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Die Irrationalität der zeitgenössischen Bourgeoisie

Premierminister Cameron hatte mit dem Feuer gespielt: um dem Vormarsch der rassistischen,, ausländerfeindlichen, nationalistischen und sich faschisierenden UKIP zu begegnen, die zunehmend Wähler der konservativen Partei ansaugte, versprach er nach den Wahlen 2015 ein Referendum über den Verbleib in der EU abzuhalten, das er auch als Druckmittel verwenden wollte, um einige zusätzliche Zugeständnisse von den anderen europäischen Bourgeoisien zu erzwingen

Und das tat er in Brüssel im vergangenen Februar, als er auf den Spuren der verstorbenen Thatcher gegen die Misswirtschaft bei den EU­Ausgaben, laxe Grenzen und viele andere Dinge wetterte, um zufrieden heimzukehren, weil er ja die britischen Interessen so gut verteidigt hatte. Er hatte in der Tat das Recht erhalten, bestimmte Sozialleistungen und Zulagen für EU­Bürger in den ersten vier Jahren nach ihrer Ansiedlung in Großbritannien nicht auszahlen zu müssen, sowie neuerliche Garantien für den "Zugang" der Londoner Börse zur EU und das Versprechen, weitere Zugangsbeschränkungen und Normen zu lockern Deshalb führte Cameron eine Kampagne für den Verbleib in der EU (“remain”).

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Aber, ach! Der Wind, den er säte, hatte nur das Feuer geschürt, das andere entzündet hatten, und zwar nicht nur UKIP, sondern auch ein Gutteil der Konservativen Partei selbst Es ist jedoch bemerkenswert, dass die Gewinner zunächst vor allem durch ihre Fähigkeit glänzten, vor ihrer plötzlich überwältigenden Verantwortung zu flüchten: Nigel Farage, UKIP­Vorsitzender trat sofort zurück, und Boris Johnson führte eine erbärmliche Farce auf, um ja nicht Premierminister zu werden! Die siegreichen Leave­Kampagnenführer haben sich als ein Haufen mittelmäßiger Figuren gezeigt, die sich während der Kampagne selbst blamiert haben Lügen über aufgeblähte Budgetausgaben und türkische Migranten, bevor sie nach der Abstimmung einfach verschwanden (The Economist, 2 Juli 2016)

Für die englische Bourgeoisie und jene des Kontinents sieht die Sache nach dieser Runde schwierig aus. Cameron weigerte sich, vor seinem Rücktritt die Verantwortung für den Austritt zu übernehmen Er überließ diese Aufgabe der neuen Premierministerin Theresa May, die drei Tory­Anhänger des Brexit zu Ministern in der neuen Regierung ernannte: Johnson als Außenminister, Davis als EU­Austrittsminister und Fox als Minister für Aussenhandel May möchte einerseits die wichtigste bürgerliche Partei stabilisieren und andererseits die vom Brexit Begeisterten die Verantwortung für die kommenden Schwierigkeiten tragen lassen. Die Rechtfertigung der SWP, diesem Lager beizutreten war das Ziel, Cameron zu verjagen Aber haben die Arbeiter mit May anstelle von Cameron gewonnen?

Nachdem sie ihre Regierung gebildet hatte, traf May Merkel und Hollande, was zeigt, wer "Europa" führt Sie hat den Austritt immer noch nicht formalisiert Die 27 verbleibenden Staaten sind bei den kommenden Verhandlungen mit der neuen To­ ry­Regierung nicht auf der gleichen Wellenlänge Die Bourgeoisien Zentraleuropas wollen die Gelegenheit nutzen, um den Griff Deutschlands und Frankreichs zu lockern Die deutsche Bourgeoisie, für die Großbritannien ein wichtiger Kunde ist, bleibt vorsichtig Ihre beherrschende Stellung verleiht ihr die Rolle einer Wächterin über einen gewissen Zusammenhalt, während die anderen keine klare Linie haben Aber sie will auch nicht durch eine zu versöhnliche Haltung andere Mitgliedsländer, vor allem im Süden und Osten Europas, zu möglichen Abenteuern ermutigen Die französische Bourgeoisie hat kein solches Zartgefühl, sie schürt energisch das Feuer, um die englische Bourgeoisie zu schwächen, vor allem, um die City von London zu verdrängen und die Pariser Börse an ihre Stelle zu setzen Nun ist die London Stock Exchange die Lunge des britischen Kapitalismus, die das Kapital aus aller Welt einatmet und einen Bilanzüberschuss an Dienstleistungen erzeugt, während der Saldo des Warenhandels stark defizitär ist

