ATLAS 06 deutsch

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ATLAS

DIE WELT BEWEGT: DAS MAGAZIN VON GEBRÜDER WEISS

Antrieb RAINER GROOTHUIS

Unser Metropolis EVA MENASSE

Alles, was einem liegt HEIKE DIERBACH

Erst kommt das Fressen …

MALTE LEHMING

Kleines Lob des Neides HARALD MARTENSTEIN

»I’m CEO, Bitch!« Außerdem: Skateboards und Race Cars, Quallen und Raketen

AUSGABE 06



»Stärke erwächst nicht aus körperlicher Kraft, vielmehr aus unbeugsamem Willen.« Mahatma Gandhi

Lange Zeit attestierten Ornithologen der Streifen­ gans schlechte Aufstiegsfähigkeiten und vermuteten, dass sich die Tiere einfach von emporsteigenden ­Talwinden in große Höhen tragen lassen. Ein Forscher­ team hat diese Annahme widerlegt: Die Zug­vögel wurden beobachtet, wie sie sich bereits in den wind­ stillen Nacht- oder Morgenstunden erhoben, anstatt die nachmittags auftretende Thermik zu nutzen. So überqueren die Tiere das Himalaja-Gebirge, das zwischen ihrem Winter- und dem Brutgebiet liegt. Der Flügelschlag in kalter, dichterer Morgenluft ist effizienter, und die Streifengänse können dadurch ihren Energieverbrauch gering halten. Außerdem fliegen sie möglichst tief über das Gebirge, um die sauerstoffreiche Luft in Bodennähe zu nutzen, und kommen so dennoch auf eine durchschnittliche Flughöhe von 5.000 Metern, ganz aus eigener Kraft.


»Zu   lohnenden Zielen gibt es keine Abkürzungen.« Beverly Sills

Aristoteles, geistiger Vater aller naturwissenschaft­ lich-kritischen Beobachtungen, glaubte, dass Garten­ rotschwänze, wenn sie im Winter verschwinden, sich in Rotkehlchen verwandeln. ­Tatsächlich aber ist der kleine Vogel nur sehr lange in sein Winter­ quar­tier unterwegs: Bereits Ende Juli verlassen die ersten Gartenrotschwänze ihr Brut­gebiet in Europa, die meisten folgen bis Ende September. Als Lang­­ streckenzieher überquert er die Alpen, das Mittelmeer und die große afrikanische Wüste, insgesamt 6.000 bis 8.000 Kilometer. Der Garten­rotschwanz zieht einzeln und ausschließlich nachts, um tagsüber zu rasten und nach Nahrung zu suchen. Erst ab Mitte April trifft er dann wieder in seinem Brutgebiet ein.



4 ATLAS


»Sobald   der Geist auf ein Ziel gerichtet ist, kommt ihm vieles entgegen.« Johann Wolfgang von Goethe

Viele Wege mögen nach Afrika führen. In Europa kommen für Störche vor allem zwei infrage: Zum einen die Westroute über Frankreich, Spanien und die Meerenge von Gibraltar nach Westafrika, zum anderen die Ostroute, die über Rumänien, Bulgarien und die Türkei bis Ost- oder gar bis Südafrika führt. Welche Reiseroute die stattlichen Vögel nehmen, hängt von ihrem Geburtsort ab, die sogenannte Zug­ scheide verläuft quer durch Deutschland. Störche, die westlich dieser Grenze zur Welt kamen, schlagen auf dem Weg ins Winterquartier die Westroute ein. Alle, die östlich der Zugscheide zu Hause sind, ­fliegen ostwärts. Aber egal ob West oder Ost: Ihren Weg ins Winterquartier legen die Störche wesentlich langsamer zurück als den Frühlingszug, wenn die Fortpflanzungshormone sie beflügeln.


Angelika Jäger fährt seit 18 Jahren Lkw für Gebrüder Weiss Wolfurt und ­transportiert hauptsächlich Bandstahl zu Kunden in ­Vorarlberg. Ihre anfäng­ liche Schüchtern­heit hat die gelernte Einzelhandelskauffrau schon lange abgelegt und behauptet sich heute ohne Probleme gegen ihre männ­lichen Berufs­ kollegen. Privat mag sie es weniger PS -stark und ist stolze Pferde­be­sitzerin.


J

eden Morgen, irgendwann dann doch: die Decke zurückschlagen, Zähne putzen, der Tag beginnt. Wird er einer von vielen sein? Oder wird es gelingen, aus ihm einen beson­deren zu machen – was treibt uns eigentlich? Von Antrieb und Antrieben erzählt Ihnen dieser sechste A ­ TLAS , ist ­A ntrieb doch mehr als jene ­ aschine bewegt: Wir fragen ­Einheit, die eine M nach Neid und M ­ issgunst, nach Motoren, Eulen und R ­ aketen, ­treffen James Bond, skaten in ­A fghanistan und ­besteigen die Pyramide der ­Bedürfnisse. Wir freuen uns über Ihre Aufmerksamkeit und die Reaktionen, die der ATLAS erfährt – sie sind unser Antrieb, Ihnen mit jeder Ausgabe ­etwas von der Welt in Bewegung zu zeigen.

Herzlich, Gebrüder Weiss


durch die röhre geschossen

Der Hyperloop* kommt nach Europa. Die Slowakei plant den ersten europäischen Super-Schnellzug nach Vorbild des für die USA angekündigten Projektes des US -Milliardärs und Visionärs Elon Musk. 2020 soll es losgehen. Geschwindigkeit, mit der die Passagiere von A nach B bzw. planmäßig zwischen Bratislava und Wien sowie zwischen Bratislava und Budapest unterwegs sein sollen:

1.200 km/h

*  Der ATLAS 02/2014 berichtete.

Quelle: Die Presse

Geplant

gebracht

Georgien plant einen neuen Tiefseehafen in Anaklia. Baubeginn ist voraussichtlich Ende 2016.

60 Lkw-Fahrten waren nötig, um zwei komplette Sesselbahnen aus den Werken der Doppelmayr Seilbahnen GmbH in Wolfurt/ Österreich und der russischen Industriemetropole Samara in das georgische Skigebiet Bakuriani zu transportieren:

1.000 t

2,5 Mrd. US -Dollar Projektkosten

alle Sesselbahnteile

= 200

afrikanische Elefantenbullen

6.400

Arbeitsplätze im Hafen nach Fertigstellung

400 ha Landfläche

Quelle: Gebrüder Weiss

Quelle: Business Wire

verschickt

Anders angetrieben 1

Mit GW verschickte Sendungsvolumina 2015

Der Technologiekonzern Linde, der sich seit Jahren für den Aus­bau der Wasserstoff-Infrastruktur ­ein­setzt, hat ein Fahrrad mit Brenn­ stoffzelle vorgestellt und macht damit den Pedelecs Konkurrenz. In puncto Ökobilanz und Alltags­ nutzen ist die Wasserstofftechnik unschlagbar, bei sehr kurzer Be­ tankungszeit wird eine sehr hohe Reichweite ermöglicht, außerdem entfällt die Entsorgung von Akkus mit begrenzter Lebensdauer.

Luftfracht

DPD -System Österreich

50.600 Tonnen

41,3 Mio. Pakete Gebrüder Weiss Paketdienst (GWP )

25,6 Mio. Pakete Seefracht

138.000 Standardcontainer (TEU )

Quelle: Gebrüder Weiss

Verteilung der Transportleistung im Güterverkehr in Österreich

Schienengüterverkehr

27,2 %

Straßengüterverkehr (ausl. Fz.)

26,1 %

Anders angetrieben 2

Straßengüterverkehr (österr. Fz.) 22 %   Rohrleitungen

21,8 %

Schiffsgüterverkehr 5

2,9 %

Quelle: Handelsblatt, Angaben aus 2014

getunnelt

Tonnen an Fels- und Gesteinsmaterial, das für den Bau des neuen Gotthard-Tunnels seit 1999 aus dem Alpenmassiv herausbefördert wurde, in Millionen:

28

Anzahl der Personen, die planmäßig ab Dezember täglich durch den Tun­ nel reisen werden:

15.000

Quelle: Rheinische Post

Bei Satelliten ist für jedes Manöver Treibstoff nötig, der aufwendig ins All transportiert werden muss. Um hier Kosten zu sparen, arbeiten europäische und amerikanische Firmen derzeit an vollelektrischen Satelliten. Boeing hat dabei die Nase vorn und bereits zwei Exem­ plare fertiggestellt, der europäische Satellitenbetreiber SES rechnet dagegen mit einem Start seiner neu­en Satellitengene­ ration nicht vor 2017.


Die Welt bewegt:

Rainer Groothuis

metin tolan und joachim stolze

Superagent im freien Fall

Unser Metropolis

49

10

anne harenberg

Hinaus in die Wüste!

eva menasse

Alles, was einem liegt

24

52

gw-Stimmen

Nachgelesen

27

heike dierbach

Erst kommt das Fressen …

28

Raketen und Eulen – Evolution und Bionik

30

Roland Gander im Gespräch

»Die letzte Meile ist eine der wichtigsten.«

32

38

malte lehming

Kleines Lob des Neides

57

familienseite 60 Das Luftballon-Piratenboot susanne Schick

Skateistan

62

Schlau gesagt

68

miriam Holzapfel

Michas Mädchen

40

Wie man dem Schweinehund ein Schnippchen schlägt

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Die Welt orange

imke borchers

Unter Erfindermännern

46

harald martenstein

»I’m CEO, Bitch!«

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In Dubai treffen sich Armut und Anmut, Goldgr채ber

Unser me


und Geldj채ger, Ideen, Innovationen, Illusionen

tropolis


12  unser metropolis

reportage:  Rainer Groothuis

D

ie Abras puckern über den Dubai Creek, schlichte, aus gro­bem Holz gebaute Boote, die täglich rund 160.000 Menschen über den Fluss bringen und Bur Dubai und Deira verbinden. Auf ihnen sitzt ein Völ­ker­ gemisch in allen Altersgruppen; die wegen des schlechten Wetters aus Hamburg immigrierten Möwen kämpfen um ­jeden Bissen. ­Bur Dubai und Deira, die beiden alten Stadt­ tei­le am unteren Flusslauf, klingen und duften nach dem ­Arabien un­serer europäischen Träume. In den Gassen der Souks s­ tehen die Kundenaufreißer, preisen – neben den ­na­mens­gebenden Angeboten ihrer Souks – Uhren, Hand­ taschen, Pashminas, Kaschmir und mehr. Natürlich alles ­ori­ginal, wonderful und handmade. Es duftet nach Koriander, Zimt, Cumin, Curry in vielen Misch­ungen, nach getrockneten Wildblüten und Kräutern, ­bestem Safran aus Persien, himmlisch nach Weihrauch und Myrrhe – der Spice Souk kitzelt die Sinne. Laufend wird man angesprochen, aber nicht bedrängt: »You want the best curry in town, Boss? I make you the best price.« Und im Gold Souk glitzert und gleißt es: Hier werden Träume geboten, Träume verhandelt – ein prachtvoller Brustbehang aus dem 24-karätigen Gold ist das klassische Geschenk der Familie für die Tochter, die zur Braut wird. Diese Gehänge bleiben im Besitz der Frauen, sie sind Mitgift, Lebensversicherung, Rentenbeitrag. In den Souks lebt sie, jene arabisch-levantinische Basar­ kultur, die die Güter der Welt sammelt, dekoriert und deren Händler als Schlitzohren gelten, mit denen man feilschen muss. Das Ringen um den Preis ist Sport und Freude, es wird viel gelacht dabei – der Händler nagt immer am Hunger­ tuch, hat 24 Kinder und ein krankes Herz zu Hause, man bringt ihn um seine Existenz, oh weh und ach – doch wer den aufgeru­­­­fenen Preis sofort akzeptiert, verliert sein Gesicht.


unser metropolis 13

Draußen, am Ufer des Creek, liegen die zum Teil uralt scheinenden Dhaus, Transporte werden beauftragt und in Empfang genommen, die Schiffe be- und entladen. Seit vielen Jahrhunderten besegeln Dhaus die Arabische Halbinsel, Ost­ afrika, Indien, das ferne China; und Sindbad der Seefahrer ist ihr berühmtester Kapitän. Arabische Krieger eroberten mit ihnen bereits 654 n. Chr. Rhodos und kamen 711 auf ihren Decks bis nach Gibraltar, Händler befuhren mit ihnen im Mit­ telalter den gesamten Indischen Ozean. Dabei machten sie sich die halbjährlich wechselnden Monsunwinde zunutze: Von November bis Mai segelten sie mit dem Südwestwind Kaskasi und von Mai bis November mit dem Nordwestwind Kusi über das Meer. Mit den Dhaus kamen Waren und Tradi­tionen, ­Ideen und Lebensarten – die Seefahrer und See­händler ließen sich an der ostafrikanischen Küste nieder, bauten Handels­ städte, begründeten die neue afro-arabische, von Meer und

»Die Händler und Schauerleute, Matrosen und Kapitäne verstehen sich als Teilhaber einer stolzen Tradition.« Wind, von Handel und Islam geprägte »Suaheli«-Kultur. ­ uahel, ein arabisches Wort, bedeutet Küste. Die Suaheli-Küste­ S beginnt in Südsomalia und zieht sich über die Küsten Kenias und Tansanias 2.800 Kilometer bis nach Nordmosambik, wo der Monsun endet. Wasuaheli sind die ­Küstenleute, Kisuaheli heißt ihre Sprache, die schließlich zur Verkehrssprache in ganz Ostafrika wurde – ein spannendes Kapitel aus dem groß­ artigen Buch, das Kultur, Handel und Logistik in die Welt­ geschichte geschrieben haben. Diese Händler und Schauerleute, Matrosen und Kapitäne sind Glieder einer langen kulturellen Kette, der in ihrer Familie Generationen angehören. Selbst wenn jene, die an Land beund entladen, wie die einfachen Matrosen an Bord kaum mehr als das Überleben ihrer Familien sichern – sie verstehen sich als Teilhaber einer stolzen Tradition, sind lässig, freundlich, selbstbewusst, sie wissen, was sie können. Die Schiffe mit ihren langen Vorsteven, die aus den Kielen herausragen, ­werden inzwischen nicht mehr von Winden, sondern von ­puffernden Dieselmotoren angetrieben. Die Routen aber sind geblieben, und Dhaus werden in Dubai, Umm al-Qaiwain und Abu Dhabi noch heute gebaut. Wendet sich der Blick nun von dort nach Osten, sieht man eine in der Sonne glitzernde Fassade der Gegenwart, die Twin Towers von Dubai: Rolex ist da. Und mit Rolex 12 Millionen Touristen, die Dubai inzwischen jährlich besuchen, diesen

oben: Mit einer Abra – dem Wassertaxi Dubais – über den Creek unten: Einer der Eingänge in den Spice Souk an der Al Abra Street



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Blick über den Dubai Creek – vom Gestern ins Morgen


16  unser metropolis

Stadt gewordenen Traum des anything goes, in dem es so viel zu staunen gibt über Architektur und Angebot – in den letzten 20, 25 Jahren aus dem Fastnichts entstanden. Wem das Staunen über diesen Rausch der Moderne, des Antriebs, Geld verdie­ nen zu wollen und des Optimismus dann zu viel geworden ist, der legt sich an einen der ­schönen Strände oder fährt in die Wüste. Kamel und Cabrio Die Küste des Golfs war schon vor rund 4.000 Jahren be­sie­ delt – Dubai selbst wurde aber erst durch Scheich Maktoum bin Bouti 1833 gegründet und zum eigenständigen Emirat deklariert, zu jener Zeit eine Ansiedlung aus Palmstrohhütten. Man fischte, trieb Handel, tauchte nach Perlen. Doch als 1930 die Japaner die Zuchtperle auf die internationalen Märkte brachten, war das Ende des einträglichen Perlentauchens

vereinigte arabische emirate Die VAE sind eine Föderation im Südosten der Arabischen Halbinsel, das Emirat Dubai ist mit 3.885 km 2 und 2,2 Mio. Einwohnern mittlerweile vor Abi Dhabi das bevölkerungsreichste der sieben Emirate. Die VAE be­sitzen die siebtgrößten Ölvorkommen der Welt, sind die am weitesten entwickel­ ten Volkswirtschaften des Nahen Ostens und eines der reichsten Länder der Welt – günstige Ausgangslage für Ohoud Khalfan Al Roumi: Seit Februar sitzt sie im neu ernannten Kabinett von Minister­präsident Mohammed bin Rashid Al Maktoum als Staatsministerin für Glück.

persischer golf

vereinigte arabische emirate

Qatar

1 2 3

Abu Dhabi

4 5

Schardscha

6 7

Ra’s al-Chaima

6

Adschman

2

Fudschaira Dubai

Dubai

5

3

7 4

Umm al-Qaiwain Abu Dhabi

1 oman saudi-arabien

landesHauptstadt

amtssprache

Abu Dhabi

Arabisch

Einwohnerzahl

Bevölkerungsdichte

9,3 Mio.

