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Hanf in der Automobilindustrie
von Christian Bödefeld
Im Dezember 1941 erschien in dem Fachmagazin „Popular Mechanics“ ein Artikel über die bahnbrechende Erfindung des Automobilherstellers Henry Ford. Darin ist zu lesen, dass Ford zu diesem Zeitpunkt bereits 12 Jahre lang an einem Automobil forschte, das zu 100% aus natürlichen Rohstoffen besteht und sogar von einem Gemisch aus Pflanzenöl angetrieben wird. Henry Ford erfand ein Auto, dessen Karosserie fast komplett aus Kunststoff auf Hanfund Sojabasis gefertigt wurde. Rudolf Diesel, Erfinder des Dieselmotors, half bei der Konstruktion des Motors, sodass das Auto mithilfe von Pflanzenölen wie Hanföl angetrieben werden konnte. Dem Artikel zufolge fertigten Ford und seine Partner das Auto aus 70% Zellulosefasern aus Weizenstroh, Hanf und Sisal sowie 30% Harzbinder. Einzig und allein der geschweißte Rahmen bestand aus Stahl. Somit wog der Wagen lediglich 900 Kilogramm und war wesentlich leichter als herkömmliche Autos der damaligen Zeit.
Weiterentwickelt wurde das „Hemp Car“ von Henry Ford nie. Grund dafür war der „Marihuana Tax Act“ aus dem Jahr 1937, der Cannabis- und Hanfprodukte mit einer hohen Steuer belegte. Hanf wurde extrem teuer und der industrielle Anbau somit unrentabel. Zu dieser Zeit kam auch die aus Erdöl gewonnene Kunstfaser Nylon auf dem Markt. Etliche Firmen der Ölindustrie und Papierhersteller unterstützten die Besteuerung des ökologischeren, günstigeren und nachhaltigeren Konkurrenten.
Während Henry Ford Landwirtschaft und Industrie miteinander verbinden und Fahrzeuge mit einer längeren Haltbarkeit und stabileren Konstruktion als herkömmliche Autos bauen wollte, ist ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen und eine ökologischere Produktion im Hinblick auf den Klimawandel dringender denn je.
Naturfasern für das Auto der Zukunft
Hanf- und Naturfasern sind wie geschaffen für die Automobilkonstruktion: Sie sind leicht, sicher und kostengünstig. In modernen Autos werden im Durchschnitt fünf bis sieben Kilogramm Naturfasern verbaut. Ersatzradmulden werden aus Bananenfasern gefertigt, Sitzlehnen bestehen zum Teil aus Flachs- Hanf- und Kokosfasern, verarbeitete Olivenkerne kommen bei der Tankentlüftung zum Einsatz und Baumwolle sowie Sisal verwendet man für Dämmplatten. Der Autohersteller Lotus fertigte sogar ganze Karosseriebauteile sowie den Spoiler des Wagens Eco Elise aus Hanffasern.
Die Vorteile der natürlichen Materialien sind eindeutig
Ein geringes Gewicht und hohe Sicherheit, denn die Teile sind sehr stabil, brechen stumpf ab und bilden keine scharfen Kanten, an denen sich Insassen bei einem Unfall verletzen könnten. Für ihren Einsatz spricht außerdem die umweltschonende Weiterverarbeitung. Das haben auch einige namhafte Autobauer erkannt und setzen zumindest zu einem Teil auf die Verwendung von Naturfasern. Bei der Produktion des Elektroautos i3 entschied sich BMW bei einem Großteil der Innenausstattung für Kenaf. Wir haben mit Daniela Bohlinger, Leiterin Nachhaltigkeit im Design bei BMW, gesprochen und wollten wissen, wo Naturfasern hauptsächlich eingesetzt werden und welche Chancen Hanf auf dem Automarkt hat.
