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Indica & Sativa - Reif für den Beipackzettel?

von Klaus Dieter Glasmann

Jeder, der Cannabis über längeren Zeitraum gebraucht oder sich dafür näher interessiert, wer gerne Strain Reviews liest und erst recht derjenige, der anbaut und sich die Samen online bestellt, kommt an den Begriffen Indica und Sativa kaum vorbei. Jede Sorte wird heute unter Angabe ihres vermeintlichen Anteils an Indicaoder Sativa-Erbgut vorgestellt oder angeboten.

Und doch haben sich selbst viele erfahrene Cannabis Konsumenten nie intensiv mit diesen zwei Worten auseinandergesetzt, die herangezogen werden, um den vielseitigen und vielgestaltigen Hanf zu kategorisieren, vor allem nicht mit der Frage, ob den Angaben über Indica- und Sativa-Genetik irgendwelchen fundierten Erkenntnisse zugrunde liegen, oder ob sie vielleicht einfach eine gefühlte Wahrheit darstellen, die in den Jahrzehnten, in welchen kein Zugang zu besserer Erkenntnisqualität bestand, da Hanf sich nur in Grauzonen oder der Illegalität bewegen konnte, einem Mangel an Wissenschaftlichkeit entsprungen ist.

Indica-Sorten werden als gedrungener im Wuchs, dafür buschiger und kräftiger, beschrieben, ihre Blätter breiter und das grün dunkler als das der hohen, schlanken und feinblättrigen Sativa. Aber nicht nur die Gestalt soll sich unterscheiden, sondern auch die Wirkungsweisen soll den verschiedenen Sorten eigen sein. So gilt die Sativa als Muntermacher unter den Hanfpflanzen, ihr High soll zerebral und geistig sein, sie soll Konzentration und Wachsamkeit fördern, aber auch eine psychoaktive Komponente wird ihr zugeschrieben.

Die Indica hingegen soll eher müde machen, beruhigend und entspannend wirken und Sinneseindrücke verstärken. Ihr High soll körperlich sein, sie soll also das klassische „stoned“ erzeugen. Darüber hinaus soll sie entzündungshemmende und auch schmerzlindernde Eigenschaften haben.

Mittlerweile ist bekannt, dass die Differenzierung zwischen Indica und Sativa weniger eine genotypische, als eine phänotypische Unterscheidung ist. Dies bedeutet, dass die Bezeichnungen äußere Erscheinungsmerkmale beschreiben, und dass diese offensichtlichen Merkmale, die die zwei vermeintlichen Hanftypen voneinander unterscheiden, eher auf Einflüsse zurückzuführen sind, die Umstände betreffend, unter welchen die Pflanzen sich entwickelt haben oder kultiviert wurden, als auf genetische Eigenschaften. In der Regel sind diesen Hanf-Typen unterschiedliche Klimazonen zuzuordnen, so sollen Sativa-Sorten sich grundsätzlich in äquatorialen Zonen entwickelt haben, wo die konstanten Lichtbedingungen ein weiteres Wachstum in der Blütephase begünstigen und damit einen hohen Wuchs erzeugen, was sie optisch stark von der stämmigen, kleineren Indica unterscheidet, die mit dem Beginn der Blüte das Wachstum nahezu einstellt.

Mittlerweile wurde in mehreren Studien aufgezeigt, dass die Differenzierung von Cannabis in Indica und Sativa Sorten jeder wissenschaftlichen Begründung entbehrt und unter botanischen Gesichtspunkten nicht nachvollzogen werden kann. Botanisch relevant bleibt bis heute auch nur der Begriff der Sativa, nicht der der Indica.

Der Wissenschaftler Jeffrey Raber, welcher in Kalifornien ein Testlabor für medizinisches Cannabis betreibt, zweifelte den Sinn der Einteilung in Indica und

Sativa bereits seit etwa 2013 an, und ihm taten es andere in den letzten fünf Jahren gleich, so zum Beispiel Forscher der University of British Columbia, der Dalhousie University, oder jüngst der Cannabinoid-Forscher Ethan Russo.

Trotzdem halten sich die Begriffe bis heute nicht nur in den Köpfen weniger theoretisch interessierter Recreational-Cannabis-User, sondern auch die Websites der Samen Hersteller oder Foren bleiben der Begrifflichkeit treu, die ein Relikt des Schwarzmarktes ist und nie einen wirklich wissenschaftlichen Anspruch vertrat.

