NPF Naked People Finder
Abb. 1
Vgl. Jacques Bonnet, Die Badende. Voyeurismus in der abendländischen Kunst, übers. v. Katja Richter, Berlin: Parthas, 2006 und Burkhard Leismann und Martina Padberg (Hrsg.), Intimacy! Baden in der Kunst, Köln: Wienand, 2010
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Zum Baden laden Marc Munter Badeszenen sind in der Kunst ebenso häufig zu haben wie die tägliche Dusche oder das Bad in der Wanne. Gleichzeitig sprechen beide Phänomene für aus gesprochen privilegierte Umstände, zumal Was ser in bestimmten Regionen schon immer knapp war, vielerorts zunehmend knapp wird und es mit der Kunst ähnlich prekär bestellt ist. Darüber hinaus bereiteten beispielsweise Kriege und Krankheiten im 15. und 16. Jh. den prospe rierenden spätmittelalterlichen Badehäusern ein jähes Ende, die ihrerseits antike und islamische Badekultur hatten wiederaufleben lassen. Eine Buchillustration von 1470 gibt Einblick in eine solche Badestube (Abb. 1), die vor allem die Un sittlichkeit der Badenden betont und den Ort als Bordell mit grossem Gemischtbottich zeigt. Selbst verständlich präsentiert diese Badestube auch eine Doppelmoral: Sie verlangt die Übertreibung ins Pornografische, legitimiert diese und bietet dem Betrachter einen unverhüllten Blick auf das bunte Treiben. Die Karriere von Aktdarstellun gen unter dem Deckmantel religiöser, epischer, später auch profaner Badeszenen setzt ein, in ei nen ambivalenten Voyeurismus mündend.1 Tatsächlich wurde das Bad in privilegierten Krei sen zwischenzeitlich vermieden: Mit dem Aufkom men der wissenschaftlichen Medizin schürten Ärzte im 16. Jahrhundert den Irrglauben, beim Baden dringe Wasser ins Körperinnere, weshalb sie kategorisch davon abrieten. So kamen in der höfischen Gesellschaft des Rokoko Parfums und Puder in Mode, was sich bis heute zumindest in der Redensart ‘französisch Duschen’ – sich ‘reini gen’ mit Deodorant anstelle von Wasser und Seife – erhalten hat. Indessen emanzipierten sich die Badenden in der Kunst vom religiös konnotierten und entwickel ten autonome Bildmotive: Albrecht Dürers Feder studie Frauenbad und sein Holzschnitt Männerbad (beide 1496) machen gewissermassen den Anfang. Auf den Grafiken werden für die damalige Zeit ungewöhnlich reale Badeszenen in authentischen Badehäusern vorgeführt (Abb. 2 und 3). Dabei kommt Dürers ambitionierte Darstellung unter schiedlicher Menschentypen in adäquaten Posen ebenso zum Ausdruck wie die Zurschaustellung seiner Proportionslehre und anatomischen Kennt
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Irmela Körner (Hrsg.), Lady Mary Montagu, Briefe aus dem Orient, Frauenleben im 18. Jahrhundert, Wien: Promedia, 2006.
nisse. Gleichzeitig wird das Bad als soziales Ereignis gezeigt und narrativ aufgeladen. Ein Beitrag zur Reflexion und zum Voyeu rismus des Betrachters liefert die Spiegelung desselben im verbor genen Beobachter links im Bildhintergrund beim Frauenbad. Viele dieser Komponenten tauchen auf Darstellungen von Bade szenen durch die Jahrhunderte hindurch immer wieder auf. Weiter vorangetrieben wurde das Interesse am Motiv durch die ‘Entde ckung’ des Orients, wobei die Darstellungen des fremden, exoti schen Körpers in der Regel einer westlichen Projektion des Orients entsprangen: Pure Fantasien, aber auch reale, heimische Motive wurden ‘orientalisch verkleidet’ und damit für die Kunstwelt und ihr Publikum legitimiert. Für sein Türkisches Bad (1863, Abb. 4), be reiste Jean-Auguste-Dominique Ingres nicht die Türkei, sondern berief sich auf die Briefe aus dem Orient von Lady Mary Montagu aus dem Jahre 1716.2 Das orientalische Dampfbad ist lediglich die Ku lisse für eine opulente Schau nackter Frauen, die allerdings von einer streng klassizistischen Linie gezeichnet sind und sich als Zita tenschatz unzähliger Aktdarstellungen des Altmeisters selbst ent puppen. Wie auf einem Suchbild lassen sich im erstaunlich klaren Dampfbad einzelne Figuren wiedererkennen. Die Intervention NPF (Naked People Finder) von Haus am Gern (2004) könnte als Persiflage