Die AMAG bewegt seit 75 Jahren

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Die AMAG bewegt seit 75 Jahren





Die AMAG bewegt seit 75 Jahren


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Prolog  Woher kommt die AMAG? Wofür steht sie? Und wohin führt ihr Weg? Ein Auftakt mit Verwaltungsratspräsident Martin Haefner und mit CEO Morten Hannesbo. Erfolgsgeschichte in drei Akten Geschichte ist mehr als Daten und Fakten. Wer sie begreifen will, muss ihre ­Akteure verstehen; was sie angetrieben und ­motiviert hat. Eine Geschichte der AMAG mit Fokus auf die Menschen, die sie ­mitgeschrieben haben. Und auf die Autos, die sie ermöglicht haben. Gelebter Pioniergeist  AMAG Gründer Walter Haefner war ein Pionier. Dieser Geist hat das Unternehmen gross gemacht – und ist bis heute tief verankert. Vier Geschichten zu Pioniertaten aus 75 Jahren AMAG.


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Starkes Familienunternehmen  Die AMAG ist seit 1945 ein Familienunternehmen. Das hat sie geprägt. Doch was macht ein Familienunternehmen aus? Sie bilden aus, auf sie ist Verlass und sie loben andere, nicht sich selbst. Ein Beleg in drei Geschichten.

Importierte Lieblinge  Der Erfolg der AMAG basiert auf ihrem ­Pioniergeist und ihrer Beweglichkeit als Familienunternehmen. Doch ohne Produkte, die auch emotional bewegen, gäbe es keine AMAG Geschichte. Ein Blick auf Standard, Käfer, Golf, «quattro» und all die anderen ans Herz gewachsenen Modelle.

Zukunft erfahren  Aus der Vergangenheit kann man lernen. Doch was zählt, ist die Zukunft. Das weiss die AMAG – und blickt voraus. Drei ETHProfessoren machen sich Gedan­ken über die klimafreundliche Mobilität der kommenden Jahrzehnte.


01 PROLOG

Die Freiheit der individuellen ­Mobilität hat Zukunft.

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ZUKUNFT ERFAHREN

Woher kommt die AMAG? Was ist ihr Antrieb? Was macht dieses Unternehmen aus? Und wohin führt ihr Weg? Ein Auftakt mit Verwaltungsratspräsident Martin Haefner und mit CEO Morten Hannesbo.

ERFOLGSGESCHICHTE IN 3 AKTEN

PROLOG

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«Die Menschen werden auch künftig nicht auf die Freiheit der individuellen Mobilität verzichten – dies ist unsere Chance und unser Antrieb!» Vor 75 Jahren, als die AMAG gegründet wurde und der Zweite Weltkrieg noch in vollem Gange war, ahnte kaum jemand den gewaltigen Aufschwung, den die Motorisierung der breiten Bevölkerung bald erfahren würde. Doch schon wenige Jahre nach Kriegsende konnte sich im Zuge der einsetzenden Hochkonjunktur eine immer breitere Bevölkerungsschicht ein Auto leisten – es waren goldene Zeiten für die AMAG. Als Generalimporteurin des Volkswagenwerks war sie mit den legendären VW Käfer, den praktischen VW Bussen und Lieferwagen sowie den robusten Modellen VW 1500 und 1600 bestens positioniert, um den Hunger der Bevölkerung nach mobiler Freiheit zu stillen. Es waren die Zeiten der fröhlichen Sonntagsausfahrten, die Zeiten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung und Parkplatzprobleme. Das Auto war für viele buchstäblich das beste Stück im Haushalt, und nicht selten erhielt es sogar einen Namen. Für Jugendliche gab es nichts Erstrebenswerteres, als mit 18 Jahren die Fahrprüfung zu bestehen und sobald als möglich glückliche Besitzer eines eigenen Autos zu sein! Und was ist heute, wo wir alle aus dem Hause AMAG deren 75. Geburtstag begehen und dabei auch ein wenig stolz sein dürfen? Was ist heute vom automobilen Geist der Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahre geblieben? Wir alle wissen und spüren es: Das Bild hat sich entscheidend gewandelt. Der vorbehaltlose, positive Stellenwert des Autos ist einer eher kritischen Beurteilung gewichen, und weite Kreise der politisch korrekten Öffentlichkeit lehnen motorisierten Privatverkehr als Quelle vielerlei Übels sogar grundsätzlich ab. Doch wir wissen auch: Verlässt man die Ebene des medialen Mainstreams und stösst man zum privaten Gespräch von Mensch zu Mensch vor, dann ändert sich dieses Bild. Die Menschen werden sich die Freiheit der individuellen Mobilität auch in Zukunft nicht nehmen lassen – dies ist unsere Chance und unser Antrieb! Als AMAG mit Tausenden von engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind wir bestens aufgestellt, um dieses Bedürfnis unserer Kundschaft zu bedienen. Wie sich die Antriebsformen unserer Automobile, die Modelle deren Besitzes und deren Nutzung auch immer weiterentwickeln mögen – wir haben den Anspruch, uns an der Spitze jeder möglichen Entwicklung nachhaltiger individueller Mobilität erfolgreich zu behaupten. Ich freue mich sehr, die Zukunft in diesem Sinne gemeinsam mit der gesamten AMAG Familie anzupacken!

Martin Haefner Inhaber und Verwaltungsratspräsident der AMAG Gruppe


Ein Rennwagen der Auto Union i­ nspirierte zum ursprünglichen AMAG Logo Vor 83 Jahren schaffte der Auto Union Typ C, gefahren von Renn-Idol Bernd Rosemeyer und konstruiert von Ferdinand Porsche, mehr als Tempo 400 km/h. Damit erreichte der ­P ilot auf der Berliner Piste mit der berühmten Nordkurve die schnellste Runde.



«EINZIGARTIG A SCHWEIZ? DIE Z PÜNKTLICH, UN GUTEN, KURVEN STRASSEN FAHR SCHÖNE AUTOS Ein schottischer Tourist in Interlaken

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AN DER ZÜGE SIND ND AUF NREICHEN REN VIELE S.»

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Walter Haefner gründet die «Neue AMAG Automobil- und Motoren AG» Importvertrag mit Standard Ende des Zweiten Weltkriegs und Gründung der Vereinten Nationen

Importvertrag mit Chrysler Die UNO übernimmt die Aufgaben des Völkerbundes

Generalvertretungsvertrag «für den Volkswagen» Einweihung des neuen Flughafens Z ­ ürich-Kloten: Als erste Maschine ­landet eine Douglas DC-4 der Swissair

Start Montage amerikanischer und englischer ­Fahrzeuge in Schinznach-Bad (bis 1972) Gründung der Volksrepublik China

1951

1945 1946

1952

1957

1959

1948 1949

Importvertrag mit Porsche

Eröffnung des ersten AMAG Filialbetriebs in Bern Gründung der Schweizerischen Rettungsflugwacht REGA

Eröffnung des zentralen Ersatzteillagers in Buchs ZH und der AMAG Ueberland auf der «grünen Wiese» zwischen Zürich und dem Flughafen Erste Schweizer Abstimmung mit Frauenbeteiligung in Unterbäch VS

Gründung AC Automation Center Wettingen Der Ringier-Verlag lanciert mit «Blick» die erste Boulevardzeitung der Schweiz


Die AMAG eröffnet in Genf den ersten Filialbetrieb in der Romandie

Eröffnung des Fahrzeuglogistik Zentrums in Lupfig AG Eröffnung Mont-Blanc-Tunnel, mit 11,6 km damals längster Strassentunnel der Welt

Importvertrag für Audi

Die AMAG baut in der Agglomeration diverse Garagenbetriebe und bietet diese jungen Unternehmern im Franchising an

1980

1962

1965

1967

1984

1988

1992

1971

Gründung AMAG Leasing AG Europa führt die Sommerzeit wieder ein, die Schweiz folgt ein Jahr später

Importvertrag mit SEAT Die FDP-Politikerin Elisabeth Kopp wird die erste Bundesrätin der Schweiz

Eröffnung der AMAG Ausbildungscenter in Schinznach-Bad

Importvertrag mit ŠKODA Schweizer Stimmvolk sagt Nein zum EWR


Übernahme der Riesbach-Gruppe (Garage, Mietwagen, Parkhäuser) Erstmals seit 1966 steht die Schweizer Fussball-Nati wieder in einer WM-Endrunde

Übernahme Lizenz Europcar Das Mündigkeitsalter wird in der Schweiz von 20 auf 18 Jahre herabgesetzt

Übernahme der «VW Marken»-Betriebe von der Merbag (Thun und Lugano) 11. September: Terroranschläge auf das World Trade Center in New York

2008

1994

1996

2009

2011

2012

2001

Die Porsche AG gründet eine Import-Tochtergesellschaft (Porsche Schweiz AG). Die AMAG ist weiterhin der wichtigste Schweizer Handelspartner Eröffnung Hochregallager und Erweiterung Teilelogistik Zentrum Buchs ZH Die Fussball-EM findet in Österreich und der Schweiz statt

Lancierung eines neuen Garagenkonzepts unter der Marke stop+go

Eröffnung AMAG A ­ utowelt Dübendorf Der Bundesrat beschliesst den Atomkraftausstieg

Am 19. Juni stirbt der Firmengründer Walter Haefner, zu seinen Ehren wird der Family Business Award lanciert Eröffnung Porsche Zentrum Zürich Schweizer Bevölkerung erstmals über acht Millionen


Bentley stösst zum Markenportfolio und wird am Standort Cham angeboten Die AMAG erhält einen neuen Markenauftritt Die Eishockey-Nati gewinnt die erste WM-Medaille seit 60 Jahren

Erste Schnellladestationen für Elektrofahrzeuge werden an verschiedenen AMAG Standorten in Betrieb genommen

Das Pariser Klimaabkommen wird an der UN-Klimakonferenz verabschiedet

2020 2017

2013

2014

2018

2019

2015

Übernahme der Aktienmehrheit von sharoo AG Der Bund verschärft die Anforderung an die E ­ nergieeffizienz von Neuwagen

Neuorganisation des Automobilgeschäfts unter dem Dach der AMAG Gruppe Die AMAG gründet in Zürich ihr Innovation & Venture LAB, in ­dem unter anderem neue Mobilitätsangebote entwickelt werden. Zudem steigt sie bei der autoSense AG ein, einem Joint Venture mit Swisscom In Saudi-Arabien wird das Fahrverbot für Frauen aufgehoben

Die AMAG übernimmt die Garagen­betriebe der ASAG in der Region Basel und bezieht in Cham einen neuen ­Hauptsitz mit rund 950 Mitarbeitenden

Die AMAG wird 75!


IN BEWEGUNG ­ BLEIBEN UND ­MENSCHEN ­BEWEGEN

Im Jahr 2007 kam Morten Hannesbo als Mana-

Kundenorientierung hat viel mit persönlicher

ging Director Import zur AMAG. Zwei Jahre

Einstellung zu tun. Was unternahmen Sie, um

später wurde er zum CEO ernannt. Seither führt

diese Einstellung zu verändern?

und entwickelt er das Unternehmen mit

Eigentlich war und ist Kundenorientierung ja

­klarem Fokus auf Compliance, Wachstum und

stark mit der Geschichte der AMAG verbunden.

Kundenzufriedenheit. Trotz herausfordernden

Es gibt ein altes Tondokument aus den Sechzi­

Ereignissen wie dem Frankenschock im Jahr

gerjahren, in dem der Firmengründer Walter

2015 und dem Dieselskandal der Volkswagen AG

Haefner auf ganz einfache Weise erklärt, dass

hat sich das Unternehmen stark erneuert

man die Kolleginnen und Kollegen in den ande­

und den Marktanteil von 21 Prozent auf knapp

ren Abteilungen wie Kunden behandeln soll,

30 Prozent gesteigert.

damit letztlich der Endkunde richtig bedient werden kann. Und dass es allen gut geht, wenn

Herr Hannesbo, wie haben Sie die AMAG erlebt,

es dem Kunden gut geht. Jahrzehnte später

als Sie 2007 zum Unternehmen stiessen?

hat der Harvard-Professor James L. Heskett

Da ich ja vorher schon in der Autobranche tätig

­genau diesen Ansatz als «Service-Profit-Chain»

war, hatte ich natürlich schon ein recht gutes

systematisiert und bekanntgemacht. Meinem

Bild von der AMAG. Ich sah die Stärke und Be­

Führungsteam und mir ging es darum, dass

liebtheit der Volkswagen Marken in der Schweiz

wirklich alle unsere Mitarbeitenden dieses Prin­

und wusste, wie solide dieses Familienunter­

zip verstehen und leben.

nehmen unterwegs ist. Doch beim Erfolg der AMAG hielt sich die Die AMAG war auch 2007 schon sehr

­Bereitschaft zur Veränderung wohl in Grenzen.

erfolgreich …

Wie wurde eine Einstellungsveränderung in die-

Ja, das stimmt, aber bei Weitem nicht so erfolg­

ser komfortablen Situation trotzdem möglich?

reich, wie sie hätte sein können. Der Markt­

Die AMAG war auch damals erfolgreich. In

anteil war im Europavergleich zu tief, und wir

­d ieser Situation ist es tatsächlich nicht einfach,

hatten zu dem Zeitpunkt einen grossen Nachhol­

eine Veränderung herbeizuführen. Gleichzeitig

bedarf bei der Kundenzufriedenheit. Es gelang

waren die Mitarbeitenden sehr stolz auf ihre

uns zu wenig, aus dem Neuwagengeschäft ein

­A rbeit, ihren Erfolg und auf die AMAG. Im ersten

profitables Aftersales-Geschäft zu entwickeln.

Schritt mussten wir verständlich machen, dass

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«Wir arbeiten täglich daran, uns noch besser auf die Wünsche und Bedürfnisse unserer Kunden auszurichten.»

wir noch nicht so erfolgreich waren, wie wir

Ja, noch mit der Wirtschaftskrise 2009/2010

glaubten. Wir machten beispielsweise eine

im Rückspiegel wurde die AMAG Autowelt in

­Gegenüberstellung von zwei Umfragen: einer

Dübendorf gebaut, unser grösster Garagen­

internen Umfrage, die belegte, dass alle Mitar­

betrieb, den wir 2011 im Beisein des damaligen

beitenden ihre Teams als sehr kundenorientiert

Volkswagen AG Aufsichtsratsvorsitzenden,

wahrnahmen, und einer externen Kunden­

Prof. Dr. Ferdinand Piëch, und des Vorstands­

zufriedenheitsumfrage, die das Gegenteil belegte.

vorsitzenden, Prof Dr. Martin Winterkorn,

Solche «Reality Checks» waren wichtig, haben

­eröffnen konnten. Es war ein klares Zeichen,

wehgetan und die Leute aufgeweckt. Und dann

dass wir an die Zukunft glauben.

haben wir eine interne Mission formuliert. Wir wollten, dass wir Kunden nicht nur zufrie­

2013 hat sich die AMAG einen neuen Auftritt

denstellen, sondern begeistern. Dafür haben

verpasst. War dies eine Folge dieser Zuversicht?

wir «WE SURPRISE» ins Leben gerufen. Unter

Ja, unter anderem. Wir waren der Meinung,

diesem Motto und mit der «Taktik der Nadel­

dass wir auch in unserem Auftritt Kundenorien­

stiche» haben wir informiert, motiviert, ge­

tierung und Aufbruch vermitteln müssen. So

schult, den Dialog gefördert und Eigeninitiativen

entschieden wir uns für das neue Logo in einem

unterstützt.

warmen Grau und mit weichen Formen. Und

Also alles bestens und Ziel erreicht? Keineswegs. Wir sind immer noch nicht perfekt in der Kundenorientierung. Es passieren immer wieder Fehler oder Dinge, die wir besser ma­ chen könnten. Aber das Unternehmen ist heute mit einem anderen Bewusstsein unterwegs, und wir arbeiten täglich daran, uns noch besser auf die Wünsche und Bedürfnisse unserer ­Kunden auszurichten. 2011 wurde dann das grösste Autohaus der Schweiz eröffnet, die AMAG Autowelt …


für eine Bildwelt, welche die Kunden ins Zen­

allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken,

trum stellt, die mit der AMAG gut unterwegs

die in dieser Zeit alles getan haben, um in dieser

sind. Der neue Auftritt sollte nicht wie der einer

Krise Mittel einzusparen. In dieser Zeit zahlte

Auto­marke wirken, sondern die AMAG klar als

sich auch die verbesserte interne Kundenorien­

Dienstleistungsmarke – auch mit eigenen Ange­

tierung aus. Man verstand, was für den anderen

boten wie beispielsweise AMAG Leasing – und

zwingend notwendig war, und unterstützte sich

als Anbieter der verschiedenen Automarken des

gegenseitig. Aber auch der loyale Umgang mit

Volkswagen Konzerns positionieren.

Partnerfirmen, den die AMAG pflegt, zahlte sich in diesem Moment aus. Lieferanten und Partner

War es nicht ein grosses Risiko, einen Auftritt

waren bereit, in dieser schwierigen Zeit Abstri­

aufzugeben, der seit der Firmengründung im

che zu machen. So ist es uns gelungen, auch das

Jahr 1945 praktisch unverändert geblieben war?

schwierige Jahr 2015 gut zu überstehen.

Das Logo stammte sogar aus den Dreissiger­ jahren … Einen solchen Entscheid fällt man be­

Und schon stand die nächste Krise vor der Tür:

stimmt nicht leichtfertig. All die notwendigen

Ende 2015 wurde publik, dass die Volkswagen AG

Anpassungen, insbesondere die Beschriftungen

eine in den USA illegale Abschalteinrichtung in

an unseren über 70 Standorten, kosteten viel

der Motorsteuerung ihrer Dieselfahrzeuge auch

Geld. Die hohe Investition war ein untrügliches

in Europa verwendete. Was war nötig, um die

Zeichen dafür, dass die Familie auch in Zukunft

Folgen des Dieselskandals zu meistern?

auf die AMAG setzen würde.

Diese Geschichte hat uns wirklich überrascht. Während Jahrzehnten hatte uns die Volkswagen

Die Belegschaft mental auf Vordermann, die

AG mit hervorragenden Fahrzeugen beliefert,

Kundenorientierung verbessert und der Auftritt

die im Schweizer Markt – in dem Qualität und

modernisiert – also beste Voraussetzungen,

Leistung besonders wichtig sind – höchste

um Erfolg einzufahren. Doch dann entschliesst

­A kzeptanz fanden. Wir konnten während fast

sich die Schweizerische Nationalbank am 15. Ja-

70 Jahren immer mit Qualität und Integrität

nuar 2015, den Euro-Mindestkurs aufzuheben.

der Volkswagen AG rechnen. Und dann dies …

­Welche Wirkung hatte dies für die AMAG?

Doch durch die jahrzehntelange gute Zusammen­

Wir hatten ja schon mehrere Krisen erlebt: 2008/

arbeit mit dem Werk fühlten wir uns verpflich­

2009 die internationale Bankenkrise, 2011

tet, auch in dieser schwierigen Zeit ein guter

­eine erste Währungskrise. Dennoch haben wir

Geschäftspartner zu sein. Und vor allem wollten

immer an unseren langfristigen Plänen weiter­

wir das Problem für unsere Kunden so schnell

gearbeitet. Neu war, dass die AMAG durch den

wie möglich lösen. Wir mussten letztendlich

Frankenschock von einem Tag auf den anderen

den Fehler an ca. 165’000 Dieselfahrzeugen un­

rund 100 Millionen Franken verlor. Wir waren

serer Kunden beheben. Das war für die gesamte

gezwungen, sofort massiv Kosten zu senken,

Organisation ein gigantischer Aufwand. Unsere

um diese Einbusse aufzufangen. Hier muss ich

Leute haben in diesem Moment gezeigt, wozu

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«Was überrascht positiv? Was ist fortschrittlich? Was zahlt sich aus? Mit diesem ‹Dreiklang› machen wir uns einstellungsmässig fit für die Zukunft.» Morten Hannesbo, CEO AMAG Gruppe


sie fähig sind. Alle können stolz darauf sein,

Darum bewegen wir uns auch als Firma. Ende

dass wir ein Problem, das nicht wir verschuldet

2019 konnten wir beispielsweise unseren

haben, für unsere Kunden so rasch wie möglich

­neuen Hauptsitz in Cham beziehen. Wir haben

gelöst haben.

die Teams von den vier Standorten Schinznach-­ Bad, Buchs ZH, Baden-Dättwil und Zürich

Ruhig blieb es auch nach der Dieselkrise nicht –

­Utoquai zusammengezogen. Dieser Schritt ist

die Automobilbranche befindet sich in einem

für uns ein weiterer Meilenstein. Rund 950 Mit­

grossen Auf- und Umbruch. Wie reagiert die

arbeitende können nun über Abteilungsgrenzen

AMAG auf diese Herausforderungen?

hinweg besser und enger zusammenarbeiten,

Im Jahr 2018 haben wir das Unternehmen neu

ohne durch lange Distanzen voneinander ge­

aufgestellt – mit eigenständigen Einheiten,

trennt zu sein.

die aber als Synergie-Holding gut zusammen­ arbeiten sollen. Und Ende 2018 hat Eva Maria

Man weiss, dass sich die Automobilindustrie in

Bucher-Haefner ihren 50-Prozent-Aktienanteil

den nächsten Jahren stark verändern wird,

an ihren Bruder, den AMAG Verwaltungsrats­

doch noch ist unklar, wie genau. Wie schaffen

präsidenten Martin Haefner, verkauft. Damit

Sie in dieser Situation bei den AMAG Mitarbei-

herrscht in Bezug auf die Organisation und auch

tenden Zuversicht?

seitens der Eigentümerschaft weiterhin zu

Die aktuellen Entwicklungen können einen

100 Prozent Klarheit – die beste Voraussetzung,

schon verunsichern, wenn man sie nicht

um die neuen Herausforderungen anzugehen.

­einordnen kann. Was bedeutet es für unsere ­Garagen, wenn für Elektroautos weniger Service­

Würden Sie sich nach all den Schwierigkeiten

arbeiten nötig sind? Ist unsere Kompetenz im

nicht einmal eine ruhigere Phase wünschen?

Bereich der Verbrennungsmotoren bald nicht

Die erwähnten Krisen haben uns für die künf­

mehr wichtig? Welche Form von Individual­

tigen Veränderungen gestärkt und verdeutlicht,

mobilität hat Zukunft? Wie weit wird die Politik

welches Engagement unsere Mitarbeitenden

oder werden veränderte Kundenbedürfnisse

zeigen. Wir wissen, was wir können. Natürlich

unser Geschäft beeinflussen? Niemand kann

wünschen wir uns, dass wir künftig weniger

behaupten, dass er dafür schon abschliessende

auf externe Vorkommnisse reagieren müssen,

Antworten hat. Hier hat die AMAG als Familien­

und wir wollen unsere Zukunft selbst aktiv

unternehmen einen grossen Vorteil: Die Mit­

­gestalten. Aber nein, ruhig werden soll es nicht.

arbeitenden wissen, dass ihr hoher Einsatz, den

Wir wollen in Bewegung bleiben und Menschen

sie täglich zeigen, nicht vergessen wird. Die

bewegen.

AMAG hat sich immer wieder als verantwor­

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Morten Hannesbo erklärt ­Bundesrat Guy Parmelin die VW Studie des autonom ­f ahrenden ID Vizzion.

tungsvolle Arbeitgeberin gezeigt. Und mit einer

nachhaltiger individueller Mobilität entwi­

verlässlichen Arbeitgeberin im Rücken, die

ckeln. Mit Blick auf unsere Mitarbeitenden bin

auch langfristig planen kann, sind die grossen

ich mir sicher, dass wir dieses Ziel erreichen

Veränderungen in der Branche sehr attraktiv.

werden.

Es war wohl noch nie spannender als heute, in unserer Branche zu arbeiten.

Die AMAG hat in den letzten 75 Jahren immer

Welchen Einfluss haben die bevorstehenden

zeugt, dass sie das auch jetzt, im Umfeld des

Veränderungen auf die Kultur der AMAG?