Da in der jüngeren Vergangenheit an vielen Orten in der Welt die Cannabis und die Cannabinoidforschung durch Änderungen gesetzlicher Bestimmungen und der Verwendung von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Gang gebracht oder gefördert wurde, besteht mehr und mehr die Notwendigkeit für genauere Bestimmungsmöglichkeiten. Es gilt nun also Jahrzehnte des Erkenntnisstillstands wettzumachen, um einem neuen, medizinisch-wissenschaftlichen Anspruch zu genügen.

Klar, demjenigen, der bereits lange Erfahrung im Umgang mit Marihuana in Straßenqualität hat, mag das nicht so viel bedeuten, weil er das ganze High für sich verwendet, und so ist für ihn zum Beispiel die Frage nach Nebenwirkungen, sollte er Cannabis verschrieben bekommen, von tendenziell eher untergeordneter Rolle, da er vermutlich die meisten Nebenwirkungen bereits kennengelernt hat. Dies hat aber nicht nur Vorteile, da eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass bei der Verordnung von Cannabisblüten für die Auswahl der richtigen Sorte nicht die maximale Sorgfalt an den Tag gelegt wird.

Um dies deutlich zu machen, stellen wir uns zum Beispiel einen Patienten vor, der im Leben nie Gebrauch von Hanf zum privaten Vergnügen gemacht hat und nun für seine chronischen Schmerzen ein Rezept erhalten soll, um Schädigungen durch zu starke Schmerzmittel oder die Abhängigkeit von Opiaten zu vermeiden. Nun haben die unterschiedlichen, in der Apotheke erhältlichen Blütenvariationen neben der gewünschten, schmerzstillenden Wirkung eventuell je nach Sorte noch eher einschläfernde, beruhigende, wach machende oder psychoaktive Wirkungskomponenten. Die alte Dame wird im Gegensatz zum Freizeitkiffer ihrem Arzt von Nebenwirkungen berichten und je nachdem, wie unangenehm diese ihr sind, die Sorte wechseln. Derjenige, der Cannabis sowieso verwendet, nimmt das High als gegeben an, betrachtet es vielleicht sogar als Teil der gewünschten Wirkung und wird sich damit arrangieren.

Vermutlich also stehen wir gerade auf einer Schwelle. Die älteren Recreational-User, die mit der alten Begrifflichkeit aufgewachsen sind und diejenigen, die sich allgemein weniger für das Wissen um die Graspflanze interessieren, werden weiter mit der Einteilung von Cannabis in Indica, Sativa und Hybridsorten der beiden umgehen, während die Wissenschaft, die Ärzte und Patienten jetzt schon in anderen Begriffen denken, auch wenn bisher lediglich möglich ist auf CBD- und THC-Werte zurückzugreifen. Es sollte zu erwarten sein, dass in der Zukunft andere Terminologien gefunden werden, die Wirkungsprofile beschreiben, vielleicht auf Grundlage von Cannabinoidprofilen oder Terpenprofilen, die für jede erhältliche medizinische Sorte bestimmt und auf den Verpackungen angegeben werden. Sollte dies geschehen, werden wahrscheinlich auch die alten Begriffe einem Generationswechsel zum Opfer fallen und bald ein Relikt der Vergangenheit sein.

Und doch kann ich diejenigen beruhigen, die sich jetzt fragen, wie sie denn nun die Sorten einteilen sollen, solange sie keine neue Terminologie zur Hand haben.

Erstens werden neue Begriffe vermutlich zunächst im medizinischen Bereich gebraucht werden und noch nicht direkt auf Recreational-Cannabis angewendet werden, da dies vermutlich zunächst noch nicht möglich sein wird bevor nicht alle Sorten ausgiebig analysiert und ihre stofflichen Profile bestimmt worden sind. Auch ist denkbar, dass neue, medizinisch verwendete Bezeichnungen nicht besonders attraktiv gestaltet werden und daher nicht gerade Marketing tauglich klingen könnten.

Und so kann natürlich die Bezeichnung von Phänotypen wie Cannabis als Indica oder Sativa auch neben exakten, genetisch fundierten Bestimmungen weiterhin Bestand haben.

Der Vollständigkeit halber sei aber erwähnt, dass die Cannabis Ruderalis, die kleine, rauschlose Hanfpflanze aus den nördlichen Regionen Chinas, Russland und Norwegen, die uns durch Kreuzungen die zahlreichen Autoflowering Sorten beschert hat, tatsächlich einen unterschiedlichen Genotypus darstellt.

Um also die Begriffe richtig zu ordnen, stellt man die Ruderalis der Gesamtheit dem botanischen Begriff Cannabis sativa gegenüber als genotypische Unterscheidung, und betrachtet die Einteilung in indica und sativa selbst eben als phänotypische Kategorien unter der Cannabis sativa.

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