MONO/d NJAHBIC Never Judge A Horse By Its Color

NJAHBIC Never Judge A Horse By Its Color 2002 Installation, Mixed Media, Einzelausstellung Kunsthalle Bern NJAHBIC war ein aus Bilderr채tseln, Mythen und Aktualit채ten gebautes Pastiche, das die Kunsthalle Bern als Readymade mit einverleibte.

Ein vielschichtiges Bedeutungsgeflecht von Objekten und Bildern involvierte und 체berforderte das Publikum gleichermassen.

Credits Veranstalter

Transport

Halsband

unterstützt von

Kunsthalle Bern Bernhard Fibicher

Paweł Proczko

Georg Traber

Fuchs Vergoldung

Hundedressur

Technik

Rita Siegfried, Bern

Georg Traber

Kalaschnikow-Training

Performance

Louis Chabloz, Villeret

Lena, Hund

Handlauf

Produktionsmanagement CZ

Rudolf Steiner sen.

Milos Pospisil

Wandmalerei

Druck

Vitragen

Vreni Spieser, Lydia Möst

Robert Łaszkiewicz, Warschau (PL)

Transporte

Jan Pruša, Klucov, Cesky Brod (CZ)

Kunsthalle Bern Kanton Aargau Kanton Bern Stadt Bern Stadt Biel / Bienne Migros Kulturprozent Stanley Thomas Johnson Stiftung Stiftung Atelier Robert, Biel / Bienne videocompany.ch Barbara Huber-Streiff Kathrin Kummer Beat Hugi + Familie

Werner Schmied & Team Metallarbeiten

Marco Eberle, Rohrbach Dermoplastik

Christian Schneiter, Viques

Traberproduktion, Rikon

subject: frühmorgensgoldenstund from: rudolf steiner <rudolf.steiner@hausamgern.ch> date: fri, 10 may 2002 06:39:09 + 0200 to: barbara meyer cesta <bmc@hausamgern.ch>

was ich dir noch sagen wollte: die thakis bzw. urpferdchen waren vor langer langer zeit in amerikas weiten öden unterwegs als ein böser winter kam und sie alle erfroren bzw. nach mongolien zum bösen tschingis kahn ausweichen mussten, der mit ihnen die halbe welt eroberte und auch ein paar exemplare in spanien vergass, von wo sie mit dem schiff und dem bösen cortes hinüber nach mexiko ruderten, um die heiden zu bekehren, aber das weisst du ja schon, das mit juan diego und der maria, die ihm in gestalt einer aztekengöttin erschien, aber da waren die pferdchen schon lange über die grüne grenze als gastarbeiter nach amerika ausgewandert, wo der eine oder andere indianer auf ihrem blossen rücken im akkord die bösen siedler abmurkste, ehe diese den sechsschüssigen colt (colt ist englisch und heisst «fohlen») erfanden und auch den stacheldraht, womit die indianer und mit ihnen die wilden pzewalskipferde, benannt nach ihrem polnischen entdecker, der sie in den weiten mongoliens als stammhalter aller wildpferde und gezähmter pferde und sowieso aller pferde erkannte, und zwar im jahre 1879, wenn ich mich nicht täusche, also zur gleichen zeit, als ein gewisser edwaerd muybridge der welt bewies, dass galoppierende pferde zu einem bestimmten zeitpunkt mit allen vieren in der luft hängen – im auftrag von leyland stanford, einem der damals reichsten männer der welt, miterbauer der eisenbahn quer durch amerika, pferdezüchter, universitätsgründer und weinbauer, der die europäischen weine