| 27. Oktober 2011
Geberit Der weltweit tätige Sanitärtechnik-Konzern aus Rapperswil erhält den GfM-Marketingpreis 2011. Seite 55
Special Marketing Inhalt
Nestlé-Ehrenpräsident Maucher zur Chefsache
Helmut O. Maucher, ehemaliger Konzernchef und Ehrenpräsident von Nestlé, ist überzeugt: «Marketing bleibt Chefsache. Aber nur dann, wenn der Geschäftsführer in der Lage ist, ein Klima mit begeistertem Personal zu schaffen, das wirklich begriffen hat, dass nur dann Gewinne gemacht werden, wenn vorher der Markt und die Kunden gewonnen wurden.» Seite 56
MCH lanciert neues Modell für Messen
Die alte Faustregel «erfolgreiche Branche gleich erfolgreiche Messe» greift zu kurz. Um die Wirkungsweise von solchen Events verstehen zu können, bedarf es eines umfassenderen Ansatzes. Die MCH Group nennt es ihr 5C-Modell. Seite 62
Der Luxusgütermarkt boomt und boomt
Die Luxusindustrie spürt keine Krise. Zu dieser Erkenntnis kommt die zehnte Ausgabe der Studie «Luxury Goods Worldwide Market», welche die Unternehmensberatung Bain veröffentlicht. Befragt wurden erneut 230 der weltweit führenden Luxusgüterhersteller. Seite 67
Schweiz Tourismus und UBS im Imagetest
Schweiz Tourismus und UBS sind seit bald zwei Jahren Kooperationspartner. Während die Vermarktungsorganisation die heile Ferienwelt verkauft, muss die Grossbank wieder Wunden lecken. Jürg Schmid, Direktor von Schweiz Tourismus, hat keine Angst vor einem Imageschaden. Seite 68
Marketing-Guru rät, mit Kunden zu leben
Bruno Arnold
«Jeder Chef müsste mindestens zwei bis drei Tage pro Jahr mit seinen Kunden unter einem Dach verbringen», sagt Martin Lindstrom. Der dänische Markenexperte lebt 70 bis 80 Tage pro Jahr mit Konsumenten, um zu sehen, wie sie ticken. Seite 71 Verantwortlich für diesen special: norman c. Bandi
Die Zukunft startet heute
Foto-SerIe die Bildstrecke dieser Beilage, die in Zusammenarbeit mit der schweize rischen Gesellschaft für marketing (Gfm) entstanden ist, zeigt schlag wörter. diese sind aus logoBuch staben bekannter schweizer firmen zusammengesetzt. auflösung unter www.handelszeitung.ch/marketing.
experten marketingprofessoren, werbeagenturen und chefs von schweizer Unternehmen denken über die Zukunft des marketings nach. sie kommen zum schluss: der Kunde steht noch mehr im Zentrum. norman c. Bandi
Bruno Arnold
Fotos: Bruno arnold
Die Gesellschaft für Marketing (GfM) feiert 2011 ihren 70. Geburtstag. An der Jubiläums-Generalversammlung vom 25. Oktober publiziert sie ein Buch mit dem Titel «The Future of Marketing». Im neuen Werk hat der Verband die Meinungen und Ansichten von mehr als 50 nationalen sowie globalen Experten aus Theorie und Praxis zum Thema gesammelt. In einem Punkt sind sich alle Befragten für die Zukunft einig: Der Mensch rückt weiter ins Zentrum aller Bemühungen. «Marketing muss Vertrauen schaffen und auf der Seite der Konsumenten stehen», resümiert GfMPräsident Ulrich H. Moser.
Der amerikanische Altmeister Philip Kotler, Marketingprofessor an der Kellogg School of Management in Chicago, gibt die Strömung einmal vor: «Kunden sind Menschen mit Werten und Visionen. Darauf muss zeitgemässes Marketing eingehen. Es darf nicht mehr nur den Kunden als Käufer im Blick haben. Menschen wollen als Ganzes betrachtet werden, soziale Verantwortung übernehmen und einen Beitrag leisten.» Der Schweizer Fachmann Stefan Michel, Marketingprofessor am IMD in Lausanne, hat ebenso einen dezidierten Standpunkt: «Der Stellenwert des Marketings ist in vielen Unternehmen rückläufig. Eine Trendwende verlangt, dass Marketingverantwortliche bei der Um-
setzung der Unternehmensstrategie massgebliche Impulse setzen. Sie verankern die Kundenorientierung in der Kultur des Unternehmens und beschleunigen Innovationsprozesse, indem sie auf die Wertschöpfung des Kunden fokussieren statt auf den eigenen, operativen Marketingmix.» Und was meinen die Werber? Dominique von Matt, Geschäftsführer der Agentur Jung von Matt/Limmat in Zürich, erklärt: «Die totale Transparenz für den Konsumenten führt zu einem Umbruch im Marketing. Bei der Qualität der Marktleistung gibt es keine Kompromisse mehr, und die Kommunikation kann keine Marke mehr schönreden. Die Kommunikation wird den Konsu-
menten vielmehr unterhaltend in die Markenwelt involvieren und ihm helfen, bessere Entscheidungen zu fällen.» Geri Aebi, Geschäftsführer des Kommunikationsspezialisten Wirz Gruppe in Zürich, sagt: «Marketing spielt eine noch dominantere und entscheidendere Rolle als heute. Im Zeitalter der Individualisierung und des Dialogs mit den Kunden explodieren online und offline die Möglichkeiten, was wir wem wann wo und wie anbieten. Strategisch fundiertes und kreativ inspiriertes Marketing wird darum in Zukunft noch deutlicher die Spreu vom Weizen trennen. Sprich: Firmen und Unternehmer respektive ihre Produkte und Dienstleistungen erfolgreich machen.»
Marketing | 55
Bruno Arnold
handelszeitung | Nr. 43 | 27. Oktober 2011
Der Sanitärtechniker und der Wasserfall
«Toilettengang ist noch ein Tabuthema»
GfM-Marketingpreis 2011 geberit wird für die Verdienste um die nachhaltige unternehmensführung mit dem award der gesellschaft für Marketing geehrt. SuSanne Wagner
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ie Produkte von Geberit verste cken sich nicht länger hinter Bade zimmerwänden, sondern spielen eine Rolle beim gesamten Nasszellen design. Die Marke ist zwar bekannt – in Deutschland erreicht sie beispielsweise einen Bekanntheitsgrad von 44 Prozent bei den Endkunden –, ist aber für viele nicht so recht fassbar, weil man sie nicht gleich mit einem konkreten Produkt ver bindet. Das hat seinen Grund: Die meisten Konsumenten kamen bislang kaum mit Produkten des Schweizer Sanitärtechnik Konzerns in Berührung.
Besser sichtbar werden Denn dass Geberit WCSchüsseln pro duziert, ist eine falsche Annahme. Der Grossteil der technischen Produkte sind Installationssysteme, Spülkästen, Entwäs serungs und Versorgungssysteme. Sie werden hinter Mauern oder in den Fuss boden eingebaut und sind für die Konsu menten unsichtbar. Damit liegt die Wahl dieser Produkte und der Marke Geberit in der Regel im Ermessen der Installateure und Planer. Der Bauherr oder der Endkun de entscheidet vorwiegend über Design produkte im Badezimmer vor der Wand. Mit neu lancierten Produkten will Geberit nun besser sichtbar werden. Das Hauptgeschäft bleibt nach wie vor hinter der Wand, aber seit zwei Jahren ent wickelt Geberit Produkte mit einem at
traktiven Design, die auch davor installiert sind. Dies hat auch Einfluss auf die Marke tingstrategie: Weil die neuen Produkte sich zunehmend am Design orientieren, wird die Kommunikation künftig ver mehrt auf die Endkunden und Architekten ausgerichtet werden.
Die Produkte von Geberit verstecken sich nicht mehr hinter Badezimmerwänden. Neu gibt es auch Designs. Wie beispielsweise die Marketingkam pagne des DuschWC AquaClean, dessen Anschaffung auch vom Endkunden be stimmt wird. Für die Lancierung des DuschWC wurde die Schauspielerin Me lanie Winiger als Botschafterin gewonnen. Der Werbespot arbeitet mit ästhetischen Bildern der ExMissSchweiz und eines Wasserfalls – er endet mit dem Slogan «I love water». In der Kommunikation stellt Geberit bewusst das Thema Wasser als natürliche Art der Reinigung in den Vordergrund. In einem nächsten Schritt wird auf die Rei nigung mit Wasser nach dem Toiletten gang hingewiesen. Ein kluger Schachzug, denn das Thema Säubern mit Wasser nach dem Toilettengang bleibt in Europa tabuisiert und ist im Gegensatz zu ande ren Ländern wie etwa in Japan kulturell nicht verankert.
Fragt sich, ob es möglich ist, die in unseren Breitengraden tiefsitzenden Gewohnheiten zu ändern. Geberit hat dazu eine Umfrage in sechs europäischen Ländern in Auftrag gegeben, die Folgen des ergab: Knapp 50 Prozent der Befragten erklärten, dass sie sich nach dem Reinigen mit Wasser sauberer und wohler fühlen. Zwei Drittel waren der Meinung, Toiletten mit integrierter Duschfunktion sollten in Europa zur Standardausstattung gehören. Wie Albert Baehny, Konzernchef von Geberit, erklärt, sieht sich das Unterneh men daher darin bestärkt, dass dieser kul turelle Wandel zur Reinigung mit Wasser auch in Europa möglich ist: «Es wird eine Herausforderung sein, die Produktkate gorie AquaClean in Europa erfolgreich zu positionieren. Aber wir sehen ein grosses Marktpotenzial.» Wie Geberit schätzt, beträgt die Marktpenetration bei Dusch WC in der Schweiz zwischen 3 und 5 Pro zent. In Japan sind es mehr als 60 Prozent. Baehny ergänzt: «Das Thema Hygiene ist dort wichtiger als in Europa. Ein Japaner würde nie ein Bad nehmen, ohne sich vor her separat die Füsse oder die Hände ge reinigt zu haben.»
Weiter intensiv schulen Wie wichtig im 137jährigen Betrieb die Entwicklung von Innovationen ist, zei gen weitere Neuheiten, die sich an Design sowie Funktionalität orientieren und die Endkunden ansprechen. Letztes Jahr lan cierte Geberit das elegante Sanitärmodul
Monolith mit integriertem Spülkasten, das sich ohne Eingriffe an die Bausubstanz an schliessen lässt. Neu auf den Markt kamen auch ein Duschelement, das den Ablauf des Wassers in bodenebenen Duschen in die Wand integriert, sowie ein WCSystem mit integrierter Geruchsabsaugung dank eines Aktivkohlefilters. Das einst in Rapperswil gegründete Unternehmen hat sich zum global tätigen SanitärtechnikKonzern entwickelt, der eine erfolgreiche internationale Expan sion betreibt und mittlerweile Vertriebs gesellschaften in 41 Ländern umfasst. Letztes Jahr eröffnete Geberit in Schang hai das neue Hauptquartier für die Region Asien/Pazifik. Aber auch der Schweizer Markt bleibt wichtig: Als wichtigstes Werbeinstrument nennt Baehny die direk te, persönliche Beratung der Entschei dungsträger durch den Aussendienst. Jährlich schult Geberit rund 80000 Instal lateure, Planer sowie Architekten. Ein weiteres Thema, das die Gesell schaft für Marketing (GfM) bei der Wahl von Geberit als GfMMarketingpreisträger 2011 bestärkte, ist die Rolle des Betriebs im Bereich Nachhaltigkeit: In den Herstel lungswerken und bei den Produkten selbst wurde der Wasserverbrauch kontinuier lich gesenkt. Bei der Arbeitssicherheit und Gesundheit der Mitarbeitenden bestehen hohe Standards. Auch in der Logistik sowie im Bereich Verpackungen wurden Energieverbrauch und Emissionen in den letzten Jahren minimiert.
GeBerit
Vom Holzspülkasten Phoenix zum europäischen Marktführer Preisträger geberit ist mit dem gfMMarketingpreis 2011 ausgezeichnet worden, den die Schweizerische gesellschaft für Marketing (gfM) am 25. Oktober 2011 zum 27. Mal verliehen hat. Seit 1984 würdigt die gfM mit dem «Jahrespreis der Stiftung für Marketing in der unternehmensführung» Persönlichkeiten und/oder unternehmen, die sich durch herausragende Marketingleistungen ausgezeichnet haben. Die gewinner der letzten Jahre waren: Mobiliar, Mammut, Logitech, Jura, Betty Bossi, Sika, nespresso, uBS, emmi. Der Sieger wird durch eine Jury unter der Leitung von Manfred Bruhn, Präsident des Stiftungsrates der gfM, gekürt. Die auszeichnung ist mit 20000 Franken dotiert. Unternehmen geberit hat klein begonnen: 1874 gründet Caspar gebert aus St. gallenkappel einen Spenglereibetrieb in der altstadt von rapperswil. um die Jahrhundertwende ergänzt man den
Manfred Bruhn, Präsident des Stiftungsrates der gfM, Basel.