106,4 Einw. / km2

(davon 85 % Nicht-VAE -Bürger) durchschnittliches e ­ inkommen pro kopf

46.791 USD


unser metropolis 17

gekommen. 1966 wurde das Schwarze Gold entdeckt, 1969 mit seiner Förderung begonnen. 1971 taten sich die ­sieben Emirate Abu Dhabi (»Vater der Gazelle«), Dubai, Schardscha, Adschman, Umm al-Qaiwain (»Mutter von zwei Mächten«), Ra’s al-Chaima (»Zeltspitze«) und Fudschaira zu den Vereinig­ ten Arabischen Emiraten (VAE ) zusammen – mit damals ­gerade einmal 180.000 Einwohnern und der neuen, eigenen Währung Dirham, die die indische Rupie als Zahlungsmittel ablöste. Die VAE sind mit rund 80.000 Quadratkilometern in etwa so groß wie Österreich, wobei 80 % der Landesfläche auf Abu Dhabi entfallen, das heute über die viertgrößten Ölreserven der Welt verfügt. Das damit reichste Emirat ist von jeher in der Rolle des Finanziers, Dubai ist der wichtigste Handelsplatz. Der jeweilige Scheich Abu Dhabis ist seitdem Präsident der VAE , der Ministerpräsident und der Verteidigungsminister kom­men aus Dubai; Familie Maktoum herrscht übrigens bis heute über Dubai – jeder Scheich über Jahrzehnte hinweg. Auch wenn sie einen Staat bilden: Jedes Emirat pflegt seine eigenständige Verwaltung, einen eigenen islamischen Gerichtshof, der im Familien- und Erbrecht nach der Scharia ent­scheidet – es gibt eine Konkurrenz unter ihnen, die für

links: Blick von einem Blatt der Palm Jumeirah auf die Marina unten: Gebäude längs der Sheikh Zayed Road


18  unser metropolis

euro­päische Maßstäbe wundersame Blüten treibt: Auf weniger als 80 Kilometer Strecke finden sich zwei Welthäfen, in weni­ ger als 150 Kilometer Distanz demnächst vier internationale Flughäfen. Die Entwicklung Dubais zum globalen Hotspot bekam erst in den Siebzigerjahren jenen Schwung, der das heutige Bild der Stadt ausmacht: Immer weiter, höher, schneller, teurer. Gebäude, Straßen, Einrichtungen aus jenen Jahren gelten als »alt«. Den Emirati, jenen Menschen, die im Land geboren sind und / oder die Staatsbürgerschaft haben, geht es besser – den Europäern (unter ihnen rund 32.000 Deutsche und Öster­ reicher) und Amerikanern geht es gut. Vier Fünftel aller

»Die   Entwicklung Dubais zum glo­balen Hotspot bekam erst in den Siebziger­ jahren jenen Schwung, der das ­heutige Bild der Stadt ausmacht.« ­ us­länder aber kommen aus Staaten, in denen die Suche nach A Einkommen Überlebenskampf ist: aus Indien, Sri Lanka, ­Pa­kistan, Thailand, von den Philippinen und anderswo – die­se Menschen entkommen hier der perspektivlosen Armut ihrer Heimat. Sie verdienen doch so viel, dass sie Jahr für Jahr ­ungezählte Millionen Dollar in ihre Herkunftländer schicken, sie finanzieren die Bildungschancen ihrer Kinder, versorgen ­Eltern und Großeltern. Dafür zahlen sie mit ihrem eigenen ­Dasein, wohnen zumeist an den Rändern der Stadt, in Zwei­ zimmerwohungen, in denen sechs, sieben, acht Doppel­stock­ betten stehen, pendeln mit alten Bussen zwischen diesem »Zuhause« und ihrem Arbeitsplatz. Sie sind jene, die bedienen und putzen, aufräumen, sie unterhalten die ­Gastrono­mie, den Tourismus, das Baugewerbe – sie besorgen die Knochenund Handarbeit, ihr Service ist wahrlich client-­minded und Dienstleistung allenthalben billig. »Do buy« Wo es kaum Gewachsenes gibt, und das Wetter über viele Monate des Jahres heiß ist: Da ist die Shopping Mall, klimati­ sierter gigantomanischer Souk, Konsumparadies, Erlebnisund Historien­park, gern genommener Ersatz für jenes Leben, das draußen kaum stattfinden kann. Weist das Thermometer doch in acht Monaten Regeltemperaturen von über 30 Grad aus, im Juli / August auch schon einmal an die 50. Es ist die Zeit des Dubai Shopping Festival. Überall ruft es Sale! – es wird geshoppt, dass sich die Tüten biegen. Schon am frühen Nachmittag füllen sich die Malls, in denen man sich, bei Hintergrundmusik und allerlei Promotions, in lässiger Stimmung unterhalten lässt: Jede Mall bietet kleinere und größere Erlebniswelten. Auch in der Ibn Battuta Mall gehört unter anderem die »Fun City« dazu, eine große Spielfläche,


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eine Glitzerflipperdaddelbude für Kinder mit elektronischen Spielgeräten jeder Art – es quiekt, blinkt, hupt, dass es Kin­ dern und Erwachsenen ein Spaß ist. Und die Dubai Mall am Fuß des Burj Khalifa – mit rund 350.000 Quadratmetern, 1.200 Shops und 30 Millionen Besuchern jährlich zurzeit die größte – bietet zur Unterhaltung des Publikums das weltweit größte Aquarium in einer Einkaufsmeile. Zu anderen Malls gehören Wasser­fälle, Rutschen oder auch die, richtig: größte Ski-Indoor­halle des Planeten. Während des diesjährigen Shop­ ping Fes­tivals lud Disneyland zur jauchzenden Freude vieler Kinder zu einer Eis- und Winterlandschaft – unter freiem Him­ mel, bei 25 Grad, wohlgemerkt. Nebenbei: Dubai hat es ge­ schafft, mit einem S ­ ilvesterfeuerwerk in das »Guinness-Buch der Rekorde« zu kommen. Menschen aus 160 Nationen arbeiten in und für Dubai – 160 Zungenschläge, mit denen hier Englisch gesprochen wird. Nur nicht das gleiche. Es ist das Esperanto-Englisch unserer Zeit, gemischt aus dem Singsang vieler Weltregionen. Gespro­ chen wird in eher hohen Tonlagen, viele Wortendungen ­verschwinden in einem Lächeln: Tis Inglisch häs tamssin äng­ julahr ent saunts äs if se konsonants wud bi pärmanentli trohn ägähnst se ties. Hier ist Mann Boss oder Sör. Zu den vorgeschriebenenen Zeiten wird auch in den Malls die Musik unterbrochen, wird der Einkauf mit dem zum Gebet einladenden Sprech­gesang der Muezzines religiös bestäubt – doch schnell geht all das Treiben weiter. Wenn das Shopping schließlich beendet ist, wird die Tour abgerundet in den Bistros, Restaurants, den International Schlemmer-Miles – auch kulinarisch gibt es nichts, was es hier nicht gibt. Ab 18 Uhr finden sich unterm Burj Khalifa alle ­dreißig Minuten 6.500 Lichter, Wasserfontänen und Farb­ projektoren zur großen Lightshow zusammen und tanzen nach ­arabischem und internationalem Pop – jetzt weiß man, was ein »Event« sein kann. Apropos Tour: In Dubai geht man nicht zu Fuß, man fährt im eigenen Wagen, die Taxis sind billig, die neue Metro funk­ tioniert. Fahrräder gibt es praktisch nicht, selbst Motorräder sind selten – der Autoverkehr ist viel zu gefährlich. Schließlich wurden die Führerscheine in so vielen verschiedenen Ländern gemacht, dass es keine gemeinsame Fahrkultur gibt – viele lässt der Verkehr unsicher verzweifeln und Fehler machen, nicht nur auf den fünf- bis siebenspurigen Autobahnen. Abge­ sehen davon, dass Autofahren mit Smartphone-am-Ohr hier zum coolen style gehört, auch wenn es verboten ist und be­ straft wird.

Im Ocean Beach Club | Eine typisch farbenprächtige Dhau Traditionelle Gewänder, moderne Autos | Es ist ­üblich, nach dem ausgiebigem Einkauf in einer Mall ein Taxi zu ­nehmen Eine Generation, zwei Haltungen | Träumen im Gold Souk Abendlicher Rummel in der ­Dubai Marina | Wie »Aldi Süd« wohl hierherkam?


20  unser metropolis

»   The Centre of Now« Dubai ist ein Versprechen, das Versprechen auf Zukunft – auf eine vielleicht nicht »heile«, aber funktionierende moderne Welt, die mit immer wieder neuen Projekten staunen machen will: Der Residence Tower ist mit mehr als 500 Metern das höchste Wohnhaus der Welt, Dubai hat die größten Shopping

»  Dubai ist auch das Versprechen von unbegrenzter technischer Machbarkeit, wobei die Natur zur Masse wird …« Malls, mit dem Burj Khalifa (830 Meter) steht der in nur fünf Jahren erbaute welthöchste Turm im Land, das Burj Al Arab ist das einzige Sieben-Sterne-Hotel des Globus. Ein großes Legoland kommt und das Quartier »Culture Village«, in dem auch die Oper entsteht. Die Kinosäle gehören zu den größten der Welt, man zahlt abenteuerliche Preise für das schönste Kamel und den anmutigsten Falken. Dubai will der Superlativ schlecht­hin sein, Unternehmenssteuern gibt es so wenig wie Kranken­versicherungen und Gewerkschaften. Pressefreiheit ist relativ, der Empfang vieler ausländischer TV -Sender aber möglich, das Internet bis auf die rigorose Zensur pornogra­ fischer Seiten frei. Ideen müssen her und Innovationen, die Ingenieure da sein und das Geld. Entscheidungen treffen Scheich Maktoum und seine Berater, »Bürgerbeteiligung« und langwierige ­Abstimmungsprozesse entfallen – das würden die beabsich­ tigten Entwicklungen auch nicht vertragen, Zukunft soll ­un­gewöhnlich und noch-nie-da-gewesen sein: Da kann man keine Gewohnheiten abfragen. Außerdem stehen die Projekte in der globalen Konkurrenz um Aufmerksamkeit und An­ erkennung. Dubai ist auch das Versprechen von unbegrenzter techni­ scher Machbarkeit, wobei die Natur zur Masse wird, die man nahezu beliebig bewegt und verändert. Wo Wüste ist, ent­stehen Kanäle, wo der Grund nicht trägt, wird er tragend ­gemacht. Wo keine Inseln waren, aber schön wären, spült man sie auf. Jeder Halm, jeder Strauch, jede Palme wird der Sonne abgerungen, überall liegen die schwarzen perforierten Bewässerungsschläuche. Die Wüste ist zur entwickelten Groß­ oase geworden, die mit immensem Aufwand gepflegt wird: Der Wasser-pro-Kopf-Verbrauch liegt zurzeit bei 450 Litern – am Tag –, der deutsche bei 130. Und gegen die Hitze gibt es inzwischen 1.000 klimatisierte Bushaltestellen (!) in der ­wachsenden Stadt. In der permanenten Zukunftskalkulation sind Zwischen­ fälle nicht eingepreist: Als 2008 / 2009 die weltweite Krise der Finanzwirtschaft Dubai erreichte, wäre die Staatsholding fast bankrottgegangen – nur ein Milliardenkredit des großen Bruders Abu Dhabi rettete das Emirat und seine wichtigsten Projekte. An vielen Rohbauten aus der Zeit ruhen seitdem die


unser metropolis 21

Arbeiten, stehen rostende Kräne – während anderswo schon wieder Straßenzüge und ganze Viertel entstehen. Aber die VAE sind bereits das neuntteuerste Land der Erde, Experten fragen nach einer möglichen Überhitzung des Bau- und ­Immobiliensektors, auch dem Sechs-Sterne-Tourismus geht es durch das Fernbleiben der Russen nicht so gut wie einst gedacht. Aber das internationale Kapital will vor allem Schutz vor Überraschungen, es bewegt sich gern im Verborgenen. Für diese Ruhe sorgt die Regierung – und so floss bislang immer wieder neues Geld in die Stadt, zurzeit sollen Milliarden ­nigerianisches Ölgeld ankommen. Und die Mieten steigen weiter. Tempo, Moden, Luxus Hier ist das Leben ein ständiger nächster Schritt, wer irgend kann, macht mit und ist dabei, wer mehr kann und aus Europa oder den USA  kommt, treibt das System und verdient gut dabei. Dubai ist nichts für Menschen, die Ruhe suchen und damit Stille meinen. Schweigt diese Baustelle, schreit eine andere, der Speed ist hoch und das Leben anstrengend, man

»Dubai ist nichts für Menschen, die Ruhe suchen und damit Stille meinen.« muss den Dingen immer hinterher sein, heißt es, bis sie dann die schnelle Fahrt aufnehmen. Kriminalität gibt es so gut wie gar nicht, Alkohol ist im Prinzip verboten und Prostitu­tion völlig unbekannt. Und was verboten ist, das gibt es nicht. ­Unfälle unter Alkoholeinfluss führen zwar zur Ausweisung – aber wegen des Schadens, nicht wegen ihrer Ursache. Jeden Freitag füllen sich die internationalen Hotels mit interna­tio­­­­­­­­ ­na­len Gästen zum »Brunch« – Gelegenheit, Bier-, Wein- und andere Gläser zu leeren. Dieser Tag ist für viele allwöchent­lich ein Feiertag mit Gesang und Spiel und Tanz, mit Wein, Weib und Gesang: Wochenende, erster Tag. Und wer länger in ­Dubai lebt, der kennt sie wohl, jene Clubs, in denen very nice women zu Häppchen und Tanz bitten. Von den rund 2,1 Millionen Einwohnern sind nur rund 300.000 Emirati, von diesen etwa 70.000 Dollar-Millionäre. Freiheit ist die Freiheit der Wirtschaft, des Luxus und der Moden, die Freiheit des Geburtsrechts. Die Emirati sind es auch, die in entsprechenden Autos die Croisette Dubais, den Jumeirah Beach Boulevard, hinauffahren. Hier stauen sich noch nachts um elf die Bentleys, Ferraris, Lamborghinis, ­Corvettes und übergroßen SUV s, die gesehen werden ­sollen – da ist ein Porsche profan und der E-Klasse-Mercedes ein fast langweiliger Kleinwagen. oben: Vor dem Sheikh Saeed Al Maktoum House unten: Über den Dächern von Deira


22  unser metropolis

Der Personenkult ist weit entfernt von nordkoreanischen oder altchinesischen Verhältnissen – aber die drei führenden Scheichs finden sich, fotografiert oder gezeichnet, allüberall: In den Lobbys der Hotels begrüßen sie die Gäste, sie lächeln von Fähnchenbändern in den Souks und von großen Bannern an der Autobahn. Aber der seit 2006 regierende Scheich

»Verhüllung   ist kein Zwang wie in anderen muslimischen Ländern.« Muham­mad bin Raschid Al Maktoum bewegt sich als auf­­ge­ klärter Monarch ohne Bodyguards in seinem Land und ­kontrolliert schon mal die vom Staat festgeschriebenen Preise der Grund­nahrungsmittel, indem er unbegleitet und über­ raschend ­Supermärkte heimsucht. Verhüllung ist kein Zwang wie in anderen muslimischen Ländern – die Frauen Dubais fahren, anders als in Saudi-­ Arabien, selbstverständlich Auto und wirken auch sonst nicht wie eine Rippe Adams. Das Ausbildungs- und Studienangebot für Frau­en ist deutlich gewachsen und hat das Verhältnis der Geschlechter verändert. Das Heiratsalter liegt inzwischen nicht mehr bei 15, sondern bei über 20 Jahren, Tendenz stei­ gend. Das aktuelle Smartphone ist den jungen Frauen so selbstverständlich wie die goldenen und modischen Armreifen, unter den schwarzen Abayas schauen Pumps, High Heels, Markenturnschuhe hervor. Und entgegen westlichen Erwar­ tungen ist durchaus nicht immer klar, wer in neu-arabischen Beziehungen die Hosen anhat: Zufällige Blicke aus tiefen, fast schwarzen Augen sprechen von Selbstbewusstsein, längst schieben nicht mehr nur die Frauen die Kinderwagen. Wer sich für das Kopftuch oder die Abaya entscheidet, bekennt sich frei­willig zum Islam und will vor allem selbstbestimmte Signale senden, verheiratet und »vom Markt« zu sein – und sitzt mit den Freundinnen so entspannt in den Cafés wie die Jungs mit ihren Kumpels. Ähnlich wie dereinst in Europa bleiben da viele Männer zu­nächst verdutzt zurück und spielen weiter mit dicken Kame­ ras, dicken Uhren, dicken Autos – Dubai ist auch ein Weltspiel­ platz für große Jungs auf der Suche nach neuem Antrieb, nach Motivation und Selbstbild.

Des Bauens ist auch am Abend kein Ende, während sich der Burj Khalifa wie eine Nadel in den Himmel steckt.


unser metropolis 23

Leuchtendes Morgen Es gibt kein wirkliches Gestern, jedes Heute ist schon morgen, ja übermorgen, längst grüßt der nächste Horizont. Dubai wird nie fertig werden, nie fertig sein. Deshalb wohl auch lieben die Emirati das wenige, was sie an Traditionen, Kultur, Geschichte in die Gegenwart dieses Hypermärchens aus 1001 Nacht gerettet haben: Die Kamel­ rennen sind gesellschaftliche Ereignisse, gegen die Ascot die Inszenierung eines Kleinstadttheaters ist, das schönste Kamel ist Hunderttausende wert, die Dattel wird mit einem mehr­ tägigen Fest gefeiert. Die Falknerei, von jeher Aufgabe für besondere Männer im Dienste ganz besonderer Männer, steht in so hohem Kurs wie der Dubai World Cup als das teuerste Pferderennen der Welt – Erinnerungen an Tradition und ­Statussymbole zugleich.

»Das   Morgen wird sicher wieder ­strahlender sein als das Heute.« Die Maktoums haben Dubai vom Öl unabhängig gemacht, nur noch fünf Prozent der Staatseinnahmen kommen aus der Erde. Man fördert die industrielle Fertigung von Kunststoffen, setzt weiter auf Manufacturing und den Ausbau von Luft- und Seefracht mit neuem Hafen und weiterem Flughafen, ver­ stärkt Dubais Rolle als dynamische Drehscheibe für Handel, Finanzen, Dienstleistung zwischen Europa, Asien und Afrika. Neue Freihandelszonen sind in Planung. Die Abhängigkeit von ­ausländischer Energie wird mit eigenen Solarparks ­reduziert, Abu Dhabi baut außerdem an der Grenze zu SaudiArabien bis 2020 vier Atomkraftwerke. Scheich Muhammad bin Raschid Al Maktoum fördert weiterhin den Bau- und Immobiliensektor, Dubai soll führen­ der Ort des Jetset-Life und der großen Sportevents, Treff der Reichen und Schönen, Luxussegment des Tourismus und Shopping Destination bleiben. Zumal Dubai 2020 die Expo ausrichtet und Milliarden investiert, um sich als die arabische Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten zu präsentieren: Das Morgen wird sicher wieder strahlender sein als das Heute.

Rainer Groothuis, geboren 1959 in Emden  / Ost­ friesland, ist Gesellschafter der Kommunikations­ agentur Groothuis. www.groothuis.de Mit herzlichem Dank an Anne Mittag, Jürgen ­Hammerer, Marcel Meyer und Vojislav Jevtic für ­Information und Austausch.


24  et cetera: Dubai

Hinaus in die Wüste! text:  Anne Harenberg Anne Harenberg hat acht Jahre in ­Dubai gelebt – und viele Wochen­enden im Sand verbracht

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Jürgen Hammerer, Vojislav Jevtic und Marcel Meyer im neuen Weiss-Röhlig-Empfang

Specials    for Specials  Vieles neu in ­Dubai Seit elf Jahren in Dubai vertreten, be­gann bei Weiss-Röhlig im Frühjahr 2016 eine neue Ära: Jürgen Hammerer verließ Dubai nach fünf Jahren intensiver, erfolgrei­ cher Aufbauarbeit und wechselt – nach vorherigen Stationen in Los Angeles und Chicago – in die GW -Zentrale nach Lauterach, Marcel Meyer übernahm die Geschäftsführung Dubai mit einem Tusch: Die 5.300 Quadratmeter neue ­Halle mit 8.000 Palettenplätzen, klima­ tisierten Flächen, modernstem Hoch­ regallager und ebensolcher Logistik-IT ist im März mit 150 Kunden, Gästen, Freunden eröffnet worden. Eine Inves­­ti­ tion von mehr als fünf Millionen Euro auf 10.000 Quadratmeter Grund, erbaut in Dubai-typi­schem Tempo von nur acht M ­ onaten. Die sechsundvierzig Mit­ arbeiter aus zehn Ländern haben den ­Umzug gut ­aufgenommen und ­freuen sich über die modernen, lichten Räume. »Unsere Expertise sind die beson­ deren Aufgaben für besondere Kunden, wir setzen auf die Specials for Specials«, sagt Meyer und betont die Kompetenz, ­Erfahrung, Serviceorientierung und die

spezifischen Kenntnisse seiner Mitar­ beiterinnen und Mitarbeiter in diesem besonderen Markt, den die VAE dar­ stellen. »Wir sind gespannt, ob sich das Irangeschäft nach dem Ende der Sank­ tionen nun so entwickelt, wie gerade alle hoffen – aber wir sind überzeugt, dass wir mit unserer Idee der großen Qualitätsnische so oder so gewinnen und wachsen werden«, ergänzt Vojislav Jevtic, GW -Regionalleiter Air & Sea. Mit der Investition in den neuen Standort – die Halle liegt in der Jebel Ali Freezone, die 120 Quadratkilometer groß ist und mit 7.300 Unternehmen besiedelt – sind die Weichen jedenfalls auf Erfolg und Wachstum gestellt.