Technologiewandels, tun wird.

wieder Pionierhaftes geleistet. Ich bin über­

Kundenbegeisterung ist und bleibt zentral. Wir wollen aber auch in neue Mobilitätslösungen und innovative Ansätze investieren und müssen dafür genügend Profit erzielen. So haben wir WE SURPRISE weiterentwickelt: Unter dem Motto WE MOVE fördern wir Surprise, Innova­ tion und Return. Dafür wollen wir uns drei ­Fragen immer wieder stellen: Was überrascht positiv? Was ist fortschrittlich? Was zahlt sich aus? Mit diesem «Dreiklang» machen wir uns einstellungsmässig fit für die Zukunft. Wichtig ist auch, dass unser Eigner, Martin Haefner, ­eine ganz klare Vision für das Unternehmen hat: Wir wollen uns zum führenden Anbieter von


02 ERFOLGS­ GESCHICHTE IN 3 AKTEN Am Anfang war der Käfer.

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ZUKUNFT ERFAHREN

Geschichte ist mehr als Daten und Fakten. Wer sie begreifen will, muss ihre Akteure verstehen; was sie angetrieben und motiviert hat. ­Eine Geschichte der AMAG mit Fokus auf die Menschen, die sie mitgeschrieben haben. Und auf die Autos, die sie ermöglicht haben.

ERFOLGSGESCHICHTE IN 3 AKTEN

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GELEBTER PIONIERGEIST

Pioniergeist – das Fundament des Erfolgs Seit ihrem Start vor 75 Jahren hat die AMAG eine enorme Entwicklung vollzogen. Die Basis dafür war und ist ihr ausgeprägter Pioniergeist. «Pionier» kommt vom französischen Begriff «pionnier» und steht für «Wegbereiter» und «Bahnbrecher». Diese starke und mutige Haltung zeichnet die AMAG aus und ist bis heute das Fundament ihres Erfolgs. Auf den folgenden Seiten zeigen wir, wie die AMAG ihren Pioniergeist entwickelt hat und heute lebt. Und wie das Unternehmen immer wieder Neuland betritt, unkonventionelle Wege beschreitet, Innovation ­fördert, mit Mut investiert, beständig vorwärtsgeht.


PIONIERGEIST IM BLUT – VON DER ­GRÜNDUNG BIS HEUTE Es brauchte Weitsicht, um 1945 ins Autogeschäft

10 Standards vom französischen Hafen Le Havre in

einzusteigen. AMAG Gründer Walter Haefner

die Schweiz, wo Haefner sie verkaufte. Etwas später

­besass diesen Pioniergeist, der inzwischen längst

trafen die ersten Fahrzeuge der Schwes­termarke

in die DNA des Unternehmens übergegangen ist.

­Triumph ein. Ende 1946 kamen die amerikanischen

Wer auf die letzten 75 Jahre zurückblickt, erkennt

Chrysler, Plymouth, DeSoto und Dodge hinzu.

die mutigen Entscheide und Weichenstellungen entlang der AMAG Geschichte sofort. Dazu gehören

Der Sitz der «Neuen AMAG» war zu Beginn am

der sehr frühe Einstieg in die elek­tronische

­Utoquai in Zürich. Doch schon bald reichte der Platz

­Datenverarbeitung, logistische Meisterleistungen,

für das wachsende Geschäft nicht mehr aus.

eine vorausschauende Immobilien­s trategie,

1947 kaufte Haefner deshalb in Schinznach-Bad im

der Einstieg in das Autofinanzierungsgeschäft,

Aargau zusätzlich das Gelände einer ehemaligen

der Aufbau eines massgeschneiderten Garagen-

­Zementfabrik und richtete sich dort ein. Kurz darauf

netzes und erfolgreiche Investitionen in andere

begann die AMAG, in den Fabrikationshallen eine

Geschäftsfelder.

moderne Kleinmontageanlage für die englischen und amerikanischen Importfahrzeuge einzubauen.

AMAG Gründer Walter Haefner zeigte schon früh,

Der Gedanke dahinter: Für demontiert in Kisten

dass er eine gute Nase für Trends und Geschäfts-

­eingeführte Fahrzeuge waren die Importzölle deut-

möglichkeiten besass. Als der Zweite Weltkrieg aus-

lich niedriger, weil das eigene Handwerk von der

brach, wurden Benzin und Diesel für Private knapp.

Montage profi­tieren konnte. Zudem konnte die

Autos liessen sich nur noch betreiben, wenn sie

AMAG in der eigenen Montage Qualitätsstandards

mit einem Holzvergaser ausgestattet wurden. Auf

gewährleisten, ­denen viele der Importfahrzeuge

diese Chance setzte Haefner ab 1941 mit seiner

nicht genügten.

­ersten eigenen Firma Autark. Gleichzeitig wusste er, dass sein Geschäft nach dem Krieg zusammen­ brechen würde. Darauf richtete er sich früh aus und übernahm am 3. Januar 1945 vom Konkursamt ­Riesbach die finanziell ramponierte AMAG Automobilund Motoren AG und gründete die «Neue AMAG ­Automobil- und Motoren AG». Seine Vision: hochwertige Automobile in die Schweiz zu importieren. Im Blickfeld hatte er von Anfang an den robusten «Volkswagen». Doch die englische Marke Standard war die einzige, die direkt nach dem Krieg zu haben war. Anfang 1946 überführten Schweizer Chauf­ feure in hochwinterlichen Verhältnissen die ersten

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Walter Haefner im Gespräch mit dem Volkswagen Generaldirektor Prof. Dr. Heinrich Nordhoff

Am Anfang war der Käfer

ein eigenes Zentrum auszugliedern. Die Standort-

Durch seine hervorragenden Kontakte war es

wahl löste Erstaunen aus: Das 1956 eröffnete zen­

­Walter Haefner in der Zwischenzeit auch gelungen,

trale Ersatzteillager (heute Teilelogistik Zentrum)

mit den britischen Besatzern eine Beziehung auf­

wurde in Buchs ZH realisiert, damals ein kleines

zubauen, die nach dem Krieg die Volkswagen Werke

­Bauerndorf im Furttal, fern von Märkten und Ver-

verwalteten. Am 29. April 1948 konnte die AMAG

kehrswegen, aber mit Bahnanschluss. Fragen warf

den «Generalvertretungsvertrag für den Volks­

auch der Standort des 1965 für den Import eröffne-

wagen», den legendären Käfer, abschliessen – der

ten Fahrzeuglogistik Zentrums Birrfeld bei Lupfig AG

Start eines rasanten Motorisierungsprozesses in

auf, zu dem ein Neuwagen-Parkplatz und später ein

der Schweiz. Wie kein anderes Gefährt symbolisierte

grosses Parkhaus gehörten. Doch beide Standorte

der Volkswagen, dass die motorisierte Mobilität

­liegen heute goldrichtig inmitten grosser Agglomera­

­daran war, für alle Bevölkerungsschichten erschwing­

tionen, direkt bei Autobahndrehkreuzen, und sind

lich zu werden. Die solide Konstruktion und die

an den internationalen Schienenverkehr angeschlos-

­guten Fahreigenschaften in der Schweizer Hügel-

sen. Sie ermöglichten der AMAG den frühen Aufbau

und Berglandschaft überzeugten die Menschen – der

eines hochprofessionellen und wachstumsfähigen

Käfer erreichte Marktanteile von bis zu 30 Prozent.

Logistiknetzwerks, ohne welches das Unternehmen seine heutige Marktposition kaum erreicht hätte.

Weitsichtige Investitionen auf der grünen Wiese Schinznach-Bad war in jenen Jahren das Zentrum

Grossgarage im Kartoffelacker

der AMAG Aktivitäten. Zusätzlich zur Montage kamen

Weitblickend agierte die AMAG auch beim Aufbau

zuerst auch alle fertig importierten Fahrzeuge

ihres Absatznetzwerks. 1956 eröffnete sie in Zürich

an den Standort an der Aare; die VW Käfer gelangten

an der Ueberlandstrasse ihre erste neue Garage.

inzwischen nicht mehr auf der Strasse dorthin,

Bob Hilpertshauser, einer der ersten Lehrlinge der

­sondern per Bahn. Das rasch wachsende Ersatzteil-

AMAG und bis zur Pensionierung für das Unterneh-

lager war auf mehrere Holzhütten verteilt.

men aktiv, erinnert sich gut an die Reaktionen: ­« Alle fragten sich, was eine so grosse Garage in den

Anfang der Fünfzigerjahre erkannte die AMAG

Kartoffeläckern draussen zu suchen hatte.» Doch

­Führung, dass sie handeln musste, wenn sie das

auch in diesem Fall erwies sich die Standortwahl

Wachstumsmoment weiter nutzen wollte. In einem

zwischen der wachsenden Stadt und dem Flughafen

Pionierakt beschloss sie, das Ersatzteilgeschäft in

als richtig. Die AMAG Ueberland war bis 2011 das


Flaggschiff des Unternehmens im Raum Zürich. Und

Früh erste Computer eingeführt

mit dem Mövenpick-Restaurant im Betrieb wurde

Eine weitere für die AMAG wichtige Investition

sie sogar zu einem Ausflugsziel.

­tätigte Walter Haefner 1959 mit dem Automation Center (AC) in Wettingen, nachdem er bereits seit

Die AMAG Ueberland markierte den Bau einer

1954 Versuche mit damals gerade erst verfügbar

­ganzen Reihe von eigenen Garagen in den wichtigen

gewordenen Festplattencomputern gewagt hatte.

Schweizer Zentren wie Bern, Biel, Genf und Lau­

Das AC stellte als Schwesterfirma der AMAG den

sanne. Ab 1959 realisierte sie zudem in kleineren

­F irmenrahmen für den Kauf des ersten kommerziell

Zentren zahlreiche Garagen, die sie an selbstständig

erfolgreichen Computers Ramac 305 von IBM dar –

­ar­beitende Franchising-Unternehmen vermietete.

ein damals enorm teurer Schritt. Die Überlegung

«So erreichten wir rasch eine landesweite Präsenz,

­dahinter: Die Bewirtschaftung des AMAG Ersatzteil-

die unser Wachstum und unseren Erfolg stützten»,

lagers erfolgte manuell mit Karteikarten – eine

erinnert sich Reto Töndury, langjähriger Kommunika­

­unendlich mühsame und aufwendige Prozedur. Dank

tionschef und später Verwaltungsrat der AMAG.

des Elektronenhirns im Automation Center, das dem Ersatzteillager in Buchs Dienstleistungen ver-

Sein Talent als Geschäftsmann bewies Walter Haefner

kaufte, gelang der AMAG der Sprung ins digitale

neben dem Autogeschäft auch in weiteren Feldern,

Zeitalter deutlich früher als Mitbewerbern.

unter anderem mit dem Küchengerätehersteller ­Novelectric und dem Bau- und Generalunternehmen

Wie prägend das Schwesterunternehmen für die

­Mobag. Enger mit dem Stammgeschäft verknüpft

AMAG war, zeigen Ausschnitte aus einer damaligen

­waren zwei weitere Engagements. Bereits 1953

Firmenpublikation: «Der Ramac 305 hat 10 Millionen

­erkannte der AMAG Patron, dass der Kauf eines ei-

Zahlen und Zeichen im ‹Kopf›! Er besorgt auto­

genen Autos für viele Menschen eine hohe finanzielle

matisch die ganze Fakturierung und das Bestell­

Hürde darstellt. Deshalb gründete er als Gefäss für

wesen für die Auto-Ersatzteile, er kennt von

die Finanzierung von Autokäufen die Aufina AG,

­jedem Artikel den Lagerbestand und schreibt von

die er später an die Schweizerische Bankgesellschaft

selbst eine N ­ eubestellung, sobald nur noch ein

verkaufte und die heute im UBS Leasing weiterlebt.

­bestimmtes M ­ inimum an Exemplaren vorhanden ist.

In diversen mittelgrossen ­Ortschaften baute die AMAG Garagenbetriebe, die sie ­jungen Garagisten im Franchising zur Verfügung stellte.

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«Mit selbständig arbeitenden FranchisingUnternehmen erreichten wir rasch eine landesweite Präsenz, die unser Wachstum und unseren Erfolg stützten.» Reto Töndury, langjähriger Kommunikationschef und später Verwaltungsrat der AMAG

Das Automation Center (AC) in Wettingen im Jahr 1965


Dem E ­ lektronenhirn entgeht auch nicht das kleinste

importeurin, Autoverkäuferin und Mobilitätsdienst-

­Detail, das zu seinem vielseitigen Aufgabengebiet

leisterin sein muss. Seit 1980 ist dieser Aufgaben­

gehört.»

bereich in der AMAG Leasing AG zusammengefasst. Sie verleast Einzelfahrzeuge und Fahrzeugflotten

Für die Garagen und Händler entwickelte das Auto-

an Privat- und Firmenkunden und bietet darüber

mation Center zudem Software für Buchhaltung,

­hinaus ein umfassendes Dienstleistungsspektrum –

betriebliche Statistiken und Personalwesen, die es

von der Tankkarte bis zum computergestützten

auch an Dritte verkaufte. Das Geschäft war so

Fleetmanagement.

­erfolgreich, dass Haefner das Automation Center mit Filialen in Genf, Basel und in verschiedenen

Hybrid-Versuche schon 1991

­europäischen Ländern nach einigen Jahren über

Die technologische Innovation der Fahrzeuge fiel

­einen Aktientausch in eine amerikanische Firma ein-

und fällt nicht in den Aufgabenbereich der AMAG.

brachte – und so auch zum erfolgreichen IT-Unter-

Wenn es um die Markteinführung neuer Modelle

nehmer wurde.

oder neuer Fahrzeugkonzepte geht, hilft das Unternehmen mit seinem Know-how aber tatkräftig mit. 1991 etwa unterstützte es die Finanzierung eines

«Wir waren in der Schweiz und in Europa führend» «Das AMAG Ersatzteillager und das Automation Center sollten damals zusammenarbeiten. Aber es funktionierte nicht richtig, weil die Chemie zwischen den Leuten nicht stimmte. Als ich 24 war, erhielt ich vom Ersatzteillager die Aufgabe, zu vermitteln. Das war eine ungeahnt spannende Aufgabe. Das Automation Center arbeitete mit den ersten Computern der Schweiz. Nur die Swissair und die grossen Banken hatten auch schon solche Maschinen. Die Leute kamen von überallher, um den Computer zu sehen und unsere praktischen Anwendungen kennenzulernen. Meine Aufgabe war, Business­ überlegungen einzubringen. Zusammen mit dem Automation Center haben wir tolle Anwendungen für den Importeur und die Händler entwickelt – wir waren in der Schweiz und in Europa in unserer Branche führend. Ende 1971 hat dann die AMAG entschieden, einen eigenen Computer zu installieren und die Aufgaben des Automation Centers selbst zu übernehmen. Das war der Anfang des IT-Bereichs der AMAG.» Peter Utzinger (83) durchlief von 1952 bis 1955 in der AMAG Utoquai eine KV-Lehre. Nach Aufenthalten in der Westschweiz war er ab Juni 1960 im Ersatzteillager in Buchs für die Kontakte zum Automation Center in Wettingen zuständig. Später nahm er im Teilelogistik Zentrum Buchs Führungsfunktionen wahr und leitete dieses von 1972 bis zu seiner Pensionierung 1995.

mehrjährigen Flottenversuchs mit 20 Parallel­hybridFahrzeugen des VW Modells «Golf» in Zürich. ­W issenschaftlich begleitet wurde der Versuch von der ETH Zürich, wobei verschiedene Akkuvarianten getestet wurden. Die Reichweite der Hybride betrug mit dem Elektromotor allein je nach Topo­grafie rund 25 Kilometer. Für den Marktdurchbruch kam das Konzept zu früh, und die Akkutechnologie war noch nicht reif. AMAG Autowelt: einzigartig und kundenfokussiert Einen Pionier-Meilenstein setzte die AMAG 2011 mit der Eröffnung der AMAG Autowelt in Dübendorf ­(siehe Seite 42). Das bis heute in der Schweiz und ganz Europa einzigartige Konzept vereint den Verkauf und die ganzen Aftersales-Dienstleistungen aller Automarken der AMAG für ein grosses Einzugsgebiet unter einem Dach. Rund 100 Millionen Franken investierte die AMAG in das massgeschneiderte Gebäude, das mit seinen Dimensionen und seinen auch räumlich ausgeklügelt ineinandergreifenden

Früh erfasste die AMAG mit ihrer starken Kunden­

Prozessen einem Kreuzfahrtschiff ähnelt. Im Fokus

orientierung auch, dass das Leasinggeschäft ein

stand dabei immer, die Kundenbedürfnisse optimal

wichtiges Standbein einer integriert tätigen Auto­

abzudecken.

30


31

Weiter hat die AMAG in den letzten Jahren insbe-

mithalten will, muss über entsprechendes Know-how

sondere in Einrichtungen investiert, die sich freie

verfügen und agil sein. Mitte 2018 gründete die

Garagisten nicht leisten können. Dazu gehören

AMAG deshalb das Innovation & Venture LAB. Sein

­spezialisierte Karosserie- und Lack-Centers wie jenes

Ziel ist, Innovationen noch schneller und noch fokus-

in Lengwil bei Kreuzlingen TG oder das im Bau be-

sierter voranzubringen, neue Geschäftsmodelle zu

findliche Zentrum in Wettswil bei Zürich. Solche auf

entwickeln sowie Beteiligungen und Start-ups ope-

maximale Effizienz getrimmte Dienstleistungs­

rativ zu führen. Dazu spürt das LAB Mobilitätstrends

fabriken sind bereits auf den Markt der Zukunft

nach, vernetzt sich mit führenden Universitäten und

­ausgerichtet – mit mehr Elektroautos, weniger

setzt sich mit Initiativen des Volkswagen Konzerns

­Wartung, durch autonome Fahrzeuge reduzierte

aus­einander. Aktuelle Themen im Innovation & Ven-

Unfallzahlen, aber mit komplexeren Schadensbildern.

ture LAB sind zum Beispiel Connectivity, M ­ obility as a Service, E-Mobility Services sowie d ­ isruptive

Neuer Auftritt

­E-Business-Modelle.

Im letzten Jahrzehnt fokussierte die AMAG ihren Pioniergeist unter anderem auf Erneuerungen in der

Bestens aufgestellt für die nächsten

Organisation und im Auftritt des Unternehmens.

­Pionierleistungen

­Dazu gehörte die Einführung des neuen Logos am

Eine weitere organisatorische Anpassung folgte

25. August 2013 mit einem grossen Mitarbeitenden-

­A nfang 2018. Das Autogeschäft wurde aus der

anlass im Zürcher Hallenstadion. Das Logo ist

­C areal, der Familienholding der Haefners, herausge-

­zurückhaltend als Schriftzug gestaltet und ersetzt

löst und neu in der heute Martin Haefner gehören-

das alte Bildlogo mit der Front eines Rennwagens.

den AMAG Gruppe zusammengefasst. Seither ist

Der Hauptgrund für den Schritt: Im Vordergrund

das Unternehmen zudem in Business-Units organi-

stehen sollen gegenüber den Kundinnen und Kunden

siert. Diese Schritte unterstützen eine klare Führungs­

die Bildmarken der Autobrands – zum Beispiel

verantwortung mit kurzen Entscheidungswegen

das VW Emblem oder die Audi Ringe. In einer zeitlich

und sind die Voraussetzung dafür, dass die AMAG

und finanziell aufwendigen Aktion wurde in den

ihren Pioniergeist auch künftig in die Tat umsetzen

­Folgewochen an allen Standorten das alte Logo ab-

kann. Einen positiven Beitrag zum Innovationsumfeld

geschraubt und durch den neuen Schriftzug ersetzt.

­leistet auch der in der zweiten Hälfte 2019 erfolgte Zusammenzug der meisten Führungs- und Adminis-

Als AMAG Gründer Walter Haefner 1910 geboren

trationsfunktionen im neuen Bürokomplex Helix

wurde, waren in der Schweiz 2276 Personenwagen

in Cham ZG. In diesem Rahmen wurde auch der Kon-

registriert – heute sind es rund 4,6 Millionen. Der

zernsitz von Zürich an den neuen Standort verlegt.

­allergrösste Teil dieses enormen Wachstums fiel auf die Zeit zwischen 1950 und 2000. Die AMAG hat

Dank ihres Pioniergeists hat sich die AMAG von der

­diese Veränderung der Mobilität mitgeformt und ist

mutigen Importeurin britischer Autos direkt nach

mit ihr gross geworden. Seit einigen Jahren zeichnet

Ende des Zweiten Weltkriegs zu einer grossen und

sich nun eine weitere Veränderungswelle ab, die

landesweit bestens positionierten Mobilitätsan­

­insbesondere von der technologischen Entwicklung

bieterin entwickelt. Was die Zukunft genau bringt,

im Bereich der Elektromobilität und der selbstfah-

kann niemand sagen. Doch klar ist: Das Fundament

renden Fahrzeuge sowie von Umweltaspekten ge-

für die Fortschreibung der AMAG Erfolgsgeschichte

trieben wird. Wer in solchen Zeiten der Veränderung

ist gelegt.


Ein interdisziplinäres Team arbeitet im AMAG Innovation & Venture LAB losgelöst von Tagesgeschäft und Strukturen an Themen rund um die individuelle Mobilität von morgen.

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33

«Wir haben Kundenorientierung schon 1946 gelebt.»

Die AMAG legt heute sehr grossen Wert auf

wickelt. Auch bei der AMAG gehörten eine

die Kundenorientierung. War dies früher auch

Drehbank und eine Esse für Schmiedearbeiten

schon so?

zum Inventar. An der Gewerbeschule und der

Wir haben diese Haltung im Alltag schon immer

Lehrabschlussprüfung waren damals Dreh-

gelebt. Bereits 1946, als ich die Lehre als Auto­

und Schmiedearbeiten Prüffächer. Die rein

mechaniker in der AMAG Utoquai begann. Der

­autotechnischen Kenntnisse der Mechaniker

Werkstattchef hat mir dieses kundenorientierte

waren eher bescheiden, zu jener Zeit gab es

Denken schon am ersten Tag beigebracht und

ja dazu kaum Ausbildungsangebote. Für einen

eingeimpft. Es hat mich während meines ganzen

wissbegierigen Lehrling war das natürlich ein

Berufslebens nicht mehr losgelassen.

Nachteil. Messgeräte waren nur wenige vorhan­ den. Repariert wurden alle Marken, vor allem

Haben Sie ein Beispiel für diese frühe Kunden-

auch Autos, die während des Krieges stillgelegt

orientierung?

waren und wieder fahrtüchtig gemacht wurden.

Ja, das war im vierten Lehrjahr. Ein Kunde rief an. Der Motor an seinem Kastenwagen sei ka­

Wie war Ihre erste Begegnung mit dem VW Käfer?

putt, der Wagen stehe in einer kleinen Werkstatt

Wir alle standen zuerst skeptisch um dieses

in Arbon am Bodensee. Ich musste alles stehen

­Auto herum. Es wirkte etwas fremd, der Motor

und liegen lassen und fuhr noch am gleichen

war hinten und nicht vorne, die Motorkühlung

Nachmittag nach Arbon. Ich konnte mir in

erfolgte mit Luft und nicht wie gewohnt mit

­etwa vorstellen, was passiert war. Für die Repa­

Wasser. Es war das Zeitalter, als an den Pass­

ratur musste der Motor zerlegt werden; die

strassen Wasserstellen aufgebaut waren, um den

­dafür notwendigen Werkzeuge und die Ersatz­

Kunden bei kochendem Motor-Kühlwasser

teile nahm ich mit. Gegen Mitternacht lief der

­behilflich zu sein. Darüber wussten die Kunden

Motor ­wieder. Anschliessend fuhr ich wieder

Bescheid. Aber Luft? Sie waren eher kritisch.

zurück und war um 7.30 Uhr selbstverständlich

Eine geniale Werbung half: «Luft siedet nicht,

wieder am Arbeitsplatz am Utoquai.

Luft gefriert nicht.» Das überzeugte.

Wie muss man sich eine Werkstatt von

Wie verlief Ihre berufliche Entwicklung nach

­damals vorstellen?

dem Abschluss der Lehre?

Die damalige Autowerkstatt hatte sich in der

Ich hatte schon während der Lehrzeit Visionen:

Regel aus einer mechanischen Werkstatt ent­

Weiterbildung zum Automobilingenieur und


«Der Werkstattchef hat mir dieses kundenorientierte Denken schon am ersten Tag meiner Lehre beigebracht und eingeimpft. Es hat mich während meines ganzen Berufslebens nicht mehr losgelassen.» Bob Hilpertshauser, erster Lehrling der AMAG

Offiziersschule. Beides habe ich durchgezogen.

Das Wichtigste war, den aktuellen Stand der

Während der Semesterferien arbeitete ich

Technik mit möglichst geringem Informations­

für etwas Sackgeld in der AMAG Utoquai als

verlust in jeden einzelnen Betrieb zu bringen.