Betrieb durch eine eigene Fabrikationsabteilung. Der mit Blei ausgeschlagene Holzspülkasten Phoenix ist die erste innovation des unternehmens. Heute ist geberit europäischer Marktleader in der Sanitärtechnik und in 41 Ländern aktiv. 2010 erwirtschaftete man mit den Produktbereichen Sanitärsysteme sowie rohrleitungssysteme einen umsatz von 2,1 Milliarden Franken und beschäftigt weltweit rund 6000 Mitarbeiter.
Begründung Manfred Bruhn, Professor für Marketing an der universität Basel und Präsident des Stiftungsrates der gfM, erklärt zur Würdigung des Sanitärtechnik-Konzerns mit dem gfM-Marketingpreis 2011: «geberit ist uns vor allem aufgrund der laufenden Optimierungen und ergänzungen sowie der innovationen aufgefallen. allein im letzten geschäftsjahr wurden 19 Patente angemeldet, beispielsweise für das Produkt Monolith, den Spülkasten mit hoher gestalterischer Ästhetik, oder das Produkt aquaClean, das die Körperreinigung mit einem Wasserstrahl ermöglicht. in den letzten fünf Jahren meldete geberit 91 Patente an. Der langfristige unternehmenserfolg bestätigt, dass geberit auf dem richtigen Weg ist: Das umsatzwachstum in den letzten zehn Jahren von durchschnittlich 5,9 Prozent ist bedeutsam bei einem allgemeinen negativen trend in der Baubranche. eine wichtige rolle spielt die nachhaltigkeit,
Albert Baehny Konzernchef, geberit, rapperswil
Was bedeutet Ihnen der GfM-Marketingpreis 2011? Albert Baehny: Von Industrieunterneh men wie Geberit wird normalerweise nicht innovatives Marketing erwartet. Dennoch schaffen wir es, sowohl Instal lateure als auch Endkunden für unser Produkt zu begeistern. Wie hat sich das Marketingkonzept von Geberit im Laufe der vergangenen zehn Jahre verändert? Baehny: Es hat sich stark gewandelt. Früher war Marketing sehr dezentral und spielte eine untergeordnete Rolle in der Firmenpolitik. Die Rollen sowie die Verantwortung zwischen Marketing und Produktionsmanagement waren nicht klar definiert. Heute haben wir eine schlanke, starke Marketingorganisation mit klaren Verantwortungen und eine Balance zwischen kurz und langfristi gen Massnahmen. Wie geht Geberit mit der Schwierigkeit um, dass der Toilettengang zu den Dingen gehört, über die man nicht spricht? Baehny: Es stimmt, es ist noch ein Tabuthema, wie sauber oder unsauber man nach dem Toilettengang ist. Wir enttabuisieren dieses intime Thema auch mit Hilfe unserer Markenbotschaf terin Melanie Winiger. Der Werbespot mit ihr trägt dazu bei, das Thema der Toilette und der Reinigung mit Wasser positiv zu besetzen. Manchen Konsumenten ist hingegen unklar, worum es in diesem Werbespot mit dem Wasserfall genau geht. Baehny: In einer ersten Etappe wollen wir das Thema mit Wasser, dem Wasser fall und der schönen Melanie Winiger mit emotionalen Bildern umsetzen und das Interesse der Leute wecken. In der zweiten Etappe werden wir näher auf das Produkt eingehen.
Das Logo des 1874 gegründeten unternehmens aus rapperswil.
die sich in der umweltfreundlichkeit, ressourcenschonung und der Langlebigkeit der Produkte zeigt. Zudem setzt das unternehmen die strategisch geplante internationale expansion um, in dem es sich konsequent auf die globalen Wachstumsmärkte ausrichtet. nicht zuletzt zählten bei der Vergabe des gfM-Marketingpreises 2011 auch das positive image und die hohe Kundenzufriedenheit von geberit.»
Welchen Herausforderungen im Marketingbereich wird sich die Geberit in den nächsten Jahren stellen müssen? Baehny: Viele unserer neuen Produkte sind heute nicht mehr hinter der Wand versteckt, sondern orientieren sich zunehmend am Design und Konsumen ten. Deshalb muss die Kommunikation in Zukunft zielgruppengerechter sein. Wir wollen vermehrt auch Endkunden und Architekten ansprechen. Die zweite wichtige Aufgabe wird es sein, die Pro duktkategorie DuschWC AquaClean in Europa erfolgreich zu positionieren. interVieW: SuSanne Wagner
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Bruno Arnold
handelszeitung | Nr. 43 | 27. Oktober 2011
Marketing muss Chefsache sein
W
enn man in einem Manage mentbuch nachliest, was zu den Kernaufgaben des Ge schäftsführers gehört, dann kommt in einer solchen Auf gabenbeschreibung das Marketing kaum vor. Dies trifft besonders auf Betriebe zu, die nicht direkt mit Endverbrauchern zu tun haben. Allerdings ist hier in den vergangenen 20 bis 30 Jahren ein Wandel eingetreten. Die Forderung nach der sogenannten Customer Orientation, was an sich heute eine Selbstverständlichkeit ist, wird mehr und mehr ein Bestandteil der Unternehmenspolitik.
der Marketing Mind ist wichtiger als die Marketingtechniken selbst Man kann die Hauptaufgabe einer Firma ja auch anders definieren. Etwa, indem man sagt, dass es ihr Anliegen sein muss, alle intern vor handenen Werte zu fördern und zu nutzen. Dazu gehören vor allem Führungskräfte und Mitarbeitende, das sogenannte Human Capi tal, ferner die Anlagen, die in einem Betrieb investiert sind, und ganz sicher die Kunden, die letztlich eines der wichtigsten Guthaben eines Unternehmens verkörpern. Langsam setzt sich die Überzeugung durch, dass die Zufriedenheit der Konsumenten, ihre Treue, ihre Meinung über den Hersteller sowie seine Produkte, und damit auch seine Marken, ganz entscheidend für den Erfolg einer Firma sind. Ist man von dieser These überzeugt, versteht man sofort, dass Marketing Chefsache sein muss. Das ist eine Realität, die von den Spezia listen im Marketing nicht immer leicht zu verstehen ist. Junge Fachleute wollen selbst vollumfängliches Marketing machen, über Stra tegien, Produkte, Werbung und Investitionen entscheiden. Für solche Nachwuchskräfte ist es deshalb manchmal schmerzlich, wenn ange ordnet wird, dass gewisse Aspekte des Marke tings eben Chefsache sind und sie «nur» mitar
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Helmut O. Maucher Ehrenpräsident, Nestlé, Vevey
«Langsam setzt sich die Überzeugung durch, dass die Zufriedenheit der Konsumenten ganz entscheidend für den Erfolg einer Firma ist.»
beiten müssen, ohne die letzte Entscheidung zu haben. Dafür gibt es folgende vier Gründe: 1. Marketing muss mit der Unternehmens politik verbunden sein. Es kann keine isolierte Sache sein. Firmen tätigen langfristige Inves titionen in Markt, Produkte, Personal sowie Fabriken. Aufgrund von Marketingzielen schaf fen sie sich Kapazitäten an, erweitern diese und gehen damit Risiken ein. Die Ertragsaspekte gilt es dabei langfristig zu berücksichtigen. 2. Marketing ist unter Umständen auch ver bunden mit Akquisitionspolitik. Übernahmen sind meistens strategische Überlegungen, ob Betriebe beispielsweise den Ausbau von Posi tionen oder die Erweiterung des Marktes besser durch Zukäufe oder durch interne Massnah men fördern können. 3. Das Produkt, dessen Qualität, mit der sich Unternehmen im Markt stellen, die Gestalt, die Kommunikation, die Werbung, die Kontakte mit TopKunden, das alles sind Dinge, die im Prinzip schwer delegierbar sind. 4. Schliesslich ist Marketing Chefsache, weil die Kontinuität von so grosser Bedeutung ist. In allen Firmen gibt es viele personelle Wechsel. Im Allgemeinen verkörpern die Manager, die den Betrieb leiten, solche Kontinuität. Auch wenn das leider nicht mehr immer der Fall ist. Zu dieser Kontinuität gehört selbstverständlich auch die gesamte Markenpolitik, die heute zu oft und rasch geändert wird. Daneben aber muss Marketing, und das ist genauso wichtig, eine Haltung sein, die das gesamte Unternehmen erfasst. Das heisst, es braucht Führungskräfte sowie Mitarbeitende, die sich voll einsetzen, wobei mit Begeisterung jeder an seinem Platz mithilft, am Markt erfolg reich zu sein. Oder wie es mal jemand übersetzt hat: Die Verkaufsabteilung ist nicht der ganze Betrieb, aber die ganze Firma sollte eine Ver kaufsabteilung sein. Bei aller wissenschaftlichen und professio nellen Ausrichtung des Marketings darf man die Basics nicht ausser Acht lassen, auf die
letztlich alles Marketing zurückzuführen ist. Ich wurde bei unseren Seminaren in der Schweiz, an denen immer viele Fachleute aus allen Märkten teilnahmen, oft gefragt: «Was ist die Essenz des Marketings? Was ist das Wichtigste im Marketing?» Ich habe in der Regel wie folgt geantwortet: «Der Marketing Mind ist wichtiger als die Marketingtechniken selbst. Bei allen noch so modernen und differenzierten Mass nahmen sollte man die Grundlagen nicht vergessen, nämlich ein attraktives Produkt, eine gute Werbung sowie eine Verkaufsmann schaft, die das Produkt verkaufen kann.»
Wer kämpft, kann verlieren – wer nicht kämpft, hat schon verloren Den Konkurrenzkampf kann man nur gewinnen, wenn man erstens seine eigenen Stärken und Schwächen sehr genau kennt und zweitens den Gegner genau kennt. Mit anderen Worten formuliert: Wer sich selbst gut und rea listisch einschätzt und seinen Konkurrenten kontrolliert, ist fast nicht zu schlagen. Ferner hat ein Unternehmen in einer Wett bewerbswirtschaft mit seinem Marketing nur dann Erfolg, wenn es nicht nur gut ausgebildete, sondern auch engagierte Angestellte hat, die sich für den Betrieb voll einsetzen. Gewinnen im Wettbewerb erfordert auch einen gewissen Kampfgeist. Schon Bertolt Brecht hat hierzu geschrieben: «Wer kämpft, kann verlieren – wer nicht kämpft, hat schon verloren.» In diesem Sinne sei zum Thema abschlies send ergänzt: Marketing bleibt Chefsache. Aber nur dann, wenn der Geschäftsführer in der Lage ist, in der ganzen Firma ein Klima mit begeistertem Personal zu schaffen, das wirklich begriffen hat, dass nur dann Gewinne gemacht werden, wenn vorher der Markt und die Kun den gewonnen wurden. Helmut O. Maucher, Ehrenpräsident, Nestlé, Vevey; Autor des Management-Bestsellers «Marketing ist Chefsache».
