| 27. März 2014
Special
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Dominique Turpin Warum der Präsident des IMD die Funktion Chief Marketing Officer für tot erklärt. Seite 46
Marketing Magnus Lindkvists Prophezeiungen Schwedens weltweit bekannter Trendspotter meint zur Zukunft des Marketings: «Alles, was wir wissen, ist falsch.» Seite 39
Ulrich H. Mosers Bestandsaufnahme Der Präsident der Gesellschaft für Marketing (GfM) über die Marketing agenda für 2014. Seite 40
Zu gestresste Marketingleiter Christian Belz, Professor für Marketing an der Universität St. Gallen, weiss, wieso Marketeers stark getrieben sind. Seite 41
Von klassisch zu modern Andreas Widmer, Chef der Y&R Group in der Schweiz, nennt die acht Marketingtrends, die man beherrschen muss. Seite 42
Zu defensive Web-Strategie Dominique von Matt, VR-Präsident bei Jung von Matt/Limmat, sagt, wie Firmen im digitalen Zeitalter Erfolg haben. Seite 44 Swiss Poster Award – Sieger «Plakat des Jahres 2013»: «Tierische Richter» für Stiftung für das Tier im Recht von Ruf Lanz.
Verantwortlich für diesen Special: Norman C. Bandi
Marken mit Zukunft
Ranking Eine aktuelle Studie von Havas Worldwide sagt, welche Marken in der Schweiz für 2014 sowie für 2016 die vertrauenswürdigsten, die dynamischsten und – in Kombination – die besten sind. Norman C. Bandi
Zweifel ist 2014 die vertrauenswürdigste Marke der Schweiz. Der Pommes-ChipsHersteller löst in dieser Kategorie den Detailhändler Migros an der Spitze der dritten «Brand Predictor»-Studie von Havas Worldwide Switzerland ab. Dahinter folgt neu Tempo. Swatch, die Nummer drei des Vorjahres, taucht auf den 17. Platz. Drei Viertel der 20 vertrauenswürdigsten Labels hierzulande sind diesmal einheimisch. Der Swissness-Trend aus den vergangenen Jahren hält also an, obwohl es 2013 noch 16 solche Vertreter waren. In der anderen Kategorie mit den dynamischsten Marken der Schweiz siegt wie
letztes Jahr Zalando. Dahinter liegen im Ranking drei weitere ausländische Labels: WhatsApp, YouTube, Samsung Galaxy S. Als erster einheimischer Brand landet M-Budget wieder auf dem fünften Platz. Die Top 20 der dynamischsten Marken aus nationaler Sicht komplettieren Aldi Suisse (6), Lidl Schweiz (8), «20 Minuten Print» (10), Nespresso (11), Migros Bio (13), «20 Minuten Online» (15), Ricardo.ch (16), Naturaplan (17), Migros (18), Le Shop (20). Wenn man beide Einzelkategorien der «Brand Predictor»-Studie kombiniert, erhält man unter dem Strich eine Rangliste mit den Top-Marken der Schweiz für 2014 (siehe Tabelle rechts). Hier wird Vorjahresgewinner Google von M-Budget und
Migros von ganz oben auf dem Podest auf den dritten Platz verdrängt. Die anderen neun Schweizer Labels unter den Top 20 der besten Brands sind Nespresso (4), Zweifel (6), Ricola (7), Lindt (10), Cailler (12), Coop (17), Migros Bio (18), «20 Minuten Print» (19), Emmi (20). Doch damit nicht genug: Das repräsentative Ranking weiss auch, welche Brands in zwei Jahren hierzulande die gefragtesten sein werden. «Wir wollen nicht ein weiteres Bewertungs-Tool, wir wollen aussagekräftige Prognosen zur Zukunft von Marken», sagt Frank Bodin, Chef von Havas Worldwide Switzerland. Entscheidend für die Trendbestimmung sei neben der intelligenten wissenschaftlichen Mess
methodik zudem der Einbezug von Trendsettern, den sogenannten ProSumern. Die Top-Marke der Schweiz für 2016 ist demzufolge Nespresso vor Google und iPad (siehe Tabelle rechts). Unter den Top 20 sind nur sechs weitere Schweizer Labels zu finden: M-Budget (4), Migros Bio (6), Swatch (8), Migros (13), Search.ch (14), Nescafé Dolce Gusto (19). In zwei Jahren heissen die drei vertrauenswürdigsten Marken Google vor Appenzeller Käse und iPad. In der Einzelkategorie mit der dynamischsten Marke sind es Zalando vor Nespresso und Instagram. Total wurden 3232 Personen in der Schweiz zu 400 Marken befragt: www.brandpredictor.ch.
Foto-portfolio Die Bilder zeigen 13 der total 19 Gewinner des Swiss Poster Award 2013, der Anfang März an der Poster Night von APG|SGA in sechs Kategorien verliehen wurde (Gold, Silber, Bronze).
Top-Marken der Schweiz Rang 2014 2016 1 M-Budget Nespresso 2 Migros Google 3 Google iPad neu 4 Nespresso M-Budget 5 Samsung YouTube 6 Zweifel Migros Bio neu 7 Ricola Ben & Jerry’s neu 8 YouTube Swatch 9 Ikea Nivea 10 Lindt Samsung Quelle: «Brand Predictor 2014»/Havas Worldwide Switzerland
Impressum Redaktion und Verlag, Axel Springer Schweiz, Förrlibuckstrasse 70, 8021 Zürich
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handelszeitung | Nr. 13 | 27. März 2014
Swiss Poster Award – Gold «Kommerziell national»: «Max-Shoes-Mund» für Vögele Shoes von Jung von Matt/Limmat.
Drei Thesen Alles, was wir wissen, ist falsch
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enn ein neues Jahr anfängt Form anzunehmen, ist die Gelegenheit günstig, einige vorhersagende Denktechniken aufzufrischen. Wie unzählige, nicht eingehaltene Neujahrsvorsätze zeigen (endlich abzunehmen ist nur einer davon), ist unsere Fähigkeit, in die Zukunft zu denken, nicht so gut, wie wir – na ja – denken. An dieser Stelle möchte ich drei wesentliche prophetische Fallgruben und mögliche Gegenmittel aufzeigen, die Ihnen dabei helfen sollen, das laufende und die kommenden Jahre zu meistern, sowohl im geschäft lichen Alltag als auch im privaten Leben.
Erste prophetische Fallgrube: Linear denken in einer exponentiellen Welt Wenn Sie versuchen, die nächsten drei Zahlen in der Reihe «2, 4, x, y, z» logisch zu vervollständigen, ist Ihre spontane Antwort höchstwahrscheinlich «6, 8, 10». Oder, falls Sie der clevere Typ sind, «8, 16, 32». Nur sehr wenige von uns werden antworten «16, 256, 65 536». Das liegt daran, dass wir unsere Welt linear betrachten. Wir altern linear, wir bewegen uns linear von A nach B. Doch immer mehr Bereiche werden von der schnelleren exponentiellen Sequenz, wie sie oben beschrieben ist, beherrscht. Die digitale Entwicklung wächst exponentiell, sodass sich das Spielfeld ungefähr alle zwei Jahre vollkommen neu ordnet. 2012 dachten wir noch, dass Facebook und Twitter die nächste Dekade beherrschen würden. Heute werden diese Dienste von Snapchat oder Instagram in die Ecke gedrängt, die 2016 oder früher ihrerseits durch etwas Neues ersetzt werden. Unternehmensplanung wird dadurch schwierig. Was bringt eine Dreijahresstrategie in einem Markt, der so oft und scheinbar zufällig digital umstrukturiert wird? Immer mehr Firmen werden diese harte Lektion zu lernen haben. Die Musik- und Zeitungsindustrie oder Kodak Film können ein Lied davon singen.
Zweite prophetische Fallgrube: Im Zufälligen nach einem Sinn suchen Wenn die Realität nicht mit unseren Vorstellungen übereinstimmt – beispielsweise wenn die Winter ungewöhnlich mild sind oder der Aktienmarkt trotz unseren optimistischen Prognosen den Bach
Magnus Lindkvist Trendspotter, Zukunftsforscher und Buchautor («Everything we know is wrong»), Stockholm
«Versuchen Sie, nicht der Erste im Markt zu sein, sondern der Letzte. Und profitieren Sie vom Wissen, das Sie sich aneignen, wenn Sie andere scheitern sehen.»
runter geht – suchen wir nach Erklärungen und erfinden sogar eigene Geschichten, um der Zufälligkeit einen Sinn zu geben. Die Tendenz, Muster zu s ehen, wo es keine gibt, nennt man Apophänie. Sie kann schwere Konsequenzen haben auf Be reiche wie die öffentliche Ordnung («Die Einwanderer sind schuld») oder das Gesundheitswesen («Schizophrenie und Depression können durch Lobotomie geheilt werden»).
Dritte prophetische Fallgrube: Die Scheuklappen des Endstatus-Denkens Wie Märchen enden Prognosen oft mit «bis ans Ende ihrer Tage». Wenn wir über die Effekte der Klimaerwärmung spekulieren oder Leute mit den Konsequenzen erschrecken, die das Essen von fettigen Speisen mit sich bringt, behandeln wir die Zukunft als endlichen Punkt, an dem alles für immer entschieden wird. Eine Art Jüngstes Gericht. Wenn wir einfache Zusammenhänge wie Rauchen und Lungenkrebs ausser Acht lassen oder auf komplexere Bereiche wie die gesellschaftliche Entwicklung und Makroökonomie fokussieren, limitiert dieses Endstatus-Denken unsere Sicht. Nehmen wir zum Beispiel die Klimaveränderung. Man geht davon aus, dass ein bestimmter globaler Temperaturanstieg unter anderem dazu führen wird, dass die Pole schmelzen und die Meeresspiegel um etwa 0,9 Meter ansteigen werden. Auf kurze Sicht wäre dies eine Katastrophe. Besonders wenn es plötzlich und unvorhergesehen passieren würde. Auf lange Sicht aber tendieren die Menschen dazu, sich an veränderte Verhältnisse anzupassen, und es ist nicht schwer vorauszusehen, dass in einigen Generationen junge Leute nicht mehr wissen, was einmal Teil von den Niederlanden oder von Ostengland gewesen ist. Ihre Welt wird von anderen Grenzen definiert sein. Endstatus-Denken macht uns überpessimistisch und – wenn Sie den «Wenn-ich-nur-eine-Milliongewinnen-würde-wäre-ich-glücklich»-Trugschluss in Betracht ziehen – überoptimistisch.
Gegenmittel: Die drei nützlichsten Denkinstrumente für die Zukunft Wenn wir in die Zukunft schauen, sind wir blind. Wir tasten uns auf dem Weg vorwärts und landen mit unseren Mutmassungen über die Ent-
wicklung des Aktienmarkts oder über Fussball resultate nur ab und zu einen Treffer. Doch wie können wir besser einschätzen, was vor uns liegt? Hier sind meine nützlichsten Denkinstrumente für die Zukunft. Erstens: Betrachten Sie die Dinge auf lange Sicht. Wir sind Gefangene unserer Gegenwart, häufig geblendet durch überdramatische Schlagzeilen und volle E-Mail-Eingangsfächer, die nach sofortiger Bearbeitung schreien. Langfristig gesehen sind gezackte Kurven glatter, persönliche Katastrophen verblassen und wir bekommen einen grösseren Eindruck der Klarheit. Machen Sie es sich 2014 zur Gewohnheit, Schlagzeilen nicht zu beachten und stattdessen Geschichtsbücher zu lesen. Beginnen Sie mit der ausgezeichneten «Contours of the World Economy 1–2030 AD» von Agnus Maddison. Zweitens: Seien Sie ein Querdenker. Die Gesellschaft wird meist von einem Komitee beherrscht – sei dies eine Wählerschaft oder eine Twitter-Meute. Im Laufe der Zeit zeigt sich aber häufig, dass die Mehrheitsmeinung falsch war und der Wert von etwas nicht erkannt wurde. Beispiele gibt es unter anderem in der Musik, der Kunst oder der Wissenschaft. Welche Geheimnisse werden sich Ihnen erschliessen, wenn Sie eine Gegenposition zur allgemeinen Meinung und den akzeptierten Sichtweisen einnehmen? Drittens: Recyceln und remixen Sie Fehler. Der übliche Weg zum persönlichen und sozialen Fortschritt ist, so lange Dinge auszuprobieren und zu scheitern, bis man eine Lösung findet, die funktioniert. Man sucht im Heuhaufen, bis man die Nadel findet. In der Realität gibt es aber keine Nadel, die in den Riesenmengen getrockneter Grashalme verborgen ist. Stattdessen besteht der Haufen aus Millionen halbgescheiterter Nadeln. Das bedeutet, dass Erfolg meist ein recycelter Misserfolg ist. Alles, von Popsongs bis hin zu Geschäftsmodellen, wurde mit unterschiedlichen Resultaten neu aufbereitet. Nathalie Imbruglias Hit «Torn» wurde von drei anderen Künstlern aufgenommen, bevor er sie zum Superstar machte. Das iPhone von Apple kam 2007 auf den Markt, als die Mobiltelefon industrie schon 20 Jahre alt war. Versuchen Sie, nicht der Erste im Markt zu sein, sondern der Letzte.Und profitieren Sie vom Wissen, das Sie sich aneignen, wenn Sie andere scheitern sehen. Was diese umbrachte, macht Sie stärker.