Mechaniker weiter.

Zudem führten wir eine Reihe von Kunden­ kontakt-Programmen ein, zum Beispiel die

Danach kamen Sie zu AMAG Import. Welche

­kostenlose Autowäsche nach einem Service oder

Aufgaben hatten Sie da?

nach Reparaturarbeiten.

Dringend war der Aufbau einer Schulung für das Werkstattpersonal der Vertriebsorganisation.

Was war der Gedanke dahinter?

Während der ersten Jahre war das ein Ein-

Beim Service muss man auch jene Dinge

Mann-­Unternehmen in einer alten Armee­

berück­sichtigen, die der Kunde sieht oder hört.

baracke. Der Schulungsbedarf wurde immer

Die Sauberkeit ist da ganz wichtig. Was wir

umfang­reicher, ein leistungsfähiges Ausbildungs­

am ­Motor im Service gemacht haben, kann

zentrum wurde gebaut und die Stufe «Service­

er viel weniger beurteilen. Ein weiteres Beispiel

techniker» eingeführt. Von diesem Wissens­

für die Kundenorientierung sind übrigens die

zuwachs profitierten Kunden und Werkstatt

Räder­hotels. Diese heute voll automatisierten

gleichermassen.

und zum Teil zentralisierten Räder- und Reifen­ lager gehen auf eine frühe Initiative zurück.

Sie wurden bereits in jungen Jahren Kunden-

Wir ­haben das damals noch in den Garagen

dienstleiter aller AMAG Marken. Gab es da

­organisiert. Bei den Kunden kam dieses Ange­

­weitere Meilensteine in der Kundenorientierung?

bot sehr gut an. Dasselbe gilt für das AMAG

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Im April 1947 konnte der damalige Verkaufsleiter Hans Stanek (links) den tausendsten Standard übergeben.

Austauschprogramm und die Mobilitätsgarantie

hatte aber keinen Vertrag. Da sah ich eines Tages

im Pannenfall.

Walter Haefner an der Tankstelle am Utoquai. Ich nahm allen Mut zusammen und fragte ihn

Haben Sie Ihre Ziele bei der AMAG erreicht?

nach einem Mechanikervertrag. Er schaute

Das beurteilt in erster Linie der Kunde. Ich

mich an und fragte: «Ist Ihnen mein Wort weni­

­erinnere mich aber an die letzte in meiner akti­

ger wert als ein Stück Papier?» Ich ging 1997 mit

ven Zeit bei der AMAG durchgeführte Kunden­

dem Lehrvertrag in Pension.

befragung des VW Werks. Die AMAG hat dabei sehr gute Werte erreicht, auch im europäischen Vergleich. Das ist vor allem ein Verdienst der hochmotivierten Mitarbeiterinnen und Mitar­ beiter der ganzen Vertriebsorganisation. Welches Erlebnis ist Ihnen aus Ihrer AMAG Zeit am eindrücklichsten geblieben? Am Anfang hatte ich einen Lehrvertrag erhalten. Nach der Lehre arbeitete ich als Mechaniker,

Bob Hilpertshauser (88) hat sein gesamtes B ­ erufsleben bei der AMAG verbracht. Nach der Lehre als Automechaniker 1946 war er im Import­bereich tätig und leitete ab 1965 den Kundendienst aller AMAG Marken. Parallel dazu absolvierte er eine militärische Karriere bis zum Oberst der Transporttruppen.


VOM UTOQUAI IN DIE GANZE SCHWEIZ HINAUS

1945 hatte die AMAG einen einzigen Standort:

der Sechzigerjahre entstand die AMAG Biel, und

denjenigen am Zürcher Utoquai. Heute sind es

1968 eröffnete das Unternehmen nahe beim Wank-

über 100 eigene Betriebe und Standorte. Rund

dorfstadion die Grossgarage AMAG Bern. Wenn

400 Partner­betriebe ergänzen diese zum dichtes-

Partnerbetriebe zum Verkauf standen, weil etwa

ten Netzwerk der Schweizer Autobranche. Dieses

keine Nachfolge gefunden werden konnte, nutzte

ist ­zusammen mit einer ausgeprägten Kunden­

die AMAG auch Zukäufe, um ihre Präsenz zu verstär-

orientierung das Erfolgsfundament der AMAG.

ken – so geschehen zum Beispiel 1959, als sie die ehemalige Grossgarage Waibel an der Badener­

Die Vision der AMAG war von Anfang an, sich die

strasse in Zürich übernahm und so das Fundament

ganze Schweiz und das Fürstentum Liechtenstein

für die AMAG Letzigrund legte.

als Absatzgebiet zu erschliessen. Nach den ersten Verkaufserfolgen begann das Unternehmen damit,

Ab Ende der Fünfzigerjahre beschleunigte die

ein Vertreternetz mit geeigneten leistungsfähigen

AMAG ihr Wachstum mit einem Franchise-System.

Kundendienstbetrieben aufzubauen. Dazu arbeitete

Insbesondere in schnell wachsenden Agglomeratio-

sie mit vertrauenswürdigen privaten Familien­

nen baute sie eine ganze Reihe von modernen

betrieben zusammen.

­Stützpunkten und vermietete diese an tüchtige junge Unternehmer zur selbstständigen Geschäftsführung.

Parallel dazu verfolgte die AMAG die Strategie, die wichtigsten Städte im Land möglichst rasch mit ­eigenen Standorten zu erschliessen. Der erste Filialbetrieb entstand 1952 an der Schwarztorstrasse in Bern und war die damals modernste Servicestation der Schweiz. Weil es am Zürcher Utoquai immer ­weniger Platz gab, eröffnete die AMAG 1956 an der Peri­pherie der Stadt an der Ueberlandstrasse Richtung ­Flughafen Zürich-Kloten die landesweit grösste ­Garage. Weitere Wachstumsschritte mit eigenen Garagen folgten: 1962 war Genf an der Reihe, Mitte

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«Wichtig beim Aufbau des Netzwerks war, dass die AMAG als Familienbetrieb schnell entscheiden konnte.» Silvio Bizzini, ehemaliger AMAG Verwaltungsrat und Geschäftsführer der AMAG Betriebe Lugano

Beispiele dafür sind Bachenbülach, Horgen, Romans­

ben das dichteste Garagennetz der Schweiz bilden –

horn, St. Gallen Lerchenfeld, Dulliken, Cham und

wichtig zum Beispiel gerade für Flottenkunden.

­Bellinzona. Die Franchise-Betriebe konnten je nach lokalem Markt im Baukastensystem kleiner oder

Neben einem dichten Vertriebs-, Logistik- und

grösser realisiert werden.

­Servicenetz ist die Kundenorientierung ein weiterer wichtiger Schlüssel zum AMAG Erfolg. Und war es

Fein austariertes Standortnetz

von Anfang an – die AMAG hat neue Kundenbedürf-

Über die Jahre entstand so in allen Landesteilen ein

nisse sowie gesellschaftliche und technologische

Netz von eigenen Standorten und Partnerbetrieben.

Trends immer rasch aufgenommen und umgesetzt.

Wenn eine neue Marke dazukam, wie etwa 1992

Dies erlaubte ihr, einen absolut zentralen Meilenstein

ŠKODA, wuchs das Netzwerk mit. Die meisten Kun-

in der Kundenorientierung in einen Wettbewerbs­

dinnen und Kunden verbinden «AMAG» heute mit

vorsprung umzuwandeln: die Digitalisierung, die sie

einem der über 80 eigenen AMAG Garagenbetriebe,

bereits in den Sechzigerjahren einleitete (siehe

die insbesondere entlang der Wirtschaftsachse vom

Seite 28). Die ersten kommerziell verfügbaren Com-

Bodensee bis zum Genfersee angesiedelt sind. Diese

puter bildeten die Basis für den Aufbau eines

verkaufen rund jedes zweite Fahrzeug, welches

­hocheffizienten Logistiknetzes, das bis heute in der

das Unternehmen importiert. Ergänzt wird das fein

­Branche eine Vorbildfunktion hat (siehe Seite 48).

austarierte Netz durch rund 400 freie Vertragspart-

Auch das heute nirgends mehr wegzudenkende

ner, die ebenfalls die Marken des Volkswagen Kon-

Customer Relationship Management war bei

zerns vertreten und zusammen mit den AMAG Betrie­

der AMAG bereits früh selbstverständliche Praxis.


Loyalität entsteht im persönlichen Kontakt «So haben wir das durchgezogen»

«Doch wir dürfen nie vergessen, dass der Computer

«Ein Autoimporteur hat immer ein Dilemma. Die Werke wollen eine möglichst grosse geographische Abdeckung. Doch betriebswirtschaftlich ergibt es wenig Sinn, überall präsent zu sein. Die AMAG hat diese Fragestellung sehr gut gelöst – mit eigenen Garagen vorwiegend in den grossen Zentren und Agglomerationen und einem dichten Partnernetzwerk. Ich kann mich noch sehr gut an die Anfänge dieses Gesamtkunstwerks erinnern. Die AMAG hat in allen Landesteilen mit Familien zusammengearbeitet, die im Autogeschäft einen guten Namen hatten. Zum Beispiel in Lausanne mit der Familie Jean, die auch die Cilo-Fahrräder herstellte. Oder in Lugano mit der Familie Fumagalli von der Garage Cassarate und in Fribourg mit der Familie Gendre, die auch im Aufzugsgeschäft tätig war. In vielen Fällen wurden die Betriebe später der AMAG angeboten, und sie konnte die Betriebe übernehmen.

nur ein Instrument ist, das uns unterstützt, die

Wichtig beim Aufbau des Netzwerks war, dass die AMAG als Familienbetrieb schnell entscheiden konnte. Ein Beispiel dazu: 2002 hatte ich die Idee, in Lugano eine Porsche Vertretung aufzubauen. Zuerst spürte ich viel Skepsis. Doch dann kam Walter Haefner persönlich ins Tessin. Ich holte ihn mit einem ŠKODA am Bahnhof ab, und wir gingen mittagessen. Auf einer Papierserviette skizzierte ich ihm den Businessplan – man muss sich eben einfach und klar ausdrücken können, und selbstverständlich hatten wir im Hintergrund alles genau durchgerechnet. Am Nachmittag besichtigten wir den vorgesehenen Standort in Noranco, gleich gegenüber der Mercedes-Vertretung. Nach drei Tagen rief mich ­Haefner an und sagte: ‹Bizzini, wenn Sie bis zur Eröffnung der Vertretung bei uns bleiben, haben Sie mein Ja.› Und so haben wir das durchgezogen. Heute ist das ­P orsche Zentrum Lugano ein erfolgreicher AMAG First Betrieb. Dieses Vorgehen war typisch für die AMAG. Ich war immer stolz auf sie; sie ist meine zweite Familie.» Silvio Bizzini (79) wuchs in einer Garagistenfamilie in Biasca TI auf, die auch VW Käfer verkaufte. Ende der Sechzigerjahre kam er zur AMAG in den Geschäfts­ bereich Import, wo er verschiedene leitende Funktionen innehatte. Später übernahm er die Leitung der traditi­ onsreichen Tessiner Garage Cassarate-Gruppe mit den Marken VW, Audi, SEAT, ŠKODA und Porsche. Diese ­entwickelte er erfolgreich weiter und führte sie auf den 1. Januar 2001 in die AMAG Gruppe. 2006 wechselte Silvio Bizzini in den Verwaltungsrat. Diesen verliess er 2014 und ist bis heute beratend für das Unternehmen tätig.

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­Bedürfnisse der Kunden systematisch zu erkennen», mahnt das AMAG Urgestein Silvio Bizzini. Denn ­Loyalität entsteht und wächst nicht digital, sondern im persönlichen Kontakt, wenn die AMAG Mitarbeitenden die Erwartungen der Kunden immer wieder übertreffen und so positive Emotionen wecken. ­Gelingt dies, kann eine emotionale Bindung entstehen, die lebenslang hält und ausstrahlt – solche ­Kunden empfehlen die AMAG auch bei ihren Freundinnen und Freunden weiter. Heute ist die Kundenorientierung konsequent in die AMAG Prozesse eingebaut. Doch auch auf dieser organisatorischen Ebene gilt: Der persönliche ­Kontakt und das persönliche Erlebnis des Kunden sind ausschlaggebend. Deshalb sensibilisiert die AMAG ihre Mitarbeitenden regelmässig für diese wichtige Grundhaltung, zum Beispiel ab 2012 mit der Initiative «AMAG Nr. 1 – WE SURPRISE» für eine im Alltag gelebte Kundenorientierung. Romands ticken anders als Deutschschweizer Für eine wirkungsvolle Kundenorientierung ist es zudem zentral, die unterschiedlichen Gegeben­ heiten in den drei grossen Sprachregionen der Schweiz zu berücksichtigen. So sagt Denis Angéloz (65), bis Ende 2018 Leiter der AMAG Region Romandie: «Ein Kunde oder eine Kundin aus Lausanne, Genf oder Neuchâtel ist in der Regel kritischer und deshalb aufwendiger zu betreuen als ein Deutschschweizer. Sie wollen mehr und sehr gut dokumentierte Erklärungen und verlangen von uns höchste Flexibilität. Mit anderen Worten: Wir müssen unsere Kunden regelrecht von der Qualität unserer Produkte


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und Dienstleistungen überzeugen, bis es zum

Kommentar und können sie die Person dahinter

­Abschluss kommt. Ein Deutschschweizer oder eine

identifizieren, nehmen René Reymond und seine

Deutschschweizerin schenkt normalerweise dem

Teams persönlich Kontakt auf. «Ein schlechtes

Unternehmen und seinem Image mehr Vertrauen.

­R ating tut mir weh – wir müssen daraus lernen»,

Die Romands sind übrigens auch schneller und

­begründet er. Erst kürzlich hatte er bei einem solchen

­offensiver, wenn es um Reklamationen geht. Aber

Kontakt ein prägendes Erlebnis: «Der Kunde hat

bien oui … wir stellen uns gerne auf unsere ­Kunden

­unser Vorgehen so geschätzt, dass er das Rating

ein, genauso wie dies unsere Kollegen in der Deutsch­

­geändert und auf positiv gestellt hat.»

schweiz und im Tessin tun.» Voneinander lernen Sein Kollege René Reymond (47), seit 2015 Leiter der AMAG Autowelt in Dübendorf und heute auch des ­Betriebsverbunds Zürich Ost, kennt als in der Deutsch­schweiz aufgewachsener Romand die Unter­ schiede zwischen den Landesteilen ebenfalls. Seine Devise ist: «Wir können alle voneinander lernen.» Wichtig ist für ihn, die Kunden immer «auf Augenhöhe» als Partner zu sehen und ihnen fair, transparent und ehrlich zu begegnen, «dann sind sie auch bereit, für eine Dienstleistung einen angemessenen Preis zu bezahlen». Auch wenn ein Kundenkontakt nicht

Mit einem Kunden nach Turin «Ich war Anfang der Siebzigerjahre als junger Ingenieur in Schinznach-Bad tätig. Da erhielt ich einen Anruf von Walter Haefner. Er beauftragte mich, einen wichtigen Kunden nach Turin zu begleiten, zum weltbekannten Autodesigner Pietro Frua. Der Kunde hatte ein von Frua gestaltetes Auto gesehen und wollte unbedingt auch ein solches. Ich musste alles stehen und liegen lassen und machte mich mit dem Kunden auf den Weg. Im Kontakt mit dem Designer übersetzte ich für ihn vom Deutschen ins Italienische. Am Ende stand das Design. Frua fertigte die Karosserie in einjähriger Handarbeit an. Wir montierten sie dann in Schinznach-Bad auf ein Chrysler-Chassis.» Silvio Bizzini, ehemaliger AMAG Verwaltungsrat und ­Geschäftsführer der AMAG Betriebe Lugano

funktioniert hat, lässt Reymond nicht locker. Regelmässig durchforsten seine Leute die Google-Ratings der AMAG Autowelt. Finden sie einen schlechten

«Die AMAG ist meine zweite Familie.» Silvio Bizzini, ehemaliger AMAG Verwaltungsrat und Geschäftsführer der AMAG Betriebe Lugano


EIN TYPISCHE UNTERNEHME MIT WEITSIC SCHAFFT BES

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ES FAMILIEN­ EN PLANT HT UND STÄNDIGKEIT.


«DIE PROZESSE PLAN­ TEN WIR AN EINEM ­ARCHITEKTURMODELL» In den letzten Jahren haben sich immer mehr

Die AMAG Autowelt in Dübendorf ist eine Welt

Kontakte zwischen Unternehmen und ihren

für sich. Im Erdgeschoss öffnet sich das über

Kunden in den digitalen Raum verlagert. Anders

200 Meter lange Gebäude gegen aussen, emp­

ist dies in den AMAG Garagen. Dort ist der

fängt Besucherinnen und Besucher freundlich –

­persönliche Kontakt für ein positives Gesamt­

ob sie mit dem eigenen Auto anreisen oder mit

erlebnis weiterhin zentral. Die AMAG investiert

der wenige Meter entfernt haltenden Glattal­

deshalb bewusst in ihre Garagen und fördert

bahn. Wer eintritt, wird sofort begrüsst und an

dort die Kundenorientierung – erzählt von René

den richtigen Ort gewiesen – zur Service-

Reymond, der Leiter Betriebsverbund Zürich Ost,

und Reparaturannahme oder zu den Verkäufern,

am Beispiel der AMAG Autowelt in Dübendorf.

die ihre Marken Volkswagen, ŠKODA, Audi,

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­SEAT und VW Nutzfahrzeuge in fünf grosszügi­

Verkehr gut erschlossen sind. Wir haben

gen Showrooms zeigen. Geht man in die oberen

­eine eigene Haltestelle der Glattalbahn, direkt

Stockwerke, öffnet sich eine ganz andere Welt.

vor der Haustüre. Leider haben wir es nicht

Eine Strasse führt durch das ganze Gebäude,

­geschafft, dass sie AMAG Autowelt heisst …

links und rechts reihen sich Werkstätten der

­Service- und Reparaturkunden erhalten gratis

fünf Marken, Ersatzteillager, Lackiererei,

ein VBZ-Ticket. Neben Ersatzwagen bieten

Spenglerei, Diagnose Center, Express-Service

wir neu auch Scrooser-Elektroroller für die

und Flächen für weitere Dienstleistungen anein­

Ersatz­mobilität an.

ander. Auch ein Ausbildungszentrum gehört dazu, das pro Jahr von über 200 Lernenden der

Welches war die grösste Herausforderung bei

AMAG und der Partnerbetriebe besucht wird.

der Planung der AMAG Autowelt?

Zuoberst befinden sich die Waschstrassen, das

Wir haben sehr stark darauf geachtet, der Auto­

helle Personalrestaurant für die rund 260 Mit­

welt eine Struktur und eine Kultur zu geben.

arbeitenden und Büros für HR und weitere

Dazu mussten wir in einem Gebäude fünf Mar­

­Administrationsfunktionen. Alle Prozesse im

ken mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen,

Gebäude greifen wie ein gut geschmiertes

offen gestaltete Zonen für den Kundenkontakt

­Räderwerk ineinander – mit einem einzigen Fo­

und eine hocheffiziente Werkstatt unterbringen.

kus: zufriedene Kundinnen und Kunden. Rund

Ganz wichtig war, dass die Besucherinnen

100 Millionen Franken liess sich die AMAG unter

und Besucher keine Schwellenangst verspüren

Verwaltungsratspräsident Martin Haefner das

und sie sich trotz der Grösse persönlich gut

neue Flaggschiff kosten – eine Summe, die

­aufgehoben fühlen.

­einerseits die Bedeutung des Zürcher Marktes mit seiner Millionenagglomeration spiegelt und

Und die Mitarbeitenden?

­anderseits zeigt, wie wichtig die Kundenorien­

Klar, auch für sie muss es stimmen, damit sie

tierung für den unternehmerischen Erfolg ist.

ihre Leistung bringen können. Wir haben eine Betriebsgrösse, in der es nicht selbstverständlich

René Reymond, gibt es in der Schweiz eine

ist, dass man alle Kolleginnen und Kollegen

­vergleichbare Garage?

noch persönlich kennt. Doch wir legen Wert

Nein, in der Schweiz ist die AMAG Autowelt

auf eine gute Atmosphäre. Wie in der gesamten

einzigartig. Und auch in Europa sind wir eines

AMAG pflegen auch wir die «Du»-Kultur – egal,

der grössten Autohäuser. Unsere fünf Import­

auf welcher Funktionsstufe man ist. Für den

marken und alle Dienstleistungen rund ums

Zusammenhalt wichtig sind auch gemeinsame

Automobil unter einem Dach zu vereinen, bietet den Kunden einen grossen Mehrwert. Weshalb fiel die Wahl auf den Standort in Dübendorf? Es ging grundsätzlich um einen Ersatz für die AMAG Ueberland. Man hat damals verschiedene Optionen geprüft. Der heutige Standort, drei Kilometer von «der Ueberland» entfernt, ist ­perfekt, nahe bei der Autobahn, mit Hauptstras­ sen in alle Richtungen. In 15 Minuten ist man beim Flughafen oder in der Zürcher Innenstadt. Wichtig ist auch, dass wir mit dem öffentlichen

Die AMAG Autowelt Dübendorf in Zahlen –E röffnung: März 2011 –P ersonal: rund 260 Mitarbeitende – S howrooms: insgesamt 6400 m2 –V erkaufte Neuwagen: rund 4000 pro Jahr –D urchgänge (Reparatur/ Service): durchschnittlich 165 pro Tag, in der Hochsaison bis zu 300 –B ebaute Fläche: 10’000 m2 oder 1,5 Fussballfelder –G ebautes Volumen: 185’000 m2 oder 185 Einfamilienhäuser – Gebäudemasse: 218 × 48 Meter oder ein ­K reuzfahrtschiff; 5 Stockwerke – A rmierung: 4300 Tonnen oder 3600 VW Golf



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«Die Besucherinnen und Besucher sollen keine Schwellenangst verspüren und sich trotz der Grösse der Autowelt persönlich gut aufgehoben fühlen.» René Reymond, Leiter AMAG Autowelt

Events, zum Beispiel die Weihnachtsfeier oder

Showroom. Jede hat auch ihren eigenen

der Grillanlass im Sommer.

Geschäfts­f ührer und ihre eigene Werkstatt mit spezialisierten Mechanikern. Es ist eben etwas

Wie haben Sie es geschafft, die vielen unter-

anderes, ob das Herz für Audi schlägt oder

schiedlichen und voneinander abhängigen

für SEAT – diese Identifikation mit der Marke

­Prozesse so zu gestalten, dass sie funktionieren?

wünschen wir uns auch, das kommt letztlich

Das war anspruchsvoll. Unsere Werkstätten zum

dem Kunden zugute. Parallel dazu haben wir

Beispiel liegen im zweiten Obergeschoss, da muss

für den Gesamtbetrieb Autowelt einen Betriebs­

die Logistik funktionieren, damit wir halten

leiter; er ist ausser für den reibungslosen Ablauf

können, was wir dem Kunden versprechen. Das

im Gebäude für zentrale Bereiche wie Ersatz­

Prozessdesign wurde an einem physischen Ar­

teillager, Karosserie und Lackiererei sowie Akti­

chitekturmodell des ganzen Gebäudes gemacht.

onen im Aftersales zuständig.

Man kann das Modell in Module auseinander­ nehmen und so wirklich testen, ob ein Ablauf

Apropos Ersatzteillager: Wie funktioniert die

greift. Wir hinterfragen unsere Prozesse laufend

Zusammenarbeit mit AMAG Import?

und optimieren die Organisation kontinuierlich.

Die Zusammenarbeit klappt hervorragend. Wir begegnen uns strukturell auf Augenhöhe

Wie klappt es mit fünf Marken unter einem

und sind gleichwertige Partner. Letztlich

Dach, vom Verkauf bis zum Aftersales?

­brauchen sich Retail und Import gegenseitig –

Jede Marke hat ihren in sich geschlossenen

nur gemein­sam sind wir stark. Die AMAG ist

­Auftritt, mit einem auf sie zugeschnittenen

ein grosses Unternehmen und gleichzeitig noch


ein Familien­betrieb. Das merkt man, weil die

gungen erhalten wie wir. Am Ende repräsentie­

Entscheide langfristig ausgerichtet sind.

ren wir im Markt dieselben Marken, und wenn jemand nicht funktioniert, schadet das allen.

Wie ist Ihr Verhältnis zu den freien Marken­

Mit einer breiten Vielfalt von eher grösseren

partnern?