übertreffen wollte, doch der grösste weinberg der welt kriegte zu warm, die ernte missriet und wurde zu brandy gebrannt, einem ausgezeichneten, wenn man den damaligen quellen trauen darf; aber eigentlich waren wir noch bei den wilden pferden in amerikas steppen, die sich an der neuerfunden stacheldrahtigen aufteilung des landes in kuhweiden die beine zerrissen, und – weil die bisons schon fast ausgerottet waren – in rauhen mengen als hunde- und katzenfutter geschossen wurden, auch als tafelfleisch für die europäer, weil amerikaner damals kaum pferdefleisch gegessen haben dürften, all die alten cowboys hätten ja lieber ihren freund aufgefressen als ihr pferd, aber eingefangen haben sie die pferde gleichwohl und massenhaft nach südafrika verschifft, wo die engländer ab 1899 einen sinnlosbrutalen krieg gegen die buren führten und die buren einen sinnlosbrutalen guerillakrieg gegen die engländer (die einheimischen werden in den quellen kaum genannt, die haben ja auch nur gelitten), auf jeden fall haben die engländer den ehemals wilden pferden, die im krieg heldenhaft abgeschlachtet wurden, ein denkmal gesetzt in port elisabeth – in diesem krieg wurde ein foto gemacht von drei australischen krankenschwestern, die in den konzentrationslagern (auch eine erfindung dieser zeit) die frauen und kinder der kämpfenden buren beim sterben an diversen seuchen begleiteten, zusammen mit einem isabellfarbenen hund (auf dem foto natürlich nur schwarz-weiss) mit zwei gegenläufigen wirbeln auf dem rücken, das erste bild des rohdesian ridgeback, einer mischung aus den hunden der hottentotten und den hunden, die die buren (also siedler aus den niederlanden) im 16. jahrhundert mitgebracht hatten, um ihrer leidenschaft, der jagd, auch in der neuen heimat zu frönen; eine mischung also, die sowohl die klimatischen extreme wegstecken konnte, den hof gegen unerwünschte eindringlinge schützte und im rudel sogar zur jagd auf löwen eingesetzt werden konnte – ist übrigens auch als familienhund sehr geeignet, in deutschland und england allerdings auf den index der kampfhunde gekommen, in tschechien habe ich eben einen dieser liebreizenden hunde kennengelernt, er gehört einem altpunk und aussteiger, der in einem dieser halbverlassenen dörfer an der österreichisch-tschechischen grenze in einer hütte wohnt, zusammen mit hund und pferd (das übrigens isabellfarben ist) und von allen nur der indianer genannt wird wegen seinem irokesenschnitt; der lag also besoffen in seinem garten und sein hund heisst atta, weil er am 11. september 2001 zur welt gekommen ist, aber das ist schon wieder eine andere geschichte, denn eigentlich wollte ich noch erzählen, dass die wilden pferde, welche nach dem burenkrieg noch übriggeblieben waren, nun massenweise nach europa verschifft wurden wegen dem 1. weltkrieg, auch stacheldraht wurde da gebraucht und die neuen maschinengewehre erst recht, und weil der krieg in den schützengräben so lang-