40 | Marketing
handelszeitung | Nr. 13 | 27. März 2014
«Proaktive gewinnen, Reaktive verlieren» Ulrich H. Moser Der Präsident der Gesellschaft für Marketing (GfM) über die Agenda 2014 und die Trends für Markeeters von Schweizer Unternehmen.
Swiss Poster Award – Brone «Kommerziell national»: «Wendesätze 2013» für Swiss Life von Leo Burnett Schweiz.
Der Kunde ist und bleibt König. Kundenzentrierung sollte für die Marketeers permanent im Zentrum ihres Denkens und Schaffens stehen. Bei allen Diskussionen über Online-Marketing, Mobile-Marketing oder was auch immer das neuste Buzzword ist, sollte der Kunde im Mittelpunkt bleiben.
Marketeers sind Getriebene
Führungskräfte Von morgens bis abends Termine, Sitzungen, Konzepte und E-Mails – Marketingleute leiden alle am selben: An Zeitnot.
Interview: Norman C. Bandi
Das Leitthema der GfM Marketing-Trend- Tagung 2014 lautet «Successful Marketing in Turbulent Times». Wie turbulent sind die Zeiten für Marketeers hierzulande und international denn? Ulrich H. Moser: Es klingt zwar etwas ab gedroschen, aber die Welt wird tatsächlich immer komplexer, der Wandel beschleunigt sich und die Veränderungen werden grösser. Diese Turbulenzen sind aber durchaus auch positiv für das Marketing. Der Schnellere gewinnt, der Langsamere verliert. Der Proaktive gewinnt, der Reaktive verliert. Worauf muss der Fokus aller Marketing aktivitäten im laufenden Jahr liegen? anzeige
Eine grosse Herausforderung für sämtliche Marketingverantwortliche ist die digitale Transformation. Wie hat man damit umzugehen? Es muss ein Umdenken von digitalem Marketing zum Marketing in der digitalen Welt stattfinden. Die dazugehörigen Strategien müssen in diesem Sinn mit dem neuen interaktiven Wesen des heutigen Publikums verbunden werden – das ist aber nicht ein x-beliebiger Zusatz, sondern ein komplett neuer Ansatz. Marketing in der digitalen Welt bedeutet zudem, dass man dafür die notwendigen Systeme, Technologien und Verfahren im Griff haben muss, um die Kommunikation quasi im Vorbeifliegen aktivieren zu können. Marketing wird anspruchsvoller, der
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handelszeitung | Nr. 13 | 27. März 2014
Swiss Poster Award – Silber «Kommerziell national»: «Garnier-Fructis-Bart» für L’Oréal Schweiz von Publicis Communications.
Beruf des Marketeers entsprechend – noch – komplexer. Wie switcht man vom digitalen Marketing zum Marketing in der digitalen Welt? Das Einbinden von Daten und Wissen in Echtzeit ist der einzige Weg, um die Verlagerung vom digitalen Marketing zum Marketing in der digitalen Welt zu vollziehen. Ist Social Media dabei immer noch ein zentrales Thema?
Unbedingt. Man darf als nationales oder internationales Unternehmen auf den neuen Online-Kanälen einfach keine halben Sachen machen, sondern man muss sich klar entscheiden, ob man dabei sein will oder nicht. Das volle Engagement in den Social Media erfordert jedoch eine Diversifikation, denn es gibt viele neue Netzwerke, nicht nur Facebook, Twitter, Xing oder LinkedIn. Social Media eröffnet neue Opportunitäten. Wie relevant ist dafür das Beherrschen von Big Data? Big Data soll nicht als Schreckgespenst verstanden werden. Aus Marketingsicht ist es sehr erfreulich, dass immer mehr und bessere Daten über Einkaufsverhalten, Konsumveränderungen oder Interaktionen zur Verfügung stehen. Die hohe Kunst des Marketings wird in Zukunft da rin bestehen, aus der Fülle der Daten die für das eigene Unternehmen relevanten Informationen auszuwerten und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Welche Trends sind im laufenden Jahr sonst noch heiss? Visuelle Inhalte beziehungsweise Video Marketing, falls sich Produkte und/oder Dienstleistungen des jeweiligen Unternehmens dafür eignen. Welche Hauptfähigkeiten benötigen die Marketeers? Ein besseres Verständnis von Technologie und Inhalt – vor allem die gekonnte Kombination beider Faktoren. Hier haben einige Schweizer Unternehmen noch Nachholbedarf. Speed und Mut zur Lücke sind weitere Leadership-Kompetenzen, die heutzutage einen guten Marketeer ausmachen.
News
30. Marketingpreis: Firmen nominieren Seit 1984 würdigt die Schweizerische Gesellschaft für Marketing (GfM) mit ihrem «Jahrespreis der Stiftung für Marketing in der Unternehmensführung» hiesige Unternehmen, die sich fortwährend durch herausragendes Wirken ausgezeichnet haben. Ab sofort können drei Firmen als Kandidaten vorgeschlagen werden. Das Nominierungsformular gibt es online. Danach kürt eine Fachjury den Gewinner. Der Marketingpreis wird zum 30. Mal verliehen am Dienstag, 28. Oktober 2014, im Luxushotel The Dolder Grand in Zürich. Vor der Gala findet die 73. Generalversammlung der GfM statt, an der Schriftsteller Peter von Matt das Gastreferat halten wird. Teilnahme auf Einladung. www.gfm.ch/de/portrait/marketingpreis/ marketing-preis2014nominierung.htm
GfM Brush Up mit Vivaldi Partners Erich Joachimsthaler ist Gründer und Chef des international renommierten Marketing-, Innovations- und Strategieberatungsunternehmens Vivaldi Partners Group mit Hauptsitz in New York und sieben Niederlassungen weltweit, unter anderem in Zürich. Am Freitag, 23. Mai 2014, von 12.00 bis 13.00 Uhr hat er einen Auftritt in der Schweiz. Anlässlich des Brush Up der Gesellschaft für Marketing (GfM) referiert er an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) zum Thema «Erfolgreiche Marketingstrategien in der digitalen Transformation». Im Anschluss an die Präsentation findet ein Apéro statt. Die Teilnahme kostet GfM-Mitglieder 50 Franken, Nicht-Mitglieder 100 Franken. www.gfm.ch/de/veranstaltungen/ gfmbrushupmiterichjoachimsthaler.htm
Der Vernetzer Name: Ulrich H. Moser Funktion: Präsident der GfM (seit 2007), diverse Verwaltungsrats mandate, unter anderem Alfred Müller AG, Hug AG und Rivella AG Alter: 58 Wohnort: Zug Ausbildung: Ökonom HWV (FH), AMP Harvard Business School Der Verband Die 1941 gegründete Gesellschaft für Marketing (GfM) ist die Schweizer Plattform für markt orientierte Unternehmensführung. Die GfM fördert diese Denkhaltung. Ihr gehören über 740 Firmen aller Branchen sowie öffentlich-rechtliche, marktwirtschaftlich ausgerichtete Institutionen als Mitglieder an.
GfM Brush Up mit Schindler und Adobe Einen weiteren Brush Up der Gesellschaft für Marketing (GfM) gibt es noch vor der Sommerpause, und zwar am Freitag, 20. Juni 2014, von 12.00 bis 13.00 Uhr wiederum an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ). Referieren werden Vertreter von Schindler und Adobe Systems zum Thema «Emotionalising an Industry». Unter diesem Titel stellen sie den Relaunch der Website des Schweizer Herstellers von Aufzugsanlagen und Fahrtreppen vor, bei dem die Emotionalisierung des Produkts im Vordergrund steht (siehe A rtikel auf Seite 45). Im Anschluss an die Präsenta tion findet ein Apéro statt. Die Teilnahme ist für GfM-Mitglieder kostenlos, NichtMitglieder zahlen 50 Franken. www.gfm.ch/de/veranstaltungen/ gfmbrushupemotionalisinganindustry.htm
F
Christian Belz und You-Cheong Lee
ühlen sich Führungskräfte in Marketing und Vertrieb als Gestalter oder Opfer? Das Ergebnis einer Untersuchung am Institut für Marketing der Universität St. Gallen (siehe Kasten) zeigt: Die Verantwortlichen sind stark Getriebene, sie wehren sich jedoch tapfer gegen eine wachsende Aussenbestimmung und Zersplitterung. Zunehmende Turbulenzen in den Märkten, komplexe Unternehmen und eine pulverisierte Disziplin prägen die Arbeit in Vertrieb und Marketing. Zudem wachsen Absicherungen auf alle Seiten, typische Beispiele finden sich in Regeln zu Governance und Compliance. Der Anteil von Mussthemen steigt, auch wenn sie oft unproduktiv sind.
Bedrängung und Gestaltung Wenn die Verantwortlichen Strategie, Innovation, Produkteinführungen und Kundenbeziehungen in den Vordergrund stellen, so wird eher der Sollzustand als die Realität abgebildet. Frappant ist, wie stark die Führungskräfte intern beansprucht werden. Für diesen Einsatz nutzen Vertriebsverantwortliche 64 Prozent und Marketingverantwortliche sogar 77 Prozent ihrer Zeit. Für den Einsatz im Markt und bei Kunden planen Vertriebsund Marketingverantwortliche lediglich 36 Prozent beziehungsweise 23 Prozent ein. Für Meetings und Troubleshootings anzeige
werden diese Führungskräfte intensiv beansprucht. Unternehmen beschäftigen sich zunehmend mit sich selbst. Folgende Auflistung zeigt, was bei Bedrängung (Reihenfolge der Gewichtung) eine Rolle spielt: • Mein Einsatz zur internen Abstimmung nimmt deutlich zu, das mündet beispielsweise in mehr Sitzungen. • Die Arbeit wird hektischer und stärker aussenbestimmt, der Zeithorizont der Arbeit wird verkürzt. • Die interne Positionierung und Absicherung wird wichtiger – zur Absicherung gehören auch Budgetierung, Zwischen berichte, Reporting oder Einsatz für Messbarkeit. • Kostensenkungen sind ein permanentes Thema und führen auch zu grösserem Druck. Meine Budgets werden (im Verhältnis zum Umsatz) über längere Zeit schrittweise gesenkt. • E-Mails pflastern mich zu. • Meine Arbeit ist mehrheitlich geprägt durch kurze Gespräche und Mail-Verkehr. Es geht um Anfragen, Troubleshootings, Abklärungen, Anweisungen, Stellungnahmen oder Verbindungen zu anderen Personen. • Rund 50 Prozent meiner neuen Konzepte und Veränderungsinitiativen lassen sich so heute nicht verwirklichen. Aus verschiedenen Gründen müssen sie verschoben oder eingestellt werden. Folgende Auflistung zeigt, was bei Gestaltung (Reihenfolge der Gewichtung) eine Rolle spielt:
• Analytik und Konzeptionen, Strategie und Planungen gewichte ich bei meiner Arbeit intensiv. • Ich schaffe die nötigen Freiräume für eigene Ideen, für Impulse von ausserhalb des Unternehmens, für Reflexion und Entwicklung. • Der Vertrieb wird gezielt ausgebaut. • Ich verfolge persönlich und für mein Unternehmen konkrete Ziele mit einem Horizont von fünf bis acht Jahren. • Das Marketing wird gezielt ausgebaut. Kürzlich meinte eine Führungskraft: «Heute, am Freitagnachmittag, treffe ich mich mit Ihnen und habe dann Sitzungen bis 18.30 Uhr. Das heisst, ich gehe mit 150 unbearbeiteten Mails ins Wochenende,
Untersuchung
135 Führungskräfte nahmen Stellung Resultate An der Befragung des Instituts für Marketing der Univer sität St. Gallen im 1. Quartal 2013 beteiligten sich 135 Führungskräfte, davon waren 38,5 Prozent für Marketing, 23 Prozent für Vertrieb und 38,5 Prozent für beides zuständig. Fragebogen sowie die Resultate der Gesamtuntersuchung sind auf Anfrage erhältlich bei You-Cheong Lee (you-cheong.lee@unisg.ch).
die zwischenzeitlich anfallen.» Steigende Aussenbestimmung und verkürzter Zeithorizont bewirken kontraproduktiven Stress oder Tendenzen zum Burnout. Dabei arbeiten Verantwortliche im Marketing und Vertrieb wöchentlich im Durchschnitt 51 Stunden.