Weiss-Rohlig U.  A. E. LLC Dubai | Jebel Ali Freezone T +971.4.8118.3888 | F +971.4.8864.053 info.dubai@weiss-rohlig.net www.weiss-rohlig.com

and, so weit das Auge reicht – auch das ist Dubai. Die mehr oder we­ni­­ ger unberührten Wüsten­ge­biete im Landesinneren stehen im ­krassen Ge­ gensatz zu den Wolkenkratzern, Lu­xus­ hotels und Super-Malls, für die Dubai berühmt ist und die jedes Jahr meh­rere Millionen Touristen in die Stadt locken. Und diese Wüste im Hinterland der arabischen Mega-Metropole hat weit mehr zu bieten als einfach nur Sand – sie lebt. Wie sehr die Wüste lebt, können sich die meisten Menschen, die nicht in Dubai wohnen, kaum vorstellen. Nicht selten wurde ich während der acht Jahre, die ich in Dubai war, von Freunden aus Deutschland gefragt, ob ich die »Na­tur« nicht vermissen würde. Es müsse doch ganz schrecklich sein, den ganzen Tag nur in Einkaufszentren inmitten von Wolken­ kratzerschluchten herumzulaufen.


et cetera: Dubai 25

­ Einen Wald voller Bäumen vermisse » ich gelegentlich«, pflegte ich zu ant­worten, »die Natur an sich vermisse ich nicht, davon haben wir in Dubai ge­nug. Sie ist nur eben anders als in Deutschland, aber mindestens genauso abwechslungsreich.« Hundebesitzer zum Beispiel genie­ ßen während der Woche die Spazier­ gänge mit ihren vierpfotigen Freunden durch die schier endlosen Wüstengebiete. Stundenlang kann man laufen, ohne ­einem Menschen zu begegnen. Aber mit etwas Glück sieht man eine Herde Anti­ lopen in der Nähe vorbeiziehen, eine Echse den Kopf aus ihrem Sandversteck recken oder gar einen Wüstenhasen den Schatten eines Wüstenbusches als Tar­ nung nutzen. Und fast schon selbstver­ ständlich ist es, bei einem Wüstenspa­ ziergang auf eine Kamelherde zu treffen. Angst muss man nicht haben, die meis­ ten der Tiere sind an Menschen gewöhnt und werden von ihren Besitzern in klei­ nen Gruppen frei in der Wüste gehalten. Vorbei mit der Stille ist es in vielen Wüstengebieten allerdings am Wochen­ ende, wenn Erholungsuchende, Camper

und Radfahrer die Wüste zu ungewohn­ tem Leben erwecken. Ja, richtig: Rad­ fahrer! Diese fahren nicht mitten durch die Wüste, sondern auf einem extra

am Rande der Landstraße, die von Dubai in den Oman führt. Unzählige Autos ­aller Art stehen am Freitagnachmittag am Fuße der Düne, die sich majestätisch

»Wer   früh genug aufsteht, der kann im Morgen­ grauen beobachten, wie Einheimische ihre Falken in der Wüste für die Jagd trainieren.« ­ ngelegten, über 50 Kilometer langen a Radweg direkt am Wüstenrand, der am Wochenende Hunderte von Rennrad­ fahrern zum Training mit »Dünenblick« lockt. Wer früh genug aufsteht, der kann im Morgengrauen beobachten, wie Ein­ heimische ihre Falken in der Wüste für die Jagd trainieren, oder einem Kamel­ rennen an einer der im Wüsteninneren liegenden Rennstrecken zuschauen. Ein regelrechter Volkssport ist das »Dune-Bashing«, dem Einheimische (»Locals«) und Zugereiste (»Expats«) am Wochenende gleichermaßen frönen. Ein beliebtes Ziel für Dünenfahrer ist zum Beispiel Big Red, die über 90 Meter hohe und wahrscheinlich größte Düne

in hellem Rot aus dem Sand erhebt. Wer einen Ausflug auf den Dünenschei­ tel wagen möchte, sollte allerdings über einen Geländewagen mit 4 ×  4 -Antrieb und einiges an Fahrgeschick verfügen, sonst riskiert man, vor zahlreichen neu­ gierigen Augen im Sand stecken zu blei­ ben. Aber die Schadenfreude hält sich in Grenzen, es finden sich immer schnell mehrere Freiwillige, die gerne dabei ­helfen, das Auto wieder zu befreien. Etwas weiter im Wüsteninneren kann man echten »Wüstenfüchsen« bei ihrem Hobby zusehen, wenn diese in abenteuerlichen Fahrzeugen, die nur noch entfernt an Autos erinnern, durch den tiefen Sand brettern und scheinbar mühelos die Dünen hoch- und runter­

Volkssport für Unempfindliche: Dune-Bashing


26  et cetera: Dubai

fahren. Gerne erklären die Fahrer jedem Interessierten ihre wundersamen Ge­ fährte, deren Anblick TÜV -Mitarbeiter entsetzen dürfte.

»Gelegentlich   kapituliert selbst der gängigste ­Geländewagen vor den Sandmassen.« Mit Kindern im Wagen bietet sich das Dune-Bashing allerdings eher nicht an, in den flachen Bereichen lauern unter dem Sand zahllose Bodenwellen, die für eine harte Landung sorgen können. Eine Freundin beschrieb das Fahrgefühl durch die Wüste einst so: »Wenn wir eine Wüstentour machen, ziehe ich ­immer einen Sport-BH an.« Auch sonst ist der Fahrspaß über die Dünen nicht ungefährlich, gelegentlich kapituliert selbst der gängigste Geländewagen vor den Sandmassen und kippt um. Wer es beschaulicher mag, fährt am Wochenende mit Kind, Kegel und vielen Freunden über einen der festgefahrenen Pfade in die Wüste und schlägt dort sein Quartier für ein gemütliches Kaffeetrin­ ken mit späterem Grillen am Lagerfeuer auf. Ebenfalls beliebt in den kühleren Wintermonaten ist eine Übernachtung

Abenteuerliche Gefährte brettern scheinbar mühelos durch den Sand.

im Zelt mitten in der Wüste. Während die traditionell noch im größeren Fami­ lienverband lebenden Locals ganze Zelt­ städte für mehrere Wochen errichten (wofür allerdings eine offizielle Geneh­ migung notwendig ist), belassen es die Expats meist bei einer Übernachtung – denn die sanitären Einrichtungen mitten in der Wüste sind überschaubar, im wahrsten Sinne des Wortes: Ein ruhiges »Örtchen« ist in der Wüste am Wochen­ ende schwer zu finden, auch wer sich vom Zeltplatz entfernt und hinter die nächste Düne zurückzieht, muss damit rechnen, dass quasi aus dem Nichts ein Quad-Bike oder Geländewagen auf­ taucht. Nicht ausgeschlossen ist es dafür aber auch, dass man an einem Wochen­ ende mitten in der Wüste ebenso uner­ warteten wie hochherrschaftlichen ­Besuch bekommt. Scheich Mohammed, der Herrscher von Dubai und Premier­ minister der Vereinigten Arabischen Emirate und ebenfalls begeisterter Wüs­ tenfahrer, ist dafür bekannt, gerne einen Zwischenstopp zu machen, wenn er an einem Wüstencamp vorbeikommt und ein wenig mit Fremden plaudern möchte. Die Attraktivität und Vielfalt der in der Wüste möglichen Aktivitäten hat aber auch eine Kehrseite: Viele Besucher

lassen ihren Müll am Ende des Wochen­ endes in der Wüste liegen und belasten so das empfindliche Ökosystem. Zwar gibt es mittlerweile zahlreiche Kam­pa­ gn­en, die versuchen, auf das Müllprob­ lem aufmerksam zu machen, außerdem ­verhängt der Staat hohe Geldstrafen ge­ gen Abfallsünder, noch immer aber ster­ ben zum Beispiel jedes Jahr zahlreiche Kamele an weggeworfenen Plastiktüten, die sie gefressen haben. Einen Leitfaden für die unterschied­ lichen Wüstenattraktionen gibt es übri­ gens nicht. Ein paar Offroad-Bücher mit den besten »Tracks« durch die Wüste und deren Schwierigkeitsgrad sind im Handel erhältlich. Wo genau man nun aber sein Zeltlager aufschlägt, Kamele, andere Wüstentiere oder gar den Scheich persönlich trifft, das ist und bleibt ein Abenteuer.

Anne Harenberg hat lan­ge als Journalistin für T ­ ­V- und Printmedien gearbeitet. Im Sommer 2015 ist sie aus Dubai nach Berlin zurückgekehrt, nachdem sie über ein Jahrzehnt im ­Aus­land gelebt hat. Anne Harenberg hat meh­rere hu­morvolle Romane veröffentlicht, die als ­E-Books bei Amazon erhältlich sind. www.anneharenberg.com


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ATLAS 27

Nachgelesen Awards für den ATLAS Bereits die Einladung zur Teilnahme am German Design Award war uns eine Ehre, da dort nur solche Produkte und Kommunikationsdesign-Leistungen zugelassen werden, die nachweislich durch ihre gestalterische Qualität heraus­ragen. Umso mehr freuen wir uns nun über eine Special Mention in der Kategorie »Excellent Communica­ tions Design – Corporate Identity« im diesjährigen Wett­ bewerb.

Der German Design Award zählt zu den anerkanntesten Design-Wettbewerben weltweit und genießt weit über die Fachkreise hinaus hohes Ansehen. Jährlich werden hochkarätige Einreichungen prämiert, die alle auf ihre Art ­wegweisend in der internationalen Designlandschaft sind. Die englische Ausgabe des ATLAS setzte sich beim inter­ nationalen Corporate-Publishing-Wettbewerb ­»Inspire Awards« durch, der mustergültige Publikationen von ­Unternehmen aus aller Welt auszeichnet: Das GW -Kunden­ magazin erreichte 99 von 100 erreichbaren Punkten und wurde mit einen Gold Award ausgezeichnet.

Premiere für ausgebauten Panamakanal steht bevor In der Ausgabe 02 / 2015 haben wir von seinem beschwer­ lichen Bau quer durch die Landenge von Panama berichtet, nun wird es bald eine zweite Premiere für das Bauwerk geben: Der vergrößerte Panamakanal wird voraussichtlich im Juni 2016 eingeweiht, zwei Jahre später als ursprüng­ lich geplant. An den neuen Schleusen entdeckte Risse wurden repariert, in Kürze könnte Wasser durch den Kanal gelassen werden.

»Was du mit guter Laune tust, fällt dir nicht schwer«, sagt ein ungarisches Sprichwort. Und so möchten wir ­Ihnen Bücher von Autoren /  Illustratoren aus dieser ­ TLAS -Ausgabe ans Herz legen, die möglicherweise auch A zur Bildung beitragen können, die aber vor allem sehr unterhaltsam und einfach lesenswert sind.

dieter braun die welt der wilden tiere im süden / Im norden Knesebeck

Der Illustrator Dieter Braun (s. Seite 30 /3  1) ist vier Jahre um die Welt gereist. Beobachtet hat er dabei die Fauna – vom Kakadu über den Rotfuchs bis zum Faultier – auf der Nord- und der Südhalbkugel. Er erzählt davon detail­ verliebt und illustriert jede Art farbenprächtig.

metin Tolan, Joachim Stolze geschüttelt, nicht gerührt! James bond und die Physik Piper Verlag

Tolan und Stolze sind James-Bond-Fans. Und Physiker. Zusammen mit ihren Studenten haben sie die Action-­ Szenen einer genauen Prüfung unterzogen und geprüft, ob der Superagent diese in der Realität überlebt hätte und welche Parameter geändert werden müssten, damit 007s Aktionen tatsächlich von Erfolg gekrönt sein könnten. Lesen Sie einen Auszug aus diesem Buch auf Seite 50 / 5 1.


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Erst kommt das Fressen … ... dann kommt die Moral, oder doch umgekehrt? Der Psychologe Abraham Maslow hat erforscht, welcher Antrieb menschliches Verhalten steuert. Seine Pyramide der Bedürfnisse kann auch unseren Alltag bereichern.

text:  Heike Dierbach

D

ie Tür zu seinem Keller war offenkundig aufgebrochen worden. Als der Mieter sie ­vor­sichtig öffnete, traute er seinen Augen nicht. Zwischen seinen Kartons fand er einen jungen Mann und eine Frau. Die beiden waren nicht etwa ­damit beschäftigt, ihre Beute fortzu­ schaffen – sie schlie­­fen wie Babys. Die alarmierte Polizei musste sie erst ­wecken, um ihnen mitzuteilen, dass sie jetzt festgenommen werden. Über diese Meldung aus Nürnberg im Juni 2015 hätte sich der Psychologe Abraham Maslow wahrscheinlich nicht gewundert. Er entdeckte schon in den vierziger Jahren: Körperliche Bedürf­ nisse können im Wort­sinne überwälti­ gend sein. Der US -Amerikaner erfor­ schte als erster systematisch, welcher Antrieb das menschliche Verhalten steu­ ert. Genauer welche Antriebe, denn wir wollen mehr als schlafen, essen und trinken. Aus der Fülle unserer Bedürf­ nisse und Motiva­tionen b ­ ildeten Maslow und seine Kollegen acht Gruppen und ordneten sie in einer Art Pyramide. Die Grundbedürfnisse stellen das Funda­ ment, die hö­heren den Überbau. Und wie beim Pyramidenbau geht der

Mensch in seinen Entscheidungen von unten nach oben vor – meist ohne dass es ihm bewusst ist. Nach Maslows Tod ist seine Hierarchie als zu streng kriti­ siert worden. Andere Psychologen haben Modelle vorgelegt, nach denen sich die ­Bedürfnisse eher zeitlich abwechseln. An erster Stelle stehen die erwähn­ ten körperlichen Bedürfnisse. »Ohne Zweifel sind diese die mächtigsten unter allen«, betont Maslow. In unserem ­Alltag fällt uns das kaum noch auf, weil sie meist alle erfüllt sind. Aber schon nach zwei Tagen ohne Essen würde »HUNGER !« unser komplettes Denken und Handeln bestimmen, sagt Maslow: »In diesem Zustand kann man von ­einem Menschen behaupten, er lebe vom Brot allein.« Auch die Nürnberger Einbrecher haben sich also logisch ­verhalten: Wer todmüde ist, will nicht nur, sondern muss nur noch schlafen. Direkt danach kommt das Bedürfnis nach Sicherheit. In ständiger Angst vor einem Angriff könnten wir nicht leben, wir brauchen Ordnung und Gesetze. Auch das Sicherheitsbedürfnis ist uns im Alltag oft nicht mehr bewusst und zeigt sich nur noch abgeschwächt – etwa darin, dass sich die meisten Menschen ein

sicheres Gehalt wünschen. Doch welche Macht es entfalten kann, wird in Kriegs­ zeiten deutlich. 1945 ließen die Flücht­ linge aus Ostpreußen alles zurück, um sich in Sicherheit zu bringen. Ähnlich verhält sich heute die syrische Familie, die ein Leben in Armut und in der Frem­ de, aber in Sicherheit wählt. Sind wir satt und sicher, geben wir uns damit aber nur kurz zufrieden: »Es ist für das menschliche Wesen während seines ganzen Lebens charakteristisch, dass es praktisch immerzu etwas be­ gehrt«, meint Maslow. Will heißen: Ist ein Bedürfnis einigermaßen erfüllt – es muss nicht hundertprozentig sein –, melden sich sogleich die nächsthöheren. Auch das konnte man 1945 beobachten: Kurz nach Kriegsende strömten die Menschen schon wieder in die Theater und Konzertsäle. Der erste Auftritt der Berliner Philharmoniker am 26. Mai 1945 war mit über tausend Zuhörern aus­ verkauft. Hunderte weitere harrten den ganzen Abend vor den Türen aus, um wenigstens aus der Ferne ein bisschen Schönheit zu erleben. Der Bericht zeigt, dass die Bedürfnis­ pyramide nicht ganz universell ist. Sie gilt für die meisten Menschen, aber es


Hierarchie der bedürfnisse 29

gibt auch Ausnahmen. Denn das Be­ Bedürfnisbefriedigung führt laut Mas­­ Eng damit verknüpft ist das zweit­ dürfnis nach Kunst und Ästhetik kommt low leicht zu Langeweile und Trägheit. höchste Bedürfnis nach Selbstverwirk­ nach Maslow eigentlich erst an sechster Was nützt uns die Bedürfnispyrami­ lichung. Seine Macht können wir immer Stufe der Pyramide. Für die Berliner de nun für den Alltag? Zum einen kann wieder beobachten, wenn jemand aus Konzertbesucher jedoch war es in dem es interessant sein, einmal zu unter­ einem sicheren Job aussteigt und lieber Moment lebenswichtig. Vermutlich »sein Ding macht« – die Managerin, suchen, welche Stufen im eigenen Leben vermittelte die Musik ihnen auch ein die jetzt erfolgreich Cupcakes verkauft, gut und welche vielleicht nur mäßig Stück Sicherheit: Wenn die Philharmo­ der Arzt, der auf Surflehrer um­ erfüllt sind. Sehe ich in meinem Beruf niker wieder spielen, ist der Schrecken sattelt, die Sozialpä­da­ noch ausreichend Sinn? Habe ich genug endgültig vorbei! Die Zeitzeugin Ursula gogin, die Ziegen Zeit für Freunde? Und warum steht das Transzendenz Ziebarth beschreibt es so in einer ZDF Cello nur noch im Keller? Zum anderen können wir von Men­ Dokumentation: »Das war für mich das Selbstverwirklichung schen lernen, die es schaffen, ihre ver­ eigentliche Fest der Befreiung.« schiedenen Bedürfnisse einigermaßen In Friedenszeiten steht auf der drit­ Ästhetische Bedürfnisse gut zu erfüllen. Maslow nannte sie die ten Stufe der Pyramide das Bedürfnis Selbstverwirklicher. Er hat diese Gruppe nach Zugehörigkeit, nach Kontakt mit Kog nit ive Bed ürf nis se speziell untersucht und festgestellt: Sie ge­liebten Menschen. All you need is love! Die Pop­kultur setzt seit Jahr­ haben bestimmte Gemeinsamkeiten. Individua lbedürfnisse zehnten erfolgreich auf dieses Zum Beispiel wertschätzen sie Thema. Im Alltag kann man auch die unteren Stufen und sind dankbar, dass sie in seine Macht gut bei Frisch­ ­einem sicheren Land leben verliebten beobachten, die Sozia le Bedürfnisse schwören: »Ich kann und nicht hungern müssen. ohne dich nicht leben!« Sie sind auch offener Der Verlust wichtiger gegenüber dem Unbe­ se Sic he rh eitsbe dü rf nis Menschen kann tat­ kannten, Fremden. sächlich krank Ihre Neugier trägt machen. Kar­ sie quasi die Stu­ Physiologische Bedürfnisse diologen fen hinauf. kennen das Aber: Auch »Syndrom des gebrochenen Herzens«, diese Art von Menschen ist nicht per­ züchtet. Selbstverwirklichung hat in bei dem der Patient scheinbar einen fekt. »Unsere Versuchspersonen weisen jüngster Zeit oft den Beigeschmack von Herz­infarkt erleidet, organisch aber viele der kleineren menschlichen Fehler Ego­­is­mus, doch für Mas­low war sie ein völlig gesund ist. Ursache ist vermutlich auf«, betont Mas­low, »sie sind keines­ Grund­recht: »Was der Mensch sein eine trauerbedingte extreme Ausschüt­ wegs frei von Eitelkeit, Stolz oder kann, muss er sein.« Er zeigte früh tung von Stresshormonen. Partei­nahme für ihre eigenen Produk­ ­ erständnis, als Frauen in den Sechziger­ V Nun kennen wir auch Menschen, tionen.« jahren gegen die Hausfrauenrolle auf­ die kein Privatleben haben und nur für Die müden Einbrecher mussten ihre begehrten. die Arbeit und damit für die vierte Stufe Selbstverwirklichung wohl erst einmal Im Oberbau der Pyramide stehen ihrer Bedürfnisse leben. Dann heirat’ aufschieben. Dafür konnten sie sich in außerdem das Verlangen nach Wissen doch dein Büro! Kein Wunder: Das Be­ der Zelle wieder hinlegen. Die Polizei und Verstehen, ästhetische Bedürfnisse dürfnis nach Leistung ist in vielen west­ fand übrigens schnell den Grund für ihr (»Das Bild hängt schief!«) und ganz lichen Gesellschaften besonders aner­ großes Schlafbedürfnis: Drogen­. oben die Transzendenz, also die Suche kannt und wird geradezu erwartet. Wir nach etwas Höherem oder nach Gott. brauchen Respekt und Achtung – nicht Knock, knock, knocking on heaven’s Heike Dierbach, geb. 1970, nur durch andere, auch durch uns selbst, door … Dass gerade diese letzte Stufe studierte Psychologie, Medizin sagt Maslow: »Das Gefühl, nützlich und so in Mode ist, zeigt, in welchem Maß und Politik und arbeitet als notwendig für die Welt zu sein.« Eine alle unteren in unserer heutigen Ge­ freie Wissenschaftsjournalis­ tin. Ihr Interesse gilt vor allem lange Arbeitslosigkeit ist deshalb nicht sellschaft befriedigt sind. »Uns geht Erkenntnissen, die den Einzel­ nur wegen des fehlenden Einkommens es doch zu gut!«, meinen Skeptiker und nen und unsere Gesellschaft so kritisch für den Menschen. liegen damit nicht ganz falsch. Totale insgesamt voran­bringen.