weilig war und so lange gedauert hat, haben einige begabte soldaten angefangen, aus papiermaché pferdekadaver zu basteln, auf dem schlachtfeld auszulegen und einen sniper reinzustecken, der konnte durch ein loch im bauch des kadavers auf die feinde schiessen – wahrhaft eine zeitgenössiche form des trojanischen pferdes, der moderne durchaus angemessen. übrigens: muybridge erschoss den liebhaber seiner frau mit einer smith & wesson nr. 2, nicht mit einem colt, und leyland stanford verlor seinen einzigen sohn bei einem unfall in italien. dieser sohn ist in der nacht nach seinem ableben seinem vater erschienen und hat ihn gebeten, gutes zu tun für die menschen, worauf dieser die universtiät stanford gegründet hat. mit muybridge indes hat er sich zerstritten bzw. muybridge sich mit stanford, weil stanford zusammen mit einem gewissen stillman das buch «the horse in motion» herausbrachte, in dem muybridge nur nebenher erwähnt wurde. dieser stillman war übrigens bei der exhumierung eines gewissen phineas gage zugegen, dem zu lebzeiten eine eisenstange mitten durchs vorhirn geschrammt war, was eine gewisse persönlichkeitsänderung zur folge hatte: reizbarkeit, risikofreudigkeit, unkontrollierbare gemütsschwankungen etc. alles eigenschaften, welche die verteidigung übrigens auch muybridge zuschrieb (nach einem kutschenunfall), was ihn vor dem strang hätte bewahren sollen; aber schliesslich befand die jury, sie könne keinen mann verurteilen für eine tat, die auch die jurymitglieder in der gegebenen situation so oder ähnlich verübt hätten. im nachhinein sind wir dieser jury dankbar, denn hätte man muybridge gehängt, wüssten wir heute nicht, ob die pferde alle vier hufe in die luft kriegen oder nicht. in südafrika gibt es übrigens ein weingut mit dem namen scherpenheuvel (wie unser pilgerort in belgien) und auf einem amerikanischen friedhof wurde am stamm eines baumes (redwood) das bild der jungfrau maria entdeckt, und ein paar tage später auf dem stumpf eines abgesägten astes eines baumes am anderen ende des friedhofs ebenfalls. seither pilgern die leute hin und beten und machen videos und fotos. in polen wurde das bild der jungfrau maria im fensterglas eines wohnhauses entdeckt. eine junge frau namens julia butterfly sass zwei jahre lang auf einem riesigen alten redwoodbaum in über 50 m höhe. alle zwei tage kam das bodenteam und brachte ihr batterien für handy und laptop und essen und entsorgte ihre abfälle. sie kam erst wieder herunter, als der baum unter schutz gestellt wurde. vor einiger zeit wurde der stamm mit einer motorsäge schwer verletzt. die polizei suchte vergebens nach den tätern. chris marker erwähnt in seinem film sans soleil hitchcocks vertigo und die spirale der zeit im haar von kim novak und die szene im park der redwood-riesen vor dem riesigen baumteller mit den jahrringen ... a) die beiden ältesten ausgestopften pferde stehen im der armurerie des königlichen museums in brüssel. auf der stute sei isabelle bei ihrem feierlichen einzug in brüssel am 5. september 1599 gesessen, auf dem hengst der liebe albert – aber da gibt es einige zweifel, denn der hengst (übrigens weiss) habe dem albert bei der belagerung von ostende 1601- 1604 das leben gerettet indem er mit dem hals die tödliche musketenkugel aufgefangen habe und ein jahr später starb, was aber gar nicht möglich war, weil (nach neusten röntgenaufnahmen) die aorta durchtrennt war, der hengst also noch auf dem schlachtfeld verblutete – aber vielleicht war das auch bei der schlacht bei nieuport in 1600, da ist man sich nicht ganz sicher, auf jeden fall hat der älteste ausgestopfte hengst der welt ein loch im hals, und das eine hinterbein ist so angewinkelt, dass – wollte man dies bei einem lebenen pferd tun – man die sehnen zuerst durchtrennen müsste. es ist überhaupt erstaunlich, wie unmöglich die meisten pferdestandbilder und ihre reiter dastehen, auch die meisten pferdedarstellungen in der malerei unterstellen den pferden bewegungen, denen sie nicht fähig sind: beliebt war die sogenannte dummy-stellung: vorderläufe nach vorne, hinterläufe nach hinten gestreckt. warum isabelles stute und alberts hengst überhaupt ausgestopft wurden ist nicht geklärt, vielleicht nur deshalb, weil es möglich war? b) wenn wir vom sich verhärtenden verdacht des einverleibens (mit grossem genuss eine grössere menge speise essen) als unserer künstlerischen strategie ausgehen, d.h. alles verleibt ein: der ort die bilder und das publikum, die bilder das publikum und den ort; und wir auch davon ausgehen, das publikum dabei gleichzeitig zu beköstigen (besagt meist, dass dies mit einem besonderen aufwand, einer besonderen mühe, und aus einem bestimmten anlass geschieht), und zwar so nachhaltig, dass es seiner verdauung nicht

