GfM-Forschungsreihe 01/2015

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Forschungsreihe 01/2015

Globalview Unsere neue Weltordnung in Zahlen TREND REPORT 2015, zukunftsinstitut fr ankfurt


Dass alles gleichzeitig passiert, ist eine Binsenweisheit. Heute aber merken wir es, jeden Tag, jede Stunde und mit jeder neuen Nachricht. Die Welt nimmt eine neue Ordnung an. Sie wird multipolar und netzwerkartig. Wir werfen einen Blick auf den Stand des globalen Lebens: Wo verschieben sich die Kr채fte? Woran merken wir die Globalisierung, und wie kann Europa darauf reagieren? Die Zahlen zeigen es.

Lebenser war tung bei Gebur t 2012 (in Jahren) M채nner

gesunde Lebenser war tung 2012 (in Jahren)

Anstieg seit 1990

Frauen

Gesamt


Deutlich gestiegene Lebenserwartung Länder der Welt, in denen die Lebenser war tung im Zeitraum von 1990 –2012 um mehr als 10 Jahre gestiegen ist.

Liberia Malediven Äthiopien Kambodscha Ruanda Ost timor Niger Bhutan Eritrea Nepal Malawi Sambia Libanon Laos Madagaskar Südsudan Afghanistan Guinea Mali Türkei Iran Guatemala Bangladesch Bolivien

WELT 0 20 40 60 80 Jahre Quelle: W HO 2014


Die Welt wandelt sich und wird komplexer Das ist ein Gefühl, das jeder von uns als Privatmensch teilt. Es ist aber auch der Spiegel dessen, was Unternehmen sagen, wenn sie ihre Märkte und ihre Strukturen beschreiben. Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Zweideutigkeit. Die Militärs erfanden für diese Welt vor einiger Zeit die Abkürzung „VUCA-World“ (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity). Getreu der Erkenntnis, dass real in seinen Folgen wird, wovon Menschen glauben, dass es real ist (Thomas-Theorem, 1928), wird sie es auch tatsächlich: Denn was definitiv vielfältiger wird, ist die Möglichkeit, unsere Welt als maximal komplex zu erfahren. Wir verfügen über das umfangreichste Quantum an Information aller Zeiten – und jeder hat dauernd Zugriff auf (fast) alles.

Daher wird es für uns als Menschen, als Lenker und als Denker immer unmöglicher, den Überblick über „alles“ zu behalten. Der Preis des Megatrends Konnektivität ist der Zwang, mit Unsicherheit leben zu lernen. Wir müssen uns damit abfinden, immer nur einen Ausschnitt der Welt zu erfahren. Die Frage ist aber: Welche Ausschnitte erreichen uns? Was aus dem globalen Sturm der Gleichzeitigkeit sehen wir? Was bewerten wir oder unsere Medien als bedeutsam? Wie viel Globalisierung findet um uns herum statt, ohne dass es uns erreicht? Wir stecken mitten in einem Wandel der Weltordnung. Die Strukturen, nach denen die alte Ordnung aufgebaut war, werden in vielen Regionen und in unterschiedlichsten Bereichen herausgefordert, transformiert und um alternative Modelle ergänzt. Wir wollen einen Blick werfen auf diesen Wandel, ihn greifbar machen über Verläufe, statistische Entwicklungen, reale Zahlen zu weltweiten Phänomenen – und ihn einordnen in einen neuen, multiperspektivischen Blick auf die multipolare Welt um uns. In der öffentlichen Welt werden Diskurse zur Globalisierung meist mit einer voreingenommenen Haltung geführt. Oft wird die Globalisierung als ein einzelnes Phänomen behandelt, welches verantwortlich zeichnet für viele negative Effekte. Aber Globalisierung ist nicht ein Phänomen, sondern ein Cluster für unglaubliche viele einzelne Entwicklungen auf unserem Planeten, die letztlich dazu führen, dass wir mehr und mehr imstande sind, von jedem Ort der Welt aus die Welt als Ganzes zu betrachten. Sie zu erleben und zu erfahren. In keiner Zeit war das Gefühl, Teil eines Welt-Systems zu sein, so gegenwärtig wie heute. Wer billige Kleidung kauft, denkt heute die unfairen Arbeitsbedingungen mit, wer vegan lebt, transportiert die Massentierhaltung im Kopf, wer viel reist, spürt die schmelzenden Polkappen auf der Hotelrechnung. Die Globalisierung der Kommunikation lässt uns miterleben, was am anderen Ende der Welt abläuft.