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Bruno Arnold
handelszeitung | Nr. 43 | 27. Oktober 2011
Sieben Meilensteine
70 Jahre GfM die Gesellschaft für Marketing (GfM) blickt in die Vergangenheit und die Zukunft. Ulrich h. Moser Und Jean-Marc Grand
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ie Gesellschaft für Marketing (GfM) feiert dieses Jahr ein rundes Jubiläum. Die Organisation wurde 1941 gegründet und hat in den vergangenen 70 Jahren die Entwicklung der marktorientierten Unternehmensführung in der Schweiz massgeblich beeinflusst. Nachstehend die sieben wichtigsten Meilensteine des Dachverbandes mit über 700 angeschlossenen Unternehmen: 1. Die Gründung der GfM 1941 – von der Kriegswirtschaft zum Marketingmix: Rückblickend mag es erstaunen, dass eine Gruppe von acht Männern aus der Wirtschaft, Betriebswissenschaft und Verwaltung an der Gründerversammlung am 16. Mai 1941, mitten im Zweiten Weltkrieg, die Gesellschaft für Marktforschung gründete. Der erste Präsident, Peter Kaufmann (1941– 1961), formulierte das Ziel: «Der nationalen Wirtschaft, vor allem dem Unternehmen auf den Binnen- und auf den Aussenmärkten einen konstruktiven Beitrag zur Lösung der Kriegs- und Nachkriegsschwierigkeiten zu vermitteln». 2. Pionierarbeit: Der Zirkel der Gründungsmitglieder scharte im ersten Jahr 1941 ganze 17 – aber hochkarätige – Mitgliedfirmen um sich, unter ihnen Coop, Globus, Henkel, Lindt & Sprüngli, Migros, Nestlé, SKA, Volg und Wander. An der Generalversammlung 1948 tauchte Marketing im Vokabular der GfM erstmals programmatisch in der ErkläaNzeigeN
rung auf. Ab 1949 wurde der Themenkreis des Marketing-Managements vermehrt in den Vordergrund gestellt. Damit wurde in der GfM die Dekade des «Marketings als Distributionsfunktion» (nach Heribert Meffert) eingeläutet. 1961 gründeten Otto Angehrn (ETH Zürich) und Werner Ebersold (GfS) – unter dem bis 1973 ausgeübten Patronat der GfM – einen auf schweizerische Bedürfnisse ausgerichteten Ausbildungskurs. Die GfM führte 1966 ein erstes Marketingseminar und ab 1981 die Marketingleiterkurse GfM-IMB durch. 3. Vom Befragungsdienst zum Forschungsinstitut: Ihren wichtigsten Beitrag zur Förderung der praktischen Marktforschung leistete die GfM unter der Führung des zweiten Präsidenten, René Richardet (1962– 1966), durch den Aufbau eines eigenen Befragungsdienstes, den der unvergessliche Werber und Mitgründer Adolf Wirz 1943 auf seine Kosten mit der Schaffung eines eigenen Erhebungsteams in die Hand nahm. Unter dem neuen Namen Forschungsinstitut der GfM wurden Anfang der 1960er-Jahre als eigentliche «Firsts» in der Schweiz Instrumente zur Leserschaftsforschung in den Pressemedien und im Fernsehen sowie die Grundlagen für den «Warenkorb» geschaffen. Bereits 1964 erfolgte die Umstellung auf die Computerauswertung. 4. Führungsfunktion Marketing wird marktorientiertes Führungskonzept: Unter dem auf Charles Schlaepfer (1967–1972) als Präsident nachfolgenden Peter Welti (19731983) erfolgte die Neuausrichtung der
Gesellschaftstätigkeit auf das Marketing in seiner Funktion als Umsetzung der Idee der marktorientierten Unternehmensführung. Die Schweizerische Gesellschaft für Marktforschung mutierte zur GfM, zur Schweizerischen Gesellschaft für Marketing. Wurde in der Ära von Peter Welti die Aktualisierung der GfM in Angriff genommen, so bewirkte der fünfte Präsident, Rolf Clavadetscher (1984–1991), mit der Öffnung für neue Mitglieder einen Dynamikschub, der die Mitgliederzahl innert zehn Jahren auf 377 Unternehmen verdoppelte. 5. Marketing Excellence: In den goldenen 1980er-Jahren setzte die GfM zwei Marksteine für die Vertiefung und Verbreitung des Marketinggedankens in der Schweiz: Den Marketingleiterkurs und den GfMMarketingpreis. Mit der jährlich verliehenen Auszeichnung – die 1983 von der GfM als Stiftung für Marketing in der Unternehmensführung gegründet wurde und finanziert wird –, werden Unternehmen und Persönlichkeiten für ausserordentliche Verdienste im Marketing geehrt. Der GfM-Marketingpreis besteht aus einer Trophäe und ist mit 20000 Franken dotiert. 6. Aus der Rezession der 1990er-Jahre in den Cyberspace: Dem sechsten Präsidenten, Elmar Wohlgensinger (1992–2007), blieb es vorbehalten, die inzwischen auf über 550 Mitglieder angewachsene GfM in die nächste Ära des «individuellen, multioptionalen, vernetzten Beziehungsmarketings der 2000er-Jahre» (nach Heribert Meffert) zu geleiten. Die brennend aktuellen Marketingthemen für die kurz- und mittelfristigen Unternehmensstrategien kommen seit 1991 an den – vor einem stets mindestens 500-köpfigen Auditorium von Marketingverantwortlichen stattfindenden – jährlichen GfM-Marketing-Trend-Tagungen zur Sprache. Einen Eindruck vom Engagement der GfM in der Marketingforschung vermit-
telt der Hinweis auf die von ihr geförderten Forschungsprogramme «Best Practice in Marketing» und «Behavioral Branding» an der Universität St.Gallen. 7. Die Weichen für die Zukunft sind gestellt – Platin Members und das Center for Innovation: An der 66. Generalversammlung wurde Ulrich H. Moser (seit 2008) zum siebten Präsidenten der GfM gewählt. Durch die Fokussierung auf vier klare Schwerpunkte (Forschung, Aus- und Weiterbildung, Veranstaltungen und Publikationen), die Stärkung der GfM durch knapp 50 Platin Members und durch die Gründung des Center for Innovation CFI-HSG an der Universität St.Gallen im Jahr 2007 wird die GfM noch besser den Erwartungen und Bedürfnissen ihrer Mitglieder gerecht. Die neusten Erkenntnisse aus Forschung und Praxis
(GfM-Forschungsreihe und zweimal pro Jahr die Beilage «Marketing» der «Handelszeitung» in Kooperation mit der GfM) werden den Mitgliedern und der interessierten Öffentlichkeit in kompakter Form vermittelt. Heute zählt die Organisation mehr als 700 Mitglieder, namhafte Unternehmen aller Branchen sowie marktwirtschaftlich ausgerichtete Institutionen. Die Schweizerische Gesellschaft für Marketing hat sich im Laufe ihrer 70-jährigen Geschichte eine einzigartige Positionierung als die Referenz und Plattform für glaubwürdiges und seriöses Marketing erarbeitet. Möge ihr dies im bewährten Dialog auch in Zukunft gelingen. Ulrich h. Moser, Präsident, GfM, Zug; Jean-Marc Grand, Geschäftsführer, GfM, Zürich.
die sieben Präsidenten der GfM (von links): Peter kaufmann (1941–1961), rené richardet (1962–1966), charles schlaepfer (1967–1972), Peter welti (1973–1983), rolf clavadetscher (1984–1991), elmar wohlgensinger (1992–2007) und Ulrich h. Moser (seit 2008).
«Wir werden nie am Ziel sein»
Nach welchen Kriterien nehmen Sie Neumitglieder auf? Moser: Der Vorstand entscheidet über die Aufnahmen. Wir haben im Rahmen unserer Strategie klar definierte Kern- und Sekundärzielgruppen bezüglich Branchen, Firmengrösse und Geographie. Wir nehmen keine Einzelmitglieder mehr auf.
Moser: Im Vergleich zu vor 70 Jahren haben wir grosse Fortschritte gemacht. Wir werden aber nie am Ziel sein, da dieses ein Moving Target darstellt. Aber die Ablösung von der produktorientierten zur konsumentenorientierten Unternehmensführung hat klar stattgefunden. Zwei Tendenzen sind feststellbar. Erstens: Im Rahmen der Globalisierung wird in vielen Firmen das Marketing in der Schweiz zu einer Funktion der operativen Umsetzung oder Anwendung. Der strategische Teil dagegen wird irgendwo auf der Welt bestimmt. Dieses ist aber durch die vielen Hauptquartiere auch oft in der Schweiz angesiedelt. Zweitens: In einigen Firmen hat die kurzfristige Maximierung des Profits an Priorität gewonnen, dahergehend mit einer Bedeutungszunahme der Finanzer und Controller. Unsere Meinung ist klar. Beides muss sein, aber das Marketing muss als Denkhaltung erste Priorität haben. Nur so sichern sich die Firmen den langfristigen Erfolg.
Welchen Stellenwert hat Marketing heute in der gesamten Wirtschaftskette?
interView: Matthias ackeret, chefredaktor «Persönlich»
Die GfM wird 70 Jahre alt. Wo sehen Sie heute die Aufgaben Ihrer Organisation? Ulrich H. Moser: Das Mission Statement der GfM lautet: Wir fördern Marketing als Denkhaltung einer nachhaltigen Unternehmensführung. Unsere Aktivitäten fokussieren sich auf die vier Bereiche Forschung, Aus- und Weiterbildung, Veranstaltungen sowie Publikationen. Gibt es gemeinsame politische Interessen, die Ihre Mitglieder vertreten? Moser: Die GfM ist politisch neutral und betreibt auch kein Lobbying. Politische Interessenvertretung nehmen die Firmen direkt oder über der GfM durchwegs befreundete Interessenverbände wahr. Wie gross ist die Konkurrenzsituation unter den einzelnen Mitgliedern? Moser: Die Mitglieder der GfM sind im normalen freien Markt tätig und dort auch völlig selbstständig und durchaus auch sehr kompetitiv unterwegs. Das, was die Firmen bei der GfM vereint, ist der Wunsch, die marktorientierte Unternehmensführung zu stärken und dem
Ulrich H. Moser Präsident, GfM, Zug
Thema Marketing entsprechend Beachtung zu schenken.
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Briuno Arnolöd
handelszeitung | Nr. 43 | 27. Oktober 2011
Veranstaltungen
Marketing-anlässe der gfM im neuen Jahr Seminare Die Gesellschaft für Marketing (GfM) lanciert 2012 gleich zweimal einen «GfM Brush Up zum Jahresauftakt»: Am Donnerstag, 19. Januar 2012, von 12 bis 14 Uhr im Hörsaal A003 (UniS) der Universität Bern und am Freitag, 20. Januar 2012, an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ). An beiden Seminaren referiert der deutsche Zukunftsforscher Matthias Horx über das thema «Megatrends 2012». Die teilnahmegebühr (inklusive Verpflegung) beträgt 150 Franken für GfM-Mitglieder oder 250 Franken für Nicht-GfM-Mitglieder.
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Kongress Die 22. GfM Marketing-trendtagung findet am Mittwoch, 28. März 2012, erneut im Kongresshaus Zürich statt. Der nächste Jahreskongress der Gesellschaft für Marketing steht unter dem titel «the Future of Marketing». Folgende Persönlichkeiten werden unter anderen auftreten: Markenexperte Martin Lindstrom (martinlindstrom. com), Marketingprofessor Anton Meyer (Universität München) oder Amir Suissa, Chef von Dein Deal. Die teilnahme (alles inbegriffen) kostet 690 Franken für GfM-Mitglieder oder 890 Franken für Nicht-GfM-Mitglieder.
Kollektives Wissen schaffen und nutzen
Online-Kollaboration Weil der erfolg eines Unternehmens vom Faktor Innovation abhängt, muss es zugänglicher sein als seine Mitbewerber. Peter OttO
M
it Blick auf die wachsende Kom plexität sowie die dynamische Natur der heutigen globalen Märkte sehen sich Unternehmen zur stän digen Innovation gezwungen. Dies setzt voraus, dass sie schneller lernen als je zu vor – auf jeden Fall aber schneller als ihre Konkurrenz. Um diese Notwendigkeit nach raschem Lernen zu erleichtern, müs sen sie Wege finden, um ihren wissens basierten Mitarbeitenden dabei zu helfen, Wissen aufzudecken und zu teilen. Während Vorgehensweisen, die das Lernen innerhalb der Betriebe fördern sollen, schon seit längerem etabliert sind, haben sie erst kürzlich die potenziellen Vorteile erkannt, die sich durch Methoden ergeben, die das Lernen von Einheiten ausserhalb der Firma – selbst von nomi nellen Mitbewerbern – erleichtern.
Pfizer und «Wiki» machen es vor Die Praktik, eine Verbindung zu Instan zen ausserhalb der Organisation zu schaf fen, erregte Aufmerksamkeit, als der Chef des amerikanischen Pharmakonzerns Pfi zer, Jeffrey Kindler, ankündigte, seine For scher sollten nicht länger im Geheimen arbeiten, sondern sich öffnen und enger mit Aussenstehenden kollaborieren. Um eine solche Kollaboration zu fördern, ent schied sich Pfizer, seine Pharmazeutika Pipeline ins Internet zu stellen und jedem zugänglich zu machen. Dahinter steckte die Absicht, Verbindungen zu Individuen und Gruppierungen ausserhalb des Unternehmens zu knüpfen, um so Wissen zu gewinnen, das dazu beitragen soll, die Effizienz von Pfizers Forschungs und Entwicklungsbestrebungen zu erhöhen. Das Verwalten von solch locker struk turierten OnlineNetzwerken ohne for melle Grenzen ist eine Herausforderung für einen Betrieb, nicht zuletzt deshalb, da er im Laufe der Zeit unterschiedliche Stra tegien anwenden sollte, wenn er Erfolg haben will. Als Erstes muss eine Organisa tion den Gebrauch dieser neuen Tools fördern und anregen und davon absehen, zu häufig oder zu strikt zu intervenieren. Das Hauptziel eines OnlineNetzwerks ist es, Kontakte zu Fachleuten jenseits der Firmengrenzen herzustellen und gleich zeitig Strukturen zu schaffen, die den Zugang zu ihnen erleichtern, die Zusam menarbeit begünstigen und die Qualität des übermittelten Wissens sicherstellen. Wikipedia wendet beispielsweise eine robuste, clevere und benutzerfreundliche Technologie an, die sich «Wiki» nennt und
mit deren Hilfe Individuen Artikel auf der EnzyklopädieWebsite posten und redigieren können. Der frühe Erfolg Wiki pedias basierte auf einer fruchtbaren Struktur, die Nutzer dazu motivierte, eine pulsierende InternetGemeinschaft zu kreieren. Am Anfang resultierte dieser offene und gleichberechtigte Zugang zu Wikipedia in einer Flut von possenhaften Artikeln und Vandalenangriffen, die das Unternehmen dazu zwangen, neue Regeln und Richtlinien einzuführen, die die Inte grität und Qualität des virtuellen Lexikons gewährleisten sollten. Während die Technologie dazu bei trug, dass das OnlineNetzwerk erfolg reich startete, sind es die sozialen Dimen sionen, die sein Wachstum beeinflussen. Neue Mitglieder tendieren üblicherweise stark dazu, kollektives Wissen zu teilen oder zu schaffen. Häufig werden sie von persönlichen Motiven angetrieben, bei spielsweise vom Bedürfnis, ein Problem zu lösen oder ihre Expertise oder Erfah rung in einem gewissen Gebiet weiterzu geben. Wikipedia, wie auch andere offene
Ein Online-Netzwerk, das zu Beginn seiner Existenz ein Integritätsproblem hat, wird kaum reüssieren. InternetProjekte, die darauf basieren, dass Freiwillige gemeinsames Wissen schaffen und teilen, sah sich mit diversen Herausforderungen konfrontiert. Erstens braucht diese Art von Online Netzwerk eine kritische Masse an Men schen, die bereit sind, aktiv dazu beizutra gen, dass ein Projekt am Leben erhalten wird. Eine unzureichende Mitwirkung der Redaktoren oder eine Inaktivität der Nut zer kann dazu führen, dass die Zukunftsfä higkeit eines OnlineNetzwerks bedroht ist. Ein weiteres Problem ist die Glaubwür digkeit des Inhalts. Im Fall von Wikipedia mussten unerfahrene Redaktoren inner halb der Gemeinschaft Glaubwürdigkeit aufbauen, um so andere zum Mitmachen bewegen zu können. Ein OnlineNetzwerk, das zu Beginn seiner Existenz ein Integri tätsproblem hat oder zu viel Zeit braucht, um glaubwürdig zu werden, wird kaum reüssieren. Wikipedia ist ein Beispiel eines Online Netzwerks, bei dem Administratoren und Redaktoren einerseits dafür sorgen, dass andere zum Mitmachen motiviert werden, und andererseits die Infrastruktur sowie die sozialen Bindungen, die für eine sol
che Zusammenarbeit notwendig sind, am Leben erhalten bleiben. Das grösste Problem, das sich beim Aufbau und bei der Erhaltung einer elekt ronischen Gemeinschaft stellt, ist das Schaffen einer Balance zwischen einer lose strukturierten Umgebung und gewis sen notwendigen Kontrollmechanismen. Ohne klare Vorschriften besteht die Ge fahr, dass die Qualität leidet und das Netz werk langfristig nicht mehr genutzt wird.
