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Impulskontro�e

Impulskontro�e

Die Brote, die Judith Lehnhardt herstellt, sehen aus wie Kunstwerke – Blumenranken oder gra sche Muster verschönern die Ober äche. „Ich kann nicht anders, als jedes Brot zu verzieren“, sagt die 40-Jährige. Angefangen hat alles, als es in der Coronazeit keine Hefe gab und sie lernte, für ihre Familie Sauerteigbrot zu backen. Die Großfamilie ist wichtig für Judith, denn ohne die Unterstützung ihrer Eltern wäre ihr Leben wohl schwieriger verlaufen.

Judith, hast du dich immer schon fürs Backen interessiert?

Meine Oma hat ihr Leben lang mit Sauerteig gebacken, bis sie weit über neunzig war. Sie hat die ganze Familie versorgt. Ich habe schon immer gerne gebacken, aber das Brotbacken habe ich tatsächlich nicht von ihr gelernt, sondern mir alles in der Coronazeit selbst beigebracht, durch Videos und Blog-Artikel. Es gibt eine Fülle an Wissen im Internet. Meine Oma ist inzwischen leider verstorben.

Wie kamst du auf das Sauerteigbrot?

In der Coronazeit gab es eine Zeit lang keine Hefe. Aber Mehl und Wasser hatten die Leute. So ist der Trend mit dem Sauerteigbrot entstanden. Auch ich war den ganzen Tag zu Hause und hatte total Lust, das mit dem Backen auszuprobieren. Zuerst habe ich mir den Sauerteig gezüchtet und dann angefangen mit Roggenbrot. So hat es sich nach und nach entwickelt.

Was ist das Besondere am Sauerteig?

Mich fasziniert immer wieder das Prinzip dahinter – ein Teig, der immer weiterlebt. Ein Sauerteig besteht nur aus Mehl und Wasser. Mehr ist nicht drin. Die Triebkraft kommt durch ihre Verbindung. Für mich ist das wie ein Wunder! Es sind nur diese wenigen Zutaten drin, und ich weiß, wo sie herkommen. Das gibt mir ein gutes Gefühl, dass ich damit meine Familie versorgen kann.

Laut der Bibel sollen an manchen jüdischen Festen, zum Beispiel dem Pessach-Fest, nur ungesäuerte Brote gegessen werden, also Brote ohne Sauerteig. Hast du eine Idee, warum das so ist?

Das Backen mit Sauerteig erfordert sehr viel Zeit. Sauerteigbrot muss die ganze Nacht reifen. Die ungesäuerten Brote musste das Volk Israel herstellen, weil die Menschen nicht so lange Zeit hatten, als sie bei der Flucht aus Ägypten Hals über Kopf das Land verlassen mussten.

Weil heutzutage die Bäcker das Brot nicht mehr so lange stehen lassen, gibt es übrigens viele Unverträglichkeiten. In der Lebensmittelindustrie und bei industriell hergestellten Broten muss alles schnell gehen. Durch die lange Teigführung, also das Gären über Nacht im Kühlschrank, wird ganz viel von dem, was einige Menschen nicht vertragen, abgebaut. Sauerteigbrote sind unfassbar bekömmlich und darmfreundlich. Ich habe das getestet bei Leuten, die sonst massive Probleme haben und sagen, sie vertragen keinen Weizen. Die können alle mein Brot essen. Natürlich nicht Menschen, die eine Zöliakie haben, das ist etwas anderes.

Eigentlich bist du Fremdsprachenkorrespondentin. Inzwischen stellst du richtige Brotkunstwerke her. Wie kamst du auf die Idee, die Brote so kunstvoll zu verzieren?

Ich habe auf Instagram verzierte Brote gesehen und fand sie so faszinierend, dass ich auch welche machen wollte. Die Freude am Verzieren war von Anfang an da. Vorher bin ich immer auf der Suche nach meinem Talent gewesen. Ich habe Menschen beneidet, die irgendetwas richtig gut konnten. Ich hatte das nicht gefunden. Und in den vergangenen zwei Jahren ist es mir geschenkt worden. Ich möchte einfach schöne Brote backen! Mein Beruf hat mir zwar auch Spaß gemacht, aber diese Leidenschaft habe ich erst jetzt mit dem Brot entdeckt. Das hat mich richtig gepackt.

