Text - Ina Ortlepp Grafik & Satz - Jarno Müller, Stefan Richter, Philipp Kühn
Mit lautem Knall fiel die Tür hinter Hannah ins Schloss. „Und dass du mir heute nicht mehr unter die Augen kommst, sonst setzt es was!“ drohte der „Kneifer“, wie sie insgeheim den Besitzer des Waisenhauses nannten, dann stampfte er die Treppen hinunter, und Hannah war allein.
Nun war es nicht so, dass sie nicht daran gewöhnt gewesen wäre, vom Kneifer auf ihr Zimmer geschickt zu werden, aber ausgerechnet heute, zu Weihnachten, hätte sie sich gewünscht, bei den anderen unten im Speisesaal bleiben zu dürfen. Nicht, dass es dort sonderlich weihnachtlich zugegangen wäre – außer ein paar traurigen Fichtenzweigen auf dem Esstisch und einer flackernden, halbkaputten Lichterkette über der Tür erinnerte nicht viel daran, dass auch im Waisenhaus Weihnachten war. Aber auf den Schokoladenpudding hatte sie sich gefreut! Und nur, weil sie vor den anderen Kindern zum Kneifer gesagt hatte, dass zu einem richtigen Weihnachtsfest auch Geschenke gehören, war sie ohne Essen in ihr Zimmer unter dem Dach verbannt worden.
KAWUM M...
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Traurig hockte Hannah sich auf ihr Bett, blickte ins Feuer und beobachtete, wie die Flammen aufloderten und Figuren bildeten. Den Ofen fand sie immer ein bisschen gruselig – wie ein großes, dunkles Tier hockte er in der finstersten Ecke des Zimmers und machte merkwürdige Geräusche, brodelte und zischte, und manchmal knallte es in seinem Innern wie ein Pistolenschuss. Und wenn es in ihrem Zimmer ganz dunkel war,
dann sah es aus, als stiegen grimmige kleine Geister aus den Flammen, die sie durch das kleine grinsende Gitter in der Ofentür sehen konnte. So hatte sie sich diesen Abend nicht vorgestellt! Und gerade, als sie überlegte, ob sie sich aus ihrer geheimen Vorratsdose einen Keks holen sollte, passierte es … Ein gewaltiger Windstoß ließ die Flügel ihres Fensters auffliegen. Die Flamme im Ofen loderte auf, als der Wind durchs Zimmer pfiff, und der Vorhang hätte beinahe die Kerze vom Tisch gefegt. Und als Hannah aufstand, um das Fenster zu schließen, lag auf dem Fensterbrett ein geheimnisvolles Päckchen. Es war in braunes Packpapier gewickelt, mit vielen Marken beklebt, und anstelle einer Adresse stand nur „Hannah“ darauf. Und über der ganzen Stadt lag ein Flimmern und Glitzern wie Feenstaub, das irgendwie von diesem Päckchen auszugehen schien. Seite 2
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Es duftete nach frischen Tannenzweigen und Orangen und raschelte leise, als Hannah es behutsam an sich nahm – nicht ohne vorher ihren Kopf aus dem Fenster gestreckt und sich nach allen Richtungen umgesehen zu haben, ob nicht doch jemand draußen stünde und sein Päckchen zurückfordere. Aber weit und breit war niemand zu sehen. Im Schein des Ofens, der ihr jetzt wie ein großer Beschützer erschien, untersuchte Hannah das Päckchen genauer. Solange sie sich zurückerinnern konnte, hatte sie noch nie ein Geschenk
bekommen, und auf diesem hier stand eindeutig ihr Name. Dann hatte wohl niemand etwas dagegen, wenn sie es auspacken und hineinschauen würde! Sie hatte etwas Mühe, die lange Paketschnur und das viele Papier aufzuwickeln, aber als es ihr gelungen war, staunte sie noch mehr, denn in dem Päckchen lag etwas Großes, Buntes, Weiches unter einem Brief, den Hannah in der Hoffnung, einen Hinweis auf den Absender des Päckchens zu erhalten, schnell entfaltete.
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Etwas ratlos stand Hannah da – den Brief in der einen und die Decke in der anderen Hand. Ihre Oma? Was sollte sie selbst herausfinden? Und wie war das Päckchen überhaupt zu ihr gekommen? Das alles schien nicht mit rechten Dingen zuzugehen! Hannah betrachtete die aus bunten Stoffresten zusammengenähte Decke, die in dem Päckchen gewesen war, und beschloss, über alles noch
einmal genau nachzudenken. „Schmusanna“, murmelte vor sie sich hin, „komisch! Eine Decke mit einem Namen!“ Sie holte sich einen Keks aus ihrer Vorratsdose, legte sich mit dem Brief in den Schein ihres Ofens und zog sich die neue Decke namens Schmusanna um die Schultern, als plötzlich ein merkwürdiges und noch nie dagewesenes Geräusch sie zusammenfahren ließ.
Der Ofen! Es war, als würde er sich bewegen – Hannah sah es ganz deutlich! Oder waren es nur die Schatten an der Wand? Aber sie hörte auch ein Atmen – etwas Großes, Lebendiges war plötzlich in ihrem Zimmer, Hannah spürte es! Ihre neue Decke lag auf ihr, weich und warm, und in ihrer Angst zog Hannah sie sich über den Kopf. Etwas ging vor sich in ihrem Zimmer – sie hörte ein Poltern und
Knirschen, als würde etwas aus der Wand gerissen, der Fußboden wackelte, Putz rieselte herab, und etwas kam auf sie zu. Hannahs Herz hämmerte bis zum Hals, so laut, dass es, so dachte sie, bis hinunter in den Speisesaal zu hören sein musste. Und dann war es – was immer es war – bei ihr, und leise, ganz vorsichtig, wurde die Decke angehoben, unter der Hannah sich versteckt hatte. Vor lauter Angst kniff Hannah ihre Augen ganz fest zu und hoffte aus tiefstem Herzen, dass der Spuk schnell aus ihrem Zimmer verschwinden würde.
… Und wie es weitergeht, erfahrt ihr in eurem ersteN Schmusanna-Heft ab 2011 bei eurer WG „Carl Zeiss“ eG. Seite 4
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