AMAG Betrieben und tendenziell eher kleineren

Sie sind wichtige Partner der AMAG, gerade

Partnerbetrieben ist zudem sichergestellt, dass

auch für AMAG Import. Ich sehe sie nicht als

die Kunden ein für sie passendes Umfeld finden.

Konkurrenten, obwohl sie von AMAG Import

Es gibt Leute, die lieber zu kleinen Garagen

genau dieselben Dienstleistungen und Bedin­

­gehen, andere kommen lieber zu einer Gross­ garage, die ihnen andere Vorteile bietet.

Der Ursprung – AMAG Ueberland Die AMAG Autowelt in Dübendorf ist die Nachfolgerin der AMAG Garage Ueberland in Zürich Schwamendingen. Luftlinie sind die beiden Standorte nur drei Kilometer voneinander entfernt – und beide liegen an der Ueberlandstrasse. Die AMAG Ueberland wurde 1956 eröffnet, an der damaligen Peripherie der Stadt Zürich. Die Einweihungsfeier zog viel Publikum an. Die Lernenden wurden eingespannt, um Cervelats zu bräteln. Die AMAG Ueberland war mit ihrer Grösse und ihren betrieblichen Abläufen für die damalige Zeit ein absolutes Novum. Komplett neuartig war auch das ins Gebäude integrierte Feinschmecker-Restaurant Mövenpick. «Die Leute konnten im Restaurant sitzen und zuschauen, wie die Mechaniker an ihren Autos arbeiteten», erinnert sich ein Zeitzeuge. Mövenpick war damals ein noch weitgehend unbekanntes Unternehmen, die AMAG Ueberland eines ihrer ersten Restaurants. Mövenpick-Gründer Ueli Prager war mit Walter Haefner bekannt. Bereits 1970 wurde die AMAG Ueberland stark ausgebaut und erhielt zusätzliche Geschosse. Im Raum Zürich war sie weiterhin der bedeutendste AMAG Standort und profitierte auch davon, dass Stadt und Agglomeration rund um sie herum stark wuchsen. Letztlich gab diese Entwicklung jedoch auch den Anstoss dazu, die AMAG Ueberland aufzugeben und das neue Zürcher AMAG Flaggschiff in Dübendorf zu eröffnen – die AMAG Auto­ welt: Im September 2006 stimmte die Stadtzürcher Bevölkerung mit 82,9 Prozent der Einhausung der Autobahn vom Zentrum in Richtung Flughafen und Winter­ thur definitiv zu – doch das Projekt hatte sich schon länger abgezeichnet. Die Zufahrt zur AMAG Ueberland wäre nach der Realisierung dieses Vorhabens nur noch über Wohnquartiere mit Schulhäusern und Kindergärten sowie über verkehrsberuhigte Strassen möglich gewesen. «Damit wäre eine untragbare Situation sowohl für die Kunden als auch für die Anwohner entstanden», erinnert sich Dino Graf, Leiter Kommunikation der AMAG. Die AMAG Autowelt wurde im April 2011 eröffnet, und im selben Zeitraum schloss die AMAG Ueberland ihre Tore für immer. Seither sind dort Gewerbe­betriebe einge­ mietet, die nach der Aufwertung des Quartiers Schwamendingen einer Wohnsiedlung Platz machen sollen.

Sehen Sie den Online-Handel als Konkurrenz? Nein, für uns ist dies eine weitere Chance, um uns im Markt erfolgreich zu bewegen. Absolut zentral bleibt trotzdem, dass wir uns im analo­ gen Handel, also vor Ort in den Garagen, von den Mitbewerbern differenzieren können. Das gelingt uns zurzeit sehr gut. Für viele Kunden ist ihr Auto eine der grössten Investitionen im Leben. Sie informieren sich vor einem Kauf sehr gut – natürlich heute vor allem auch online. Deshalb müssen auch unsere Mitarbeitenden sehr gut ausgebildet sein – wobei Fachwissen und Empathie beide eine grosse Rolle spielen. Zudem haben wir den Vorteil, dass wir über den persönlichen Kontakt und eine hervorragende Dienstleistungsqualität punkten können. Wie leben Sie die Kundenorientierung in der AMAG Autowelt? Zuerst einmal haben wir von AMAG Retail un­ sere übergeordnete Strategie. Diese müssen wir aber letztlich auf unsere Ebene herunterbrechen. Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter muss wissen, was Kundenorientierung in seinem Aufgabenbereich genau heisst. Ein Kernstück ist für mich, dass wir unsere Versprechen gegen­ über den Kunden einhalten. Dann haben wir schon viel richtig gemacht. Ebenfalls wichtig ist, jeden Kunden und seine Bedürfnisse ernst zu nehmen. Der eine will vorfahren, den Schlüssel abgeben und sofort weiter. Der andere will ­genau wissen, was mit seinem Auto passiert. Am

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Ende muss sich jeder Kunde und jede Kundin

lich verbannt, dafür haben wir unseren Mitar­

rundum wohl und rundum gut betreut fühlen.

beitenden Aluflaschen abgegeben.

Welche nächsten Entwicklungsschritte sind

Sie führen heute den Betriebsverbund Zürich

für die AMAG Autowelt angedacht?

Ost. Sind die erwarteten Synergien eingetreten?

Ein grosses Thema ist die Digitalisierung im

Absolut! Die Einführung der 14 Betriebsverbünde

­A ftersales. Dies bedingt ein Umdenken und

im Jahr 2018 war für AMAG Retail ein richtiger

neue Prozesse. Dazu gehört zum Beispiel, dass

Schritt und hat uns sehr viel Schwung gegeben.

die Werkstattaufträge bereits heute papierfrei

Viele der Synergien haben wir bereits erfolg­

auf Tablets abgewickelt werden. Diese Neuerung

reich umgesetzt. Unter anderem haben wir im

kommt bei den Kunden sehr gut an. Abgesehen

Verbund für jede Marke einen Verantwortli­

von der Zeitersparnis leisten wir auch einen

chen. Dieser koordiniert die Belange der Marke

Beitrag zur Nachhaltigkeit.

und ist für den Auftritt im Markt zuständig. Auch auf der Seite von Aftersales gibt es einen

Sind weitere Themen in der Pipeline?

Verantwortlichen, der alle Fäden in der Hand

In den kommenden Jahren wird uns das rasch

hält. So ist sichergestellt, dass wir optimal auf­

steigende Spektrum der Angebote fordern.

gestellt sind und die Kundenversprechen überall

Die Offensive der Elektroautos geht mit der Ein­

eingehalten werden. Durch die Vereinheitli­

führung des VW ID.3 richtig los. Parallel dazu

chung der Betriebssteuerung können wir zudem

haben wir Hybridfahrzeuge und Autos mit

die Performance der verschiedenen Standorte

­reinem Benzin-, Gas- oder Dieselantrieb. Diese

vergleichen und daraus lernen. Und Best-Prac­

Breite müssen wir auf allen Ebenen der Organi­

tice-­Beispiele werden heute rasch und effizient

sation im Griff haben, vom Verkauf über die

implementiert.

­Teilelogistik bis in die Werkstatt. Und wie gesagt: Die Kunden sind enorm gut informiert und merken sofort, wenn auf unserer Seite jemand nicht sattelfest ist. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, hat Audi sein Verkäuferkonzept ­angepasst. Mit Audi Retail Excellence gehen wir noch expliziter auf den Kunden und seine ­Wünsche ein. Der Verkaufsprozess wird auf drei verschiedene Mitarbeitende verteilt: den Host, den Expert und den klassischen Verkäufer. ­Zusammen kümmern sie sich um den Interes­ senten und begleiten diesen in den verschiede­ nen Abschnitten seiner Customer Journey. Ist Nachhaltigkeit ein Thema, das Sie in der AMAG Autowelt beschäftigt? Ja, auf jeden Fall. Wir haben im Betrieb ver­ schiedene Massnahmen ergriffen, um den Stromverbrauch zu reduzieren und den Abfall zu minimieren. Plastikbecher haben wir gänz­

René Reymond (47) hat eine Automechanikerlehre absolviert und sich danach zum eidg. dipl. Betriebswirtschafter weitergebildet. Bevor er 2006 als Verkaufs­leiter zur AMAG Ueberland stiess, war er bereits 16 Jahre bei einem Mitbewerber tätig gewesen und hatte zudem in der Sportvermarktung gearbeitet. Seit Mitte 2015 leitet René Reymond die AMAG Autowelt in Dübendorf und seit Anfang 2016 zusätzlich den Betriebsverbund Zürich Ost mit insgesamt sieben Betrieben und rund 500 Mitarbeitenden.


GARANTEN DER ­MOBILITÄT

Mit dem Teilelogistik Zentrum in Buchs ZH revolu-

den Garagen benötigt werden.» Und dies an rund

tionierte die AMAG 1957 ihre Logistikprozesse.

80 AMAG eigenen Standorten und bei rund 400 Part­

Auch das 1965 in Betrieb genommene Fahrzeug­

nerbetrieben und über 9000 Fremdgaragen, die

logistik Zentrum Birrfeld war ein Geniestreich.

ebenfalls zu den Kunden des Teilelogistik Zentrums

Beide sind bis heute wichtige Knotenpunkte im

gehören. Funktioniert die Logistikkette nicht, ist

AMAG Alltag. Die Logistik der AMAG ist sehr stark

es fertig mit der Mobilität der autofahrenden Kunden.

automatisiert und in der Lage, 95 Prozent aller

«Dass dies nicht passiert, dafür sind wir verant­

­benötigten Teile innert 6 Stunden an jeden Stand-

wortlich», so Jaeggi.

ort in der Schweiz zu bringen. Dieses High-EndSystem ermöglicht der AMAG, die Mobilität ihrer

Modernste Software koordiniert Logistik

Kunden zu garantieren.

Die Bestellabwicklung erfolgt heute weitgehend ­automatisch, gesteuert von modernster Software.

Wenn Beat Jaeggi Geschichten über das AMAG

75 Prozent der 7200 täglichen Bestellungen werden

Teile­logistik Zentrum in Buchs ZH erzählt, hört man

von den Garagen direkt über das Online-Bestelltool

gebannt zu – da steckt Leidenschaft dahinter. Und

eParts ins System eingegeben. Der Rest erfolgt­

wer den beruflichen Weg des heutigen Leiter Group

­telefonisch oder per Fax über das Parts Competence

Aftersales bei AMAG Import kennt, weiss auch, wes-

Center, wo der Auftrag sofort elektronisch erfasst

halb. Jaeggi absolvierte direkt nach dem Studium

und direkt an die verantwortlichen Mitarbeiterinnen

1992 ein Praktikum bei der AMAG in Buchs, «und

und Mitarbeiter im Lager zugeteilt wird. Sämtliche

dann blieb ich hängen». Nach verschiedenen Statio-

Prozesse werden lückenlos vom System überwacht,

nen in der Gruppe ist er heute für rund die Hälfte

koordiniert und kontrolliert, sodass im Lager jeder-

des Personals von AMAG Import verantwortlich und

zeit festgestellt werden kann, welches Teil sich gera-

betreut mit seinen 600 Leuten eine enorme Palette

de an welchem Ort befindet.

an Aufgaben – von der ganzen Teilelogistik über die AMAG Academy und das Qualitätsmana­gement

Um sicherzustellen, dass alle benötigten Original-­

für alle Marken bis hin zur Koordination mit den

Ersatzteile, Reifen, das Zubehör oder das Werkstatt-

­Marken und Teilelieferanten im Einkauf.

verbrauchsmaterial jederzeit verfügbar und innert Tagesfrist beim Kunden sind, lagert in Buchs ein

Mit der Teilelogistik ist Beat Jaeggi für eine zentrale

­riesiges Sortiment mit über 100’000 Positionen.

Schlüsselfunktion des Unternehmens verantwortlich.

«Und es werden immer mehr, weil auch die Autos

Die Aufgabe beschreibt er kurz und bündig: «Mate­

immer komplexer aufgebaut sind», sagt Beat Jaeggi.

rial und Ersatzteile müssen vor Ort sein, wenn sie in

Jedes Original-Ersatzteil ist passgenau auf den

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«Die Erweiterung des Teilelogistik Zentrums war ein Megaprojekt, das einer Operation am offenen Herzen gleichkam, denn das Tages­ geschäft musste wie gewohnt weiterlaufen.» Beat Jaeggi, Direktor Group Aftersales

Fahrzeugtyp abgestimmt und vom Hersteller geprüft. Dank grosszügiger Lagerkapazität und aus­

Zahlen und Fakten zum Teilelogistik Zentrum in Buchs

geklügelter Logistik ist die AMAG in der Lage, Original-­

– Der Nachschub aus den Herstellerwerken wird zu 70 Prozent per Bahn in die eigene Bahnstation in Buchs angeliefert. – Das Sortiment umfasst rund 100’000 Positionen. – Im Lager legen die Teile täglich eine Strecke zurück, die mehr als eineinhalbmal den Äquator umfasst. – Die automatische Behälterförderanlage ist 1,6 Kilometer lang. – Das automatische Kleinteilelager umfasst 43’600 Stellplätze. – Im automatisierten Hochregallager warten die ­grösseren Ersatzteile auf rund 25’300 Palettenplätzen auf Abruf. – Die Mitarbeitenden im Parts Competence Center ­beantworten täglich 2000 Anrufe und lösen 1800 Aufträge aus. – Pro Tag werden bis zu 21’000 Positionen bereitgestellt und ausgeliefert. – Die rund 120 eigenen Transportfahrzeuge beliefern über 1000 Standorte in der ganzen Schweiz und legen täglich in zwei Wellen über 20’000 Kilometer zurück. – Die AMAG Teilelogistik nimmt auf die Umwelt Rücksicht: Ein ganzes Bündel von Massnahmen trägt dazu bei, den CO 2 -Ausstoss tief zu halten. Dazu gehören eine der grössten Fotovoltaikanlagen im Kanton Zürich und die junge Fahrzeugflotte mit entsprechend günstigen Verbrauchs- und Abgaswerten. Zudem ist die ganze Organisation darauf ausgerichtet, Leerfahrten zu vermeiden.

Ersatzteile für sämtliche vertretenen Marken, Modelle und Varianten nachzuliefern. Auf die Grösse des AMAG Sortiments ist Jaeggi stolz – und sieht darin einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Importeuren: «Bei uns erhält eine Garage alles aus einer Hand, vom Ersatzteil bis zu den Werkzeugen, Schneeketten und sogar zum Reinigungsmaterial.» Zwei Lieferungen pro Tag Zu den Kunden und Garagen in der gesamten Schweiz und in Liechtenstein gelangen die bestellten Teile und Materialien im Normalfall innerhalb von 6 Stunden. Diese rasche Lieferzeit lässt sich nur im Zusammenspiel der Zentrale in Buchs mit den Regionallagern in Daillens VD, Bioggio TI und Münchenbuchsee BE sowie mit zwei Lieferrunden pro Tag erreichen. «Die Reparatur innerhalb eines Arbeitstages – das ist der Treiber unserer Logistik», erläutert Beat Jaeggi.


­Fläche mehr Raum zu gewinnen. «Die Teilevielfalt Eingangstor in die Schweiz

war explodiert, wir mussten etwas unternehmen»,

Wenn ein Kunde in der Schweiz einen neuen VW, Audi, SEAT, ŠKODA oder ein VW Nutzfahrzeug bestellt, ­beginnt in den Werken in Europa, Südamerika und Südafrika ein filigraner Konfigurations- und Produktions­ prozess. Ist dieser abgeschlossen, gelangen alle fertig konfektionierten Autos per Bahn oder Lastwagen in die Schweiz, in das Fahrzeuglogistik Zentrum Birrfeld bei Lupfig, und werden dort verzollt. Einzig die ŠKODA Fahrzeuge werden heute in Studen BE, dem 2017 eröffneten kleinen Bruder des Fahrzeuglogistik Zentrums Birrfeld, in Empfang genommen.

erinnert sich Beat Jaeggi. Unter der Leitung seines

Das Zentrum im Birrfeld ist gegen 30 Fussballfelder gross und hat für die Logistik und das Qualitätsversprechen der AMAG einen zentralen Stellenwert. Bevor die Neuwagen an die jeweiligen AMAG Garagen und freien Vertragspartner geliefert werden, durchlaufen sie im Birrfeld einen aufwendigen Prozess. Spezialisten prüfen in der hochmodernen Neuwagenaufbereitung jedes Fahrzeug auf Oberflächenqualität und stellen es für eine tadellose Übergabe an die Markenhändler bereit. Genauso wie das Teilelogistik Zentrum erweiterte die AMAG auch ihr Fahrzeuglogistik Zentrum in mehreren Schritten, unter anderem mit einem grossen Parkhaus und 2017 mit der Auslagerung von ŠKODA nach Studen. Zum Teil war der verfügbare Raum so knapp, dass ­Ausweichmöglichkeiten genutzt werden mussten, 1993 zum Beispiel auf der benachbarten Autobahnbaustelle.

Vorgängers Rudolf Bernhard stemmte die AMAG von 2002 bis 2008 ein «Megaprojekt, das einer Operation am offenen Herzen gleichkam» – denn das Tagesgeschäft musste wie gewohnt weiterlaufen. In jener Zeit entstand das Teilelogistik Zentrum, wie es sich heute präsentiert. Mit einem automatischen Kleinteilelager, einem riesigen Hochregallager, einer Behälterförderanlage, vollständig automatisierten Prozessen und einem modernen Logistikverwaltungssystem. 2012 kam ein führerloses Roboter-­ Transportsystem für Paletten und Warengitter hinzu. «Und sieben Jahre später sind wir schon wieder am Anschlag», sagt Jaeggi lachend und bereitet die nächsten Schritte bereits vor. Seit 2011 betreibt die AMAG zudem als weitere ­Pionierleistung mit dem Logistikteam an sieben Standorten in der Schweiz Räderhotels mit einer Kapazität von über 300’000 Kundenrädern. Der Hin­ tergrund: Die Räder werden immer grösser, und die Kunden haben immer weniger Platz zu Hause. Die

Was heute in der Automobilbranche als Muster­

Garagen können kaum einspringen, weil sie selbst

beispiel für eine effiziente Logistik gilt, hat sich

an Platznot leiden und hohe Brandschutzauflagen

schrittweise entwickelt. Seit die Lieferung von Ersatz­

erfüllen müssen. Das Logistikteam holt die Räder

teilen Ende 1956 von Schinznach-Bad nach Buchs

der Kunden deshalb bei den Garagen ab, erfasst sie,

verlegt wurde, folgte ein Ausbauschritt auf den

reinigt sie und lagert sie im Räderhotel ein, bis

­anderen, parallel zur raschen Wachstumskurve der

der Kunde sie für die nächste Winter- oder Sommer-

Autos auf den Schweizer Strassen. Die ersten

saison wieder braucht. Selbstverständlich garan-

8000 m2 mussten nach wenigen Jahren verdoppelt

tiert die AMAG dabei einen Just-in-time-Service

werden. 1966 kamen weitere 8000 m2 hinzu, und

­innerhalb von 24 Stunden – gelebte Kunden­orien­

ein zusätzlicher Bahnanschluss wurde eingeweiht.

tierung eben.

1972 breitete sich die Lagerhalle auf 40’000 m2 aus, und das neue achtstöckige Bürohochhaus avancierte zum markanten Wahrzeichen des AMAG Areals im Zürcher Furttal, das insgesamt rund 14 Fussballfelder gross ist. Megaprojekt von 2002 bis 2008 Der nächste Entwicklungsschub bahnte sich in den Neunzigerjahren an. Diesmal ging es darum, die in die Jahre gekommenen technischen Installationen und Systeme zu erneuern und auf der gleichen

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Beat Jaeggi (53) ist 1992 bei der AMAG ins Berufs­leben eingestiegen. Was als Praktikum gedacht war, entwickelte sich zu einer Karriere mit Stationen an verschiedensten AMAG Standorten und mit unter­schiedlichen Aufgaben – von Projektleitungen bis zur Vermarktung von Porsche Ersatzteilen und Z ­ ubehör. Ab 2008 war er Leiter des Teilelogistik ­Z entrums in Buchs ZH, und seit 2012 ist Beat Jaeggi Director of Group Aftersales.



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STARKES FAMILIEN­ UNTERNEHMEN

Die AMAG ist seit ihrer Gründung ein Familienunternehmen – und stolz darauf. Ein Unternehmen, das Werte hochhält. Ein Unternehmen, das unabhängig entscheidet. Ein Unternehmen, das langfristig denkt. Diese Grundhaltung kommt allen zugute: den vielen Lernenden der AMAG, den Mitarbeitenden an über 100 Standorten landesweit, den Partnern im Autogeschäft, bei Sponsorings und gesellschaft­ lichen Engagements. Und natürlich den Kundinnen und Kunden. Auf die AMAG ist Verlass.


AUSBILDUNG: DIE AMAG INVESTIERT IN DIE ZUKUNFT

Rund jeder achte Mitarbeitende der AMAG ist ein Lernender oder eine Lernende. Das Unternehmen

In diesen 16 Berufen bildet die AMAG Lernende aus

hat damit eine der höchsten Ausbildungsquoten

– Automobil-Mechatroniker/in EFZ – Automobil-Fachmann/-frau EFZ – Automobil-Assistent /in EBA – Reifenpraktiker/in EBA – Carrosseriespengler/in EFZ – Carrosserielackierer/in EFZ – Lackierassistent /in EBA – Detailhandelsfachmann/-frau EFZ – Detailhandelsassistent /in EBA – Logistiker/in EFZ – Logistiker/in EBA – Kaufmann/-frau EFZ – Büroassistent /in EBA – Informatiker/in EFZ – Mediamatiker/in EFZ – Gestalter/in Werbetechnik EFZ

in der Schweiz. Und dies schon lange: Die Ausbildung hat bei der AMAG Tradition. Bereits 1956 ­eröffnete sie eine eigene Werkschule. Heute bildet das Unternehmen junge Frauen und Männer in 16 Berufen aus. Viele der Lernenden bleiben beim Unternehmen oder kommen später zurück. ­Gleichzeitig übernimmt die AMAG mit ihrem Enga­ gement gesellschaftliche Verantwortung. Jeweils Anfang August starten bei der AMAG die neuen Lernenden mit einem Welcome-Camp in ­ihre Ausbildungsjahre – jedes Jahr sind dies rund 240 junge Frauen und Männer. Anfang August 2019

Ausbildung seit den ersten Tagen

beschäftigten die Betriebe und Garagen der AMAG

Die AMAG bildet seit ihrer Gründung Lernende aus.

in allen Landesteilen insgesamt knapp 750 Lernende.

Dusan Milakovic geht davon aus, dass über all die

«Das bedeutet, dass rund jeder achte Mitarbeitende

Jahre mindestens 10’000 junge Menschen bei der

ein Lernender ist – oder anders ausgedrückt: 11 bis

AMAG in die Berufswelt eingestiegen sind. Die Basis

12 Prozent der Gesamtbelegschaft», fasst Dusan

dafür legte bereits Gründer Walter Haefner, dem

Milakovic, Leiter Grundbildung, zusammen. Dies ist

die Förderung begabter Jugendlicher am Herzen lag.

eine eindrückliche Zahl. Im Schnitt beschäftigen

Als erstes Unternehmen der Autobranche richtete

Schweizer Grossunternehmen nur rund 4 Prozent

die AMAG im Mai 1956 in einem Hochhaus im Zür-

ihrer Mitarbeitenden als Lernende, wie Zahlen

cher Escher-Wyss-Quartier eine eigene Lehrwerk-

des Bundesamts für Statistik zeigen. Selbst andere

stätte ein – die sogenannte Werkschule. In der

­vorbildliche Unternehmen wie Coop, Migros,

­ganzen europäischen Autobranche gab es damals

Geberit, Swisscom, Post und SBB bleiben weit hinter

nichts Vergleichbares. Jedes Jahr meldeten sich

dem E ­ ngagement der AMAG für die duale Berufs­

rund 650 Anwärter, doch die Kapazität der Schule

bildung zurück.

war auf 30 Lernende beschränkt. Ein Berufsberater

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sagte damals: «Viele wollen Automechaniker wer-

Dass die Ausbildung nicht nur Fachwissen vermit­

den, weil sie möglichst rasch in einem schönen Auto

telte, sondern es auch um Charakter und Werte ging,

durch die Strassen flitzen wollen. Doch darum ging

liest man einige Zeilen später:

es nicht, sondern darum, die talentierten Jünglinge zu verantwortungsbewussten, tüchtigen Fachleuten

«Auch Beobachtungen hinsichtlich der Dienstbereit-

zu erziehen.» Das erste Jahr absolvierten die an­

schaft und Kameradschaft (wenn es gilt, besondere

gehenden Automechaniker ganz in der Werkschule,

Dienstleistungen zu verrichten) sind bemerkenswert.

wo sie in alle grundlegenden Fertigkeiten des Berufs

Sobald nämlich bekannt wird, dass einige Schüler

eingeführt wurden – daneben besuchten sie die

für besondere Dienstleistungen benötigt werden,

­reguläre staatliche Gewerbeschule. Nach dem ersten

geben sich eine ganze Anzahl Burschen die grösst-

Lehrjahr wurden sie auf verschiedene Garagen

mögliche Mühe, in die hinteren Ränge zu verduften;

­verteilt. Die letzten vier Monate ihrer vierjährigen

wobei sie annehmen, dort am wenigsten aufzufal-

Lehrzeit verbrachten sie dann nochmals voll an

len und somit von einer zusätzlich Arbeit verschont

der Werkschule und bereiteten sich auf die Lehrab-

zu werden. So muss man also in der Werkschule

schlussprüfung vor.