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Raketen und Eulen – Evolution und Bionik Was haben Eulen mit Flugzeugbau zu tun? Warum wünschen sich Automobil­­hersteller ­Katzenpfoten? Und was hat der Raketenantrieb mit Q ­ uallen gemeinsam? Mit Bionik lässt es sich erklären: Was die Jahr­millionen alte Evolution im ­Tier- und Pflanzenreich hervorgebracht hat, übertragen Forscher auf technische Frage­stellungen und finden in der ­Natur verblüffend clevere Antworten.

Katzen Auf samtenen Pfoten bewegt sich die Katze durchs Leben, und genau diese Katzenpfoten haben sich ­Reifenhersteller als Vorbild genommen. Beschleunigt die Katze bei der Jagd auf gerader Strecke, berührt nur eine kleine Fläche der schmalen Tatzen den ­Boden, und so verringert sich der Widerstand. Stoppt das Tier oder läuft es eine Kurve, spreizen sich die Tatzen, sie werden breiter und die Bodenhaftung vergrößert sich – der Widerstand wächst und verlang­ samt die Bewegung. Bei Reifen, die sich dieser Tech­ nik aus dem Katzenreich bedienen, vergrößert sich beim Bremsvorgang der Druck der Vorderachse auf die Reifen, und diese dehnen sich aus und bremsen das Fahrzeug schneller und sicherer ab.

Präriehunde und Termiten Für ihre Bauten unter Tage haben Schwarzschwanz-Präriehunde ein eigenes Belüftungs­ system: Sie graben mindestens zwei Eingänge, von denen sie einen durch eine kegel­förmige Vorrichtung in einer höheren Lage bauen. Weht nun ein Wind, entsteht durch den Höhen­ unterschied eine Druckdifferenz, die einen Luftstrom erzeugt, der den Bau stets mit frischer Luft versorgt. Auch einige Termitenarten errichten ein eigenes Belüftungssystem in ihren Bauten, das durch die unterschiedlichen Temperaturen – kalt im Inneren, stark erhitzt an der Oberfläche – das abgeschlossene Röhrensystem belüftet. In Niedrigenergiehäusern werden diese Techniken zur Wärmedämmung und Belüftung ebenfalls a ­ ngewendet.


bionik 31

Eulen Der Flug der Eule ist langsam und nahezu geräuschlos, denn nur so können Kleintiere mit empfindlichem Gehör erbeutet werden. Im Vergleich zu ihrer Körpergröße haben die Raubvögel sehr große Flügel mit überaus raffinierter Struktur: Kleine Fransen an den Hinterkanten der Schwingen zerteilen die Luftturbu­ lenzen in viele winzige Ströme. Dadurch wird der Luftfluss geglättet, sodass kaum Verwirbelungen entstehen, die die ­Ursache für Flug­ geräusche sind. Eine flaumig weiche Abdeckung der Schwungfedern auf der Flügeloberfläche wirkt wie ein zusätzlicher Schalldämpfer. Diese Erkenntnisse finden im Flugzeugbau Anwendung, aber auch bei Windkraftanlagen oder Ventilatoren, also dort, wo Flügel zwar effizient, dabei aber möglichst leise arbeiten sollen.

Quallen Ihr ruhiges, geradezu majestätisches Gleiten durch die Meere mag darüber hin­ wegtäuschen: Quallen sind überaus effektive Schwimmer, obwohl nur ein Pro­ zent ihres Körpers aus Muskelmasse besteht. Der Rückstoßantrieb macht es möglich: Quallen saugen Wasser ein und stoßen es mit einem Ruck wieder aus. Wie ein Katapult bewegen sie sich dadurch in die entgegengesetzte Richtung. Der Raketenantrieb basiert auf dem gleichen Prinzip: Im luftleeren Raum kann sich eine Rakete nicht wie ein Flugzeug mithilfe der Luftströmung bewegen. Ins All gelangt sie ­daher nur, indem sie sich quallengleich vorwärtsbewegt: Der zündende Treibstoff erzeugt am unteren Teil der Rakete einen hohen Druck, der in Richtung des Bodens wirkt, also von der Erde weg und hinauf in die unendlichen Weiten des Weltraums.

Haie Haie tragen unendlich viele winzige Zähnchen auf der Haut. Diese Oberflächenstruktur senkt den Wasser­ widerstand und verbessert die Beweglichkeit des Tieres. Außerdem verhindert sie, dass sich fremde Organismen festsetzen können und den Oberflächenwiderstand vergrö­ ßern – sie bildet eine Art Stachelschild. Diese ­Wirkung kann sich die Schifffahrt zunutze machen, in der der Bewuchs an Rümpfen ein zentrales öko­ logisches und ökonomisches Problem darstellt. Die bislang verwendeten chemi­ schen Beschichtungen sind oft hochgiftig. Ein neu entwickelter Haihaut-Lack nach dem tierischen Vorbild funktioniert auf Basis physikalischer Eigenschaften, gibt keinerlei Biozide ins Wasser ab und senkt den Spritverbrauch – gut für die Schiff­ fahrt. Und gut für den Hai.


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»Die   letzte Meile ist eine der wichtigsten.« Roland Gander ist Regionalleiter GW -West und ­Geschäftsführer GW -Deutschland. Wir haben uns mit ihm über Führung, Motivation und den schnellsten Weg zum Ziel unterhalten.

interview:  Frank Haas Roland, du bist Chef von 1.400 Mit­

auch ab und zu ein Spruch zurück. Es

arbeitern und als starke Führungskraft

herrscht eine gewisse Lockerheit. Ist

und hervorragender Motivator bekannt.

es wichtig für dich, nahbar zu sein? Das ist einfach meine Art der Führung.

Was ist dein Erfolgsgeheimnis? Ich glaube, das hat mit meiner Einstel­ lung zu den Menschen zu tun. Ich gehe mit offenen Augen durchs Unternehmen, höre mir Dinge aus dem Alltag meiner Mitarbeiter an und kann nachfühlen, wie es ihnen geht. Wenn es richtig kalt ist und ich in die Hallen schaue, weiß ich, dass die bei Wind und Wetter ihre beste Leistung bringen müssen und es nicht angenehm ist, bei Minusgraden zwischen den Lkw oder in der kalten Speditionsanlage die Ware zu befördern. Wenn Schnee fällt und die Straßenverhältnisse schlecht sind, dann fühle ich ganz besonders mit den Fahrern. Ich sehe viele Mitarbeiter, die einen unwahrscheinlich hohen Einsatz bringen, um Dinge voranzutreiben, und ich nehme mich dieser Themen an. Ich glaube, es gelingt mir, den Leuten zu vermitteln, dass ich einer von ihnen bin. Die wissen, dass ich das Geschäft verstehe und helfe, so gut ich kann. In der Umschlaghalle hast du für­j­ eden einen Spruch übrig – es kommt aber

Ich begegne den Menschen auf Augen­ höhe, und es macht mir nichts aus, wenn jemand einen coolen Spruch zurückgibt. Das ist eben offene Kommunikation. Ich weiß dabei aber ganz genau, dass mich die Leute unterstützen, wenn es drauf ankommt. Ich kann mich an Zeiten ­er­innern, wo Mitarbeiter mit fast über­ menschlichen Kräften für mich da ­waren. Vor allem als die Technik einmal nicht gestimmt hat. Da sind Leute aus dem Büro gekommen und haben Lager­ tätigkeiten, also wirklich harte Arbeit, gemacht! Beim Betriebsausflug letztes Jahr im Sommer kam ein Lkw-Fahrer, den ich jetzt seit über 30 Jahren kenne, und mit dem habe ich über die alten Zei­ ten gesprochen. Und er sagte: »Ich finde es toll, dass ich mal mit dem Direktor sprechen kann. In anderen Firmen kom­ men Fahrer nicht einmal zu ihrem Ab­ teilungsleiter vor. Aber du stehst mitten­ drin, du sprichst mit uns, du erinnerst dich, du bist einer von uns.« Und das gibt mir natürlich ein sehr gutes Gefühl.



34  »die letzte meile ist eine der wichtigsten.«

Ich lasse die Leute gerne teilhaben an dem, was passiert, dafür braucht es keine Riesenprojektgruppen oder ­Arbeitssitzungen. Du gehst hin, machst eine Ansage, die verstehen das, und dann kann ich wieder gehen, alles auf dem kurzen Dienstweg. Ja, du kommunizierst wirklich sehr ­direkt, muss man sagen, auch mir ­gegenüber  … Jedem gegenüber. Ich haue den Leuten alles direkt vor den Kopf, und dann schauen wir mal,

privat abschütteln? Willst du das über­ haupt?

Ja, absolut. Mein Privatleben ist der Ausgleich zum Geschäft. Natürlich will ich auch zu Hause Entscheidungen treffen: zack-zack-zack. Ich habe aber eine Frau, die sehr selbstbewusst agiert und mich in einigen Dingen gar nicht erst fragt. Anderes sprechen wir aus­ gezeichnet miteinander ab und sind uns meistens einig. Ich bin froh, wenn ich die Verantwortung auch einmal los bin. Im Urlaub kann ich am Strand sitzen

»Ich zeige gerne Emotionen, das ist Leben!« wie sie reagieren: Ist das nur der »Gander-Style« oder auch Taktik? Gehst du damit auch manchmal zu weit? Ich bin ein Mensch, der die direkte

Art und Weise mag, und ich habe auch nichts gegen eine funktionierende Streitkultur. Ich glaube, dass Spannun­ gen und Reibungen Energie erzeugen. Und ich zeige gerne Emotionen, das ist Leben! Die Leute, die so irrsinnig ­vor­bereitet reden, mit ausgetüftelter Wortwahl – das ist so ein monotoner Wortschwall. Und wenn eine Nachfrage kommt, auf die sie nicht vorbereitet sind, werden diese Leute unsicher. Ich glaube, man kommt schnel­ler vorwärts, wenn man sich nicht etwas zurechtlegt, sondern offen sagt, was ist und was geht. Bloß nicht lange um den Brei rumreden, das mag ich gar nicht. Musst du dich manchmal entschuldi­ gen? Ich glaube, meine Wortwahl ist so, dass ich nicht unter der Gürtellinie hantiere. Persönliche Angriffe vermeide ich, es geht immer um die Sache, nie um die Person. Nach jedem Gewitter klart es auf, und man hat wieder frische Luft zum Atmen und kann gut miteinander arbeiten. Für mich ist es dann auch abgeschlossen. Ich spreche aus, was mir nicht gefällt, mache mir Luft, und dann passt es wieder und es geht weiter. Kannst du die Rolle als Führungskraft

und eine halbe Stunde nur aufs Meer raus schauen. Meine Frau fragt dann immer: »An was denkst du?«, und ich sage: »An gar nichts.« Das kann sie nie glauben. Beim Eishockey, in der Drittelpause, stellt dir deine Tochter immer automa­ tisch ein Bier hin. Das sieht mir aber schon nach guter Führung aus! Cool, gell? Das habe ich nie bestellt, das macht sie einfach so. Zu Hause funktio­ niert das überhaupt nicht, da muss ich eher die Kinder bedienen. Wenn die zu uns kommen, dann glauben sie, sie sind im Hotel, und legen die Beine hoch. Aber wir sagen, okay, sie gehen ja ­wieder. Das passt schon. Und wie sieht es mit Freunden aus? Ändert sich die Anzahl mit dem ­Erfolg? Ganz stark. In meiner Jugend hatte ich einen großen Freundeskreis und viele Bekannte. Dann sind die Frauen gekom­ men, da wurde es schon ein bisschen weniger, und noch weniger, als die ersten Kinder kamen. Und mit der Zeit, als ich im Beruf immer mehr eingespannt war, haben sich diese Freundschaften weiter verdünnisiert. Ich versuche immer, ein magisches Dreieck zu halten: Ein Teil bin ich selbst, ein Teil ist die Firma und das dritte ist die Familie mit Freundschaften. In diesem Dreieck bin ich selber oft zu kurz gekommen, weil ich sehr viel in die Familie und in das Unternehmen gegeben habe. Das hat


»Hier komme ich mit den Leuten zurecht« – Gander mit den Dornbirner Bulldogs, die von GW gesponsert werden.

zwar zur Folge, dass ich viele Kollegen habe, mit denen ich auch private Dinge unternehme, andere Freundschaften sind aber deutlich zurückgegangen. Gerade wärmen sie sich wieder ein bisschen auf, die ersten Freunde sind nämlich schon in Pension. Und wenn ich dann auch Richtung Pension gehe, dann trifft man sich bestimmt wieder öfter, dann hat man wieder Zeit dafür. Bereust du, dass du so viel Energie in den Beruf gesteckt hast? Nein, ich bereue nichts, und ich kann die Uhr nicht zurückdrehen. Für meine Position war das der Preis, und ich habe das gern getan. Man hat bei dir den Eindruck, dass du immer versuchst, die Dinge boden­ ständig zu halten, alles Hochtrabende scheint dir fremd zu sein. Ist das deine Persönlichkeit, oder sprichst du da als Anwalt der Firma?

Sowohl als auch. Ich lebe gerne in der Einfachheit. Es gibt so viele Leute, die alles kompliziert sehen und den Wald vor lauter Bäumen nicht erkennen. Alles so hochtrabend, schwierig dargestellt, was eigentlich einfach ist. Ich habe ein Problem, wenn ich einen Projektauftrag mit 27 Seiten lese und schon auf der dritten Seite gelangweilt bin. Wenn ich ein Ziel habe, dann habe ich die Straße dorthin lieber ein bisschen enger, damit man nicht zu weit links und rechts rausfährt. Man soll nicht vergessen, was draußen an den Rändern liegt, aber man muss in die Zielgerade. Wenn ich mir Ziele vornehme, dann ist das für mich etwas Sichtbares, auf das ich hinarbeiten kann: Was sind die nächsten Schritte? Bis wann muss ich was machen? Und dann kann ich zügig voran­gehen. Natürlich muss es auch Strategiegruppen geben, wenige Leute, die die Richtung vorgeben. Aber mir gefällt es so wie am


36  »die letzte meile ist eine der wichtigsten.«

Roland Gander wurde am 10. März 1957 in Dornbirn gebo­ ren, ist verheiratet und Vater zweier erwach­ sener Töchter. Seit seiner Jugend ist er Teil von GW und hat an zahl­reichen Standorten Aufbau- und Aus­bau­tätigkeiten betrieben. Seine Freizeit ­verbringt er am liebsten mit seiner Familie, beim Skifahren und auf ­Reisen. 1972

Beginn der Speditionslehre bei GW 1985

Übernahme der Bereichsleitung für Benelux und Skandinavien 1996

Halbjähriger Aufenthalt in Wien 1997

Übernahme der Betriebsorganisation in Lauterach, stellvertretender Nieder­ lassungsleiter, Verantwortung für viele große Kundenprojekte in der Logistik (Hilti TSP , Tridonic, Head, Grass) 1999

Niederlassungsleiter Lauterach und ­Geschäftsführung Fehr Transporte 2003

zusätzlich Verantwortung GW Schweiz 2004

Regionalleitung West (Vorarlberg, Schweiz und Süd-DE ) 2007

zusätzlich GW Tirol 2010

Beirat bei Diehl Esslingen 2012

GW übernimmt Diehl zu 100 % – Integration Region West / Geschäftsführung GW Deutschland

Bau, da weiß man genau, das dauert eineinhalb Jahre, das sind diese und diese Abschnitte, da müssen wir uns auf das und das einstellen, so und so müssen wir das machen. Es muss begreifbar sein. Kennzeichnet so ein Pragmatismus den perfekten Spediteur? Ja, vor allem aber auch Interesse und Verständnis. Man muss wissen, was der Kunde will, und spüren, was er braucht. Man muss eine schnelle Auffassungs­ gabe haben und eine kurze Reaktions­ zeit, man muss auf den Kunden ein­

muss Lösungen bieten. Und ich sage häufig zu meinen Kunden: »Die letzte Meile ist eine der wichtigsten. Und die macht der Spediteur für dich, sei anstän­ dig zu dem, der macht einen guten Job.« Das kann ich in meiner Position natür­ lich gut sagen. Aber das gehört dazu. Unsere Fahrer sind häufig beim Kunden, und da ist es wichtig, dass man den Leuten bewusst macht, was wir da tun. Dass das nicht 08 / 15 ist, sondern wirk­ lich eine Leistung. Zu meinen Leuten sage ich: »Die Produkte, die wir trans­ portieren, das ist nicht bloß eine Ware,