Vorschriften kontra Attraktivität Da sowohl interne als auch externe Faktoren zum Erfolg eines Netzwerks bei tragen, tut ein Betreiber gut daran, in ver schiedenen Wachstumsphasen struktu relle Interventionen zu tätigen, um das Produkt zu formen. So trägt die Einfüh rung von Regeln dazu bei, seine Qualität und Attraktivität zu gewährleisten. Wenn jemand Informationen auf das Online Netzwerk laden möchte, muss er oder sie sich an die Vorgaben halten, die von der Organisation eingeführt wurden. Eine andere Methode ist es, nach der Lancierung eines OnlineNetzwerks eine Umgebung zu schaffen, die leicht zugäng lich ist und möglichst viele Individuen zur Mitarbeit animiert. Sobald das Netzwerk anfängt zu wachsen, sollte der Fokus aber von der Zugänglichkeit weg und auf das Einführen von Regeln und die Gewähr leistung von Qualität und Integrität gelenkt werden. Allerdings können neue Vorschriften auch bewirken, dass die InternetGemeinschaft an Attraktivität und Offenheit verliert. Die sogenannte New Economy, unge achtet dessen, was der Begriff eigentlich bedeutet, wird zweifellos neue Ausrich tungsansätze, neue Organisationsformen und ganz gewiss neue und andere Arten der Kollaboration fordern, um die Schaf fung von kollektivem Wissen zu erleich tern. Eine Firma muss eine Strategie haben, die sie befähigt, zu lernen und innovativ zu sein. Weil der Erfolg eines Unternehmens in erster Linie vom Faktor Innovation ab hängt, muss es innovativer sein als seine Mitbewerber, um in der New Economy zu bestehen. Ebenfalls werden neue Organisationsformen notwendig sein, um flexible und kommunikative, gleichzeitig aber auch stabile Systeme und Prozesse zu gewährleisten. Peter Otto, Associate Professor for Information Systems Management, Union Graduate College, Schenectady, New York (USA); Visiting Professor, Lorange Institute of Business Zurich, Horgen ZH.
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Bruno Arnold
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Relevante Resonanz
Messen die Bedeutung von realen Werten wird wegen des internets wichtiger. deshalb müssen messen eine renaissance erleben – allerdings nur, wenn sie sich neu erfinden. Thomas Brenzikofer und sTephan peyer
W
arum gewisse Messen erfolgreich sind und andere verschwinden, kann heute weniger denn je aus dem Bauchgefühl heraus beantwortet werden. Die alte Faustregel «Erfolgreiche Branche gleich erfolgreiche Messe» greift längst zu kurz. Um die Wirkungsweise von Messen verstehen zu können, bedarf es eines umfassenderen Erklärungsmodells. Diesen Ansatz bietet das 5C-Modell der MCH Group. Die fünf «C» stehen für Commerce, Content, Community, Communication und Context. Eigentlich drehen sich die fünf «C» um ein sechstes «C», den Contact. Der Qualität des Messekontaktes kommt heute eine ganz besondere Bedeutung zu. Mit dem Siegeszug von Social Media rückt das Urbedürfnis nach dem unvermittelten, direkten Kontakt in den Vordergrund. Denn in der virtuellen Welt von Facebook, Twitter oder Xing begibt sich der Benutzer gerade nicht auf Eskapade in den virtuellen Cyberspace. Vielmehr trachtet er nach der Fortschreibung und Pflege real existierender Beziehungen.
Produkte mit Inhalten aufladen Der «digital resident» ist kein passiver Medienkonsument alias «couch potato». Was er im Netz sucht, sind authentische Kommunikationserlebnisse. Marken, die diesen direkten Kontakt verweigern, wird über kurz oder lang die Treue gekündigt. Damit entwerfen Facebook & Co. eine Gegenwelt zur Entstofflichung der Geschäftsund Kundenbeziehung durch das MasseaNzeigeN
marketing. Ihr Businessmodell stützt sich im Gegensatz zu den klassischen Medien auf den direkten Dialog und das Teilen von individuellen Erlebnissen. Genau dies tut letztlich eine Messe auch, sie stellt reelle Kontakte her zwischen Kunde und Anbieter. Diese zentrale Dimension wird im 5C-Modell mit Commerce bezeichnet. Nach wie vor geht es an einer Messe darum, Produkte und Dienstleistungen zu präsentieren und zu verkaufen. Diese sind jedoch selten mehr von einer derartigen Einzigartigkeit, dass ihre pure Präsenz an einem Stand schon Scharen von Besuchern mobilisieren würde. Zu Zeiten des Jahrmarkts und der Pariser Weltausstellung war das noch anders. Deshalb kommt einem weiteren C im 5C-Modell – dem Content – eine tragende Rolle zu. Es braucht heute Plattformen, die die blosse Präsentation der Produkteund Dienstleistungsmarken so mit Inhalten auflädt, dass sie zum Erlebnis werden oder in einer neuen Informationstiefe erfahren werden können. Damit gelingt es, neue, eindeutige Differenzierungsmerkmale zu schaffen. Themenparks, Sonderausstellungen, Guided Tours oder Foren funktionieren jedoch nur, wenn sie tatsächlich inhaltliche Mehrwerte schaffen. Es reicht nicht, Megaphon für das Verlautbarungsbegehren der Aussteller zu sein. Im Zentrum muss das Informations- und Kommunikationsbedürfnis des Besuchers und potenziellen Kunden stehen. Dies geschieht in der dritten Dimension des 5C-Modelles, der Community. Communities sind Kommunikationsgemeinschaften, die sich um ein bestimm-
tes Thema scharen. Ihre Eigenheit ist, dass sie kaum und schon gar nicht hierarchisch strukturiert sind. Es gilt hier das Prinzip «many-to-many», und akzeptiert ist in der Community nur, wer sich in seinem Kommunikationsverhalten ebenso verhält. Wer mit zu viel medialem Sendebewusstsein – also nach Massgabe des Prinzips «one-to-many» – dazwischenfunkt, blitzt schnell ab. Auch als Messeveranstalter können Themen nur dann glaubwürdig
MCH Group
Live Marketing in der Schweiz Firma die mCh Group mit hauptsitz in Basel ist eine führende internationale Live-marketing-unternehmensgruppe. mit ihren aktivitäten in den drei Geschäftsfeldern mCh messen, mCh infrastruktur und mCh event services bietet sie ihren kunden ein dienstleistungsnetzwerk im gesamten Live-Communication-markt. das portfolio umfasst rund 40 messen, die von den Gesellschaften der mCh Group organisiert und durchgeführt werden. zur infrastruktur der mCh Group gehören die messe Basel, das Congress Center Basel und das musical Theater Basel sowie die messe zürich und das Theater 11 zürich. zudem ist die firma für den Betrieb des messe- und kongresszentrums Beaulieu Lausanne verantwortlich.
und authentisch vertreten werden, wenn man als Teil einer Community agiert.
Über den Tellerrand ausstrahlen Spielt die Wechselwirkung zwischen Commerce, Content und Community, ist ein erstes Ziel schon erreicht. Um allerdings ihr eigentliches Alleinstellungsmerkmal auszuspielen, müssen Messen zwingend auch die beiden anderen C-Dimensionen des 5C-Modells adressieren: Durch Communication gilt es, als adäquates Abbild einer Branche über den eigenen Tellerrand hinaus auszustrahlen, um sich dann im Context von Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft als Institution fest zu verankern. Über die Communication entfaltet eine Messe denn auch mitunter ihr grösstes Differenzierungspotenzial gegenüber jeder anderen Marketingmassnahme. Indem sich eine Branche oder ein Wirtschaftssektor an einer Messe zur Schau stellt, erregt sie damit auch die öffentliche Aufmerksamkeit und kann so das Interesse eines sehr viel breiteren Publikums für ihre Anliegen wecken. Dies gelingt umso besser, je attraktiver sich die Messe mindestens in einer der drei zentralen C-Dimensionen präsentiert. Drei der international und national führenden Messen der MCH Group mögen dies illustrieren: • Als Community-Messe ist die Art Basel der jährliche Treffpunkt und Schmelztiegel der weltweiten Kunstwelt und zieht illustre sowie vermögende Prominente als Sammler an. Dies macht die Art Basel über die Kunstszene hinaus zum gesellschaftlichen Must-Event.
• Als Commerce-Messe wird die Baselworld durch einen sehr stabilen Marktmechanismus angetrieben. Uhren- und Schmuckhändler realisieren ihr Hauptgeschäft zur Weihnachtszeit, die Ware muss also im Frühjahr gesichtet und bestellt werden. Gerade hierfür ist eine Weltmesse von unschlagbarer Effizienz. • Als Content-Messe mobilisiert die Giardina in Zürich über 60000 Besucher. Dies gelingt vor allem über aufwendig inszenierte Sonderschauen, die dem Besucher ein inspirierendes Erlebnis und neue Kaufideen vermitteln. Gelingt es einer Messe, ein relevantes Mass an Resonanz zu erzeugen, wird die von ihr repräsentierte Branche als gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich relevant wahrgenommen. Damit wird sie auch zur Bühne für übergeordnete Anliegen und erhebt sich so in den Status einer quasi öffentlichen Institution. Die erfolgreiche Schaffung von Context kommt damit für eine Veranstaltung gewissermassen der Krönung gleich. Nicht für jede Messe gilt die gleiche Erfolgsformel. In ihrer Wechselwirkung kennen die fünf C-Dimensionen fast beliebig verschiedene Aggregatzustände. Dennoch hilft das 5C-Modell, Messen nach einem einheitlichen System ideal auf die Bedürfnisse ihrer Stakeholder auszurichten. Nicht zuletzt lassen sich so für den Aussteller auch die spezifischen Massnahmen ableiten, die dafür sorgen, dass er mit seiner Messebeteiligung den gewünschten Erfolg erzielt. Thomas Brenzikofer, Geschäftsführer, C-Level media, zürich; stephan peyer, Leiter messen und Geschäftsleitungsmitglied, mCh Group, Basel.
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Nachhaltigkeit unternehmen tun gut daran, grüne Produkte nicht nur für grüne Kunden zu entwickeln, sondern für alle. Guido Müller und Verena BerGer
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achhaltigkeit liegt nicht nur im Trend, sondern ist nun einer: 93 Prozent der Konzernchefs nannten 2010 in der von Accenture und den Vereinten Nationen durchgeführten Studie Sustainability Issues als entscheidend für den künftigen Erfolg ihres Unternehmens. An den Universitäten und Fachhochschulen nimmt die Zahl der MasterArbeiten mit Fokus Nachhaltigkeit zu. Noch treibt die Trenddiskussion vor allem der Wertewandel der Kunden in den Industrienationen vorwärts. Findige Marketeers sehen sie in der diffusen Zielgruppe der Lohas (lifestyle of health and sustainability) und des ebenso vage umgrenzten Lohas-Marketing manifestiert. Diese Zielgruppenperspektive fasst aber zu kurz, und gerade Marketingverantwortliche tun gut daran, Nachhaltigkeit in einem viel breiteren, strategischen Kontext einzuordnen.
