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Hanf im marokkanischen hohen Zentralen RIF
von Monika Brümmer Architektin, Genossenschaft Adrar Nouh (Marokko)
Wiederentdeckung und Fortsetzung traditioneller Nutzungen für eine sozioökonomische Wende
Die Genossenschaft Adrar Nouh im Hohen Zentralen Rif Marokko’s arbeitet an innovativen Lösungen für die Renovierung von traditionellen Gebäuden, basierend auf verfügbaren Baustoffen aus der Natur und Agrarabfällen. Unter diesen Materialien ist der "Beldiya" Hanf, vielen durch die Produktion von Cannabisharz bekannt. Diese Aktivität hat nicht nur einen unverhältnismäßig wichtigen Platz in der örtlichen Wirtschaft eingenommen, sondern auch die Hanfbauern von internationalen, kriminellen Netzwerken abhängig gemacht. Die Wertschätzungen anderer Abschnitte dieser Sorte könnte helfen dieser “Falle“ zu entkommen.
Das Hohe Zentrale Rif Marokko’s hat zwei Gesichter. Es ist sowohl ein Ort der Cannabisproduktion, als auch eine abgelegene und schwer erschließbare ländliche Region, weit am Rande der Entwicklung verglichen mit anderen ländlichen Regionen Marokko‘s.
Hanf wird seit dem Hohen Mittelalter dort angebaut. Die Pflanze hat sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelt und dem einzigartigen Mikroklima der Region angepasst, das sich durch dichte, vom Mittelmeer aufsteigende jodhaltige Nebel auszeichnet. „Beldiya“ Hanf hat eine Cannabis sativa Morphologie. Seine Abweichung vom über die Seidenstraße in Nord Afrika eingeführten Cannabis indica erklären diverse Autoren durch eine Kreuzung mit dem eurasischen Cannabis sativa während des muslimischen Al-Andalus auf der gegenüberliegenden Seite der Meerenge von Gibraltar (Spanien).
Hanf wurde in der traditionellen islamischen Medizin seit dem achten Jahrhundert dank wissenschaftlicher Erkenntnisse während des Abbasiden-Kalifats angewendet und auch für die Herstellung von Papier genutzt. Im 11. Jahrhundert gab es bereits über 100 Papiermühlen in Fez, die Hanfpapier aus Altkleidung herstellten, eine Technik die während der Schlacht von Samarkand von den Chinesen übernommen wurde. Diese Herstellungstechnik wurde in Europa zum ersten Mal mit der Ankunft der Almoraviden in Al-Andalus, in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts eingeführt. Die erste Papiermühle stand in der spanischen Stadt Xativa, und daher der Name „shatibi“, unter dem das Papier in die gesamte Mittelmeerregion exportiert wurde. Dies hat zur Verbreitung von Wissen enorm beigetragen. Unter den Truppen von Yusuf ibn Tašufin, die von den Taifas des Al-Andalus veranlasst wurden die Gebiete des islamischen Westens zu verteidigen, waren Mitglieder des Berberstammes Sanhaja Srayr, der sich im Hohen Zentralen Rif im neunten Jahrhundert niederließ und zwar genau in der Region, die in Marokko als historisches Hanfanbaugebiet bekannt ist. Noch heute wird dort dieselbe traditionelle und universelle Hanfsorte angebaut.
Während der "Kif" genannte Hanf in dieser Gegend bis zur Unabhängigkeit des Landes (1956) legal und kontrolliert in wenigen ausgewählten Kabylen angebaut wurde, darunter Ketama als die Bekannteste, wurden seine bescheidenen psychotropen Eigenschaften nie als ein Nachteil angesehen. Aber die Verabschiedung internationaler Gesetze und Marokko‘s Beitritt zum Einheitsübereinkommens der Vereinten Nationen über Suchtstoffe im Jahr 1961 hat dazu beigetragen, diese traditionelle Kultur und somit die Ertragsquelle der betroffenen Bauern, von heute auf morgen illegal werden zu lassen. Die nachfolgende Entfaltung einer Schattenwirtschaft für einen internationalen Markt und die Ausdehnung des Hanfanbaus seit Ende der siebziger Jahre auf leichter erschließbarerer Regionen des Rif‘s, hatte nur unerwünschte Auswirkungen auf die Entwicklung des “historischen“ Hanfanbaugebietes und hat eine Situation sozialer und politischer Desintegration eingeleitet. Mit einer Korrektur weiterer historischer Fehler, die vor, während und nach der spanischen Kolonialzeit dort zahlreiche Rebellionen und Kriege verursachten, könnte heute der wertvolle kulturelle Zugewinn dieser vernachlässigten Berberregion erreicht werden.
Die Versuche der Regierung des Königreichs, die seit dem Jahr 2000 angegangen wurden, um die Defizite zu beheben, haben keine befriedigenden Ergebnisse erbracht, insbesondere, weil nationale und internationale Experten, die mit dem einheimischen Stamm vertraut sind, wenig zurate gezogen wurden, also diejenigen, die die Senhaja Srayr Berber und ihre Lebensweise kennen, sowie die begrenzte landwirtschaftliche Fläche (500-5.000 m2 pro Familie), die sie für eine Subsistenzlandwirtschaft zur Verfügung haben. Das Potenzial dieser Region des Rifs ist hingegen reell, sowohl landschaftlich, als auch aufgrund seiner bekannten Artenvielfalt und nicht zuletzt wegen dem interessanten kulturellen Hintergrund der heute dort ansässigen, von den Touaregs abstammenden Berber. Seine traditionelle erdbebenfeste Architektur unter Einbezug von Ringen aus Zedernholz und typischen kunsthandwerklichen Details ist ein weiterer Bestandteil seiner Attraktivität, insbesondere das Szenario für traditionelle Berber-Feste.