verstanden werden: Zwar kamen hier auch allerhand Bekannte und Befreundete zusammen und zirkulierten zwischen Ruheraum und Dampfbad, doch in letzterem verschwam men die Körperkonturen unter dem heissen Dampf, tauchten al lenfalls an der Glasfront als malerische Abdruckspuren wieder auf. Um eine abstraktere Form der Malerei ging es dagegen Paul Cézanne: Unermüdlich beschäftigte er sich mit dem Thema der Badenden. Ein fleckenhafter, stark strukturierter Farbauftrag be stimmt seine Suche nach farblicher Übereinstimmung von Figur und umgebender Natur, nach einem – wenn auch etwas abgegrif fenen – Einklang von Mensch und Natur, wie er in Die Grossen Badenden zum Vorschein kommt (1898–1905, Abb. 5). Der amerikani sche Maler Mark Tansey spielt im Gemälde Mont Sainte-Victoire (1987, Abb. 6) auf Cézannes Badende an, wobei es ihm um eine Metaperspektive auf die Geschichte, die Kunst und ihre Repräsen tationsformen geht: Die Badenden sind nicht anonym wie bei Cézanne, sondern klar identifizierbare Personen, die sich beim Ba den im See spiegeln. Die Figuren, Vertreter des Poststrukturalismus wie Roland Barthes und Jacques Derrida, spiegeln sich als Frauen im Wasser und der Berg wird zur Höhle, die an Platons Höhlen gleichnis erinnert. Die Bildergeschichte liesse sich endlos weiter er zählen, doch Tansey verführt und führt weg von eindeutiger Er kenntnis. Der postmoderne Ansatz, die Gleichzeitigkeit, Vieldeu tigkeit und stete Präsenz der Badenden in der Kunst kommt darin besonders deutlich zum Ausdruck. Marc Munter (*1972, Bern) ist Kunsthistoriker und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Kunstabteilung des Museums zu Allerheiligen Schaffhausen. Daneben arbeitet er an einem Dissertationsprojekt zur Sammlungsbewirtschaftung in Kunstmuseen an der Universität Bern.
Abb. 1 Anonym, Buchillustration aus einer Ausgabe von Valerius Maximus, Factorum et dictorum memorabilium libri novem, um 1470, Staatsbibliothek zu Berlin, Preussischer Kulturbesitz. z.B. abgebildet in: Jacques Bonnet, Die Badende. Voyeurismus in der abendländischen Kunst, übers. v. Katja Richter, Berlin: Parthas, 2006 und Burkhard Leismann, S. 84.
Abb. 4
Abb. 2 Albrecht Dürer, Das Frauenbad, 1496, Feder in schwarzer Tinte, 23,1 x 22,6 cm, Kunsthalle Bremen. z.B. abgebildet in: Burkhard Leismann und Martina Padberg (Hrsg.), Intimacy! Baden in der Kunst, Köln: Wienand, 2010, S. 61. Abb. 3 Albrecht Dürer, Männerbad, um 1496, Holzschnitt, 38.5 x 28 cm, museum kunst palast, Düsseldorf, Graphische Sammlung. z.B. abgebildet in: Burkhard Leismann und Martina Padberg (Hrsg.), Intimacy! Baden in der Kunst, Köln: Wienand, 2010, S. 154.
Abb. 5
Abb.4 Jean-Auguste-Dominique Ingres, Türkisches Bad, 1863, 108 cm Durchmesser, Paris, Musée du Louvre. z.B. abgebildet in: Jacques Bonnet, Die Badende. Voyeurismus in der abendländischen Kunst, übers. v. Katja Richter, Berlin: Parthas, 2006 und Burkhard Leismann, S. 128. Abb. 5 Paul Cézanne, Die Grossen Badenden, um 1894 – 1905, Öl auf Leinwand, 127 x 196 cm, London, National Gallery. z.B. abgebildet in: Hajo Düchting, Paul Cézanne (1839 – 1906). Natur wird Kunst, Köln u.a.: Taschen, 1999, S. 144 – 145.
Abb. 6
Abb.6 Mark Tansey, Mont Sainte-Victoire, 1987, Öl auf Leinwand, 254 x 394 cm, Courtesy Thomas Ammann Fine Art AG, Zürich. z.B. abgebildet in: Judi Freeman, Mark Tansey [Katalog der Wanderausstellung: Los Angeles County Museum of Art, 17.06. – 29.08.1993, Milwaukee Art Museum, 10.09. – 07.11.1993, Modern Art Museum of Fort Worth, 09.12.1993 – 20.02.1994, Museum of Fine Arts Boston, 11.05. – 07.08.1994, Montreal Museum of Fine Arts, 08.09. – 20.11.1994 ], hrsg. von Los Angeles County Museum of Art, San Francisco: Chronicle Books, 1993, S. 55.
NPF Naked People Finder
2004 Intervention «Die Badenden», Video ab Live Stream 8 h und Serie von Videostills; Inkjet auf Backlit in Leuchtrahmen, Dim. variabel, Auflage 3 + 1 EA Marks Blond Project Bern / QC – Quartier Culturel Bern
BADEREGELN geh ins QC
Such Dir Flip-Flops aus. Nimm Bademantel, Badetuch und
eine nummerierte Kleidertasche.