Nachhaltigkeit ist selbstverständlich Während früher Schweizer Uhren Präzision als Alleinstellungsmerkmal für sich reklamieren durften, so sind heute Qualität und Zuverlässigkeit eine Selbstverständlichkeit, die sich nicht auf Nischenprodukte sowie auf sich abgegrenzte KunaNzeigeN
densegmente reduzieren lassen. Genauso wenig lässt sich heute Nachhaltigkeit im Marketing für grüne Produkte auf Utopisten oder Scuppies (social conscious upwardly mobile people) beschränken. Skandale um die industrielle Produktion von Lebensmitteln, Forderungen nach mehr Transparenz zu Inhaltsstoffen, steigende Bekanntheit für Zertifizierungssysteme für umweltbewusste Produktionsbedingungen: Nachhaltigkeit ist in den Massenmedien und als Massstab für die Produktbewertung auch bei der breiten Konsumentenschicht angekommen. So, wie ein Minimum an Qualität nicht mehr mit hohem Preis einhergehen muss, wird sich jedes Unternehmen den Anforderungen ihrer Kunden an noch eher wirre Erwartungen zur Nachhaltigkeit stellen müssen: Durchsichtigkeit und Informationsbereitstellung für global organisierte und engagierte Konsumenten sowie eine authentische Kommunikation. Diese einst nur an Lohas gerichtete Ansprache wird zum Grundinstrumentarium für die breite Masse und erhält dadurch eine neue Wertigkeit. Nicht nur die Kunden stellen die Unternehmen vor neue Herausforderungen. Hochrechnungen der Vereinten Nationen sagen 9 Milliarden Menschen bis 2050 voraus. Das bedeutet einerseits steigende
Armut – vor allem in den bereits jetzt schon mittellosen afrikanischen Ländern –, anderseits die Entwicklung einer neuen, globalen Mittelschicht – vor allem in den BRIC-Ländern, die ihr Recht auf bezahlbare, ökologisch und sozial produzierte Waren einfordern. Mit fortschreitender technologischer Entwicklung in diesen vier Staaten steigen Einkommen und Lebensstandard. Die Folge: Zunehmender Wettbewerb um beschränkte Ressourcen sowie deutlich steigende Rohstoff- und Energiekosten für alle Marktteilnehmer.
Nachhaltigkeit als Innovationstreiber Betriebe, die frühzeitig im Rahmen nachhaltiger Unternehmensführung den Einsatz von Rohstoffen und Energie reduzieren beziehungsweise erneuerbare Quellen nutzen und ihren Kunden helfen Umweltkosten für Beschaffung, Transport, Nutzung oder Entsorgung zu verringern, werden im Wettbewerb Vorteile haben. Strategisch handelnde Marketing Manager sehen Investitionen in CRMSysteme (customer relationship management) nicht reduziert auf ein Hilfsmittel, die Umsätze zu steigern, sondern auch, um die Kundenzufriedenheit zu erhöhen und gleichzeitig die Servicekosten zu verkleinern. Analoges Denken ist ebenfalls im Hinblick auf Investitionen bezüglich
einer konsistent auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Wertschöpfungskette gefordert. Zu den auf Nachhaltigkeitsthemen sensibilisierten Kunden respektive zu den steigenden Kosten für limitierte Rohstoffe und Energie gesellt sich ein dritter Trend. Die zunehmende Belastung des Ökosystems wird verschärfte rechtliche und politische Rahmenbedingungen nach sich ziehen und die Unternehmen zwingen, ihrer ökologischen und sozialen Verantwortung in sämtlichen Stufen ihrer Wertschöpfungskette nachzukommen – und dies über den gesamten Produktlebenszyklus. Zusammengefasst lauten die Trends folglich: Basisanforderungen der Kunden, tiefere Produktionskosten sowie die Möglichkeit zur Differenzierung dank Innovation im globalen Wettbewerb. Nachhaltigkeit darf sich nicht auf die Zielgruppe der Lohas beschränken. Genauso darf sich Sustainability Marketing nicht auf grüne Produkte für grüne Kunden konzentrieren, sondern muss die nachhaltige Neuausrichtung des Unternehmens mit allen Chancen und Gefahren beziehungsweise Verpflichtungen mittragen. Guido Müller, Marketing-dozent; Verena Berger, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Zentrum für Marketing Management, ZHaW, Winterthur.
ZHAW
Das Zentrum für Marketing Institut das Zentrum für Marketing Management (ZMM) der School of Management and law (SMl) an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHaW) verknüpft wissenschaftliche erkenntnisse und praktische erfahrung rund um das Marketing, um diese in aus- und Weiterbildung, Forschung und entwicklung (F&e) sowie Beratung und dienstleistung weiterzugeben respektive einfliessen zu lassen. Neuheit das ZMM in Winterthur bietet neu das Certificate of advanced Studies (CaS) in Sustainability Marketing (12 eCTS) an. dieser sechsmonatige Weiterbildungsstudiengang befasst sich mit instrumenten sowie Konzepten, die unternehmen und Manager dabei unterstützen, sozial-ökologische Produkte und dienstleistungen aussichtsreich zu vermarkten.
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Die ewige Baustelle
Martin WidMer
E
s gibt in der globalen Gemeinschaft von mehr als 600 Millionen Facebook-Nutzern keine relevante Firma oder Marke mehr, über die nicht gesprochen wird. Das weltweit grösste Netzwerk ist gleichzeitig auch das Netzwerk, das am meisten für das Marketing genutzt wird. Wer nicht hingeht, weiss nicht, was er verpasst. Die Erkenntnisse von zahlreichen Kundenprojekten sind die Basis für die nachfolgende Vorgehensmethode. Diese lässt sich in fünf Module gliedern. 1. Strategie: Jeglicher Tätigkeit auf Facebook muss die Definition eines oder mehrerer Ziele vorausgehen. Die Definition der Ziele sollte erst dann gemacht werden, wenn die Gesamtheit der Möglichkeiten erfasst worden ist; am besten nutzt man dazu Fallbeispiele. Ausgehend von den Zielen beschreibt man die Zielgruppe, mit der man auf Facebook kommunizieren möchte. Es ist wichtig, dass das Kommunikationskonzept auf das Nutzungsverhalten dieser Zielgruppe abgestimmt wird. In der Folge wird der Ansatz bestimmt, mit dem mit der Zielgruppe kommuniziert werden soll. aNzeigeN
2. Zweck: Nun wird basierend auf dem Ansatz der Zweck ausformuliert. Basierend auf einem Abverkaufsziel werden Informationsmodule und Funktionen bestimmt. Wichtig ist dabei immer, dass die Nebenbedingung des sozialen Engagements eingehalten wird. Jede Funktion oder publizierte Information soll zur Interaktion animieren oder diese soll ermöglicht werden. Beispielsweise soll die Publikation eines News-Eintrages zu einer Antwort in Form eines Kommentars oder eines «Like» animieren. Das Resultat dieses Moduls ist ein fertiges Konzept für die Präsenz auf Facebook. 3. Roadmap und Hotlist: In der Regel entsteht im zweiten Schritt eine lange Liste von Funktionen und möglichen Informationen, die publiziert werden wollen. Damit die Präsenz auf Facebook nicht zu einer ewigen Baustelle wird, definiert man eine Roadmap über zwölf Monate mit mehreren Phasen und beginnt seine Aktivitäten mit einer Hotlist. Die Hotlist beinhaltet erste Testaktivitäten und soll die Erfahrungen mit der Zielgruppe bringen. Diese Erfahrungen dienen zur Fehlerkorrektur vor den ersten breit angelegten Massnahmen.
Bruno Arnold
Facebook im sozialen netzwerk ist es wichtig, dass man permanent bei der Zielgruppe präsent ist und attraktive themen als Motivation zur Verfügung hat.
4. Aktivitäten: Auf Facebook ist es wichtig, dass man permanent bei der Zielgruppe präsent ist und attraktive Themen als Motivation zur Verfügung hat. Dabei kommt es auf die Art des Produkts an, wie oft mit der Zielgruppe kommuniziert wird. Mehr als drei Aktivitäten pro Woche machen meist keinen Sinn. In der Regel reichen zwei, drei Aktivitäten pro Monat. Zentral ist die hohe Attraktivität der Information. Wenn die Beiträge oder Aktivitäten geklickt oder kommentiert werden, ist einem auch in Zukunft eine Einblendung der Beiträge auf der «Wall» der «Liker» sicher. Es ist ratsam, für zwölf Monate einen Aktivitätenplan zu erstellen, der mit dem Marketingplan zu vergleichen ist. 5. Reporting: Damit die Entwicklung der Aktivitäten und auch der Erfolg gemessen werden kann, sollte man von Anfang an Key Performance Indicators (KPI) definieren, welche auf die geschäftlichen Ziele abgestimmt sind. Für die Erhebung der
Zahlen kann man entweder die Messwerkzeuge von Facebook oder diejenigen von Drittanbietern einsetzen. Weil Facebook nicht für jeden Mitarbeiter in der Firma zum Alltag gehört, zeigt ein Reporting oder regelmässige Management Summaries den firmeninternen Stakeholders die Erfolge der Aktivitäten auf. Wichtig für das Funktionieren sind begleitende Massnahmen und Erfolgskontrolle. In der Regel sind in grösseren Firmen mehrere Personen berechtigt, auf Facebook zu kommunizieren. Damit alles im einheitlichen Licht dargestellt wird, sollten Guidelines verfasst werden. Des Weiteren empfiehlt sich bei einer gewissen Menge von Aktivitäten ein externes Monitoringtool. Dieses kann beispielsweise helfen, negative Tendenzen zu identifizieren oder das Produkt durch Feedback von Nutzern zu verbessern. Martin Widmer, Gründer/Partner, Serranetga, Zürich.
Fallbeispiel Migros
68000 Teilnehmer für eine grillparty Neuheit die Facebook-nutzer wurden zuerst mit Werbung auf die anwendung aufmerksam gemacht. Sie wurden aufgefordert, virtuelle Grillgruppen zu gründen und diese zu promoten. die grösste hat letztlich einen Gutschein über 10000 Franken für eine reale Grillparty gewonnen. das resultat der Kampagne waren 2700 gegründete Gruppen mit 68000 aktiven teilnehmern. es wurden 25000 initial Clicks gemessen. diese Personen haben in der Folge weitere teilnehmer rekrutiert. die virale Quote betrug 172 Prozent.
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Potenzial der Preise Wolfgang SchuSter
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iele Schweizer Unternehmen ver schenken ahnungslos Geld. Mit gezieltem, proaktivem Preismana gement können sie ihre Gewinne steigern, ohne die Zufriedenheit ihrer Kunden aufs Spiel zu setzen. Die Komplexität ist hoch. Zur Beherrschung des Pricing muss tag täglich eine Vielzahl von Entscheidungen getroffen werden. Vier Aspekte helfen, das notwendige Preiswissen zu erlangen. 1. Kosten als Preisuntergrenze: Viele Fir men schauen bei der Preisfestlegung nur auf ihre Kosten und vernachlässigen die Kunden und die Wettbewerbsperspektive. Damit stellen sie zwar die relativ einfache Verfügbarkeit der Basisdaten sowie eine relativ hohe Kundenakzeptanz sicher, die entstehenden Preise sind jedoch häufig suboptimal. Seine Kosten zu kennen und diese verursachergerecht auf Produkte, Aufträge und Kunden zuzurechnen, ist eine Grundvoraussetzung, da nur durch deren Deckung ein nachhaltiges Wirt schaften möglich ist. Somit fungieren die Kosten als Preisuntergrenze. In der Praxis stellen die Kostenallokation und das Set zen kostendeckender Preise oftmals schon eine grosse Herausforderung dar. aNzeigeN
2. KonkurrenzpreisTransparenz: Das Wis sen über die eigene Kostensituation allei ne genügt nicht. Nicht nur für Produkte ohne Differenzierungspotenzial ist die Kenntnis des Marktpreises erforderlich. Auch für Produkte mit Alleinstellungs merkmalen, die dazu führen, dass ein An gebot vom Kunden gegenüber demjeni gen der Wettbewerber vorgezogen wird oder ein Preispremium erzielen kann, ist das Wissen über die Konkurrenzpreise nützlich. So kann ein Anbieter leichter be stimmen, welchen Preisabstand er gegen über seinen Wettbewerbern beibehalten möchte, und bei Preisänderungen ent sprechend reagieren. In Branchen mit ho her Preistransparenz wie dem Detailhan del ist der Aufbau dieses Wissens relativ einfach zu bewerkstelligen, etwa durch Paneldaten oder Testkäufe. In Branchen mit geringerer Preistransparenz ist die Er mittlung der relevanten Informationen meist komplexer. Als Beispiele sind B2B Märkte zu nennen, in denen Preise häufig durch Verhandlungen entstehen und Leistungen in Form von Projektgeschäften oftmals schwer zu vergleichen sind. Das Wissen über die Wettbewerberpreise ist eine notwendige, aber noch nicht hinrei chende Voraussetzung für ein proaktives
Bruno Arnold
Pricing Kostenwahrheit ist eine Voraussetzung zur nachhaltigen Margensteigerung. Wie sich firmen mit kleinen Schritten Wettbewerbsvorteile verschaffen.