London verfügt über 250 ausländische Banken und 200 ausländische Rechtsanwaltsaltskanzleien Die Hauptsorge ist, dass die Finanzinstitute nicht mehr der gesamten EU dienen können, wenn ­ vermutlich zwei Jahre nach Beginn der Austrittsverhandlungen ­ England die EU verlassen hat. (The Economist, 2. Juli 2016)

Für proletarischen Internationalismus

Nur wenige haben die einzig mögliche Klassenposition vertreten, indem sie für den Boykott des Referendums aufgerufen haben, zum Kampf für den Sturz der Kapitalistenregierung in Großbritannien, für die Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa

Gegen Ende des 19 Jahrhunderts wurde der bürgerliche Staat mit seinen Armeen und Zollgrenzen die stärkste Bremse in der Entwicklung der Produktivkräfte, die eine sehr viel ausgedehntere Arena fordern. Ein Sozialist, der heute für die Verteidigung des „Vaterlandes“ eintritt, spielt dieselbe reaktionäre Rolle wie die Bauern der Vendée, die zur Verteidigung des feudalen Regimes, d h ihrer eigenen Ketten stürmten (Manifest der IV Internationale, Mai 1940)

Im Gegenteil, auch über Großbritannien hinaus sind etliche Organisationen in den Nationalismus abgeglitten oder haben weitere Schritte in diese Richtung gemacht, die sie schon länger verteidigen. So die KKE in Griechenland, Die Linke in Deutschland, Mélenchon in Frankreich, ehemaliger Minister und Gründer der Parti de Gauche, großer Verteidiger der "Nation", deren Feind nicht die französische Bourgeoisie, sondern Deutschland ist, und der nicht nur den Brexit begrüßte, sondern auch am 5 Juli 2016 im Europäischen Parlament die “Entsendearbeiter, die den einheimischen Arbeitern das Brot stehlen”, attackierte

„Der Arbeiter hat kein Vaterland" ­ das bedeutet, daß a) seine ökonomische Lage (le salariat) nicht national, sondern international ist; b) sein Klassenfeind international ist;c) die Bedingungen für seine Befreiung gleichfalls; daß d) die internationale Einheit der Arbeiter wichtiger ist als die nationale (Lenin, Brief an Inessa Armand, 20 November 1916, LW Bd 35)

Die meisten Revisionisten des Trotzkismus (die Morenisten, Cliffisten, Lambertisten, Robertsonisten, die Taffisten, etc.), die sich angewöhnt haben, dem Stalinismus nachzulaufen oder von ihm beeinflusst sind, haben dem Brexit applaudiert. Die britischen Arbeiter haben vom Brexit nicht nur keine Verbesserung ihrer Lage zu erwarten, sondern müssen sogar das Gegenteil befürchten Vor allem haben sie durch größte Verwirrung ihre Klassenunabhängigkeit verloren, was der Bourgeoisie zusätzliche Waffen in die Hand gibt Darüber hinaus startete die Rechte in der Labour Party (Arbeiterpartei) unverzüglich mit Hilfe der bürgerlichen Medien eine neue Offensive gegen Corbyn, Mittlerweile zerfleischt sich Labour selbst. Am 28 Juni verlor Mr Corbyn mit 172 zu 40 eine Vertrauensabstimmung unter den Labourabgeordeten Seine Rolle als Parteiführer wird nun herausgefordert (The Economist, 2 Juli 2016)

Das Ergebnis des britischen Referendums ist Teil der starken Zunahme der fremdenfeindlichen oder faschistischen Parteien wie der FPÖ in Österreich, der FN in Frankreich, der AfD in Deutschland Jobbik in Ungarn, der PVV in Holland, der XA in Griechenland, der PIS in Polen, usw Seit 24 Juni jubelte Le Pen (FN) :"Brexit,und jetzt Frankreich!"

Frau Le Pen denkt, dass ihr diese nationalistische Stimmung helfen wird, die Präsidentschaftswahl im nächsten Frühjahr zu gewinnen. (The Economist,2 Juli 2016)

Es sind die "demokratischen" Regierungen selbst, die den Kapitalisten freie Hand bei Entlassungen geben, die Steuern der Bosse und Reichen senken, Sozialleistungen einschränken, den Nahen Osten bombardieren, Europa verbarrikadieren und Flüchtlinge an den Toren der EU sterben lassen, die Fremdenfeindlichkeit und Rassismus fördern, die also der Reaktion Treibstoff liefern Dieser Chauvinismus ist überall an der Arbeit Was soll man zum republikanischen Kandidaten Trump in den USA sagen, der den Protektionismus befürwortet, die Abschiebung aller Einwanderer aus Ländern, die vom US­Imperialismus zerstört wurden und die Errichtung einer Betonwand von Tausenden Kilometern an der mexikanischen Grenze verspricht