­darangehen, einen neuen Geist zu pflanzen, was gar nicht so leicht ist.»

Wie diszipliniert es damals in der Werkschule zu und her ging, zeigt ein Ausschnitt aus einer AMAG

Ein Beispiel für das bis heute sehr grosse Engagement

Publikation jener Jahre:

der AMAG ist das Ausbildungszentrum in der AMAG Autowelt in Dübendorf, wo jedes Jahr bis zu

«Die Pünktlichkeit in der Werkschule ist erfreulich.

200 technische Lernende aus der Grossregion Zürich

Herr Oskar Obrist hält darauf, dass mit dem Unter-

eine längere Zeit verbringen und von drei eigenen

richt immer exakt begonnen wird; dafür wird aber

Ausbildnern betreut werden.

auch am Abend zur Zeit aufgehört. Alle halten sich gut an die bestehende Ordnung.»

Ein AMAG Lernender am Analysegerät im Ausbildungszentrum der Autowelt in Dübendorf. Der Beruf des Automechanikers hat sich zum Mechatroniker ­weiterentwickelt, wo der Einsatz von IT eine zentrale Rolle spielt.

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Kopf und Herz ansprechen

tigte sie bereits damals eigene Lehrkräfte, die in

Der Beweggrund für dieses Engagement ist weiter-

­allen drei grossen Landessprachen unterrichten

hin, hochmotivierten Nachwuchs für die AMAG

konnten. Gleichzeitig wurden dort jene Fachleute

­auszubilden. «Wenn ihre Lehre eine gute Erfahrung

weitergeschult, die in einem dreijährigen Lehrgang

ist, bleiben die Jugendlichen oft bei uns», sagt ­

das Abschlussdiplom «Diplomierter Techniker VW/

Dusan Milakovic, «und wir brauchen gut ausgebildete

Audi» erwerben wollten – ein absolutes Novum in

Fachleute, um auch in Zukunft im Wettbewerb

der Automobilbranche. Mit ihrem Schulungskonzept

­bestehen zu können.» Die Zeiten, in denen das Unter­

verfolgt die AMAG verschiedene Ziele: Besser aus­

nehmen wie früher bei der Werkschule von Inter­

gebildete Fachkräfte erkennen Probleme zeitspa-

essenten überrannt wurde, sind allerdings vorbei.

render und schneller – und auf diese Weise wird der

­Ä hnlich wie andere Branchen spürt auch das

Kunde rascher und kostengünstiger bedient. Die

­Automobilgewerbe den Druck der allgemeinbildenden

AMAG Academy bündelt heute sämtliche Aus- und

Schulen (Gymnasien). «Heute ist es schwieriger

Weiterbildungsprogramme der Marken-Organisa­

­geworden, Lernende zu gewinnen», beschreibt er

tionen und ist das Kompetenzzentrum für Unter­

die Situation. Gerade bei technischen Berufen,

nehmens- und Persönlichkeitsentwicklung für die

die bei der AMAG etwa 70 Prozent der Lernenden

gesamte AMAG Gruppe.

ausmachen, haben viele Jugendliche noch ein ­f alsches Bild im Kopf. «Dabei ist der ehemalige Automechaniker heute doch fast ein kleiner Informatiker», so der Leiter Grundbildung bei der AMAG. Was jedoch geblieben ist: Bis heute geht es dem ­Unternehmen darum, die Jugendlichen nicht nur auf der berufsspezifischen und schulischen Ebene zu fördern, sondern auch als Menschen zu begleiten. Auf der Website www.future.amag.ch heisst es ­dazu: «Junge Berufseinsteiger und -einsteigerinnen sollen bei der AMAG nicht nur für ihren Abschluss lernen, sondern gleich fürs Leben.» Im Vordergrund steht dabei, Verantwortung zu übernehmen. Weiterbildung in allen drei Landessprachen Neben der Ausbildung legte und legt die AMAG auch grossen Wert auf die Weiterbildung. 1988 zentra­ lisierte sie diese Aktivitäten in einem neu erbauten, hochmodernen Ausbildungscenter in Schinznach-­ Bad, der heutigen AMAG Academy. Dafür beschäf-

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«Die Lehre bei der AMAG – das war eine Lebensschule und die beste Entscheidung meiner Berufskarriere» «Ich bin in Gippingen im Kanton Aargau aufgewach-

dritten 90 und im vierten Jahr bereits 110 Franken.

sen. Mein Vater war Fabrikarbeiter und Velohändler.

Das war recht ordentlich für damals. Am Schluss

Ich wollte aber Automechaniker werden. Mein Vater

der Lehre kamen alle Lernenden meines Jahrgangs

hatte mir bereits eine Lehrstelle in Brugg besorgt.

nochmals für vier Monate in der Werkschule zusam-

Doch dann sah er ein Inserat für die Eröffnung der

men und bereiteten sich auf die Lehrabschluss­

Werkschule der AMAG in Zürich und dachte, das wäre

prüfung vor. Darf ich erwähnen, dass ich 1960 die

eine sehr solide Sache. So meldete ich mich und

beste Automechaniker-LAP im Kanton Zürich

­bestand den Aufnahmetest. Am 23. April 1956 star-

­machte? Nach der Lehre wechselte ich dann noch

tete ich mit der Lehre bei der AMAG – ich weiss

für ein Jahr zur AMAG in Schinznach-Bad.»

es noch ganz genau. Das war übrigens die beste ­Entscheidung meiner Berufskarriere. Die Lehrjahre bei der AMAG haben die Basis für meinen ganzen ­Werdegang gelegt. Und hätte ich die Lehrstelle in Brugg angenommen, wäre ich das erste Jahr wohl nur am Autowaschen gewesen. Um rechtzeitig in die Werkschule zu kommen, musste ich zuerst mit dem Velo nach Koblenz fahren und dort den 5.30-Uhr-Zug erwischen; und zu Hause war

Hanspeter Rennhard (79) arbeitete nach seinem Berufseinstieg bei der AMAG in anderen Betrieben der Branche. Bereits mit 25 legte er die Meisterprüfung ab. Sein Berufsziel war für ihn früh klar: Er wollte Berufsschullehrer für Automobilberufe werden. 1971 eröffnete sich in Chur dazu eine Chance. Diese packte er und unterrichtete bis zu seiner Pensionierung in der Bündner Kantonshauptstadt, wo er bis heute lebt. Daneben war er 40 Jahre lang Autojournalist. Dies brachte ihn auch zurück zu seinen Wurzeln – zur AMAG, über die er in vielen Beiträgen berichtete.

ich selten vor 19 Uhr. Das waren sehr lange Tage. Bis Ende 1956 war ich nur in der Werkschule und ­daneben einen Tag pro Woche in der Berufsschule mit Fachausbildung und Allgemeinbildung. Ab 1957 war ich der Garage AMAG Ueberland zugeteilt, das war ein richtiger Musterbetrieb. Ich durchlief dort alle Abteilungen, und bei den Occasionen lernte ich auch andere Marken als VW, Plymouth, Chrysler und Porsche kennen. Total beeindruckt hat mich, dass der kleine Rennhard aus Gippingen zum AMAG Weihnachtsball im Zürcher Kongresshaus einge­ laden wurde. Das war wirklich Neuland für einen ­einfachen Dorfjungen. 45 Franken im ersten Lehrjahr Im ersten Lehrjahr verdiente ich 45 Franken im ­Monat. Im zweiten Jahr waren es 65 Franken, im

Werkschulunterricht im Jahr 1956 mit dem jungen Hanspeter Rennhard (Reihe zwei, Wand)


Den Einstieg in die IT schaffen

«Ich habe meine Lehre als Informatiker EFZ System-

gerne bei der AMAG bleiben, falls sich diese Möglich-

technik bei der AMAG Corporate Services AG in

keit ergibt. Ich möchte die AMAG ermuntern,

Buchs ZH Anfang August 2017 begonnen. Für die

dass sie weiterhin Lernende gut ausbildet. So wird

AMAG entschieden habe ich mich, weil es ein

sie s­ icher auch in Zukunft sehr erfolgreich sein.»

sehr vielseitiges Unternehmen ist – und ich habe mich vom ersten Moment an wohlgefühlt. Mein

Ricardo Filipe da Silva Matias Bras

Lehrmeister Roger Haag schenkte mir von Anfang an

Lernender, 3. Lehrjahr

Vertrauen, das schätze ich sehr. Er begleitet mich und die anderen Lernenden bei einem grossen Schritt in unserem Leben und ist für mich eine wichtige Person. Zudem darf ich bei tollen Projekten ­mitmachen. So komme ich in Kontakt mit neuen Leuten und lerne viel. Nach meiner Lehre würde ich

«Mein Lehrmeister ist für mich eine wichtige ­Person.» Ricardo Filipe da Silva Matias Bras Lernender, 3. Lehrjahr

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«Ich möchte nach der Lehre bleiben und eine Weiterbildung machen.» Céline Weber Lernende, 3. Lehrjahr

Motoren von innen kennenlernen

«Ich mache seit August 2017 bei der AMAG Bern die

­haben zwei Ansprechpersonen: unseren Berufsbildner

Lehre als Automobil-Mechatronikerin. Beworben

­Felix Küpfer und Vasileios Chiotelis in der Werkstatt.

­habe ich mich hier, weil die AMAG Bern einen sehr

Seine Hilfe benötigen wir täglich, und wir sind

guten Ruf hat und damals auch noch die eigene

sehr froh, dass er da ist. Wenn meine Lehre fertig ist,

Lehrlingsschule hatte. Diese wurde inzwischen auf-

möchte ich gerne in der AMAG bleiben und eine

gehoben, was ich bedaure. An meiner Arbeit ist cool,

­Weiterbildung machen, damit ich später im Verkauf

dass ich mit verschiedenen Automarken zu tun

oder im Kundendienst arbeiten kann.»

­habe, konkret mit Audi, ŠKODA und VW. Zudem können wir bei komplexeren Arbeiten dabei sein oder

Céline Weber

diese zum Teil auch selber durchführen, zum Beispiel

Lernende, 3. Lehrjahr

ein Getriebe zerlegen oder einen Kolbenwechsel ­vornehmen. So lernt man rasch. Wir Lernenden


AUF DIE AMAG IST VERLASS

Die AMAG denkt langfristig – auch bei Spon­

seine Athletinnen und Athleten sicher und

soring-Engagements. Im November 2018 feierten

­bequem zu Trainings und Wettkämpfen zu brin­

das Unternehmen und Swiss-Ski 50 Jahre

gen. Der bekannte Alt-Bundesrat erinnert sich

­offizielle Partnerschaft. Ähnlich lange ist die

­gerne an die Anfänge der Zusammenarbeit von

AMAG auch mit dem Zürcher Kammerorchester

Swiss-Ski und AMAG.

(ZKO) unterwegs, das 2020 ebenfalls sein 75-jähriges Bestehen feiert. Was ist das Erfolgs-

Herr Ogi, weshalb haben Sie die AMAG angefragt?

geheimnis dieser Partnerschaften? Eine An­

Ich wusste, dass der VW Bus genau das Trans­

näherung mit Ex-Swiss-Ski-Direktor Adolf Ogi

portmittel war, das wir brauchten.

und mit Silvan Hürlimann, dem ZKO-Orchester­ manager.

Wofür brauchten Sie die Busse?

Vor 51 Jahren – in der Wintersaison 1967/1968 –

Schweiz medaillenlosen Olympischen Winter­

haben Swiss-Ski und die AMAG einen gemein­

spielen in Innsbruck. Mein Auftrag als Chef

samen Weg begonnen, den sie bis heute zu­

Nachwuchs war unter anderem, im Verband

sammen gehen. Seither haben die Athletinnen

neue Strukturen zu schaffen und bis Sapporo

und Athleten an 59 Weltmeisterschaften und

1972 wieder ein alpines Erfolgsteam aufzubauen.

13 Olympischen Spielen 296 Medaillen geholt.

Dafür wollte ich sicherstellen, dass die Skifah­

Die AMAG stellte den Sportlerinnen und Sport­

rerinnen und Skifahrer möglichst konzentriert

lern, den Betreuerinnen und Funktionären in

an den Start eines Rennens oder eines Trainings

den letzten fünf Jahrzehnten rund 8500 Fahr­

gehen. Nur so können sie ihre beste Leistung

zeuge der Marken Audi und Volkswagen zur

abrufen. Da ist es nicht hilfreich, wenn man

Verfügung. Heute kommen vor allem Audis zum

vorher noch sechs Paar Ski vom Bahnhof ins

Einsatz, doch auch Fahrzeuge der Marken VW,

Hotel und dann zur Talstation buckeln muss.

SEAT und ŠKODA sind bei Alpinen, Snow­

Die Busse waren zuerst einmal für die alpinen

boardern und Nordischen weiterhin gefragt.

und nordischen Nationalmannschaften der

Swiss-Ski engagierte mich 1964 nach den für die

­Damen und Herren gedacht, dann aber eben auch Am Anfang des Engagements stand das Ziel des

für den Nachwuchs. Dieser hatte damals noch

damaligen Swiss-Ski-Funktionärs Adolf Ogi,

kaum private Transportmöglichkeiten.

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Fusion: Konzert des Zürcher ­K ammerorchesters ZKO und Gotthard für die Gäste der AMAG

Wann setzten Sie die VW Busse zum ersten

Weshalb fuhren die Assistenztrainer?

Mal ein?

Die Trainer fuhren als Vorausdetachement an

Das war im Winter 1968, im Vorfeld der Olym­

die Trainings- und Wettkampforte, um alle

pischen Spiele in Grenoble. Wir starteten

Vorbereitungen zu treffen. Es ging uns darum,

mit vier Bussen. Ich erinnere mich, dass wir

auf allen Ebenen die besten Voraussetzungen

mit ihnen das Material wie eben Ski, Stöcke,

für den Wettkampf zu schaffen. Für die Trainer

Wachs, Funkgeräte, Zeitmessgeräte, Massage­

bezogen wir dafür von der AMAG kleinere

tische oder Slalomstangen für das Training

Fahrzeuge.

nach Grenoble transportierten. Die Mannschaft ­reiste noch im Zug.

In den Bussen sassen also so bekannte Leute wie Bernhard Russi, Roland Collombin und

Später reisten aber auch die Teams in den

Marie-­Theres Nadig, die in Sapporo die Schweiz

Bussen?

jubeln liessen?

Ja, in ganz Europa. Nach Val d’Isère, Garmisch,

Ja, das haben wir so befohlen, und damals gab

Kitzbühel und an all die Austragungsorte,

es keine Extrawürste. Da hiess es dann zum

­solange es nicht gerade Skandinavien war – dort

­Beispiel, wir treffen uns für die Fahrt an ein Ren­

flogen wir oder nahmen den Zug. Mit dem

nen in Österreich in Sargans, und alle waren da.

Transport ganzer Teams in den VW Bussen ging

Den Nachwuchs bauten wir langsam auf – und

der Verband übrigens durchaus auch ein Risiko

in Sapporo feierten wir einen Grosserfolg. In den

ein. Wir wiesen deshalb die Fahrer, meist waren

nachfolgenden Jahren entwickelten die AMAG

es die Assistenztrainer, auf ihre Verantwortung

und Swiss-Ski ihre Partnerschaft weiter. Die

hin. Zum Glück hatten wir in all den Jahren

Sportlerinnen und Sportler erhielten mit der Zeit

nie einen grösseren Unfall, nur den einen oder

individuelle Fahrzeuge, je nach ihrem persönli­

anderen Blechschaden.

chen Erfolg mit unterschiedlichen ­Konditionen.


Wie wichtig war die Unterstützung der AMAG

zuletzt als Direktor. Danach war er General­

für Swiss-Ski in jenen Jahren?

direktor bei der Intersport Schweiz Holding AG,

Sie war entscheidend. Die AMAG verhalf uns zu

bis er 1987 in den Bundesrat gewählt wurde.

zusätzlicher Beweglichkeit. Dank der gewonne­

In der Landesregierung blieb Adolf Ogi bis 2000.

nen Flexibilität hatten wir bessere Bedingungen

Nach seinem Rücktritt übernahm er bei der

für Training und Wettkampf. Es war übrigens

UNO ein Mandat als Sonderberater für Sport im

das erste Mal im Schweizer Sport, dass ein

Dienste von Entwicklung und Frieden. Er war

­Verband mit einem Autoimporteur eine Partner­

dabei direkter Berater des UNO-Generalsekre­

schaft einging.

tärs. Bis heute ist Adolf Ogi in vielen Institutio­ nen ehrenamtlich engagiert, zum Beispiel als

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit der

Ehrenpräsident der Swiss Olympic Association

AMAG erlebt?

und als Präsident der Stiftung «Freude herrscht».

Sehr positiv, das war immer auf Augenhöhe und vor allem sehr unkompliziert und mit raschen Entscheiden verbunden. Ein grosser Dank ge­

Engagements für Sport und Musik

bührt den damals bei der AMAG für die Partner­

Sponsoring heisst bei der AMAG Live Marketing und ist im Marketing-Mix ein zentrales Element – weil es das Unternehmen in direkten Kontakt mit seinen Zielgruppen bringt. Solche Engagements machen pro Marke bis zu 30 Prozent des Marketingbudgets aus und beinhalten Partnerschaften, Events und Messen. Die entsprechenden Strategien von VW, Audi, ŠKODA, SEAT und VW Nutzfahrzeuge sind mit den Herstellerwerken ab­ gestimmt und laufen über mehrere Jahre. Klar definierte Themenfelder pro Marke geben den Fokus für die ­A ktivitäten der AMAG vor. Bei VW ist es der Fussball, ŠKODA ist im Eishockey sowie im Radsport engagiert, SEAT engagiert sich in der Musik, und Audi sorgt seit ­vielen Jahren für die Mobilität der Schweizer Wintersport-­ Cracks. «Diese Schwerpunkte sind genau auf die Mobilitätsbedürfnisse der Zielgruppen abgestimmt», erläutert Dominic Kucsera, Head of Sponsoring & Events der AMAG. Eine etwas weitere thematische Palette an ­Engagements verfolgt die AMAG Gruppe – sie unterstützt etwa das Zürcher Kammerorchester (siehe Haupttext), das Opernhaus Zürich und Foren wie das Swiss Economic Forum und das Europa Forum. Wichtig ist für Kucsera in allen Engagements, dass Kontinuität, Partnerschaft und Fairness in der Zusammenarbeit gelebt werden: «Nur Parteien, welche die Partnerschaften ‹leben› und gemeinsam und konstruktiv immer wieder nach neuen und innovativen Lösungen und Aktivierungsmassnahmen suchen, sind langfristig erfolg­reich – und arbeiten so am Erfolg beider Seiten.»

schaft zuständigen Personen, PR-Chef Reto Töndury und Edwin Hottinger, später Verwal­ tungsratspräsident. Am Anfang funktionierte die Zusammenarbeit mit Handschlag. Im ­Frühling machten wir jeweils zusammen eine ­A nalyse und besprachen die nächste Saison. Mit der Zeit benötigten wir mehr Fahrzeuge, aber wir lieferten auch, in der Form von Medail­ len und Aufmerksamkeit. Die Zusammen­arbeit ging sicher für beide Partner auf. Es war und ist eine Win-win-Situation. Haben Sie die Partnerschaft weiterverfolgt, nachdem Sie Swiss-Ski 1981 verliessen? Die Zusammenarbeit zwischen der AMAG und Swiss-Ski lag und liegt mir am Herzen. Freude herrscht, dass sie bis heute erfolgreich ist – auf dem Fundament, das ich mit den damaligen AMAG Verantwortlichen legen konnte. Dafür bin ich dem Unternehmen bis heute dankbar. Adolf Ogi (77) war von 1964 bis 1981 beim Schwei­ zerischen Skiverband (heute Swiss-Ski) tätig,

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«Die Zusammenarbeit zwischen der AMAG und Swiss-Ski lag und liegt mir am Herzen. Freude herrscht, dass sie bis heute erfolgreich ist – auf dem Fundament, das ich mit den damaligen AMAG Verantwortlichen legen konnte. Dafür bin ich dem Unter­ nehmen bis heute dankbar.» Adolf Ogi, Alt-Bundesrat




Eine langjährige Freundschaft

barten Betrag. Im Gegenzug spielt das renommierte

Die Beziehungen zwischen dem Zürcher Kammer­

Orchester drei bis vier Konzerte für AMAG Kunden.

orchester (ZKO) und der AMAG reichen weit zurück.

«Die Formate ändern sich, viele Ideen kommen heute

Der ZKO-Gründer und langjährige Dirigent Edmond

direkt von der AMAG», beschreibt Hürlimann die

de Stoutz und AMAG Gründer Walter Haefner waren

­Zusammenarbeit. Das Spektrum reicht vom klassi-

zusammen zur Schule gegangen. Haefner gründete

schen Konzert in der Tonhalle über Dinner-Konzerte

1945 die AMAG und de Stoutz im selben Jahr eine

bis zu rockigen Auftritten zusammen mit der

Hausorchestervereinigung, aus der später das

­berühmten Band Gotthard – die wiederum selbst in

­Zürcher Kammerorchester hervorging. Der kultur­

AMAG Fahrzeugen unterwegs ist. «Für unsere

affine Autoimporteur und der international

­Musikerinnen und Musiker sind das hochspannende

­anerkannte Dirigent erhielten ihren Kontakt aufrecht,

Auftritte; wir waren mit Gotthard schon einmal in

und seit den frühen Sechzigerjahren durfte das

Zug, in Lausanne und auch in Lugano», erinnert

ZKO auf die Unterstützung der AMAG und ihrer

sich der ZKO-Orchestermanager, der für den Mate­rial­

Gründerfamilie zählen. «Eine Partnerschaft, die auf

transport ebenfalls auf die Unterstützung der AMAG

Kontinuität und Vertrauen baut», sagt Silvan

zählen darf.

­Hürlimann, seit 2002 ZKO-Orchestermanager. Was schätzt Silvan Hürlimann an der Zusammen­ Im Juli jenes Jahres konnte der Verein Zürcher

arbeit mit der AMAG besonders? «Die Partnerschaft

­K ammerorchester seine neue Basis beziehen, das

hat sich mit unseren beiden Organisationen zu­

ZKO-Haus im Zürcher Tiefenbrunnen mit Probe-

sammen immer wiederentwickelt, im gemeinsamen

und Konzerträumen. «Das war für unsere Professio-

Dialog – so können wir wirklich voneinander profitie-

nalisierung ein richtungsweisender Schritt», so

ren», sagt der Orchestermanager. «In der heutigen

­Hürlimann. Möglich machte ihn unter anderem die

Zeit ist vieles sehr kurzlebig; wir sind sehr froh,

AMAG mit einem namhaften Beitrag. Heute unter-

mit der AMAG eine langfristige und tiefe Partner-

stützt die AMAG das ZKO jährlich mit einem verein-

schaft pflegen zu dürfen.»