Preismanagement. Die Vernachlässigung der Kundenperspektive birgt die Gefahr von mechanistischen Preisanpassungen und dadurch von Margenverlusten. 3. Preispsychologie: Betriebe, die ihre Preise ausrichten am Nutzen, den Kunden in ihrer subjektiven Wahrnehmung dem eigenen Angebot beimessen, erzielen in der Regel die besten Resultate. Dadurch können sie deren Zahlungsbereitschaft maximal ausschöpfen. Gängige analyti sche Verfahren erlauben zwar die Ermitt lung von Preiselastizitäten und die Schät zung von Absatzfunktionen. Sie schaffen es aber nicht, preispsychologische Effekte wie Anchoring (Beeinflussung der Zah lungsbereitschaft durch einen Referenz preis) oder Framing (kontextabhängige Entstehung von Zahlungsbereitschaften für dasselbe Produkt) einzufangen. 4. Automatisierung: Nicht nur das Vor handensein, sondern auch die zeitnahe Verfügbarkeit von Preiswissen für alle an
einer PricingEntscheidung beteiligten Mitarbeitenden stellt eine Voraussetzung für ein professionelles Preismanagement dar. Mit der geeigneten Software können Firmen mit breiten und tiefen Sortimen ten erhebliche Margenverbesserungen erzielen. Dies erlaubt eine systematische PricingAnalyse, die Hinterlegung von Regeln zur Preisoptimierung sowie Moni toring und Verbesserung der Preisdurch setzung im Vertrieb. Zudem beschleunigt PricingSoftware die Entscheidungspro zesse und hilft, Preisfehler zu reduzieren. Weil die meisten Lösungen auf der beste henden ITInfrastruktur aufbauen, ist eine Implementierung in der Regel unproble matisch. So gelingt es SoftwareHerstel lern wie Stratinis, die Nettopreise ihrer Kunden durch Automatisierung und Ma nagement der Rabatte branchenübergrei fend um 1 bis 3 Prozent zu verbessern. Wolfgang Schuster, Seniorprojektleiter, Input, Zürich.
InPut ConsultIng
40 Jahre Erfahrung – vier Fachgebiete Firma Input consulting, 1971 gegründet, ist eine unabhängige und inhabergeführte Beratungsfirma für marktorientierte unternehmensführung. heute beschäftigt Input unter der leitung von Patrick Pfäffli, lars längauer und Beat Scheidegger 23 Mitarbeitende an den Standorten in Zürich (hauptsitz) und Bern (niederlassung). Input betreut seit über zehn Jahren namhafte Schweizer Betriebe bei der Professionalisierung ihres Preismanagements. Daneben agiert Input in den Beratungsfeldern Strategie, Innovation und Marketing.
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Autos Das Produktgesicht als Erfolgsfaktor: Was Designer aus der Forschung menschlicher Gesichter lernen können. AnDrEAs HErrmAnn unD JAn LAnDWEHr
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ei vielen Produkten ist in den ver gangenen Jahren zu beobachten, dass ihre technischen Eigenschaf ten immer ähnlicher werden. Beispiels weise können verschiedene Smartphones oder unterschiedliche Digitalkameras kaum mehr im Hinblick auf ihre Funktio nalität differenziert werden. Folglich wird es für die Kunden immer schwieriger, Unterschiede zwischen den Angeboten auszumachen und diese im Rahmen ihrer Kaufentscheidung zu berücksichtigen.
Mehr aus der Masse herausstechen Umgekehrt stehen Unternehmen vor der Herausforderung, mit ihren Produk ten nicht im Einheitsbrei der in vielen Märkten kaum mehr überschaubaren Angebote unterzugehen. Um sich im Markt von der Konkurrenz abzuheben, steht dem Unternehmen neben dem Auf bau eines markanten, emotional aktivie renden Markenbildes vor allem das Design der Produkte als wichtiger Hebel zur Verfügung. Um diesen Hebel mög aNzeigeN
lichst effizient nutzen zu können, suchen Unternehmen nach Designprinzipien, die eine besondere Wirkung auf das emotio nale Erleben der Konsumenten entfalten. In jüngster Zeit hat sich beispielsweise im Design von Automobilien die Analogie der Fahrzeugfront zum menschlichen Gesicht als reichhaltige Inspirationsquelle für Designer erwiesen. Um das Potenzial dieser Analogie optimal ausschöpfen zu können, untersuchen Wissenschaftler der University of Chicago und der Universität St. Gallen in einem internationalen For schungsprojekt den Zusammenhang zwi schen Gesichtsmerkmalen im Produkt design und den Reaktionen der Kunden. In den Studien, die in Asien, Amerika und Europa durchgeführt wurden, zeigt sich, dass sich viele aus der Erforschung menschlicher Gesichter bekannte Wahr nehmungs und Beurteilungsprinzipien auf die Verarbeitung und Bewertung von Fahrzeugfronten übertragen lassen. Das menschliche Gesicht ist einer der wich tigsten Reize in unserer Umwelt, und es zieht daher unwillkürlich die Aufmerk samkeit auf sich. Aus diesem Grund erstaunt es nicht, dass Fahrzeuge mit Designanspielungen auf das menschliche Gesicht unmittelbar ins Auge stechen und bevorzugt betrachtet werden. Dieser Effekt lässt sich durch die Ver wendung von emotionalen Gesichtsaus drücken im Design noch verstärken. Wer den die emotionalen Designelemente
Bruno Arnold
Freundlich und aggressiv
richtig kombiniert, schenken die Kunden diesen Designfacetten der Autos mehr Aufmerksamkeit und finden sie in der Regel auch deutlich schöner.
Wie Raubtiere vor dem Sprung Wie Studien aus St. Gallen zeigen konn ten, ist eine Kombination aus freundli chen sowie aggressiven Designelementen besonders geeignet, um beim Betrachter gleichzeitig ein positives Bauchgefühl des Wohlbefindens und das nötige Kribbeln für das Erleben einer anregenden Span nung auszulösen. Ein Beispiel hierfür sind die Lichter zahlreicher Fahrzeugmodelle, die sich dadurch auszeichnen, dass sie sehr weit in die Fahrzeugseite hineinge zogen sind und damit eine besondere Ag gressivität zum Ausdruck bringen. Einige dieser Designs reflektieren den Gesichts ausdruck eines Raubtieres unmittelbar vor dem Sprung auf die Beute. Die For scher aus St. Gallen konnten zudem ver
deutlichen, dass dieser Zusammenhang nicht nur bei Automobilen zu beobachten ist, sondern ebenso bei elektronischen Geräten wie etwa Mobiltelefonen. Zudem schlägt sich ein optimal konzi piertes Design nicht nur im positiven Ur teil des Kunden nieder, sondern lässt sich auch in den Verkaufszahlen, etwa von Fahrzeugen und anderen Produkten, im Markt nachweisen. Offenbar ist das Ge sicht eines Autos ein nicht zu unterschät zender Bestandteil des Fahrzeuges, der ein besonderes Gewicht für den Entschei dungsprozess der Kunden besitzt. Aus Sicht eines Automobilunternehmens ist es daher ratsam, sich genau zu überlegen, wie ein neues Fahrzeugmodell den Kun den anschauen sollte, um ihm zu gefallen und ihn vom Kauf zu überzeugen. Andreas Herrmann, Direktor; Jan Landwehr, Projektleiter, Forschungsstelle für Customer Insight, universität st. Gallen, st. Gallen.
Universität st. GAllen
Forschungsstelle für Customer insight Institut Die Forschungsstelle für Customer Insight der universität st. Gallen gehört zu den führenden Institutionen zur Erforschung des Entscheidungsverhaltens von Individuen. rund 25 Forscher arbeiten in diversen Kooperationsprojekten mit unternehmen daran, ein tieferes Verständnis dafür zu erlangen. Ein zentraler Aspekt ist die Designforschung, wo es darum geht, die Emotionen von menschen zu erfassen, die bestimmte Produktdesigns erleben. Zudem interessiert, wie sich dies auf konkrete Entscheidungen
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Luxusgüter Der weltweite Markt wächst ungebrochen, wie eine neue Studie zeigt. Daniel TSchuDy
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ain & Company erwartet für 2011 ein Wachstum der globalen Luxus güterindustrie von 10 Prozent auf 191 Milliarden Euro. Bis 2014 ist in der Branche mit einem jährlichen Umsatz anstieg von 6 bis 7 Prozent auf 225 bis 230 Milliarden Euro zu rechnen. Accessoires, Uhren und Schmuck tragen 2011 den grössten Teil zum Wachstum bei, gefolgt von Kleidung, Parfum und Kosmetik. Das ist das Ergebnis der zehnten Aus gabe der Studie «Luxury Goods Worldwide Market», die Mitte Oktober erschienen ist. Die Unternehmensberatung Bain unter sucht seit 2000 in Zusammenarbeit mit der Fondazione Altagamma, dem grössten italienischen Verband der Luxusgüterher steller, die Ertragslage von 230 weltweit führenden Luxusgüterherstellern.
China brummt, Schweiz hält mit Die schnell wachsenden Volkswirt schaften in Asien – speziell in China – sind Haupttreiber des aktuellen und künftigen Wachstums. In den reiferen Märkten Europa und USA führen Investitionen der Hersteller in eigene Retailformate in Kom bination mit stärkerer Präsenz auch an aNzeigeN
Standorten ausserhalb der grossen Metro polen zu mehr Absatz. Dazu kommt eine stetig wachsende Kundschaft in den auf strebenden Märkten wie Osteuropa, Brasi lien und Mittlerer Osten. Ebenso wird sich die Nachfrage in Japan weiter erholen. Auch für die Schweiz zeichnet Bain Partner Josef Ming ein positives Bild. «Die Schweiz als Absatzmarkt für Luxusgüter ist zwar sehr stark abhängig vom Tourismus. Allerdings gehe ich nicht davon aus, dass hier die Frankenstärke besonders heftig zu Buche schlägt, denn im wachsenden Seg ment der Luxusreisenden ist die Schweiz als Tourismus und ShoppingDestination nach wie vor gefragt.» Auf der Herstellerseite bestätigt die BainStudie insbesondere die positiven Meldungen aus der Uhrenindustrie, für die vor allem in Asien grosses Wachstum prognostiziert wird. «Authentizität und Markentradition werden insbesondere in China immer wichtiger», sagt Ming. Die Herausforderung für Schweizer Marken sieht der Fachmann für Konsum und Industriegüter darin, dass die asiatischen Märkte dynamischer sind, was den Marke tingMix angeht: «Die Grenzen zwischen Unterhaltung und Shopping sind viel fliessender, was neue Retail und Promo tionsformate bedingt. Zudem werden sich die Wettbewerber in Asien wesentlich stärker als in Europa mit ihren Strategien im digitalen Marketing und im ECom merce differenzieren.»
Bruno Arnold
Von Krise keine Spur
«Kunde von morgen anspruchsvoller» Gemäss Ihrer neuesten Studie boomt die Luxusgüterindustrie weiter. Was müssen einzelne Hersteller und Marken tun, um davon zu profitieren? Josef Ming: Grösse wird in globalisierten Märkten immer wichtiger. Die Investi tionen, die nötig sind, um im Marketing und mit Ladenstandorten die nötige Auf merksamkeit zu erzeugen und eine gute Positionierung zu erreichen, werden immer bedeutender. Dadurch wird die erfolgskritische Unternehmensgrösse in dieser Industrie weiter wachsen. Sie sprechen von Skaleneffekten, dabei geht es doch um Emotionen … Ming: Was nützt Ihnen die beste Marke, wenn Sie deren Elemente und Botschaf ten nicht im MarketingGrundrauschen
sicht und hörbar machen? Auch das Marketing für Luxusgüter muss sich auf die Gesetzmässigkeiten von reifen, mehr konsolidierten Industrien einstellen.
Ming: Ich nenne die drei wichtigsten. Erstens: Marken müssen die für sie rich tigen Antworten auf den Generationen wechsel bei den Kunden finden. Die BabyBoomers werden pensioniert, die rundum vernetzte Generation Z domi niert das Geschehen. Zweitens: Das Kundenerlebnis muss verbessert werden. Verbindung von online und offline zu Omnichannel, systematische Kunden bindung und Servicequalität sind hier die Stichworte. Der Luxuskunde von morgen wird anspruchsvoller. Drittens: Wer sich nicht schnell und kraftvoll in den aufstrebenden Märkten rund um die Welt positionieren kann, hat schlechte Karten im weltweiten Wettbewerb.
