"getting-up" in Kunsttermine #4 / 2005

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thema getting-up · FARBGERUCH IN DER LUFT Die Malerei boomt. Doch die gekonnten Bilder sind formal oft akademisch. Gibt es denn nichts Neues mehr im Kunstbetrieb? Kurz vor der Autobahnauffahrt, an den Elbbrücken in Hamburg, steht inmitten der Verkehrsströme ein übrig gebliebenes Haus. Dort haben vier junge Künstler ihr Atelier, die aus anderen Quellen und Kontexten als der Akademie schöpfen: Es sind Sprayer. Oder besser formuliert, die künstlerische Arbeit der Gruppe getting-up ist wesentlich durch die Sprühdose geprägt und im Kontext der Graffiti-Szene gewachsen.

›DAIM - cold mountain view‹ | Sprühlack auf Leinwand | 140x240 cm | 2005 | Foto: Cecil Arp

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EINE JUNGE SZENE AUF DEM WEG IN DEN KUNSTBETRIEB Aber verdienen die aus einer Sprühdose kommenden Bilder den Namen Kunst? Irritiert dieser Begriff nicht gleichermaßen traditionelle Kunstfreunde wie Insider-Szene? Der bürgerliche Sammler fürchtet um die Sauberkeit seiner Liegenschaften und die Künstler verlieren gegenüber ihren Kollegen ihren mühsam illegal erworbenen Ruhm. Doch es scheint an der Zeit, den Streit um Zuordnungen zu beenden. Kunst ist keine absolute Qualität, sondern ein spezielles Bezugsfeld. Warum nicht diese frisch gesprühten Arbeiten als eine schöne Kunst betrachten? So wenig ein Ölbild hinreichend damit beschrieben ist, das es eben ein Ölbild ist, so wenig gleichen sich Graffitis. Bei den einfachen Namenskürzeln, den ›Tags‹, gibt es raffiniert verdichtete Zeichen, die sich mit der Kalligraphie messen. Und bei den ›Pieces‹, den großen, farbigen Arbeiten, gibt es trostreiche Eingriffe an trostlosen Orten, an denen die brutal auf Dauer gestellte Rücksichtslosigkeit der Architekten bei weitem die der Sprüher überschreitet. Da kämpft dann eine drei Euro Sprühdose gegen ein dreißig Millionen Euro Gebäude. Wenn der Sprüher radikal genug ist, kann er diese Konfrontation ästhetisch gewinnen.

›Heiko Zahlmann - destroyline‹ | Sprühlack auf Beton | 99x330 cm | 2005 | Privatsammlung Hamburg

So dominant Tags und Pieces in der urbanen Realität auch wirken: ihre Provokation besteht mehr in ihrer Existenz als in ihrem Inhalt. Denn die kunstvoll geformten Botschaften können die meisten nicht lesen. Die Leistungen der Sprayer sind vergleichsweise hermetische Botschaften: sie sind primär an Insider gerichtet und sollen als sportlich verstandenes Überschreiten von Grenzen ›fame‹ (Anerkennung) in der eigenen Subkultur erbringen. Sicher, das illegale Sprühen ist auffällig und es bleibt die ›Schule‹ aller Sprayer. Aber die vier Künstler der Ateliergemeinschaft getting-up, Christoph Hässler, Gerrit Peters, Mirko Reisser und Heiko Zahlmann sind keine verwegenen Kids im Straßen-Bilder-Kampf mehr. Sie sind international vernetzte Profis der visuellen Produktion, die sich anschicken, in unterschiedlicher Weise auch die Kunstorte, Privatsammlungen und selbst die art cologne zu erobern.


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thema Die Leinwandbilder von Mirko Reisser alias DAIM sind das gemalte Abbild eines ›wilden Styles‹ der Straße, sie sind aber in den Drippings auch nicht ohne Referenz auf das Malerische. Was stellen diese mit souveräner Geste direkt aus der Dose gesetzten Bilder eigentlich dar? Die Farbformen, die wie freie Malerei erscheinen, sind in immer neuen Abwandlungen die Buchstaben seines Namens DAIM: verschachtelt, verbogen und ineinander geschoben. Die illusionistische 3D-Schrift sprengt die räumliche Vorstellung: Es ist nicht einfach, die explosiv Raum gewordenen Schriftelemente im Detail nachzuvollziehen. Die Volumen beschreiben eine Bewegung im imaginären Raum und sind doch immer zugleich in ein Metazeichen zurückgebunden, den Schriftzug als Logo. Für die Energien solcher klassischer Spray-Pieces gibt es wenig Parallelen in der Kunstgeschichte, am ehesten sind es die dynamischen Formen des italienischen Futurismus, wie die plastischen Fassungen eines dynamischen Raumes bei Fortunato Deperos ›abstrakten Formen‹ von 1915 oder einzelne Formelemente bei Giacomo Balla oder beim Prager Frantisek Kupka. Auch damals suchte eine provokante Kunst für neuen Aufbruchsgeist nach bildnerischen Formen. Mirko Reisser selbst bezieht sich in einem nicht flächig illusionär, sondern aufgelöst gestrichelt gesprühten Graffiti sogar auf die Malweise des Impressionismus eine Aktualisierung, die anmutet, als wäre der ruhelose Geist von van Gogh in eine Sprühdose gefahren.

