dem DFG-Graduiertenkolleg METRIK und dem DFG-Sonderforschungsbereich 461 (Karlsruhe) »Starkbeben: Von geowissenschaftlichen Grundlagen zu Ingenieurmaßnahmen«. Die Aktivitäten in den GEOTECHNOLOGIEN sind damit die konsequente Fortschreibung aufeinander abgestimmter Förderaktivitäten von BMBF und DFG, um durch Forschung und Entwicklung die Gefahren von Naturkatastrophen künftig zu mindern.
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Stand von Forschung, Entwicklung und Anwendung Das Programm GEOTECHNOLOGIEN mit seinen Themenschwerpunkten »Frühwarnsysteme im Erdmanagement«, »Erkundung, Nutzung und Schutz des unterirdischen Raums« sowie »Erfassung des Systems Erde aus dem Weltraum« und »Informationssysteme« hat zu wissenschaftlichen Ergebnissen und Technologien geführt, an die beim Umgang mit extremen Naturereignissen angeknüpft werden kann. Gleichzeitig ist die nachfolgend vorgeschlagene Forschung als Beitrag zu großen internationalen Programmen wie dem International Continental Deep Drilling Programme (ICDP) und dem Global Earthquake Model (GEM) zu sehen.
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(i) Entwicklung physikalischer Modelle von Naturkatastrophen Hier kann auf eine breite Palette entwickelter Modelle und Softwareumsetzungen zur Simulation von Erdbebenkatalogen, Gefährdungsbetrachtungen und Modellierung der Wellenausbreitung inklusive nichtlinearer Phänomene zurückgegriffen werden. Darüber hinaus ist es möglich, verschiedene Datensätze wie Starkbebenbeobachtungen und GPS-Daten in Inversionsprogrammen der Bruchphänomene bei Erdbeben zu integrieren. Im Bereich der hydrometeorologischen Katastrophen stehen Verfahren zur Verfügung, mit denen Hochwasser großräumig simuliert und relevante Hochwasserparameter wie Überschwemmungstiefe, -dauer und teilweise auch Fließgeschwindigkeiten betrachtet werden können. Instationäre morphodynamische Strömungsprozesse, die bei Extremereignissen einen wesentlichen Einfluss auf die Strömungscharakteristik und die daraus resultierenden Schadensbilder haben, sind derzeit aber noch nicht prognostizierbar. Gleiches gilt für interaktive Phänomene wie Deich- oder Dammbrüche. Sie können zwar grundsätzlich in die Modelle implementiert werden. Die physikalisch-geotechnischen Vorgänge, die ihnen zugrunde liegen, sind jedoch noch nicht ausreichend erforscht, um sie auch vorhersagen zu können. Mehrere Typen von instabilen Hängen sind systematisch mit Messinstrumenten versehen und mit verschiedenen Beobachtungsskalen analysiert worden. Auch die Beobachtungsbasis für schwindende Permafrostböden im alpinen Raum und die damit einhergehenden Instabili-
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täten sind in den letzten Jahren verbessert worden. Inversionsverfahren für den Nachweis von Permafrost und dessen zeitliche Änderungen sind verfügbar. Verschiedene sogenannte Dekadenvulkane werden mit zahlreichen Beobachtungssystemen überwacht. Die Verfahren umfassen seismische und hydrologische Beobachtungssysteme sowie GPS, Neigungsmessungen aber auch Satellitenmethoden. Die Modelle wurden in verschiedenen Projekten in Form von komplexen Softwaresystemen umgesetzt. Die damit zusammenhängenden Herausforderungen an diese Software sind Gegenstand geoinformatischer Forschung und erlauben neuartige Formen der Generierung, Integration und Verwaltung von Information. (ii) Monitoringsysteme Monitoringsysteme sind der Schlüssel für die systematische Beobachtung von natürlichen, sich ändernden Systemen. Immer genauere Deformationsmessungen mit GPS und Radarinterferometrie sowie eine verbesserte Auswertemethodik und seismologische Instrumentierung eröffnen neue Möglichkeiten für zukünftige Projekte. Gleiches gilt für neue Technologien, mit denen Zustandsgrößen im Boden und in Erdbauwerken erfasst werden können. Ein Beispiel für eine solche Zustandsgröße ist etwa die Feuchte, die sowohl für geohydraulische als auch geomechanische Prozesse an
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der Bodenoberfläche maßgebend ist. Die zunehmende Verfügbarkeit und Dichte von Sensoren und Sensor-Konstellationen verspricht eine immer bessere Datenverfügbarkeit für das Monitoring. Dazu hat auch die Entwicklung sogenannter selbst-organisierender Sensornetzwerke beigetragen, die es erlauben, eine Reihe von umweltrelevanten Parametern nicht nur zu beobachten, sondern auch in Netzwerken zu kommunizieren und intelligent zu verarbeiten (Abb. 7-2). Im Programm der GEOTECHNOLOGIEN wurden zum Beispiel neue terrestrische selbst-organisierende Monitoringsysteme wie SOSEWIN (Self-organizing Seismic Early Warning Informatin Network) entwickelt. Gleichzeitig haben sich Standards für Datenübertragung, Datendarstellung und Integration herausgebildet, die in Zukunft hinsichtlich der spezifischen Anforderungen von Sensornetzwerken weiter ausgebaut werden sollen. Besonders wichtig für das Monitoring sind satellitengestützte Beobachtungsmethoden und ihre Anwendungen im optischen Fenster und im Radarfenster. Durch die systematische Nutzung der vorhandenen Satellitendaten und der Daten der absehbaren neuen Missionen kann das sich ändernde und von Katastrophen betroffene Inventar der Erde lokal hoch aufgelöst beobachtet und global dokumentiert werden. Von besonderer Bedeutung sind dabei die zunehmende Besiedlung von Städten und die
Abb. 7-2: Das Mess- und Kommunikationssystem SOSEWIN (Self-Organizing Seismic Early Warning Information Network) wurde im Rahmen der GEOTECHNOLOGIEN vom Deutschen GeoForschungsZentrum und dem Department of Computer Science, Humboldt-Universität zu Berlin, entwickelt und kann als Prototyp mobiler und flexibler Technologie für Echtzeitmessungen beliebiger Eingangsdaten gelten. Das Bild zeigt eine Installation auf der FatihBrücke über den Bosporus in Istanbul für die Erdbebenfrühwarnung.
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damit einhergehende Veränderung der Bausubstanz, aber auch die sich wandelnden Infrastruktureinrichtungen in städtischen und ländlichen Regionen sowie Veränderungen der Landnutzung. (iii) Informationssysteme Informationssysteme, die auf Katastrophen vorbereiten und im Ernstfall Hilfsorganisationen schnell und gezielt informieren, sind in den vergangenen zehn Jahren deutlich verbessert worden. Viele Katastropheninformationssysteme können schon heute in Echtzeit hydrometeorologische und geologische Katastrophen, Risikoprojektionen, Schäden und Frühwarninformationen handhaben. Im Bereich der hydrometeorologischen Ereignisse stehen teilweise bereits Verfahren und Methoden zur Verfügung, die die Wirksamkeit reaktiver Maßnahmen kurzfristig nachweisen und so bei Entscheidungen im operationellen Einsatz unterstützen können. Die Entwicklung von internationalen oder europäisch akzeptierten Standards des Informationsaustausches im Bereich der Telekommunikation und im Bereich des Internets (Webservices) hat sich als äußerst hilfreich erwiesen. Große Datenmengen können mit ihrer Hilfe über etablierte Protokolle und Dienste in Echtzeit kommuniziert, schnelle und übersichtliche Informationen mittels Webservices an ein breites Spektrum von Nutzern übermittelt werden. Die prognostische Simulation der gesamten Risikokette bei einem Erdbeben ist bereits weit fortgeschritten. Risikogruppen, Schäden an Gebäuden oder der Bedarf an Vorsorgemaßnahmen können vorhergesagt werden. Die Modellierung von Risiken (i. S. zukünftiger Schäden) ist etabliert und verfügt über ein breites Spektrum computergestützter Werkzeuge. Im Rahmen der GEOTECHNOLOGIEN wurde zum Beispiel ein Schadenssimulationswerkzeug für Echtzeitanwendungen adaptiert, das mittels Webservices im Katastrophenfall schnelle Informationen zu vorhandenen Schäden liefert und darüber Auskunft gibt, welche Rettungs- und Wiederaufbaumaßnahmen Priorität haben. Derartige Systeme sind auch im Rahmen des Programms RIMAX für das Risikomanagement externer Hochwasserereignisse entwickelt worden. In anderen Projekten wurden virtuelle Leitstände für das Management von Naturgefahren entwickelt und die dafür benö-
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tigten Service-Infrastrukturen prototypisch aufgebaut (z. B. Integrierter Umweltleitstand).
Notwendige FuE-Aufgaben (i) Physikalische Modelle Physikalische Modelle fokussieren sich in der Regel auf einzelne Typen von Katastrophen und beinhalten nur unsystematisch sekundäre oder Kaskadeneffekte. Extremereignisse der Zukunft müssen aber auch als kaskadisch wiederkehrende Ereignisse quantitativ verstanden werden. Dadurch entsteht zusätzliches Potenzial für die Prognostik. Betrachtet man die Opferzahlen einiger Naturkatastrophen der vergangenen Jahre, können Hangrutschungen, Bodenverflüssigung oder Tsunamis nicht länger als sogenannte sekundäre Wirkungen bezeichnet werden. So forderte im Dezember 2004 nicht das Erdbeben vor der Küste Sumatras die meisten Opfer, sondern der darauf folgende Tsunami. Ähnlich sind die vielen Opfer des Kaschmir Bebens (Oktober 2005) eigentlich Opfer der anschließenden Hangrutschungen. Starkregen über dem aktiven Vulkan Casita in Nicaragua erzeugten im Oktober 1998 Schlammströme, die mehrere Städte begruben, und das WenchuanBeben in China im Mai 2008 zeigte, dass lang anhaltende Regen zu massiven Problemen mit Hangrutschungen, Instabilitäten von Stauanlagen (z. B. Dämmen) sowie Deichen und anderen Infrastruktureinrichtungen führen können. Aufgabe ist es demnach, komplexe Modelle, Prognosen und Bewertungssysteme (szenarienbasiert und probabilistisch) zu entwickeln, die die tatsächlichen Auswirkungen quantifizieren und wissenschaftliche Grundlagen für Frühwarnung, Planungs- und Vorsorgemaßnahmen bilden. Vulkane repräsentieren beispielhaft Systeme komplexer Interaktionen verschiedener Phänomene. Die Verbindung zwischen tektonischen Erdbeben und vulkanischen Eruptionen ist statistisch belegt, physikalisch jedoch nur im Ansatz verstanden. So werden für die zeitliche Korrelation von Erdbeben und Vulkaneruptionen unterschiedliche Prozesse verantwortlich gemacht, darunter Veränderungen des Spannungsfeldes in der Erdkruste beim Durchlaufen seismischer Wellen und damit assoziierte Kaskaden innerhalb von fluid- und gasreichen Reservoiren im Erdinneren. Neben probabilistischen und stochastischen Modellen sollten Erdbeben
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und ihre unterschiedlichen Effekte auf Vulkane simuliert werden. Das Verständnis derartiger Wechselwirkungen setzt hohe Maßstäbe an die Frühwarnung, Langzeitprognose und an überregionale Auswirkungen. Ohne dieses Verständnis bleiben Vorsorgemaßnahmen Stückwerk. Ein weiteres Beispiel ist die Vorhersage von Extremniederschlagsereignissen und ihre Auswirkungen in Form eines Hochwassers. Schon jetzt werden – wenngleich auch erst in den Anfängen – regionale Klimamodelle und hydrologische Modelle quantitativ verknüpft. Tatsächlich ist diese Methode die Voraussetzung für Adaptionsstrategien. Sie sind die notwendige Grundlage, um die hydrologischen Extreme (Hochwasser, Dürren) der Zukunft (Abb. 7-3), ihre Auftretenswahrscheinlichkeit und die damit verbundenen Unsicherheiten auf der Planungsskala angeben zu können. Bei der Ausbil-
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dung einer Hochwasserwelle sind auch anthropogene Einflussfaktoren – zum Beispiel der Schutz durch Deiche, deren Versagen, aber auch Einflüsse der Deichverteidigung – zu berücksichtigen. Speziell das Versagen von Deichen unterliegt einer ausgeprägten Probabilistik, deren Unsicherheiten sich durch teilweise mangelnde Kenntnisse der maßgebenden Prozesse beziehungsweise Prozessketten verstärken. Risikobasierte Ansätze, die das Verhalten von Stauanlagen beschreiben, sind daher zu verbessern und weiterzuentwickeln. Ein zweiter Zugang zum Verständnis der Auswirkungen des Klimawandels auf hydrometeorologische Extreme ist über Analysen entsprechender historischer Daten möglich. Fortschritte in der Paläohydrologie und -klimatologie erlauben es, jährlich beziehungsweise saisonal aufgelöste Hochwasserzeitreihen in der Größenordnung von Tausenden von Jahren abzuleiten. Werden solche
Abb. 7-3: Überflutungsereignisse wie das Elbehochwasser von 2002 hatten selbst für das Industrieland Deutschland dramatische Folgen. Zukünftig könnten Hochwasserereignisse aber vermehrt die ärmsten Länder unseres Planeten treffen. Technologie- und Know-how-Transfer aus den Industriestaaten in die Schwellen- und Entwicklungsländer wird daher zu einer vordringlichen Aufgabe für Forschung und Entwicklung.