Welches sind dabei die Erfolgsfaktoren?
inTerview: Daniel TSchuDy
Josef Ming Partner, Bain & company, Zürich
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Stabilisierungseffekt erzielen
Schweiz Tourismus/UBS Die Grossbank macht hierzulande auf heile Ferienwelt, während sie in London Milliarden verliert. Schweiz Tourismus fürchtet keinen Imageschaden. RobeRT WILDI
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er Zürcher Paradeplatz an einem Werktagmorgen. Herren im feinen Anzug betreten den Hauptsitz der UBS. Flankiert wird das Treiben von Sebi und Paul. Die zwei bärtigen Bergler verkörpern die absoluten Anti-Banker. Trotzdem haben sie mit dem Finanzinstitut eine Bande geschlossen. Sebi und Paul sind die aktuellen Werbe-Ikonen von Schweiz Tourismus. Die Vermarktungsorganisation pflegt mit der Grossbank seit 2010 eine enge Partnerschaft. Die UBS und die Schweiz, das ist zurzeit ein eher belastetes Verhältnis. Die 2008 erfolgte Rettung mit 68 Milliarden Franken aus der Staatskasse war für die Schweizer ein Ärgernis. Das Management gelobte, die Risiken im Investment Banking zu senken und nachhaltige Kontrollmechanismen einzuführen. Umsonst: Ein einzelner UBS-Banker verzockte in London kürzlich Kundengelder von über 2 Milliarden Franken.
Partnerschaft soll verlängert werden Solche Geschichten stören Sebi und Paul offenbar nicht. Auch ihr Erfinder, Schweiz-Tourismus-Direktor Jürg Schmid, sieht seine Organisation von den Verfehlungen der Grossbank keinesfalls tangiert. «Schweiz Tourismus hat wegen der Partnerschaft mit UBS keinen Imageschaden erlitten», ist er überzeugt. Im Gegenteil: Der touristischen Schweiz biete sich ein aNzeigeN
neues und lukratives Schaufenster. Dazu kommen konkrete Mehrwerte für die Kundschaft. So profitieren Mitglieder im UBS Key Club etwa von vergünstigten Hotelaufenthalten in der Schweiz. Dem Gewinner eines Wettbewerbs winkt die kostenlose Benützung einer Schweizer Ferienwohnung während zweier Jahre. Das Echo ist laut Schmid positiv. «Viele Schweizer haben uns spontane Mails geschickt und sich bedankt, dass sie bei der UBS kostenfrei Broschüren mit den besten Reise- und Ausflugstipps beziehen können.» Genau das zähle für Schweiz Tourismus. In Zeiten der Währungskrise, in denen Gästezahlen aus Deutschland, Holland und weiteren europäischen Kernmärkten förmlich wegbrechen, ist eine starke Position im Heimmarkt immens wichtig. Zusätzliche Schweizer Gäste sollen einen Stabilisierungseffekt erzielen und die ausländischen Einbussen so gut als möglich kompensieren. Dafür sei die UBS der ideale Partner, so Schmid. «Dank der Kooperation ist die Ferienschweiz an den zentralsten Lagen des Landes, etwa am Paradeplatz, sehr präsent.» Man dürfe nicht vergessen, dass über 40 Prozent aller Logiernächte in der Schweizer Hotellerie mit Gästen aus dem Inland erzielt würden. Die Partnerschaft wurde in einem ersten Schritt auf drei Jahre festgesetzt und dauert noch bis Ende 2012. Danach soll es aber weitergehen. «Beide Partner streben den Aufbau einer langfristigen Zusammenarbeit an», sagt Schmid. Gemeinsam wolle man die UBS-Kunden nachhaltig über die schönsten Ausflugsziele und atemberaubendsten Erlebnisse in der hiesigen Natur orientieren. Für den VollblutMarketer Jürg Schmid zählt der kommerzielle Nutzen dieser Zweckgemeinschaft. Die UBS bietet dem Ferienland Schweiz einen neuen und lukrativen Marktzugang. Im Gegenzug dürfte der Bank das Be-
kenntnis zur ehrlichen, unverbrauchten Schweiz von Sebi und Paul ein paar verlorene Sympathiepunkte zurückbringen.
Jeder Werbefranken ist willkommen Abgesehen vom neuen Kommunikationskanal ist die Kooperation mit der UBS für Schweiz Tourismus auch aus finanzieller Sicht interessant. Die Vermarktungsorganisation muss dafür kaum Geld aufwenden, sondern bringt primär die touristischen Produkte und Fachkenntnisse in die Partnerschaft ein. Günstige Kampagnen mit einem hohen Wirkungsgrad sind Schweiz Tourismus speziell in der heutigen Zeit sehr willkommen. Denn die Wirtschafts- und vor allem Währungsentwicklung zeichnet im Hinblick auf die bevorstehende Wintersaison für die wichtigen europäischen Gästemärkte düstere Szena-
rien. Da ist jeder zusätzliche Franken für Extrakampagnen willkommen. Bundesbern hat seine Hilfsbeiträge bereits erhöht. Für die Periode 2012 bis 2015 erhält Schweiz Tourismus vom Staat insgesamt 222 Millionen Franken, das sind 31 Millionen Franken mehr als im Zeitraum 2008 bis 2011. Gefordert hatte die Branche zwar 239 Millionen Franken. «Diese Summe wäre für die dringend notwendige Diversifikation in neue Märkte optimal gewesen», erklärt Jürg Schmid. Jetzt müsse Schweiz Tourismus mit den Mitteln auskommen, die zur Verfügung stünden. Die Marketingstrategie basiert laut dem Direktor auf einem Vierradantrieb mit den Instrumenten Promotion, E-Marketing, Key Media Management und Key Account Management. Die Aufgabe sei
grundsätzlich simpel. «Wir wollen weltweit Aufmerksamkeit auf das Ferien-, Reise- und Kongressangebot der Schweiz lenken und diese Aufmerksamkeit in eine Wertschöpfung umwandeln.» Gelungen sei dies in den letzten Jahren recht gut. Dies nicht zuletzt wegen ausgefallener sowie origineller Werbekampagnen, die um die Welt gingen und sogar prominente Preise gewannen. Für weltweites Aufsehen, allenfalls aus etwas anderen Gründen, dürfte bei einer Ausweitung über die Grenzen auch die Kooperation mit der UBS sorgen. Die Grossbank ist nicht nur in England und Amerika regelmässig in den Schlagzeilen. Ob und wann Sebi und Paul vielleicht auch Kunden an der Wall Street für Ferien in der Schweiz anwerben, ist gemäss Schmid zurzeit offen.
«Position in der Schweiz stärken» Die Finanzwelt und der Tourismus haben wenig gemeinsam. Warum hat sich die UBS dennoch für eine Kooperation mit Schweiz Tourismus entschieden? Tom Ackermann: Die UBS ist hierzulande die grösste Universalbank. Der Heimmarkt spielt eine wichtige Rolle. Jeder dritte Haushalt ist bei uns Kunde. Mit der Partnerschaft mit der grössten Schweizer Tourismusorganisation wollen wir unsere Werte und unsere Präsenz auf emotionale Art und Weise untermauern.
Tom Ackermann Marketingleiter Schweiz, UbS, Zürich
Will die UBS dank Schweiz Tourismus ihr ramponiertes Image aufpolieren? Ackermann: Diese Partnerschaft im Umfeld von Tourismus und Freizeit bietet der UBS den emotionalen und eigenständigen Zugang zu bestehenden und
potenziellen Kunden. Sie unterstützt unsere Bestrebungen, uns als starken Finanzdienstleister in der Schweiz zu positionieren. Und sie manifestiert die Bedeutung des Schweizer Geschäfts innerhalb des Unternehmens.
Inwiefern konnte die UBS bislang von Schweiz Tourismus profitieren? Ackermann: Die Reaktionen der Kunden sowie der Mitarbeitenden sind äusserst positiv. Die Partnerschaft wird im Markt wahrgenommen und hilft, unsere Position in der Schweiz zu stärken. Wir erreichen neben unseren Kunden einen grossen Teil der Bevölkerung. Die Nachfrage nach den mit Schweiz Tourismus realisierten Spezialpublikationen ist gross. Neben den attraktiven Angeboten, die wir unseren Kunden anbieten können, hat uns diese Partnerschaft die Türen zu neuen Kundenbeziehungen geöffnet. Wir sind mit der bisherigen Entwicklung der Zusammenarbeit sehr zufrieden. InTeRvIeW: RobeRT WILDI
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handelszeitung | Nr. 43 | 27. Oktober 2011
Kollektion statt Kette Edith Arnold
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enn sich John Griffin ein Hotel aus dem Katalog aussuchen müsste, was ihm als Senior Vice President Brand & Marketing nicht leicht fällt, dann das Mövenpick Resort & Spa am Toten Meer in Jordanien. «Eine Bilder buchoase am tiefsten Punkt der Erde», schwärmt der gebürtige Australier.
Expansion auf 100 Anlagen bis 2015 Die Hälfte der 71 Mövenpick Hotels & Resorts habe er bereits besucht, sagt Grif fin. Dabei ist er erst seit Mai 2010 im Amt. Von der internationalen Gruppe mit Schweizer Wurzeln wurde er geholt, weil man sich «strukturell von einem zentral zu einem dezentral organisierten Unterneh men wandeln will». Kein Ferienjob. «Das Ziel bis 2015 sind 100 operierende Häuser in 30 Ländern», ergänzt er und lässt eine druckfrische Liste mit den geplanten Er öffnungen servieren. Jene auf der Website sei bereits wieder überholt. Allein in den Arabischen Emiraten sind weitere acht Anlagen vorgesehen, vier zusätzliche war ten in Thailand; einen Höhepunkt bildet das Projekt im indischen Dharamshala auf 2400 Metern über Meer. aNzeigeN
Strebt Mövenpick nach 2003 etwa eine weitere Auszeichnung als schnellstwach sende Hotelkette im Mittleren Osten an? «Afrika südlich der Sahelzone hat eben falls grosses Potenzial. Aber Grösse ist nicht alles», beschwichtigt John Griffin. Zudem basierten alle Hotels und Resorts heute auf Managementverträgen. Möven pick wolle nicht zur grössten Besitzerin avancieren, sondern zur besten Anbiete rin im gehobenen Bereich. «Unsere Kun den sollen aus einer Kollektion auswählen können. Jedes Haus ist stark im lokalen Markt verankert, sei es in Bezug auf Design, Serviceangebot oder Wellness Behandlungen. Gäste mögen authenti sche Erlebnisse», weiss Griffin. Dabei ist «Passionately Swiss» eine Referenz an den kürzlich verstorbenen MövenpickGrün der Ueli Prager. Der Slogan steht für Gast freundschaft, Qualität sowie Innovation. Und als Markenzeichen wird überall das opulente Frühstücksbuffet gepflegt. Einzelne Destinationen können ganz unterschiedliche Märkte bedienen, so Griffin. 20 bis 30 Prozent der Gäste halten sich mindestens zweimal pro Jahr in einem Mövenpick auf. In der Geschwin digkeit des Alltags setzen Leute auf ver traute Werte. In Deutschland und der
Bruno Arnold
Mövenpick Hotels & Resorts Gerade ausserhalb der Schweiz steht «Passionately Swiss» für die Qualität.
Schweiz hat man laut Griffin viele einhei mische Stammgäste. Als Drehscheibe geniesse das Mövenpick in Egerkingen eigentlichen Kultstatus. Die Internetbe wertungen der Besucher fallen allerdings durchmischt aus.
Marketing heisst Kunden verstehen Sie würden oft von Kunden lernen, meint Griffin. Auf der Wunschliste der Gäste stehe derzeit: Keine LasVegas Beleuchtung beim Betreten der Zimmer, überhaupt möglichst natürliche Licht quellen, einfach zu bedienende Technik auf hohem Niveau. Mit der Neueröffnung im indischen Bangalore («dezentes Hotel im Silicon Valley des Fernen Ostens») hat Mövenpick ein neues CheckinSystem eingeführt. Egal, wann der Gast ankommt, er kann 24 Stunden vor Ort verweilen. Welches der innovativste Konkurrent von Mövenpick sei? «Four Seasons hin sichtlich des Kundendialoges, Citizen M
für die klare und abgegrenzte Positionie rung und Kimpton für den entspannten und intuitiven Stil», sagt Griffin. «Unsere Fähigkeit ist es, den Kunden nicht nur räumlich nahe zu sein. Die beste Werbe strategie ist für mich das Zuhören. Obwohl dies eher eine Philosophie ist. Der Erfolg der Zukunft liegt darin, das zu tun, was Gäste als gelungen erachten und erleben möchten. Marketing beinhaltet heute weit mehr als Anzeigekampagnen, nämlich alle Aspekte des Kundenverständnisses.» Je nach Vorliebe des einzelnen Kunden informiert Mövenpick demnächst via Twitter und Facebook oder weiterhin via klassischen Newsletter über die Angebote. Und vielleicht wirbt das neue Hotel in Accra bald für das erste Mövenpick in Chi na, das 2014 in Schanghai den Betrieb auf nehmen soll. Immerhin steht es in der ghanaischen Hauptstadt neben dem Na tional Theatre, das von Chinesen gespon sert worden ist.