Schweizer Skistars erleben in den 1980er-Jahren das «Quattro-­ Feeling»: Max Julen, Urs Räber, Brigitte Oertli, Pirmin Zurbriggen, Harald Demuth (deutscher Rallye-Meister), Erika Hess und Michela Figini

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Obere Reihe: Heini Hemmi, Toni Bürgler und Evi Kratzer Untere Reihe: Daniel Mahrer, Simon Ammann und Daniel Albrecht




FAMILIENUNTER­ NEHMEN TRAGEN DIE SCHWEIZ

Die AMAG ist als Familienunternehmen gegründet

Die Aufbauarbeit für den Award leistete der Berner

worden – und ist dies bis heute geblieben. Mit

Oberländer Unternehmer Peter Stähli (56), Co-­

dem AMAG Family Business Award würdigt sie die

Gründer des Swiss Economic Forum (SEF). Bis heute

wirtschaftlichen Leistungen der familiengetra­

betreut das SEF-Team die Organisation, und Peter

genen Schweizer Unternehmen. Ein Überblick mit

Stähli sitzt selbst noch in der Jury des AMAG Family

dem ursprünglichen Organisator Peter Stähli

Business Award. An den Auftaktauftrag der Familie

und ein Gespräch mit einem Vertreter der ersten

Haefner erinnert er sich gut: «Ich musste eine

Gewinnerin des Awards im Jahr 2012.

­Möglichkeit entwickeln, den Familienunternehmen Danke für ihre Leistung und ihr zukunfts- und wert­

Die AMAG ist als Familienunternehmen gross gewor-

orientiertes Handeln zu sagen.» Bald einmal war klar,

den. Und sie ist überzeugt, dass dieser Ansatz

dass es in der Schweiz zwar bereits viele Awards

grosse Vorteile für eine langfristig orientierte Unter-

und Preise gibt, aber nichts in dieser Form für Fami-

nehmensführung sowie eine stabile und nachhaltige

lienunternehmen. So fiel der Entscheid leicht, den

Wirtschaft und Gesellschaft bringt. So ist sie im

AMAG Family Business Award ins Leben zu rufen.

­Herzen trotz ihrer Grösse ein sogenanntes KMU geblieben, ein kleineres oder mittleres Unternehmen.

Systematische Bewertungskriterien

Wer bei der AMAG in einer Garage oder an einem

Im nächsten Schritt ging es darum, Bewertungs­

anderen Standort Leute führt, tut dies mit demselben

kriterien zu entwickeln. Das Grundkonzept basiert

Herzblut, wie wenn es seine eigene Firma wäre.

auf den drei Säulen der Nachhaltigkeit: unternehmerische Leistung, gesellschaftliche Leistung und

Vor diesem Hintergrund hat die AMAG 2012 den

­Umweltleistung. Den detaillierten Bewertungsraster

­Family Business Award ins Leben gerufen. Als Moti-

entwickelte Peter Stähli zusammen mit dem Zentrum

vation für alle familiengeführten Unternehmen, ­ihrem Kurs treu zu bleiben. Und als Beitrag an die Schweizer Wirtschaft. «Mit dem Family Business Award tragen wir die unschätzbare wirtschaftliche Leistung von Familienunternehmen zum Wohle ­unseres Landes nach aussen», sagt Martin Haefner, Verwaltungsratspräsident der AMAG Gruppe.

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Fakten zu Familienunternehmen in der Schweiz – 88% aller Firmen – 50% der Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden – 37% der börsenkotierten Firmen – 65% aller Erwerbstätigen – 60% des Bruttoinlandprodukts



für Unternehmensverantwortung und Nachhaltigkeit CCRS der Universität Zürich. Das Konzept bein-

Die Sieger des AMAG Family Business Award

haltet ­sowohl einen Blick zurück auf bisherige Ergeb­

2019 Wilhelm Schmidlin AG 2018 1a hunkeler fenster AG & 1a hunkeler holzbau AG 2017 Jucker Farm AG 2016 Fraisa SA 2015 Wyon AG 2014 Entreprises et Domaines Rouvinez 2013 Siga Holding AG 2012 Trisa AG

nisse und Leistungen als auch den Blick in die Zukunft: «Welche Investitionen sind geplant?», «Wie viel wird in die Weiterbildung investiert?» oder «Ist die Nachfolgeregelung vorbereitet?» lauten entsprechende Fragen. Ebenfalls ein Kriterium ist die Anzahl der Lernenden im Unternehmen – ein Thema, auf das

Oberarth SZ Ebikon LU Seegräben ZH Bellach SO Steinegg AI Sierre VS Ruswil LU Triengen LU

die AMAG selbst grossen Wert legt (siehe Seite 56). Die Jury stellte Stähli aus bewährten Unterneh­ merinnen und Unternehmern sowie Fachexperten

sich den Betrieb zeigen und führt einen Dialog mit

­zusammen. Sie wird heute von Karin Lenzlinger

dem Verwaltungsrat oder der Geschäftsleitung.

­Diedenhofen präsidiert, die selbst aus einem traditi-

Für Peter Stähli ist dies jeweils der interessanteste

onellen Familienunternehmen in Uster ZH stammt.

Teil des Jurierungsprozesses: «Das Bild aufgrund der schriftlichen Unterlagen kann täuschen.»

Pro Jahr interessieren sich jeweils 40 bis 50 Unternehmen für die Teilnahme am AMAG Family Business

Danach trifft sich die Jury zur Schlusssitzung. Jedes

Award. 30 bis 40 füllen dann im nächsten Schritt

Mitglied juriert individuell, danach werden die

den umfassenden Fragebogen aus. Davon schaffen

­Resultate zusammengetragen. «Meist sind wir uns

es im Schnitt rund 15 in die erste Jurierungsrunde.

ziemlich einig; aber wir mussten es auch schon

In dieser wählt die Jury auf der Basis des Bewer-

­ausdiskutieren, da die unterschiedlichen Grössen

tungsrasters drei Finalisten aus. Diese drei Firmen

und Branchen der Firmen einen Vergleich nicht

besucht die Jury auf einer zweitägigen Reise, lässt

­einfach machen», so Stähli.

Adrian Pfenniger, CEO Trisa AG, hält 2012 den ersten AMAG Family Business Award in der Hand.

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«Im Auftrag von Martin ­Haefner musste ich eine ­Möglichkeit entwickeln, den Familienunternehmen für ihr zukunfts- und wertorientiertes Handeln zu danken.» Peter Stähli, Co-Gründer des Swiss Economic Forums (SEF)

Familienunternehmen denken langfristig

Die Preisverleihung des AMAG Family Business

Im Lauf der Jahre hat Peter Stähli durch seine

Award findet jeweils im Rahmen eines feierlichen

­eigenen Tätigkeiten und den Family Business Award

Events mit 250 bis 300 Teilnehmenden aus Politik,

eine gute Übersicht über die Schweizer Familien­

Wirtschaft und Gesellschaft statt. Die Medienbeach-

unternehmen erhalten. «Im Denken liegt der grösste

tung ist da, aber nicht überbordend. «Wir wollen

­Unterschied zu börsenkotierten Firmen», zieht er

ganz bewusst auch keine PR-Schlacht», erklärt Peter

Bilanz. Familienunternehmen orientieren sich nicht

Stähli. Das würde weder zum gesellschaftlichen

an Quartalsabschlüssen, sondern denken langfristig.

­Engagement der AMAG noch zu den Familienunter-

Besonders ausgeprägt äussert sich dies bei Inves­

nehmen passen. Typisch ist dagegen, dass die AMAG

titionsentscheiden: Familienunternehmen sind

jedes Jahr alle Finalisten und Gewinner zu einem

­generell risikobereiter als andere Firmen und gehen

Alumni-Nachtessen einlädt – ein hoch geschätzter

auch antizyklisch vor. Einen weiteren Unterschied

Austausch unter Familienbetrieben.

zwischen Familien- und börsenkotierten Unternehmen ortet Stähli beim Umgang mit den Mitarbeiten-

Als Familienunternehmen gelten im Award Firmen,

den: «Ein Familienunternehmer überlegt sich sehr

deren Mehrheit bezüglich Kapital im Familieneigen-

gut, ob er bei Schwierigkeiten gleich Leute entlässt.»

tum steht. Zudem ist entweder das Verwaltungs-

Diese sind oft seit vielen Jahren im Betrieb tätig und

ratspräsidium oder die operative Geschäftsleitung

kommen aus der Region. «Da ist man miteinander

durch ein Familienmitglied besetzt. Die teilnehmen-

verbunden.» Weiter beobachtet Stähli bei Familien-

den Firmen beschäftigen im Durchschnitt rund

betrieben meist einen höheren Eigenfinanzierungs-

240 Mitarbeitende.

grad und eine stärkere Firmenkultur.


«Am wichtigsten war der Effekt des Awards nach innen»

Adrian Pfenniger, Sie haben mit der Trisa AG

der Schweiz zu wenig Beachtung finden, obwohl

2012 den ersten AMAG Family Business Award

sie wirtschaftlich bedeutender sind als die

gewonnen. Welche Erinnerungen haben Sie

Grossunternehmen. Der Family Business Award

an diesen Moment?

hat uns deshalb sofort angesprochen.

Es war am 13. September, und es war für uns ein sehr emotionaler Moment. Wir haben erst am

Kannten Sie die AMAG schon vorher?

Abend selber erfahren, dass wir die Gewinnerin

Als Schweizer kennt man die AMAG; ich bin

waren. Eine grosse Überraschung war zudem,

immerhin seit Jahren begeisterter VW Fahrer.

dass unser Biketeam den Weg von Triengen nach

Aber ich hatte keine persönlichen Kontakte

Bern unter die Räder genommen hatte, um

zum Management.

am Event teilzunehmen. Es hat wirklich alles gepasst, bis hin zur Tatsache, dass unsere Firma

Welchen Eindruck gewannen Sie vom Unter-

2012 das 125-Jahre-Jubiläum feiern konnte.

nehmen an der Award-Feier? Ich schätzte die Diskussionen auf Augenhöhe,

Was hat der Gewinn des Awards ausgelöst?

obwohl die AMAG ein Grossunternehmen ist

Der Haupteffekt war nicht nach aussen, trotz

und Trisa eine Mittelständlerin. Bei der Firmen­

vieler Medienberichte. Am wichtigsten war

kultur und den Werten habe ich sofort Paralle­

der Effekt des Awards nach innen. Für unsere

len gesehen. An der Award-Feier etwa war

Mitarbeitenden und für uns als Besitzerfamilie

es familiär, wir haben uns sehr wohlgefühlt.

war die Auszeichnung ein grosser Ansporn, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Den

Welche weiteren Parallelen zwischen Trisa

gewonnenen VW Golf haben wir den Mitarbei­

und der AMAG haben Sie erkannt?

tenden für Dienstfahrten zur Verfügung gestellt –

Die langfristige Orientierung und die Kontinui­

das haben sie ebenfalls geschätzt. Er ist übrigens

tät. Gemeinsam ist uns auch, dass der Kunde

heute noch in Betrieb.

im Zentrum steht und nicht ein anonymer Shareholder. Zudem habe ich auch die AMAG

Weshalb haben Sie überhaupt am Award

Mitarbeitenden als sehr motiviert erlebt.

­teilgenommen? Wir sind ein typisches Familienunternehmen.

Wo gibt es Unterschiede?

Manchmal haben wir das Gefühl, dass die

Bei Trisa sind alle Mitarbeitenden am Erfolg und

­Leistungen der familiengetragenen Firmen in

am Aktienkapital beteiligt und haben weitge­

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«Für unsere Mitarbeitenden und für uns als Besitzerfamilie war die Auszeichnung ein grosser Ansporn, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.» Adrian Pfenniger

hende Mitspracherechte. Dies ist wohl in einem kleineren Unternehmen auch einfacher zu handhaben als in einem Grossbetrieb. Was macht den unternehmerischen Erfolg von Trisa aus? Der grösste Erfolgsfaktor ist die über Jahrzehnte entstandene Trisa-Kultur. Dahinter steht unsere Überzeugung, dass der Erfolg kommt, wenn man Freude an dem hat, was man macht. Eine interessante Arbeit und ein gutes Umfeld tragen dazu bei. Nur mit begeisterten Mitarbeitenden hat ein Unternehmen auch begeisterte Kunden. Bei uns legen wir auch Wert darauf, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als ­Mit­u nternehmer sehen. Wir fördern deshalb die Mitsprache und haben ein Erfolgsbeteiligungs­ programm für alle.

Adrian Pfenniger (55) trat nach einem Wirtschafts­ studium und Auslandjahren 1989 als Export-Manager in die Trisa AG ein. 1995 wurde er Mitglied der Geschäftsleitung und ist seit 2005 CEO der Trisa AG. Zudem ist er seit 2010 Verwaltungsratspräsident der Trisa Holding AG. Trisa wurde 1887 gegründet und wird heute bereits in der vierten Generation als Familienunternehmen ­geführt. Die Familie hält 70 Prozent der Aktien, 30 Prozent sind im Besitz der Mitarbeitenden. Mit der Kernkompetenz in den Bereichen Mundpflege, Haarpflege und Haushalt beschäftigt die Trisa Gruppe 1100 Mitarbeitende und erzielte 2018 einen konsolidierten Umsatz von 220 Millionen Franken. Als Branchenleader vertreibt Trisa ihre Qualitätsprodukte in über 80 Ländern.


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IMPORTIERTE LIEBLINGE

Es begann mit dem Käfer, dem perfekten «Volks-Wagen» für die deutsche Nachkriegszeit. Doch auch in den folgenden Jahrzehnten sollte es der Volkswagen AG gelingen, immer wieder Autos genau nach den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden auf den Markt zu bringen. Auch in der Schweiz finden die von der AMAG importierten ­Autos seit jeher ihren Platz in den Top Ten der ­beliebtesten Automobile. Worin sich Frau und Herr Schweizer allerdings von der deutschen Kundschaft unterscheiden, sind ­ihre Vorstellungen bezüglich Ausstattung. In der Schweiz wird besonders viel für Komfort und Leistung ausgegeben. Zum Beispiel wurden hierzulande vom VW Golf über die Jahre überproportional ­viele GTI-Modelle verkauft. Und natürlich haben auch die schweizerische Topografie und die im ­W inter verschneiten Strassen einen Einfluss auf die Modellwahl – fast die Hälfte der Personenwagen in der Schweiz wird heute mit Allradantrieb gekauft.


AUTOMONTAGE SCHINZNACH Die Schweiz kannte eine eigenständige Auto­

Der Standort Schinznach-Bad

mobilproduktion mit Martini, Turicum oder ande-

1947 bot sich in Schinznach-Bad der Kauf eines

ren. In der Schweiz wurden edle Marken mit edlen

­A reals einer früheren Zementfabrik mit Fabrika­

Karosserien versehen. In der Schweiz wurden

tionshallen an. Diese Fabrik war schon vor dem

aber auch ausländische Fahrzeuge komplett mon-

Zweiten Weltkrieg Konkurs gegangen, und in den

tiert. So wurden beispielsweise in Schinznach-­

Kriegsjahren w ­ urden die Hallen als Stroh- und Heu­

Bad bei der AMAG zwischen 1949 und 1972 rund

lager der ­A rmee genutzt.

30’000 Fahrzeuge gebaut. Im gleichen Jahr erfolgte der Umbau in eine für Schinznach-Bad, eine kleine Gemeinde im Aargau,

­damalige Begriffe moderne Kleinmontageanlage

die erst in den Dreissigerjahren den heute bekann-

für Automobile. 1949 begann die ASAG (Auto­

ten Namen erhielt, wurde kurz nach dem Zweiten

montage Schinznach AG) mit der Montage der ersten

Weltkrieg zu einem der grossen Automobilbau­

Plymouth- und Standard-Limousinen.

zentren der Schweiz. Doch warum ausgerechnet Schinznach-Bad, dieses bislang verschlafene Nest

ASAG – nicht AMAG

im Aaretal?

Auch wenn in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit die AMAG in Schinznach-Bad Autos montiert hatte,

Warum wurden Autos in der Schweiz montiert?

so ist das juristisch nicht ganz korrekt. Die Montage-

Da die europäische Automobilindustrie durch die

tätigkeit erfolgte in einer rechtlich eigenständigen

Kriegswirren noch sehr geschwächt war, gab es nur

Firma, der ASAG Automontage Schinznach AG,

ein sehr beschränktes Modellangebot. Ziel war

die wie die AMAG zur Walter Haefner Holding AG

in erster Linie, überhaupt ein Fahrzeugangebot zu

gehörte. Mit dem in Basel ansässigen Garagen­

haben. Auf Prestige und Komfort wurde in Europa

betrieb mit dem Namen ASAG hatte das Montage­

verzichtet. In der Schweiz, die vom Krieg verschont

unternehmen nichts zu tun.

geblieben war, war die Situation anders. Man wollte sich ­etwas leisten, die Nachfrage nach neuen Autos

Aus der Not wurde im Lauf der Jahre eine Tugend.

und das Geld waren da. Die englische Autoindustrie

Was aus Kostengründen in Schinznach-Bad begann,

und vor allem die amerikanische konnten liefern.

entwickelte sich schon sehr schnell zu einem Qualitätslabel. Die Fertigungsqualität der Rohkarossen,

Doch was brachte ein Automobilhandelsunter­

die Rostschutzbehandlung oder die zum Teil aus

nehmen dazu, Fahrzeuge selber im eigenen Land zu

Schweizer Produktion verwendeten Materialien wa-

montieren? Wie häufig bei solchen Entscheidungen

ren deutlich besser. Auch speziell für die Schweiz:

war der Fiskus Grund genug. Auf Komplettfahrzeu-

«Montage Suisse»-Autos waren besser ausgestattet

ge aus den USA erhoben die Schweizer Zollbehörden

als ihre amerikanischen Vorbilder.

beinahe protektionistische Zollgebühren. Teile­ lieferungen hingegen waren sehr günstig, denn sie

Willy Huter, einziger und langjähriger Direktor der

schafften Arbeitsplätze.

Auto­montage, brachte es schon in den Fünfziger­

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«Die kleine Schrift ‹Montage Suisse›, die wir auf allen von uns montierten Fahrzeugen anbringen, muss jederzeit für höchste Qualität bürgen!» jahren auf den Punkt: «Die kleine Schrift ‹Montage

gerechnet sind dabei die Justierungsarbeiten beim

Suisse›, die wir auf allen von uns montierten Fahr-

Serienanlauf. Mit der Produktion des neuen Jahr-

zeugen anbringen, muss jederzeit für höchste Quali-

gangs musste dann im Dezember begonnen werden,

tät bürgen!»

damit die Verkaufsspitzen im März, April und Mai optimal bedient werden konnten.

1954 erfuhren alle Mitarbeitenden: «Vom allerersten Arbeitsgang an müssen die Facharbeiter in der

Sobald die anfänglichen Produktionsschwierigkeiten

­Automontage sich bewusst sein, dass es ernst gilt

überwunden waren, dauerte die Montagezeit pro

und dass von der Qualität ihrer Arbeit der Verkaufs-

Wagen ja nach Sonderausrüstung und Lackierung

erfolg, die Zufriedenheit der Kunden und die Siche-

(zweifarbig, dreifarbig) 160 bis 180 Stunden. In den

rung der eigenen Existenz mit abhängen. Ein guter

Fünfzigerjahren war das Montageprogramm auf

Mann hat seinen Stolz und seine Devise: ‹Ich pfusche

fünf Fahrzeuge pro Tag eingestellt.

nie!› Der Plymouth ‹Suisse› – man weiss es – zählt zu den besten Erfolgen auf dem Schweizer Markt.»

Ein weiteres Problem waren die Materiallieferungen. Das Material, das dringend benötigt wurde, hatte

Blick hinter die Kulissen

häufig doppelt so lange wie geplant, während der

Was bedeutete die Einführung eines neuen Modell-

normale Nachschub natürlich termingerecht gelie-

jahres? Mit welchen Problemen hatten die Arbeite-

fert wurde. Willy Huter dazu in einem Interview

rinnen und Arbeiter zu kämpfen? Wie in einer

1957: «Wir müssen im Durchschnitt drei bis vier

­grossen Autofabrik mussten die Anlagen vor einem

­K isten öffnen, um das Material für zwölf Wagen, das

neuen «Serienanlauf» angepasst und umgebaut

in einer Kiste sein sollte, zusammenzubringen. Die

werden. Dafür erhielt die ASAG jeweils vier bis sechs Monate vor dem Beginn des neuen Modelljahres ­Pläne, die zur Anfertigung der Montagelehren dienten. Sie stellten die Abbildungen der für den Export bestimmten Montagelehren dar. Da auf diesen ­Lehren jeweils nur ein Probewagen gebaut wurde, waren sie und demzufolge die Pläne noch lange nicht reif für die Serienproduktion. Es war dann Sache der ASAG-Arbeiter, die notwendigen Verbesserungen und Änderungen herauszufinden, bis sie den ­gewünschten Genauigkeitsgrad hatten. Bis die ­entsprechenden Montagelehren dann hergestellt waren, vergingen rund sechs Wochen. Nicht hinzu-

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Die Automontage Schinznach-­ Bad; Hazy Osterwald, Schweizer Musiker, Orchesterleiter und Komponist, passend zu einem seiner Hits «Geh’n Sie mit der Konjunktur» vor seinem neuen Dodge.

Ursache ist: fehlendes, defektes oder falsch gelie­

Im Vergleich dazu nehmen sich die 42 Chrysler und

fertes Material. Dies erschwert die Materialverteilung

die je rund 250 DeSoto und Dodge bescheiden aus.

kolossal und bringt grosse Platzprobleme sowie

­Anfang der Fünfzigerjahre war die Liefertreue

Umtriebe mit sich.»

aus Detroit sehr schlecht, da war man froh, dass zur

Die ASAG konnte in den USA jeweils zwölf Autos

dard Vanguard gebaut werden konnten.

Überbrückung und Auslastung auch über 500 Stanpro Transportkiste bestellen. Alle Fahrzeuge waren von der Ausstattung her identisch. Doch die Kun-

Als Ende der fünfziger Jahre die Amerikaner immer

denwünsche waren schon in den Fünfzigern indivi-

grösser wurden – «Das Amerikanerwagengeschäft

duell. So kam es vor, dass keine zwei Autos identisch

ist in ein ganz neues Stadium getreten. Die Wagen

ausgeliefert werden konnten. Willy Huter dazu:

sind länger, breiter und teurer geworden, und

­«Neben den vier verschiedenen Motoren haben wir

­daran muss sich die Kundschaft zuerst gewöhnen …

vier verschiedene Getriebe, sieben verschiedene

Diese schönen und schnellen Wagen verkaufen

Polsterüberzüge und zudem eine ganze Menge

sich nicht von selbst. Die Tendenz der heutigen Kauf­

­Zubehör (Powersteering, Powerbrakes, Radio usw.),

interessenten, auf Kosten des eigentlich ersehnten

die auf Wunsch der Kunden in einzelne Fahrzeuge

Komforts einen kleineren Wagen als den heutigen

eingebaut oder weggelassen werden müssen. Hinzu

gros­sen Amerikaner anzuschaffen, muss überwunden

kommen die verschiedenen Farbkombinations­

werden» –, war man in Schinznach-Bad dankbar,

wünsche, welche die Typenreihe auf eine dreistellige

dass rund 1000 Einheiten des damals neuen, schnit-

Zahl hinaufschrauben!» – und dies bei zwölf iden-

tigen VW Karmann-Ghia-Coupés in der Schweiz –

tisch gelieferten Fahrzeugsätzen.

zur Entlastung der Produktion in Osnabrück – montiert werden konnten. Während die Amerikaner

Die Plymouth-Jahre

komplett in Einzelteilen angeliefert wurden, lieferte

Die ersten zehn Montagejahre können als «die Ply-

Karmann komplette Rohkarossen in die Schweiz,

mouth-Jahre» bezeichnet werden. Bereits im ersten

die hier noch mit Türen und Hauben versehen werden

rollten 66 Fahrzeuge in Schinznach-Bad vom Band.

mussten. Nach Korrosionsschutz und Lackierung

Bis 1959 wurden über 7100 Fahrzeuge gebaut.

fand in der Schweiz «nur» die Endmontage statt.


Als Intermezzo kann die kurzfristige Produktion von

einem Plymouth, einem Plymouth Valiant, nach

Studebaker-Fahrzeugen ab 1959 bezeichnet werden.

29’227 Einheiten aus. Der Importvertrag für Fahr-

Der Konkurs der US-Gesellschaft verhinderte einen

zeuge des Chrysler-Konzerns lief noch bis 1980.

grösseren Erfolg. Am Standort Schinznach-Bad wurden die MontageDas Jahrzehnt der Valiants und Darts

anlagen abgebrochen. In den Montagehallen

Die Schweizer fanden die grossen Amis nicht mehr

­befinden sich heute – nach mehreren Umbauten –

so praktisch. Europäische Alternativen waren

ein grosser Garagenbetrieb mit Werkstatt, Speng­

­kompakter und praktischer – der ebenfalls von der

lerei, Lackiererei und Ersatzteillager sowie bis

AMAG importierte VW Käfer hatte schon lange

­Ende 2019 Büroräumlichkeiten des Importbereichs

zum Siegeszug auf Schweizer Strassen angesetzt.

der AMAG.