traut und meint, die nächsten hundert jahre wieder kommen zu müssen, bis es seinen sehstrahl von seinem darm unterscheiden kann, damit es sich dann im natriumdampf der ruhenden strassenlaterne, unter der wir uns treffen nach der ausstellung, vielleicht sogar an sich selber gütlich tut, dann sind wir ein kleines stück angekommen. durch die glasfenster mit den von uns gestohlenen eingebrannten tags führt ja der blick nach draussen zur kriminell verfremdeten wand ihrer herkunft, welche uns mit ihrem geheimnis ausschliesst (man braucht uns um uns auszuschliessen) und damit zurück zum pferd bringt, in das wir uns einverleiben könnten im wahrsten sinne, denn wären wir bedroht, könnten wir uns schützen in diesem pferdebauch, dank seinem leib täuschten wir den feind, wobei die spalten in der haut des säuglings an der wand hinter uns darauf hinweisen würden, wie durchlässig und eigenwillig unsere eigene haut ist, die uns umgibt, schützt, ernährt, sich aber auch von uns trennt, wäre die not zu gross. so tut der milde blick der jungfrau, der auf dem fuchs ruht, gut, wo zwar auch wir zwei hinausschauen, weil wir uns einverleiben, einblicken, einbilden liessen, damit wir, auf dem sehstrahl der jungfrau sitzend in die ausstellung schauen, uns spiegelbildlich dem publikum zeigen, das sich wundert über den schlauen fuchs, der sich gold anverleibt hat, und in dessen bauch vielleicht eine orgel steht. ob die tür eine fallentür sein muss, die virtuell hinein und hinausführt ohne verschlossen zu sein, aber flach ist wie die perspektivische strichzeichnung der mausefalle, die mit anderen plänen zu sehen ist, wenn man sich noch fast ahnungslos am geländer haltend dem fuchs nähert? ... c) ich denke an eine mausefalle als gitter in der verkürzung und in der umkehrung der perspektive. ich denke an die jungfrau von guadalupe und an die spaltbarkeit der haut und den rosenstrauss und den fuchs mit güldener schnauze und das camouflagepferd, in das ich hineinkriechen kann, falada, falada, rösslein hü ist pferd von troja ist sniperpferd; viele hunde sind des füchsleins tod sind blut sind rote rosen im winter und das jesuskind mit der dornenkrone; das geländer als laufgitter als absperrband als messlatte als wegweiser; das tor ist die falle ist dürers perspektiven­maschine ist die ewigkeit ist die matrix ist das drahtgittermodell; das drahtgittermodell ist die schraffur auf marias gesicht ist die spaltrichtung der haut; die lampe ist die sonne ist das auge gottes des königs des staates der sicherheit der öffentlichkeit und feind der tagger und gegenteil des intimprivaten; tagger sind in der grösstmöglichen öffentlichkeit verborgen, weil sie nicht des königs sind und fürchten die lampe, die jedoch blinzelt, zwinkert mit dem auge, ist halb blind, wie das auge der maria, die uns anblickt und wir sie, der beweis ihrer existenz im auge trägt, das auge gottes des königs des staates der öffentlichkeit; deshalb zeigen die künstler auch ein video, das sie beim waffentraining zeigt: wohin blicken wir beim zielen, nach innen wie die mauern der kunsthalle? die wappenscheiben zum abschied zum jubiläum sind die ins fenster gehängten stempel der gesellschaftlichen pflichterfüllung sind spiessers tags der sippschaft sind die brandzeichen der herde; je suis au roi ist genauer als die farbe; die zeichen, bevor sie zu zeichen werden, aber die zeichen schon in sich tragen, die brandzeichen, die tatoos in der lebendigen haut bleiben auch in der toten sichtbar, die falten, die spalten, die matrix, schliesslich die farbe des hemdes der isabelle, das die farbe der haut angenommen hat im krieg, in der belagerung, und die farbe der für den krieg geeigneten pferde … d) wo ist honig im felsen und wo das hemd der isabelle? als eingang würde ich vorschlagen, ein gitter aufzustellen (mit einer türe drin), das als eine perspektivische zeichnung alles vorwegnimmt auf was man danach trifft im sinne von duchamp und dürer und dem kloster st. urban, wobei sich der begriff der perspektive als eine flache abbildung in eine perspektive des geistes verwandeln müsste, dem sehstrahl des fuchses entsprechend die gedanken der landschaft bündeln müsste im natriumdampf der ruhenden strassenlaterne, unter der wir uns treffen nach der ausstellung, und in einem fenster, das direkt in die äste lugt im zweiten raum, könnte ein glasfenster eingebaut werden, eine vitrage nach unseren angaben von robert in warschau geschnitten, in einzelteilen eingeführt und an ort zusammengefügt, ein fenster, das nach draussen führt als umkehrung des gittertores, des initialen perspektivenportales, wenn man die treppe heruntersteigt. ein ansatz könnte also sein, den raum so zu belegen, dass der raum genauso bestehen könnte für – sagen wir – einhundert jahre.