Wirklichkeit schlägt zurück Die Arbeit ist geprägt durch lange Anwesenheit, zerstückelte Episoden und mündliche Kommunikation. Sie ist eher chaotisch, informell, hektisch, vielfältig, unübersichtlich. Schon die Urmenschen taten gut daran, auf Gefahren rasch zu rea gieren. Deshalb fordert Kurzfristiges weit stärker zum Engagement auf als Lang fristiges. Aktuell wachsen zudem Hinweise zu Bauchentscheidungen, zu gesundem Menschenverstand, zu treffenden Spontanentscheidungen, zu Denk- und Handlungsirrtümern des Menschen, zur Unterschätzung des Zufalls bis zur fatalen Ausrichtung auf die Durchschnittlichkeit. Inzwischen scheint es in den meisten Unternehmen verpönt, eine besondere Arbeitsbelastung zu erwähnen. Offenbar nehmen gute Führungskräfte einfach alle Aufträge positiv auf, selbst wenn die Ressourcen fehlen. Die Wirklichkeit schlägt aber zurück. Mindestens sind die befragten Führungskräfte gewillt zu gestalten. Verschiedene persönliche Strategien lassen sich für Getriebene kombinieren: Kampf um Prioritäten, Kampf um Spielräume, langfristige Ziele, konzentrierte und lange Arbeit. Auch sind inzwischen
papierlose Manager zu beobachten, die nur noch aufgreifen, was sie gerade im Kopf haben. Sie überlegen im Lift, was sie im nächsten Meeting bewirken wollen, zu dem sie sich bereits verspätet haben. Manche entwickeln sich dabei zum Ad-hocManager. Anderen gelingt es, aus den zahlreichen Episoden einen Strang der Entwicklung zu formen und zu bewegen. Wer Zeit sparen will, muss gründlich vorgehen. Oberflächlichkeit bewirkt Verschleiss. Häufig diskutieren wir über Innovationen, strategische Akzente oder wichtige Marketingprojekte. Verfolgen die Verantwortlichen neue Initiativen auch kraftvoll? Es ist notwendig, sie mit der aktuellen Situation der Führungskräfte und Mitarbeitenden zu verbinden. Hektik verhindert Dynamik. Druck verdrängt den Aufbau. Trotzdem mögen wir nicht in ein Lamento mit Strategiedefizit, Aussenbestimmung der Manager oder Hektik einstimmen. Es ist weitgehend so, wie es ist. Deshalb gilt es, die aktuelle Situation zu akzeptieren und in den gegebenen Spannungsfeldern zu wirken. Der abgekapselte Stratege liegt falsch, ebenso der opportunistische Macher. Bestimmt lohnt es sich, die aufgeworfenen Fragen zur eigenen Arbeitssituation kritisch zu durchleuchten. Letztlich bleiben jedoch Appelle an Ge lassenheit, Demut, Respekt und Mut. Christian Belz, Professor für Marketing, Universität St. Gallen/Geschäftsführer, Institut für Marketing, St. Gallen, und You-Cheong Lee, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Marketing, St. Gallen.
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handelszeitung | Nr. 13 | 27. März 2014
Swiss Poster Award – Gold «Poster Innovation»: «Seilbahnen» für Schweizer Milchproduzenten von Ruf Lanz.
Buzzwords des Jahres
Marketing-Trends Wer die acht wichtigsten Schlagwörter versteht, kann den Sprung vom klassischen ins moderne Zeitalter schaffen.
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Andreas Widmer und Urs Krucker
onsumenten verhalten sich gegenüber Unternehmen immer selbstbewusster, anspruchsvoller, aufgeklärter und abgebrühter. Das klassische Marketing verliert an Bedeutung, während persönliche, relevante und erlebnisorientierte Kommunikation immer besser ankommt. Ausserdem wird unsere Welt zunehmend vernetzter und längst sind neben Notebooks, Smartphones und Tablets auch Geräte und Gegenstände wie Autos, Kühlschränke oder Kleidungsstücke mit dem Internet verbunden. Aus Unmengen an Daten die relevanten Insights herauszulesen, birgt unendlich viele Chancen. Daher ist es wichtig, dass man Neues im Auge behält und entsprechend darauf reagiert. Im Rahmen ihrer Trends-Reihe hat die Y&R Group anzeige
witzerland die acht Marketing-Trends S für 2014 zusammengefasst. Niche Communities Relevanz statt Social Smog: Der Gegentrend zum Herdentrieb ist die Individualisierung. Immer öfter wenden sich die Konsumenten sogar im Netz vom Mainstream ab und suchen sich ihre individuelle Interessengemeinschaft – nach Thema, Hobby oder Fachgebiet. Sie bewegen sich weg vom Generalisten Facebook hin zu Nischen-Netzwerken, die in Anzahl und Vielfalt kontinuierlich wachsen. Crowd Shaped Die neue Macht der Konsumenten: Die Digitalisierung demokratisiert die Konsumenten in ihrem Verhältnis zu Medien und stärkt ihren Anspruch auf Partizipation. Die Kunden erwarten Mitsprache und Dialog. Sie diskutieren online mit, tun ihre Meinung kund, tauschen
I deen aus, äussern Bedürfnisse, bewerten Angebote und gestalten Produkte mit. Im Umgang mit Marken nehmen Konsumenten über das Internet eine immer aktivere Rolle ein. Social Reach Personen als Medienkanäle: Mit der Entwicklung des Internets zum Massenmedium ist es auch einzelnen Konsumenten möglich, über digitale Medien mit e iner breiten Masse an Empfängern zu kommunizieren, ihre Meinung und Erfahrungen zu Produkten, Services sowie Marken mitzuteilen oder sich zu spezifischen Themen und Interessen gebieten – zum Beispiel Food, Technologie, Fashion oder Uhren – auszutauschen. Diese Demokratisierung der Medien machen sich insbesondere die Blogger zunutze. Immer mehr Blogs überzeugen durch ihre inhaltliche Qualität, Relevanz und Professionalität, weshalb sie im Internet Reichweiten erzielen, die mit etablierten Medien mithalten können oder diese gar übertreffen. Content Marketing Die Basis nachhaltiger Kundenbeziehungen: Content Marketing beschreibt die Strategie, kontinuierlich hochwertige Inhalte zu produzieren, die im Kontext zur Marke stehen und für die Konsumenten relevant sind. Im Gegensatz zur Werbung fordert Content Marketing nicht direkt zum Kauf von Produkten oder Services auf, sondern hat das Ziel, die Konsumenten mittels intelligenter Informations- oder Unterhaltungsangebote zu
gewinnen, zu involvieren und letztlich an die Marke zu binden. «Telling, not selling» ist das Credo. Native Advertising Werbung mit ContentMehrwert: Native Advertising ist die digitale Variante des bekannten Advertorials. Es handelt sich um bezahlte Inhalte, die sich möglichst nahtlos in Design und Content des redaktionellen Umfelds einfügen. Der Unterschied zu herkömmlicher Online-Werbung besteht darin, dass Native Ads empfohlen, geteilt und geliked werden können. Des Weiteren erscheinen sie in den Resultatelisten von Suchmaschinen und werden von Ad-Blockern nicht erkannt und nicht unterdrückt. Im besten Fall verbreiten sich Native Ads dadurch im Netz wie redaktioneller Content. Real Time Marketing Kreativer Content in Echtzeit: Im Kontext von Real Time Marketing denken viele zuerst an Real Time Bidding beziehungsweise an das Auk tionsverfahren, in Echtzeit auf OnlineWerbeflächen zu bieten. Dabei zeigt die Verbindung von Marketing und Echtzeit vor allem im Bereich Social Media eine natürliche Dynamik, die vom kreativen Inhalt lebt. Real Time Marketing umschliesst eben auch den Prozess, zeitgleich oder zeitnah mit einer kreativen Marketingbotschaft auf einen Trend, eine Konversation oder ein Ereignis zu reagieren, die für das Zielpublikum in dem Moment von Inte resse und Relevanz sind, um dadurch Teil einer aktuellen Diskussion zu werden.
Y&R Group Switzerland
Vernetzte Kommunikationsagentur Unternehmen Die Y&R Group Switzerland mit Hauptsitz in Zürich und Niederlassung in Genf gehört zu den führenden Kommunikationsagenturen der Schweiz. Sie legt den Fokus auf die Verbindung von effektiver Strategie, kreativer Exzellenz sowie digitalem Know-how. Unter gemeinsamer Führung vereint sie die Spezialisten von Advico Y&R (Werbung), Futurecom (Digital), Wunderman (Dialog), All access (Promotion) und Y&R Consulting (Markenberatung). Das Unter nehmen ist Teil des internationalen Y&R- und Wunderman-Netzwerks.
Erhebungen Mit ihrer Trends-Reihe berichtet die Y&R Group Switzerland regelmässig über die relevanten Entwicklungen sowie Veränderungen für Marketing und Branding. Zu den eigenen Studien zählen beispielsweise die grösste Markenerhebung des Landes, der Brand Asset Valuator, oder der Media Use Index. Die repräsentative Studie untersucht seit 2009 jährlich das Mediennutzungs- und Informa tionsverhalten der Schweizer Bevölkerung. Die Highlights der Trends-Reihe können auf www.media-use-index.ch als Flyer heruntergeladen werden.
Big Data Sinnlose Datenaggregation versus sinnvolle Datenanalyse: Gemäss IBM werden täglich weltweit 2,5 Trillionen Bytes an Daten generiert. Big Data stellt Unternehmen vor die Herausforderung, die exponentiell wachsenden Datensätze intelligent zu verknüpfen und produktiv zu nutzen, etwa um Rückschlüsse auf das künftige Kaufverhalten von Kunden ab zuleiten, um das bestehende Angebot besser auf die Kundenbedürfnisse abzustimmen oder gar um neue Geschäftsfelder zu kreieren. Internet of Things Nahtlose Verschmelzung der physischen und digitalen Welt: Nebst Personal Computer, Notebooks, Smartphones und Tablets werden künftig immer häufiger ebenfalls andere Geräte und Gegenstände – zum Beispiel Autos, Kühlschränke oder Kleidungsstücke – Verbindungen mit dem Internet herstellen. Gartner Research erwartet, dass bis 2020 weltweit 26 Milliarden solcher Dinge auf das Web zugreifen werden; Personal Computer, Notebooks, Tablets und Smartphones nicht miteingerechnet. Durch das Internet of Things wird auch die physische Welt zu einem digitalen Informations system. Über smart vernetzte Geräte und Gegenstände erhalten Marken einen direkten Zugang zu den Konsumenten und können zu ihnen eine sehr intime Beziehung aufbauen und pflegen. Andreas Widmer, CEO, und Urs Krucker, Head of Strategy, beide Y&R Group Switzerland, Zürich.
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handelszeitung | Nr. 13 | 27. März 2014
Schnell unterhalten oder untergehen
Emotionalisierung einer Industrie Internetauftritt Der Relaunch der Schindler-Website mit Adobe-Technologie soll die Kunden stärker ans Unternehmen binden. Michael M. Schmidt und Angelo Buscemi
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Digitaler Erfolg Sicher ist, dass ein früher Einstieg das Unternehmen rasant auf die Lernkurve bringt und so langfristig einen Wettbewerbsvorteil schaffen kann.
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Dominique von Matt
as Schlagwort einer Gesellschaft und Wirtschaft, die immer mehr von Polarisierung geprägt wird, heisst «Average is over» (Durchschnitt ist vorbei). Zusammen mit der Veränderungsgeschwindigkeit und Unberechenbarkeit der wohl wichtigste Trend im digitalen Zeitalter. In diesem Kontext stellen sich neue Anforderungen an Marketing und Kommunikation. Google und Facebook machen es vor. Bei Google lautet der zweite Punkt der Firmenprinzipien «Speed is more important than perfection». Wer bei Facebook in Mountain View ins Sitzungszimmer tritt, wird von einem Poster mit dem Titel «Done is better than perfect» empfangen. Was für einen Schweizer Perfektionsfetischisten wie eine Gotteslästerung klingt, ist in der digitalen Ökonomie ein Imperativ: Der First-Mover-Vorteil ist heute von grösster Bedeutung. Nicht nur weil man zuerst den Markt besetzt, sondern auch weil man so als Erster auf die Lernkurve geht.