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Zeitreihen mit hydrometeorologischen Charakteristika von Flusseinzugsgebieten korreliert, sind quantitative Aussagen zur natürlichen Bandbreite von hydrometeorologischen Extremen oder zum Zusammenhang zwischen Klimavariabilität und Häufigkeit und Magnitude von Extremen wahrscheinlich möglich. Lokale Starkniederschläge und assoziierte Hochwasser spielen in einer erwärmten Atmosphäre eine wachsende Rolle. Kleine Flusseinzugsgebiete können hydrologisch gut modelliert werden, allerdings fehlen die Prognosewerkzeuge zur Frühwarnung. Im Unterschied zu größeren Systemen mit relativ langen Zeiten muss sich die Warnung in kleinen Einzugsgebieten wesentlich auf meteorologische Parameter und das modellhafte Verständnis des hydrologischen Systems stützen, weniger auf Pegelmessungen. Für ein verbessertes Hochwasser-Risikomanagement in großen Flusseinzugs-
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gebieten sind Simulationen erforderlich, die das dynamische Systemverhalten quantitativ erfassen. Eingriffe und Ereignisse (z. B. Deichbrüche) haben zum Beispiel direkte Auswirkungen auf das Risiko einer Unterströmung. Solche Interaktionen werden heute in großen Flussgebieten nur in Ausnahmen berücksichtigt. Fortschritte in Numerik und Rechenleistung eröffnen die Möglichkeit, prozessbasierte Simulationsmodelle auch in großen Einzugsgebieten einzusetzen. Nur so lässt sich die notwendige Prioritätensetzung der Schutzmaßnahmen für extreme Ereignisse wissenschaftlich absichern. Extreme Niederschlagsereignisse – und hier insbesondere lang anhaltende Niederschläge beziehungsweise Niederschlagsereignisse über eine längere Periode – sind häufig auch Auslöser von Böschungsrutschungen, die unter bestimmten Um-
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Abb. 7-4: Hangrutschungen und sog. Murenabgänge sind bereits heute in Deutschland und Mitteleuropa eine sehr ernstzunehmende Gefahr. Durch den prognostizierten Klimawandel könnte ihre Zahl in den nächsten Jahrzehnten noch erheblich steigen.
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ständen kollapsartig in Form von Murgängen (Abb. 7-4) auftreten. Zur Beurteilung des Risikos derartiger Ereignisse ist eine genaue Kenntnis der lokalen Bedingungen (z. B. georeferenziert in einem GIS), aber auch der maßgebenden geohydraulischen und geomechanischen Prozesse erforderlich. Verschärft werden die Bedingungen, wenn Permafrostböden im Hochgebirge betroffen sind. Erst durch entsprechende Beobachtungen am Boden und via Satellit wird dann eine Risikoabschätzung überhaupt möglich sein. Extreme klimatische Bedingungen wie Flutungen aber auch Trockenheit führen zu zyklischen Prozessen des Schrumpfens und des Quellens und ändern das Stoffverhalten von Geomaterialien. Dabei fungieren diese zyklischen Effekte als selbstheilende und verfestigende oder versagensauslösende Mechanismen. Solche Effekte der zyklischen Degradation oder Teilverfestigung sind bislang allerdings nicht ausreichend modelliert. Ein weiterer kritischer Punkt ist die modellhafte Einbeziehung des anthropologischen Faktors in die physikbasierten Modelle: Die Reaktion und Interaktion von menschlichem Verhalten im Fall von Katastrophen muss besser quantifiziert und modellhaft verglichen werden. Fortschritte bei der Assimilation von Daten, insbesondere auch der sogenannten 'unscharfen' Daten durch probabilistische Ansätze, sind notwendig, um die besten Modelle und Prognoseinstrumente zu entwickeln. (ii) Monitoring- und Informationssysteme Eine Risikolandschaft, die sich durch den Klimawandel und anthropogene Einflüsse (Urbanisierung) ständig ändert, erfordert eine laufende Beobachtung durch boden- und satellitengestützte Methoden. Dabei sollten die neuen Typen von selbst-organisierten Netzwerken für neue Applikationen genutzt werden. Außerdem sollten Methoden entwickelt werden, mit denen die notwendigen Informationen aus der Fülle von Daten gezogen werden können. Auch sollten die verschiedenen Beobachtungsskalen (lokale Beobachtungen bis großräumige Satellitenbilder) quantitativ verknüpft werden, um bestmögliche Informationen zu extrahieren. Dabei sind insbesondere die bodengestützten Beobachtungswerkzeuge zu verbessern und in satellitengestützte Systeme zu integrieren. Punktuell hochauflösende Messsysteme sind mit
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tomographischen Systemen zu kombinieren, um die am Boden beteiligten Phasen (Feststoff, Wasser, Luft und Eis) zu identifizieren, abgeleitete Parameter zu verbessern (z. B. durch joint-inversion) und auf die nächstgrößere Skala zu übertragen. In Verbindung mit Satelliteninformationen können die punktuell gewonnenen Erkenntnisse auf große Einzugsgebiete übertragen werden. Das wurde beispielsweise für die Oberflächenfeuchte bereits umgesetzt. Es wird eine große wissenschaftliche Herausforderung sein, Multiparameter-Datensätze mit bodengestützter Sensorik skalenübergreifend zu erfassen und mit intelligenten Sensornetzwerken zu kombinieren. Erst kürzlich gestartete sowie für die nahe Zukunft geplante Satellitenmissionen werden neue optische Daten und Radardaten in völlig neuer Qualität liefern. Die gewonnenen Daten werden räumlich und zeitlich in allen Teilen der Welt erheblich besser verfügbar sein als bisherige Daten. Dabei sind besonders das RapidEye System, die im Rahmen von GMES geplanten Satellitenmissionen, die hyperspektrale EnMAP Mission sowie die TerraSAR-Xund TanDEM-X-Missionen hervorzuheben. Im optischen Bereich wird es damit Daten in neuen räumlichen, zeitlichen und spektralen Auflösungsklassen geben. Der Radarbereich wird neben der verbesserten räumlichen und zeitlichen Auflösung über neue Aufnahmemodi und mehrere Polarisationen verfügen. Daraus ergeben sich weltweit völlig neue Möglichkeiten für ein detailliertes Monitoring von potenziell gefährlichen natürlichen Prozessen sowie für eine differenzierte Charakterisierung der auslösenden Faktoren. Gerade letztere Faktoren bilden die Grundlage für geeignete Frühwarnsysteme. Als Teil von Risikoanalysen könnte mit diesen Daten zudem die Vulnerabilität einer Region oder Gruppe besser eingeschätzt werden. Um dieses Potenzial voll nutzen zu können, müssen automatisierte Verfahren zur multitemporalen thematischen Informationsextraktion für verschiedene Raum- und Zeitmaßstäbe neu- oder weiterentwickelt werden. Bis jetzt konnte die Verfahrensentwicklung mit dem Fortschritt auf der Sensorseite nicht Schritt halten. Schwierigkeiten macht dabei vor allem der immense Informationsgehalt der originalen und abgeleiteten Daten. Trotz bereits existierender und vielversprechender Ansätze in der automatischen Analyse von optischen Daten
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und Radardaten (z. B. differentielle Radarinterferometrie, abbildende Spektrometrie, Objekt- und Mustererkennung, wissensbasierte Systeme) besteht auf dem Gebiet der Theorie- und Methodenentwicklung noch ein großer Forschungsbedarf. Es ist deshalb erforderlich, interdisziplinäre Forschungsansätze zu etablieren, die problembezogene Auswertestrategien unter Einbeziehung von anderweitig erhobenen Informationen entwickeln. Damit besteht eine enge Beziehung zu Forschungsarbeiten im Bereich der Informationssysteme. Bei wissenschaftlich-technischen Entwicklungen auf diesem Gebiet kommt es insbesondere darauf an, die modernen Kommunikationssysteme optimal zu nutzen und auf der Basis der entwickelten Standards neue Methoden der Informationsdarstellung zu entwickeln. (iii) Risikoprognosen und Risikoanalysen Risikosimulationen, Modellierungen und EchtzeitAbschätzungen von Schäden müssen auch komplexe Systeme (z. B. die Infrastruktur von Städten) quantitativ erfassen. Sie müssen Schäden und ihre Auswirkungen simulieren, Vulnerabilitäten nicht nur als physische, sondern auch als soziale Verletzlichkeiten verstehen und gleichzeitig sozioökonomische Prognosen liefern. Gleichzeitig sind sie die Grundlage, um Milderungsmaßnahmen zu bewerten und zu planen. Die Quantifizierung von Hochwasserschäden in urbanen Regionen erfordert zum Beispiel neue Herangehensweisen, die neben den hydrologisch-hydraulischen Parametern (Abflussmengen, Wasserstände, Fließgeschwindigkeit) auch die dynamische Interaktion mit der Topografie berücksichtigen. Dabei müssen auch Gebäudestrukturen erfasst und im Simulationsmodell abgebildet werden. Außerdem ist es notwendig, infrastrukturelle Einrichtungen und ihre Einflüsse (Brückenbauwerke oder Durchlässe mit evtl. Verklausung oder Verlegung durch transportiertes Material) sowie weitere Schadensbilder (durch Trümmer) zu berücksichtigen. Auch der Abfluss über die Landoberfläche und der Abfluss in unterirdischen Infrastruktureinrichtungen sind voneinander abhängig. Je nach Örtlichkeit können diese Wechselwirkungen zu einer Dämpfung einer Hochwasserwelle durch Retention oder zu einer Risikoerhöhung durch Flutung landseitiger Gebiete ohne Oberflächenanbindung an das Gewässer führen.
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Risikomodellierungen erfassen in der Regel Schäden der Infrastruktur nicht mit quantitativen Methoden. Ebenso wenig werden indirekte oder sozioökonomische Schäden und Einflüsse auf die Umwelt berücksichtigt. Die Analyse und Quantifizierung der Wirkung von Katastrophen auf vernetzte Systeme ist eine wesentliche Aufgabe der modernen Risikoforschung. Solche Systeme sind zum Beispiel der Verkehr und der Transport, ebenso die Wasser- und Energieversorgung, die Kommunikation oder auch die vernetzte Produktion von Gütern (Supply Chains); Systeme also, von denen die Gesellschaft zunehmend abhängig ist. Für die geologischen Naturgefahren, insbesondere Erdbeben, gilt es daher, systemische Ansätze und Softwarewerkzeuge zu entwickeln, die diese Defizite beheben. Dabei kann auf Methoden und Werkzeuge wie HAZUS und ELER zugegriffen werden, die auf dem Weg zu internationalen Standards sind; ELER ist als open source tool verfügbar. FuE-Anforderungen an bestehende Systeme sind: (a) methodische Verbesserungen der Schadensbewertung; (b) probabilistische Betrachtungen und Quantifizierung der Unsicherheiten sowie die Beschreibung der Unsicherheiten aufgrund vorliegender Datenbegrenztheit; (c) Einbeziehung von Indikatormethoden in die Schadensprognosen, insbesondere bei der Bewertung der sozialen Vulnerabilität, des Einflusses auf Industrie und Infrastruktur- beziehungsweise auf Versorgungssysteme; (d) Integration von Fernerkundungsdaten zur Erfassung des gefährdeten Inventars, dessen Vulnerabilität und die Änderung dieser Parameter mit der Zeit. Dabei kommt es auf die »intelligente« Verbindung von boden- und satellitengestützten Informationen an.
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Den Geowissenschaften stehen eine Vielzahl von Geodaten zur Verfügung – allerdings können diese nicht vollumfänglich genutzt werden, weil die Daten entweder nicht zugänglich oder nicht formal beschrieben sind, was für ihre Erschließung erforderlich wäre. Somit ähneln sie einer Bibliothek, in der die Bücher zwar vorhanden, aber nicht verschlagwortet sind. Eine Nutzung der vorhandenen und der zukünftig erfassten Daten erfordert daher: – die Erschließung der Datenbestände über Geoontologien, d. h. abstrakte Konzepte, die die Inhalte der Daten beschreiben; hierzu sind zum einen solche Ontologien zu entwerfen bzw. zu vervollständigen, zum anderen sind die Geodatenbestände durch automatische Interpretationsverfahren mit den Konzepten zu annotieren. – die automatische Integration von Geodatenbeständen durch Entwicklung von Methoden der semantischen und geometrischen Datenintegration; hierbei sind insbesondere Verfahren des »ontology alignment« sowie die Vorgabe von objektbezogenen Randbedingungen erforderlich, unter denen eine Integration möglich ist bzw. die die Integration steuern. – die integrierte Nutzung einer völlig neuen Art der Sensorik, den sogenannten Geosensornetzen, die eine Vermischung von Messung und Auswertung und damit gleichzeitig die Kopplung an Modelle der zugrundeliegenden beobachteten Phänomene ermöglichen. Insbesondere gilt es hier, Methoden zur dezentralen Geoprozessierung zu entwickeln. – die Weiterentwicklung von Geodateninfrastrukturen hin zu Geodienste-Infrastrukturen, die eine verteilte Prozessierung der verfügbaren Geodaten ermöglichen.
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Diese Forschungsarbeiten und Technologien sind für viele geowissenschaftliche Fragestellungen von elementarer Bedeutung. Die Beobachtung des Systems Erde und die auf ihr befindlichen Prozesse können mit immer besseren Messsystemen erfolgen, was dazu führt, dass die Modelle zunehmend verfeinert werden können. Dies erfordert allerdings einen Zugriff auf alle verfügbaren Daten. Somit können beispielsweise Georisiken besser eingeschätzt oder die Sicherheit von Bauwerken erhöht werden.