Rundgang An der Fassade der Kunsthalle hängt ein leuchtend rotes Strassenschild aus Email mit der Beschriftung NJAHBIC1. Die beiden Ausstellungsräume im Tiefparterre der Kunsthalle werden über eine abgewinkelte Treppe und einen Zwischenboden erreicht, von dem aus der erste Raum durch einen Rundbogen und eine weitere kurze Holztreppe betreten wird. In diesen Rundbogen ist ein Gitter aus Eisen eingesetzt. Durch eine 1.50 m hohe Schwingtür betritt und verlässt das Publikum die Ausstellung. Der Ausstellungstitel NJAHBIC2 ist auf das Gitter appliziert. Stirnseitig, also dem Tor gegenüber, befindet sich eine wandfüllende schwarz-weisse Wandmalerei, die das holzschnittartig reduzierte Gesicht der Jungfrau von Guadalupe3 zeigt. In ihrem linken Auge spiegelt sich das Porträt des Künstlerpaares, im rechten dasjenige eines Affen4, auf einem Sockel vor ihr sitzt ein ausgestopfter Fuchs5 mit einer goldenen Schnauze. Auf der ganzen Länge der rechten Wand ist ein Handlauf angebracht – eine originalgetreue Verlängerung des Treppenhausgeländers. Darüber befindet sich die «Tatooage d’ameublement»6, ein Bilderteppich aus 700 Bildern von Objekten, Plänen, Skizzen, Logos, etc., der mittels Tatoofolie direkt auf die Wand appliziert worden ist. Der Handlauf dient dem Publikum zum Festhalten beim Betrachten des Bilderteppichs. Die Bilderflut zitiert Tagesaktualitäten, Objekte, und Themen im Rahmen von NJAHBIC, aber nicht nur. Der Durchgang am Ende dieser Wand führt in den zweiten, gefangenen Raum, der rechtwinklig zum ersten steht, aber ähnliche Dimensionen und Fensteröffnungen aufweist. In der Raummitte liegt das masstäbliche Polyestermodell eines Pferdekadavers7 mit offenem Rücken und hohlem Leib, in dessen Mitte eine Schiessscharte die Bauchdecke öffnet. Sein Körper ist isabellfarben8. An der rechten Wand hängt eine Strassenlampe9 in deren Lampengehäuse eine Videoprojektion flackert. Vor den drei Fenstern auf der linken Seite hängen drei übergrosse Wappenscheiben. Sie zeigen die drei Grafittis10 auf der Südfassade der Kunsthalle Bern – zwei echte und ein virtuelles11. Die Fassade wird damit von aussen nach innen gestülpt. Ein Monitor auf dem Parkett präsentiert ein Video, das die Künstler beim wiederholten Zerlegen und Zusammensetzen einer Kalaschnikow AK– 4712 zeigt. Wenn man sich wieder dem Durchgang zuwendet, sieht man auf der Stirnwand eine monumentale Darstellung der Spaltbarkeitsrichtung der menschlichen Haut auf goldenem Grund13. Beim Nähertreten erkennt man, dass die Spalten Abbildungen von Vaginas sind. Vor dem Verlassen der Ausstellung trifft man auf zwei Vitrinen, in denen je ein Hundehalsband mit der Aufschrift «Je suis au roi» (Ich gehöre dem König) und «Je jouisse hors loi» (eigentlich «que je jouisse hors-la-loi», Wie würde ich Gesetzlosigkeit auskos­ ten!)14 liegen. Rechts neben dem Gittertor steht die «Ecriture d’ameublement»: ein Brett mit 64 Glühbirnen, die das Wort NJAHBIC schreiben – das Kabel, das die einzelnen Glühbirnen verbindet, schreibt jedoch etwas anderes. Am Boden davor liegen die isabellfarbenen Buchstaben N-J-A-H-B-I-C und eine Zickzacklinie aus gelbem Klebeband. Diese Linie stammt von der Künstlerin Tomoko Takahashi, die gleichzeitig die Haupträume im Erdgeschoss der Kunsthalle bespielte und sich diesen Übergriff im Untergeschoss erlaubte. Durch das Gittertor gelangt man zurück auf die Treppe. Aus der Toilette klingt das Lied Never Judge A Horse By Its Color.