Lancieren und lernen Immer wieder steht man vor der Frage, ob man einen neuen Kanal bespielen oder ein neues Instrument nutzen oder zuwarten soll. 2004 etwa musste man sich Gedanken machen, ob man bei Second Life einsteigen sollte. BMW ist eingestiegen. anzeige
Ein Fehler? Auf den ersten Blick ja, weil Second Life ein Flop war und BMW das Projekt 2008 abgebrochen hat. Die Lerneffekte konnte BMW allerdings für andere digitale Kanäle nutzen und war lange der Benchmark der Autoindustrie in der digitalen Welt. 2007 wurde das Thema Social Media virulent und seit 2013 wird über den Einsatz von Native Advertising debattiert. Sicher ist, dass ein früher Einstieg das Unternehmen schnell auf die Lernkurve bringt und so langfristig einen Wettbewerbsvorteil schaffen kann. Oft lohnt es sich, die überschaubaren Einstiegskosten und das geringe Downside Risk in Kauf zu nehmen und schnell Erfahrungen zu sammeln. Lieber sofort ein Pilotprojekt lancieren, statt eine Projektgruppe bilden, die endlos optimiert und so die Lancierung hinauszögert. Also nicht warten, während andere bereits lernen. Die Bedeutung dieses Grundsatzes hat der Systemforscher Peter M. Senge auf den Punkt gebracht: «The only sustainable competitive advantage a firm can have is learning faster than the competition.» Der gleiche Konsument, der beim Fernsehen die Werbeblöcke mithilfe des Harddisk-Recorders überspringt, sieht sich auf dem iPad faszinierende Werbefilme an und teilt diese in seinen Sozialen Netzwerken. Das zeigt, wie die Wahrnehmung der Markenkommunikation immer mehr auf Freiwilligkeit beruht und die Ära der Penetranz zu Ende geht. Um heute überhaupt
chindler befördert nicht nur Personen, sondern hebt auch die Online-Erfahrung auf der Website des Unternehmens und damit die globale Marke auf ein neues Niveau. Hintergrund dieser Entwicklung ist die Erkenntnis, dass ebenfalls im B2B-Bereich (Business-to-Business) heute die Ansprüche an den Internetauftritt der Betriebe gestiegen sind. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Ebikon LU hat sich dieser Herausforderung gestellt und mit dem Relaunch der Website seine Marke weiterentwickelt. 1874 in der Schweiz gegründet, zählt Schindler heute zu den weltweit führenden Anbietern von Aufzugsanlagen und Fahrtreppen. Der Betrieb ist mit Stand orten in über 100 Ländern vertreten und befördert täglich eine Milliarde Menschen. Schindler bietet aber weit mehr als Lifte. Die eigentliche Kernkompetenz des Unternehmens liegt in Lösungen rund um urbane Mobilität. Dabei geht es im Kern darum, Menschen überall effizient, umweltfreundlich und sicher durch Ballungsgebiete zu leiten. Als wichtiges «Transportmittel» für die Marke Schindler muss die Website diesen Aspekt wiedergeben. Deshalb initiierte man vor etwa drei Jahren eine komplette Erneuerung der Internetpräsenz. Von einem stark unternehmenszentrierten Fokus wurde der Umbau in Angriff genommen hin zu einer Online-Erfahrung, die sich ganz am Kunden orientiert.
beachtet zu werden, genügt es nicht mehr, nur einen Mehrwert eines Produkts anzukündigen. Die Kommunikation selbst muss einen Mehrwert bieten. Einen Unterhaltungswert oder einen konkreten Nutzwert. Nur so werden Botschaften beachtet und im Idealfall in der Community verbreitet. Auch hier gilt «Average is over». Man wird gesehen oder nicht.
Vom Ad- zum Useradvertising Durch die Digitalisierung gewinnt das Gespräch in der Community gegenüber dem Dialog mit dem Markenanbieter an Gewicht. Letzterer muss sich immer häufiger die Frage stellen: Reden in Zukunft die Kunden nur noch miteinander statt mit uns? Die Auseinandersetzung mit Marken dank Social Media wird intensiver und führt dazu, dass im Entscheidungsprozess immer wieder neue Marken auftauchen. McKinsey konnte nachweisen, dass der Konsument beispielsweise beim Autokauf mit durchschnittlich 3,8 Marken in die Evaluation einsteigt, dann aber im Prozess noch 2,2 Marken dazukommen. Der Sales Funnel, der von einer schrittweisen Reduktion der Marken im Entscheidungsprozess ausging, hat ausgedient. Wie kann eine Marke sich in dieser Situation am besten ins Gespräch bringen? Indem sie dem Konsumenten glaubwürdig hilft, bessere Entscheidungen zu treffen. Statt mit Floskeln auf ihn einzureden, sollte sie dem Konsumenten, der mit der Angebotsvielfalt überfordert ist, eine faire und transparente Entscheidungshilfe bieten. Ein auf den Entscheidungsprozess abgestimmtes Content Marketing ist ein probates Mittel dafür (siehe Grafik unten). Transmedial erzählen Die Fragmentierung der Medien sorgt dafür, dass immer mehr Medien von immer weniger Menschen genutzt werden. Wenn wir heute die ganze Zielgruppe nicht mehr an einem Ort erreichen können, müssen wir sie an vielen Orten in ein Gespräch mit der Marke involvieren und dafür sorgen, dass sie uns bis zu den eigenen Medien folgt. Das erreichen wir, indem wir Geschichten über mehrere vernetzte Kanäle erzählen und Synergie effekte nutzen. Aus der Erfahrung mit einer Vielzahl von Kampagnen haben sich Faktoren herauskristallisiert, die für die Beachtung und Verbreitung entscheidend sind: Die Geschichten müssen emotional berühren, überraschen und ein aktuelles Ereignis oder ein Trendthema aufnehmen. Der Bezug zur Marke muss relevant sein und darf nicht aufgesetzt wirken. Essenziell sind zudem eine hervorragende inhaltliche Vernetzung sowie die Bereitstellung einfach konsumierbarer Informationen, die zur Vertiefung motivieren, sogenannter Snackable Content. Besonders erfolgreich sind Hybrid-Geschichten, die online und offline beispielsweise mithilfe eines Events verbinden. Agilität dank Identität Nichts reduziert Komplexität in turbulenten Zeiten effizienter als eine starke Marke. Sie gewinnt durch ihre Grundfunktionen im digitalen Zeitalter noch einmal sprunghaft an Bedeutung. Als Orientierungshilfe, die das Angebot klar differenziert und die Wiedererkennung im Ange-
Erfolgsfaktoren für das transmediale Storytelling
Inhalt Struktur Emotion Über raschung
Der Kunde ist auch im Netz König Gerade bei B2B-Kundenbeziehungen sind Firmen noch sehr zurückhaltend, was die Modernisierung der Internet präsenz betrifft. Die Meinung, eine zeitgemässe Website sei in diesem Geschäftsumfeld zweitrangig, ist weit verbreitet. Nur: Der Standard von Internetseiten ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen – und damit auch die Erwartungen der Kunden. Das hat Auswirkungen auf die Gewohnheiten der Nutzer, egal in welchem Umfeld sie sich bewegen. Schindler hat diese Entwicklung früh erkannt und sich mit dem Relaunch das Ziel gesetzt, den Standardkunden ins Zentrum des Online-Erlebnisses zu stellen. Am Anfang stand die Frage, wer die Kunden des Unternehmens sind und welche Informationen sie auf der Website erwarten. Anstatt online einfach die Firmenstruktur abzubilden, entschloss sich Schindler dazu, den Kunden ins Zentrum zu stellen. Was brauchen die Kunden, wenn sie die Internetseite besuchen, und was kann für sie nützlich oder gar notwendig sein? Mit regelmässigen Befragungen stellt Schindler sicher, die aktuellen Bedürfnisse frühzeitig zu erkennen, um sie auf der Website umzusetzen. Bereits heute sind auf ausgewählten Schindler-Domains interaktive Planungstools integriert, die es Kunden erlauben, rasch und einfach Lösungen auszuwählen
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botswirrwarr sicherstellt. Als Qualitäts garantie, die gerade im Online-Handel, in dem die Ware nicht vor Ort geprüft werden kann, entscheidend ist. Und letztlich durch ihre Funktion als Stammeszeichen, die dazu führt, dass sich der Konsument mit einer emotionalen Erlebniswelt identifizieren und zu ihr bekennen kann. Laufend wichtiger wird die Agilität der Marke,
und eine erste Kostenübersicht zu erstellen. Ausserdem finden Besucher auf jeder Internetseite einen zum Inhalt passenden, direkten Kontakt, mit dem sie sich in Verbindung setzen können. Die Analysen und Umfrageergebnisse geben dem Unternehmen recht: Die Verweildauer der Besucher und die Kundenzufriedenheit sind markant gestiegen. 60 Prozent der Befragten würden die Website einem Kollegen weiterempfehlen.
Virtueller Flug durch Schindler City Mit einem visuell einheitlichen Auftritt und interaktiven Inhalten schafft Schindler heute eine konsistente Markenbotschaft in allen Standorten und bietet Besuchern in allen Märkten ein überzeugendes Anwendererlebnis. Ein Beispiel dafür ist die Schindler City, eine virtuelle Stadt, basierend auf dem Grundriss von Manhattan in New York City. Darin enthalten sind markante Gebäude aus der ganzen Welt, die Mobilitätslösungen von Schindler nutzen. Besucher der Website können in dieser interaktiven Stadt Gebäude wie den Prime Tower in Zürich, den Flughafen in München, das Rolex Learning Center in Lausanne oder das «Bird’s Nest» genannte Nationalstadion Peking betrachten und einen virtuellen Flug durch ausgewählte Referenzgebäude machen. Damit schafft das Unternehmen eine digitale Brücke zu den Kunden und eine emotionale Verbindung zu seinen Produkten. Während die Schindler City früher nur offline an Präsentationen genutzt werden konnte, ist sie heute auf der Website integriert und damit einem viel grösseren Publikum zugänglich. Diese virtuelle Stadt bietet den Besuchern die Möglichkeit zur Identifikation mit der Marke Schindler und veranschaulicht gleichzeitig den ganzheitlichen Ansatz des Herstellers als Lösungsanbieter für urbane Mobilität. Technologisch solides Fundament Um eine globale Präsenz auf diesem Niveau effizient zu bewirtschaften, ist ein umfassendes Werkzeug notwendig, das zugleich einfach zu bedienen ist. Mit dem Adobe Experience Manager gibt Schindler allen Standorten weltweit ein Content Management an die Hand, das es den Verantwortlichen erlaubt, einfach und rasch neuen Content auf ihrer jeweiligen Website zu publizieren und über das Adobe Digital Asset Management auf einen gemeinsamen Fundus an Bild material zurückzugreifen. Mit Adobe Analytics ist Schindler dann in der Lage, zu messen, wie der Content auf der Website bei den Besuchern ankommt. Damit lässt sich die Präsenz laufend weiterentwickeln, um den Kunden ein bestmögliches Anwendererlebnis zu bieten und damit die emotionale Verbindung zur Marke Schindler weltweit zu stärken. Michael M. Schmidt, Head of Employee & Customer Communications, Schindler Group, Ebikon LU, und Angelo Buscemi, Country Manager Switzerland, Adobe Systems, Basel.
um die Veränderungsgeschwindigkeit der Konsumtrends aufzunehmen. Voraussetzung dafür ist die klare Bestimmung der eigenen Identität. Schnell reagieren kann nur, wer genau weiss, welches Bild er damit erzeugen möchte. Dominique von Matt, Strategieberater, Präsident des Verwaltungsrats, Jung von Matt/Limmat, Zürich.
Content Marketing im Entscheidungsprozess Stufen der Kaufentscheidung
Wie kann ich mein Zuhause aufwerten?
Wie kann ich das selber machen?
Was brauche ich dazu?
Wo soll ich die Produkte kaufen?
Vernetzung
Marke
Relevanz
Aktualität
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handelszeitung | Nr. 13 | 27. März 2014
Vertiefung
Hybrid
Quelle: Jung von Matt/Limmat
ab 33 16.55
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Relevante Inspirierende Heimwerker- Planungs-, Produkt, Möglichkeiten Informationen Tipps und Kaufunterstützung Preis und für die -Anleitungen und Informationen Service Aktivierung zu Services
Quelle: Jung von Matt/Limmat
Schindler City: Eine virtuelle Stadt auf der Website, basierend auf dem Grundriss von Manhattan in New York City.
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46 | Marketing
handelszeitung | Nr. 13 | 27. März 2014
Swiss Poster Award – Bronze «Public Service»: «Schlitten» für Suva von Ruf Lanz.
«Steve Jobs war kein Genie» Dominique Turpin Der Präsident der Lausanner Kaderschmiede IMD über die neuen Aufgaben des Marketings. Ja genau. Produkte und Dienstleistungen sollen meine Kopfschmerzen beseitigen. Schon Peter Drucker sagte vor 50 Jahren, Technologie und Produktion seien nur unterstützende Funktionen – Unternehmen bräuchten vor allem Marketing und Innovation. In Wirklichkeit gehe es da rum, Werte zu erzeugen. Ein Unternehmen, das keine Werte herstellt, hat damals wie heute keine Existenzberechtigung.
und billiger machen können? Braucht sie dafür Genies wie Steve Jobs? Steve Jobs war auch kein fehlerloses Genie. Er hat zwar früh geahnt, dass wir ein iPhone und ein iPad schätzen werden, aber vorher hat er mit dem Newton und dem Apple-TV Flops gelandet. Zum Glück für die Unternehmen erinnern wir Konsumenten uns vor allem an die erfolgreichen Produkte ...