Im Westen gibt‘s genug Internet

Größe des Online-Markts

Konsumentenverhalten*

Wachstumspotenzial

Infrastruktur

At traktivität des Internetmarktes

CHIN A JA PA N USA GROS SBRITA NNIEN SÜDKORE A DEU TSCHL A ND FR A NK REICH BR ASILIEN SING A PUR A RGENTINIEN RUS SL A ND VENE ZUEL A SCHWEIZ MA L AYSIA

*Dieser Teilaspekt des Index misst die Verbreitung von Internetzugängen, das Einkaufsverhalten der Konsumenten und die Empfänglichkeit der Konsumenten für neue technologische Entwicklungen. Quelle: AT Kearney 2014


Weniger Hunger in der Welt Zunahme und Abnahme des Hungers in der Welt 1991–2012 (Anteil unterernähr ter Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung) Land mit mehr als 25% unterernähr ter Bevölkerung in 2012 Keine Daten ver fügbar

Tschad Haiti Sierra Leone Liberia Zentralafrikanische Rep. Kongo Sambia Namibia

1991–

–9,1% weniger Hungerle +25%

+20%

+15%

+10%

+5%

0

-5%

+ In 84 Ländern weltweit ist der Anteil der unterernähr ten Bevölkerung um bis zu 50% gesunken In 27 Ländern gibt es bis zu 25% mehr Hunger leidende Menschen.

-10%


Tadschikistan

Nordkorea

Jemen Äthiopien Uganda Ruanda Tansania Mosambik

Ost timor

Simbabwe Madagaskar Botswana

–2012

ngerleidende weltweit -15%

-20%

-25%

-30%

-35%

-40%

-45%

-50% –

Quelle: FAO 2014


Die Effekte, welche dadurch entstehen, haben natürlich auch Schlagseiten, die man lieber nicht hätte. Aber selbst Globalisierungsgegner verbünden sich global. Und nutzen Produkte, Medien und Transportmittel, die ohne Globalisierung gar nicht existieren würden. Genau genommen kann man auch gar nicht gegen Globalisierung sein, weil wogegen ist man dann genau? Gegen die Welt? Gegen andere Länder? Am Ende wahrscheinlich sogar gegen sich selbst? Ah, natürlich, und gegen die Wirtschaft, die sich global organisiert und auf Basis reiner Profitmaximierung die Welt zerstört. Aber ist es nicht auch die Wirtschaft, welche dafür sorgt, dass es der Welt auch wieder besser gehen kann?

Wir sehen schon, es ist eben nicht einfach, einen Überblick über globale Entwicklungen zu erzeugen und daraus auch noch schlau zu werden. Es ist komplex – denn das ist das Wesen der Globalisierung: Sie ist der Megatrend des allgengewärtigen Überall und Zugleich. Globalisiert ist unsere Welt, seit es nicht mehr um eine bipolare Weltsicht geht, sondern wir von Multipolarität umgeben sind. Immer öfter wechseln die Zentren der Betrachtung, immer kaleidoskopischer werden die Blickwinkel. Dennoch schlagen sich alle Effekte immer vor Ort, lokal und bei einzelnen Menschen nieder. Diese Zweiseitigkeit der Globalisierung wird die kommenden Diskussionen und die daraus folgenden Entscheidungen unserer Welt maßgeblich prägen. In dem vorliegenden Werk „globalview“ haben wir daher ganz bewusst Ausschnitte aus dieser globalen Welt gewählt, welche für neue und überraschende Einsichten sorgen können. Der Überblick, den wir anstreben, soll als Kontrast dienen zu all den vermeintlichen Überblicken, mit denen in der Öffentlichkeit ein vereinfachendes Bild erzeugt werden soll. Es kann Ihnen helfen, sich im Feld der globalen Entwicklungen eine persönliche Meinung zu bilden. Es soll aber auch ganz konkret aufzeigen, wo Chancen und Möglichkeiten entstehen, die Sie dann auch unternehmerisch nutzen können.