»Wenn ich mir Ziele vornehme, dann ist das für mich etwas ­Sichtbares.« gehen, Lösungen finden und, ja: dienen. Das Spannende an unserem Beruf ist, dass die Kunden so unterschiedlich sind und alle anders ticken. Ich bin groß geworden in Vorarlberg in der Textil­ industrie, von hier wurden große Mengen von hochwertigen Stoffen in die ganze Welt versendet. Und ich habe gesehen, wie die Textiler arbeiten und was die gewohnt sind. Dann ist dieser Berufs­ zweig abgewandert, und es kamen die Metallindustrie und die technische Industrie, mit ganz anderen Themen und anderen Problemen. Heute finde ich es spannend, wie ein Technologie­ unternehmen wie Tridonic sein Geschäft betreibt, wie die dort forschen und entwickeln. Die Fragen sind aber immer dieselben: Wie kann man für den Kun­ den hervorragende Verkehrssysteme aufbauen, damit man pünktlich, genau und überschnell ist? Wir hatten vor vielleicht 15 Jahren in einem ganz klei­ nen Team eine Idee, wie wir das Nacht­ fahrverbot in der Schweiz umgehen können, um pünktlich die Ware nach Mailand zu bringen. Das ist ein einzig­ artiges System, das heute noch läuft. Also ist der Spediteur auch ein Krea­ tiver? Ja, um erfolgreich zu sein, muss er sich auf Situationen einstellen, er muss Schwierigkeiten bewältigen, er muss Umwelteinflüsse umgehen können, er

sondern für unsere Kunden etwas ganz, ganz Wichtiges. Geht mit diesen Dingen bitte sehr sorgsam um und betrachtet sie so, als ob sie euch gehören.« Auch das Geld, mit dem wir arbeiten, müssen wir so einsetzen, wie wir es für uns selbst machen würden. Es soll sich vermehren. Wärst du heute ein anderer Mensch, wenn du im Leben als Spediteur nicht diesen Erfolg gehabt hättest? Die Frage stellt sich für mich nicht, weil ich mich nicht mit dem beschäftige, was nicht gewesen ist. Wenn mir mein Beruf keinen Spaß gemacht hätte, dann hätte ich etwas anderes gemacht. Ich kann voller Stolz und Freude sagen, ich bin in einem Unternehmen, das mir irre Entfaltungsmöglichkeiten gegeben hat. Man hat mich machen lassen, man hat mich begleitet, man hat mich ­geführt, man hat mich auch Fehler machen lassen, man hat sich gefreut, wenn es gepasst hat. In einen Käfig würde ich mich nicht einsperren lassen. Ich habe mir aber auch nicht vorgestellt, immer in derselben Firma zu bleiben. Gab es in dieser ganzen Zeit nie ein Motivationsloch? Es hat sicher gewisse Tage oder Wochen gegeben, wo es nicht so gelaufen ist und die Stimmung gedrückt war. Wobei mich Krisen eher noch anspornen. Man kann etwas, das nicht läuft, zum Laufen bringen. Außerdem sind motivierte


die letzte meile ist eine der wichtigsten  37

Mitarbeiter für mich ein Schlüssel zum Erfolg, Mitarbeiter, die informiert sind, die wissen, worauf es ankommt, und die mit dir gehen. Das ist ganz wichtig. So ein richtiges Motivationsloch hatte ich deshalb nie, nein. Wobei ich mich auch wie ein Magnet fühle, der dauernd Arbeit anzieht. Ich habe immer die Hütte voll zu tun. Ist Scheitern da überhaupt möglich? Hattest du ein persönliches Waterloo? Ja, Esslingen. Nach dem Kauf der Spe­­­­di­ tion Diehl in Esslingen mussten wir an unserem neuen Standort ein hartes Reformprogramm in die Wege leiten. Einiges hatten wir bereits geschafft, kamen in den Aufwind, die Zahlen haben sich stark gebessert, aber mein Niederlassungsleiter konnte dem Druck nicht standhalten. Er hat sich ent­schlossen, Gebrüder Weiss zu ver­ lassen. Das hat mir wehgetan, weil ich ganz stark auf diese Person setzte, mich mit enormem Aufwand um ihn und um das Vor­wärtskommen in Ess­ lingen bemühte. Ich bin es gewohnt, eng mit meinen Niederlassungsleiter­ kollegen zu arbeiten, hier herrschen totale Offenheit und Vertrauen. Würdest du Arbeit erfinden wollen, wenn es sie nicht schon gäbe? Ja. Ich würde sie erfinden. Es gibt über­ all so viel Sinnvolles zu tun. Für die Asylbewerber, die nicht arbeiten dürfen, gäbe es doch viele Tätigkeiten, Bäume pflanzen oder solche Dinge. Ich glaube, den Leuten würde das viel besser tun, als immer nur dazusitzen. Sie könnten sich besser integrieren und würden sich nicht so abseits fühlen, sondern hätten das Gefühl: »Heute war ein sinnvoller Tag, ich habe etwas getan.« Ich glaube, es gibt nichts Schlimmeres, als wenn du zum Nichtstun verdammt bist. Und wenn du eines Tages aufhörst, für das Unternehmen zu arbeiten, wie wird das sein? Kannst du dir das überhaupt vorstellen? Ich bin kein Mensch, der Dinge halb macht. Entweder voll und ganz oder gar nicht. Ich habe meine Pläne, wie ich das machen will. Ich weiß, wenn es genug

Gander ist bei fast jedem Spiel seines Vereins dabei.

ist und das Pensum erreicht ist. Ich glaube, ich habe sehr viel erreicht im Unternehmen. Und wenn ich einmal ausscheide, soll man nicht sagen: »Gott sei Dank ist er weg«, sondern: »Er hat es gut gemacht.« Ich kann mit Anstand und Ehren gehen, und ich möchte gesund rausgehen, dass ich noch etwas davon habe. Ich glaube nicht, dass mir danach langweilig wird, ich finde schon wieder etwas, womit ich mich beschäf­ tige. Was denn? Das weiß ich noch nicht. Aber ich werde es finden. Ich habe ja schon gesagt, dass ich meine Freunde, mit denen ich groß geworden bin, wieder treffe. Und das wird immer intensiver. Außerdem habe ich mir eine Wohnung in Spanien ­gekauft und werde auch dort sein. Und dann werden vielleicht einmal Enkel kommen, und es wäre ideal, dann Zeit zu haben, weil ich für meine Kinder früher ein bisschen zu wenig Zeit hatte.

Ich will die Enkel ja nicht erziehen, ich möchte mich denen widmen und Spaß haben. Und wenn es genug ist, dann gibt man sie wieder den Eltern zurück und kann sich entspannen, ein großer Vorteil gegenüber den eigenen Kindern. Ich denke, das könnte ganz gut gehen. Man muss wirkungsvoll sein, man muss aber auch Platz machen können. Ich sehe dem mit keinem weinenden Auge ent­ gegen. Ich möchte Teil des Übergangs sein, mitplanen und mitgestalten. Und dann, wenn es Zeit ist, alles in andere Hände legen.

Frank Haas wurde 1977 ­ eboren und studierte g ­Geschichte und Philosophie. Er ist verantwortlich für die Unternehmenskommuni­ka­ tion bei Gebrüder Weiss und ­Chef­redakteur des ATLAS .


» 38 schlau gesagt

Höher, schneller, weiter – das Leben verlangt nach Veränderung und ­Bewegung, für die es einen inneren Motor braucht. Und der sieht überall anders aus. Wir haben uns da einmal umgesehen, bei promi­nenten und weniger prominenten Menschen verschiedener Couleur – und wie G ­ W -Mitarbeiter dem Schweinehund beikommen, können Sie ab Seite 55 nachlesen.

»I  don’t want to make money, I just want to be wonderful.« Marilyn Monroe, Schauspielerin

»Man   wird für sich selbst neu geboren ­jeden Tag, oder wenn Sie wollen, man ist wie ein Phönix, man muss sich ­verbrennen jeden Tag, um wirklich ­jeden Tag neu geboren zu sein. Wenn man sich nicht jeden Tag infrage stellt, finde ich, hat das Leben keinen Sinn.« Pierre Boulez, Komponist, Dirigent und Musiktheoretiker

»Man liebt das, wofür man sich müht, und man müht sich für das, was man liebt.«  Erich Fromm, Psychoanalytiker


schlau gesagt 39

»Jeder Seemann lernt: Geht nicht gibt’s nicht. Wenn ein Schiff zwischen Süd­afrika und Australien kaputtgeht, flickt man das eben, es muss ja weiter­ gehen! Also lautet unser Kodex: Wir kriegen das hin.«  Ben Lodemann, Lotse

»Besessenheit    ist der Motor – Verbissenheit ist die Bremse.« Rudolf Nurejew, Balletttänzer und Choreograf

»Ich bin jemand, der mehr über die Dinge nachdenkt als redet. Ich will Spieler e­ ntwickeln und mit meinen Mannschaften Erfolg haben. Das ist mein Antrieb, mein Ziel, das habe ich immer erreicht.« Felix Magath, FuSSballtrainer

»



Michas Mädchen

Alles für die Viertelmeile – zu Besuch beim »Race Antz« Street & Stripracing Team


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text:  Miriam Holzapfel fotos:  Martin Langer

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rau ist das alte Mädchen und matt.   Es hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Von außen sieht man nicht, welche Kräfte in ihm schlummern. Ein Blick ins Innere aber verrät es sofort: Das ist ein Geschoss. Von 0 auf 225 km / h beschleunigt es in nur 9,6 Sekunden, knapp 1000 PS machen es möglich. Beschleunigungsrennen, sogenannte Micha »Fullspeed« Vogt fährt mit sei­ Drag Races, gehen zurück auf die Jahre nem Mädchen, einem 41er Ford Willys nach dem Ersten Weltkrieg, als sich in Coupé, Viertelmeilen-Rennen für den USA überwiegend Jugend­liche mit ­straßenzugelassene Hot Rods – umge­ frisierten Autos illegale Straßenrennen baute US -amerikanische Autos. Dafür lieferten. Schon längst aber werden diese Rennen ganz legal auch in Europa braucht es viel Fingerspitzengefühl und ausgetragen, entweder auf speziell enorme Konzentration, denn das alte präparierten Strecken mit gummierter Mädchen ist empfindlich und verzeiht Oberfläche, den Drag Strips, oder auf keine Fehler, wenn es darum geht, unpräparierten Flugzeug­pisten. Die die Leistung des Motors auf die Renn­ Rennen auf dem Santa Pod Raceway im strecke zu übertragen. englischen Podington sowie die all­ jährlich im August statt­findende Nitro­ lympX auf dem Hockenheimring in Deutschland sind die größten europä­ ischen Veranstaltungen dieser Art. Die Szene ist überschaubar. Man kennt sich, die Stimmung bei den Veranstal­ tungen ist familiär, auch wenn die Fah­ rer beim Start »das Messer zwischen den Zähnen haben«, so Vogt. Man fährt Auto gegen Auto, der Schnellere ­gewinnt. Micha Vogts Verhältnis zu musku­ lösen Ami-Schlitten war bereits früh unten: Blick ins Cockpit eines 71er ­Plymouth; rechts oben: Feinarbeit am Herzstück – sehr innig: Noch ehe er seinen Führer­ Micha Vogt (ganz rechts) mit seinem Team schein in der Tasche hatte, war er schon am Voll-­Alu-Motorblock; rechts unten: Volles Besitzer eines Dodge Ramcharger mit Rohr – das Triebwerk des dicken Mädchens Unfallschaden, den er selbst reparierte und einsatzbereit machte. Seit über 15 Jahren fährt er nun Drag Races, und das alte graue ist nicht sein einziges Mädchen im Stall: Sein graubrauner 55er Chevy Bel Air mit aufgemaltem Rost ist ein Biest, dessen Seele im Gitter­ rohr-Skelett liegt, die leichte Karosse wird auf die Konstruktion aufgelegt wie eine Haut. 2.500 Pferdestärken beschleunigen das von Vogt und sei­ nem Team sogenannte dicke Mädchen


ATLAS 43



Michas Mädchen 45

von 0 auf 100 km / h in unter 1,2 Sekun­ den, von 0 auf 300 km / h in 7,4 Sekun­ den. Damit ist der Wagen das schnellste straßentaugliche Auto in Deutschland. Das Gefühl, das bei dieser Beschleuni­ gung entsteht, sei, wie 400 Meter lang Tritte in die Magenkuhle zu bekommen, so Vogt. Beim Bremsen muss er die Augen schließen, es fühle sich an, als fahre man gegen eine Wand. Mit ange­ bauten Fallschirmen kommt der Wagen wieder zum Stehen, der dafür benötigte Auslauf ist so lang wie die Rennstrecke selbst. Seinen Rennstall betreut Micha Vogt mit großer Hingabe und Liebe zum Detail, ständig wird repariert und ­optimiert. Die Autos bestehen aus lauter Einzelteilen, die extra zusammen­ gesucht werden, gerade so, wie es am besten passt. Alle sechs Wochen etwa bestellt er bei Händlern in den USA , die Kontakte dorthin sind gut, innerhalb von zwei bis vier Tagen wird per Luft­ fracht geliefert. Die verbauten Motoren sind seltene Exemplare und von Hand zusammengestellt. Gerade wird in ­Micha Vogts »Race Antz«-Werkstatt an einem Voll-Alu-Motorblock im Wert von 50.000 Euro gebaut, mit 10 Liter Hubraum und 780 PS Leistung. Er ist für einen 70er Dodge Challenger ­gedacht, der schon vor dem Werkstatttor bereitsteht, auch er ist mattgrau, man kennt den Wagentyp aus dem Road­ movie Fluchtpunkt San Francisco. Ein durchaus schönes Auto ist das auf den ersten Blick. Aber bei Michas Mädchen geht es nicht nur um die äußeren Werte, sondern um ein Innenleben mit monst­ röser Kraft.

Miriam Holzapfel, geboren 1975, ist Kulturwissenschaftlerin und Redakteurin für den ATLAS .


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Unter Erfindermännern – beste Gesellschaft in der Logistics Hall of Fame Bahnbrechende Erfindungen auf dem Gebiet der Logistik prägen heute unseren Alltag, ohne dass wir es wahrnehmen. Die Globa­li­sie­ rung wäre in dieser Form ohne sie nicht möglich gewesen. Die virtuelle Ruhmeshalle der Logistik ehrt einige der Urheber dieser Erfindungen. Seit ­ver­gangenem Jahr findet sich dort auch Heidi Senger-­ Weiss in bester Ge­sellschaft der Impuls­geber – als erste Frau unter den Erfinder­männern, von denen wir hier ausgesuchte vorstellen.

Heidi Senger-Weiss: Konsequente Internationalisierung

William H. Tunner: Die Berliner Luftbrücke

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eit 1968 setzt sich Heidi SengerWeiss in verschiedenen Funk­­ tionen für die Interessen der Trans­port­logistik ein, mit ihrem Mann Paul Senger-Weiss hat die Unterneh­ merin 36 Jahre lang Gebrüder Weiss geführt. Zahlreiche Neuerungen sind auf ihre Initiative hin umgesetzt worden, etwa die 1988 gemeinsam mit zwei ­Partnern erfolgte Gründung des Paket­ dienstes APS Austria Paket System ­(später DPD Austria ), der innerhalb kürzester Zeit zum Marktführer im ­ 2B -Bereich in Österreich wurde. Au­ B ßerdem trieb sie den IT -Einsatz in der Spedition ­voran, setzt konsequent auf die Inter­nationalisierung und baut ­bereits seit den Achzigerjahren ein eu­ ro­päisches Stückgutnetz auf.

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er 1906 geborene William H. Tunner beginnt seine Laufbahn an der amerikanischen Militär­ akademie und avanciert schnell zum Experten für Lufttransporte. Im Zweiten Weltkrieg organisiert er die US -Luft­ brücke über den Himalaja und ein neu­ artiges System zum Transport dringend benötigter Materialien. Als am Morgen des 24. Juni 1948 die sowjetischen Besatzungsmächte alle Zulieferungswege nach West-Berlin sperren – auf der Straße, der Schiene und alle Wasserwege –, sind mehr als

zwei Millionen Menschen von der über­ lebenswichtigen Versorgung abgeschnit­ ten. Nur ein Luftkorridor bleibt offen, und über diesen organisiert Tunner die Versorgung der Bevölkerung. Die Ber­ liner Luftbrücke wird in die Geschichte eingehen als Geburtsstunde der Logistik der modernen Luftfahrt, erstmals wird das Flugzeug als ernst zu nehmendes Transportmittel eingesetzt. Zur Ver­ sorgung West-Berlins installiert er drei Luftkorridore und plant präzise die Abflugzeiten, Geschwindigkeiten, Flug­ höhe und Steigungsraten. Diese Planung ermöglicht es, dass alle drei Minuten ein Flugzeug starten kann, und beinhaltet auch die Wahl der Flugzeugtypen, der Landebahnen, die Flugzeugwartung und die Entladevorgänge – Tunner schafft es, dass der Aufenthalt der Flug­ zeuge von 75 Minuten auf 30 Minuten verkürzt werden kann. Bis zum Ende der Blockade­am 12. Mai 1949 starten rund 280.000 Transportflüge gen West-Berlin.


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Eugene Bradley Clark: Der Gabelstapler

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ugene Clark, 1873 geboren, ­arbeitet als Maschinenbau­ ingenieur bei einer Stahlfirma. Als die Firma Anfang des 20. Jahrhun­ derts droht bankrottzugehen, bietet der kreative Kopf seinen Vorgesetzten kurz entschlossen an, die Führung der Firma zu übernehmen, Partner zu werden und so die Firma zu sanieren. Bald schon schreibt das Unterneh­ men wieder schwarze Zahlen. Um seinen Mitarbeitern den Transport von Bau­ materialien zwischen den Werkshallen zu vereinfachen, entwickelt Clark die Idee für einen ersten Frontstapler, ein simples benzinbetriebenes, dreirädriges Fahrzeug mit einem Ladebehälter für knapp zwei Tonnen Last an der Vorder­ seite. Es hat ein paar Besonderheiten: Wer nach links will, muss nach rechts lenken, und Bremsen besitzt das Ge­ fährt auch nicht. Die US -Army setzt es dennoch kurz darauf im Ersten Welt­ krieg für Umschlagarbeiten in Munitions­ depots ein. Clark verbessert die Len­ kung, entwickelt Bremsen und gibt dem Fahrzeug einen Namen: Tructractor. 1919 verkauft er bereits 75 Stück und bringt drei Jahre später einen Hubwagen mit Verbrennungsmotor auf den Markt, 1924 schließlich den ersten Gabelstap­ ler, mit dem ihm nach dem Zweiten Weltkrieg der weltweite Durchbruch gelingt. Bis heute gehört die Firma Clark zu den führenden Produzenten von Flurförderfahrzeugen weltweit.

