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Ehrlichkeit Mut zur

„Danke für deine Offenheit.“ Diese Worte habe ich im vergangenen Jahr mehrfach gehört. „Dass du so offen über deine Kindheit und deinen Weg berichtest, macht Mut“, schrieb mir eine Frau aus unserem freien Redaktionsteam zu meinem Artikel in der letzten Lydia. „Weil Sie in Ihrem Vortrag so offen waren, fühle ich mich jetzt nicht mehr so allein mit dem Thema“, sagte eine junge Frau, nachdem ich über meine Kindheit in einer Alkoholiker-Familie gesprochen hatte. Ja, ich habe mich entschieden, offen von mir zu erzählen. Denn ich bin überzeugt, dass wir einander helfen können, wenn wir ehrlich sind. Wer sich öffnet und andere in das eigene Herz schauen lässt, bleibt nicht allein mit den Selbstzweifeln, der Angst zu versagen, nicht zu genügen oder etwas falsch zu machen.

Leider hat es sich in manchen christlichen Kreisen eingeschlichen, eine fromme Fassade aufrechtzuerhalten. Da fährt man sonntags in den Gottesdienst und setzt ein strahlendes Lächeln auf – obwohl es kurz vorher in der Familie richtig gekracht hat. Aber darüber reden wir nicht, denn wir denken, bei den anderen läuft es besser. Wir möchten uns keine Blöße geben, uns nicht mit unserem Versagen zeigen. So gerne wollen wir alles richtig machen, die Dinge geregelt bekommen und von Erfolgen statt von Misserfolgen erzählen.

Ich kenne diese Idee, das, was schlecht läuft, für mich zu behalten. Seit meiner Kindheit war ich es gewohnt, wenig über mich und meine Familie zu reden. Da gab es diesen unausgesprochenen Auftrag, nicht über manche Dinge zu sprechen. Als mir diese Haltung bewusst wurde, habe ich Schritt für Schritt geübt, mich zu öffnen, andere in mein Leben blicken zu lassen und die Dinge ehrlich zu benennen. Ich finde es wohltuend, meine Sorgen mit jemandem zu teilen. Dann verlieren sie an Gewicht.

Wir schaden uns selbst und einander, wenn wir das Bild eines perfekten Lebens aufrechterhalten wollen, das keiner wirklich leben kann. Und Gott können wir sowieso nichts vormachen.

Es ist eine Herausforderung, persönliche Dinge preiszugeben oder sogar öffentlich zu machen, wie das viele unserer Leserinnen tun. Und ja: Es wäre manchmal schöner, wir könnten Erfolgsgeschichten teilen, könnten von Heilungen und Wundern erzählen statt von Misserfolgen, Selbstzweifeln und Überforderung. Manchmal können wir das auch – aber manchmal auch nicht.

Unsere Titelfrau Kerstin Wendel hat erlebt, wie gut Unterstützung von anderen in Zeiten war, in denen sie sich schwach fühlte. Davon erzählt sie im Interview ab Seite 6.

Lassen Sie uns gemeinsam 2023 zu einem Jahr der Offenheit machen! Einem Jahr, in dem wir gut miteinander umgehen, einander Anteil geben und uns gegenseitig unterstützen. Vielleicht möchten Sie sogar Ihre Geschichte an Lydia schicken, um sie mit anderen Leserinnen zu teilen?

Ich wünsche Ihnen wertvolle Erkenntnisse und Inspirationen beim Lesen – und die tröstliche Erfahrung, dass Sie mit Ihren Problemen nicht allein sind.

Ellen Nieswiodek-Martin

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