Alternativen waren gefragt. Die Lösungen hiessen 1960 bzw. 1961 Chrysler Valiant und Dodge Dart, zwei für damalige US-Verhältnisse kompakte Mittelklasselimousinen, angetrieben von Sechszylinder-­ Reihenmotoren. Die AMAG positionierte den Valiant sogar als eigenständige Marke. Damit sollte klar ­gezeigt werden, dass er kein grosses «Amischiff» war. Bis zur Einstellung der Montagetätigkeit in Schinznach-Bad wurden rund 14’000 Valiants ­gebaut. Mal waren es Chrysler, mal Plymouth. Der ­Dodge Dart, bautechnisch ein Schwestermodell des Valiant, brachte es inklusive der Untervarianten Dart HT und Demon auf rund 4700 Einheiten. Konkurrenz im eigenen Haus – das Ende Gegen Ende der Sechzigerjahre verfiel die amerikanische Autoindustrie wieder dem Gigantismus, ­diesmal in Sachen Hubraum und Leistung. Mit Verlaub darf wohl gesagt werden, dass die Fahrwerke und Bremsen dieser Fahrzeuge den Motorenleis­ tungen nicht gerecht wurden. Die Schweizer Topo­ grafie war nicht gemacht für die amerikanischen «Muscle Cars». So nahm das Interesse an den ­Valiants und Darts laufend ab. Gleichzeitig hatte die AMAG von der von Volkswagen gekauften Audi NSU Auto Union AG plötzlich ein neues, verbrauchs­ ärmeres Angebot in der Mittel- und der gehobenen Mittelklasse: die Audi 90, Audi 100 und NSU RO 80. Die Nachfrage nach den in der Schweiz montierten ­Fahrzeugen nahm laufend ab. Die Automontage konnte nicht mehr rentabel geführt werden. Hatte die ­Montage in Schinznach-Bad mit einem ­Plymouth begonnen, so lief sie 1972 auch mit

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Die Vorzüge der Montage Suisse aus der Sicht des Werbetexters 1956: «PLYMOUTH SUISSE Noch schöner – noch exklusiver! Es wäre durchaus zu verstehen, dass Sie Ihren neuen PLYMOUTH SUISSE ausschliesslich seiner tech­nischen Vollkommenheit wegen wählten und der Überlegenheit seines Karosseriestiles und seiner Ausstattung keine besondere Beachtung schenken würden. Aber gerade die traditionellen handwerk­lichen Finessen der SCHWEIZER MONTAGE ver­leihen ihm mächtige zusätzliche ­Impulse. Mehr denn je zuvor ergänzt die hervorragend abgestimmte und bewundernswert vollständige Ausstattung des PLYMOUTH SUISSE 1956 seine überlegene Leistungsfähigkeit und sprühende Kraft. Achten Sie auf die schwerelose, durch keinerlei wesensfremde ­Ornamentik überladene Linie des neuen Modells. Bewundernde Blicke folgen Ihnen, wenn Sie am Steuer dieses Wirklichkeit gewordenen Traumwagens sitzen. Sie haben die freie Wahl aus unzähligen modernen und doch zeitlosen Farben und Kombinationen. Die Stoff- und Kunstlederbezüge der Sitze – eigens für den PLYMOUTH SUISSE gewoben – zeugen von auserlesenem Geschmack. Damit ist der PLYMOUTH SUISSE – ohne seine Zugehörigkeit zur preisgünstigsten Amerikanerwagenkategorie zu verleugnen – in die Klasse der eigentlichen Luxusfahrzeuge vorgestossen. Kann es Sie daher noch verwundern, dass der PLYMOUTH SUISSE 1956 von zahlreichen Automobilisten als der Schönste seiner Art gewürdigt und gekauft wird?»


Mechaniker in der Montage­halle der Automontage Schinznach AG


MIT DEN ENGLÄNDERN BEGANN ALLES DER STANDARD Am 3. Januar 1945 gründete Walter Haefner die «Neue AMAG Automobil- und Motoren AG». Bereits am 13. August des gleichen Jahres, knapp drei ­Monate nach Kriegsende, unterzeichnete er im englischen Coventry einen Importvertrag mit der ­Standard Motor Company Ltd. Standard, 1903 gegründet, war eine der ältesten britischen Auto­ marken und erreichte vor dem Zweiten Weltkrieg eine Jahresproduktion von über 500’000 Fahrzeugen. Während des Krieges baute das Unternehmen für die Armee, konnte dann aber schnell auf eine zivile Produktion umstellen: Bereits wenige Monate nach Kriegsende verliessen neue, verbesserte Vorkriegsmodelle die Werkshallen. Schon Ende 1945 erwartete die AMAG die Erstlieferung der Modelle «Eight» und «Fourteen». Lieferprobleme führten dazu, dass die ersten importierten Autos die Schweiz erst ­A nfang 1946 erreichten – die Wagen konnten in Le Havre nicht entladen werden und mussten wieder nach England geschickt werden. Ein weiteres ­Pro­blem war, dass Autos mit gefüllten Benzintanks nicht importiert werden konnten. So reisten in den ersten Januartagen zehn AMAG Mitarbeiter zusammen in zwei Autos, zugepackt mit Benzinkanistern, in die französische Hafenstadt Rouen, um am Montag die Fahrzeuge entgegenzunehmen. Ihr Pech war, dass diese erst am Freitag ankamen. Praktisch ohne Geld, aber mit Zigaretten als «Währung» kamen die Schweizer über die Runden. Als das Schiff endlich anlegte, wurden beim unsorgfältigen Löschen an fünf der fabrikneuen Autos die Vorderkotflügel abgerissen. Auf der Fahrt in die Schweiz erlitt nach bloss zwei Kilometern einer der Standards einen irreparablen Getriebeschaden,

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sodass er bis nach Zürich abgeschleppt werden

eine Entwicklung mit der damals hochmodernen

musste. Und auf der Route Nationale 19 brach

Ponton­form. Innert kürzester Zeit gingen über

­einem Standard das linke Hinterrad ab. So mussten

1000 Bestellungen ein – und keiner konnte geliefert

sich die fünf ersten Standard-Vertreter über zehn

werden. Produktionsprobleme verhinderten eine

Tage gedulden, bis sie endlich ihre Fahrzeuge über-

rasche ­Lieferung, und als die ersten Wagen ein Jahr

nehmen konnten.

später eintrafen, waren sie mit einer Unzahl von Mängeln behaftet. So gelang es Haefner, die Englän-

Doch das tat dem Interesse keinen Abbruch. Im ­A pril 1947 konnte bereits der 1000. Standard an ­einen Kunden ausgeliefert werden. Das zeigt nachdrücklich, wie gross damals der Nachholbedarf an Neufahrzeugen war. Zu diesem Zeitpunkt hatte

der davon zu überzeugen, dass eine Schweizer ­Montage sinnvoll wäre. Ab 1949 erhielt die AMAG deshalb ­Bau­sätze der Autos, die in der neueröffneten «Automontage Schinznach AG» fertig montiert ­wurden. So konnte die AMAG ein qualitativ besseres die AMAG schon ein Netz mit über 20 unabhängigen

Modell als das Original anbieten. Doch die Vorberei-

Garagenpartnern, die sich um die Belange der

tungsphase war steinig. So lieferte das Werk in

­Marke kümmerten. Im gleichen Jahr importierte die

­Coventry alles falsch, was nur falsch geliefert werden

AMAG dann auch die Marke Triumph, die auch zur

konnte. Erst eine Überwachung der mit Montage­

Standard Gruppe gehörte.

teilen g ­ efüllten Kisten im englischen Werk durch Mitarbeitende der AMAG schuf Abhilfe.

1948 zeigte die AMAG mit dem Standard Vanguard am Automobilsalon in Genf die erste Neuentwick-

Bis 1953 importierte oder montierte die AMAG

lung der englischen Marke, die nichts mehr mit den

schliesslich gegen 4000 Standard Fahrzeuge.

Vorkriegsmodellen zu tun hatte. Der Vanguard war

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Standards, die im bis ­heute ­baulich fast unveränderten Showroom am Zürcher Utoquai (oben) und im Rahmen einer ­Ausstellung der ASAG Basel (links) präsentiert werden


BORN IN THE USA – ­MADE IN SWITZERLAND CHRYSLER VALIANT/­ DODGE DART Bei amerikanischen Herstellern war es gang und

nach und wurde zwischen 1960 und 1972 13’860

­gäbe, dass gleiche Grundmodelle mit grösseren

Mal g ­ efertigt. Der Dodge Dart folgte mit 4440 Stück,

oder kleineren Retuschen unter verschiedenen Mar-

die von 1961 bis 1972 gebaut wurden. Zusammen

ken verkauft wurden – eine Praxis, die heute auch

machten sie knapp zwei Drittel der gesamten

von anderen Herstellern weiterentwickelt wird.

Schinznacher Autoproduktion aus und waren das erfolgreiche Angebot der AMAG in der gehobenen

Das galt auch für die Marken der Chrysler Group,

Klasse. War «Montage Suisse» zu Anfang ­eine Lö-

die die AMAG von 1946 bis 1980 importiert und von

sung, Importsteuern zu sparen, hat sich der ­Begriff

1949 bis 1972 auch in der Schweiz montiert hat

mit der Zeit als Qualitätslabel eingeprägt. Die hier

­(siehe Seite 82).

montierten Fahrzeuge wurden mit Bauteilen aus Schweizer Produktion verbessert und eine Rostvorsorge wurde appliziert. Die zum Teil nonchalante Fertigungsqualität von amerikanischen A ­ utos hatte hier keine Chance. Valiant und Dart waren ursprünglich mit einem «slant six», einem Reihen-Sechszylinder ausgestattet. Der 1959 vorgestellte «slant six» gehörte zu den meistgebauten und am vielfältigsten eingesetzten Motoren der Chrysler Corporation. Egal, ob in der ­Familienlimousine, im Coupé, im Pick-up oder gar im Lastwagen – der Reihenmotor wurde bis im

Chrysler Valiant und Dodge Dart basierten auf dem Prinzip der Gleichteile. Sie teilten das Chassis, den Motor und viele Komponenten miteinander, ­waren aber optisch verschieden. Beide galten für amerikanische Verhältnisse als kleine, günstige ­E instiegsmodelle. In der Schweiz waren sie mit ihren Abmessungen – fast fünf Meter Länge ­– aber veritable Strassenkreuzer. Die zeitweise nur als «Valiant», manchmal als «Chrysler Valiant» oder gar gleichzeitig als «Plymouth Valiant» verkaufte Limousine war das meistgebaute Automodell der Automontage Schinz-

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Jahr 2000 rund 12 Millionen Mal eingebaut. Es gab

So wurden in der Zeit der Muscle Cars Ende der

ihn mit Hubräumen von 170 cci (2,8 l), 198 cci, (3,2 l)

­Sechziger-, Anfang der Siebzigerjahre auch in der

oder 225 cci (3,7 l). Während der Valiant moderat

Schweiz V8-Motoren mit 5,2 Litern in Valiant und

mit dem 170 cci ausgerüstet war, konnte man den

Dart verbaut.

Dodge auch mit 225 cci Hubraum bestellen. Meist wurden die Valiants und Darts in Kombination

Das war denn auch ein Grund, dass die Amerikaner-­

mit dem TorqueFlite-Dreigang-Automatikgetriebe

Ära bei der AMAG Anfang der Siebzigerjahre zu

ausgeliefert, eher selten auch mit einem Dreigang-­

­einem Ende kam. Einerseits waren die «gas guzzler»

Handschaltgetriebe. Auch die TorqueFlite-Auto­

in der Zeit der Ölkrise nicht mehr gefragt, anderer-

matik gehörte zu den Langläufern bei Chrysler.

seits wuchs mit dem neuen Audi 100, einem Pro-

1960 wurde das auch in allen Schinznacher Modellen

dukt aus dem Volkswagen Konzern, ein veritabler

­verbaute TorqueFlite-904-Getriebe vorgestellt.

Konkurrent heran, der den gleichen Luxus, die

­Dieses wurde weltweit bis 2002 in verschiedenen

­gleichen Platzverhältnisse anbieten konnte – aber

Modellen eingesetzt.

mit deutlich kleineren, sparsameren Motoren. Die Verkäufe der amerikanischen Wagen brachen

In den USA startete in der zweiten Hälfte des 20. Jahr­

in der Schweiz regelrecht ein. 1980 beendete die

hunderts ein wahres Rennen um mehr Hubraum

AMAG den Chrysler Import offiziell.

und mehr Leistung, der Verbrauch war nebensächlich.

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Bis zur Ölkrise und zum Verkaufsstart des Audi 100 war der ­C hrysler Valiant in der Schweiz äusserst beliebt.


ER MACHTE DIE SCHWEIZ MOBIL DER VW KÄFER Niemand hätte damals gedacht, dass 1946 – nur ein

Exportmarkt. Anfang Mai 1948 rollte über leere

Jahr nach Kriegsende – bereits wieder VW Käfer

deutsche Autobahnen das erste Kontingent von

vom Band rollen würden. Das Volkswagenwerk war

25 VW Käfern von Wolfsburg über Frankfurt an

schwer beschädigt, und VW unterstand damals

die Landesgrenze bei Lörrach – auf den eigenen vier

der britischen Besatzungsmacht. War er zunächst

Rädern. Auf der Schweizer Seite des Grenzzaunes

lediglich für den Eigenbedarf bestimmt, sahen die

warteten bereits die ersten Händler auf die Abferti-

Engländer im unverwüstlichen VW Käfer erhebliche

gung der mausgrau oder schwarz gespritzten

Exportmöglichkeiten – und für die britische Auto-

­Volkswagen. Auch die Verrechnung der Fahrzeuge war abenteuerlich: Nach der Verzollung zahlten die Händler ihr Auto in bar, um es anschliessend nach Hause zu fahren und den ersten Kunden abzuliefern! Von Anfang Mai bis Dezember 1948 rollte so eine stolze Zahl von 1380 Käfern in die Schweiz – in nur acht Monaten mehr als von jeder anderen Marke während eines vollen Jahres. Der Siegeszug des Volkswagens in der Schweiz ­basierte auf seiner robusten, einfachen und reparaturfreundlichen Technik, seiner hohen Qualität, den ­völlig neuen Serviceleistungen und einem dichten Ver­treternetz, das höchsten Ansprüchen zu genügen hatte.

mobilindustrie keine ernsthafte Konkurrenz. Auch AMAG Firmengründer Walter Haefner erkannte das grosse Potenzial des kleinen Volkswagens und trat in K ­ ontakt mit dem VW Werk – mit Erfolg. Denn auch andere Firmen versuchten, das Rennen um den ­Import des Volkswagens zu gewinnen – früh war absehbar, dass in der Schweiz eine grosse ­Nach­frage nach neuen Autos einsetzen würde. Und ebenso ­sicher war man, im VW Käfer das ideale ­Auto für das gebirgige Land gefunden zu haben. Am 29. April 1948 unterzeichnete Walter Haefner in Wolfsburg den Importvertrag «für den Volkswagen». Die Schweiz war nach Holland und Belgien der dritte

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Ein Käferfest in Kreuzlingen im Jahr 1956 (Bild oben). Die ­Herausforderung bestand vor allem darin, der hohen Nachfrage nach dem Käfer g ­ erecht zu werden. Eine Gruppe Käfer in Schinznach-­ Bad auf dem Weg zur Auslieferung (Bild links).




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Im Jahr 1969 wird der 250’000. Käfer Typ 1 feierlich übergeben (Bild oben), und im Jahr 1970 rollt der 400’000. VW, auch ein Käfer, in die Schweiz (Bild links).

Lange Jahre war der VW Käfer der weitaus meist­

Markt­anteil von 30 Prozent. Später stieg diese Zahl

gefahrene Automobiltyp in der Schweiz. Dabei

auf bis zu 35 Prozent an. Die Beliebtheit des Volks-

gab die Verbindung von Qualität, Preis und Service

wagens wird umso deutlicher, wenn man bedenkt,

den Ausschlag. Dank dem zunehmendem Brutto­

dass in der Schweiz praktisch alle Automobilherstel-

sozialprodukt und dem VW Käfer konnten immer

ler der Welt vertreten waren.

mehr Schweizer Auto­mobilisten werden. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren lancierte Wer heute Fotos aus den Fünfzigerjahren betrach-

Volkswagen eine ganze Serie an Modellen mit dem

tet, stellt fest: Egal, ob in Städten, auf Passstrassen

gleichen käfertypischen Prinzip: luftgekühlter

oder an den Ufern der Seen – ein Auto sieht man

­Boxermotor im Heck und Hinterradantrieb. Was

­immer wieder: den VW Käfer. Oft stehen Dutzende

­jahrelang mit sehr guter Werbung schöngeredet

von Käfern an den schönsten Promenaden der

wurde, aber eigentlich immer noch «alte Technik»

Schweiz. Der optische Eindruck täuscht nicht. Schon

war, sorgte Anfang der Siebzigerjahre für eine

1954 erreichte VW – mit nur einem Modell – mit

der grössten wirtschaftlichen Krisen innerhalb der

mehr als 10’000 verkauften Exemplaren einen

Volkswagen AG. Die Konkurrenz brachte neue ­Modelle auf den Markt – Käfer und Co. waren irgendwann «alt», und die Verkäufe aller luftgekühlten ­Modellreihen brachen ein. Dennoch hielt sich der ­K äfer noch ein paar Jahre im Angebot der AMAG. Doch am 31. März 1983 war nach 320’637 verkauften Käfern endgültig Schluss.


EINER FÜR ALLE FÄLLE DER VW BUS

Typ 2 – so simpel hiess eine der wichtigsten Modell-

Stauraum für 750 Kilo ­skizzierte er dann in seinem

reihen der Welt, der legendäre VW Bus. Auch in

Notizbuch und präsentierte sie dem damaligen

der Schweiz war und ist er noch heute Transportrück­

­Verantwortlichen der ­britischen Militärverwaltung,

grat des Kleingewerbes und der Lieferdienste –

Major Hirst. Diesem gefiel die Idee so gut, dass er

aber auch Begleiter für Ausflüge und Ferien für die

die Umsetzung in Auftrag gab. Im Frühling 1949 war

ganze Familie und Vereine.

der erste Prototyp fertig, Ende Jahr wurde der Typ 2, der zweite Fahrzeugtyp aus dem Hause VW,

Der Typ 2 hörte auf viele Namen – je nach Einsatz­ zweck: Bulli, Transporter, Pick-up, Doka (für Doppelkabine), Kombi, Kastenwagen, Camper, Multivan, Caravelle, «Westi», California, Samba oder einfach «Bus». Für viele ist er heute die Ikone von Hippie-­ Kultur und Woodstock. Doch war und ist der VW Transporter viel mehr.

der Presse vorgestellt. 1950 rollte dann der erste Transporter in Wolfsburg vom Band. Und er war von Beginn an ein voller ­Erfolg. Die Qualität des Käfers, kombiniert mit Stauraum, überzeugte das Kleingewerbe, das in Deutsch­land, aber auch in ganz Europa und der Schweiz im Aufbruch war. Die Nachfrage Gemäss aktuell gültiger Geschichtsschreibung ­

nach Käfer und Bus war so gross, dass Volkswagen

hatte der erste VW Importeur der Welt, Ben Pon

in Hannover ein zweites Produktionswerk nur für

aus Holland, die Idee eines kleinen Transporters

den Typ 2 baute. Doch nicht nur das Gewerbe ent-

auf dem K ­ äferfahrgestell, als er 1947 die Platten-

deckte den Typ 2 für sich, sondern auch private

transportwagen im wieder aufgebauten VW Werk

­Nutzer. Bereits in den Fünfzigerjahren gab es erste

in Wolfsburg sah. Diese Idee mit dem Sitz über

Ausbauten als Camper. Die zaghaft gewonnene

der Vorderachse, dem Motor hinten und dazwischen

­Freiheit konnte so genutzt werden, um die Welt zu

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erkunden. Waren das zuerst die europäischen Nach-

und P ­ ersonentransporter (Caravelle) machte. Es

barländer, wurde der Typ 2 Ende der Sechzigerjahre

schien, dass man bei Volkswagen Nutzfahrzeuge

das Standardverkehrs­mittel für die Aussteiger auf

bezüglich der Namensgebung resignierte. Die

dem Hippie-Trail nach Goa in Indien.

nächste ­Gene­ration des Typ 2 wurde bei ihrer Präsentation 2003 erstmals ab Werk offiziell T5 ge-

Die erste Generation, noch mit geteilter Frontschei-

nannt … Und dies hat bis heute Gültigkeit, denn nach

be, wurde fast 20 Jahre lang, in Europa bis 1967

dem T5 folgte 2015 der T6 und im letzten Jahr

(in Südamerika noch deutlich länger) gebaut. Die

der T6.1, ­eine «grosse Produkteaufwertung» des T6.

zweite Generation, der T2, lief in Europa bis 1979

Heute ist der T6 g ­ enauso wie in den Fünfzigerjahren

vom Band. Die dritte Generation, der T3, basierte

das meistgekaufte Nutzfahrzeug der Schweiz –

noch immer auf dem bewährten Käferkonzept

­vielseitig einsetz- und wandelbar.

mit Motor hinten. Doch kam jetzt erstmals auch ein Diesel-Reihen-Vierzylinder zum Einsatz, und der ­bekannte Boxer erfuhr eine wesentliche Veränderung: Er wurde nun mit Wasser gekühlt. Auch eine Allradvariante wurde erstmals angeboten, was vor allem in der Schweiz auf grosse Nachfrage stiess. 1990 dann die grosse Revolution: Auch der VW Bus bekam Frontantrieb und Frontmotor – und dadurch erstmals einen flachen Ladeboden. Zudem liess die neue Konstruktion auch komplette Umbauten zu, konnte man doch neu nur den Vorderwagen mit ­K abine und Antrieb bestellen. Anlässlich der damaligen Pressevorstellung wurden die anwesenden Journalisten inständig gebeten, doch bitte nicht die interne Bezeichnung «T4» zu verwenden – was ­natürlich genau das Gegenteil bewirkte. Wenn auch nie offiziell, war die vierte Generation landläufig der T4. Vielleicht auch deshalb, weil VW eine klare Namens­trennung zwischen Sachen- (Transporter)

104


Ein VW Bus T1 Bulli schafft es etwa 1960 bis an den Hindukusch (Bild oben). Der VW T4 etabliert sich als perfekter Transporter für Sportteams auf dem Weg zu ihren Wettkämpfen, beispielsweise für Kunstturner im Jahr 1997 (Bild links).


DER LIEBLING DER «GENERATION GOLF» DER VW GOLF Er war nicht der erste VW mit Frontmotor, Wasser-

wieder neue Technologien «demokratisiert», für

kühlung und Frontantrieb – das war der von NSU

­eine grössere Kundschaft zugänglich gemacht. Egal,

entwickelte und dann von VW 1970 übernommene

ob Airbags, ABS, ESP oder Navigationssystem –

K70. Auch der VW Passat, der 1973 vom Audi 80

im Golf wurden sie «Mainstream». Aus «dem» Golf

abgeleitet wurde, und der ab Februar 1974 produ-

wurde über die Jahre eine ganze Familie mit ver-

zierte VW Scirocco kamen vorher. Doch zum

schiedenen Karosserieformen, Motor- und Getriebe-

­Zeitpunkt seiner Einführung bedeutete der Golf im

varianten. Es gab oder gibt ihn als klassischen Ver-

wahrsten Sinne eine komplette Umkehr. Als

brenner, als Hybrid oder als Elektrofahrzeug. Zudem

­Nachfolger des VW Käfer begann mit dem VW Golf

war und ist er im Rahmen der Strategie der Plattform

im Volumensegment effektiv der Systemwechsel

und heute des Modularen Querbaukastens (MQB)

der Technologien. Für die Volkswagen AG war

im weitesten Sinn die Basis für verschiedene andere

der Golf Hoffnungsträger und Rettung zugleich. Die

Modellreihen bei VW oder zum Teil bei anderen

Jahrzehnte der Käfermonokultur mit einer mittler-

­Marken des Volkswagen Konzerns.

weile veralteten Technologie hatten den Konzern Anfang der Siebzigerjahre an den Rand des Ruins

Dass der Golf mehr war als nur ein Auto, zeigte im

geführt. Geld für einen Flop gab es nicht. Der Golf

Jahr 2000 der deutsche Schriftsteller Florian Illies,

musste ein Volltreffer werden. Und das war er

der mit seinem Buch «Generation Golf» eine ganze

von Beginn an. Im Sommer 1974 startete der Golf in

Generation nach dem Auto benannte.

der Schweiz und war ab 1975 für über vier Jahr­ zehnte das meistgekaufte Auto. Egal, ob Bankdirek-

In der Schweiz wurden seit seiner Markteinführung

tor, Bauarbeiter oder Studentin – alle fuhren Golf.