Mövenpick Holding
das erbe von Ueli prager
Unternehmen Mövenpick ist 1948 vom kürzlich verstorbenen Ueli Prager gegründet worden. Seine Vision: Gäste sollen delikatessen unkompliziert wie Möwen picken können. Wie die Umsätze zu schmelzen beginnen, richtet sich der Konzern neu aus. Mövenpick ice Cream geht an nestlé. die Bereiche hotels & resorts, Gastronomie, Fine Food und Wein operieren eigenständig unter der holding. 2010 hat Mövenpick hotels & resorts mit 13810 Mitarbeitern in 70 häusern weltweit fast 900 Millionen Franken umgesetzt.
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Wir sind alle «brandwashed»
Inspiration aus der Tradition
Martin Lindstrom Der dänische Markenexperte und MarketingGuru besuchte die Schweiz, um seine jüngsten Feldforschungen vorzustellen, unter anderem das neue Buch «Brandwashed».
Feldschlösschen Das meistverkaufte Schweizer Bier spielt mit Werten. Als konservativ will sich die Tochter der dänischen Carlsberg-Gruppe nicht positionieren.
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ilde Kerle, furchterregende Holzfratzen, reich geschmückte Trachtenfrauen und Gruppen in bunten Larven bewegen sich stumm durch neblige Täler, ausgetrocknete Flussbetten und dunkle Wälder. Die Kamera schwenkt auf ein Gespann mit Brauereipferden, ein Fass wird angezapft, sämtliche Masken abgelegt und alle stossen mit Feldschlösschen-Bier an. «Volkshelden» ist der jüngste TV-Spot, den die Firma 2011 lanciert hat. «Wir entwickeln die Marke weiter und machen den Schritt von der bislang eher funktionalen Ausrichtung ‹Frisch vom Schloss› hin zu einer wesentlich emotionaleren Ansprache der Konsumenten», sagt Marketingleiter Massimo Di Dia. Weil Feldschlösschen quer durch alle Bevölkerungsschichten und Landesteile das beliebteste Bier der Schweizer sei, habe man die neue Kommunikationsplattform «Feldschlösschen verbindet» entwickelt. Neben dem Commercial «Volkshelden», das verschiedene Brauchtumsgruppen aus dem ganzen Land zusammenführt und vermitteln soll, dass Feldschlösschen die unterschiedlichsten anzeigen
Gruppierungen der Schweizer Bevölkerung vereinen kann, wurden zwei weitere TV-Spots geschaltet. «Grill» zeigt zwei gestresste Familienväter am Gas- respek tive Holzkohlegrill, die ihre Ungleichheit dank einer Flasche Feldschlösschen überwinden; in «Ivo Adam» grillieren die Freunde des Starkochs mit den von ihm entwickelten Bier-Marinaden.
«Jede Marke hat nun ihre Zielgruppe» Bei allen drei Spots setzt das Unternehmen ganz gezielt auf Swissness. «Feldschlösschen ist seit über 100 Jahren auf dem Markt und steht deshalb wie kein anderes Bier für Schweizer Qualität und Tradition», erklärt Di Dia. Deshalb betone man diese Werte auch in der Marketingkommunikation. Die Commercials liefen bis Ende August und sollen nächstes Jahr wieder zum Einsatz kommen, weil das Feedback der Konsumenten sehr positiv ausgefallen sei: «Viele schreiben uns, wie sehr sie es schätzen, dass wir die Vielfalt und Einzigartigkeit der Schweiz aufzeigen», so der Marketingleiter. Besonders viel Echo bekam der von der Zürcher Agentur Wirz konzipierte TV-Spot «Volkshelden». Diesen zu realisieren, sei allerdings eine organisatorische Heraus-
Frances Vetter
S Bruno Arnolöd
Denise Weisflog
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forderung gewesen, zumal man über 30 Trachten-, Jodler- und Maskengruppen, Chöre und Fahnenschwinger auf dem Pragelpass im Kanton Schwyz zusammen gebracht habe. «Darunter befanden sich
Die klare Positionierung des Portfolios ist laut dem Marketingleiter eine der wichtigsten Aufgaben. illustre Formationen wie die Tschäggete aus dem Wallis, die Schwarzen Engel aus Flums oder die Nüssler aus Brunnen. Obwohl wir den Drehtermin aufgrund schlechten Wetters mehrmals verschieben mussten, waren die mitwirkenden Gruppen mit viel E ifer und Freude bei der Entstehung des Films dabei. Sie nutzten dieses einmalige Ereignis als Chance, ihr Brauchtum stolz einem breiten Publikum
zu präsentieren», sagt Di Dia. Und viele der Laiendarsteller hätten sich im lokalen Raum dank «Volkshelden» fast schon zu Stars gemausert. Das «Ivo Adam»-Commercial war das Resultat einer Partnerschaft, die bereits im Vorjahr bestand. «Wir haben 2010 mit Ivo Adam die Feldschlösschen-Biermarinaden für unsere Grillpromotion entwickelt. Aufgrund des grossen Anklangs bei den Konsumenten haben wir die Zusammenarbeit dieses Jahr fortgeführt und weitere neue Marinaden mit dem Starkoch kreiert», ergänzt Massimo Di Dia. Doch nicht nur Urschweizer Werte und Eigenheiten spielen im FeldschlösschenMarketing eine Rolle. 2011 bewirbt die Firma auch die neue Linie Feldschlösschen Sélection, in der die Spezialitätenbiere zusammengefasst werden. Daneben wurde der Subbrand Cardinal Draft einem umfassenden Redesign unterzogen und die Produkte Cardinal Draft Original und
Cardinal Draft Lime Cut neu positioniert – mit dem Ziel, eine progressive, moderne Zielgruppe anzusprechen. Die Marke Eve wurde ebenfalls neu aufgestellt und mit einem umfassenden Marketingprogramm unterstützt – neue Verpackung, neues Design, Kommunikationsplattform und Occasion-spezifische Frauenabend-Aktivierung. «Eine der wichtigsten Aufgaben, die wir in diesem Jahr bewältigt haben, war die klare Positionierung der Marken in unserem breiten Portfolio: Jede Marke hat nun ihre spezifische Zielgruppe, die sie anspricht», sagt Massimo Di Dia.
«Konsequenter Jugendschutz wichtig» Feldschlösschen wirbt einerseits mit Tradition, andererseits mit Innovation. Stehen sich diese beiden Konzepte nicht diametral entgegen? Nein, meint der Marketingleiter: «Wir sind überzeugt davon, dass diese Begriffe eben keine Gegensätze sind. Die lange Tradition unseres Unter-
nehmens ist das starke Fundament, auf dem wir heute tätig sind und unsere Innovationen lancieren. Ausserdem war Feldschlösschen schon immer sehr innovativ. Wir haben beispielsweise das erste alkoholfreie Bier in der Schweiz auf den Markt gebracht. Man könnte also sagen, wir sind innovativ aus Tradition.» Übrigens will sich Feldschlösschen mit seiner Werbung ausdrücklich nicht an Jugendliche richten. Gemeinsam mit dem dänischen Mutterhaus Carlsberg wurde deshalb ein Katalog von Richtlinien ausgearbeitet, die sicherstellen sollen, dass keine unter 18-Jährigen angesprochen werden; beispielsweise, indem man keine Models unter 25 Jahren einsetzt. «Neben einem konsequenten Jugendschutz ist es uns auch wichtig, dass wir in unseren Marketingaktivitäten deutlich machen, dass Bier ein Genussmittel ist, das moderat konsumiert werden soll», betont Di Dia abschliessend. anzeigen
Carlsberg-Tochter
Elf eigene Bier- und zwei Wassersorten Unternehmen Feldschlösschen mit Hauptsitz in Rheinfelden AG feiert 2011 das 135-jährige Bestehen. Das Unternehmen beschäftigt rund 1300 Mitarbeitende in der Schweiz, verfügt über 21 Standorte, vertreibt elf eigene Bier- und zwei Mineralwasser-Marken, produziert über 50 Getränkesorten, davon 38 Biersorten, hat eine Jahresproduktion von 340 Millionen Litern und füllt umgerechnet rund um die Uhr jede Minute 2000 Flaschen zu 0,33 Liter ab. Seit 2000 ist Feldschlösschen eine Tochter der dänischen Carlsberg-Gruppe.
ein Credo: «Jeder Chef müsste mindestens zwei bis drei Tage pro Jahr mit seinen Kunden unter einem Dach leben.» Martin Lindstrom, dänischer Marketing-Guru und gemäss «Time» einer der 100 weltweit einflussreichsten Menschen, hat gerade für einen Kunden aus der Sportbranche eine Woche mit Olympia-Athleten verbracht. Er lebt buchstäblich 70 bis 80 Tage pro Jahr mit Konsumenten, wie er an einer Veranstaltung am Gottlieb Duttweiler Institute (GDI) in Rüschlikon das Publikum wissen liess. Lindstrom bezeichnet die jungen Konsumenten (unter 40 Jahre) als eine Generation, die sofortige Befriedigung verlangt. «Sie sind süchtig nach Marken und Shopping.» Die meisten Verkäufer seien auch einfach zu gierig, um Engpässe einzu bauen und somit exklusiv zu wirken. «Wir wollen alles und wir wollen es jetzt.» Lindstrom hingegen weiss, dass innovative Unternehmen ihre Kunden bewusst mit Geheimnissen und Mysterien locken.
Vermeintlicher Bier-Freund Eine Methode, die er bei der Lancierung seines neuen Buchs «Brandwashed» erfolgreich eingesetzt hat. Bereits neun Monate vor der Veröffentlichung fing Lindstrom mit einer Seeding Campaign samt Sneek Previews an. Dadurch hat er bereits über eine halbe Million Kopien verkauft, bevor das Werk überhaupt in den Handel gelangt ist. In seinem jüngsten
Buch deckt er die derben Massnahmen auf, die eingesetzt werden, um uns zum Kauf zu animieren. Dabei ist der Marketing-Guru felsenfest davon überzeugt, dass das wirkungsvollste sowie nachhaltigste Marketinginstrument nach wie vor die persönliche Weiterempfehlung ist. Lindstrom erzählt: «Was für ein geniales Wochenende. Diese Idylle am See. Echt abgeschieden, sagt dein Freund Thomas zufällig und offeriert dir noch ein Bier. Erst später erkundigst du dich beiläufig nach der Adresse. Fast vergisst er sie dir auszu-
zum Kauf zu animieren? Ohne es zu realisieren, wurdest du mit hoher Wahrscheinlichkeit brandwashed», sagt Lindstrom.
Sein Fauxpas mit der Rolex Seine persönliche Rolex-Verführungsgeschichte erzählt er nicht ohne Scham, wobei Lindstrom mit der vergoldeten Rolex Selbstvertrauen kaufen wollte, im Sinne von: «Ich habe es geschafft.» Im Grunde genommen hatte er genau das Gegenteil erreicht. An einer Kundenpräsentation in Vevey bemerkte ein Kollege ironisch: «Ich sehe, du trägst eine Rolex – das hätte ich nicht von dir erwartet.» Lindstrom sinnte lange dar«Wenn du es deinen über nach – war das eine positive oder eine negative Kindern geben Aussage? Dann versuchte er würdest, kannst du die goldene Rolex bei einem es verkaufen.» Händler für Occasions uhren nahe der Zürcher Martin Lindstrom Bahnhofstrasse loszuwermartinlindstrom.com den. Als ihm der Käufer beschrieb, welcher Typ händigen. Gerade vor dem nach Hause Mensch solche Uhren trägt und dass seine gehen steckt er dir unauffällig die Visiten- Rolex sogar ein Damenmodell sei, entkarte seines Geheimtipps zu. Natürlich schied er sich auf der Stelle, sich einer vertraust du dem Geschmack deines Marken-Entziehungskur zu unterziehen. Freundes. Ihr mögt schliesslich dieselben Kein einfaches Unterfangen, aber eines, Dinge, trinkt dasselbe Bier, wohnt im glei- das ihm zur Einsicht verhalf, dass wir alle chen Quartier, ihr fahrt sogar dasselbe tief drinnen zum Shoppen und zur WeiterAuto. Du merkst, wie du innerlich bereits empfehlung programmiert sind. ein verlängertes Wochenende mit deiner Zuletzt noch einige praktische Tipps Freundin an dieser Adresse planst. Genau von Lindstrom: «Sei exklusiv. Ein Händler das Richtige, denkst du, als du ihm auf die ist wie ein Nachtklub – wenn 200 MenSchulter klopfst, bevor du nach Hause schen vor dem Eingang stehen, bist du gehst, ein bisschen betrunken und glück- auch eher dazu bereit, dich als Nummer lich, so einen tollen Freund zu haben.» 201 hinzustellen.» Denn: «WarteschlanNun folgt die Wende: «Aber was, wenn gen sind gut. Sie wecken unsere Neugier. Thomas nicht wirklich dein Freund ist? Wir wollen wissen, was drinnen passiert.» Was, wenn Thomas bezahlt wird, um dei- Zu guter Letzt: «Sei ethisch. Moral und ne Welt mit Brands in subtilster Art und Transparenz sind ausschlaggebend für Weise zu infiltrieren? Marken, von denen nachhaltigen Erfolg. Test: Wenn du es deier engagiert wurde, um diese zu promo- nen Kindern geben würdest, dann kannst ten, deine Wahl zu manipulieren und dich du es der ganzen Welt verkaufen.»