Wenn zehn Länder für den Rest der Welt entscheiden Stimmver teilung im Internationalen Währungsfonds 1960 und 2014 (in Prozent) Kanada 3,2 Japan 2,7 Indien 4,3

19 6 0 USA 29,8

UK 14

CN F R 5,9 5,7

2014

Rest der Welt 25,2

USA 16,8

I T 3,2

U K 4,3 J P DE 6,2 5,8

Rest der Welt (178 L änder) 47,9

Frankreich 4,3 China 3,8

BR D 3,6 Belgien 2,4 Niederlande 3,0

Russland 2,4

Das Stimmrecht der 188 IWF-Mitgliedsstaaten orientier t sich an ihrem Kapitalanteil im Währungsfonds. Die Beschlüsse des IWF müssen mit einer Mehrheit von mindestens 70% bis 85% getrof fen werden. Obwohl nach den IWF-Reformen 2008 und 2011 die Stimmanteile zugunsten der aufstrebenden Schwellenländer umver teilt wurden, ver fügen die USA allein und die 18 EU-Staaten gemeinsam über eine Sperrminorität.

Kanada 2,6 Saudi-Arabien 2,8

Quelle: IMF 2014, IMF Annual Repor t 1959

Die Machtverhältnisse in der Wirtschaft 10 Länder mit dem größten BIP 1960 und 2013 (in Milliarden US-Dollar) 19 6 0 USA

UK

FR

CN

JP

CA

IT

IN

AU

BR

521

72

63

59

44

41

40

38

19

15

16.8 0 0

9.24 0

4.9 0 2

3.6 3 5

2.73 5

2.522

USA

China

Japan

2013

Frankreich Deutschland

2.24 6 2.0 97 2.071 1.877

Brasilien UK

Russland

Italien Indien

Quelle: World Bank, 2014


Was der OverviewEffekt über die Welt sagt Was passiert mit uns Menschen, wenn wir den Überblick verlieren? Wir verstricken uns in Details und fragmentarische Informationen. Wir verengen den Blick und organisieren uns um den „eigenen Kirchturm“, damit wir uns nicht mit dem Gefühl des Verlustes (des Überblicks) konfrontieren. Für die meisten Menschen ist auch die Globalisierung ein Verlust des Überblicks: Wo geschieht was, wer ist verantwortlich, wie hängt alles zusammen? Nicht umsonst hat die Globalisierung jede Menge gegenläufige Entwicklungen hervorgebracht. Von den „Gegnern“ der Globalisierung bis hin zu einem ganz neuen Regionalismus, der sich an vielen Stellen unserer Gesellschaft zeigt. Paradoxerweise werden zum Beispiel gerade urbane Umfelder immer häufiger zu „neuen Nachbarschaften“ inszeniert. Der Ort, den Menschen früher wegen der Chance auf Anonymität aufsuchten, um ein Lebensstil zu entwickeln jenseits der gesellschaftlichen Zwänge kontrollierender Nachbarschaftskultur, dieser Ort wird zum neuen Kristallisationspunkt maximaler Nähe. Der kollektive Garten auf der Brachfläche, der geteilte Parkplatz, das Freundesauto, der Honig, der auf dem städtischen Flachdach erzeugt und an die Hausgemeinschaft verteilt wird. Im Wort „Glokalisierung“ gipfelt diese Entwicklung – „glokal“ meint bekanntlich lokal und global zur gleichen Zeit. Zurück zum Ursprung, zur Natur, Erdung: Heimatbezug über volkstümliche Inszenierung, regionale Produkte. All dies sind Zeugen dieser Rekursionsentwicklung.