Gottlieb Daimler: Der Lastwagen

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ottlieb Daimler, ursprünglich Däumler und geboren 1834, ist ausgebildeter Büchsenmacher und studiert Maschinenbau. 1869 über­ nimmt er den Vorstand der Werkstätten der Karlsruher Maschinenbaugesell­ schaft und legt mit seiner Arbeit den Grundstein für die heutige Daimler AG. Zusammen mit Wilhelm Maybach entwickelt er einen Einzylinder-Vier­ taktmotor – der erste Verbrennungs­ motor, der mit Benzin angetrieben wird – und meldet diesen zum Patent an. Die beiden bauen 1886 den Motor in eine Kutsche ein und bringen damit den ersten vierrädrigen Kraftwagen auf die Straße – Carl Benz’ motorisiertes Ge­ fährt hat nur drei Räder. 1896 wird mit dem Phoenix der erste motorisierte Lastwagen der Daimler-MotorenGesell­schaft gebaut. Der ZweizylinderViertaktmotor mit 4 PS, einer Spitzen­ geschwindigkeit von 10 km / h und einer Nutzlast von 1,5 Tonnen erscheint aus heutiger Sicht nicht sonderlich spekta­ kulär, dennoch hat Daimler mit der Auslieferung dieses ersten Lkw die Ent­ wicklung des Güterverkehrs entschei­ dend geprägt. Im Jahr 2014 betrug der Umsatz der globalen Lkw-Industrie 125 Milliarden Euro.

Malcom McLean: Der Container

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alcom McLean, geboren 1913, ist Tankstellenpächter, als er 1935 zusammen mit seinen Geschwistern seinen ersten Truck kauft, um eine kleine Spedition zu gründen. In den Folgejahren baut er ein Imperium auf, das zum zweitgrößten Transport­ unternehmen in den USA anwächst. Schon früh hat er diew Idee, die Umla­ dungszeiten mittels genormter Behälter zu kürzen. Noch wird bei jedem Entund Beladevorgang die Ladung Stück für Stück entladen, neu gepackt und wieder verladen – oftmals sind Dutzende von Arbeitern beteiligt, und das Ganze dauert manchmal tage- und wochen­ lang. Dennoch stößt seine Idee zunächst auf Desinteresse. Als Logistikunternehmer ist es ihm nicht erlaubt, eine Schifffahrtslinie zu betreiben – und so verkauft er McLean Trucking und erwirbt stattdessen die Reederei Pan Atlantic Steamship. Am 26. April 1956 verlässt die Ideal X als erstes Containerschiff den Hafen von Newark – beladen mit 58 Containern – und begründet die Geburtsstunde der Containerschifffahrt. Vor allem in Europa befürchtet man anfangs, dass die Um­ stellung auf Container ein Hafen­sterben verursachen könnte. Es passiert jedoch das Gegenteil: Ein regelrechter Hafen­ boom setzt ein. Heutzutage werden etwa 90% des Welthandels über den Schiffsverkehr abgewickelt.


48 logistics hall of fame

Gottfried Schenker: Der Bahn­ sammelverkehr

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ottfried Schenker, 1842 in der Nähe von Olten in der Schweiz geboren, beginnt sein Arbeits­ leben als Beamter bei der Schweize­ rische Centralbahn, wechselt aber schon ein Jahr später in die Privatwirtschaft und arbeitet für verschiedene Transport­ unternehmen. 1872 gründet er zusam­ men mit zwei weiteren Geschäftsleuten seine eigene Spedition Schenker & Co. und organisiert im Folgejahr den ers­ten Bahnsammeldienst zwischen Paris und Wien, um die Wiener Gesellschaft mit Luxusartikeln wie Champa­gner und Modewaren zu versorgen. Er bündelt Einzelsendungen zu größeren Transport­ einheiten, die er über die Schiene und von dort aus – zu dieser Zeit noch – per Pferdekutsche weiter­verteilt. Dieses Sammelnetzwerk baut Schenker in den folgenden Jahren aus, nicht nur auf der Schiene, sondern per Schiff und auf der Straße. Der Unternehmer kann so einen neuartigen, preiswerten und schnellen Transport als Erster zu fixen Fracht­ tarifen anbieten. Was er anbietet, revo­ lutioniert das Transportwesen: »Von Haus zu Haus in einer Hand.« Als er 1901 stirbt, gibt es bereits 32 Nieder­ lassungen in 13 europäischen Ländern mit über tausend Mitarbeitern.

Taiichi Ohno: Das Just in time-Prinzip

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aiichi Ohno, 1912 in der Man­ dschurei geboren, beginnt in den Dreißigerjahren für Toyota zu arbeiten. Nachdem der junge Ingenieur Eiji Toyoda, später Direktor und Präsi­ dent des Konzerns, in den USA die ­Massenfertigung von Ford studiert und analysiert hat, beauftragt er seinen ­Produktionschef Ohno, für Toyota ein ei­genes Fertigungssystem zu entwickeln. Dieser orientiert sich hierbei weniger an den Methoden von Ford, sondern ­vielmehr am Lieferungssystem amerika­ nischer Supermärkte, wo Kunden die gewünschten Produkte zur gewünschten Zeit in der gewünschten Menge abfor­ dern können. Dieses Prinzip, das besagt, dass die richtige Menge in der richtigen Reihenfolge in der richtigen Qualität zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, wird als Toyota-Produktions­system bezeich­ net, das noch heute für Automobilher­ steller auf der ganzen Welt als Vorbild gilt. Hinzu kommt das von Ohno entwi­ ckelte Just in time-Prinzip, das vorsieht, dass die einzelnen Teile der Produktion genau dann zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden. Zwischen Zuliefe­ rern und den Montagefabriken entsteht eine Lieferkette, die Überproduktion und teure Zwischenlagerung minimalisiert.

die Logistics Hall of Fame

wurde 2003 gegründet, um Persönlich­kei­ten zu ehren, die sich in besonderer Wei­se um die Logistik und das Supply Chain Manage­ ment verdient gemacht haben. Damit soll die Leistungsfähigkeit und die Innovations­ kraft dieser Branche dokumentiert und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Verbände und Organisationen, Wirtschaft und Poli­tik, Wissenschaft, Medien, Unternehmen und alle Logistiker rund um den Globus sind aufgerufen, geeignete ­Frauen und Männer für die Aufnahme in die logistische Ruhmes­halle vorzuschlagen.­ Entscheidend ist, dass deren Leistung ­nachhaltig positive Auswirkungen auf die logistische Leistungsfähigkeit einer größeren Gruppe von Unternehmen oder Institutionen hatte.

Imke Borchers, geboren 1982, ist Literaturwissen­ schaftlerin und R ­ edakteurin des ATLAS .


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Superagent im freien Fall Warum James Bond mindestens genauso viel von Physik wie von Verfolgungsjagden verstehen muss

text:  Susanne Schick

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ames Bond – Geheimagent, Drauf­ gänger, Charmeur, aber vor allem auch Actionheld. Keine Situation,   in der er nicht die zündende Idee hat, um sich und  andere zu retten und Zweikämpfe zu gewinnen. Er springt aus Flugzeugen, gewinnt Verfolgungsjagden mit spektakulären Tricks, zu Fuß, im Auto auf nur zwei Rädern, in der Luft. In Golden Eye fährt James Bond einem pilotenlosen Flugzeug, das auf einen ­Abgrund zusteuert, mit dem Motorrad hinterher, und es passiert das, was eine gute Actionszene ausmacht: Das Flug­ zeug stürzt über die Klippe, der Super­ agent fährt todesmutig mit seinem ­Gefährt hinterher, windet sich im freien Fall von dessen Sitz und klettert ins Cockpit des Fliegers, um Sekunden vor dem Aufprall den Steuerknüppel an sich zu ziehen und dem sicheren Tod zu entgehen. Geschafft, Superagent safe! Oft helfen ihm dabei auch die neuesten

Gadgets von Supertüftler Q: Ein Kugel­ schreiber verwandelt sich in einen ­Granatwerfer, mit einer Uhr mit integ­ riertem Haken und Abschussmechanis­ mus rettet er sich aus einer gekachelten Grube, die Sonnenbrille mit Röntgen­ strahlen lässt ihn durch die Klamotten blicken und versteckte Waffen erken­ nen. Unglaublich – aber auch wahr? Was passiert, wenn man diese Szenen einer wissenschaftlichen Überprüfung unter­ zieht? Die beiden Physikprofessoren Metin Tolan und Joachim Stolze haben zusammen mit 41 Studenten ein Semes­ tern lang ausgewählte Filmszenen ­analysiert und auf ihre Machbarkeit hin untersucht. Die beiden sind zu dem Ergebnis gekommen, dass der Doppelnull-Agent nicht nur ein Kenner physikalischer ­Ge­setze sein muss, sondern oftmals auch innerhalb von Sekunden komplizierte Berechnungen anstellen und die Aus­ führung exakt umsetzen muss, um sein Leben zu retten. Den beiden Physikern

geht es dabei nicht darum, festzustellen, welche Szenen in der Realität keinen Bestand hätten, sondern vielmehr zu untersuchen, unter welchen Bedin­ gungen James Bond die Action­szenen ­un­beschadet bestanden hätte – stets getrieben von der Frage, wie es doch hätte funktionieren können. James Bond mag ein fiktiver Cha­ rakter mit Superkräften sein, aber sein Ein­satz gegen das Böse könnte auch­ ­rea­len Geheimagenten als Vorbild dienen – wenn diese nur genug von ­Physik verstünden, blitzschnell Berech­ nungen anstellen könnten und über eine gehö­rige Portion Mut verfügen. Und damit wären sie ebenso filmreif. Überzeugen Sie sich selbst und lesen Sie hier über die Bungee-Seil-Szene aus Golden Eye. Kann Bonds freier Fall ­wirklich so lange gedauert haben, und wäre er im wahren Leben lebendig ­davongekommen?


50  james bond und die physik

Bonds Geheimnisse oder: Geht überhaupt, was gehen soll?

Auszug aus Metin Tolan, Joachim Stolze: Geschüttelt, nicht gerührt. James Bond und die Physik.

Golden Eye beginnt mit einem BungeeSprung des Top-Agenten von einem Staudamm. James Bond hat den Auftrag, eine Fabrik für Giftgas zu zerstören. Er flüchtet vor russischen Militärs und läuft von einem sich öffnenden Gatter über die Staumauer bis zu ihrer Mitte, um dort am Geländer sein mitgebrachtes Bungee-Seil zu befestigen und so in die Fabrik im Tal zu gelangen. Vergleicht man die Filmbilder mit denen des echten Staudamms, so kann man schätzen, dass er dabei ca. 130 Meter zurücklegt; die Krone des Verzasca-Staudamms hat nämlich eine Länge von 380 Metern. Wird nun die Zeit gestoppt, die 007 für diese Strecke benötigt, dann ergeben sich ungefähr 13 Sekunden. Bond läuft also mit einer Geschwindigkeit von ca. zehn Metern pro Sekunde, das sind 36 Kilometer pro Stunde, über den Damm. Damit könnte der DoppelnullAgent auch sehr gut bei den Olym­ pischen Spielen um die Goldmedaille im 100-Meter-Lauf kämpfen: Der Welt­ rekord über diese Strecke aus dem Jahr

1995 lag bei 9,85 Sekunden, das ent­ spricht 36,5 Stundenkilometer Durch­ schnittsgeschwindigkeit, also ungefähr der Geschwindigkeit von James Bond auf der Krone der Staumauer. Aber: 007 schultert auch noch eine schwere Aus­ rüstung und trägt keine professionellen Laufschuhe. James Bond ist also nicht nur ein Top-Agent, sondern auch ein Top-Sprinter! Im Film befindet sich der Staudamm in der Sowjetunion. Gedreht wurde diese Szene allerdings in Verzasca in der Südschweiz im Kanton Tessin. In der Mitte der Staumauer ange­ kommen, befestigt James Bond * sein Bungee-Seil am Geländer und springt sofort in die Tiefe. Bis sich das Seil spannt und er abgebremst wird, kann sein freier Fall 13 Sekunden lang im Film genossen werden. Aber ist 007 wirklich so lange gefallen? An dem besagten Staudamm in der Südschweiz gibt es tatsächlich eine Bungee-Sprunganlage, auf der jeder, der den nötigen Mut mitbringt, den Filmsprung nachspielen kann. Daher sind auch die Daten des Sprungs recht genau bekannt: James Bond hat un­­ gefähr 200 Meter Platz zwischen der

­ rone des Staudamms und seinem Ziel. K Würde ein Mensch aber 13 Sekunden lang fallen, dann ergibt eine einfache Rechnung, dass er danach eine Strecke von gut 830 Metern zurückgelegt hätte. James Bond wäre also viel zu tief ge­ fallen und schon vorher auf dem Boden aufgeschlagen. Die Erklärung für diesen Wider­ spruch ist leicht: Betrachtet man die Szene genau, sehen die Fallbewegung des Top-Agenten und andere Details nicht natürlich aus, sondern wirken irgendwie verlangsamt. Wird die Film­ szene mit der doppelten Geschwindig­ keit abgespielt, dann sehen alle Bewe­ gungen wieder so flüssig aus, wie bei üblichen Bungee-Sprüngen. Die Film­ produzenten haben hier also aus dramaturgischen Gründen eine Zeit­lupe eingesetzt, damit der Zuschauer den Sprung länger genießen kann! Durch die halbierte Fallzeit von nur noch 6,5 Sekunden passt nun auch die Fall­ tiefe besser, da 007 in der halben Zeit nur ein Viertel der ursprünglichen Fallhöhe von 830 Metern, also etwa 200 Meter, zurücklegt. Diese 200 Meter sind aber trotzdem zu viel, da James Bond so keinen Platz

* Tolan und Stolze orientieren sich bei ihren Berechnungen an der Körpergröße und dem Gewicht von Sean Connery – dem beliebtesten Bond-Darsteller. Mit einer Größe von 1,83 Metern und einem Gewicht von 76 Kilogramm hat er den ­perfekten Body-Mass-­Index von 22,7. Auch alle anderen Darsteller haben nahezu identische Maße.


james bond und die physik 51 ATLAS 51

mehr hätte, um vom Bungee-Seil ab­ gebremst zu werden. Es scheint also noch etwas an der Szene verändert wor­ den zu sein: Um einen möglichst guten Effekt für die Zuschauer zu erzielen, wurde die Sprungszene aus verschiede­ nen Kameraperspektiven gleichzeitig gefilmt. Diese Aufnahmen wurden dann im Film überlappend zusammen­ geschnitten. Man sieht also manche Teile des Sprungs doppelt. Werden diese Überschneidungen nur einmal gezählt, dann ergeben sich als echte Fallzeit nur noch 4,5 Sekunden. In dieser Zeit würde der Top-Agent etwa 100 Meter frei fallen, bis sich das Bungee-Seil spannt und ihn abbremst. Das entspricht der Hälfte der gesamten zur Verfügung stehenden Fallstrecke und ist durchaus realistisch. Die restlichen 100 Meter spannt sich das Bungee-Seil und bremst Bonds Fall so ab, dass er nach weiteren 4,5 Sekun­ den Fallzeit und 100 Metern Fallstrecke für einen Moment fast bewegungslos in der Luft hängt, nur wenige Meter über dem Boden. Die Stärke dieser Abbremsung lässt Rückschlüsse auf die Materialeigen­ schaften des Bungee-Seils zu. Aus den Daten der Filmszene ergibt sich, dass

eine Kraft von 30 Newton angewendet werden muss, um das Bungee-Seil um einen Meter zu dehnen. Dabei ist ein Newton das Maß für eine Kraft, die auf der Erde der Gewichtskraft von etwa 100 Gramm entspricht. Für Bonds ­Bungee-Seil bedeutet das, dass es sich jeweils um einen Meter weiter aus­ dehnt, wenn drei Kilogramm Gewicht zusätzlich angehängt werden. Diese Ausdehnung pro Gewichtskraft ist eine materialspezifische Konstante. Je größer das benötigte Gewicht für eine Verlän­ gerung um einen Meter ist, desto steifer ist das Seil. Um die restlichen Meter bis hinunter zu seinem Ziel zu überbrücken, nutzt Bond eine Pistole, aus der ein Seil he­ rausschießt. An der Seilspitze befindet sich ein Haken, der sich in die Beton­ decke der Staudammausbuchtung bohrt. Das so gespannte Seil wird über eine Winde in der Pistole wieder eingezogen und das Bungee-Seil damit weiter ­gedehnt, bis James Bond den Boden erreicht hat. Auf diese Art legt 007 knapp zehn Meter zurück. Hier stellt sich die Frage, ob es mög­ lich ist, eine Pistole mit einem Akku zu bauen, der stark genug ist, um das

­ ungee-Seil weit genug zu dehnen. B Bei dem hier verwendeten Seil, welches aus einem Material mit 30 Newton pro ­Meter als Ausdehnungskonstante ge­ fertigt ist, müsste der Akku dafür eine ­Gesamtenergie von knapp 23.500 Joule liefern. In einem herkömmlichen Lithium-­Io­nen-Akkumulator, der ein Kilogramm wiegt, können etwa 140.000 Joule an elektrischer Energie gespeichert werden. Die benötigte ­Gesamtenergie könnte also im Prinzip völlig problem­los zur Verfügung gestellt werden. Allerdings muss die gesamte Energie von 23.500 Joule in den elf ­Sekunden verfügbar sein, die James Bond benötigt, um sich nach unten zu ziehen. Dies erfordert einen Elektro­ motor mit einer Leistung von etwa 2.000 Watt, was schon recht beträcht­ lich ist. Dies und die Tatsache, dass die Leistung von 2.000 Watt aus einem kleinen Akku über elf Sekunden heraus­ geholt werden muss, erfordern mit ­Sicherheit einige Spezialanfertigungen aus dem Hause Q. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Piper Verlags.