›DAIM -metal red‹ | Sprühlack auf 2 Leinwände | 160x280 cm | 2005 | Foto: Cecil Arp | Christian Hoste, München ·3


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Nicht explosiv, sondern langwierig und meditativ entwirft Heiko Zahlmann alias Daddy Cool seine labyrinthischen Schriftzüge als präzise Architektur und nicht selten in Zusammenarbeit mit Architekten. Inzwischen erweitert er sein Thema mit ›Graffitis ohne Graffiti‹: Mehr und mehr entzieht er den Buchstabenräumen die markante Farbigkeit. Seine Arbeiten werden monochrom schwarz oder weiß und die bisher illusionistisch gefassten Formüberlagerungen erobern plastisch ganz real den Raum. Für eine Ausstellung in Halle K3 auf Kampnagel in Hamburg im Frühjahr 2005 baute er ein 4-fach geschichtetes, monochromes Groß-Relief. Es wurde zusätzlich zu der aus seinen Schriftzügen abgeleitete Rhythmik durch die überlagernden Schatten des vor Ort gegebenen Lichtes dynamisiert. Die an der Architektur gewonnene Sprayersensibilität formulierte dabei nicht eine Ergänzung, sondern eine Eigenständigkeit als ArchitekturElement. Hier sind zwei Charakteristika der Sprühdose aufgehoben: Die perspektivisch genau berechnete, harte Form - sie ist zur plastischen Dreidimensionalität geworden, und die typischen nebeligen Übergänge - sie sind an das in der Dreidimensionalität wirkende Spiel von Licht und Schatten abgetreten. So werden von einem ganz anderen Ansatzpunkt aus suprematistische Formen eines El Lissitzky sowie Abstraktionen der späten 50er Jahren mit neuer Energie wieder belebt. Während Heiko Zahlmann sich mit dieser Reliefstruktur weit von den Graffiti-Ursprüngen entfernt und Formen erstellt, die Jüngere vielleicht schon wieder zum Besprühen reizen würden, kehrt er in anderen Arbeiten zu den Wurzeln zurück und erweist seine Reverenz den einfachen Markierungen. Auf dem ›richtigen‹ Material Beton, aber als gegossene Tafeln im neutralen Ausstellungsraum isoliert, vermittelt sich die Kraft der Setzung, die schon ein bloßer Strich erreichen kann.

›Heiko Zahlmann - relief‹ | 4-D Installation | 410x700 cm | 2005 4·


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thema Vor etwa 21 Jahren gab es in München das erste deutsche Graffiti auf einem S-Bahn-Zug. Wenn Gerrit Peters alias Tasek eine Installation mit Teilen einer Hamburger S-Bahn baut, ist das mehr als eine Hommage daran. Eine solche Installation zeigt das Bahnfahren in den Metropolen als eine Form der realen Bewegung in der Informationsflut einer schrift-dominierten Welt zwischen Graffiti und dem ebenso aggressiven Überschreiben der Stadt mit den Logos und den Tafeln der Produktwerbung. Auch in seinen typographischen Bildlandschaften bietet sich den Betrachtern ein urbaner Metatext, lesbar auch als Analogie zum Navigieren durch die Welt der vernetzten Computer. Gerrit Peters gibt dem ›Fensterblick aus der S-Bahn‹ folgerichtig den Titel ›Screensaver‹. Zeitungen und Aufschriften, Gebote und Verbote, Graffiti und Werbebotschaften sind eine derartig überwältigende Textmenge, dass sie über ihren jeweiligen Zweck hinaus einen urbanen Hypertext bilden. Diese Vertextlichung der Welt ist keine nur in Sprüherkreisen verbreitete Erkenntnis: Gerrit Peters zitiert bewusst den niederländischen Architekten-Theoretiker Rem Kohlhaas und dessen Essay ›Junkspace‹.