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Einführung Die rasanten technologischen Entwicklungen in der Sensorik und der Informatik haben dazu geführt, dass in riesigen Geodatenbeständen verschiedenste Facetten der Erde erfasst worden sind bzw. zunehmend erfasst werden. So werden die Topographie, Bohrkerne, Temperatur, Bodenfeuchte, Schwere, mikroseismische Signale, GPSPositionen beispielsweise als Messdaten erfasst. Mit Hilfe dieser Daten werden umfangreiche Analysen über die Erde möglich und führen zu einem zunehmenden Verständnis, auch über ihre inneren Wirkungszusammenhänge. Voraussetzung ist aber, dass alle diese Daten systematisch geordnet und in Datenbanken zur Verfügung gestellt werden. Während heutige Suchmaschinen primär auf der Schlüsselwort-Suche basieren, werden zukünftige, semantische Suchmaschinen auch die Bedeutung verarbeiten und sie im richtigen Zusammenhang nutzen können. Dies erfordert allerdings, dass die Begriffe bekannt sind und einer vorgegebenen Begriffswelt entstammen. Doch nicht nur die Objekte selbst und ihre Eigenschaften müssen bekannt sein, sondern auch, wie diese Daten mit welchen anderen Daten kombiniert werden können – oder sich gegenseitig ausschließen. Sind Bedingungen und Eigenschaften bekannt, so können Daten automatisch mit weiteren Informationen verknüpft und so neues Wissen generiert werden. Je detaillierter solche Bedingungen bekannt sind, desto präzisere Anfragen lassen sich stellen und damit Aufgaben der Analyse automatisieren bzw. mögliche Antworten für den Menschen vorselektieren. Die Automation spielt gerade vor dem Hintergrund der riesigen Datenbestände eine entscheidende Rolle, da hier die manuelle Analyse versagt. Daten liegen jedoch oft in Rohform vor, die zunächst einer Interpretation bedarf, um nutzbar bzw. automatisch auswertbar zu sein. Heutige Suchmaschinen sind deshalb so erfolgreich, weil sie für die menschliche Auswertung ausgelegt sind und dem Menschen eine Vorselektion der von ihm gewünschten Anfrage liefern. Die Sinnhaftigkeit der Webseite zu beurteilen bzw. die entsprechenden Schlüsse zu ziehen, ist eine Aufgabe, die dem Menschen verbleibt. Um auch noch einen Schritt weiter zu gehen und nicht nur Textseiten zu liefern,
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in denen wahrscheinlich das Schlüsselwort am besten passt, ist auch eine Interpretation von Texten erforderlich. Interpretationstechniken sind auch erforderlich, um Datenbestände zu erschließen, die nicht in Textform gegeben sind (z. B. Bilder, Laserdaten, Bohrkerne, GPS-Zeitreihen). Daher sind automatische Verfahren zur Dateninterpretation nötig. Eine manuelle Annotation der Daten versagt sich auch hier aufgrund der großen Datenbestände. Diese Verfahren ermöglichen dann, aus Rohdaten Wissen abzuleiten. Hierzu müssen Methoden der Mustererkennung, Klassifikation, räumlichen Datenbankauswertung sowie Textverstehen eingesetzt bzw. entsprechend angepasst werden. Wichtig ist, dass die Methoden Aussagen über die Qualität der Interpretation liefern können. Nur Daten, die eine gewisse Semantik haben, sind später in den umfangreichen Geodatenbeständen auch wieder auffindbar und nutzbar. Ziel ist es also, ein sogenanntes »Semantic Web« bzw. »Web of (Geo)Data« anzulegen. Neben dem speziellen Messinstrument treten zunehmend Massensensoren in den Vordergrund, die für sich gesehen zwar nur ein geringes Messspektrum aufweisen, allerdings im Verbund in einem Geosensornetz (Abb. 8-1) eine Vielzahl von Daten erfassen und verarbeiten. Somit lassen sich vielfältige Phänomene in nie dagewesener Genauigkeit beobachten. Geosensornetze setzen sich im Prinzip aus einer großen Zahl hochgradig miniaturisierter Funksensoren zusammen und können großflächig in die Umgebung ausgebracht werden. Jeder Sensor beobachtet seine unmittelbare Umgebung und hat die Möglichkeit, mit seinen Nachbarn zu kommunizieren. Es ist diese Vernetzung und Kommunikationsmöglichkeit, die letztendlich dazu führt, dass das Sensornetz als Ganzes eine globale Wahrnehmung ausbildet. Vorteile dieser Technologie liegen in ihrer extremen Skalierbarkeit und in ihrer Robustheit, da ein ausfallender Sensor durch seine Nachbarn ersetzt werden kann. Die Sensoren messen dabei nicht nur, sondern interpretieren die Daten auch. Das große Potenzial von Geosensornetzen liegt in ihrer hohen räumlichen und zeitlichen Auflösung sowie ihrer potenziellen Echtzeitfähigkeit. Daher werden solche Netze heute auch schon in einfacher Form für Überwachungsaufgaben eingesetzt.
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Abb. 8-1: Sensornetzwerke für Monitoring- und Warnsysteme bei Georisiken, für das räumliche Umweltmonitoring in Echtzeitüberwachung.
Ihr Potenzial ist aber bedeutend größer, insbesondere wenn es um die Nutzung von massenhaft verfügbaren Sensoren geht: Beispiele sind Handys von Autofahrern, die für die Stauerkennung benutzt werden, Navigationssysteme, die eine Aktualisierung ihrer Straßendaten durch die Nutzer selber durchführen lassen, GNSS-Daten, die – über ihren eigentlichen Zweck hinaus – für die Bestimmung des Wasserdampfgehalts in der Atmosphäre genutzt werden. Dies bedeutet, dass Daten bzw. Sensoren, die verfügbar sind, für vollkommen unterschiedliche Zwecke genutzt werden können. Schlüssel zu dieser neuen Technologie sind Vernetzung und Kommunikation. Hierbei müssen allerdings die Qualität und Zuverlässigkeit der Daten gewährleistet und ein Datenmissbrauch ausgeschlossen sein. Vorteile der GIS-Technologie, die sich für jeden Anwender ergeben, sind die höhere räumliche, zeitliche aber auch thematische Auflösung der Daten, die sich durch ihre Vielfalt und ihre Integrationsmöglichkeit ergeben. Für die Wirtschaft bieten diese Daten ebenfalls ein sehr großes Potenzial, um darauf vielfältige Dienste für unterschiedliche Anwendungszwecke zu entwickeln.
Förderstatus Das BMBF förderte im Rahmen des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN zwischen 2003 und 2005 zum Thema Informationssysteme im Erdmanagement sechs Verbundprojekte mit einem Gesamtvolumen von knapp vier Millionen Euro. Ziel der Vorhaben war zum Beispiel die Konzeption und Entwicklung intelligenter Geodienste für den
Einsatz interoperabler Informationsarchitekturen. In der Frühwarnung gegen Naturgefahren spielen diese Technologien eine entscheidende Rolle, da sie die verschiedenen Teilsysteme der Warnkette sinnvoll miteinander verknüpfen. Tatsächlich konnten im Rahmen der Fördermaßnahme bereits grundlegende Erkenntnisse und erste Praxisanwendungen zu diesem Thema erarbeitet werden. Bei der Entwicklung von Frühwarnsystemen (s. Kap. 7) wird daher besonderer Wert darauf gelegt, die Informationstechnologien gezielt weiterzuentwickeln und zu implementieren. Die enge Verknüpfung der Themen Frühwarnsysteme und Informationssysteme kann dazu beitragen, dass das übergeordnete Ziel des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN, die Entwicklung von Instrumenten für ein globales Erdmanagement, langfristig umgesetzt wird.
Stand von Forschung, Entwicklung und Anwendung Im Bereich der Geo-Informationstechnologien wurde in jüngerer Zeit durch die Entwicklung von Standards zur Geodatenbeschreibung sowie zum Geodatenaustausch ein beträchtlicher Fortschritt erreicht; es handelt sich hierbei sowohl um de-jure (ISO, CEN, DIN) als auch de-facto (OGC) Standards. Dies führte zu einer Vielzahl an Geodatenportalen, wo Geodatenbestände über Katalogdienste beschrieben und über Standardschnittstellen abrufbar sind. Auf diese Weise können Daten unterschiedlicher Organisationen recherchiert und integriert weiterverarbeitet werden. Die Daten sind oft in Geodatenbanken gespeichert, die eine erhöhte Datensicherheit sowie einen effizienten Zugriff auch
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durch eine Vielzahl an Benutzern gleichzeitig ermöglichen. Während somit standardisierte Beschreibungen und einheitlicher Zugriff geregelt sind, wenden sich neuere Aktivitäten der Verarbeitung der typischerweise großen Datenmengen zu. Hierzu werden Methoden der Parallelisierung und neuerdings auch des Grid-Computings eingesetzt (D-Grid). Die standardisierte Verarbeitung von Geodaten soll über sogenannte Web-Processing Services (WPS) erfolgen. Anwendungen, die auf Basis der Geodateninfrastrukturen der ersten Generation (GDI1.0) realisiert werden können, sind allerdings primär statisch. So ist etwa die ad-hoc-Einbindung neuer Quellen oder Funktionalitäten kaum realisierbar. Weiterhin erfolgt die Kommunikation üblicherweise nur unidirektional: Die aktuell definierten Dienste erlauben meist nur einen lesenden Zugriff auf die angebotenen Geoinformationen. Künftige Forschungsarbeiten müssen die Publikation selbstgenerierter Geoinformationen und die Kommunikation über diese deutlich erleichtern. Erfordernisse liegen im Moment in folgenden Bereichen:
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– Unterstützung von automatisierten Übersetzungen einer Anfrage in entsprechend notwendige Prozessketten von Geodiensten (Workflows). – Automatisierte Recherche nach geeigneten Geoinformations-Dienste für solche Prozessketten sowie Unterstützung beim Vergleich konkurrierender Dienste. – Möglichkeit zur Bewertung der erhaltenen Antwort. – Benachrichtigung bei Vorlage neuer Informationen (etwa Messergebnisse, Bewertungen) für die formulierte Anfrage. – Formale Beschreibung der Beschränkungen und Zwangsbedingungen, die bei der Workflowund Datenintegration gelten. Während für die syntaktische Beschreibung der Geodaten leistungsfähige Dienste bereits implementiert sind, muss die semantische Beschreibung, d. h. die Beschreibung der Dateninhalte, noch erfolgen. Im Bereich der Forschung zu Ontologien werden hierfür formale Beschreibungssprachen entwickelt, in denen die Konzepte über einen Ausschnitt der Welt beschrieben werden können (z. B.
Abb. 8-2: Automatische Zuordnung von Geoontologien: Ausnutzung der Identität von Objektinstanzen, um daraus Korrespondenzen auf semantischer Ebene zu bestimmen.
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RDF, OWL), sowie Inferenzmechanismen, die erlauben, automatisch Schlüsse aus derart formal beschriebenen Konzepten zu ziehen. Für überschaubare Anwendungsbereiche sind diese Ontologien bereits erstellt, wobei idealerweise diese Konzeptbildung durch größere Nutzergruppen stattfindet, um sicherzustellen, dass eine gemeinsame Begriffswelt abgebildet wird. Die Zuordnung von erhobenen Daten zu bestimmten Ontologien ist eine weitere wichtige Forschungsfrage (Abb. 8-2). Diese Annotation wird vielfach von Hand durchgeführt, was sehr aufwändig und nicht skalierbar ist. Es handelt sich um ein Dateninterpretationsproblem. Hier existieren speziell in der Textverarbeitung aber auch in der Bildanalyse bereits gute Ansätze. Diese sind allerdings weiterzuentwickeln und speziell auf die Anforderungen und Eigenschaften der raumbezogenen Daten anzupassen. Wichtig sind insbesondere probabilistische Ansätze sowie Verfahren, die unterschiedliche Auflösungsebenen der Informationen berücksichtigen. Der Bedarf in diesem Bereich liegt in folgenden Aspekten: – Integration verschiedener Ontologien – Beschreibung vager Konzepte und Inferenzen auf diesen Konzepten; Integration von Unsicherheit – Automatische Annotation von Daten mit Kon-
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zepten der Ontologie durch Dateninterpretationsverfahren. Geosensornetze werden in einigen Bereichen der Geowissenschaften bereits erfolgreich eingesetzt. So beispielsweise zur Überwachung von Erdbeben oder Hangrutschungen (Abb. 8-3) oder als prominentestes Beispiel das Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean. Die derzeitigen Netze zeichnen sich allerdings dadurch aus, dass sie in der Regel eine fest vorgegebene Netztopologie aufweisen und die Datenprozessierung in einer zentralen Instanz passiert. Dies führt jedoch zu dem Problem der Skalierbarkeit und damit verbunden der Echtzeitverarbeitung. Außerdem ist die Stromversorgung der einzelnen Sensoren ein Problem, welches verringert werden kann, wenn nur abstrahierte Informationen weitergeleitet werden.
8 Auch im Bereich der Geosensornetze gibt es Standardisierungsbestrebungen. Die Standards sollen es ermöglichen, Teile von Entwicklungen wiederverwendbar zu machen und so unnötigen Aufwand einzusparen. Zudem sollen die Standards als Leitfaden für zukünftige, einheitliche Projekte dienen. Als derzeitige Bedürfnisse lassen sich nennen: – Skalierbarkeit der Geosensornetze – Ad-hoc-Integration von Sensoren – Dezentrale und multiskalige Datenverarbeitung – Kopplung mit Simulationsmodellen.
Abb. 8-3: Projekt SLEWS (Sensorbased Landslide Early Warning System): Monitoring von Hangrutschungen mittels eines Geosensornetzes.
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Notwendige FuE-Aufgaben Um die oben beschriebenen Visionen zu erfüllen, sind Forschungsanstrengungen in den folgenden Bereichen entscheidend. 1) Das Potenzial von Geosensornetzen muss ausgeschöpft werden, indem die Verbindung von Messung und Auswertung bzw. Modellierung vorangetrieben wird. 2) Geodatenbestände müssen erschlossen werden, indem sie von reinen Daten in Informationen, in ein sogenanntes Semantic Web überführt werden. Hierzu müssen Methoden entwickelt werden, die ihre automatische semantische Annotation ermöglichen. Dies muss auf Basis zu entwickelnder oder zu erweiternder Geoontologien geschehen, die für bestimmte Aufgabenstellungen erstellt werden. 3) Es müssen Methoden entwickelt werden, die die Integration von Daten unterschiedlicher Quellen ermöglichen. Auf der Basis der Annotationen und Ontologien sind ausführliche Information über die Objekte selbst, aber auch über mögliche Abgrenzungen zu anderen Objekten möglich, was für die Integration und Fusion genutzt werden kann. Verteilte Geoverarbeitungsdienste müssen formalisiert und in Geodateninfrastrukturen integriert werden. (i) Geosensornetze Die Vernetzung von verschiedenen Sensoren und Messinstrumenten mit dem Ziel der Überwachung und Beobachtung von Umweltinformation ist grundlegende Aufgabe der Geodäsie. Geosensornetze bieten darüber hinaus jedoch die ad-hocVernetzung sowie die verteilte Datenerhebung und -analyse. Diese methodischen Untersuchungen betreffen insbesondere die Adaption von Algorithmen bzw. die Entwicklung neuer Algorithmen, die dezentral arbeiten und damit in der Lage sind, bereits in einer lokalen Umgebung Erkenntnisse zu gewinnen, ohne dass alle Daten an einen zentralen Server kommuniziert und dort verarbeitet werden müssen. Dies betrifft insbesondere hierarchische und multiskalige Ansätze. Ein Geosensornetz ermöglicht weiterhin eine zunehmende Vermischung von Messung und Auswertung bzw. eine direkte Kopplung mit Modellen.
