3 minute read
Ident�ät
Mein Weg vom „kleinen Jungen“ zur erwachsenen Frau
Katja Weber
Vor einigen Jahren ging es mir körperlich und seelisch sehr schlecht. Grund für meine schlechte seelische Verfassung war zum einen eine tiefgreifende Erschöpfung aufgrund einer chronischen Erkrankung, zum anderen der Beginn einer christlichen Psychotherapie, denn dieser Prozess kostete mich viel Kraft.
Voller Zweifel, Angst und Unruhe hatte ich mich zu der Therapie angemeldet. Ich konnte mich nicht gleich öffnen. Das sehe ich erst rückblickend, denn bis dahin hatte ich mich für eine sehr offene Frau gehalten. Nach einigen Therapiestunden kam mein erster psychischer Absturz: Wir sprachen über meine Pubertät, also die Zeit, in der ich vom Mädchen zur Frau hätte reifen können. Während die Therapeutin ein paar Stichworte in den Raum warf, spürte ich, wie ich innerlich zusammensackte. Das Einzige, was ich fühlte, war: Leere. Gähnende Leere! Ich merkte, dass einiges in meiner Seele nach oben drängte, das ich nicht wieder verbuddeln wollte. Stattdessen spürte ich eine starke Sehnsucht, Licht in die Dunkelheit kommen zu lassen. Irgendwo in meinem Leben hatte es einen Filmriss gegeben. So, als wenn jemand eine andere Spule eingelegt hätte. In mir erwachte die Sehnsucht, den alten Film wieder einzulegen und weiterspielen zu lassen.
Ich glaube, dass das ein heiliger Moment war.
ICH – EIN KLEINER JUNGE?
Wie war der Film meines Lebens nach dem Riss weitergelaufen? Welche Rolle hatte ich, die Hauptdarstellerin, darin gespielt?
In einem längeren sehr schmerzhaften Prozess erkannte ich mich in der Rolle eines kleinen Jungen. Was? Bin ich das wirklich? Will ich das sein? Deshalb also dieses unglaublich starke Gefühl von Leere, als es um das Thema Frausein ging! Damit stand ich vor zwei Worten, die mich sehr herausforderten: „Du bist klein und männlich!“ Anfangs hatte ich noch keine Ahnung, was es für mich bedeuten würde, mich damit zu beschäftigen. Ich spürte nur abgrundtiefen Schmerz, Schock, Entsetzen: Was war in unserer Familie und dadurch in meinem Leben schiefgegangen?
Wohlgemerkt, ich war zu dem Zeitpunkt meiner Therapie längst körperlich erwachsen. Ich war verheiratet und Mutter.
Das erste Stichwort – „klein“ – zeigte mir, dass nun ein Prozess vor mir liegen würde. Ich wollte nicht mehr klein sein. Ich wollte groß werden! Am liebsten sofort. Nicht überdimensional oder größenwahnsinnig. Aber ich wollte gern die seelische Größe eines Erwachsenen erreichen. Unter anderem hieß das für mich, eine schonungslose Selbsterkenntnis zuzulassen: Wo und wie mache ich mich klein? Lasse ich Menschen über mich herrschen? Wie kann ich es schaffen, ihnen diese Rollen nicht mehr zuzuweisen? Stark, groß, selbstständig und verantwortungsbewusst wollte ich werden. Ich ahnte nicht, dass dies ein Weilchen dauern würde.
Das zweite Stichwort – „Junge“ –offenbarte mir nach und nach einen enormen seelischen Schmerz. Ich erkannte, dass ich mich unbewusst stark von meinem Vater hatte prägen lassen. Das lag zum einen daran, dass er aufgrund einer schwierigen Ehebeziehung eine ungesunde Nähe zu mir hatte, zum anderen daran, dass die Beziehung zu meiner narzisstischen Mutter problematisch war, was mir bis dahin nicht bewusst gewesen war. Ich hatte mich übermäßig zu meinem Vater hin orientiert. Er bildete die Identifikationsfläche für mich, wie man leben konnte. So wurde ich ein aktiver, leistungsstarker, harter, initiativer, verantwortungsbewusster, sich selbst überfordernder Junge. Passive Reaktionen, bedient oder gar umworben werden wollen, weiche Züge und Verhaltensweisen, zarte Farben – all das hatte ich instinktiv abgelehnt. Ich kleidete mich von Jahr zu Jahr unvorteilhafter. Ich rutschte immer tiefer in einen Selbsthass und eine Selbstverachtung hinein. Aufgrund der Hassliebe zu meiner Mutter wollte ich ihr auf keinen Fall in irgendeiner Weise ähnlich sein, und sie kümmerte sich ständig um ihr Aussehen. Dabei war es mir gelungen, all das recht gut zu kaschieren. Es war also beispielsweise nicht so, dass ich keinen Schmuck getragen oder keinen Rock angezogen hätte. Aber der Schmuck stand mir nicht, und der Rock war ein Hosenrock ... Die Frau, die im übertragenen Sinn gern die Hosen anhatte.
MEIN LANGER WEG ZUR WEIBLICHKEIT
Heute weiß ich: Ich brauchte eine weibliche Identifikationsfigur. Eine Frau, die mir liebevoll und unaufdringlich die Möglichkeit gab, nach dem Filmriss die alte Spule wieder einzulegen und mein Leben anders weiterzudrehen. In meiner Therapeutin hatte ich genau diese Person gefunden. Man nennt das in der Psychotherapie „Übertragung“. Es ist eine Methode, die verantwortlich eingesetzt werden kann, um seelische Schäden zu heilen. Dabei darf eine andere Person als Mutter oder Vater „adoptiert“ werden. Mein Filmriss hatte sehr, sehr früh im Leben stattgefunden. Dementsprechend umfassend war mein „Werde-Weg“, den ich zu gehen hatte.
Rückblickend betrachte ich es als ein Geschenk von Gott, das er von langer Hand vorbereitet hatte. So lernte ich im Zusammensein mit ihr oft weniger durch Worte, häufiger aber durchs Zuschauen. Ihre Gesten, ihre Verhaltensweisen, ihre Lebenswerte – all das prägte mich auf einer tiefen Ebene. Wenn ich oben einige Aspekte des Frauseins erwähnt habe, so ist das ja schwierig. Sehr schnell klingen Klischees an, was typisch weibliche Eigenschaften seien …Vielleicht möchte man daraufhin widersprechen.
Mir geht es hier nicht um Verallgemeinerungen und Festlegungen. Denn man kann sich beispielsweise sehr gut als Frau fühlen, ohne irgendwelchen Schmuck zu tragen. Es geht mir darum, meine persönliche Geschichte zu teilen, das, was ich für mich als wesentlich erkannt habe. Verhaltensweisen, Gesten, Wesenszüge, die ich gern in meine Identität integrieren wollte.
VOLLER HOFFNUNG WEITERGEHEN
Ich bin mir sicher, dass es an dieser Stelle des therapeutischen Prozesses auch andere Möglichkeiten gegeben hätte. Das für mich Einfachste wäre gewesen, das Ganze