›TASEK - raum‹ | 210x130 cm | 2005 ›TASEK - minimal‹ | 210x130 cm | 2005 Mischtechnik, Siebdruck, Sprühlack, Dispersion auf Leinwand ·5


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Auch Christoph Hässler alias Stohead reflektiert den urbanen Raum kritisch. In seinen, fast collagenartig mit sehr unterschiedlichen styles gefüllten Tafeln fungieren die Wörter als Platzhalter für die Logos der Werbung. Aber bei ihm tauchen in und unter der Schrift seltsame Wesen auf, mensch-tierische Mischgestalten, dem Comic entflohen oder vom Alltag deformiert. Christoph Hässler baut die von ihm erfundenen ›Charaktere‹, wahnwitzige Katzen und andere Geister, auch dreidimensional, als CollectorItems und als große Figuren. In einer seiner Installationen kniet in brauner Kutte ein halbtechnoides Wesen, mit Atemschutz und Brille seinen Sprayer-Ahnen ein wenig ähnlich, und betrachtet mit einer Mischung aus Trauer, Bewunderung und Demut den Rest eines anscheinend natürlichen Blütenzweiges. Vielleicht trauert es, weil in seiner Welt natürliche Pflanzen chancenlos geworden sind - es könnte eine Erinnerung und ein Abschied sein. Dahinter ist das versprayte Zimmer dieser gewiss auch ironischen Figur zu sehen: eine Geschichte aus der Zukunft oder aus einem Sprayer-Albtraum. ›STOHEAD - geiger‹ | Hartschaum | Höhe ca.100 cm | 2005 | Privatsammlung Hamburg

Künstler verdichten ihre spezielle Arbeitsweise mit Hilfe von Professoren, Kritikern, Galeristen und Sammlern zu einer für den Markt bemerkbaren Marke. In der Graffiti-Szene aber müssen die einzelnen Individuen aus der Anonymität heraus ihre Wiedererkennbarkeit durch eine persönliche Handschrift erkämpfen. Deshalb reden Graffiti-Künstler auch so viel von Stil, den individuellen ›styles‹. Dabei ist ›Handschrift‹ hier nicht metaphorisch gemeint. Wie sonst nirgends untersucht Graffiti-Kunst wesentlich die Möglichkeiten der Schrift. Obwohl auch Figürliches vorkommt oder Schablonen eingesetzt werden, ist die Basis des Graffitis die aus der Dose freihändig gesetzte, durch lange Übung zum Zeichen verdichtete Schrift. Dabei beherrschen die Sprüher zwei konträre Fähigkeiten: das genaue und langwierige Austüfteln in Zeichnung und Computergraphik und das souverän schnelle, spontane Umsetzen dieser Formen, ein Malen unter Körpereinsatz, das die Bilder quasi ertanzt.


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›STOHEAD - wrong‹ | Acryl auf Malkarton 30x40 cm | 2002 | Privatsammlung Hamburg

In dem besonderen Arbeiten an der Schrift geben Sprüher einer langen Tradition aktuellen Ausdruck. Heute werden weltweit nur noch wenige computerisierte Standartschriften vewendet, früher war es selbstverständliche Pflicht, seine Handschrift zu schulen. Schon in den Skriptorien des frühen Mittelalters wurden die Buchstaben zu artifiziellen Meisterwerken stilisiert: In den irischen Texten des 8./9. Jahrhunderts werden einzelne Buchstaben auf einer ganzen Buchseite derartig kompliziert ausentwickelt, dass zumindest in der Intensität, mit der sich da jemand einem Schriftzug widmet, eine Seelenverwandtschaft zu den Sprayern besteht. Der an sich willkürliche, arbiträre Buchstabe wird so im Gegensatz zu sener eigentlichen Funktion zu einem Teil dessen, was er eigentlich nur zu beschreiben hat, nämlich dem ganzen damals göttlich inspiriert gedachten Universum. So wird praktische, zu eindeutigem Bedeutungstransport geschaffene Schrift zu einem komplexen, sakralen Zeichensystem, so werden Glyphen zu Hieroglyphen. Ähnlich geht der Sprüher vor. Auch für ihn ist der Name mehr, als eine Bezeichnung. Er gibt ihm und der daraus abgeleiteten graphischen Kunst unter weitgehender Aufgabe der Lesbarkeit einen speziellen, unverwechselbaren Charakter als bildgewordenes hieroglyphische Metazeichen in einem unserer zahlreichen Paralleluniversen. :: Hajo Schiff ·7


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getting-up | ATELIERGEMEINSCHAFT 1999 von den Künstlern Mirko Reisser (DAIM), Heiko Zahlmann (DADDY COOL) und Gerrit Peters (TASEK) gegründet. Im Jahre 2000 kam Christoph Hässler alias STOHEAD dazu.

DAIM | Mirko Reisser | 1971

TASEK | Gerrit Peters | 1973

DADDY COOL | Heiko Zahlmann | 1973

STOHEAD | Christoph Hässler | 1973

AUSSTELLUNGEN 2005 pure edition | Art Cologne Smell of Paint in the Air | Westwendischer Kunstverein Gartow Passion des Sammelns | Sammlung Reinking / Ferderkiel, Baumwollspinnerei Leibzig Smell of Paint in the Air | K3 Kampnagel Hamburg Die Künstler werden von reinking-projekte, Hamburg vertreten http://www.getting-up.de

Portraitfotos © Andreas Bock, Hamburg 8·


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