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Auf diese Weise können Modellparameter während der Messung bestimmt bzw. auch adaptiert und somit eine direkte Bestätigung der Modelle erzielt werden, beispielsweise für die Kopplung von physikalischen Modellen von Naturkatastrophen mit Sensornetzen. Allerdings müssen Fragen der numerischen Modellierung, im engen Verbund von Geowissenschaftlern, numerischen Mathematikern und Geoinformatikern vorangetrieben werden. Eine weitere Forschungsfrage besteht in der qualitätsbezogenen Verarbeitung der Geodaten, was insbesondere vor dem Hintergrund der Nutzung verteilt vorliegender – möglicherweise unsicherer – Informationen von elementarer Bedeutung ist. Ein Geosensornetz der Zukunft wird alle möglichen Sensoren und Sensordaten integrieren können, d. h. insbesondere aus Daten unterschiedlicher räumlicher, zeitlicher und thematischer Auflösung. So können beispielsweise punktuelle hochgenaue Messdaten mit übergreifenden Informationen aus Satellitenmissionen verknüpft werden. (ii) Semantic Geo-Web – Web of Geodata Zur Erschließung von Geodatenbeständen müssen diese geeignet annotiert werden, sodass über diese expliziten Beschreibungen eine Suche und ein Zugriff ermöglicht wird. Dies bedeutet zum einen, dass für bestimmte Aufgabenstellungen entsprechende Geoontologien zu entwickeln sind. Diese ermöglichen eine effektive Nutzung vorhandener Informationsressourcen, wie sie beispielsweise für Monitoring- und Frühwarnsysteme erforderlich ist. Diese semantische Annotation ist typischerweise sehr aufwändig, da prinzipiell jedes Datenelement einem entsprechenden Konzept der Ontologie zugeordnet werden muss. Um diesen manuellen Aufwand zu umgehen und eine flächendeckende Annotation überhaupt erst zu ermöglichen, ist eine Automatisierung nötig. Im Kern handelt es sich bei der Annotation um ein Interpretationsproblem, bei dem Daten im Lichte einer bestimmten Ontologie betrachtet werden. Daher sind Methoden zur automatischen Dateninterpretation bereitzustellen. Dies sind insbesondere Methoden des räumlichen »Data Minings«, speziell Verfahren zur Klassifikation und des maschinellen Lernens. Diese Metadaten sind nicht nur für Menschen verständlich, son-
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dern darüber hinaus auch für Maschinen verarbeitbar! Dies eröffnet die Möglichkeiten der Automation. Sinnvoll ist es, die Daten direkt entsprechend ihrer Ontologie zu erheben. Notwendig ist die Zuweisung von Qualitätsangaben, die die Sicherheit einer Interpretation bzw. Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konzeptklasse angeben. Zur Interpretation eignen sich daher insbesondere probabilistische Verfahren; in der automatischen Bildanalyse stellen sogenannte graphische Modelle hierzu vielversprechende Ansätze dar. Die Interpretation bezieht sich dabei auf alle Arten der vorliegenden Geodaten, d. h. Bilddaten, Vektordaten, Geländemodelle, Einzelsensordaten (wie GPS-Messungen) sowie auch Texte. Solche Interpretationsmethoden sind erforderlich, um schnell relevante Informationen in großen Geodatenbeständen zu finden (Spatial Data Mining). Vielversprechend scheinen Lösungen zu sein, die das Wissen vieler ausnutzen können, wie beispielsweise Wikipedia – was auch als »Folksonomies« bezeichnet wird. Damit ergibt sich eine Verknüpfung von formalen Ontologien, die durch Experten erstellt werden, mit Ontologien, wie sie durch die Nutzer entstanden sind. Schließlich sind Forschungen im Bereich der Visualisierung und speziell der visuellen Inspektion und Exploration erforderlich. Unter dem Begriff Visual Analytics werden Methoden untersucht, die eine operateursgestützte Inspektion großer Datenbestände ermöglichen und Unterstützung bieten, diese nach bestimmten statistischen Größen zu filtern und zu klassifizieren, um mögliche Häufungen bzw. besondere Konstellationen zu erkennen. Dies ist insbesondere bei hochdimensionalen Datensätzen eine Herausforderung, die auch die Frage der visuellen Kommunikation umfasst. (iii) Datenintegration und Datenassimilation Die o. g. Standards ermöglichen bereits, Datenbestände unterschiedlicher Herkunft und Qualität zusammenzuführen und in einer Gesamtschau durch Überlagerung zu betrachten. Allerdings bedeutet eine reine Überlagerung von Geodaten noch nicht, dass diese Daten auch integriert verarbeitet wer-
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den können. Hierfür ist eine semantische und geometrische Datenintegration erforderlich. Für Erstere ist das sogenannte »Ontology Alignment« (semantische Datenmodelltransformation) nötig. Ist diese Information bekannt, so können Daten semantisch zusammengeführt werden. Dies kann allerdings noch zu geometrischen Inkonsistenzen führen, etwa weil Daten mit unterschiedlicher Genauigkeit erhoben sind oder mit unterschiedlicher thematischer Granularität. Daher sind Zuordnungsverfahren zu entwickeln, die auch eine geometrische Übereinstimmung der Daten identifizieren können. Beim Zusammenführen der Datenbestände muss beispielsweise berücksichtigt werden, dass bestimmte Objekte eine gemeinsame Grenze teilen und/oder bestimmte Objekte sich nicht schneiden dürfen. Forschungen sind erforderlich zur Integration geometrisch-topologischer Aspekte und zur automatischen Identifikation von »Constraints« bei der Integration beliebiger Datensätze. Solche Methoden der Datenintegration sollten in Form von Web-Processing Services (WPS) zur Verfügung stehen und somit von der Allgemeinheit für die adäquate Verarbeitung und Analyse der Geodaten genutzt werden. (iv) Verteilte Geoprozessierung in Geodienste-Infrastrukturen Zukünftige Geodienste-Infrastrukturen sollen analog zu den aktuellen Diskussionen um entsprechende Web 2.0-Entwicklungen aufgesetzt werden. Neben der Einbindung von »volunteered geographic information« gilt es insbesondere, die verteilte Geoprozessierung von Geodaten zur Ableitung ad-hoc benötigter Geoinformation und zur Entscheidungsunterstützung zu verbessern. Folgende Forschungsfragen sind hier zu klären: – Wie sind Beschreibungen der Geoprozessierungen geeignet, zu formalisieren (etwa auf Basis von Tomlins Map-Algebra, Egenhofer Operatoren etc.) und wie feingranular dürfen bzw. müssen einzelne Geoprozessierungsschritte in einer GDI sein? – Sind aktuelle GDI-Architekturen geeignet, die Orchestrierung von verteilten Diensten zu unterstützen? Wie lassen sich Ein- und Ausgabedatenströme möglichst effizient und perfor-
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mant nutzen, ohne dass es zu unnötigen und zu zahlreichen Transfers großer Geodatenmengen kommt? – Wie können Qualitätsbeschreibungen in diesen Diensteketten propagiert werden? – Wie lassen sich solche Geoprozessierungen mit verteilten Geosensoren und -simulationen verbinden? Wie kann der notwendige Umgang mit 3-D- und 4-D-Geodaten sowie mit Echtzeitanwendungen durch Web-basierte GDI effizient unterstützt werden? Insgesamt gilt es, für die aktuellen Entwicklungen eines sehr generischen »Web Processing Services« einen theoretischen bzw. abstrakt spezifizierten Überbau zu schaffen, um verteilte Geoprozessierung und Prozessketten entsprechend formalisiert beschreiben zu können. Eine solche abstrakte Spezifikation kann dann problemlos auf unterschiedliche technologische Plattformen abgebildet werden. Die weitere Entwicklung unnötiger Speziallösungen für die Geowissenschaften wird damit vermeidbar.
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9. Global Monitoring – Erkundung der Erde aus dem Weltraum
Die Erdoberfläche ist die Grenzschicht zwischen der Atmosphäre und den Land-, Eissowie Ozeanflächen. Sie spiegelt durch ihr Relief und dessen stetige Veränderung, die seit Milliarden von Jahren und bis heute andauernde Dynamik des Erdinnern wider. Gleichzeitig sind die morphologisch und klimatisch begünstigten Bereiche der Land-, Eis- und Meeresoberflächen den klimatischen Einflüssen des äußeren Erdsys tems und den vielfältigen Einwirkungen des Menschen unterworfen. Satelliten erfassen die Erde global, mit relativ hohen Wiederholungsraten, gleichmäßig und echtzeitnah. Sie sind daher hervorragend geeignet, die Veränderungen unseres Lebensraums und der physikalischen Erdoberfläche zu erkennen und zu quantifizieren. In den zurückliegenden Jahren konnte mit Unterstützung des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN die Satellitengravimetrie und -magnetometrie erfolgreich als Mittel der Erdsystemforschung etabliert werden. Darauf aufbauend wird nun mit den Themen »Kinematik und Dynamik der Erdoberfläche« und »Charakteristika, Nutzung und Entwicklung der Landflächen« die Erforschung der Grenzschicht der Erde vorgeschlagen. Mehrere Satellitenmissionen mit großer deutscher finanzieller Beteiligung stehen in den vor uns liegenden Jahren für die Erforschung dieser beiden Themen zur Verfügung. Und es ergeben sich wichtige Querverbindungen zu den Themen »Georisiken/ Geodynamik« (Kap. 7), »Georessourcen/Nutzung des Untergrunds« (Kap. 5), »Klimaänderungen« (Kap. 1), »Der Boden – die Haut der Erde« (Kap. 4) und »Informationstechnologien« (Kap. 8) des vorliegenden Programms.
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Aus der missionsübergreifenden Verarbeitung der verfügbaren Satellitensensorsysteme lassen sich einerseits die notwendigen langen, konsistenten und genauen Parameterzeitreihen ableiten, andererseits die Trennung von überlagerten Einzelbeiträgen in den Messdaten vornehmen sowie die Abtastung in Raum und Zeit erhöhen und eine gegenseitige Kontrolle zwischen den Messsystemen erreichen. Die Verknüpfung von Raumsegment, Bodensegment, Informationsextraktion und Modellierung ermöglicht einen systematischen, wissenschaftlich qualitätskontrollierten Wissensgewinn. Zusätzlich sollte eine gründliche Analyse der sich abzeichnenden Zukunftstechnologie und der Möglichkeiten, die sich aus ihr für die Erforschung des Erdsystems ergeben, durchgeführt werden. Dies betrifft die zukünftige Verfügbarkeit mehrerer moderner Satellitennavigationssysteme, von Uhren der nächsten Generation, von Konstellations- und Formationsflügen mehrerer Satelliten, von Mikro- und Minisatelliten, neuer hochauflösender Aufnahmetechniken und gegebenenfalls die Erschließung neuer Wellenlängenbereiche. Ziel des Themas »Beobachtung der Erde aus dem Weltraum« ist die Erforschung des Systems Erde-Mensch, also unseres Lebensraums, sowie der physischen Erdoberfläche und deren Veränderungsprozesse mit moderner Weltraumtechnologie. Die Erkenntnisse eignen sich auch als Grundlage für den Aufbau von Vorhersage- und Frühwarnsystemen.
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9. Global Monitoring – Erkundung der Erde aus dem Weltraum Einführung »Das anhaltende Wachstum der Weltbevölkerung, die dadurch bedingte immer intensivere Nutzung unseres Planeten und seiner Ressourcen sowie seine Veränderung im Rahmen einer beispiellosen zivilisatorisch-technischen Entwicklung erfordern ein nachhaltiges und international abgestimmtes Handeln zum Erhalt des Lebensraums Erde und zum Schutz der Umwelt. In der Umsetzung dieser zentralen Aufgabe der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge kommt den Geowissenschaften als den »Wissenschaften der Erde« mit ihrer Erdsystemforschung eine ganz besondere Rolle zu, da sie aufgrund ihres umfassenden Systemverständnisses nachhaltig greifende Konzepte und Lösungsansätze anbieten können«. Diese ersten Sätze aus der Programmschrift GEOTECHNOLOGIEN des Jahres 1999 sind auch heute noch gültig. Die Fragen nach dem Umgang mit der Bevölkerungsexplosion, der Verknappung der natürlichen Ressourcen und nach dem anthropogenen Einfluss auf das Gesamtsystem und damit auch auf den Klimawandel sind aktueller denn je; die öffentliche Debatte hat sich deutlich intensiviert. Im IPCC-Bericht des Jahres 2007 wird erstmals der Einfluss des Menschen auf den Klimawandel nachgewiesen, aber auch da beklagen die Wissenschaftler im Vorfeld die oft unzureichende Datenbasis. Satelliten sind unentbehrliche »Werkzeuge«, um die vielfältigen Prozesse in und auf der Erde zu studieren. Nur durch den Blick aus dem Weltraum ist es möglich, die Erde global zu erfassen und gleichzeitig durch Wiederholungsmessungen Zeitreihen aufzubauen, aus denen Veränderungen in diesem hochkomplexen System erkennbar werden. Die Messreihen sind gleichmäßig und nahezu in Echtzeit ermittelt. Letzteres ist unabdingbare Voraussetzung, um verlässliche Frühwarnsysteme gegen Naturgefahren zu betreiben. Diesen ausgewiesenen Stärken steht gegenüber, dass insbesondere klimatische Veränderungen im Erdsystem nur langsam vor sich gehen und im Allgemeinen nicht direkt messbar sind. Sie werden aus der Kombination von Messgrößen und Modellen abgeleitet. Außerdem bedingt die Bahnhöhe der Satelliten eine gewisse Dämpfung der Signalgrößen. Die überwiegende Anzahl der Messverfahren nutzt die Ausbreitung elektromagnetischer Strahlung beziehungsweise die Wechselwirkung dieser Strahlung mit den
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Komponenten des Erdsystems. Strahlungsquelle ist bei den passiven Messsensoren die Sonne oder die thermische Strahlung der Erde; bei den aktiven Systemen ist es das in unterschiedlichen Spektralbereichen vom Satelliten ausgesandte Signal. Als primäre Größen werden Laufzeit, Winkel, Intensität, Polarisation oder Phasenlage der empfangenen Wellen gemessen. Daraus werden Materialeigenschaften, Geometrie und Verortung von Objekten und Oberflächen sowie deren Bewegung abgeleitet. Besonderheiten sind die Erfassung des Magnetfelds der Erde und seiner Wechselwirkung mit dem Außenfeld des Gravitationsfeldes. Die Gravitationsfeldmessung beruht auf Bahnverfolgung und Beschleunigungsmessung, die Magnetfeldmessung auf skalarer und vektorieller Magnetometrie. Deutschland beteiligt sich mit großen Beiträgen am wissenschaftlichen Erderkundungsprogramm der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA), dem »Living Planet Programme«, und am Aufbau des von EU und ESA gemeinsam initiierten Global Monitoring for Environment and Security (GMES) und ergänzt die europäischen Aktivitäten zusätzlich durch nationale und bilaterale Missionen. Hinzu kommt die vielfältige Nutzung der globalen Satellitennavigationssysteme. Mindestens drei komplette moderne Konfigurationen werden in den kommenden Jahren für die Erdwissenschaften nutzbar sein, darunter als europäischer Beitrag das GALILEO-System. In Tabelle 9-1 sind laufende beziehungsweise in Kürze beginnende Missionen im Bereich der Erderforschung und Erdüberwachung zusammengefasst. An all diesen Missionen (mit Ausnahme von GPS) ist Deutschland mit großen Investitionen beteiligt. Neben dem industriellen Rückfluss ist eine möglichst überproportionale Nutzung durch die Wissenschaft wünschenswert.