Trmasan Bruialesi Trmasan Bruialesi, * 1956 in Tiflis, Georgien.

Studium der Sla­vistik mit Schwerpunkt altslavische Texte des frühen Christen­tums.

Arbeitet als Übersetzer, Autor und Musiker seit 1989 in Berlin.

Werkteile NJAHBIC

Tags im öffentlichen Raum in Paris, Prag und Bern gestreut im Vorfeld der Ausstellung NJAHBIC

Einladungskarte I digitales Grafitti auf der Fassade der Kunsthalle Bern Never Judge A Horse By Its Color – even after the 1st november 2002

Einladungskarte II NJAHBIC

Emailschild, rot, 65 cm x 30 cm, an der Fassade der Kunsthalle Bern NJAHBIC

Messingschild mit Ausstellungsbeschrieb, 17.5 cm x 11 cm, vor dem Tor zur Ausstellung Tor

Gittertor, Eisen, 2.7 m x 2 m, mit Schwingtür 1.6 m x 0.60 m; PVC-Buchstaben NJAHBIC, Draht Tatooage d’ameublement

Tatoofolie auf Wand, 800-teilig, 3 m x 1.2 m, Handlauf Chromstahl, 3 m (mit Verlängerung im Treppenhaus) Der Fuchs mit der goldenen Schnauze

Tierpräparat, Blattgold, Sockel, kaschiert mit fotokopiertem Parkett der Kunsthalle Selbstporträt als Künstlerpaar

Wandmalerei, 5.3 m x 4.5 m je suis au roi / je jouisse hors loi

2 Hundehalsbänder, Leder, Messingplakette mit Gravur Camouflage-Horse

Polyesterguss (nach Pferdekadaver), Pferdehufe, Leinen, Stecknadeln Back up

Kandelaber; DVD 10 min. Loop, DVD-Player, Videoprojektor Ecriture d’ameublement

Brett, 2 m x 0.4 m, 64 Glühbirnen; Gewehr Die Spaltbarkeitsrichtung der menschlichen Haut

Scotchprint auf Goldfolie, 1.5 m x 2.5 m Kalaschnikow

DVD, 15 min. Loop mit Ton, LCD-Monitor, Lautsprecher CLAIM

Wappenscheiben, Glasmalerei und Vitragetechnik in Metallrahmen, je Ø 138 cm, 3-teilig Never Judge A Horse By Its Color

Song, 2 min., Player NJAHBIC

Heft zur Ausstellung, 36 Seiten, 50 Abbildungen, e/f/dt; 5 Ex. handcoloriert mit CD, ISBN 3-9522196-3-0

1 Schon Monate vor der Ausstellungseröffnung verbreite­ te Haus am Gern das Akronym NJAHBIC auf Klebeetiketten in den Strassen von Paris, Prag und Bern.

2 «Never Judge A Horse By Its Color» ist ein traditionelles Cowboy-Sprichwort.

3 Der Legende nach hatte der Indio Juan Diego am 9. Dezem­ ber 1531 auf dem Berg Tepeyac bei Tenochtitlàn, dem heutigen Mexiko-Stadt, eine Erscheinung der Jungfrau Maria. Diese erschien ihm als indigene Frau und gab ihm in seiner Sprache den Auftrag, auf dem Berg ihr zu Ehren eine Kapelle zu errichten. Bischof Zumarraga glaubte ihm nicht. Aber bei einer weiteren Erscheinung an selber Stelle drei Tage später er­hielt Juan Diego den Auftrag, an einer bestimmten Stelle am Berg Rosen zu pflücken und dem Bischof als Beweis zu brin­ ­gen. Er fand die verheissenen, trotz des Schnees blühenden Rosen und nahm sie in seinen Mantel. Als er sie vor dem Bischof ausschüttete, zeichnete sich dort wo die Blumen waren, in seinem Mantel das Bild der Jungfrau Maria ab. Dieses «nicht von Menschenhand gemalte» Gnadenbild «Unsere Lie­ be Frau von Guadalupe» ist heute Ziel von jährlich rund 20 Mil­lionen Pilgern und somit der grösste Wallfahrtsort der Welt. – Eines der grössten Geheimnisse am Bildnis der heili­ gen Jungfrau Maria von Guadalupe sind ihre Augen. 1929 machte der Berufsfotograf Alfonso Gonzales mehrfache Vergrösserungen des Originalbildes und entdeckte dabei in den Pupillen der hl. Jungfrau Maria eine winzige menschliche Gestalt. Neuste Forschungen lassen 13 Personen in den Pupillen der hl. Madonna erkennen. Wenn das menschliche Auge beobachtet, spiegeln sich die geschauten Objekte auf der Retina wider. Das, was auf den Augen der hl. Madonna zu sehen ist, spielte sich in dem Augenblick ab, als Juan Diego seinen Umhang öffnete und die Blumen zu Boden fallen liess. Die erkenn­ bare Menschengruppe in den Augen ist identisch mit den ältesten Beschreibungen der anwesenden Personen bei dem wundersamen Entstehen des Bildes vor Bischof Zumarraga.

Auch sind die Bilder in beiden Augen gespiegelt. Und mit ihrer Verzerrung und Dissymmetrie stimmen die beiden Spiege­ lungen exakt mit den Gesetzen der Optik überein. Juan Diego wurde von Papst Johannes Paul II. 2002 heilig gesprochen.

