Musikgeschichte / Electro
MUSIKGESCHICHTE FAZE / 001 / März 2012
ELECTRO
Electro, was ist das? Mittlerweile ist der Begriff Electro stark verwässert worden. Nachdem dieses Genre in den späten 90ern einen neuen Hype erfuhr, fingen viele DJs, Musiker und Magazine an, alles Electro zu nennen, was nicht ganz in den Techno/House-Kontext einzuordnen war. Zeit einiges klar zu stellen. It’s time.
Der Begriff Electro ist in aller Munde. Auf jedem zweiten Partyflyer steht dieses Wort, doch kaum jemand weiß heutzutage, dass es der Name einer Musikrichtung ist, die eine der ersten Arten von Dance Music überhaupt war. Die erste rein elektronisch produzierte Street Music. Der Begriff Electro ist die Kurzform von Electroboogie oder Electrofunk und nicht der Überbegriff für sämtliche Spielarten elektronisch produzierter Dance Music. In den 80ern, als in den Clubs meistens eine wilde Mischung elektronischer Musik gespielt wurde, spielte dieses Genre neben House und HipHop immer eine große Rolle. Electro hat im Gegensatz zu House und Techno in den meisten Fällen keine gerade laufende 4/4 Bassdrum, sondern zeichnet sich durch den so genannten „Boogie Beat“ aus, der in seinem Rhythmus eher mit Breakbeats aus dem Funk der späten 60er- und 70er-Jahre zu vergleichen ist, aber mit synthetischen Sounds der damals ersten auf dem Markt erhältlichen analogen Drumcomputern erzeugt wurde. Somit klingt Electro nicht wie Breakbeat oder Drum’n’Bass, sondern maschinell, synthetisch und mechanisch. Es erinnert vielmehr an Robotermusik, da nur künstlich erzeugte Sounds verwendet werden. Electro entstand bereits Anfang der 80er-Jahre in den USA noch vor House Music und Techno. Die Wurzeln dieses Genres sind P-Funk der 70er-Jahre, Disco- und Boogiemusik, Krautrock und experimenteller Synthesizersound. Die frühen Kraftwerk-Alben „Trans Europa Express“, „Radio Aktivität“ oder „Computerwelt“ sind unerschöpfliche Inspirationsquellen und beeinflussen dieses Genre noch bis heute. In den meisten Electrotracks findet man Klänge, Sequenzen und Arrangements, deren Anlehnung an Kraftwerk kaum zu leugnen ist. Kraftwerk gelten allgemein als Pioniere elektronischer Pop Musik, da sie als erste die Idee, Schlagzeugklänge und Percussions elektronisch zu erzeugen, mit selbstgebauten analogen Drumpads umsetzten und mit der Zeit immer elektronischer wurden. In den USA der späten 70er-Jahren war der Sound von Kraftwerk sehr beliebt und prägte nachhaltig den Stil vieler Musiker, die nicht abgeneigt waren elektronische Instrumente zu verwenden. Schwarze Musiker wie George Clinton oder Roger Troutman
(Zapp) hatten ebenfalls großen Einfluss auf diese Art von Musik, aber auch New Wave-Stücke, in denen ebenfalls vermehrt analoge Synthesizer zum Einsatz kamen, wie bei vielen Bands aus England und Künstlern wie z. B. Gary Numan. Es galt, mit der neuen Technik Grenzen zu überschreiten und Neues zu schaffen, da mit synthetischen Sounds viel zu erforschen war. Einige Musiker experimentierten damals auch gerne Genreübergreifend wie Man Parrish, der New Wave produzierte und mit „Man Made“, „Boogie Down Bronx“ und „Hip Hop Be Bop“ mehrere Electrostücke schrieb, die heute Klassiker sind. Einer der ersten DJs, der pure elektronische Dancetracks im Electro-Style produzierte, war der aus New York stammende Arthur Baker. Das von ihm produzierte „Planet Rock“ von Afrika Bambaataa & The Soulsonic Force gilt als einer der Prototypen, die dieses Genre entscheidend prägten. Einige Pop- und New WaveBands ließen sich damals von DJs wie Arthur Baker remixen, „Confusion“ von New Order ist ein gelungenes Beispiel dafür. In Deutschland wurde Electro durch Jonzun Crews „Pac Jam“, die Titelmelodie der ersten Staffel der Musiksendung „Formel Eins“ bekannt, und das wurde der erste Electrotrack, der es in die internationalen Verkaufscharts schaffte. Weitere kommerziell erfolgreiche Titel waren z. B. „Rockit“ von Herbie Hancock, „Let the Music Play“ von Shannon oder „19“ von Paul Hardcastle. Den Durchbruch hatte Electro, als 1983 Breakdance aufkam, da diese Musik perfekt zu den roboterartigen Bewegungen der Tänzer passte. In dieser Zeit fanden einige Electro Songs den Weg in die internationalen Verkaufscharts. Viele Electrotracks sind Instrumentalstücke, aber ein oft verwendetes Element neben Raps und Gesang sind verfremdete, nach Computern oder Robotern klingende Vocals. Meistens wird dazu ein Voice Coder (kurz Vocoder) benutzt. Oft verwendete Vocoder in den 80erJahren waren der Roland SVC-350 oder der Korg VC-10. Frühe Hip Hop-Produktionen jener Zeit basieren auch auf ElectroInstrumentals und werden als Electro Rap oder Techno Hop bezeichnet. Im Miami Bass wurde ebenfalls meistens gerappt. Deswegen gilt Electro auch als eine frühe Variante des HipHop, zumal diese beiden Stilrichtungen auch dieselben Wurzeln haben. Anfang der 80er stürzten sich Musiker auf die neuen Möglichkeiten, die ihnen digitale und analoge Synthesizer boten. Die Geräte wurden immer kompakter und intuitiver in der Handhabung. Da elektronische Instrumente zunehmend auch in Serie produziert und somit erschwinglich wurden, waren sie nun nicht mehr nur der Avantgarde zugänglich. Also gab es nicht mehr nur experimentelle Musik, die sich Synthesizerklänge bediente. 36