Förderstatus Raumgestützte Beobachtungsverfahren haben sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelt und nehmen in der geowissenschaftlichen Forschung heute eine herausragende Stellung ein. Wegweisend in der Entwicklung und im Betrieb von Kleinsatelliten sind die internationalen Missionen CHAMP (CHAllenging Minisatellite Payload), dessen deutschamerikanisches Schwesterprojekt GRACE (Gravity
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Tab. 9-1: Genehmigte beziehungsweise laufende Satellitenmissionen von unmittelbarer Bedeutung für das FuE-Programm GEOTECHNOLOGIEN.
ESA Living Planet Programme und ENVISAT ENVISAT GOCE SMOS CRYOSAT SWARM
Beginn
zehn Erdbeobachtungsinstrumente globales Gravitationsfeld und Ozeanzirkulation Bodenfeuchte und Ozeansalinität Eis- und Ozeanaltimetrie Magnetfeld (stationär und zeitvariabel)
seit 2002 17.03.2009 2. Nov. 2009 Feb. 2010 2010
Sentinel-Missionen (GMES) 1 2 3
SAR-Abbildung und (differenzielle) Interferometrie Optische, superspektrale Bilderfassung Ozeanmonitoring
2012 2013 2013
Nationale Missionen TerraSAR-X Rapid-Eye TanDEM-X EnMAP
SAR Bilderfassung im X-Band und (differenzielle) Interferometrie Optisch bildgebend SAR-Interferometrie im X-Band Abbildende Spektroskopie (hyperspektral)
2007 2008 2010-11 2013
Globale Navigations Satellitensysteme (GNSS) GPS GALILEO und andere
amerikanisches System (einschließlich Modernisierung) europäisches System im Aufbau
Recovery And Climate Experiment) und die von der Europäischen Raumfahrt Agentur ESA koordinierte Mission GOCE (Gravity Field and steady-state Ocean Circulation Explorer). Die drei Missionen vermessen das Schwere- und Magnetfeld der Erde mit einer bislang unerreichten Detailgenauigkeit und liefern wichtige Referenzdaten für die Ozeanographie, Klimatologie, Geophysik und Glaziologie. Die Beteiligung deutscher Wissenschaftler an diesen Missionen wird durch das FuE-Programm GEOTECHNOLOGIEN sichergestellt. Es bietet den idealen Rahmen für interdisziplinäre Forschungsvorhaben derartiger Dimensionen. Das BMBF fördert seit 2001 insgesamt 17 Forschungsverbünde mit einem Finanzvolumen von circa 20 Millionen Euro. Kom-
seit 1980
plementär unterstützte die DFG zehn Projekte im Normalverfahren und seit Mitte 2006 das DFGSchwerpunktprogramm »Massentransport und Massenverteilung im System Erde«. Deutschland konnte damit in gleich mehreren Schlüsselfeldern dieses innovativen Forschungsgebiets eine weltweit anerkannte Führungsposition einnehmen. Der GEOTECHNOLOGIEN-Themenschwerpunkt »Erkundung des Systems Erde aus dem Weltraum« steht damit exemplarisch für das integrative Förderkonzept von BMBF und DFG in den GEOTECHNOLOGIEN. Acht Jahre Forschungsförderung zu diesem Themenschwerpunkt haben dazu beigetragen, die wissenschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten von Kleinsatelliten zu revolutionieren und Deutschland
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weltweit an die Spitze eines neuen Wissenschaftszweiges zu bringen. Auch auf technologischem Gebiet und im Bau preisgünstiger Kleinsatelliten ist Deutschland zu einem international geschätzten Partner geworden. Kleinsatelliten wie CHAMP, GRACE und GOCE basieren auf dem neuen, von der Firma EADS Astrium GmbH in Friedrichshafen entwickelten Satellitenkonzept »Flexbus«, das eine äußerst kostengünstige und schnelle Fertigung von Satelliten ermöglicht. Die CHAMP-Mission zeigt, dass sich mit dieser Plattform die Kosten im Vergleich zur herkömmlichen Bauweise um mehr als die Hälfte reduzieren lassen – und das ohne Qualitätseinbußen. Das technologische und wissenschaftliche Know-how von »Flexbus« machen sich inzwischen auch Raumfahrtnationen wie die USA zunutze. So vergab die amerikanische Weltraumbehörde NASA den Auftrag zum Bau der GRACESatellitenzwillinge nicht im eigenen Lande, sondern nach Deutschland.
Stand von Forschung, Entwicklung und Anwendung Spiegelt man die Erdbeobachtung aus dem Weltraum an den Entwicklungen der zurückliegenden Jahrzehnte in der Wetter- und Klimavorhersage, so ist zu erwarten, dass Satelliten eine wachsende Bedeutung für die Erforschung aller Komponenten des Erdsystems erlangen. Die strategische Entwicklung, Vorbereitung und Auswahl nationaler Raumfahrtmissionen erfolgt durch die Raumfahrtagentur des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums (DLR). Das DLR plant und koordiniert auch die deutsche Beteiligung an europäischen oder bilateralen Missionen. Wesentliche Fortschritte in der wissenschaftlichen Nutzung raumfahrtbasierter Daten lassen sich durch eine abgestimmte Vorgehensweise und Prioritätensetzung, das heißt durch ein gemeinsames Rahmenprogramm der Forschungszentren und Universitäten erreichen. Im Rahmen des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN wäre ein solches Rahmenprogramm erreichbar. Ausgangspunkt ist die Eingrenzung des Gesamtthemas der Erdbeobachtung aus dem Weltraum auf den für das FuE-Programm GEOTECHNOLOGIEN zutreffenden Ausschnitt der Erdsystemforschung. Mit den Kleinsatellitenmissionen CHAMP, GRACE und GOCE gelang es erstmals, die Magnetfeldfor-
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schung sowie die Massenverteilung und Massenverlagerung in und auf unserem Planeten als neues Segment der Erdsystemforschung zu etablieren. Über das Schwerpunktthema »Erfassung des Systems Erde aus dem Weltraum« des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN war eine Vielzahl deutscher Wissenschaftler an den Missionen beteiligt. Deutschland nimmt heute eine international anerkannte Spitzenposition in diesem Forschungsfeld ein. Zusätzlich ist es mithilfe des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN gelungen, ein globales geodätisches Beobachtungssystem international zu verankern und damit die metrischen Grundlagen für die Erforschung der Veränderungen und Massenvariationen des Erdsystems zu schaffen. Hierauf aufbauend lassen sich die Veränderungsprozesse der Erdoberfläche als Grenzschicht zwischen Atmosphäre und fester Erde mit Eis und Ozeanen erforschen. Genau diese Grenzschicht ist unser Lebensraum und steht deshalb in unserem Interessenfokus. Die Erdoberfläche ist den ständigen Einwirkungen des Menschen ausgesetzt, den Einflüssen des durch die Sonne angetriebenen äußeren Erdsystems unterworfen und geprägt und geformt durch die Prozesse im Inneren der Erde. Die Zustandsparameter und deren Veränderungen sind aus dem Weltraum in mannigfaltiger Weise messbar. Ausgehend von den satellitengestützten Messverfahren lassen sich zwei Themen unterscheiden: (1) Kinematik und Dynamik der Erdoberfläche: die Vermessung und Modellierung von Formen und Bewegungsmustern der Land-, Eis- und Ozeanoberflächen und ihre Wechselwirkung mit den Prozessen des inneren und äußeren Erdsystems. (2) Charakteristika, Nutzung und Entwicklung der Landoberflächen: die Erfassung und Erforschung von Beschaffenheit, Nutzung und Veränderung der Landoberflächen inklusive der gesamten Hydrosphäre, das heißt der Haut der festen Erde, unter dem Einfluss des globalen Wandels.
Notwendige FuE-Aufgaben Mit den beiden oben genannten Themen entsteht im Themenschwerpunkt »Beobachtung der Erde aus dem Weltraum« des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN eine neue nationale Strategie. Beide Themen schließen sich nahtlos an bestehende Kompetenzkerne Deutschlands an. Inner-
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halb der GEOTECHNOLOGIEN ergeben sich natürliche Synergien mit folgenden Themen: Georisiken/Geodynamik, Georessourcen/Nutzung des Untergrunds, Ursachen und Auswirkungen von Klimaänderungen, Der Boden – Die Haut der Erde und Informationstechnologien. Die geplanten FuE-Projekte stellen eine logische Fortsetzung und Erweiterung des bisherigen Schwerpunktthemas »Erfassung des Systems Erde aus dem Weltraum« dar und sollten an dessen Ergebnisse anknüpfen. (i) Kinematik und Dynamik der Erdoberfläche Neuartige differenzielle SAR-Interferometrie in Kombination mit zukünftig viel dichteren GNSSBodennetzen, GNSS-Reflektrometrie und interferometrischer Eis- und Ozeanaltimetrie erschließen alle Zeitskalen der Evolution und Kinematik von
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Land-, Eis- und Ozeanoberflächen. Tektonik, Gebirgsbildung, isostatische Ausgleichsbewegungen, Seismik, Hangrutschungen, anthropogene Bodensenkungen, Dynamik der großen Eisschilde und der Gletschersysteme, Meeresspiegelanstieg, El Ninõ/Southern Oscillation und Tsunami-Ereignisse werden in ihrem Zusammenhang und in ihrer Abhängigkeit von atmosphärischen, anthropogenen und geodynamischen Antriebsmechanismen erkennbar. Mit der neuen Satellitengeneration TerraSAR-X, TanDEM-X (Abb. 9-1), Sentinel-1, CRYOSAT, SMOS sowie dem viel dichteren GNSS-Netz steht ein äußerst engmaschiges Satellitenmesssystem zur Verfügung. In den Bereichen SAR, Radarund Laseraltimetrie, GNSS-Nutzung sowie der Land-, Eis- und Ozeanmodellierung sind in Deutschland hervorragende Infrastruktur- und Forschungskerne für diesen Themenkomplex vorhanden.
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Abb. 9-1: Das deutsche Satellitenduo TerraSAR-X und TanDEM-X zur Erforschung von Form und Bewegungsprozessen der Erdoberfläche.
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Viele der in Deutschland entwickelten SatellitenTechnologien sind weltweit führend. So ist das deutsche TerraSAR-X-System das erste SAR weltweit, mit dem Objekte für geodätische Fragestellungen genau verortet werden können. Damit werden neue Möglichkeiten erschlossen werden, die Dynamik der Erdoberfläche zu erfassen. Diese Eigenschaft zusammen mit der sehr hohen räumlichen und zeitlichen Auflösung ermöglicht es zum Beispiel, mit TerraSAR-X-Daten Gletscherbewegungen oder anthropogen verursachte Bodensenkungen zuverlässiger und genauer zu erfassen als mit bisherigen SAR-Systemen. Die TanDEM-X-Mission realisiert den weltweit ersten SAR-Satellitenformationsflug – ebenfalls eine deutsche Technologie – mit dem Ziel, ein weltweites homogenes digitales Oberflächenmodell zu erstellen. Damit wird Deutschland einen der wichtigsten Basisdatensätze besitzen, um durch differenzielle SAR-Interferometrie Land- und Eismassen zu bilanzieren oder diese hochgenau in ihrer Dynamik zu erfassen. Erst dieses Oberflächenmodell macht die Trennung von Topographie und Bewegung zuverlässig möglich.
(ii) Charakteristika, Nutzung und Entwicklung der Landoberflächen Wasser und Boden gehören zu den kostbarsten Ressourcen unseres Planeten. Die schnelle Erweiterung urbaner Gebiete (Megacitys), die Zersiedelung des ländlichen Raumes, die Veränderung der Bodennutzung und die Einflüsse des Klimawandels – all das macht es nötig, umfassend, global und differenziert zu erfassen, wie sich Siedlungs-, Vegetations-, Trockengebiets-, Schnee- und Wasserflächen durch natürliche und anthropogene Einflüsse verändern. Bestehende operationelle Systeme (SPOT-HRG, Landsat-TM) werden deshalb durch die zukünftige, superspektrale Sentinel-2 Serie und LDCM abgelöst. Mit neu definierten, zusätzlichen Kanälen sind dann Korrekturen zum Einfluss von Wasserdampf, Aerosolen und Zirruswolken möglich. Dadurch erhöht sich die Nutzbarkeit sowohl im wissenschaftlichen Einsatz als auch im praktischen Betrieb wesentlich. Für Aufgaben, die eine hohe räumliche und zeitliche Auflösung erfordern, stehen Daten
Abb. 9-2: EnMAP und seine Anwendungen in Forschung und Praxis.