4 Das Alter Ego des Künstlerpaares ist der «Signifying Mon­ key», eine Figur aus der Afro-Amerikanischen Folklore, die ih­ ren Ursprung in Esu-Elegbara aus der Mythologie der Yoruba hat. Esu-Elegbara, der «Signifying Monkey», spricht mit doppelter Zunge und überlistet so seine Freunde, den Elefan­ten und den Löwen, indem er sie gegeneinander ausspielt. Die subversive Strategie des «Signifying» haben afroamerikanische Rapper übernommen, was sich unter anderem in der Übertreibung und Überbetonung von Statussymbolen äus­ sert. «Wie sein Vorfahre Esu-Elegbara ist der Signifying Monkey ein Trickster, ein grosser Rhetoriker und ein Grossmaul, ein Prediger und ein Prahlhans, ein Held und ein Hasenfuss, Machtloser und Manipulator zugleich. […] Da das Signifying äusserst sensibel für sprachliche Codes und die darin verpackten Botschaften ist, weist es oft auch Charakteristika der Parodie und des Pastiche auf – metatextuelle Strategien, welche bestehende sprachliche Muster wiederholen, um sie in der Wiederholung neu zu verorten und dadurch ihre ideologi­ sche und historische Kontingenz hervortreten zu lassen.» (aus Florian Werner, Rapocalypse: Der Anfang des Rap und das Ende der Welt. tran­script, Bielefeld 2007).

5 Der Fuchs als europäische Variante des «Signifying Monkey» (z.B. als Reineke Fuchs von J.W.von Goethe oder in Fabeln von Lafontaine) hat sich sich in der Kunsthalle keine blutige, sondern eine goldene Nase geholt.

6 Die «Tatooage d’ameublement» geht zurück auf Eric Saties «Music d’ameublement» und in der Folge auf die «Peintu­res d’ameublement» von Marcel Duchamp und seiner mutmasslichenTochter Jo Sermayer, welche 1983 in der Kunsthalle Bem ausstellte.

7 Im ersten Weltkrieg nutzten amerikanische Scharfschützen im Niemandsland zwischen den Fronten künstliche Pferdekadaver als Camouflage und bedienten sich – wie schon die Trojaner, der Eulenspiegel, der Zentaur u.a. – unzimperlich des Pferdekörpers. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die Ausstellung in die Zeit der beiden sogenannten Beltway- oder Tarot Card Sniper fiel, die in der Umgebung von Washington D.C. im Kofferraum ihres blauen Chevrolet Capri­ ce liegend mit einem Gewehr durch ein Loch in der Karosserie zehn Menschen erschossen.

8 Der Farbname soll auf die Infanta Isabel Clara Eugenia, derTochter Philipps II. von Spanien und Statthalterin der Spani­ schen Niederlande, zurückgehen. Diese gelobte der Legende nach, dass sie ihr ursprünglich weisses Hemd nicht eher wechseln wolle, als bis ihr Ehemann Erzherzog Albrecht von Öster­ reich die Stadt Ostende, welche er 1601 zu belagern begann, erobert habe. Da die Belagerung drei Jahre, drei Monate und drei Tage dauerte, ist wohl hinsichtlich der Farbe die Aussage­ kraft dieser Legende nicht zu bezweifeln. Isabel Clara Eugenia hatte ein grosses Interesse an Kunst, und ihr Hof war Anzie­ hungs­­­punkt für Maler und Künstler. Besonders unterstützte und för­derte sie ihren Hofmaler Peter Paul Rubens, der für sie auch als Gesandter und Friedensvermittler tätig war.

9 Die Verbreitung der Strassenlampen im 19. Jh. sind Ausdruck obrigkeitlicher Macht und Vorläufer heutiger Überwachungssysteme im öffentlichen Raum. Siehe auch: Wolfgang Schivelbusch, Lichtblicke: zur Geschichte der künstlichen Hellig­ keit im 19. Jahrhundert, Fischer Taschenbuch.

10 sog. Throw-ups, schnell gemalte Bilder, die nur mit einer raschen Schraffierung oder gar nicht ausgefüllt sind.

11 Das NJAHBIC-Grafitti ziert den Schmutzumschlag des Hef­ tes zur Ausstellung und wurde von Haus am Gern in Paris, Prag und Bern im öffentlichen Raum und auf Eisenbahnwagen gesprayt.