Sie wollen frischen Wind ins Marketing bringen: Der Chief Marketing Officer (CMO) soll sich neu Chief Customer Officer (CCO) nennen. Warum? Der Job des Marketingfachmanns ist es doch, Mehrwert für den Kunden zu kreieren und diesen zu kommunizieren. Er soll sich im Markt herumhören und heraus finden, was die Konsumenten plagt.
Die Kernaufgabe des neuen Chief Customer Officer ist es folglich, dem Konsumenten Werte zu vermitteln. Wie macht er das konkret? Damit muss er sich eben täglich beschäftigen. Der Konsument weiss ja nicht, was er morgen brauchen wird. Also soll dies der Marketingmann für ihn herausfinden. Und zwar im Alltag. Analysen heutiger Kundenwünsche sind nicht mal das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind. Die Marketingliteratur spricht auch seiten weise über vorhandene Konsumenten bedürfnisse. Das ist Quatsch!
Wer erschafft in der Schweiz denn Inno vationen? Jeder Hotelier, der mal in seinem eigenen Hotel übernachtet hat und unter den Tisch gekrochen ist, um den Stecker fürs Internet zu suchen, weiss, dass ein exzellenter Service von Kleinigkeiten abhängt. Und jeder Gast, der zusätzlich zur Übernachtung den Internetanschluss bezahlen muss, kehrt nie wieder zurück. Denn das WLAN sollte so selbstverständlich sein wie das warme Wasser in der Dusche.
Also sind die Ohren der Marketing fachperson wichtiger als ihr Mund?
Wie soll eine Organisation herausfinden, welche Dinge unser Leben leichter, besser
Interview: Alice Baumann
Sie vertreten öffentlich die These, der Chief Marketing Officer sei tot. Wie würden Sie reagieren, wenn jemand Ihre Funktion als Dean für überflüssig erklären würde? Dominique Turpin: Das ist die falsche Frage. Unter meiner Funktion verstehen alle das Gleiche. Was ich sagen will: Marketing ist der am meisten missverstandene Begriff im Management. Man versteht PR, Werbung, Verkauf oder Branding darunter. Doch es geht um viel mehr als das – um Mehrwert. Das war vor 50 Jahren schon so und wird auch in 50 Jahren noch so sein.
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Und wie erfährt der Hotelier, warum seine unzufriedenen Gäste kein zweites Mal bei ihm absteigen? Eben findet er es nicht über den Kunden heraus, denn dieser wird ihm keinen Abschiedsbrief schreiben. Er und seine Crew am Empfang müssen lernen, gescheitere Fragen zu stellen als: «Hatten Sie eine gute Nacht?» Was geschieht, wenn ich schlecht geschlafen habe? Bekomme ich etwa die Anzahl Stunden zurückerstattet? Autohändler oder Elektronikläden haben es einfacher als Dienstleister. Ist der Kunde unzufrieden, erhalten sie das neue Auto oder das neue Notebook zurück. Daraus lernen sie hoffentlich etwas. Was sind kluge Fragen? Bei einem schnellen Lunch sollte mich niemand fragen, ob das Essen gut war. Am Mittag dreht sich alles nur um die Zeit: Habe ich den ersten und den zweiten Gang je binnen einer Viertelstunde bekommen? Konnte ich nach dem Essen umgehend zahlen? Alles andere ist nebensächlich. Sogar der Preis hat in solchen Momenten nur zweite Priorität. Also sollte der Gastronom vor allem ins Personal und in die Logistik investieren. Das findet jeder heraus, der sich in die Schuhe des Konsumenten stellt. Fällt Ihnen als Nestlé-Professor ein Schweizer Musterschüler ein? Ja klar, Nespresso. Diese Firma hat es geschafft, zu verhindern, dass ich im Warenhaus neun Säcke mit alternden Kaffeebohnen kaufen muss. Stattdessen kann ich mir als Privatmensch leisten, neun Sorten Aromen im Haus zu haben, die immer frisch sind. Die Kapseln sind einfach einzusetzen, die Maschinen leicht zu reinigen und ersetzbar. Das nenne ich einen superguten Kundenservice. Oder Easyjet: Wie der Name sagt, fliege ich nach einer unkomplizierten Buchung fast überall hin, und dies – verglichen mit den Angeboten etablierter Fluggesellschaften – zu einem sehr tiefen Preis.
Sind Fluggesellschaften speziell innovativ spielsweise hat schon sehr früh erkannt, und kundenfokussiert? dass er im grossen Stil ins Marketing inOh nein, längst nicht alle. Der Brand ist vestieren muss. Er hat enorme Wahrnehimmer nur so gut, wie ihn die Kundschaft mung und Wertschätzung seiner Luxuswahrnimmt. Oft beginnt der Ärger bei der uhren erreicht. Hinter einer starken Marke langen Schlange vor dem Check-in am stehen Jahrzehnte von Aufbauarbeit, wie Flughafen, geht über die unfreundliche auch das Beispiel Rolex zeigt. Das schaffen Bedienung durch das Flugnur Manager mit Weitblick personal, die schmutzige Tound Sinn fürs Marketing. «Marketing ist ilette, das schlechte Essen sowie den veralteten Film an Also könnte der Unternehder am meisten Bord und endet beim Gemenschef den Marketingchef päckverlust auf dem Förder- missverstandene ersetzen? Begriff im band des Zielorts. Die Tragik Sagen wir es so: Das Markedabei ist, dass Leistungen ting ist noch wichtiger als Management.» wie die Zubereitung des Esdie Finanzen. Also sollte der sens und der Gepäckservice Chief Marketing Officer von Partnerbetrieben ausgeführt werden. mehr verdienen als der Chief Financial Trotzdem bleibt dem Kunden nur eine Er- Officer (CFO). Aber das ist wohl nirgends innerung: «Lufthansa ist eine schlechte der Fall. Beim Marketing denken alle an Fluggesellschaft.» Fazit: Marketing ist je- eine einfache Sache. Dabei gehört es zu dermanns Job; die ganze Erlebniskette den schwierigsten Aufgaben eines Untervon A bis Z muss herausragend sein. Da nehmens. steht auch der Unternehmenschef in der Verantwortung. Er darf das Marketing Wie finden Sie heraus, wie gut ein Chef nicht einfach delegieren. oder Inhaber arbeitet? Wenn ich ihn nach den drei schlimmsten Also geht es in erster Linie um Qualität? Kopfschmerzen seiner Kunden befrage Nein. Qualität ist das Thema von gestern. und er hat keine Antwort darauf, macht er Qualität wird vorausgesetzt. Sie differen- den falschen Job oder den Job falsch. Ein ziert dich nicht. Vor 20 Jahren drehte sich Produkt verkauft sich nur gut, wenn es am IMD alles um Total Quality Manage- Probleme löst. Und wenn es dem Brand ment. Heute gibt es null Kurse zu diesem dient. Jeder von uns bucht lieber Emirates Thema. Der Kunde will einen Unterschied oder Lufthansa als eine aserbeidschanibeim Wert, nicht bei der Qualität. Marke- sche Fluggesellschaft. ting ist heute ein rein emotionales Thema, wie die gut laufende Schweizer Industrie Sie sind Präsident einer Business School. der Luxusuhren beweist. Kein Mensch Welcher Mission folgt das IMD? braucht eine Hublot oder Rolex. Die Zeit Wir entwickeln global tätige Führungssteht auf jedem Smartphone. Aber er will kräfte. Marketing ist ein Puzzlestein ihrer sich durch den Schmuck am Handgelenk Aus- und Weiterbildung. Noch wichtiger unterscheiden. Jean-Claude Biver bei- sind heute die Werte einer Person, also die Schulung des Charakters. Und natürlich der Gesamtblick für den Markt. Wenn Banken um 16 Uhr vor seiner Nase den Schalter schliessen und der Bankomat eine Störung hat, ist es dem Kunden egal, ob sein Finanzinstitut das Team Alinghi sponsert oder nicht. Er ist dann ganz einfach unzufrieden.
Der Lehrmeister Name: Dominique Turpin Funktion: Präsident und NestléProfessor am IMD in Lausanne Alter: 57 Nationalität: Doppelbürger Schweiz und Frankreich Ausbildung: PhD Sophia University (Tokio, Japan) Die Schule Das International Insti tute for Management Development (IMD) in Lausanne ist eine private Wirtschaftshochschule, die 1990 aus der Fusion zweier firmeneigener Kaderschmieden hervorgegangen ist, des IMI in Genf von Alcan und des IMEDE in Lausanne von Nestlé.
Lehrt Ihre private Kaderschmiede allen Studierenden Ihr Dogma? Persönlich unterrichte ich nur Marketing, nicht Finanzen. Ich kann also nicht über die Inhalte anderer Professoren bestimmen. Aber auch unsere Schule unterliegt diesem Dilemma, dass sie aus der Tradi tion eher träge ist, von den Zielen her aber innovativ sein will. Wie innovativ ist denn das IMD? Wir stellen uns aktuellen Themen wie dem kostenlosen Online-Learning für die gesamte Bevölkerung mit Internetanschluss sowie der Bewertung der Professoren durch Studierende. Unseren Kunden ist die Titelei der Lehrkräfte egal. Wenn ein Assistent mehrmals viel besser unterrichtet als ein Professor, bekommt der Assistent gute Noten, während der Professor seine Kündigung riskiert. Ich versuche also zu praktizieren, was ich lehre.
48 | Marketing
handelszeitung | Nr. 13 | 27. März 2014
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Patient Marke
Kunstfehler Ist das klassische Handelsmarketing am Ende? Und welchen Beitrag Agenturen dazu leisten. Ein Erklärungsversuch.
D
Wolfgang Frick
er olympische Gedanke gilt: Schneller, weiter, höher, besser und vor allem billiger. Nur dabei zu sein, ist zu wenig. Kunden kennen von allem den Preis, aber von nichts mehr den Wert. Wir reden von einer Zuvielisation und davon, dass der Überfluss den Mangel abgelöst hat. Wie begegnet der Handel und insbesondere der Detailhandel dieser nicht unbedingt neuen Herausforderung? Ist es ausreichend, einfach nur eine Agentur zu engagieren und so die Problemlösung zu delegieren? Ein Erklärungsversuch. «Wenn man nicht mehr weiter weiss, dann gründe man einen Arbeitskreis», heisst es salopp im Büroalltag. Wenn interne Lösungsversuche scheitern oder der Glaube daran fehlt, wird gerne Agentur hilfe in Anspruch genommen. Frag mal die Agentur als letzte Hoffnung – so ähnlich wie «Harry, fahr schon mal den Wagen vor». Der Begriff Agentur mit Betonung auf «Agent» ist dabei umfassend und sehr weitläufig. Jeder hat seine eigene Vorstellung im Kopf. Es gibt Werbe-, Media-, Presse-, Casting-, Event-, Sport-, Online-, Offline-Agenturen … Es gibt für alles eine Agentur. Aufgrund dieser Artenvielfalt ist es wie im Zirkus. Das ganze Programm wird vorgeführt, alle Kunststücke werden gezeigt und die Vorstellung dauert viel zu lange. anzeige
«AD, CD, keine Idee.» AD steht für Art Director und CD für Creative Director. Der Agenturkunde ist überfordert und weiss erst recht nicht, was er machen soll, um die eigene Marke zu schärfen. Agenturen fehlt es zum Teil am Fokus, sie begreifen sich selbst zu wenig als Marke – und das überträgt sich auf deren Kunden.
Applaus bleibt oft aus Agenturen, die alles können, gibt es nicht. Es sind auch immer mehr akrobatische Einlagen notwendig, um den Endkunden noch für seine Leistung zu begeistern. Der Applaus – sprich Umsatz – bleibt meistens aus und man senkt die Eintrittspreise. Und das ist genau der falsche Weg. Konsequente Markenführung heisst das Zauberwort. Klingt einfach, wirkt aber erst langfristig. Deshalb ist der Erfolg in Zahlen nicht sofort messbar. Es gibt nämlich zu viele Werbe- und zu wenige Strategieagenturen, die gleichzeitig die Kommunikation beherrschen. Deshalb ist der Agenturmix entscheidend. Es gibt für alles eine Agentur, aber man braucht nicht für alles eine. Alles aus einer Hand ist nicht ideal, genauso wie eine zu breite Streuung. Agenturkonkurrenz untereinander kann dann leicht pathologisch werden. Man zeige ein Konzept der Agentur A der Agentur B und man weiss, was gemeint ist. Agenturarbeit ist wie Kindererziehung: Bei anderen wissen wir es immer besser. Agenturen sind bes-
ser im «Verurteilen» als in der Eigenkrea tion. Das hilft dem Handel überhaupt nicht. Folgende Alltagsszene: Man brieft die Agentur und erhält mehr Vorschläge als gewünscht. Wieso? Diese Frage stellt sich einem regelmässig. Bekanntlich kann unser Gehirn nicht absolut entscheiden. Wir brauchen immer eine Relation zu etwas. Besser, schöner als. Vor allem wird noch in langen Einleitungen erzählt, was der Kunde in diesem Entwurf, in dieser Kam pagne, in diesem Sujet – egal was – sehen soll. Anstatt die Interpretation dem Endkunden zu überlassen. Somit sind viele
Kunden kennen von allem den Preis, aber von nichts mehr den Wert. Wir reden von einer Zuvielisation. Entscheidungen relativ und selten absolut zur Marke. Agenturen zeigen mehr als sie müssten und weniger als sie könnten. Marken wachsen von innen nach aussen – und nicht umgekehrt. Zu den unaufgeforderten Vorschlägen, auch Agenturempfehlung genannt, erhält man dann noch ein todsicheres Konzept dazu, wie es umgesetzt werden soll. Aus Studien der GfK wissen wir, dass 70 Prozent aller Innovationen Flops sind und 60 Prozent davon aufgrund eines schwachen Marketingkonzeptes. Hier lässt sich der
Buchtipp
Ganz vorne anfangen
Swiss Poster Award – Gold «Kommerziell regional»: «Wasserwaage» für Haus Hiltl von Ruf Lanz.