Der Netzwerk-Wissenschaftler Harald Katzmayer wendet diesen Trend auf Organisationen an. In jedem Unternehmen können die darin arbeitenden Menschen nur mehr fragmentarische Informationen wahrnehmen. Katzmayer geht noch weiter, jeder Mitarbeiter sei nur mehr Fragment unter Fragmenten: Niemand, nicht mal die Führungsmannschaft, hat alle Informationen. Was wir, so Katzmayer, aber brauchen, ist Überblick. „Ohne Überblick fehlt uns der wesentliche Baustein, um Sinn zu erfahren“. Und wenn wir Menschen keinen Sinn erleben in dem, was wir tun, können wir uns auch nicht entwickeln. Der amerikanische Autor Frank White veröffentlichte 1987 das Buch „Overview Effect“. Darin schildert er die spezielle Form der Erleuchtung, die den ersten Raumfahrern widerfuhr: Sie sahen das erste Mal den Planeten, auf dem sie aufgewachsen waren und den sie als ihre Heimat bezeichneten, als das Eine und Ganze – im Überblick. Sie sahen die Erde von aussen und im Kontext des grossen, schwarzen Nichts darum herum. Plötzlich wurde deutlich, wie „klein und zerbrechlich“ das System Erde ist. Ein solcher „Overview“, wie ihn White beschreibt, hinterlässt einen starken Eindruck, dass die Welt danahc nicht mehr dieselbe ist wie ehedem. Der Overview-Effekt ist das erstrebenswerte Ziel, wenn es um globale Veränderungen geht ; oder um den ganz normalen Alltag in Unternehmen! Überblick und Heuristik sind in Zeiten hoher Komplexität erheblich bedeutender als zu viel Detailinformationen.


Herausgeber Zukunf tsinstitut GmbH Kaiserstr. 53, 60329 Frankfur t Tel. + 49 69 2648489-0, Fax: -20 info@zukunf tsinstitut.de Chefredaktion Thomas Huber Autoren Harr y Gat terer, Christof Lanzinger © Zukunf tsinstitut GmbH, November 2014. Alle Rechte vorbehalten.

PERFOR MANCE

neutral Drucksache No. 01-14-104046 – www.myclimate.org

© myclimate – The Climate Protection Partnership


GfM-Forschungsreihe

In Zusammenarbeit mit Experten aus der Wissenschaft und der Praxis nimmt die GfM eine führende Rolle in der Forschung im Bereich marktorientierte Unternehmensführung in der Schweiz ein. Die GfM-Mitglieder erhalten die wichtigsten Ergebnisse der von der GfM unterstützten Forschungsprojekte in der Publikation «GfMForschungsreihe» zugestellt. 01/2013 Schlüsseltrends 2013 02 /2013 Haben, Greifen, Sein 03/2013 Pricing Power 04/2013 Crowdsourcing 05/2013 Turbulente Zeiten für CMOs 06/2013 Social Currency 01/2014 Trend-Repor t 2014 02 /2014 Branchen-Revolution durch neue Geschäf tsmodelle 03/2014 Der Herausforderung begegnen 04/2014 Hidden Champions Switzerland 05/2014 Er folgreiche Marktbearbeitung in der digitalen Welt 06/2014 Fueling Grow th Through Word of Mouth Unter dem Link ht tp://www.gfm.ch/de/forschung/forschungsreihe/ können Sie die GfM-Forschungsreihen der vergangenen Jahre kostenlos downloaden.

S chweizerische Gesellschaf t für Marketing, Löwenstrasse 5 5, 80 01 Zürich Telefon + 41 (0)4 4 202 3 4 25, Fa x + 41 (0)4 4 281 13 30, w w w.gfm.ch, info @gfm.ch


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