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des deutschen Rapid-Eye-Systems zur Verfügung. Die Satelliten des Systems realisieren eine tägliche Wiederholrate. Mit multispektralen – und zukünftig mit EnMAP erstmals mit hyperspektralen – Sensorsystemen ist eine differenzierte globale Erfassung, diagnostische Klassifikation und Analyse der zeitlichen Variabilität möglich. EnMAP (Abb. 9-2), die laufenden Missionen Rapid-Eye, TerraSAR-X und ENVISAT sowie komplementäre Sensorsysteme wie SMOS oder terrestrische und flugzeuggestützte Instrumente schaffen die notwendigen Voraussetzungen, das Forschungsgebiet zur Erfassung von Charakteristika, Nutzung und Entwicklung von Landoberflächen in Deutschland zu einem weiteren Exzellenzzentrum auszubauen. Ziel der Projekte zu oben genannten Themen ist nicht die Vorbereitung von Einzelmissionen; dies ist Aufgabe der Raumfahrtagentur des DLR. Vielmehr geht es im Rahmen der GEOTECHNOLOGIEN um die Etablierung von missionsübergreifenden Forschungsansätzen, durch die Daten für die Erforschung und Überwachung unseres Erdsystems optimal genutzt werden können. Ferner sollen Brücken zu anderen Themen des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN gebaut werden. Schwerpunkte sind dabei: (iii) Synergien von satellitengestützten Sensorsystemen Die gemeinsame Nutzung von Messreihen unterschiedlicher, gleichartiger oder komplementärer Satellitenmissionen wird in internationalen Programmen wie GEOSS dringend angemahnt, steckt jedoch noch in den Anfängen. Sie ist aus mehreren Gründen von großer Bedeutung für – die Neuprozessierung aktueller und alter Messzeitreihen nach dem aktuellen Forschungsstand zum Aufbau von möglichst langen, konsistenten und genauen Parameterzeitreihen für die Global Change Forschung, – die Separation von Einzelphänomenen, wie der Trennung der Einzelbeiträge zum Meeresspiegelanstieg, durch den Einsatz komplementärer Messsysteme, – das Erreichen dichterer Abtastraten in Zeit und Raum beziehungsweise von Mehrdimensionalität,
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– das Zusammenfügen komplementärer Messgrößen zu einem Gesamtbild, etwa von physikalischen (aus SAR) und biogeochemischen (aus der Hyperspektralfernerkundung) Variablen der Meere oder der Vegetation (z. B. Biomasse), – die substanzielle Verringerung der Fehler in den abgeleiteten Variablen durch Kombination von Daten komplementärer Genauigkeitseigenschaften (z. B. die hohe relative Messgenauigkeit hochauflösender SAR-Systeme vs. der hohen absoluten Genauigkeit von GNSS-Daten) und damit die Erfassung bisher nicht ausreichend messbarer Größen und – die Normierung gleichartiger Systeme. Aus der Kombination von Satellitenmesssystemen lassen sich komplette Monitoringsysteme entwickeln. Ein Beispiel sind Frühwarnsysteme zu Tsunamis, Erdbeben, Lawinen und Hangrutschungen, Vegetationsschädigungen sowie über Desertifikation aufgrund von Wasserdefizit und/oder Folgen des Klimawandels. Andere Beispiele sind Beobachtungssysteme in der Antarktis und auf Grönland (Massenbilanzierung, geologische Bewegungsraten, Rauigkeit, Kompaktion, Beschaffenheit, glaziale Ausgleichsbewegungen, Strahlungsbilanz) oder Monitoringsysteme in Katastrophengebieten. Neben dieser »horizontalen« Synergie von Satellitenmesssystemen ist die »vertikale« Verknüpfung Voraussetzung für eine optimale Interpretation und Nutzung von Satellitendaten.
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(iv) Verknüpfung von Raumsegment, Bodensegment, Informationsextraktion und Modellierung Flugzeuggestützte und terrestrische Messsysteme beziehungsweise Datensätze verknüpfen das Raumsegment mit der Modellierung und der Anwendung in Wissenschaft und Praxis. Sie dienen der Eichung und Skalierung der Satellitensysteme, der Klassifikation, Überprüfung, Korrektur und regionalen Verdichtung. Kein Sensorsystem eines Satelliten misst Erdparameter unmittelbar. Erst über eine – je nach Instrument – komplexe Kette von Auswertealgorithmen und Modellen entstehen die gewünschten geowissenschaftlichen Zielgrößen. Dies ist der Prozess der Informationsextraktion. Insitu Messungen, ergänzende terrestrische Beobachtungen, Flugzeug- und Ballondaten spielen eine wichtige Rolle, wenn Daten aus Satellitenmes-
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sungen in Modelle assimiliert werden. Sie dienen – bei metrischen Messverfahren der Verankerung im Erdkörper, – mithilfe repräsentativer Testfelder der Skalierung und Linearisierung, – der spektralen oder regionalen Ergänzung und Verfeinerung, – der Separation von überlagerten Einflüssen im Messsignal und – der unabhängigen Kontrolle. Für komplexe Prozessmodellierungsansätze zum Thema Charakteristika, Nutzung und Entwicklung der Landoberflächen werden zunehmend vor allem quantifizierbare Ökosystemparameter benötigt. Dieser Bedarf ist ohne ein permanentes, skalenübergreifendes Monitoring – von global über regional bis lokal – nicht zu bewältigen. Erst neue innovative Sensoren, die in der spektralen Abdeckung sehr variabel sind und hohe geometrische wie zeitlich hoch aufgelöste Daten liefern, können dies leisten. Um die neuen Systeme optimal nutzen zu können, müssen innovative Algorithmen und Auswertekonzepte entwickelt werden. Grundlegende Ansätze sind unter anderem: – komplexe, wissensbasierte Auswertemethoden, – Datenassimilation zur Optimierung von Auswertestrategien, – quantitative upscaling Methoden, – lineare und nicht lineare Analysemethoden, – 2-D- und 3-D-multi- und hypertemporale »change detection« Methoden, – Synergien unterschiedlicher Sensorsysteme, – Integration in und Verifikation von Modellen in unterschiedlichen zeitlichen und räumlichen Skalen. In den Technologiefeldern hyperspektrale Datenerfassung, differenzielle und interferometrische Anwendungen von SAR, geodätische SAR-Verfahren, Satellitengravimetrie und Satellitenmagnetometrie nehmen deutsche Raumfahrtunternehmen und Wissenschaftler internationale Spitzenpositionen ein. Es ist daher strategisch wichtig, an Konzepten der nächsten Generation zu arbeiten.
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(v) Technologien der nächsten Generation Es zeichnen sich verschiedene technologische Trends ab: – die simultane Verfügbarkeit mehrerer hochmoderner Satellitennavigationssysteme (Ionensphärenmodellierung, Atmosphärensondierung, »langsame« Erdbeben, Zeitsynchronisation, Frühwarnsysteme, Reflektometrie), – Uhren einer neuen Generation im Weltraum (optische Uhren) und am Boden (Erdrotation, Bahnbestimmung, Gravitation, Grundlagenphysik), – Mikro- beziehungsweise Minisatelliten (engmaschige Überdeckung des Globus in Satellitenhöhe), – Satellitenkonstellationen und -formationen (Echtzeitüberwachung, Trennung räumlicher von zeitlichen Veränderungen), – noch höher (räumlich/ spektral) auflösende Aufnahmeapparaturen und – bei den SAR-Systemen die Erhöhung der Auflösung bei gleichzeitiger Erhöhung der Schwadbreite, systematische polarimetrische und interferometrische Aufnahme-Systeme und -Szenarien mit extrem hoher räumlicher und zeitlicher Abdeckung und die Nutzung von Wellenlängenbereichen, die für die differenzielle SAR-Interferometrie oder für die Erfassung von Biomasse optimiert sind. Die Entwicklung einer Erdbeobachtungsstrategie muss maßgeblich im Kontext mit geowissenschaftlichen Forschungsschwerpunkten aus den Bereichen der Grundlagenforschung und der angewandten Forschung erfolgen. Damit wird zugleich auch die erfolgreiche Beteiligung deutscher Wissenschaftler an Programmen der EU und der ESA gefördert.
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10. Unser blauer Planet – Die Bedeutung der Erde im Sonnensystem
Um die Eigenschaften unserer Erde zu verstehen, müssen wir sie mit den anderen Planeten und großen Monden im Sonnensystem vergleichen. Warum konnten sich bei uns lebensfreundliche Umweltbedingungen entwickeln? Existieren solche Bedingungen vielleicht auch auf anderen Himmelskörpern? Die Raummissionen der letzten Jahrzehnte haben zu vielen überraschenden Entdeckungen geführt, die die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Erde und ihren planetaren Geschwistern zeigen. Flüssiges Wasser – Grundlage des Lebens – scheint es früher auch auf dem Mars gegeben zu haben. Auf dem Jupitermond Europa gibt es auch heute noch unter einer Eiskruste tiefe Ozeane. Die Sonde Huygens hat eine bizarre Welt gezeigt, deren Eislandschaft durch Flüsse aus Kohlenwasserstoffen geprägt wurde. Exoplaneten, die um andere Sterne kreisen, werden in zunehmender Zahl entdeckt und führen zu der Frage, durch welche Prozesse es zur Bildung verschiedenartiger Planetensysteme kommt. Kometen und Kleinplaneten sind Relikte der Entstehung unseres Sonnensystems vor 4,5 Milliarden Jahren. Kometen haben die Menschheit seit jeher durch ihre imposante Erscheinung fasziniert. Heute liegt die Faszination darin, dass sie die ursprünglichste Materie des Sonnensystems, erstaunlicherweise gleichzeitig sowohl der inneren Bereiche als auch der äußeren Regionen, beherbergen. Die verschiedenen Objekte der Forschung im Sonnensystem zeigen eine enorme Vielfalt, zum Beispiel in ihrer Größe und Masse und in der Bandbreite der Temperaturen und Dichten. Die Massen variieren zwischen 1030 Kilogramm für die Sonne und 10-15 Kilogramm für ein Staubpartikel. Bei der Temperatur reicht die Skala von 15 Millionen Grad Celsius im Zentrum der Sonne bis 20 Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt auf den neu entdeckten Kleinplaneten, die sich in circa hundertfachem Erdabstand von der Sonne befinden. Es ist deshalb nicht überraschend, dass eine sehr breite Palette an physikalischen und chemischen Prozessen im Sonnensystem zum Tragen kommt. Auch wenn bodengebundene Beobachtungen nach wie vor ihren Platz in der Sonnensystemforschung haben, so beruhen die großen Entdeckungen der vergangenen Jahrzehnte doch im Wesentlichen auf dem Einsatz unbemannter Raumsonden. Deutsche Wissenschaftler haben zu diesen Fortschritten erhebliche Beiträge geleistet.
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10. Unser blauer Planet – Die Bedeutung der Erde im Sonnensystem Einführung Auch wenn die Planeten und planetaren Körper unseres Sonnensystems allesamt Mitglieder einer Familie von Objekten gleicher Herkunft sind, zeigen sie untereinander gravierende Unterschiede (Abb. 10-1). Nahe der Sonne befinden sich außer der Erde noch die Gesteinsplaneten Merkur, Venus und Mars – unsere unmittelbare kosmische Nachbarschaft. Auch der Erdmond wird dazu gezählt, während die beiden kleinen Marsmonde Phobos und Deimos eher eingefangene asteroidale Körper sind. Jenseits des Mars folgt der Asteroidengürtel mit seinen Hunderttausenden von Kleinplaneten, deren Bahnen zum Teil bis ins innere Sonnensystem reichen. Die großen Planeten des äußeren Sonnensystems, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, der Zwergplanet Pluto und mit ihnen die aktuell 146 Monde dieser Welten aus Gasen und Eis, haben nur noch einen geringen Gesteinsanteil. Eine Vielzahl von Eiskörpern, die als Kometen aus ihren ursprünglichen Reservoirs im Kuipergürtel
und der Oortschen Wolke gelegentlich bis ins innere Sonnensystem vordringen, bewegt sich am Rande des Sonnensystems. Von allen Planeten ist die Erde am besten erforscht (Abb. 10-2). Dies verwundert nicht, da die Erforschung der Erde in-situ erfolgen kann. Die Planetenforschung hat die in-situ Exploration anderer Planeten mit Landemissionen gerade erst begonnen. Die Erde ist daher als Referenzkörper, zumindest für die erdähnlichen Planeten und die großen Monde, unerlässlich. Seit dem Beginn der experimentellen Weltraumforschung werden die Methoden der Geowissenschaften zur Erforschung der Planeten eingesetzt. Bis dahin war die Erforschung der Planeten weitgehend Gegenstand der Astronomie. Gleichzeitig haben sich die Geowissenschaften Methoden der Weltraumforschung zunutze gemacht. Dazu gehören beispielsweise die Vermessung der planetaren Felder durch Satelliten, die Spektroskopie der Oberflächen aus dem Orbit
NASA/JPL
Abb. 10-1: Das Sonnensystem.
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und die photogeologische Auswertung von Stereoaufnahmen. Die vergleichende Planetologie kann mit einigem Recht als eine Verallgemeinerung und Erweiterung der Wissenschaft von der Erde angesehen werden, angefangen von der Entstehung der Erde, die sich nicht losgelöst von der Entstehung des gesamten Sonnensystems verstehen lässt (offenbar spielte Jupiter die entscheidende Rolle für die Bildung der Erde am gegebenen Ort), bis hin zur weiteren Entwicklung unseres Planeten. Der Vergleich der Erde mit den anderen Planeten und den größeren Monden ermöglicht neue Ansätze zum besseren Verständnis der Erde. So wird deutlich, wie ungewöhnlich Plattentektonik ist und welche bedeutsame Rolle Wasser und Kohlendioxid in der Geologie der Erde einnehmen. Die Bedeutung des inneren Kerns für die Erzeugung des Magnetfelds der Erde wird zum Beispiel klarer, wenn man die magnetischen Eigenschaften von Venus, Merkur und Mars betrachtet. Die At-
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mosphärenforschung findet bei Mars und Venus Beispiele für Atmosphärenerosion, für extreme Treibhauseffekte und für deutlich unterschiedliche Zusammensetzungen und Drücke. Die besonderen Herausforderungen der Planetenforschung an die Beobachtungsinstrumente haben in der Vergangenheit die Methodik und Technik der Geowissenschaften wiederholt befruchtet. Beispiele aus der Kosmochemie sind die Altersbestimmungsmethoden und Mikroanalytik; aus der Planetenphysik können Satellitenmagnetometer genannt werden. Gelegentlich übertrifft die Planetenforschung den Grad der Erkundung der Erde. So ist die Topographie des Mars mithilfe der Laseraltimetrie und der hoch aufgelösten Photogrammmetrie im Rahmen der Mars Global Surveyor und Mars Express Missionen genauer bekannt als die der Erde. Da in absehbarer Zeit das Instrumentarium der Geowissenschaften nicht mit vertretbaren Kosten vollständig in den Weltraum exportiert werden kann, hat die Probenrückführung eine er-
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Abb. 10-2: Die Erde als komplexes System.