Dieser Nationalismus ist ein grundlegender Ausdruck der historischen Sackgasse der kapitalistischen Produktionsweise in der imperialistischen Phase: im Widerspruch zu den Interessen der wichtigsten Sektoren der Bourgeoisie in den kapitalistischen Ländern, die, so gut sie können, auf den ungehinderten Fluss von Waren und Kapital drängen, wird das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die ständig zunehmende Konzentration des produktiven­, des Handels­ und Bankkapitals, die zunehmende Konkurrenz der Bourgeoisien untereinander und die Beherrschung der Welt durch eine Handvoll imperialistischen Mächte mehr und mehr zum Hindernis nicht nur für das Kapital selbst, sondern für die Entwicklung der gesamten Menschheit

Alle imperialistischen Bourgeoisien haben die Globalisierung mitgemacht, alle kapitalistischen Konzerne träumen von der Öffnung aller Grenzen für ihr Kapital und ihre Waren, aber die dem Kapitalismus eigenen Gesetze machen diese Bemü­ hungen zunichte, alle Konzerne fordern Hilfe durch ihren Staat gegen die anderen, alle Staaten in ihrem Dienst streiten um die Vorherrschaft über den Planeten Es ist der Alptraum der Konfrontation zwischen den Nationen, der wieder an die Oberfläche drängt Der Kapitalismus im imperialistischen Stadium, das ist die organisierte Konkurrenz zwischen den Arbeiterinnen und Arbeitern aus verschiedenen Ländern und innerhalb der einzelnen Länder selbst.

Daher brauchen wir eine internationalistische Partei Diese kann nicht aufgebaut werden, wenn wir der Labour Party und den Gewerkschaften den Rücken kehren Aber die Labour Party kann die revolutionäre Arbeiterpartei nicht ersetzen, weil sie seit ihrer Geburt eine "bürgerliche Arbeiterpartei" ist: “ArbeiterInnenpartei” durch ihre Wurzeln in der Gewerkschaft und ihre ursprüngliche werktätige Wählerbasis, “bürgerlich” durch ihr Programm und ihren parlamentarischen Kretinismus

Der besitzenden Klasse eröffnen sich große Möglichkeiten der Staatsobstruktion, der gesetzlichen und administrativen Sabotage, denn, gleichgültig, wie die Parlamentsmehrheit beschaffen ist, der ganze Staatsapparat ist in jeder Beziehung aufs engste mit der Bourgeoisie verbunden Außerdem stehen ihr noch zur Verfügung: die gesamte Presse, die wichtigsten Organe der Selbstverwaltung, die Universitäten und Schulen, die Kirche, die zahllosen Klubs und sonstige freiwillige Verbände Zu ihrer Verfügung stehen die Banken und das ganze System des gesellschaftlichen Kredits, endlich der Transport­ und Handelsapparat, so dass der Unterhalt Londons einschließlich der Arbeiterregierung von den großen kapitalistischen Vereinigungen abhängig ist (Leo Trotzki, Wohin treibt England ?, 1925, Kap 5)

Keine sozialreformerische Politik konnte oder wollte irgendeine Aussicht auf eine nachhaltige Verbesserung der Situation der Arbeiterinnen und Arbeiter bieten, geschweige denn das Kapital selbst angreifen Stattdessen haben die Reformisten ihren Bankrott dadurch bewiesen, dass sie eifrige Erfüllungsgehilfen der Wünsche ihrer Bourgeoisie waren Die Massen, die die Schläge der bürgerlichen Parteien an der Macht einstecken mussten, haben genauso die Nase von den bürgerlichen Arbeiterparteien voll, wenn diese die offen bürgerliche Regierung abgelöst haben Mangels einer revolutionären Organisation, welche die Perspektive einer Machtergreifung durch die Arbeiterklasse, den Sozialismus, den Internationalismus bietet, sind es die reaktionärsten bürgerlichen Strömungen, die punkten können Genau aus diesem Grund ist eine richtige Orientierung in der Frage des Brexit so wichtig: Der Aufbau einer revolutionären Arbeiterinternationale!

Wenn die Massen begreifen, wie lange man sie betrogen hat, machen sie Revolution (Leo Trotzki, Wohin treibt England ?, 1925, Kap 4)

22 Juli 2016

Internationales Büro des Kollektivs Permanente Revolution (Frankreich/Österreich/Peru) Marxistisch­Leninistische Tendenz (Brasilien)

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