Während Hanffasern hauptsächlich im nicht sichtbaren Bereich verbaut werden, setzt man bei BMW in Sachen Design vor allem auf Kenaf. Türträger und Abdeckung der Instrumentaltafeln des BMW i3 bestehen aus einem Kenaf-Kunststoff-Verbund, der knapp 40% leichter ist als herkömmlicher Kunststoff. Neben dem Aspekt der Nachhaltigkeit ist der Einsatz der Naturfaser im sichtbaren Bereich vor allem etwas für das Auge. Das Innenleben des i3 ist optisch anspruchsvoll und transportiert ein edles Image. Der bayerische Autobauer wagt damit die Symbiose aus nachwachsenden Rohstoffen und anspruchsvollem Design und zeigt, wie gut sich Naturfasern in der modernen Automobilindustrie einsetzen lassen.
Die Idee für den Einsatz von Naturfasern kam nicht über Nacht. Bereits vor 10 Jahren startete man bei BMW mit der Forschung am bestmöglichen Einsatz nachwachsender Rohstoffe. So konnte die CO 2-Emission bei der Produktion des i3 um 1/3 verringert werden. Nicht nur der sinnvolle Einsatz spielt in Bezug auf nachwachsende Rohstoffe eine wichtige Rolle. „Wir achten vor allem auch auf die Produktionsverhältnisse nachwachsender Rohstoffe und kurze Transportwege, um für eine nachhaltige Produktion zu sorgen“, stellt Daniela Bohlinger klar. Darüber hinaus sei man bei BMW ständig auf der Suche nach neuen Ideen und Materialien, auch Hanf spiele dabei eine Rolle, so Bohlinger weiter.
Dem Einsatz von Hanffasern im sichtbaren Bereich des Innenraumes steht man allerdings noch skeptisch gegenüber. Grund dafür ist die Belastbarkeit des Materials. Die verwendeten Materialien müssen extremen Anforderungen gerecht werden und beispielsweise starke Temperaturschwankungen ohne Schäden überstehen, heißt es vonseiten der Bayerischen Motorenwerke.
Zu erwähnen sind die deutlich geringeren Beschaffungskosten von Naturfasern, wodurch sich die Produktionskosten vor allem auf lange Sicht enorm senken lassen. Das haben auch Agrarunternehmen wie Hempflax aus den Niederlanden erkannt und sich auf den industriellen Anbau von Hanf für die Fasergewinnung spezialisiert. Die holländische Firma beliefert die Automobilindustrie mit natürlichen Hanffasern. Angesichts der riesigen deutschen Automobilindustrie, die gemessen am Umsatz, den mit Abstand bedeutendsten Wirtschaftszweig in Deutschland darstellt, gäbe es zumindest in der Theorie ein großes Anwendungsgebiet für Hanffasern, die dort zum Einsatz kommen könnten.
Freude am Kenaf
Dass Naturfasern für die Automobilindustrie immer attraktiver werden, zeigt auch das Beispiel des Stuttgarter Autobauers Mercedes-Benz. So stecken in der C-Klasse 76 Bauteile aus nachwachsenden Rohstoffen mit denselben Qualitätsansprüchen wie Teile aus Kunststoff. In der Tat kann Mercedes-Benz als Pionier in Sachen Naturfasern bei der Autoherstellung bezeichnet werden. Bei Türverkleidungen der damaligen E-Klasse (Modellreihe 210) wurde Kunststoff durch Fasermatten aus Flachs und Sisal ersetzt. Ungefähr 350 Tonnen des Tropengewächses verarbeitet der Stuttgarter Autobauer pro Jahr.