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Alles, was

einem liegt Eva Menasse über Kraft und Masse, Morgenmuffel und Mittagsschläfer, Reiswein und die Lust am Weitermachen

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ede Zeit hat ihre Goldenen Kälber. Derzeit beten wir die Transparenz an, die direkte Demokratie und die online gestellte Authentizität; Diskretion und Geheimnis hingegen sind eher verpönt, ebenso Menschen, die von dem, was sie tun, wirklich etwas verstehen und von denen wir uns deshalb die eine oder andere komplizierte Entscheidung freudig abnehmen lassen sollten. Auch der Antrieb steht als Dauerbrenner auf der Liste des Populären. Illustrierte bieten uns auf den Titelseiten ihre Rezepte für mehr Antrieb, etwa zum Abnehmen, an, alles beglaubigt von einem Berufsstand, den man vor hundert Jahren noch folgenlos ent­ behren konnte: dem Motivationsforscher. Alle Welt scheint zu befürchten, zu wenig Antrieb zu haben, beziehungsweise hofft, sich mehr davon aneignen zu können. Aber das ist ein fatales Missverständnis. Antrieb allein ist sinnlos und existiert gar nicht. Ein Mensch, der immer mehr Antrieb in sich sammelte, wäre das Äquivalent zur Immo­ bilienblase. Irgendwann platzt sie (oder er), und dann fliegen einem wertlose Fetzen um die Ohren. Überdies ist nicht jeder Antrieb gut (krimi­nelle Energie ist auch ein Antrieb, ebenso wie Gier oder Eitelkeit), und nicht jeder geht in die gewünschte Richtung, also nach vorne, los – wie jeder weiß, der schon ­einmal eine Panzerfaust bedient hat: Bevor man sie abfeuert, sollte man sich tunlichst noch einmal umgedreht und den eigenen Rückraum analysiert haben. Denn was so viel Antrieb nach vorn hat wie diese kleine Rakete, macht hintenraus einen gewaltigen Feuerstoß, der einem die Nachhut abfackeln könnte. Auch das Physikbuch bestätigt: Es gibt keinen Antrieb ohne Abtrieb. Die Kraft, die erzeugt wird, wird in derselben Maschine auch wieder verbraucht – und zwar meist sofort. Man tritt in die Pedale, das Fahrrad bewegt sich. Der Kraftstoff verbrennt, der L ­ astwagen rollt, das Flugzeug beschleunigt. Und so weiter. Es handelt sich also um ein ­ste­tiges Auf und Ab, ein Erzeugen und Verbrauchen, im gleich­mäßigen Kreislauf. Die Summe aller Energie bleibt immer gleich – das bläute uns gelangweilt unsere Physik­ lehrerin ein, eine immens dicke Person mit hennaroten ­Zottelhaaren. Inzwischen würde ich ihr privat noch eine Langhalslaute und Räucherstäbchen ­andichten. Und ich habe mich schon damals – physikalisch vermutlich unkorrekt – gefragt, wo dann eigentlich die Kilos fehlten, die sie beständig zunahm. Sinnvoll ist es, zwischen äußerem und innerem Antrieb zu unterscheiden. Denn es gehört ja auch ein gewisser Antrieb dazu, sich etwa als Morgenmuffel jeden Tag ­pünktlich in ein verhasstes Großraumbüro zu schleppen. Der es dennoch tut, ist wahr­


alles, was einem liegt 53

Eva Menasse wurde 1970 in Wien geboren. Nach dem Studium der Germanistik und Geschichte arbeitete sie ­zunächst als Redakteurin u. a. für das Wiener Nachrichten­ magazin Profil, später für das Feuilleton der Frankfurter ­Allgemeinen Zeitung. Sie lebt seit 2003 als Publizistin und freie Schriftstellerin in Berlin, im letzten Jahr war sie ­ uletzt erschienen ­Stipendiatin der Villa Massimo in Rom. Z von ihr der Roman Quasikristalle und die Essaysammlung Lieber aufgeregt als abgeklärt bei Kiepenheuer & Witsch.

scheinlich froh, zumindest seine Frau und deren Sittich nicht den ganzen Tag sehen zu müssen. Bestimmt braucht er auch das Geld und hätte andernfalls Angst vor der ­Pfändung. Oder vor dem bedrohlich unausgefüllten Tag. Oder hat er zu wenig Mut, sich einen besseren Job und eine glücklichere Beziehung zu suchen? Ist Mut dasselbe wie Antrieb? Oder Ehrgeiz? Ich glaube nicht. Dieser ­Antrieb ist weniger wert. Er ist die energetische Min­ desteinheit des menschlichen Überlebens – jeder möge selbst entscheiden, ob er das positiv oder ne­ gativ bewertet. Auch Oblomow, der König der Faul­ pelze in der Weltliteratur, der erst so reich ist, dass er seinen Tag kunstvoll um Zentrum und Höhepunkt in Form seines Mittagsschlafes arrangieren kann, muss am Ende elend sterben, weil so viel Verantwortungslosigkeit nicht sein darf. Sein Gut und seine Frau hat ein anderer übernommen, durchaus einer, der es gut mit ihm mein­ te. Oblomow aber ist sogar zum Überleben zu faul. Äußerer Antrieb wäre demnach alles, was wir tun, weil wir es müssen oder weil wir damit etwas noch Unangenehmeres verhindern. Denn Antrieb richtet sich eben nicht nur auf die begehrten Dinge oder Tätigkeiten, manchmal treibt er uns bloß von der noch schlechteren Variante weg. Daraus ergibt sich logisch, dass der allerorten so heiß begehrte Antrieb der andere, der innere, sein muss. Doch auch das ist verzwickt: Sich endlich dazu aufraffen, was gut für einen wäre? Sich endlich die Zeit dafür nehmen, was man sich immer schon gewünscht hat? Und wieso sollte das eigentlich so schwer sein? Umgekehrt: Da man es nicht tut, da man es schon so lange nicht mehr schafft, laufen zu gehen oder in die ­Fortbildung, sein Englisch aufzufrischen oder sein Klavierspiel – könnte das bedeuten, dass es gar nicht so wichtig ist? Dass es nur ein weiterer Druck ist, den wir uns machen? Ich möchte behaupten: Man kann sich problemlos zu allem antreiben, was einem liegt. Der Antrieb ist keine neutrale Kraft, deren Schalter man nicht mehr findet. ­Antrieb zu haben, heißt ganz einfach, den richtigen Platz im Leben gefunden zu haben, die richtige Aufgabe. Dann läuft die Sache eigentlich von selbst. Und genau dieser innere Antrieb kann dann – herrliches existentielles Paradox – wiederum von außen kommen. Jedes Schulkind kennt die Geschichte: Newton hält ein Schläfchen unter einem Baum, als ihm ein Apfel auf den Kopf fällt. Warum fällt der

»Antrieb zu haben, heißt ganz einfach, den richtigen Platz im Leben gefunden zu haben, die richtige ­Aufgabe.«


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Apfel herunter, aber nicht der Mond?, überlegte der solchermaßen geweckte Natur­ forscher und entdeckte auf diese Weise die Gravitation – nicht gerade im Schlaf, aber durch diesen Apfel-Ansporn von außen. Jedenfalls nicht durch eigenen Antrieb. Das ist wahrscheinlich Antrieb in seiner schönsten Form: Etwas widerfährt uns, ohne dass wir uns darum bemüht haben, und gibt uns eine Frage auf, die uns nicht mehr loslässt. Das, womit wir uns unbedingt beschäftigen wollen, was uns Lust, zu denken oder zu arbeiten, macht, hat uns gefunden. Und nicht wir es. Der Antrieb, von dem die Motivati­ onsforscher sprechen, scheint mir etwas ­Genormtes zu sein, Teil der kapitalis­ tischen Stressmaschinerie. Im Grunde geht es doch um Lebenslust, die Lust, seine Arbeit so gut wie möglich zu ma­ chen, Kinder zu haben oder eben keine zu haben, Sprachen zu lernen, zu reisen oder von zu ­Hause aus zu versuchen, die Welt zu begreifen. Es geht um die Lust, das zu tun, wozu man Lust hat, und den Alltagsrest als notwendiges Übel wegzustecken. Und diese beiden Komponenten sollten sich in einem ausgewogenen Verhältnis befinden. Der Wiener Philosoph Robert Pfaller beschreibt in seinem Buch Wofür es sich zu leben lohnt den aufreibenden Alltag eines primitiven Stammes, irgendwo am Ende der Welt, sagen wir einfach, in Papua-Neuguinea. Die Männer schnitzen in monate­ langer Arbeit, mithilfe von geschärften Steinklingen, Pfeilspitzen. Sobald sie genug Pfeile geschnitzt haben, robben sie wochenlang durch den Dschungel, auf der Suche nach einem großen Beutetier. Wenn sie eines gefunden haben, schießen sie ihre primitiven Pfeile massenhaft auf die Beute, bis sie endlich verblutet. Oft müssen sie dem verletzten Tier noch kilometerweit auf seiner Blutspur folgen; aber wenn es tot ist, müssen sie es, die nächste fast übermenschliche Arbeit, kilometer­weit nach Hause schleppen. Dort arbeitet das ganze Dorf daran, es zu häuten, auszunehmen, zu grillen, zu essen. Es folgt ein gigantisches Fest, befeuert vom Reiswein, der ­ebenso primitiv selbst gemacht ist wie die Pfeilspitzen. Das ganze Dorf trinkt sich bewusstlos. Die Dorfbewohner liegen tagelang lallend und handlungsunfähig am verglommenen Feuer, die blank genagten Rippen des Tieres vermutlich um sie ­verstreut wie bei Obelix, wenn er ein Wildschwein eingefräst hat. Sie sind jetzt buch­ stäblich krank, unsere Dorfbewohner, sie haben sich mit dem Fest und dem Reis­ wein fast vernichtet. Aber nur dann, nach dieser Orgie in Trunkenheit und Nebel, nach den höllischen Schmerzen des Katers und letztlich nur deswegen sind sie über­ haupt in der Lage, wieder von vorne anzufangen mit ihrem elenden Geschäft: Pfeile schnitzen, durch den Dschungel robben, immer auf der Jagd nach dem größten, fettesten Beutetier. Und daher, angesichts dieser tapferen Urzeitmenschen, glaube ich, dass wir den Antrieb getrost den Technikern und Konstrukteuren von Kraftfahrzeugen überlassen sollten. Dort gehört er hin, die verbessern ihn, dort nützt er uns am meisten.

»Es geht um die Lust, das zu tun, wozu man Lust hat, und den ­Alltagsrest als notwendiges Übel wegzustecken.«


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Kurt Pichler, Key Account, International Sales, GW Wels

Seit über 25 Jahren im Job ist die Aussicht auf Erfolg meine Triebkraft, ­besonders in scheinbar ausweglosen Situationen – ganz nach der Devise: »Sir, we’re surrounded! – Excellent, now we can attack in any direction!«. Denn wenn Nebel die Sicht trübt, muss man auf einen Berg steigen, um bis zum Horizont blicken zu können. Im Hinblick auf Konsequenz nehme ich mir ein Beispiel an meinem Kater: Der sitzt stundenlang vor einem Loch, bis sich endlich doch etwas bewegt. Und wenn gar nichts mehr geht, hilft ein Blick auf die letzten Urlaubfotos vom Meer oder eine Runde auf dem Motorrad – das macht Kopf und Blick wieder frei. Denn wie gut oder schlecht eine ­Situation auch sein mag, sie wird sich ändern.

Wie man dem Schweinehund ein Schnippchen schlägt: GW-Mitarbeiter über Motivation und Überwindung Sicher, bisweilen läuft alles wie von allein, und es ist ein Leichtes, ­einfach mitzulaufen. Dann aber gibt es immer wieder auch Momente, wo das Vorankommen schwergängig ist. Wohl dem, der dann eine passende Strategie parat hat. Wir haben nachgefragt.

Mihaela Boboc, Warehouse Manager, GW Singapur

Bereits als Kind brachte mir mein Vater bei, dass es kein »Ich kann nicht« gibt, nur ein »Ich will nicht«. Diese Worte haben mir immer geholfen, meinen inneren Schweinehund zu besiegen und meinen Willen zu stärken. Sie motivierten mich, weiter­ zumachen und mich privaten und beruflichen Herausforderungen und allen Hürden zu stellen. Die Belohnung dafür sind neue Erfahrungen, neue Menschen und Orte, an denen ich nie zuvor war.


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Volker Meyer, Sales Manager Marketing & Sales Air & sea, WOAC Hamburg

Motivationsprobleme habe ich so gut wie gar nicht. Ich bin viele Jahre Marathon gelaufen und kann in meiner Erinnerung auf Erlebnisse zurückgreifen, die mir beim Durchhalten helfen. In meiner Ausbildungszeit sagte mir mein Chef, ein knurriger hanseatischer Kaufmann: »Herr Meyer, wenn Sie Motivationsprobleme haben, dann besuchen Sie eine Intensivstation.« Wenn ich mir diesen Satz vor Augen führe, dann weiß ich, wie gut ich es habe. Die Haltung, dass mir Motivat­­io­ nsprobleme eigentlich gar nicht zustehen, ist meine Art der Dankbarkeit dafür.

Viriana Columbia, Procurement Manager, WR Chicago

Zuerst setze ich mir Ziele und habe Träume. Je näher ich meinen Zielen aber komme, umso größer wird die Angst vor dem Versagen. Ich überwinde sie, indem ich meine Ein­ stellung zum Scheitern ändere. Man probiert etwas aus, manches funktioniert, anderes nicht, und dann bleibt man eben bei dem, was sich bewährt hat. Es hilft, Misserfolge als »Information« zu sehen, daran die Strategie anzupassen und dann einen neuen Versuch zu starten. In der Lage zu sein, Ängste und Zweifel zu überwinden und seine Träume verwirklichen zu können, ist eine der besten Erfahrungen, die man überhaupt machen kann. Selbst in Stresssituationen noch selbstbestimmte Entscheidungen treffen zu kön­ nen, trägt zu echtem persönlichen Wachstum bei und festigt den inneren Wandel.

Karina Möllenhoff, Logistics Consultant, x|vise Maria Lanzendorf

Spontan sagte ich beim »Wings for life run« zu! Erst danach wurde mir klar, was das konkret bedeutet: Sport! Nun stehen wir da: mein innerer Schweinehund und ich. Immer wieder hoffe ich, es möge regnen, schneien, was auch immer – nur um einen guten Grund zu haben, das Sofa nicht verlassen zu müssen. Aber wir haben einen genauen Plan geschmiedet – und jetzt läuft es. Die frische Luft, der pure Stolz, mich aufgerafft zu haben, und das Ziel, im Mai nicht als erster x|vise Mitarbeiter die Segel zu streichen, treiben mich an!

Tomáš Čarný, Controlling, GW Senec

Es kommt vor, dass meine Motivation sich verdunkelt und ich mein Ziel nicht mehr erkennen kann, auch wenn es bereits in greifbarer Nähe liegt. Es ist aber wichtig, auch dann an ein Ziel zu glauben, wenn es sich in der Dunkelheit verbirgt und man vielleicht einen Schritt ins Ungewisse machen muss. Und wenn man erst einige Zeit in der Dunkelheit verbracht hat, beginnt irgend­ wann wieder ein neuer Tag, und man erkennt den Traum plötzlich wieder, wie er im Licht des anbrechendes Tages funkelt.


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text:  Malte Lehming

D

er Neid hat keinen guten Ruf. Er ist eine von sieben Todsünden. Er schmeckt bitter, zersetzt die Seele, macht miss­ trauisch und klein. Keiner gibt zu, neidisch zu sein. Und doch lässt sich kaum eine soziale Bewegung denken, die ganz ohne den Neidfaktor aus­ gekommen wäre.

Sie haben die Wahl. Ihr Chef bietet Ihnen 1.000 Euro monatlich mehr ­Gehalt, allerdings würden alle Ihre ­Kollegen 2.000 Euro mehr bekommen. Oder aber die gesamte Belegschaft ­erhält 500 Euro mehr. Die Entscheidung fällt nicht leicht. Im ersten Fall hätten Sie 500 Euro mehr als im zweiten – wäre da nur nicht die Sache mit der Ungerechtigkeit. Ihnen ginge es zwar deutlich besser, den ande­ ren aber noch viel besser. Kein Wunder, dass die Mehrheit in der Regel für die

zweite Option votiert. Für die Stärkung des Gerechtigkeitsgefühls ist der Ein­ zelne zum Verzicht bereit. Wer freilich frei ist von jeder Art Neid, nimmt fröhlich die 1.000 Euro und freut sich über den Zuverdienst. Was die anderen haben, ist ihm egal. Er zieht sein Glück nicht aus dem Vergleich, sondern aus sich selbst. Kain erschlug seinen Bruder Abel, weil er glaubte, dass Gott diesen bevorzugt. Soll das das ­Vorbild sein?


58 ein (kleines) lob des neides

Der Neid hat keinen guten Ruf. Er ist eine von sieben Todsünden. Er schmeckt bitter, zersetzt die Seele, macht miss­ trauisch und klein. Keiner gibt zu, nei­ disch zu sein, und doch lässt sich kaum eine soziale Bewegung denken, die ganz ohne den Neidfaktor ausgekommen wäre. Wer nach Teilhabe und Gerechtig­ keit strebt, leidet unter Isolation und Ungerechtigkeit. Dieses Empfinden lässt sich nie trennen von dem Wunsch, dass es einem ebenso gut gehen möge wie den Privilegierten: den Reichen, den Männern, den Weißen, den Hete­ ros – von der Arbeiterbewegung über die Frauenemanzipation bis zu Bürgerrecht­ lern und homosexuellen Aktivisten. Im Unterschied zu diesen haben die Besitzstandswahrer ein starkes Interesse daran, den Neid, wahlweise Sozialneid, als gesellschaftliche Motivationskraft zu verunglimpfen. Das Schlagwort von der »Neidgesellschaft« geht um. Höhere

Vermögens- und Erbschaftssteuern? Wir dürfen doch Leistung nicht bestrafen! Verdrängt wird dabei, dass der, der ein Erbe antritt, dem Leistungsprinzip ­radikal widerspricht. Dessen Wohlstand resultiert nämlich nicht aus eigenem Tun, sondern aus Familie, Sippe, Dynas­

geldern gestützt werden mussten, Bonus­ zahlungen abkassieren, darf sich keiner über die Empörung darüber wundern. Wer Leistungsgerechtigkeit predigt, aber bei eigenem Misserfolg von seinen Mit­menschen aufgefangen werden will, betreibt ein doppeltes Spiel, dessen

»Der Neid ist ein Bruder der Demokratie.« tie. Er schöpft nicht Wert, sondern ab. Deshalb ist etwa in Amerika, wo an­ strengungsloser Reichtum verpönt ist, die Erbschaftssteuer so hoch, höher als in Deutschland. In Österreich dagegen ist sie seit 2008 abgeschafft. Verdrängt wird ebenfalls, dass jeder Multimilliardär insgeheim weiß, dass er sein Vermögen nicht allein dem Schweiße seines Angesichts verdankt. Hinzu kommen Glück, Zufall, absurde Marktgesetze. Und wenn dann noch ­Manager von Banken, die mit Steuer­

oberste Regel heißt: Immer nur zu mei­ nen Gunsten. Der Neid ist ein Bruder der Demo­ kratie. In einer Gesellschaft von ideal Gleichen wird jede Art von Ungleichheit als Verstoß gegen ein Prinzip gewertet. So schreibt der französische Evolutions­ biologe François Lelord: »In der ständi­ schen, alten Gesellschaft war der Bauer nicht neidisch auf den König oder auf den Adligen, das hat sich einfach ver­ boten, das war gar nicht denkbar, dass er da hinkommen könnte. Aber in der


in ( kleines) lob des neides 59

Demokratie, wo wir angeblich alle die gleichen Chancen haben, ist der Neid natürlich ein wichtiger Antrieb für viele Menschen.« Der Nachteil am Neid ist die vereng­ te Perspektive des Neidischen. Nach Mauerfall und Währungsunion etwa ging es den meisten Ostdeutschen ma­ teriell besser als früher. Doch weil sie sich nicht mehr mit den sozialistischen Brudervölkern verglichen, sondern mit den Schwestern und Brüdern im Wes­ ten, fühlten sie sich als Menschen zwei­ ter Klasse. Und dass global gesehen die Kluft zwischen Arm und Reich kleiner statt größer wird, weil bevölkerungs­ reiche Staaten, die einst sehr arm waren – China, Indien – anhaltend hohe Wachs­ tumsraten haben und dadurch den Abstand zu den reichen Industrienatio­ nen verringern, tröstet ebenfalls nicht. Wir messen uns an Nachbarn, Arbeits­ kollegen, Freunden. Deren neues, gro­

ßes Haus wird von dem Wissen nicht ausgeglichen, dass nur eine Minderheit der Menschen auf der Welt überhaupt ein Auto besitzt. Der zweite Nachteil am Neid, gewis­ sermaßen sein inhärentes Paradoxon, besteht darin, dass sich das Ideal des Neidischen, die große Gleichheit, nie erfüllen darf. Wenn Leistung zu keinen Vorteilen führt, wird sie überflüssig. Soziologen unterscheiden vier Formen von Neid, sie reichen von »ehrgeizig stimulierend« über »empört rechtend«, »depressiv lähmend« bis »feindselig schädigend«. Der Ehrgeiz aber braucht Stimulanzien, ohne sie verfällt der Mensch in Trägheit. Auch die ist eine der sieben Todsünden. Wer ist glücklicher – der, der alles hat, oder der, dem nichts fehlt? In dieser Kalenderspruchweisheit steckt das ­dritte und vielleicht letzte Manko des Neides, die stete Bezugnahme aufs

­ aterielle. Mein Haus, mein Auto, mein M Boot. Doch dem Unglücklichen fehlt immer etwas, und sei er noch so reich. Wer das nicht vergisst, darf ruhig manchmal neidisch sein.