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hebliche Bedeutung. Damit können die aufwendigen mikroanalytischen Methoden der Geowissenschaften der Sonnensystem-Forschung zugänglich gemacht werden. Die Frage nach der Entstehung des Lebens und seiner Verbreitung im Universum ist eine der großen ungeklärten Grundfragen in der Wissenschaft. In der jüngeren Vergangenheit wurde entdeckt, dass auf der Erde Leben auch unter Umweltbedingungen möglich ist, die bisher als wenig lebensfreundlich galten. Dies eröffnet die Perspektive, dass auch auf anderen Körpern unseres Sonnensystems Leben existiert hat oder noch existiert. Als entscheidende Voraussetzung des Lebens wird das Vorhandensein von flüssigem Wasser angesehen. Wir haben inzwischen starke Hinweise darauf, dass es flüssiges Wasser auch auf anderen Körpern gegeben hat oder auch heute unterhalb der Oberfläche noch gibt. Die Suche nach außerirdischem Leben beginnt mit dem Versuch zu verstehen, was die physikalischen und chemischen Voraussetzungen des Lebens sind, welche Umstände einen Planeten belebbar machen, wie sich diese Bedingungen entwickeln und wo sie außerhalb der Erde noch vorliegen könnten. Die Erforschung von Leben außerhalb der Erde vereinigt zahlreiche Fachdisziplinen und nutzt neben den Methoden der Planetenforschung die der Biologie, Biochemie, Geowissenschaften, Astronomie, Physik und Chemie. Unsere technischen Systeme, unsere Umwelt, selbst das Leben auf der Erde hängen von äußeren Einflüssen ab. Hierzu gehört in erster Linie die solare Strahlung, die das Leben auf der Erde überhaupt erst ermöglicht. Schwankungen der Sonnenhelligkeit, aber auch Schwankungen der UV-Strahlung und eventuell die Modulation der galaktischen kosmischen Strahlung durch das solare Magnetfeld und den Sonnenwind könnten Klimaänderungen provozieren. Die schwankende magnetische Aktivität der Sonne beeinflusst den erdnahen Weltraum, die Magnetosphäre und die Atmosphäre der Erde: Eruptionen, Flares und koronale Massenauswürfe führen kurzfristig zu dramatisch ansteigender ultravioletter und energiereicher Teilchenstrahlung. Diese beeinflussen in bisher nur in Anfängen erforschter Weise die Erdatmosphäre, kurzfristig unter anderem den Ozongehalt der Stratosphäre und langfristig das Erdklima. Forschungen der letzten Jahre verdeutlichten, wel-
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chen entscheidenden Einfluss kurzfristige Änderungen der Sonnenaktivität auf die technischen Systeme der Menschheit ausüben, bezeichnet als »Weltraumwetter«. Neben den solaren Strahlungen gibt es aber auch massive Objekte, die dauernd oder in Zyklen auf die Erde einwirken: Meteore, Meteoriten, kosmische Kleinkörper. Wie das Leben auf der Erde hängen auch Weltraummissionen, bemannte Flüge zum Mond und zu den Planeten von Einflüssen ab, die aus verschiedensten Teilen des Sonnensystems stammen. Es gilt, diese Einflüsse vorauszusagen und bei strategischen Entscheidungen zu berücksichtigen.
Förderstatus Seit Beginn der Erkundung unseres Planetensystems mit Raumsonden, Landegeräten und Probenrückführung werden die entsprechenden Technologien durch die DFG und die nationale Raumfahrtagentur (DARA/DLR) in vielfältiger Weise – im Normalverfahren, durch Schwerpunktprogramme und Sonderforschungsbereiche sowie insbesondere durch die direkte Projektfinanzierung – gefördert. Etliche der damit möglichen technologischen und wissenschaftlichen Entwicklungen fanden Anwendung und Nutzen in der terrestrischen geologischen Forschung und technischen Entwicklungen. Als einen Beitrag zu diesem Themenschwerpunkt förderte die DFG von 2000 bis 2006 mit insgesamt 38 Forschungsvorhaben das Schwerpunktprogramm »Erdmagnetische Variationen: Raum-Zeitliche Struktur, Prozesse und Wirkungen auf das System Erde«. Ziele des Programms waren, – ein umfassenderes Verständnis der raum-zeitlichen Struktur erdmagnetischer Variationen insbesondere während der Umpolung des Erdmagnetfeldes zu entwickeln, – zu erdmagnetischen Variationen Anlass gebende geodynamische Prozesse zu identifizieren, – geodynamische Prozesse zwecks Interpretation der Beobachtungen raum-zeitlicher Strukturen numerisch zu modellieren und – mögliche Auswirkungen auf das System Erde zu untersuchen.
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Stand von Forschung, Entwicklung und Anwendung Die Planeten unseres Sonnensystems gliedern sich in zwei Gruppen: die inneren, kleinen, terrestrischen aus Gestein aufgebauten Planeten Merkur, Venus, Erde, Mars und die äußeren großen Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun. Der Eisplanet Pluto nimmt als neuntes Objekt dieser Familie eine Sonderstellung ein. Obwohl die Planeten und ihre Monde nur etwa ein Prozent der Masse des Sonnensystems ausmachen, wobei weit über die Hälfte davon allein auf Jupiter entfällt, tragen sie fast den gesamten Drehimpuls des Systems. Die chemischen Bestandteile der planetaren Köper reflektieren weitgehend eine solare Zusammensetzung. Sie unterscheiden sich jedoch deutlich im Anteil ihrer flüchtigen Elemente. In dem Maße, wie die Temperatur mit der Sonnenentfernung abnimmt, kondensieren immer leichtere Elemente, was sich dementsprechend in der Dichte widerspiegelt. Im inneren Sonnensystem dominieren daher silikatische und metallische Zusammensetzungen, im äußeren dagegen Eise und Gase. Nach ihrer Akkretion aus dem solaren Nebel vor etwa 4,5 Milliarden Jahren haben die meisten der planetaren Körper Aufschmelzung und geochemische Fraktionierung erfahren. Bei der dabei entstandenen Differenzierung in Kern, Mantel und Kruste haben sich die schweren Elemente nahe dem Zentrum konzentriert, wogegen die leichteren und flüchtigen nahe der Oberfläche zu finden sind. Ab welcher Größe die Differenzierung einsetzt, ist nicht genau bekannt, da die meisten Protokörper des frühen Sonnensystems zum Wachstum der Planeten beigetragen haben und daher einer Untersuchung nicht mehr zugänglich sind. Von den übrig gebliebenen kleinen Objekten sind größere Asteroiden wie Vesta mit 520 Kilometer Durchmesser differenziert, wohingegen Ceres mit etwa 950 Kilometer Durchmesser thermal unverändert zu sein scheint. Der ursprüngliche Materialbestand der kleinen asteroidalen und kometaren Körper des Sonnensystems spiegelt den Anfangszustand der Planetenbildung wider, die differenzierten Körper dagegen belegen die zeitliche Entwicklung des Systems und seiner Körper. Die für eine Differenzierung notwendige Energie resultiert aus Akkretionswärme, radioaktivem Zerfall und Gezeitenreibung. Es wird angenommen,
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dass sich die ursprüngliche Materie der Planeten innerhalb weniger Zehnermillionen Jahre in Kern, Mantel und Kruste trennte. Die kondensierte Kruste bildet dabei eine thermale Grenzschicht zwischen dem heißen Inneren und dem kalten umgebenden Weltraum, wofür kurzlebige Radionuklide die erforderliche Wärme liefern. Die Art, wie die Wärme, die nun von langlebigen Radionukliden erzeugt wird, durch diese Lithosphären transportiert wird, erzeugt unterschiedliche geologische Wirkungen, die im Ergebnis die Vielzahl der bekannten Strukturen auf planetaren Oberflächen bedingen. Merkur, Erdmond, Mars und viele der Eismonde verlieren ihre Wärme hauptsächlich durch Wärmeleitung ohne größere Materialbewegungen. Bei diesem Prozess wächst die Lithosphäre zu einer mächtigen zusammenhängenden globalen Kruste. Die hohe Dichte von Einschlagskratern auf diesen Oberflächen belegt, dass diese Lithosphären alt sind und sich relativ schnell nach ihrer Bildung stabilisiert haben. Planetare Körper, deren Wärmeverlust hauptsächlich durch Konvektion gekennzeichnet ist, haben dagegen einen großen Anteil an vulkanischen Ablagerungen und damit eine hohe Oberflächenerneuerungsrate, was junge Oberflächenalter belegen. Eine durch Vulkanismus dominierte Geologie kennzeichnet die Venusoberfläche, den Jupitermond Io, vermutlich einige Eismonde – und die Erde, deren spezielle Form der Plattentektonik zusätzlich lange Gräben und Faltengebirge erzeugt. Die Energiebilanz der planetaren Entwicklung und damit die thermische Entwicklung der Planeten ist grundlegend für das Verständnis geologischer Prozesse, aber bisher noch viel zu wenig verstanden. Nur in Grundzügen verstanden sind auch die planetaren Magnetfelder. Die Erde besitzt seit mindestens 3,8 Milliarden Jahren ein globales Magnetfeld, das starken säkularen Variationen bis hin zu Umpolungen ausgesetzt ist und als Folge eines Dynamoprozesses im elektrisch leitfähigen und flüssigen Kern unseres Planeten verstanden werden kann. Die Geschichte des Erdmagnetfeldes spiegelt die thermische Entwicklung der Erde wider und lässt auf Konvektionsprozesse im Erdinneren schließen. Der Dynamoprozess ist selber aber wenig verstanden. Numerische Simulationen liefern zwar ein zunehmendes Verständnis der für den Dynamoprozess wichtigen physikalischen Rahmenbedingun-
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gen auf der Erde, erlauben aber zum Beispiel nicht das relativ schwache planetare Magnetfeld des Planeten Merkur zu erklären. Generell lässt sich sagen, dass die Kenntnisse über die globalen Magnetfelder anderer Himmelskörper völlig unzureichend sind, um verallgemeinernde Aussagen zu treffen. Notwendige FuE-Aufgaben Die Erforschung des Sonnensystems mit anspruchsvollen experimentellen Methoden erfordert den Einsatz modernster Technologien. Seit Beginn der Erforschung mit Raumsonden hat sich ein gut funktionierendes Netzwerk von Forschungsinstituten und Industrie entwickelt. Die entstandene hohe technologische Kompetenz in Gebieten wie der Feinwerktechnik, optischen Verfahren, der Halbleitertechnologie oder Informationstechnologie wird auch zunehmend in andere Anwendungsbereiche transferiert. Das methodische Schwergewicht in der Sonnensystemforschung liegt stark auf der Fernerkundung und in-situ Beobachtung durch Raumsonden. Diese Missionen werden in den allermeisten Fällen in Form großer internationaler Programme, oft im Rahmen der ESA, durchgeführt. Die deutsche Sonnensystemforschung ist eng in diese Programme eingebunden und spielt eine gestaltende Rolle. Laboruntersuchungen, theoretische und numerische Modellierungen sowie bodengebundene Beobachtungen ergänzen das methodische Spektrum, wobei Letztere oftmals auch an international finanzierten Großeinrichtungen durchgeführt werden. Die Auswertung planetarer Fernerkundungsdaten im Sinn einer kohärenten geowissenschaftlichen und planetologischen Interpretation erfordert eine übergreifende Betrachtungsweise aller wissenschaftlichen, methodischen, datentechnischen und instrumentspezifischen Fragestellungen. Daher müssen nicht nur geologische Auswertemethoden entwickelt und angewendet werden. Auch die Entwicklung von Verfahren zur Datenverarbeitung, die Spezifikation von Instrumenten und die Entwicklung und Anwendung von Verfahren zur Durchführung von Weltraumexperimenten sind wichtige Aspekte der Sonnensystemforschung.
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Eine besondere technische Expertise gibt es in Deutschland vor allem in der Entwicklung und im Bau weltraumtauglicher Instrumente: – Stereoskopische und multispektrale Kamerasysteme – Laseraltimeter – optische Spektrometer – Instrumente zur chemischen und mineralogischen in-situ Analyse (Massenspektrometer, Gaschromatographen, radiometrische Instrumente LIBS) – Magnetometer – Radar- und Mikrowelleninstrumente – Abstands- und Abstandsänderungsmesssysteme zur hochgenauen Positionierung von Raumsonden und Schwerefeldbestimmung – In-situ Technologien für Landesonden und Rover. Weiterhin sind deutsche Institute führend an der Entwicklung neuartiger Technologien beteiligt, zum Beispiel in der Laseraltimetrie und der Spektroskopie im thermalen Infrarot. Die experimentell im Labor arbeitenden Gruppen in Deutschland beschäftigen sich mit den grundlegenden physikalischen Prozessen der Entstehung und Entwicklung primitiver Körper im Sonnensystem und mit den Eigenschaften planetarer Materie. Die chemisch-mineralogische Analytik hat in den letzten 30 Jahren enorme technische und methodische Fortschritte gemacht. Mit der Erforschung der Meteorite und der Mondgesteine, des interplanetaren Staubs, der Kometenteilchen und -gase sowie (in-situ) der Marsoberfläche wurden und werden bedeutende Beiträge zum Verständnis der Entstehung und Entwicklung der so unterschiedlichen planetaren Körper – damit auch der Erde selbst – geleistet. Im Bereich der Theorie und Modellierung beschäftigen sich die deutschen Gruppen mit einer Vielzahl von das Sonnensystem betreffenden Themen. Diese Arbeitsgebiete reichen von der Modellierung des Sonnenwinds über die Dynamik des interplanetaren Staubs, der Asteroiden und Kometen bis zur Beschreibung planetarer Phänomene wie Ringe, Atmosphären und Planetenentstehung.