Handlungsbedarf klar ableiten und Agenturen mutieren vom Geburtshelfer tatsächlich zum Pathologen. Vorstellungskraft ist wichtiger als Wissen. Und Bilder vermitteln ist eine Kunst, die Agenturen perfekt beherrschen. Wie in einem Kaleidoskop. Daraus entsteht die Diskrepanz zwischen dem, was der Kunde will, und dem, was die Agentur bietet. Ein schwieriges Unterfangen, das nur auf Vertrauensbasis über mehrere Jahre wachsen kann. Agenturen sind Markenentwickler und keine Markenbegleiter. Am besten man gibt der Agentur ein Ruder in die Hand, somit geht es gemeinsam vorwärts in die richtige Markenrichtung.
Agenturtauglich sein Das Auge sitzt vor dem Verstand und genau deshalb werden aus vielen Präsentationen anstatt Konzept- nämlich Geschmacksdiskussionen. Es geht einzig und allein um Markenwirkung. Oft kennen Agenturen den Markenkern und die Marken-DNA überhaupt nicht. Dabei handelt
es sich nicht immer um Desinteresse, sondern der Kunde verfügt nicht darüber oder ist diesbezüglich zu wenig offen. Der Kunde muss es zulassen, sonst hat die Agentur keine Chance, die Marke zu gestalten. Der Kunde muss agenturtauglich sein und es auch wollen. Bekanntlich steht hinter jedem erfolgreichen Mann eine erfolgreiche Frau. Und hinter jeder erfolgreichen Marke steht eine erfolgreiche Agentur, die den Kunden verstanden hat. Das braucht eben seine Zeit. Dinge entwickeln sich nicht von heuteauf morgen. Häufige Agenturwechsel und endloses Pitchen sind nicht die Lösung. Auch auf Kundenseite muss gelernt werden, solchen Versuchungen zu widerstehen. Daraus entstehen dann zwangsläufig Kampagnen, die nicht nur auf den Preis fokussiert sind. Ein hartes Los – vor allem in der (Detail-)Handelswerbung. Denn die Kampagnen zeigen ihre Wirkung sehr zeitverzögert. Eine Agentur ist Anwalt des Kunden und kennt die Gesetze der
Markenführung. Ergo definieren sich Marken nicht über den Preis, sondern über den Mehrwert. Diesen Mehrwert gilt es in Szene zu setzen. Sei es die Betonung des originären Grundnutzens des Handels – Nahversorgung – Herkunft hat Zukunft – oder durch differenzierende Sortimentsbereiche. Weg(e) von der reinen Preiswerbung hin zum Nutzenversprechen sind zu suchen. Damit ist nicht gemeint, künstliche Bilder in den Köpfen der Endkunden aufzubauen. Die Verkaufsstelle ist der Ort des Ein lösens eines im Marketing gemachten Versprechens. Oder anders ausgedrückt: Der Ort der Wahrheit. Ein derartiges Engagement für die Marke ist ebenso essenziell wie ungewöhnlich. Allzu oft konzentrieren sich die Werbeagenturen darauf, originelle Kampagnen zu entwickeln, ohne darauf zu achten, ob ihre grossen Würfe zu den Realitäten am Verkaufsort passen. Dabei ist nichts fataler, als dort, wo die Marke ihren wichtigsten Auftritt hat, die Erwartungen der anzeige
Kunden zu enttäuschen. So gesehen wächst die Marke ausnahmsweise von aussen nach innen. Derjenige, der dem Kunden in die Augen schaut, entscheidet über die Erfüllung des Markenversprechens – und nicht die
Die Verkaufsstelle ist der Ort des Einlösens eines im Marketing gemachten Versprechens – der Wahrheit. Agentur. Diesen Kunstfehler begehen wir oft. Kampagnen werden verabschiedet, ohne an die (Aus)wirkung dieser auf den Verkaufspunkt zu denken. Erwartungshaltung und Erfüllungsgrad – die Differenz daraus entscheidet über Kundenzufriedenheit oder eben Unzufriedenheit. Dabei gibt es vier mögliche Szenarien für die Befindlichkeit einer Marke: • Wenn keine bis geringe Erwartungshaltung und ein korrespondierender Erfül-
lungsgrad, so ist die Marke «klinisch tot». Da hilft auch keine Agentur mehr. • Wenn eine Erwartungshaltung geweckt wird, der Erfüllungsgrad aber sehr bescheiden ist, so liegt die Marke im «Wachkoma». Das Werbeversprechen ist aufgesetzt und wird nicht erfüllt. Hier heisst es «zurück an den Start» und überlegen, was die Marke wirklich erfüllt. • Wenn es eine geringe Erwartungshaltung gibt, aber einen hohen Erfüllungsgrad (die Leistung ist besser als erwartet), dann müssen Marken «wiederbelebt» werden. Wiederbelebung bedeutet: Agenturen rücken das Markenversprechen ins rechte Licht. Die Marke macht vieles gut, aber keiner weiss davon. Die Agentur küsst die Marke wach. • Der Idealfall: Die hohe Erwartungshaltung wird erfüllt oder übertroffen. Dann ist die Marke «unsterblich». Der Preis rückt in den Hintergrund. Die meisten Kunden und damit auch deren Agentur(en) bewegen sich im Quadranten «klinisch tot» – zu wenig Profil,
kein klares Markenversprechen – und genau deshalb floriert Preiswerbung und treibt nicht nur dem Online-Handel die Umsätze zu.
Noch nicht am Ende Der Weg in diese «Unsterblichkeit» der Marke ist kein leichter. Die Abkehr von billiger Preiswerbung hin zu Mehrwert ist der richtige Weg. Aber der erste Anbieter, der damit anfängt, verliert Umsatz … Deshalb ist die klassische Handelswerbung (noch) nicht am Ende. Denn der Erfolg einer Marke hängt ganz wesentlich davon ab, ob das Unternehmen in allen seinen Aktivitäten im Sinne der Markenbotschaft handelt. Marken leben von ihrem eigentümlichen Erfolgsmuster, einem Image, das kein nur von der Werbung erzeugtes sein darf, sondern bei jedem Aufeinandertreffen mit Kunden bestätigt werden muss. Wolfgang Frick, Geschäftsleiter Marketing und Sortimentsmanagement, Spar Gruppe, St. Gallen.
Inhalt Was unterscheidet «Patient Marke – Kunstfehler im Marketing» von Wolfgang Frick von klassischen Marketingbüchern? Auf der Buchrückseite steht dazu: «Es will nicht an Grundlagen wiederholen, was tausendfach publiziert wurde. Es ist ein unterhaltsames Kompendium praktischer Erfahrungen, grundlegender Einsichten, lebensphilosophischer Erkundungen aus der Welt der markengeführten Unternehmenskultur. Es setzt ganz vorne an, bei der Definition von Marketing, die bestechend einfach ausfällt: Marketing ist die systematische Anwendung von Denkvermögen.» Mitte Juni erscheint «Kunstfehler im Marketing» in der zweiten Auflage. «Kunstfehler im Marketing», Bucher GmbH & Co. Druck Verlag, 240 Seiten, ca. 35 Franken.
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handelszeitung | Nr. 13 | 27. März 2014
In fünf Schritten zu mehr Profit Sales Excellence Es gibt nicht den optimalen Vertrieb, jedoch den richtigen Weg – man muss nur die Kernbausteine kennen.
Bei allem Optimismus
D
Annette Ehrhardt und Stefan Beeck
Detailhandel Fakten und Trends zum Stand der Dinge sowie zur Branche als Arbeitgeber und Ausbildner.
A
Martin Hotz
us der aktuellsten Ausgabe der jährlich erscheinenden Studie «Retail Outlook», die die Credit Suisse jeweils gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen Fuhrer & Hotz erstellt, geht für 2014 hervor, dass die Grundvoraussetzungen für den Detailhandel hierzulande aktuell gut sind – nach einem schwachen Vorjahr. Die Verbesserung der Konjunktur dynamik im Ausland und das anhaltend robuste Wirtschaftswachstum in der Schweiz sprechen dafür, dass die Konsumentenstimmung weiterhin ansteigen dürfte, wenn auch mit zwischenzeitlichen Rückschlägen. Diverse Bremsfaktoren der Vorjahre fallen weg. So dürften die Preise insgesamt nur noch leicht zurückgehen und der Einkaufstourismus auf sehr hohem Niveau stagnieren.
Umstand, dass jeder neunte befragte TopEntscheider aus dem Detailhandel zu Protokoll gibt, seine Verkaufsfläche mit Blick auf das bestehende (Über-)Angebot und die eigene Quadratmeter-Produktivität reduzieren zu wollen, entspricht einem Novum. Die jahrelange Expansionsflut im hiesigen Detailhandel scheint also – zumindest für den Moment – gestoppt zu sein. Nichtsdestotrotz wird über die kommenden Jahre aufgrund von Neu- und Umbauten unter dem Strich mehr Wiederverkaufsfläche hinzukommen, aber in einem im Vergleich zu den Vorjahren reduzierten Umfang.
Mühe, Fachkräfte zu gewinnen Der Detailhandel ist mit rund 320 000 Beschäftigten – rund 8 Prozent davon sind Lernende – die drittgrösste Arbeitgeberbranche und der grösste Lehrlingsausbildner der Schweiz. Die Mitarbeitenden sind für den Erfolg in dieser kundenbezogenen und arbeitsintensiven Disziplin abTransformationsdruck nimmt zu solut zentral. Die Anforderungen an die Das Geschäftsjahr 2013 akzentuierte Mitarbeitenden nehmen laufend zu, sodie Aufteilung in Gewinner- und Verlierer- wohl qualitativ als auch punkto Flexibilibranchen im Detailhandel. Die Lebens- tät. Für Stellensuchende ist diese Branche mittelumsätze legten um 2 Prozent zu, allerdings leider oft nur zweite Wahl oder während in Nonfood-Segmenten wie sogar eine reine Notlösung. beispielsweise Bekleidung, Schuhe, SportAus der Befragung geht hervor, dass artikel, Möbel oder Heimelektronik Um- heute schon rund ein Drittel aller Untersatzrückgänge von zum Teil mehr als 3 nehmen die gestiegenen Anforderungen Prozent hingenommen wermitarbeiterseitig nicht oder den mussten. Hier wurden nicht mehr entsprechend Die Aufteilung auch im Mehrjahresverabdecken kann. Bei der Re gleich die Vorgaben so oft in Gewinner und krutierung von Fachkräften wie nie zuvor verfehlt. mit Berufslehre beispielsVerlierer im Dennoch besteht gesamtweise bekunden 13 Prozent Detailhandel haft über alle 218 vom Berader Unternehmen im Detailtungsunternehmen Fuhrer & akzentuiert sich. handel heute schon Mühe. Hotz befragten EntscheiWenn man zusätzlich bedungsträger im Detailhandel denkt, welche Herausfordeund in der Zulieferindustrie viel Zuver- rungen der demografische Wandel für die sicht in Bezug auf die kommenden Mona- Arbeitswelt mit sich bringt, dann ist klar, te. 74 Prozent der Unternehmen planen dass sich der Fachkräftemangel bezieeinen im Vergleich zum Vorjahr höheren hungsweise der «war for talents» weiter Umsatz. Derweil signalisiert die gegen- zuspitzen und ebenfalls diese Branche über dem Umsatz defensivere Gewinnpla- nachhaltig beschäftigen wird. nung, dass der Druck auf die Margen hoch Lösungsansätze für die Zukunft bleiben dürfte. Das oberste Ziel für die Unternehmen Die aktuellen Entwicklungen wiederum hinterlassen markante Spuren bei der besteht auch nach Auffassung der interFlächenplanung der Retailer in der viewten Unternehmensvertreter im AufSchweiz. Noch nie seit Anbeginn der Mes- und Ausbau der eigenen Attraktivität als sungen war der Anteil der Detailhändler, Arbeitgeber und dem damit verbundenen die mit ihrem heutigen Filialnetz zufrie- Employer Branding. Hier ist es von entden sind, so tief wie heute. Und auch der scheidender Bedeutung, dass sich die anzeige
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handelszeitung | Nr. 13 | 27. März 2014
Swiss Poster Award – Silber «Kommerziell regional»: «Tierpatenschaften» für Zoo Zürich von Y&R Group Switzerland.
rbeitgeber beispielsweise im Internet A gegenüber potenziellen Ausbildungs- und Stellensuchenden möglichst attraktiv präsentieren und positionieren. Des Weiteren sind Massnahmen im Bereich der Mitarbeiterentwicklung gefragt, das heisst also im Bereich Aus- und Weiterbildung. Kurzum geht es um die Unternehmensführung und -kultur. Beispiele aus dem internationalen Retail-Umfeld ver-
deutlichen, dass ein exzellenter Mitarbeitender mit und dank entsprechender Leidenschaft bis zu drei gute Mitarbeitende ersetzen kann. Und auch das geschickte Zusammenstellen von altersgemischten Teams dürfte vor dem beschriebenen Hintergrund in Zukunft an Bedeutung zunehmen. Und übergeordnet, sprich firmenübergreifend, tut die Branche gut daran, sich im Kampf um Talente als Ganzes zu
Personalsuche im Schweizer Detailhandel «Wo werden Nachwuchs- und Führungskräfte in Ihrem beziehungsweise für Ihr Detailhandelsunternehmen vorzugsweise rekrutiert?» (Angaben in Prozent) Intern im eigenen Betrieb Aus anderen Betrieben des Detailhandels Von Universitäten/Fachhochschulen
74 68 41 51 11 22
Aus Industrie-/Herstellerunternehmen
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Aus Marktforschungs-/Beratungsfirmen
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Umfrage unter 73 Handelsvertretern; Mehrfachantworten möglich.