Du teilst inzwischen selbst deine Erfahrungen im Internet …

Es gibt bei Instagram eine große internationale Community, in der man Erfahrungen und Tipps teilt. Darüber habe ich selbst viel gelernt. Im Januar 2021 habe ich auf Instagram meine eigene Brot-Seite bread_spiration erstellt, auf Englisch. Der Account ist dann stetig gewachsen.

Das Internet und die Möglichkeit von Onlinekursen bieten viele Möglichkeiten für die Brotkunst. Ich kenne

Mach‘s wie Oma!

Mein Traum vom einfachen Leben

Von Veronika Smoor

Ich bin weit davon entfernt, eine Großmutter zu sein. Hoffentlich. Aber vor einigen Jahren bin ich auf den Geschmack feiner Großmutterqualitäten gestoßen und pflege seitdem meine „innere Oma“. Ich bleibe am Abend nicht mehr zwanghaft so lange auf, bis ich das Gefühl habe, die Zeit, welche ich tagsüber mit Haushalt, Job und Kindern verbracht habe, aufgewogen zu haben. Nein, ich gehe zu einer vernünftigen Zeit ins Bett – bei mir ist das 22 Uhr. Ich habe Vergnügen am Stricken, Gärtnern und Quilten gefunden. Als mich meine amerikanische Freundin besuchte und in meinem Arbeitszimmer einen angefangenen Quilt entdeckte, lachte sie: „Das machen bei uns nur die Omas!“

DER GRANNY-PRAGMATISMUS

Irgendwann im letzten Jahrhundert ist die Wissenskette gerissen. Anstatt von den Alten zu lernen, belächelten wir sie und begruben den uralten, von Generation zu Generation transportierten Wissensschatz unter Fertigprodukten und dumpfer Berieselung. Aber mit dem Verlust des alten Wissens sind uns gute Werte aus den Händen geglitten: Bescheidenheit, Nachbarschaftshilfe, Treue, Nächstenliebe.

Ich möchte das Leben unserer Vorfahren nicht romantisieren. Für einige moderne Neuerungen bin ich überaus dankbar. Aber eines hatte die alte Generation uns voraus: Sie war nicht von unzähligen Auswahlmöglichkeiten und Selbstoptimierungsappellen überwältigt. Sie litt weniger an der Epidemie der Einsamkeit. Perfektionismus war ein Fremdwort, genauso wie entfesselter Konsum und Leben über die eigenen Verhältnisse.

Ohne das alte Wissen haben wir kein Handwerkszeug, um den Krankheiten unserer Zeit zu begegnen. Dieses Handwerkszeug nenne ich „Granny-Pragmatismus“ – OmaPragmatismus. Moderne Bewegungen wie Achtsamkeit, Digital Detox, Gemeinwohlökonomie und Slow Living kann man allesamt im Granny-Pragmatismus verorten. Er hat folgende Kennzeichen:

• Nutze, was du hast.

• Sei zufrieden mit dem, was du hast und wer du bist.

• Kaufe nur, was du wirklich brauchst und in der besten Qualität.

• Gehe behutsam mit den Dingen, Menschen und der Natur um.

• Sei ein guter Nachbar.

• Kultiviere Freude an den einfachen Dingen.

IM RHYTHMUS DER JAHRESZEITEN

Meine Großmütter kenne ich nur aus Erzählungen und von Bildern. Eine von ihnen war eine imposante Gestalt. Zeitweise geplagt von Depressionen, führte sie einen Gutshof, überdauerte finanzielle Engpässe, zog zwei Kinder groß und starb mit Ende sechzig. Die andere Großmutter verwandelte sich von einer gesunden Stadtpflanze zur mittellosen, ausgezehrten Flüchtlingsfrau. Sie bewältigte unaussprechliche Strapazen mit drei kleinen Kindern und starb kurz nach dem Krieg an Tuberkulose.

Meine Mutter, das ehemalige Flüchtlingskind, hat mich spät bekommen. Deshalb wuchs ich anders auf als meine Mitschüler. Wer einmal Hunger und Not erlebt hat, wirtschaftet anders. Während andere Kinder in der Pause eine Milchschnitte, ein „BiFi“ und „Capri-Sonne“ aus ihrem nagelneuen „Scout“-Ranzen angelten, holte ich verschämt meine Dose mit einer Vollkornschnitte und einen Becher mit selbst gepresstem Apfelsaft aus meinem alten Lederranzen.