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Anhang – Bildnachweis / Impressum
Bildnachweise: Abb. 1-1: NASA; svs.gsfc.nasa.gov Abb. 1-2: MARUM, Bremen Tab. 1-1: Aus IPCC, Bericht 2007
Abb. 5-2 (Links): Karlsruher Institut für Technologie, KIT (Rechts): Geothermie Neubrandenburg GmbH Abb. 5-3: Rheinisch-Westfälisch Technische Hochschule Aachen, RHTH
Abb. 2-1: Aus Buggisch und Walliser 2001: Huch et. al. (Hrsg): Klimazeugnisse der Erdgeschichte. Springer Verlag.
Abb. 5-4 (Links): Miklos F. Laubert (Rechts): Damian Dovarganes
Abb. 2-2: MARUM, Bremen
Abb. 5-5: Karlsruher Institut für Technologie, KIT
Abb. 2-3 (Links): IFM-GEOMAR, Kiel (Rechts): MARUM, Bremen
Abb. 6-1: Bayerisches Geoinstitut
Abb. 2-4: MARUM, Bremen
Abb. 6-2: Mineralogisch-Petrologisches Institut, Universität Hamburg
Abb. 3-1: Universität Bremen
Abb. 6-3: Bayerisches Geoinstitut
Abb. 3-2: MARUM, Bremen
Abb. 6-4: Bayerisches Geoinstitut
Abb. 3-3: MARUM, Bremen
Abb. 7-1: Allmann, Münchener Rück
Abb. 4-1: Aus Wilding and Lin (2006): Advancing the frontiers of soil science toward a geoscience. Geoderma 131, 257-274.
Abb. 7-2: Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ
Abb. 4-2: Verändert nach »US-Critical Zone Exploration Network« http://www.czen.org/
Abb. 7-4: Baltschieder, Bundesamt für Umwelt (BAFU), Schweiz
Abb. 4-3: (Links) F. von Blanckenburg, (Mitte) nach Anderson, SP., von Blanckenburg, F., White, AF. (2007): Physical and chemical controls in the critical zones. Elements 3:315-319., (Rechts) aus White, AF., Schulz, MS., Vivit, DV., Blum, AE., Stonestrom, DA., Anderson, SP. (2008): Chemical weathering of a marine terrace chronosequence, Santa Cruz, California I: Interpreting rates and controls based on soil concentration-depth profiles. Geochim. Cosmochim. Acta 72:36-68.
Abb. 8-1: Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, RWTH
Abb. 7-3: Malsch, Stefan
Abb. 8-2: Institut für Kartographie und Geoinformatik, Universität Hannover Abb. 8-3: Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, RWTH Abb. 9-1: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V., DLR
Abb. 4-4: NCALM http://www.ncalm.org Abb. 5-1 (Links): (Verändert nach von ASPO International) (Rechts): aus IEA (Internationale Energie Agentur)Projektion des zukünftigen Energiebedarfs 2008.
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Abb. 9-2: EnMAP und seine Anwendungen in Forschung und Praxis Abb. 10-1: NASA/JPL
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Abb. 10-2: Nach Van Thienen, P., K. Benzerara, D. Breuer, C. Gillmann, S. Labrosse, P. Lognonné and T. Spohn 2007: Water, Life, and Planetary Geodynamical Evolution. – Space Science Reviews 129 (1-3): 167-203
Abb. 10-2: Nach Van Thienen, P., K. Benzerara, D. Breuer, C. Gillmann, S. Labrosse, P. Lognonné and
Impressum: Herausgeber: Prof. Dr. Gerold Wefer Vorsitzender des Koordinierungsausschusses GEOTECHNOLOGIEN MARUM Zentrum für marine Umweltwissenschaften Universität Bremen E-Mail: gwefer@marum.de Bezugsadresse: Koordinierungsbüro GEOTECHNOLOGIEN Telegrafenberg 14473 Potsdam Internet: www.geotechnologien.de E-Mail: geotech@geotechnologien.de Layout/Satz: Dipl.-Des. Grit Schwalbe Druck: Druckerei Arnold, Großbeeren Auflage: 1. Auflage, 1.000 Stück Potsdam, April 2010
Anhang – Bildnachweis/Impressum
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Anhang – Autorenverzeichnis
A Azzam, Rafig, Aachen B Bamler, Richard, Oberpfaffenhofen-Wessling Bens, Oliver, Potsdam Berndt, Christian, Kiel Bernhard, Lars, Dresden Bill, Ralf, Rostock Bismayer, Ulrich, Hamburg Blanckenburg, Friedhelm von, Potsdam Boetius, Antje, Bremerhaven Bohrmann, Gerhard, Bremen Borm, Günter, Potsdam C Christensen, Ulrich, Katlenburg-Lindau Cramer, Bernhard, Hannover D Dransch, Doris, Potsdam E Emmermann, Rolf, Potsdam F Flechtner, Frank, Oberpfaffenhofen G Gläßer, Cornelia, Halle Glassmeier, Karl-Heinz, Braunschweig Gleixner, Gerd, Jena Grevemeyer, Ingo, Kiel Guggenberger, Georg, Hannover H Harjes, Hans-Peter, Bochum Hiesinger, Harald, Münster Horsfield, Brian, Potsdam Hübers, H.W., Berlin Huenges, Ernst, Potsdam Hüttl, Reinhard, Potsdam J Jaumann, Ralf, Berlin Jessberger, Elmar K., Münster K Kaufmann, Hermann, Potsdam
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Kaul, Norbert, Bremen Kempf, Sascha, Heidelberg Keppler, Hans, Bayreuth Krawczyk, Charlotte, Hannover Kühn, Michael, Potsdam Kümpel, Hans-Joachim, Hannover L Langenhorst, Falko, Bayreuth Lempp, Christoph, Halle Littke, Ralf, Aachen M Meyer, Michael, Karlsruhe Michaelis, Harald, Berlin Mosbrugger, Volker, Frankfurt Mutschler, Thomas, Karlsruhe N Neukum, Gerhard, Berlin R Reinhardt, Wolfgang, München Rummel, Reiner, München S Scheuermann, Alexander, Karlsruhe Schilling, Frank, Karlsruhe Schilcher, Matthäus, München Schulz, Michael, Bremen Schwalb, Antje, Braunschweig Sester, Monika, Hannover Shapiro, Serge, Berlin Sommer, Michael, Müncheberg Spohn, Tilmann, Berlin Stroink, Ludwig, Potsdam T Tiedemann, Ralf, Bremen Triantafyllidis, Theodor, Karlsruhe W Wagner, Stefan, Heidelberg Weber, Michael, Potsdam Wefer, Gerold, Bremen Wenzel, Friedemann, Karlsruhe Werner, Klaus, Tübingen Wimmer-Schweingruber, Robert, Kiel Würdemann, Hilke, Potsdam
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Anhang – Autorenverzeichnis
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Anhang – Abkürzungen
AUV AWI BMBF BMU BMWi CCS CEN CHAMP CIGS CRYOSAT CSLF DARA DAS DEKLIM DEPAS DFG DGM DIN DLR DNA EADS EDIM EnMAP ELER ESA EU EWS FuE FuE-Programm GEM GEOSS GDI GDI1.0 GIS GFZ GITEWS GMES GNSS GOCE GRACE GuTech HAZUS HTM ICSU IEA IPCC IODP ISO KI
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Autonomous Underwater Vehicle Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung Bremerhaven Bundesministerium für Bildung und Forschung Bundesumweltministerium Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Carbon Capture & Storage European Committee for Standardization Challenging Minisatellite Payload Cu(In,Ga)(S,Se)2 Solarzelle Satellit zur Vermessung der Kryospäre Carbon Sequestration Leadership Forum Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel Deutsches Klimaforschungsprogramm Deutscher Gerätepool für amphibische Seismologie Deutsche Forschungsgemeinschaft Digitales Geländemodell Deutsche Industrienorm Deutsches Luft- und Raumfahrtzentrum Desoxyribonukleinsäure European Aeronautic Defence and Space Company Earthquake Disaster Information System for the Marmara-Region Environmental Mapping and Analysis Program Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums Europäische Raumfahrt Agentur Europäische Union Early Warning Systems Forschung- und Entwicklung Forschungs- und Entwicklungsprogramm Global Earthquake Model Global Earth Observation System of System Geodateninfrastrukturen Geodateninfrastrukturen der ersten Generation Geoinformationssysteme GeoForschungsZentrum Potsdam Deutsch-Indonesisches Tsunami Frühwarnsystem Global Monitoring for Environment and Security Global Navigation Satellite System Gravity Field and steady-state Ocean Circulation Explorer Gravity Recovery And Climate Experiment German University of Technology HAZards United States Hochtechnologiemetalle Science Plan for Integrated Research and Disaster Risk Internationale Energie Agentur Intergovernmental Panel on Climate Change Integrated Osean Drilling Program Internationale Organisation für Normung Künstliche Intelligenz
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KMU KW LED ICDP ICSU IUCN LIBS LIDAR MeBo MOR NASA NCALM OBH OBS OCL OGC OWL RDF RIMAX ROV RWTH SA SAR SLEWS SMOS SPOT-HRG SUGAR SWE TanDEM-X-Missionen TerraSAR-X TEEB TLS TM UNISDR US WBGU WPS
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Klein- und Mittelständische Unternehmen Kohlenwasserstoff Leuchtdiode International Continental Deep Drilling Programme Science Plan for Integrated Research on Disaster Risk International Union of Conservation of Nature Laser Induced Breakdown Spectroscopy Light Detection and Ranging Meeresbodenbohrgerät Mittelozeanischer Rücken National Aeronautics and Space Administration US National Center for Airborne Laser Mapping Ozeanboden-Hydrophone Ozeanboden-Seismometer Object Constraint Language Open Geospatial Consortium Web Ontology Language Resource Description Framework Risikomanagement extremer Hochwasserereignisse Remotely Operated Vehicle Rheinisch-Westfälisch Technische Hochschule Strahlungsantrieb Synthetik-Apertur-Radarsystem EWS-Projekt im FuE-Programm GEOTECHNOLOGIEN Soil Moistrure and Ocean Salinity Images for Vegetation Submarine Gashydrat-Lagerstätten Sensor Web Enablement TerraSAR-X add-on for Digital Elevation Measurements Radarsatellit The Economy of Ecosystems and Biodiversity Transport Layer Security Thematic Mapper Hyoger Framework for Action United States Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen Web-Processing Services
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Anhang – GEOTECHNOLOGIEN Science Report Reihe
No. 1 Gas Hydrates in the Geosystem – Status Seminar, GEOMAR Kiel, 6–7 Mai 2002, Programm & Abstracts, 151 Seiten.
No. 9 1. French-German Symposium on Geological Storage of CO2, Juni 21./22. 2007, GeoForschungsZentrum Potsdam, Abstracts, 202 Seiten.
No. 2 Information Systems in Earth Management – KickOff-Meeting, Universität Hannover, 19 Februar 2003, Projekte, 65 Seiten.
No. 10 Early Warning Systems in Earth Management – Kick-Off-Meeting, Technische Universität Karlsruhe, 10 Oktober 2007, Programm & Abstracts, 136 Seiten.
No. 3 Observation of the System Earth from Space – Status Seminar, BLVA Munich, 12–13 Juni 2003, Programm & Abstracts, 199 Seiten. No. 4 Information Systems in Earth Management – Status Seminar, RWTH Aachen University, 23–24 März 2004, Programm & Abstracts, 100 Seiten. No. 5 Continental Margins – Earth’s Focal Points of Usage and Hazard Potential – Status Seminar, GeoForschungsZentrum (GFZ) Potsdam, 9–10 Juni 2005, Programme & Abstracts, 112 Seiten. No. 6 Investigation, Utilization and Protection of the Underground – CO2-Storage in Geological Formations, Technologies for an Underground Survey Areas – Kick-Off-Meeting, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) Hannover, 22–23 September 2005, Programm & Abstracts, 144 Seiten. No. 7 Gas Hydrates in the Geosystem – The German National Research Programm on Gas Hydrates, Results from the First Funding Period (2001–2004), 219 Seiten. No. 8 Information Systems in Earth Management – From Science to Application, Results from the First Funding Period (2002–2005), 103 Seiten.
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No. 11 Observation of the System Earth from Space – Status Seminar, 22–23 November 2007, Bavarian Academy of Sciences and Humanities, Munich, Programm & Abstracts, 194 Seiten. No. 12 Mineral Surfaces – From Atomic Processes to Industrial Application – Kick-Off-Meeting, 13–14 Oktober 2008, Ludwig-Maximilians-Universtität, München, Programm & Abstracts, 133 Seiten. No. 13 Early Warning Systems in Earth Management– Status Seminar, 12–13 Oktober 2009, Technische Universität München, Programm & Abstracts, 165 Seiten. No.14 Die geologische Speicherung von CO2 – Aktuelle Forschungsergebnisse und Perspektiven, Koordinierungsbüro GEOTECHNOLOGIEN Potsdam, 2009 140 Seiten. No. 15 Early Warning Systems for Transportation Infrastructures, Workshop 9-10 Februar 2009 Fraunhofer IITB Karlsruhe und Karlsruhe Institut für Technologie, KIT. Programm und Abstracts, 160 Seiten.
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Notizen
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Herrenknecht AG
Kontakt: Dr. Ute M端nch Koordinierungsb端ro GEOTECHNOLOGIEN Telegrafenberg, 14473 Potsdam Tel. 0331-288 10 71 geotech@geotechnologien.de www.geotechnologien.de
Zukunftssicherung f端r Mensch und Erde Konzeption zur Weiterentwicklung des geowissenschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsprogramms GEOTECHNOLOGIEN des Bundesministeriums f端r Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)