12 Die russische AK– 47 (Автомат Калашникова образца 47) ist die weltweit am meisten produzierte und verbreitete Waffe.

Sie ist eine Weiterentwicklung des deutschen Sturmgewehrs 44 aus dem II. WK. 13 Die Abbildung stammt aus dem Forensischen Bildatlas der medizinischen Fakultät der Universität Berlin (Kapitel 3.2 Nichtnatürlicher Tod, Bild 3.47 Die Spaltbarkeitsrichtung der Haut nach v. Langer-Hofmann), ergänzt mit Abbildungen von Vaginas aus einem Buch von Tsukioka Settei: Onna-shimega­ wa-kaeshi-bumi-zen = Endgültige Antwort auf alle Fragen über die richtige Erziehung liebesbereiter Frauen, in einem Band, Faksimile-Ausgabe 1988, Verlag Die Waage, Zürich 14 «JE SUIS AU ROI» stand auf den Hundehalsbändern der Jagdhunde von König Louis XIV. geschrieben. Diese Tiere ritten auf eigenen Pferden zur Jagd mit. Wer ihnen etwas antat wur­ de schwer bestraft. Das Hundehalsband mit der Aufschrift «JE SUIS AU ROI» wurde während der Vernissage von Hündin Le­ na getragen, die den Jagdhunden von König Louis XIV. ver­ blüf­fend ähnlich sieht. Sie hatte als erstes Tier Zugang zu allen Räumen der Kunsthalle Bern und machte sich dies auch zu Nutze. Sie frass während des Aufbaus wichtige Dokumente aus dem Büro des Direktors.

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«Pepperstein: In gewissem Sinne kann man sagen, dass sich derartige Definitionen (die des Künstlers, Anm. der Red.) wieder herstellen, sobald man in Ex­trem­si­ tua­­tionen gerät, zum Beispiel in solche Institu­tionen (völlig anderer Art als die Kunstinstitutionen) wie das Gefängnis, das Krankenhaus, das heisst wovor niemand gefeit ist. Besonders in Russland, aber nicht nur in Russ­­land zeigt sich, dass ein Künstler, wenn er in sol­ che Räu­me gerät oder sich plötzlich in völlig anderer Gesellschaft befindet, sofort überprüft wird, wie viel­ schich­tig er ist, wie sehr im primären Sin­ne Künst­ler.

Wenn er, ausser dass er ein bekannter Kon­zeptualist oder Performancemacher ist, auch noch Künstler im volks­tümlichen Wortsinn ist, dann steht er in dieser entsetzlichen Situation sofort nicht übel da. Wer je in die­sen quä­lenden Prüfungssituationen war, weiss, dass es dort sehr gut ist, Künstler zu sein, Künstler im ganz traditionellen, volkstümlichen Sinn, ein Künstler, der zeichnen kann. Wenn man nicht zeichnen kann, gilt man in diesen Umgebungen nicht als Künstler, auch wenn

man sich Künstler im zweiten Sinne des Wor­tes nen­ nen kann. «Na, du bist ja ein Künstler!», sagt man zu ihm. Nach so etwas können sie dich erschlagen. […]

Kabakov: In meiner Biografie gibt es eine Episode, die mir zeigte, dass man umgebracht wird, wenn man sich nicht irgendwie aus der Affäre zieht. Das Um­brin­gen ist etwas Urwüchsiges, das ist der Volkszorn, der dich vernichtet, weil du geboren bist und keinerlei Verpflich­ tungen gegenüber dem Ganzen nachkommst. Das Ein­ zige, womit du das kompensieren kannst, ist irgend­ was Verständliches zu zeichnen. Etwas Geliebtes und Verständliches, bekanntlich ist das ein Pferd oder eine nackte Frau. Ich habe mich in jungen Jahren auf Pfer­ de spezialisiert und damit gerettet.»1 PAVEL PEPPERSTEIN UND GÄSTE – Projekt Sammlung 1998 –2002, Hg. Kunsthaus Zug, Matthias Haldemann, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2004, S.92– 95

«Bitte zeichnen Sie nun ein Pferd!» Zit. nach: NJAHBIC, Vorwort von Trmasan Bruialesi in der Publikation zur gleichnamigen Ausstellung in der Kunsthalle Bern 2001, Edition Haus am Gern, Biel / Bienne 1

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