Quelle: Der Tagesspiegel

Malte Lehming studierte ­ hilosophie, Deutsche Literatur P und Europäische Geschichte in Hamburg. Er leitet seit 2005 die Meinungsseite beim Tagesspiegel in Berlin. Von Ende 2000 bis 2005 war er Chef des Washing­ toner Büros der Z ­ eitung. Zum Tagesspiegel kam er 1991 als ­Redakteur für Außenpolitik – mit den Schwerpunkten Sicher­ heitspolitik, Transatlantische Beziehungen und Naher Osten. Von 1989 bis 1991 arbeitete Malte Lehming als Persön­licher Referent und Redenschreiber für den ehemaligen Bundes­ kanzler Helmut Schmidt.


60 familienseite

mit Rückstoßantrieb

Hallo, Leute! Laufen, springen, hüpfen, rollen, gleiten – es gibt viele Arten, voran­ zukommen. Aber habt ihr es schon einmal mit Düsenantrieb probiert? Wir zeigen euch, wie ihr ein Schiffchen bastelt, das sich nach dem gleichen Prinzip bewegt, mit dem auch die Qualle schwimmt und die Rakete in den Weltraum geschossen wird (siehe auch S. 30, Bionik). Sucht euch einen Erwachsenen als Helfer, probiert­ es aus, und dann gemeinsam ab damit an den nächsten Teich! Denn für die ­Badewanne ist ein Düsenantrieb fast zu schade. Folgende Materialien braucht ihr dazu: Ein Messer oder eine Säge Eine Styroporplatte (ca. 20 mal 10 mal 2 cm) oder einen anderen leich­ ten Schiffskörper

Eine Schere Paketschnur

Einen Luftballon Das Vorderteil eines Kugelschreibers (oder einen Strohhalm)

Aus der Styroporplatte schnei­ det ihr mit dem Messer oder der Säge euren Schiffskörper aus – lang und schmal, recht­ eckig oder dick und klein –, wie es euch gefällt. Wenn ihr möchtet, besorgt ihr euch noch wasserfeste Farbe und bemalt euer Boot.

Einen Bohrer


familienseite 61

Dann wird der Luftballon über die ­Hälfe des Vorderteils des Kugelschreibers oder des Strohhalms gezogen ... Es gilt: Je kleiner die Öffnung, desto länger dauert der Rückstoß.

... und mit der Paket­ schnur fest umwickelt und festgezurrt. Das ist die Düse für euer Boot.

Als Nächstes wird die Düse mit dem Luftballon so auf der Bootsplatte ­montiert, dass die Düse ein bisschen über den Rand des Schiffskörpers ­hinausragt, damit der Luftballon aufgeblasen werden kann. Am besten­ macht ihr mit dem Bohrer zwei ­ Löcher in euer Boot und zurrt die Düse fest mit der Schnur an den Körper eures­Bootes. Achtet darauf, dass die ­Öffnung des Luft­ballons in die entgegen­gesetzte Richtung zeigt, in die euer Boot fahren soll.

Jetzt kann euer Boot losfahren – ihr müsst den Luftballon aufblasen, die Öffnung mit dem Finger verschließen, euer Boot ins Wasser setzen und dann die Düse öffnen. Probiert doch mal aus, was passiert, wenn ihr weniger oder mehr Luft in den Ballon pustet. Und wenn ihr die Düse ein wenig seitlich dreht, wird sich euer Boot auch im Kreis ­drehen.

Wichtig ist, Luftball dass zwischen schreib on und dem K dem ent weic er vorderteil ke ugel­ he ine Überga n kann – ihr k Luft önnt de ng zwisc n he und Kug elschre n Luftballon ib mit eine m Stück erhülse auch Kle abdicht bes­ treifen en.


62 ATLAS


ATLAS 63


64 skateistan

text:  Susanne Schick

I

n leuchtend bunten Kleidern, manche mit Schutzhelm und Schonern stehen sie auf alten Skateboards – Mädchen und Jungen aus verschiedenen ethnischen und sozialen Schichten, Straßenkinder, Mädchen und Jungen aus der ­Nachbarschaft. Afghanistans erster Skatepark steht mitten in Kabul, in einem Land, dessen Sprache kein eigenes Wort hat für das Sportgerät mit den vier Rädern. Und bis vor wenigen Jahren wusste hier noch so gut wie keiner, was man damit alles anstellen kann.

»  Afghanische Mädchen dürfen nicht Fahrrad fahren, aber sie können skaten.« Afghanistans Bewohner sind jung, über 50 Prozent der Bevöl­ kerung sind jünger als 17 Jahre. Auf dem Gender-InequalityIndex, der die Chancengleichheit von Männern und Frauen bewertet, steht das Land auf Platz 169 von 187 Ländern. Für viele Kinder und Jugendliche ist Sport als Freizeitbeschäf­ tigung keine Selbstverständlichkeit. An den Schulen gibt es meist keine Spielplätze, und Mädchen war es lange Zeit ­ver­boten, in der Öffentlichkeit Sport zu treiben. Selbst nach dem Rückzug der Taliban gibt es kaum Bewegungsangebote für Mädchen, Sport treibende Frauen gehören zur Ausnahme. Aus Angst vor Bedrohung und Beleidigungen fahren viele nicht einmal Fahrrad.

Für die Mädchen bedeutet das Skaten Freiheit: Weil der Sport noch neu ist, gibt es wenige Regeln, und sie erobern sich ihre Freiräume. Trotzdem muss das Team von Skateistan oft viele ­Gespräche mit den Eltern führen, bis die ihren Kindern erlauben, auf die Bretter zu steigen. Skatebordfahren in Afghanistan ist weniger eine Rebellion, vielmehr ist es für die Jugendlichen eine Chance, sich mit dem Rest der Welt zu verbinden.


skateistan 65


66 skateistan

Aller Anfang ist schwer: Noch müssen sich die Skate­ girls festhalten, und es erfordert Mut loszufahren. Viele der Mädchen kommen regelmäßig zum Üben in den Skatepark in Kabul, und die älteren von ihnen übernehmen Verantwortung für die neuen Schülerin­ nen. Wer auf den Brettern steht, braucht Selbst­ bewusstsein und Vertrauen in sein Können – gemein­ sam haben sie Spaß, skaten mit anderen und knüpfen Freundschaften.

Als Oliver Percovich, der Gründer von Skateistan, 2007 mit seiner damaligen Freundin und mit Skateboards im Gepäck nach Afghanistan reist, wird er von zahlreichen Kindern und Jugendlichen umringt. Alle sind neugierig. Einige wollen selbst ausprobieren, was der Australier ihnen vormacht – das war die Geburtsstunde des Vereins Skateistan, der das Skate­ boarding nach Afghanistan brachte. 2009 öffnet der erste Skatepark des Landes in Kabul – zur Verfügung gestellt vom afghanischen Nationalen Olympischen Komitee. Bis heute ist Skateboarding der einzige Sport, den Jungen und Mädchen gemeinsam ausüben dürfen. Und tatsächlich sind fast die Hälfte der Skater Mädchen, was das SkateistanTeam viel Überzeugungsarbeit bei den Eltern gekostet hat. Für die Kinder dagegen ist das Skaten meist Liebe auf den ersten Blick. Wer auf den Brettern steht, trainiert Selbstbe­ wusstsein und Vertrauen in sein Können. Ausprobieren schafft Gemeinschaft, die Kinder müssen sich untereinander verstän­ digen und können nur mit Umsicht und gegenseitigem Re­spekt alle gleichzeitig im Skatepark fahren. Die große Halle ist für viele ein Zuhause geworden, hier haben Sie Spaß und knüpfen Freundschaften. Alle Kinder kommen zum Skateboardfahren – und einige bleiben, um zu lernen. Neben dem Sportprogramm bietet der Verein auch Bildungsprogramme und Workshops an und be­ müht sich, Kinder, die häufig schon früh Geld für die Familien verdienen müssen, zurück in die Schulen zu bringen. Vor allem die Mädchen werden gestärkt, sie können selbst ein Kurs­ programm für Jüngere anbieten und werden so zu Vorbildern. In diesem Sinne: Keep Skateistan rolling! Go, girls! Wenn Sie den Verein unterstützen wollen: de.skateistan.org  / spenden

Susanne Schick, geboren 1980, ist Kulturwissen­ schaftlerin und Redakteurin des ATLAS .


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68 DIE WELT ORANGE

Gehüpft

geflogen

Dank seiner auffallend langen Hinterbeine ist der nur 6 bis 9 cm große Springfrosch in der Lage, bis zu 2 Meter weit zu hüpfen. Dies entspricht dem etwa 33-Fachen seiner Kör­­perlänge. Der mensch­liche Weltrekordler schafft eine Weite, die dem 5-Fachen seiner Körperlänge entspricht.

Die Fluggesellschaft Emirates bietet neuerdings den längsten Nonstop-Flug der Welt an. Für die Distanz von 13.821 Kilometern zwischen Dubai und Panama-Stadt braucht Emirates 17 Stunden und 35 Minuten und übertrifft damit die australische Airline Qantas, die in knapp 17 Stunden von Dallas nach Sydney fliegt.

Litauen Dank einer Kooperation mit der Litauischen Staatsbahn werden Frachttransporte vom Bosporus zur Ostsee und umgekehrt nun auch auf die Schiene umgeschlagen. Damit wird den Kunden eine multimodale, emissionsarme und schnelle Transport­alternative zum Seetrans­ port via Mittelmeer-Atlantik-Route zwischen Istanbul, der Ukraine und den baltischen Staaten angeboten.

Österreich Ein neues Terminal bietet in Hall eine Lager- und Umschlagsfläche von 1.000 Quadratmetern und Platz für 5.000 Paletten. Damit ist der Standort nun 130.000 Quadrat­ meter groß. Ausgestattet mit modernen Kameraanlagen, einer energieeffizienten Beleuchtung und thermischer Grundwasserheizung, erfüllt er die höchsten Standards an Sicherheit, Technik und Ökologie.

Kasachstan Anfang März hat Gebrüder Weiss die beiden Zweigniederlassungen der Spedition Brockmüller in Almaty / Kasachstan übernommen und stärkt damit das eigene Netz­ werk in Zentralasien. Die zwölf Mit­ arbeiter am kasachischen Stand­ort verfügen über mehrjährige Er­fah­ rung im nationalen und inter­na­ tionalen Projektgeschäft sowie mit regionalen Stückguttransporten – speziell im Bereich Automotive.

Serbien Nach einjähriger Umbauphase wurde ein neues Logistikzentrum in Dobanovci bei Belgrad eröffnet. Rund 8 Mio. Euro wurden in die ­Modernisierung und den Ausbau des bestehenden Terminals investiert. Dadurch stehen nun 9.000 Quadratmeter mehr an Lagerfläche zur Verfügung – ins­ gesamt 15.000 Quadratmeter. In den nächsten Jahren sollen dort 100 neue Mitarbeiter eingestellt werden.


DIE WELT ORANGE  69

gebaut

gesprungen

Noch immer ist der Burj Khalifa in Dubai mit 830 Metern das höchste Ding, das der Mensch je gebaut hat. Und nicht nur das, sondern zugleich auch das Gebäude mit den meisten Stockwerken, mit den schnellsten Aufzügen, mit dem höchsten Restaurant und dem höchsten Nachtclub der Welt.

Seit 1991 schon hält der US -amerikanische Leichtathlet Michael Anthony »Mike« Powell den Weltrekord im Weitsprung. Bei der WM in Tokio übertraf Powell mit 8,95 Metern die bis dahin 2­ 3 Jahre lang gültige Bestmarke seines Lands­mannes Bob Beamon von 8,90 Metern.

VAE Mit 150 Gästen wurde in Dubai eine 5.300 Quadratmeter große neue Halle mit 8.000 Paletten­ plätzen, klimatisierten Flächen, modernstem Hochregallager und eben­solcher Logistik-IT eröffnet – eine Investition von mehr als fünf Millionen Euro auf 10.000 Quadrat­metern Grund, erbaut in nur acht Monaten. 40 Mitarbeiter aus zehn Ländern nehmen hier ihre Arbeit auf. (siehe auch S. 24)

Kuwait Die auf Sondertransporte spezialisierte GW-Projektabtei­ lung organisierte den Transport einer Galvanisierungsanlage inklusive Zubehör – darunter ein 45 Tonnen schwerer Kessel – nach Kuwait. Bis zu 14,10 Meter lange und 3,20 Meter hohe Becken wurden zunächst per Straßen­ sondertransport vom Werk in Wies nach Bremerhaven trans­por­ tiert und von dort in zwei Lots verschifft.

China Von Xingang aus übernahm GW den Transport einer kompletten Bohranlage ins ungarische Nagykanizsa. Die größten Teile davon brachten ein Gewicht von 21 bzw. 35 Tonnen auf die Waage, bei einer Länge von durchschnitt­ lich 17 bis 21 Metern. Nach zwei­ monatiger Reise auf See traf die Fracht in Koper, Slowenien, ein, wo sie auf rund ein Dutzend Lkw umgeladen wurde.

Singapur Mit der Eröffnung eines Standorts in Singapur hat Gebrüder Weiss im Bereich Logistiklösungen eine Lücke in Asien geschlossen. Das neue Terminal umfasst eine Fläche von 10.000 Quadratmetern und liegt in unmittelbarer Nähe zum Hafen. Dadurch ergibt sich eine ideale An­bindung an die umliegen­ den südostasiatischen Länder sowie nach Australien und Neuseeland.


Auf den Eindruck kommt es an – Bescheidenheit ist optional


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»  I’m CEO, Bitch!« HARALD MARTENSTEIN über oben, unten, mitte –

und die Kunst der Selbstinszenierung

W

ie inszeniert man sich im Beruf, wie kann man das machen? Dazu gibt es eine eigene Disziplin in der Sozialpsychologie, sie heißt »Impression Mana­ge­ ment« und wurde 1955 von Erving Goffman begründet. ­ Zuerst muss man sich beim Impression Management fragen, welches Ziel man verfolgt und wo man steht. Da gibt es vier Möglichkeiten. Erstens, man will Karriere machen und oben ankommen. Zweitens, man will langfristig den Status verteidi­ gen, den man hat. Drittens, es gibt eine Krise und man will sich retten. Die vierte Ausgangsposition ist ein bisschen unan­ genehm, es gibt nämlich nichts mehr zu retten und man steht vor allen als kompletter Versager da. Beim Aufstieg soll man, laut Goffman, den wichtigen ­Leuten schmeicheln, die üblichen Meinungen teilen, kompe­ tent und integer wirken, sich mit der wichtigsten Gruppe im Betrieb identifizieren und auf diejenigen schimpfen, die ­unbeliebt oder lästig sind. Das hat mich nicht überrascht. Aber es müssen noch zwei Dinge hinzukommen. Man sollte nett wirken, also nicht arrogant oder schleimig, und man sollte hin und wieder hilfsbedürftig oder verwirrt erscheinen, dann ­kriegen die anderen nicht zu viel Angst. Gleichzeitig muss man die Gabe besitzen, andere im richtigen Moment ein­ schüchtern zu können–, wenn die anderen nämlich überhaupt keine Angst haben, wäre das auch nicht gut. Wer das alles draufhat, macht garantiert Karriere, egal wo, egal mit welcher Qualifikation. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Impression Management, wie gesagt. Wer es nach oben geschafft hat und nicht abstürzen will, muss beim Impression Management nicht ganz so viele Bälle

gleichzeitig in der Luft halten. Aber auch in dieser Situation kommt es darauf an, Widersprüchliches miteinander zu ver­ binden. Einerseits muss man weiterhin kompetent wirken und sympathisch, das hat man ja bereits drauf. Dazu sollte man eine gewisse Vertrauenswürdigkeit ausstrahlen, sie dürfen einen nicht für einen Lügner oder eine Klapperschlange halten. Man muss in der Lage sein, sich – bitte kontrolliert! – anderen gegenüber zu öffnen. Wer hat keine Probleme? Dann schmel­ zen alle dahin. Trotzdem sollte man auf Statussymbole nicht verzichten, sonst werden sie übermütig. Sie werden dich lieben und respektieren, da sollen sie hin, und da sind sie jetzt auch. Nun kommt die Krise. Etwas ist furchtbar schiefgegangen. Es ist wichtig, zumindest einige darüber relativ offen und ­relativ früh zu informieren. Du darfst auf keinen Fall allein drinstecken. Gibt es die Möglichkeit, sich herauszuwinden und die Verantwortung anderen zuzuschieben? Das musst du früh vorbereiten, und zwar, solange sie dich noch lieben und respektieren. Rechtfertigungen sind okay, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Verpasse nie den Moment, in dem du noch mit einer Entschuldigung für deinen Fehler Sympathien gewinnen und Eindruck schinden kannst. Nun ist alles zu spät, alles kaputt. Du musst jetzt hilflos und verzweifelt wirken, egal wie hoch die Abfindung ist. Der letzte Ausweg besteht darin, dass du über deine Drogensucht sprichst oder über eine Geisteskrankheit, die dich gepackt hat. Etwas war stärker als du. Auf diese Weise bleibt ein Rest deiner früheren Inszenierung erhalten, und du bekommst eine zweite Chance. Das Impression Management hat mir eingeleuchtet, bis ich im Netz eine alte Visitenkarte von Mark Zuckerberg gesehen habe, dem Facebook-Chef. Auf der Visitenkarte stand: »Mark Zuckerberg. Facebook. I’m CEO , Bitch!« Es gibt also noch andere Stile der erfolgreichen Selbstinszenierung.

Harald Martenstein ist Autor der Kolumne ­»Martenstein« im Z ­ EIT magazin und Redakteur beim Berliner ­Tagesspiegel. ­Zuletzt ist von ihm ­erschienen Nettsein ist auch keine Lösung: Einfache Geschichten aus einem schwierigen Land.


Der nächste ATLAS : Orientierung

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menschliche antriebswelle das auto fährt von wien nach kiel genauso das motorrad der antrieb hält den mensch mobil egal, was er so vorhat er sitzt in eingeweiden der maschinen und motoren jedoch, man fragt: wo kommt er her? woraus ist er geboren? die antwort: hinterm apparat steckt menschliche destille ein antrieb ist das resultat aus wunsch, know-how und wille die technik wird – ich kann’s! ich bau’s! – durch menschen angetrieben und deren antrieb speist sich aus den dingen, die sie lieben

INGO NEUMAYER schreibt Gedichte und unterhält den Blog Zwölf Zeilen zur Zeit (www.zwoelfzeilen.com). Er lebt in Köln.


Der sechste ATLAS mit Nachrichten, Kolumnen, Interviews, vielen Bildern und der Lust, die Welt zu bewegen.


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