Und wenn der Hanf, der nach seinem Verbot zur Spezialisierung der regionalen Wirtschaft beigetragen hat, Teil einer Lösung der Probleme wäre?
Dazu gehen wir von den Behausungen aus. Das Hohe Zentrale Rif zeichnet sich durch eine einheimische Bauweise aus, die mit einer landwirtschaftlichen Weidewirtschaft verbunden ist, die auch den Waldbau und seit Jahrhunderten den Anbau von Hanf beinhaltet. Die meisten Häuser haben eine evolutionäre Architektur von ein oder zwei Stockwerken, und umschließen einen zentralen Innenhof. Im Einklang mit der Topografie sind die Wohnräume der Gebäude, die oft Menschen und Tiere zusammen beherbergen, terrassenförmig angelegt. Diese multifunktionalen Räume passen sich dem Ablauf des tägliche Landlebens an. Die Gebäudehüllen bestehen aus natürlichen Materialien ihrer Umgebung, wie Schiefer und Quarzsandstein, sowie Lehmmörteln, die verschiedene Zwecke erfüllen. Hinzu kommen die Ressourcen von Zedernwäldern und verschiedene einheimische oder angebauten pflanzliche Materialien. Darunter ein langes Roggenstroh, das für die Dachdeckung seine Verwendung findet. In einigen Fällen bilden Bündel aus “Beldiya“ Hanf Stängeln die Brücke zwischen den horizontalen Holzbalken.
Heute wird die Sorte "Beldiya" ausschließlich wegen ihrer psychoaktiven Bestandteile angebaut, was dies zu einer unnachhaltigen Praxis macht.
Der Hanfstängel, der aus vielfach verwendbaren Fasern und einem Holzkern besteht, kann für die energetische Modernisierung der traditionellen Architektur der Hanfbauern und zur Biomasseproduktion verwendet werden.
Hanf ergibt vielporige Baustoffe, wie Hanfbeton (Hanfschäben und natürliche Bindemittel), und trägt so dazu bei den Wohnkomfort zu verbessern, ohne dabei in materialtechnischen Konflikt mit historischen Baumaterialien zu geraten. Eine energetische Sanierung, die die Hausfassaden nicht verändern soll, trägt dazu bei die Zedernwaldrodung (gefolgt von Wasserverlust und Erosion) zu begrenzen, indem der hohe Verbrauch von Holz in den kalten und verschneiten Wintermonaten reduziert wird, der momentan auf 6-14 Tonnen, pro durchschnittlicher 5-8 köpfiger Familie im Jahr, geschätzt wird. Der Verbrauch ist auf Gebäudehüllen aus örtlichen Materialien bezogen, die heute mit Blech gedeckt oder ummantelt sind und deren Bewohner mit Holz kochen und backen. Zudem gibt es Gebäude entlang der befahrbahren Hauptstraßen, die einen "modernen" sozialen Status widerspiegeln, der oft mit einer Eingliederung in die Drogenwirtschaft verbunden ist und sich von der Typologie ländlicher Häuser abzuheben versucht. Aber diese modernen Häuser sind weder von ihrem monströsen Aussehen noch von ihrem Energiehaushalt her vertretbar, welcher sich wiederum von unnachhaltigen Baustoffen ableitet.
Obwohl die Provinz von Al Hoceima, zu der auch das Hohe Zentrale Rif gehört, derzeit weniger als 10% der marokkanischen Cannabisproduktion ausmacht, reicht die Menge an landwirtschaftlichen Agrarabfällen weitgehend aus, um den Bedarf eines alternativen Plans zu decken. Unsere Initiative berücksichtigt einen erheblichen Rückgang der Anbaufläche auf nationaler Ebene aufgrund der Einführung von Cannabissorten aus moderner europäischer Genetik, die mehr Harz produzieren, aber für unsere Ziele keinen Wert haben. Dieses Phänomen hat zwar weniger Auswirkungen auf das historische Anbaugebiet, in das die Bauern als einzige klimaangepasste Sorte zum "Beldiya" Hanf verwenden, stellt aber eine starke genetische Bedrohung für diesen dar.
Wirtschaftsmodell ändern
Ein alternatives sozioökonomisches Entwicklungsmodell für die Sanhaja Srayr Berber kann durch die Wertschätzung ihres kulturellen Erbes erreicht werden, einschließlich ihrer wenig angetasteten Architektur, die in kleinen Gruppen nahe natürlicher Quellen mit ausgezeichnetem Wasser in einer bergigen Traumlandschaft verstreut ist, perfekt geeignet für Ökotourismus und um parallel ein Angebot an traditioneller Gastronomie und kunsthandwerklichen Produkten zu entwickeln. Auf diese Weise kann deren Abhängigkeit von einer informellen Wirtschaft durch neue alternative Arbeitsplätze gemildert werden. In Anbetracht der Tatsache, dass Hanf eine der vielseitigsten Nutzpflanzen ist, sind die zusätzlichen Entwicklungsmöglichkeiten unter Einbeziehung der Gesamtressource der Hanfpflanze beträchtlich.