Hartmut Kovacs, Leiter der Cars-Zertifizierung, Regularien Gesamtfahrzeug & Umwelt bei Mercedes-Benz, betont den fortwährenden Einsatz von Naturfasern: „Momentan werden in allen Baureihen in den Innenverkleidungen der Türen Hanf und Kenaf eingesetzt. Im neu entwickelten Leichtbaurahmen für das Schiebedach ersetzt eine Naturfasermatte aus Hanf und Kenaf mit duroplastischen Bindemitteln den konventionellen Stahlblechrahmen“, so Kovacs. Bei Daimler blickt man beim Einsatz von Naturfasern auf eine lange Geschichte zurück und nutze sie vor allem als Ersatz für Glasfasern bei Verkleidungsbauteilen, um das Gewicht des Fahrzeugs zu reduzieren. Dass der Einsatz von Naturfasern viele Vorteile bietet, ist unbestritten. Dazu zählen unter anderem die bereits angesprochene Gewichtsreduzierung, eine nahezu neutrale CO 2 -Bilanz der Bauteile oder die Reduzierung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe. Ob man bei Daimler Hanf oder Kenaf einsetzt, hängt von den geforderten Eigenschaften des Bauteils ab. In der Regel komme aber eine Mischung aus verschiedenen Fasern zum Einsatz, betont Kovacs. Kenaf habe vor allem den Vorteil der besseren Verfügbarkeit. Das scheint auch der Grund dafür zu sein, warum nicht ausschließlich Hanf die Naturfaser der Wahl ist. Weiter erklärt man bei Daimler, dass man wegen der sehr hohen internationalen Standards und Anforderungen der Automobilindustrie nicht komplett auf Hanf setze. Experten sind von Kenaf begeistert. Die tropische Pflanze gehört zur Gattung der Malven und ist in Bangladesch, Thailand, Indien und Teilen Chinas beheimatet. Sie entwickelt bis zu vier Meter hohe Stängel, aus denen sehr leichte und zugleich überaus stabile Fasern gewonnen werden können.
Zukunftsvision Hanfauto?
Kenaf dürfte Henry Ford in den 1940er Jahren noch kein Begriff gewesen sein. Bei seinem „Hemp Car“ setzte er hauptsächlich auf Hanf. Diese Idee griff Bruce Michael Dietzen wieder auf und machte es sich zur Aufgabe, bis 2025 komplett CO 2-neutrale Fahrzeuge herzustellen. Automobil sowie Produktion sollen so umweltfreundlich und nachhaltig wie möglich sein. Die Herstellung seines Fahrzeuges ist nach eigenen Angaben CO 2-neutral. Die CO 2 -Bilanz bei der Herstellung eines herkömmlichen Autos beträgt 10 Tonnen. Den Anfang macht Dietzen, der Mann hinter der Marke Renew Sports Cars, mit drei Modellen: Canna 225, Canna 525 und Canna EV. Wie der Name vielleicht erahnen lässt, besteht im Gegensatz zu den Modellen deutscher Autobauer Karosserie und Polsterung bei allen Modellen komplett aus Hanf. Der mit Harz überzogene gewebte Hanf macht das Auto äußerst stabil und gleichzeitig leicht. Die Idee für ein Auto aus Hanf kam Dietzen bei der Recherche zum „Hemp Car“ von Henry Ford, das einen geringeren
CO 2 -Fußabdruck aufwies als herkömmliche Elektroautos heutzutage. Im Moment ist sein nachhaltiges Automobil in den USA als modifizierter Mazda Miata angemeldet, dessen Stahlgerüst die Grundlage für die Neuauflage des innovativen Modells von Ford ist. Im Inneren steckt ein Verbrennungsmotor, der sich alternativ auch mit dem Alkohol-Bio-Butanol, der aus den Überresten des Maisanbaus hergestellt wird, betreiben lässt. Aufgrund der schlechten Verfügbarkeit läuft das Auto die meiste Zeit aber mit herkömmlichen Benzin. Internationale Standards könne er damit wahrscheinlich nicht erfüllen, stellt Dietzen fest. Im Gegensatz zu Ford wurde für die Herstellung anstelle von Hanffasern gewebter Hanf verwendet, der die Karosserie noch leichter und stabiler macht. Biologisch hergestelltes Epoxidharz hält das Ganze zusammen. Den Hanf erhält Dietzen aus Rumänien und China. Die Idee von Henry Ford aus den 40er Jahren, alles erdenklich mögliche aus Pflanzenmaterialien zu fertigen, ist in Zeiten des fortschreitenden Klimawandels aktueller denn je. Mit dem nahezu CO 2-neutralen Automobil haben Renew Sports Cars bewiesen, dass eine nachhaltige Produktion durchaus möglich ist, um den Klimawandel einzudämmen. Dass für die Herstellung ausgerechnet Hanf verwendet wurde, liegt an dem unglaublich vielseitigen Einsatzgebiet der Pflanze. Schließlich produziert keine andere Pflanze der Welt Samen und andere Nebenprodukte mit einem derartig hohen medizinischen Potenzial.