Den Sommer verbrachte ich im Garten, erntete Erdbeeren und verkochte sie literweise zu Marmeladen. Im Frühjahr pflückten wir Brennnesseln für Ersatzspinat und Kräuter gegen verschiedene Unpässlichkeiten. Mit Kuchen wurde ich zur kranken Nachbarin geschickt und zum Spielen immer nach draußen. Am Sonntag ruhten wir uns wie der Schöpfer aus. Das Leben fügte sich in den Rhythmus der Jahreszeiten. Und wenn das Leben schmerzhafte Bocksprünge machte, beteten wir.

Bei Mir Selbst Ankommen

Vor vierzehn Jahren wurde ich selbst Mutter. Ich war zutiefst glücklich und zufrieden, die ersten Jahre für Heim, Garten und Kinder zuständig sein zu dürfen. Das eröffnete mir neue, ungeahnte Handlungsspielräume.

Ich legte ein kleines Kräuterbeet an, nähte einfache Kleidchen für meine Mädchen aus alten Bettbezügen, buk mein erstes Brot, das meine Familie mit höfl icher Tapferkeit verzehrte, mixte Reinigungsmittel aus Soda und Seife, stopfte Löcher in Hosen und Socken. Und mit dem Flicken der Jeanslöcher reparierte ich das löchrige alte Band der Wissenskette, das ich einst achtlos weggeworfen hatte.

Später baute ich mir eine Selbstständigkeit als Fotografin und Autorin auf, sodass ich weiterhin in freier Zeiteinteilung von zu Hause aus arbeiten konnte. Die Erwerbsarbeit taktete ich so, dass Zeit blieb fürs Brotbacken und Gärtnern, fürs Haushalten und Putzen, für Kinder und Freunde. Mit dem „Homemaking“ verdiene ich nichts im finanziellen Sinne, aber genau diese Tätigkeiten machen mich reich. Seitdem ich „Granny-Skills“ in meinem Leben kultiviere, komme ich bei mir selbst und in diesem Leben an.

EIN SICHERER ORT, DER LEBEN SPENDET

Das englische Wort „Homemaking“ klingt so viel schöner als das deutsche Wort Hausarbeit, nicht wahr? Es fügt der strengen deutschen Hausfrauen-Gründlichkeit eine verspielte Komponente hinzu: das bewusste Gestalten eines Ortes mit allen Sinnen. Ein Ort, der heilt: uns. Unsere Beziehungen. Unsere Beziehung zur Erde.

Manchmal beobachte ich die genügsame Lebensweise der Alten. Die eine stille Zufriedenheit ausstrahlen trotz allem Unfertigen, trotz mancher Schicksalsschläge. Denen dieser eine Tag genügt. Eine gute Mahlzeit, ein Buch und eine Stunde im Garten. Wie anders sähe wohl die Welt aus, wenn viel mehr Menschen so leben und handeln würden? In stiller Zufriedenheit. Nicht, weil sie alles haben. Sondern weil sie mit den Unfertigkeiten des Lebens versöhnt sind. Sie sind mit Fähigkeiten ausgestattet, die ihnen größere Unabhängigkeit verschaffen. Wenn etwas kaputtgeht, wissen sie, wie man es repariert. Sie haben nicht nur sich selbst, sondern auch den Nachbarn mit im Blick.

Inmitten dieser harten und unsicheren Welt brauchen wir alle einen Platz, an dem wir weich landen. Ein Zuhause, einen sicheren Hafen. Unser Zuhause ist die Basis, wo wir in Aktion treten und Veränderung bewirken können. Wo wir uns der Schöpfung zuwenden, indem wir gärtnern, Vorräte anlegen, Beziehungen pflegen, Zeit und Liebe in unsere Kinder investieren, Nachbarschaftshilfe leisten, uns weiterbilden, aktiv Müll reduzieren, Ausgaben kontrollieren. In unseren Häusern, Wohnungen, Nachbarschaften können wir eine lebensspendende Ökonomie aufbauen.

Auf dieser Seite schreibt Saskia Barthelmeß über Schönes und Schweres und alles dazwischen.

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