Nachwuchskräfte Führungskräfte Quelle: «Retail-OUtlook 2014»/Fuhrer & Hotz
positionieren und ihre (Attraktivitäts-) Vorteile entsprechend zu kommunizieren. So wie dies andere Branchen, etwa der Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten VSSM mit der Kampagne «Der Schreiner – Ihr Macher», bereits mit Erfolg praktizieren. Martin Hotz, Geschäftsführender Partner, Fuhrer & Hotz – Excellence in Retailing, Baar ZG.
Veranstaltung
Nachwuchskräfte und Talente finden Seminar Mit der Zürcher Gesellschaft für Personal-Management (ZGP) veranstaltet Fuhrer & Hotz am Mittwoch, 28. Mai 2014, ein Seminar für Personalverantwortliche im Detailhandel. Der halbtägige Anlass unter dem Titel «Talent-Management und Nachwuchsförderung im Detailhandel» findet im Tagungszentrum Bocken in Horgen statt. Die Teilnahme inklusive Mittagessen kostet 580 Franken.
er Wind wird rauer: Im ak tuellen Konjunkturumfeld sind Schweizer Vertriebs departements durch Forderungen nach mehr Umsatzwachstum und besserer Kosteneffizienz extrem gefordert. Gewachsene Strukturen stehen fast überall auf dem Prüfstand. Grosskonzerne wie auch der Mittelstand streben nach Sales Excellence, um auf der Verkaufsseite noch mehr herauszuholen. Der ideale Vertrieb sieht zwar je nach Branche und Firma anders aus, Vertriebsoptimierungen bestehen aber immer aus den folgenden fünf Kernbausteinen: Vertriebsstrategie Die Prioritäten richtig setzen: Die richtigen Vertriebsziele und -budgets vorgeben kann man nur bei voller Klarheit über die strategische Bedeutung von Märkten und Kundensegmenten. Doch oft fehlt dieses Wissen. Bei einem Werkzeugmaschinenhersteller sah der Vertriebsleiter Indien als den wichtigsten Zukunftsmarkt an, sein Stellvertreter legte den Fokus dagegen auf die weltweite Vermarktung eines hochkomplexen Spezialprodukts. Um die Prioritäten zu klären, wurden alle Produkt- und Kundensegmente sowie die Vertriebsregionen nach Attraktivität, Wettbewerbsintensität und den Positionierungsvorteilen des Unternehmens analysiert. Das Ergebnis: Indien bot zwar das grösste Potenzial, die Firma war dort jedoch schwach vertreten. Beim Spezialprodukt dagegen hatte sie weltweit eine marktführende Position. Daher legte man für die beiden Märkte unterschied anzeige
Swiss Poster Award – Bronze «Kommerziell regional»: «Umweltschutz-Buttons» für Verkehrsbetriebe Zürich von Ruf Lanz.
liche, aber spezifische und abgestimmte Vertriebsstrategien und -ziele fest. Marktangang Wachstum sichern durch optimale Marktbearbeitung: Welches ist der beste Mix aus direkten und indirekten sowie physischen und digitalen Vertriebskanälen? Der Werkzeugmaschinenhersteller entschied sich, in Kernmärkten die eigenen Gesellschaften gezielt auszubauen, dafür in Indien zunächst auf Agenten zu setzen, um den Markt effizient zu erschliessen. Weitere Wachstumspotenziale offenbarte die Überprüfung des Vertriebstrichters. Für alle Teilmärkte wurde das Marktvolumen den abgegebenen Angeboten und gewonnenen Aufträgen ge-
genübergestellt. In einer Region nahm das Vertriebsteam zwar an fast 90 Prozent aller Ausschreibungen teil, gewann davon aber weniger als 15 Prozent. Eine verbesserte Herangehensweise zur Anfragen bewertung und -priorisierung steigerte diese Abschlussquote innert kurzer Zeit deutlich. Vertriebsstruktur Effizienz schaffen mit der richtigen Vertriebsorganisation: Wie viele Hunter und Farmer, Key Account Manager und Innendienstmitarbeiter braucht es? Wie sind Verantwortlichkeiten und Schnittstellen zu organisieren? Die Vertriebsorganisation eines Logistikdienstleisters war über Jahre unkoordi-
niert gewachsen und hatte einige Ineffi zienzen gebildet. Eine Neuzuordnung der A-, B- und C-Kunden im Aussendienst, die systematische Übertragung der D-Kunden an den Innendienst und die klarere Fokussierung von einigen ausgewiesenen Jägern auf die Neukundengewinnung richteten die Organisation besser aus. Parallel wurden Vertriebsprozesse überarbeitet, was dem Aussendienst mehr Zeit für Kernvertriebsaktivitäten ermöglichte – vorher hatte man zu viel Zeit mit Administrativem wie dem Ausfüllen umständlicher Besuchsberichte verbracht. Margenmanagement Profitabilität steigern mit richtigen Preisen: Ein typischer
Vertriebsmitarbeitender blickt vor allem auf die Anzahl der Abschlüsse, die Profitabilität der Aufträge wird dagegen oftmals vernachlässigt. Ein Schraubenhersteller überarbeitete daher sein Rabattsystem für kleine und mittlere Kunden. Verbindliche Eskalationsregeln für jede Situation legten fest, ab welcher Rabatthöhe der Vorgesetzte eine Genehmigung erteilen muss. Bereits im ersten Monat sank die Rabattvergabe deutlich. Für Key Accounts wurde zudem die kundenindividuelle Preisfindung systematisiert. Ein Tool auf dem mobilen Computer des Verkäufers schlägt nun für jeden Auftrag – in Abhängigkeit vom Kundentyp, der Art des Produkts, der Lieferzeit und von weiteren Kriterien – den jeweils idealen Zielpreis vor. Dieser Preis dient als Richtwert für die Verhandlung. Auch diese Einschränkung der unkoordinierten Rabattvergabe führte zu einer deutlichen Margensteigerung. Controlling/Vergütung Mehr Trans parenz und bessere Steuerung: Ein neues Vertriebscontrolling-System liefert zudem auf Knopfdruck mehrdimensionale Umsatz- und Deckungsbeitragsanalysen. Ineffizienzen auf Regionen-, Produktgruppen- und Einzelmitarbeiterebene können so schnell aufgedeckt und korrigiert werden. Einen wichtigen Beitrag zur Margensteigerung des Schraubenherstellers leistete auch die Umstellung der Vertriebsvergütung. Der Bonus hängt heute nicht mehr nur vom Umsatz ab, sondern auch davon, wie gut der Zielpreis in der Verhandlung durchgesetzt wird. Fazit: Es gibt nicht den optimalen Vertrieb, aber den richtigen Weg zu Sales Excellence. Er führt immer über die fünf Schritte Vertriebsstrategie, Marktangang, Vertriebsstruktur, Margenmanagement sowie Controlling und Vergütung. Annette Ehrhardt und Stefan Beeck, beide Senior Director, Simon-Kucher & Partners, Zürich.
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handelszeitung | Nr. 13 | 27. März 2014
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handelszeitung | Nr. 13 | 27. März 2014
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Reorganisationen Gezielte und gut vorbereitete Kommunikation ist entscheidend, um beispielsweise einen Stellenabbau zu begründen.
E
Daniel Piller
Gründe möglichst verständlich zu machen und über die Etappenziele sowie die Unterstützung für Mitarbeitende zu informieren. Da Mitarbeitende meist irritiert und besorgt auf solche Mitteilungen reagieren, ist Empathie und aktives Zuhören der Führungskräfte gefragt, um den gegenseitigen Dialog aufrechtzuerhalten. Selbst wenn viele Fragen nicht beantwortet werden können, sollten die Türen für persönliche Gespräche offenstehen. Dabei geht es auf keinen Fall darum, «everybody,s darling» zu sein, denn niemandem ist geholfen, wenn die Situation beschönigt wird.
rst kürzlich hat die Zurich Insurance Group Pläne zur Vereinfachung ihrer Organisa tionsstruktur bekannt gegeben mit dem Ziel, die Komplexität und die Kosten zu reduzieren. Reorganisationen als Folge von Effizienzsteigerungsprogrammen, Firmenübernahmen oder Unternehmenszusammenschlüsse gehören heute zum Alltag in der Wirtschaftswelt. In der Entwicklung eines Unternehmens sind dies wichtige und zugleich anspruchsvolle Meilensteine. Reorganisationen stellen vor allem auch die Kommunikation vor Rolle der Kaderleute ist entscheidend Führungskräfte spielen eine entscheigrosse Herausforderungen. Doch wie kann eine umsichtige und dende Rolle, ob eine Veränderung erfolggezielte Kommunikation Reorganisatio- reich umgesetzt werden kann. Schon früh nen unterstützen? Unternehmen führen sollte die Geschäftsleitung entscheiden, öfter als früher Reorganisationen durch. welche Kaderleute eine Schlüsselrolle in Nichtsdestotrotz sind Reorganisationen der zukünftigen Organisation haben und für das Kommunikationsteam noch im- daher frühzeitig involviert werden sollen. mer Spezialsituationen. Oft fehlen die da- Mit entsprechenden Briefings und Traifür notwendigen Erfahrungen, um solche nings muss diese Gruppe gezielt auf ihre Veränderungsprozesse optianspruchsvollen Führungsmal zu unterstützen. Firmen und KommunikationsaufNiemandem ist entscheiden sich dann, exgaben vorbereitet werden. geholfen, wenn terne KommunikationsfachDie Zahl der frühzeitig leute ins Boot zu holen. involvierten Personen sollte beispielsweise Nach Schweizer Recht ein Stellenabbau jedoch so klein wie möglich sind Reorganisationen, die gehalten werden, um die mehr als 10 Prozent der Be- beschönigt wird. Wahrscheinlichkeit eines legschaft betreffen, MassenInformationslecks zu minientlassungen und müssen in einem defi- mieren. Das Risiko, dass Informationen nierten Rahmen umgesetzt werden. Das bewusst gestreut werden, ist gerade bei Unternehmen muss die Mitarbeitenden Führungskräften gross, die von einer Reund das kantonale Arbeitsamt über die organisation negativ betroffen sind. Wenn immer möglich sollte diese Inforpotenziellen Entlassungen informieren. In einem Konsultationsprozess erhalten mationssequenz eingehalten werden: die Mitarbeitenden die Möglichkeit, Vor- Führungskräfte vor Mitarbeitenden, Beschläge zu machen, wie die Konsequen- troffene vor Nichtbetroffenen und interne zen einer Reorganisation minimiert wer- vor externen Zielgruppen. Dem Grundden können. Erst nach sorgfältiger Prü- satz, dass die Mitarbeitenden vor den Infung der Vorschläge kann das Manage- vestoren und den Medien informiert werment über die neue Organisationsstruktur den, können börsenkotierte Unternehmen informieren und mit den Mitarbeitenden oft nicht gerecht werden. Aufgrund der über ihre zukünftige Rolle sprechen bezie- Börsenregulierung sind sie dazu verpflichtet, ihre Anspruchsgruppen vor oder nach hungsweise Entlassungen aussprechen. Börsenschluss über Veränderungen zu inViele Fragen – nur wenige Antworten formieren, die einen potenziellen Einfluss Nach Ankündigung einer Reorganisati auf den Aktienkurs haben könnten. Bei Reorganisationen steht die Reputaon ist das Informationsbedürfnis der Mitarbeitenden verständlicherweise gross. tion eines Unternehmens auf dem Spiel. Da während der Konsultationsphase die Mitarbeitende und externe Anspruchsentscheidenden Fragen über die zukünfti- gruppen wie Behörden, Gewerkschaften, ge Rolle und die Organisation jedoch nicht Investoren und Medien verfolgen genau, beantwortet werden können, herrscht zu wie die Geschäftsleitung über die ReorgaBeginn grosse Verunsicherung und Orien- nisation informiert und diese umsetzt. Je tierungslosigkeit. Die Konsultationsphase nach Grössenordnung der Veränderunsollte daher so kurz wie möglich sein, un- gen lohnt es sich, mit den nationalen, kanter anderem auch, um den Verlust von ta- tonalen und/oder lokalen Behörden auf vertraulicher Basis vorab in den Dialog zu lentierten Mitarbeitenden zu verhindern. In der ersten Kommunikationsphase treten. Dabei geht es vor allem darum, bei muss es der Geschäftsleitung gelingen, die den Behörden ein gewisses Verständnis anzeige
Swiss Poster Award – Gold «Digital out of Home» (Werbung via E-Board): «Ehering-Spot» für Verkehrsbetriebe Zürich von Ruf Lanz.