Trag Dich in der Liste ein. Erklär Dich mit Deiner Unter
schrift damit einverstanden, dass die Videobilder vom Dampfbad im Kunstbereich vorgeführt und Dein Name im Filmabspann erwähnt werden darf. Zieh Dich in der Box um und gib Deine Kleider in der Tasche ab. Trink einen heissen Tee. geh zu MARKS BLOND
Du darfst in den Vorraum von NPF. Häng Deine Sachen auf. Geh ins Dampfbad. Du bist jetzt Modell und Pinsel und entscheidest, was von Dir abgebildet wird: wenn Du den Dampf von der Scheibe wegwischst oder Nase oder Po oder so abdrückst, bildest Du Dich deutlich ab.
Entspann Dich. Geniesse. Verlass das Dampfbad nach
spätestens 10 min. und kühl Dich draussen ab. Trink einen Tee. Wiederhole das Dampfbad 2 – 3 mal.
Im Oktober 2004 wurde Haus am Gern gleichzeitig von Marks Blond Project (bespielt einen ausrangierten Kiosk) und QC – Quartier Culturel zu einer Aktion oder Ausstellung eingeladen. Die zwei sehr unterschiedlichen «Off Spaces» sind beide im Universitätsviertel von Bern angesiedelt. Haus am Gern entschied, die beiden Orte mit einer Aktion zu ver binden. In zwei Nächten sollten mit Publikumsbeteiligung Bilder von Badenden generiert werden, die sich in den entsprechenden kunstgeschichtlichen Kanon einschreiben lassen würden. Im Kiosk von Marks Blond Project installierte Haus am Gern ein kleines Dampf bad direkt hinter dem Schaufenster, in der QC Lounge wurde die Umkleide- und Entspannungszone eingerichtet. Die Badenden konnten sich dort entkleiden und erhielten Bademantel, Badetuch und Badeschuhe. Zu Fuss ging man dann den ca. 1km langen Weg quer durchs Quartier zum Marks Blond Project ins Dampfbad. Je mehr Menschen sich im Bad vergnügten, desto weniger Dampf schlug sich am Schaufenster nieder, vor dem das Publikum dem Treiben zusah. Nach drei Schwitzdurchgängen und einer Tasse heissen Tees gingen die Badenden wieder zurück in die QC Lounge zum Chillen. Sie konnten sich dort von einem Profi massieren las sen und entspannen. Das Schaufenster wurde gefilmt, direkt in den Chill-out-Raum übertragen und an die Wand projiziert. Badende und Publikum konnten dort den gestreamten Livebildern folgen. Das Publikum war frei, sich für ein Bad zu entscheiden, die Badenden auf der Strasse zu begleiten, oder an beiden Orten einfach nur zuzu schauen.
geh ins QC
Trink einen Tee. Lass Dich massieren. Nimm wenn nötig eine Dusche
Mittelstrasse
vor dem Umziehen.
Fühl Dich wohl.
MARKS BLOND PROJECT Länggasstrasse
Bühlstrasse
QC – QUARTIER CULTUREL
100 m
Oben: Publikum vor dem Naked People Finder bei Marks Blond Unten: Empfang im Dampfbad
«Die Badenden», Videostill, Inkjet auf Backlit in Leuchtrahmen, 100 cm x 80 cm, 3 + 1 EA
Vom QC wanderten die Badeg채ste in Bademantel und Flip-Flops durchs Quartier zum Dampfbad bei Marks Blond und wieder zur체ck zu Massage, Musik und Pfefferminztee.
sonntag sonntag dampfbad aquarelle endreim steputat als quelle leiber wasser fleischmodelle sonntag dampfbad aquarelle wegrands spiesser treten stelle fragen staunen nicht sehr helle nackte fluten blauflanelle rüstung vorher im hotelle marsch proteste menschgebelle fragen deutung kulturelle interpretationskartelle meinung weder originelle noch besonders visuelle sonntag dampfbad aquarelle endreim steputat als quelle bademäntel blaupastelle eintritt klarluft nebelschwelle grüsse hallo virtuelle offizielle sexuelle substantiell und punktuelle führung klärung frikadelle bier und dampfbad aquarelle menschen lachen aus der zelle schunkeln tratschen blaskapelle sinn und unsinn wortduelle endreim steputat als quelle sonntag dampfbad aquarelle (zu: «I love the NPF») Hartmut Abendschein (* 7. Oktober 1969 in Schwäbisch Hall) ist ein deutsch-schweizerischer Schriftsteller, Herausgeber und Verleger.
CREDITS Gastgeber: MARKS BLOND PROJECT Bern QC Quartier Culturel Bern WLAN: Universität Bern Bademäntel und -tücher: Hotel Zürichberg Zürich Flip-Flops: Lilli Tulipan Zürich Aufbau: Amir Borenstein Umkleidekabine: Vreni Spieser Massage: Amir Borenstein Fotografie: Effi Weiss Poesie: Hartmut Abendschein