Back to basics! Doch welche Basis? Markenführung Um wirklich Begehrtheit und Absatz zu steigern, muss der Blickwinkel radikal verändert werden. Inga Ellen Kastens und Peter G. C. Lux
B Swiss Poster Award – Gold «Kultur»: «Der Gott des Gemetzels» für Theater Biel Solothurn von Atelier Bundi.
für die Pläne zu schaffen. Die frühzeitige Information ist vertrauensbildend und gibt den Behörden die Möglichkeit, sich im persönlichen Gespräch zu äussern und eigene Vorbereitungen zu treffen. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Behörden in der öffentlichen Diskussion nicht fundamental gegen die Pläne des Unternehmens stellen. Die Gespräche sollten im Rahmen einer klar umrissenen Verhandlungsstrategie geführt werden, die vorgibt, wie man auf Forderungen der Behörden reagiert. Die frühe Involvierung setzt natürlich ein Vertrauensverhältnis voraus, das man nicht über Nacht aufbauen kann. Gerade in solchen Situationen profitiert ein Unternehmen von einem guten Beziehungsnetz.
Das persönliche Gespräch hat Vorrang Genügend Zeit sollte das Management für Interviews mit Journalisten einplanen, um insbesondere die Gründe der Reorganisation und die Eckpfeiler des Sozialplans zu erläutern. Das Medienecho hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss darauf, in welchem Ton der Konsulta tionsprozess mit Mitarbeitenden, Gewerkschaften und Behörden abläuft. Der Ablauf am Tag der Ankündigung ist anspruchsvoll und muss im Detail geplant werden. Dies ist insbesondere bei weltweiten Reorganisationen der Fall, die verschiedene globale Funktionen wie auch lokale Organisationseinheiten betreffen. Neben einer schriftlichen Kommunika tion (E-Mail an Mitarbeitende, Update an Investoren, Medienmitteilung) sollte das persönliche Gespräch im Vordergrund stehen (Informationsveranstaltungen für Mitarbeitende, Conference Call mit Investoren, direkte Orientierung und erste Interviews mit ausgewählten Medien).
Nach den individuellen Gesprächen mit jedem Mitarbeitenden über die zukünftige Rolle im Unternehmen muss sich der Fokus der Kommunikation rasch auf die im Unternehmen Verbleibenden richten. Es gilt, die Vision und Strategie verständlich zu machen und die Mitarbeitenden in die Entwicklung der neuen Organisation zu involvieren. Dabei darf nicht missachtet werden, dass die Identifikation der sogenannt Glücklichen mit dem Unternehmen angeschlagen ist, denn sie verlieren viele geschätzte Kollegen. In der Entwicklung der neuen Organisation
braucht es eine Kultur, in der die Probleme offen angesprochen werden. Vor einem Übergang zum «courant normal» braucht es genügend Zeit, um die alte Organisa tion zu verabschieden und den Blick auf die Frage zu richten, welchen Beitrag jeder einzelne leisten kann, um die neue Organisation auf Erfolgskurs zu bringen. Gerade in dieser Phase ist es wichtig, dass es einzelne «quick wins» gibt, um Vertrauen in den eingeschlagenen Veränderungsprozess zu schaffen. Daniel Piller, Partner, IRF Communications, Zürich.
Checkliste
Frühe Involvierung ist vertrauensbildend Vorbereitung Folgende Grundsätze gilt es vor der Kommunikation von Reorganisationen zu beachten: • Frühzeitig Projektteam bilden (Recht, Personal, Kommunikation, Leitung). • Kommunikationskonzept erstellen. • Schlüsselbotschaften sowie Fragen und Antworten (Q&A) entwickeln. • Zeitplan bis Tag X und detaillierten Zeitplan für Tag X erstellen (wer, was, wann, wie). • Dokumente für die interne und ex terne Kommunikation vorbereiten. • Public Affairs und Medienstrategie. • Entwurf des Sozialplanes entwickeln. • Vorabinformation sowie Trainings von ausgewählten Führungskräften vorbereiten. Umsetzung Folgende Grundsätze gilt es bei der Kommunikation von Reorganisationen zu beachten:
• Informationssequenz wenn immer möglich einhalten: Führungskräfte vor Mitarbeitenden, Betroffene vor Nichtbetroffenen, interne vor externen Zielgruppen. • Mitarbeitende interessieren sich für das Warum. • Es braucht eine klare, direkte und empathische Kommunikation mit den Mitarbeitenden. • Frühzeitige Involvierung der Be hörden auf vertraulicher Basis. • Ausgewählte Führungskräfte vorab informieren. • Messbare Etappenziele definieren und über deren Erreichung berichten. • Spekulationen möglichst entgegentreten und Klarheit schaffen. • Alte Organisation verabschieden, Vision und Strategie klären, Mitarbeitende in die Entwicklung der neuen Organisation stark involvieren.
jörn Gulden, der neue Chef von Puma, sagt: «Es besteht kein Zweifel daran, dass Pumas Markenbegehrtheit gesteigert, die Absatzprobleme behoben und die Vertriebswege ver bessert werden müssen.» Er hat sich viel vorgenommen. An der Bilanzpressekonferenz, über die in dieser Zeitung unter dem treffenden Titel «Verlorene Identität» berichtet wurde, versprach er: «Sport muss wieder Anker werden.» Gulden will Puma schneller und einfacher machen im Design der Produkte wie auch als Organisation. «Forever faster» (auf ewig schneller) ist das neue Mantra, dem alle folgen sollen, vom Mitarbeitenden über den Handel bis zum sportaffinen Kunden. Wird er es schaffen? Dieselbe Losung galt schon einmal unter seinem charismatischen Vorgänger Jochen Zeitz. Mit «Porsche statt Volkswagen» hatte er die Marke nach ihrem Grabbeltisch-Dasein in den 1980er-Jahren durch eine pausenlose Kette von Innovationen, enormen Marketingdruck und mit neuer Ausrichtung weg vom Sport in den coolen Lifestyle zu fast 2,4 Milliarden Umsatz geführt. Heute liegt anzeige
dieser mit 3 Milliarden Euro zwar noch etwas höher. Doch die Wettbewerber Adidas und Nike sind mit 15 bis 20 Milliarden Euro fast ausser Sichtweite davongezogen. Eine Entwicklung, die dem dividendenverwöhnten französischen Grossaktionär Kering sicherlich wenig gefallen dürfte.
tuellen Bedeutungskern der Marke Puma auseinandersetzen. Herausfinden, was sich tief im kollektiven Langzeitgedächtnis der Menschen festgesetzt hat. Was sich vom ehemals positiven Bedeutungskern der Marke Puma erhalten hat. Welche neuen Nuancen ihn überlagern und vielleicht schon ein Stück weit umgedeutet Rechnung nicht ohne Marke machen haben, sodass sich darauf eine erfolgver«Back to basics» scheint Guldens Stra- sprechende Strategie aufbauen liesse. tegie zu sein. Ein bisher bewährtes R ezept Bedeutungen als Kernsubstanz und im Management, um ein Unternehmen damit elementare Basis einer Marke? Was wieder auf Erfolgskurs zu bringen. Die Zu- ist mit Logo, Produkten, ihren Features, taten: Rückbesinnung auf das Kernsorti- Designstil, Gebrauchsnutzen, Vertriebsment, Neuausrichtung des Marketings vorteilen? Sie können zur Bedeutungs und Innovationen, um die Kehrtwende bildung anregen, sind aber die Folge einer unter Beweis zu stellen und den Absatz zu konsequenten, langfristigen Markenstrasteigern. Das hat auch Gultegie, die sich an zentralen, den vor. Doch er sollte die Der Erfolg eines sorgfältig erforschten BeRechnung nicht ohne die deutungen ausgerichtet hat. Unternehmens Marke machen. Nach einer Solche Bedeutungen sind so wechselhaften Geschichte hängt direkt von die zeitüberdauernde, exiswie der von Puma ist es tenzsichernde Substanz jeder Bedeutung fahrlässig,zu glauben, er der Marke. Und nie können könne an die guten alten Zei- seiner Marke ab. diese einseitig vom Unterten anknüpfen und mit mehr nehmen «gemacht» werdesselben wieder neue Begeisterung, den. Ihr Entstehen und ihr Verändern Faszination und Begehrlichkeit wecken. unterliegen einem andauernden soziokulUnd darauf zu vertrauen, dass die vielen turellen Aushandlungsprozess, der vom Irritationen, Enttäuschungen und uncoo- Unternehmen unsteuerbar voranschreilen Erfahrungen mit der Marke sich aus tet. Dieses tief im Langzeitgedächtnis reledem Kundengedächtnis von selbst entsor- vanter Beziehungsgruppen der Marke vergen würden. ankerte und hochspezifische Bedeutungs Will Gulden wahren und langfristigen gewebe ist die Bedeutungs-DNA – auch Erfolg, dann benötigt er die neuesten Er- der verloren gegangenen Puma-Identität. kenntnisse im Markenmanagement. Und Unter heutigen Wettbewerbsbedingun nach diesen muss «back to basics» etwas gen benötigt das Puma-Markenmanageanderes heissen: Sich intensiv mit dem ak- ment erstens einen Zugang in diese Sub
stanz, der neue statt herkömmliche Marktforschung nutzt. Zweitens einen ganzheitlichen Markenmanagement-Ansatz, um die Ergebnisse erfolgreich umzusetzen.
Ganzheitliches Markenmanagement Die systemisch-semantische Markentheorie und -praxis erlaubt diesen Zugriff. Sie versteht die Marke als ein umfassendes Markenbedeutungssystem und in ihren wesentlichen Wirkungszusammenhängen. Denn um wirklich Markenbegehrtheit und Absatz zu steigern, Vertriebswege zu optimieren und einen nachhaltigen Unternehmens- und Markenerfolg zu erreichen, muss dieses «big picture» der Markein den Blick genommen werden. Als ganzheitlicher Markenmanagement-Ansatz identifiziert sie auf Basis tiefensemantischer und diskursanalytischer Methodiken die existenzsichernde Bedeutungs-DNA, lagert diese in einen interaktiv ausgerichteten Markenkern ein, leitet daraus Markenstrategie wie auch funktionale Strategien ab und führt so das Markenmanagement mit sicherer Hand durch alle Wandlungsprozesse in Märkten, beim Kundenverhalten und in der gesellschaftlichen Kommunikation. Dies in enger Verknüpfung mit den unternehmenspolitischen Grundsätzen. Bedeutungen sind eine harte Währungsgrösse, die langfristig über jeden Unternehmens- und Markenerfolg entscheiden – auch über den Erfolg von Gulden. Inga Ellen Kastens und Peter G. C. Lux, beide Geschäftsführer, Lux Kastens Partner, Zürich.
Buchtipp
Perspektiven wechseln Inhalt Die Markenpraxis leidet unter Hyperwettbewerb, hohen Marketingkosten und geringen Wirkungsgraden. Inga Ellen Kastens und Peter G. C. Lux setzen mit dem «Aushandlungs-Paradigma» den überfälligen Perspektivenwechsel im Markendenken um. Sie belegen, dass die Bedeutungen einer Marke nicht «gemacht» werden können, sondern gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen unterliegen. Wirtschaftsakteure haben darauf weniger Einfluss, als angenommen wird. Sie gewinnen jedoch bisher unbeachtete, in Umsetzung und Wirkung einmalige Zugänge zum Markenpublikum. Unternehmen werden durch dieses neue Markendenken zu glaubwürdigen Akteuren in den wichtigen gesellschaftlichen Diskursen unserer Zeit. «Das Aushandlungs-Paradigma der Marke», Springer Gabler, 320 Seiten, ca. 60 Franken.