über 660’000 VW Golf verkauft.

Der Golf wurde zum Inbegriff einer Fahrzeugklasse, der Golf-Klasse. Mit der Lancierung des ursprünglich im Geheimen entwickelten Golf GTI 1976 schuf VW eine weitere Ikone. Ursprünglich plante VW, 5000 GTI zu bauen. Als 1975 die Importeure gefragt wurden, welche Volumen für ihre Märkte sie denn für den GTI sähen, kam die Antwort aus der Schweiz schnell und für die Kollegen in Wolfsburg überraschend: 1000 Einheiten! So war die Schweiz das einzige Land, das von Anfang an einigermassen mit der Nachfrage mithalten konnte. Heute wird der Golf in seiner achten Generation ­gebaut. Im Laufe der letzten 45 Jahre hat er immer

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Werbung, die nicht übertreibt: Die Golf-Modelle lancieren eine Erfolgsserie und sind während Jahren das meistgekaufte Auto der Schweiz.


ELEKTRISCHE FAHRT IN EINE NEUE ÄRA DER VW ID.3

Der VW ID.3 hat den Weg der AMAG bislang noch

Die Verantwortlichen von VW betonen denn auch:

nicht geprägt, denn schliesslich kommt er 2020 auf

«Der ID.3 ist ein alltagstauglicher Allrounder. Er

den Markt. Doch er steht für einen Wandel, der

ist kompakt, dabei wendig wie ein Kleinwagen und

die AMAG als Unternehmen in den ­kommenden Mona­

bietet den Innenraum eines Mittelklassewagens.

ten und Jahren massiv prägen wird. Der ID.3 soll

Er kombiniert spannendes Design mit innovativer

nichts anderes werden als der legitime Nachfolger

Technologie und hohen Reichweiten.»

des VW Käfer oder des VW Golf. Revolutionär ist auch das Interieur. Durch den langen Radstand des MEB-Layouts und die sehr kurzen Überhänge ergibt sich ein besonders grosser Innenraum, der Open Space. Mit dem so entstehenden Platz und Raumgefühl setzt der fünfsitzige ID.3 neue Standards in der Kompaktklasse.

Der ID.3 ist nicht das erste Elektrofahrzeug aus dem VW Konzern – und er wird auch nicht das letzte sein. Doch der ID.3 ist (wie der Käfer) der Urmeter einer ganzen Fahrzeugpalette, nicht nur der Marke Volkswagen. Denn mit dem ID.3 startet Volkswagen in eine neue Ära der klimafreundlichen Mobilität. Das erste Modell aus der ID. Baureihe ist bilanziell

Dank der digitalen, völlig neu konzipierten Anzeigen-

CO2 -neutral, beeindruckt mit einer für Elektroautos

und Bedienelemente wird sich jeder Fahrer und jede

charakteristischen hohen Fahrdynamik und ist voll

Fahrerin schnell und intuitiv im ID.3 zurechtfinden.

vernetzt. Es basiert wie alle künftigen ID. Modelle

Neben dem D ­ isplay im Cockpit liefert ein neu entwi-

und weitere Konzernmodelle auf dem neuen Modu-

ckeltes, ­zen­tral positioniertes Touch-Display mit

laren E-Antriebs-Baukasten (MEB).

­einer Bildschirmdiagonale von zehn Zoll dem Fahrer

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109 Der VW ID.3 besticht nicht nur durch seinen Elektroantrieb, ­s ondern auch durch seine inneren Werte: viel Innenraum und ­modernste Navigationsunterstützung.



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Das Netz der Ladestationen ­verdichtet sich in Europa im ­E ilzugstempo. An einer Schnell­ lade­s tation von IONITY ist der VW ID.3 eine gute Kaffeepause später wieder einsatzbereit für die grosse Distanz.

alle ­wichtigen Informationen. Das ebenfalls neue ID.

Die Batterien selbst sind in den Fahrzeugboden

Light unterstützt mit einem LED-Band bei der

­integriert. Diese Lage wirkt sich positiv auf die

­Navigation und kann den Fahrer bei Gefahr beispiels­

­Fahrdynamik aus, da der Schwerpunkt des ID.3 tief

weise auffordern zu bremsen. Sämtliche Bedien­

nach unten rückt. Zudem zeichnet den ID.3 eine

elemente – auch am elektrisch einstellbaren Multi-

­optimale Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und

funktionslenkrad – werden über Touch-Funktionen

Hinterachse aus.

mit berührungssensitiven Tasten bedient. Nur die Fensterheber und das Warnblinklicht werden noch

Die neue Technologie des ID.3 und aller anderen

mit haptischen Schaltern betätigt. Hinzu kommt

Elektrofahrzeuge wird einen Impact haben auf

­eine intelligente «Natural Voice»-Sprachsteuerung.

das Geschäftsmodell der AMAG und all ihrer Partner.

Über App-Connect ist der ID.3 binnen Sekunden

Es sind neue Fähigkeiten gefordert – es braucht

mit dem Smartphone vernetzt.

neue Infrastrukturen für den Ladevorgang und vieles mehr. Bereits seit einiger Zeit arbeiten denn auch

Der ID.3 wird zum Serienstart mit drei Batterie­

die verschiedenen Einheiten der AMAG intensiv an

grössen angeboten. Die Basisvariante hat einen

diesen Themen. Denn der ID.3 unterstützt die AMAG

nutzbaren Energiegehalt von 45 kWh und ermög-

in ihrem Bestreben, der führende Anbieter für nach-

licht eine elektrische Reichweite von bis zu 330 Kilo-

haltige individuelle Mobilität zu sein.

metern (WLTP). Darauf folgt eine Batterievariante mit 58 kWh; in diesem Fall bietet der ID.3 eine Reichweite von bis zu 420 Kilometern (WLTP). Der Energiegehalt der grössten Batterievariante liegt bei 77 kWh, deren elektrische Reichweite bei bis zu 550 Kilometern (WLTP) liegt. Dank seiner Schnell­ladefähigkeit lassen sich beim ID.3 mit 100 kW ­L adeleistung innerhalb von 30 Minuten rund 290 Kilometer Reichweite (WLTP) nachladen.


FERRY PORSCHE BAUT SICH SEINEN TRAUMWAGEN DER PORSCHE 356 Mitte 1947 begannen Ferry Porsche und die Kon­

Basierte der 356 ursprünglich in vielen Details auf

strukteure der Porsche AG mit der Entwicklung

dem VW Käfer und verwendete Porsche auch Teile

Nr. 356, eines Sportwagens, basierend auf der Tech-

von Volkswagen, entwickelte sich der erste Serien-­

nik des Volkswagens. Im Frühsommer 1948 war

Porsche im Laufe seiner 18-jährigen Produktionszeit

das Projekt Nr. 356 Realität: Am 8. Juni 1948 erhielt

schon erheblich davon weg. So waren die 356 schon

das erste Auto mit dem Namen Porsche die amt­

sehr bald mit eigenentwickelten Motoren ausgerüs-

liche Betriebserlaubnis. Im gleichen Jahr konnte

tet, die bis zu 130 PS leisteten. Auch wurden Fahr-

Porsche einen Vertrag mit dem Volkswagen Werk

werk und Getriebe weiterentwickelt. Mit der Modell-

abschliessen, wonach VW an Porsche Teile zu liefern

reihe 356 begann zudem die kometenhafte Karriere

hatte und Porsche das VW Vertriebsnetz nutzen

von Porsche als Rennsportmarke. Wurde der erste

konnte. Mit diesem Vertrag rückte auch die AMAG

356 1948 noch nicht beim GP von Bern zugelassen,

ins Blickfeld. Diese hatte ja mit dem Vertrieb von

änderte sich das sehr schnell. Und die wendigen,

VW in der Schweiz begonnen und konnte sich be-

leichten Porsche Modelle fuhren schnell leistungs-

reits auf ein eingespieltes Händlernetz in allen Teilen

stärkeren Konkurrenten auf und davon. Bereits

der Schweiz abstützen. Da die AMAG aber schon

1957 konnte die AMAG den 1000. Porsche abliefern.

die englischen Triumph-Sportwagen importierte,

Damit gehörte die Marke auch im Verkauf zu den

kam für Walter Haefner eine Erweiterung dieses

erfolgreichsten Sportwagenmarken. Und dieser Er-

Segmentes vorerst nicht in Frage.

folg sollte bis heute anhalten. Als der 356 in den Sechzigerjahren nach 15 Jahren etwas angegraut

1950, anlässlich eines Besuchs in Wolfsburg, wur-

war, präsentierte Porsche 1963 ein neues Modell,

den die AMAG Verantwortlichen wieder auf die Mög-

das die Grundeigenschaften des 356 übernehmen

lichkeiten eines Porsche Importes durch die AMAG

sollte: die Coupé-Form mit flacher Haube vorn

angesprochen. Denn in der Schweiz gab es keinen

und fliessendem Heck, Heckmotor, Heckantrieb und

Importeur mehr. Auf sanften Druck von Volkswagen

Luftkühlung. Einzig die Anzahl der Zylinder wurde

Generaldirektor Prof. Dr. Heinrich Nordhoff gelangte

auf sechs erhöht. Das Projekt 901 wurde an der IAA

man bei der AMAG zum Schluss, dass nun die Zeit

erstmals der Weltöffentlichkeit gezeigt. Als Porsche

gekommen sei, das Heft in die Hand zu nehmen.

911 schreibt er seither die Erfolgsgeschichte von Porsche und der AMAG in Sport und Verkauf bis zum

Nach Verhandlungen am Genfer Auto-Salon 1951 ver­pflich­tete sich Porsche, der AMAG die 1,3-Liter Coupés und Cabriolets zu liefern, wogegen die AMAG 1951 mindestens 50 Autos abzusetzen hatte. Das Ziel wurde weit übertroffen – in den verblei­ benden 9 Monaten des ersten Verkaufsjahres konnten 78 Por­sche des Typs 356 abgesetzt werden!

112

heutigen Tag fort.







DIE UNTERSCHÄTZTEN ERFOLGSMODELLE PORSCHE 924/944/968 Der Porsche 924 litt zeitlebens unter seiner Ent­

er ein Verkaufshit. Bereits Ende 1977 war er welt-

stehungsgeschichte. Zu Unrecht! Wechselvoll verlief

weit der meistgekaufte Sportwagen.

die Entstehungsgeschichte dieses Modells. 1970 ­beauftragte die Volkswagen AG Porsche mit der

1980 lancierte Porsche dann den 944. Dieser nahm

Entwicklung eines Nachfolgemodells für den VW

viele Elemente des 924 auf, so die grundsätzliche

Porsche 914. Es sollte aber ein reinrassiger VW wer-

Architektur des Autos, die Grundform und auch das

den – bis der neue VW Chef Toni Schmücker 1975

komplette technische Prinzip. Auch der 944 hatte

den Sportwagen kurz vor dem Start aus dem Modell-

eine lange, flache Front mit Klappscheinwerfern und

programm strich.

einen recht grossen Kofferraum unter dem hinteren Glasdeckel.

Porsche übernahm den fertigen Wagen und liess ihn in Neckarsulm bei Audi fertigen. Das Konzept war

Doch schon auf den ersten Blick war klar: Der 944

eigentlich bestechend: Dank der Transaxle-Anord-

hatte reinrassige Porsche Gene und gegenüber

nung – Motor vorn, Getriebe hinten – war der Sport-

dem 924 an Muskeln zugelegt. Das zeigte b ­ ereits

wagen bestens ausbalanciert und sehr agil. Dann die

seine komplett feuerverzinkte, breitere Karosserie

sportliche Form mit Klappscheinwerfern, die hohe

mit den ausgestellten Radhäusern. Und dennoch

passive Sicherheit der Fahrgastzelle, der grosse

war der 944 aerodynamischer als der 924. Unter der

­Kofferraum unter dem grossen Glasdeckel im Heck –

Motorhaube arbeitete neu ein von Porsche entwi-

er hatte alle Zutaten zum Erfolg.

ckelter, 2,5 Liter grosser Vierzylinder-Reihenmotor, dessen Aluminium-Zylinderblock in den Grundmas-

Aber die Mitgift der VW Komponenten verfolgte

sen mit dem V8 des 928 identisch war. Er leistete

den 924 und all seine Nachfahren. Der 2-Liter-Vier-

zuerst 163 PS. Doch im Laufe der Zeit wuchs der

zylinder-Reihenmotor stammte aus dem VW Regal

­Hubraum auf 3 Liter und die Leistung auf 211 PS.

und wurde unter anderem im Audi 100 und im

Zeitweise produzierte Porsche den hubraumstärksten

VW LT eingesetzt. Für Porsche Fans war das ein

Vierzylindermotor für Personenwagen. Der 944

­absolutes Sakrileg! Weitere Komponenten stammten

Turbo als Topversion lieferte aus 2,5 Litern Hubraum

ebenfalls aus dem Wolfsburger-Ersatzteillager,

sogar 250 PS.

die Hinterachse zum Beispiel vom VW Käfer. Da halfen auch die Schalensitze aus dem 911 nicht, um als

Der 944 wurde 1992 vom 968 abgelöst. Dieser war

«richtiger» Porsche akzeptiert zu werden. Auch als

zugleich die letzte Entwicklungsstufe der Porsche

im 924S ein von Porsche entwickelter Motor seinen

Transaxle-Modelle. Der 968 wurde als Coupé und als

Dienst tat, nützte das der Baureihe imagemässig

Cabriolet angeboten, während die Sportversionen

nichts. Und dennoch: Der Porsche 924 fand seine

CS, Turbo S und Turbo RS nur als Coupé erhältlich

Bestimmung. Als Einstieg in die Porsche Welt wurde

waren.

118


Die TV-Legende Mäni Weber war privat mit einem Porsche 924 unterwegs. Porsche 944 im Jahr 1981 (Bild oben).


Optisch lehnte sich der 968 stärker an den 928 und die Studie Panamericana von 1989 an. Die Klappscheinwerfer klappten nun von hinten hoch und hatten so eine ähnliche Anmutung wie die Scheinwerfer des 928. Im Ruhezustand zeigten sie eine Ähnlichkeit mit den Scheinwerfern der kommenden 911 ­Generation. Auch am Heck gab es Anleihen an den 928. Die (teilweise verkannten) Qualitäten wie zum Beispiel Fahrverhalten, Federungskomfort oder Kofferraum des 944 blieben alle erhalten. Unter der Haube arbeitete der weiterentwickelte Reihen-Vierzylinder, der in dieser Ausbaustufe aus 3 Litern Hubraum 240 PS leistete. Auch wenn alle diese Modelle in der Wahrnehmung der «richtigen» Porsche Fans keine Porsche waren, so trugen sie dennoch massgeblich zum Erfolg der Marke in der Schweiz bei. War der «Elfer» der Porsche, so lieferten 924, 944 und 968 die Stückzahlen zum wirtschaftlichen Erfolg. Wurden zwischen 1976 und 1995 knapp 9000 Porsche 911 in der Schweiz verkauft, konnten von den Vierzylinder­ modellen in der gleichen Zeit rund 10’000 Exemplare abgesetzt werden.

120



DIE GEHOBENE ­MITTELKLASSE DER AUDI 100 «Also, wenn ich heute Mittag bei dir esse, dann bin

und Mantel ab und wusste: Wir hatten gewonnen.

ich rausgeschmissen worden. Wenn ich nicht

Nordhoff sagte nur: ‹Grünes Licht für diesen Wagen!›»

­komme, kannst du davon ausgehen, dass ich weiter Chef der Auto Union bleibe.» Mit diesen Worten

Der Audi 100 wurde im November 1968 in Ingol-

soll sich Dr. Ludwig Kraus von seiner Frau verab-

stadt der internationalen Presse vorgestellt. Geplant

schiedet haben, als eine Volkswagen Delegation mit

war, eine einmalige Auflage von 100’000 Fahr­

Prof. Heinrich Nordhoff nach Ingolstadt kam.

zeugen zu produzieren, doch die Nachfrage war so gross, dass von der ersten Generation bis Produk­

Seit 1965 gehört die Auto Union zum Volkswagen

tionsende 827’474 Fahrzeuge hergestellt wurden.

Konzern. Eine eigene Fahrzeugentwicklung wurde den Technikern in Ingolstadt von den neuen Haus-

Die AMAG wurde 1967 Audi Importeurin. Mit dem

herren untersagt. Geplant war, die Produktionskapa-

neuen Audi 100 hatte sie plötzlich neben Chrysler

zitäten in Ingolstadt für die Fertigung des VW Käfer

ein zweites Angebot in der gehobenen Mittelklasse.

zu nutzen. Der sich schlecht verkaufende DKW F102

Als dann mit der zweiten Generation des Audi 100,

wurde dennoch überarbeitet und mit e ­ inem Vier-

mit dem Audi 200, eine noch stärkere Version auf

taktmotor ausgerüstet. Mit diesem intern als «Audi

den Markt kam, war die Zeit der Amerikanerwagen

F103» bezeichneten Wagen entstand die Auto-Union-­

bei der AMAG definitiv zu Ende.

Marke Audi neu. Der Vorstandsvorsitzende Heinrich Nordhoff verfügte aber, dass in Ingolstadt keine

Doch nicht nur der erste Audi 100 (C1) war ein

weiteren Modelle mehr entwickelt werden sollten.

­Meilenstein für die Marke, sondern auch die dritte Generation. Anfang der Achtzigerjahre wurde der

Der bis 1963 bei Daimler-Benz tätige Ludwig Kraus

Aerodynamik eines Autos immer mehr Bedeutung

glaubte indes nicht an die Zukunft des VW Käfer

zugemessen – und Audi setzte dies kom­promisslos

und entwickelte bei der Auto Union ohne Wissen des

um. Der Audi 100 C3 tat sich denn auch mit einer

VW Vorstands und grösstenteils nach Feierabend

besonders strömungsgünstigen ­K arosserie hervor.

ein neues Modell unter dem Namen Audi 100. Als

Mit den bündig eingebauten, hochgezogenen Fens-

man in Wolfsburg davon erfuhr, war man gar nicht

tern und einem cw-Wert von 0,30 galt der Audi 100

begeistert. Man wollte sich das ansehen …

in den frühen Achtzigerjahren als strömungsgünstigste Serienkarosserie dieser Zeit und erhielt viele

Als der Besuch aus Wolfsburg da war, behielt Kraus

Auszeichnungen. Wegen des Leichtbaus und des

Hut und Mantel an. Er liess den Vorhang wegziehen,

niedrigen Luftwiderstands verbrauchte der Wagen

und die Drehscheibe setzte das Modell in Bewegung.

weniger Treibstoff als ­vergleichbare Fahrzeuge

«Nordhoff schritt mehrmals um das Fahrzeug

der Zeit. Zudem war der C3 auch ein Vorreiter des

­herum und hatte zuerst einen roten Nacken. Dies

permanenten «quattro» ­Allradantriebs in der obe-

bedeutete bei ihm Wut und Zorn. Aber plötzlich

ren Mittelklasse und brachte für den Volkswagen

­änderte sich die Nackenfarbe, sein Gesicht wurde

Konzern erstmals den TDI-Motor mit Diesel-Direkt-

freundlicher, und in dem Augenblick legte ich Hut

einspritzung und Turbolader in die Serie.

122




125

«Grünes Licht für diesen Wagen!» VW Konzerchef Heinrich Nordhoff im Jahr 1966, nach seinem ersten Blick auf den Audi 100


VORSPRUNG DURCH TECHNIK DER AUDI QUATTRO «Vorsprung durch Technik»: Auch wenn Audi diesen

sollten. Der «quattro» Prototyp meisterte die Stei-

Slogan bereits seit 1971 verwendet hatte, erreichte

gung ohne Probleme – auf Sommerreifen. Im

er seine ­volle Wirkung effektiv erst mit dem Audi

­Sommer 1978 fand eine weitere Vorführung statt,

quattro 1980. Der «quattro» war das Synonym auf

bei der der «quattro» Prototyp eine steile, stark

vier Rädern. «Vorsprung durch Technik» entfaltete

­gewässerte Wiese hinauffahren sollte. Von allen zur

sich Anfang der Achtzigerjahre wirklich. Vor der

Ver­fügung stehenden Vergleichsfahrzeugen be­

­E inführung des stromlinienförmigen Audi 100 war

wältigte nur der «quattro» Prototyp die Aufgabe.

es der Audi quattro, der die Branche durchschüttelte.

Kurze Zeit später gab der VW Vorstand seine

Im März 1980 wurde der Audi quattro auf dem

­Zustimmung für den Bau.

­Genfer Auto-Salon der Öffentlichkeit präsentiert. Von der Fachpresse wurde das Fahrzeug weltweit

Der «quattro» passte hervorragend zur Topografie

unter Verwendung zahlreicher Superlative als

der Schweiz, und das Interesse war entsprechend

­Sensation gefeiert.

gross. So wurde die Schweiz schnell zum «quattro Land». Eine weitere Begebenheit sollte dies noch

Wie schon beim ersten Audi 100 war auch die Ent-

festigen: 1984 führte die AMAG in Davos einen An-

wicklung des quattro die Arbeit einer kleinen Gruppe.

lass mit Rallye-Weltmeister Hannu Mikkola und dem

Bei Winter-Testfahrten im Jahr 1977, bei denen

Audi quattro durch. Gleichzeitig sollte die Bündner

neue Audi Modelle erprobt werden sollten, stellte

Polizei eingeschneite Personen auf dem Flüelapass

der Versuchsleiter Jörg Bensinger fest, dass das

abholen. Mit dem damaligen Polizeifahrzeug war

­Begleitfahrzeug, mit dem er fuhr – ein allradgetrie-

es aber nicht möglich, auf den Pass zu gelangen.

bener VW Iltis Geländewagen mit 75 PS –, unter

Mikkola sprang ein und fuhr mit einem Polizisten im

den winterlichen Bedingungen das weitaus schnells-

«quattro» problemlos hoch – auf Sommerreifen.

te Fahrzeug war. Nach seiner Rückkehr berichtete

Der Legende nach soll dieses Ereignis einen solchen

er Ferdinand Piëch, damals Vorstand der Entwick-

Eindruck hinterlassen haben, dass die Regelung

lungsabteilung bei Audi, von seinen Erlebnissen. Er

für Ketten derart gelockert wurde, dass Allradfahr-

überzeugte ihn, mit einer kleinen Gruppe von Mitar-

zeuge – bei Kettenpflicht – keine Ketten mehr mon-

beitern einen Prototyp mit Fünfzylinder-Turbomotor

tieren mussten.

und Allradantrieb auf Basis des Audi 80 herstellen zu lassen. 1978 war dieser Prototyp so weit entwi-

Audi setzte die «quattro» Technologie sehr schnell

ckelt, dass er dem Vorstand von VW präsentiert

in allen Baureihen ein und schaffte einen «Vorsprung

werden konnte. Diese Präsentation fand während

durch Technik», der dazu führte, dass die Marke

eines Tests in Österreich statt, bei dem Winterreifen

schnell zur Nummer eins im Premiumsegment wurde.

und Schneeketten auf einer verschneiten, steilen

Die Konkurrenten folgten erst Jahre später – mit

Steigung an anderen Fahrzeugen getestet werden

dem Aufkommen der SUVs.

126





«Vorsprung durch Technik» bewies Audi über die Jahre immer wieder mit technischen Meisterleis­ tungen. So war Audi der erste Grossserienhersteller, der mit dem Audi A8 ein Modell mit Aluminium-­ Karosserie auf den Markt brachte und so die ­Gewichtsspirale umdrehte. Der A8 war mit Allrad­ antrieb leichter als seine Konkurrenten mit Heck­antrieb. Audi war der erste Hersteller, der das 24-Stunden-Rennen von Le Mans mit einem TDI-­ Diesel-Rennwagen und später mit einem Hybrid-­ Rennwagen gewann. Und heute setzt Audi mit dem ersten vollelektrischen SUV e-tron quattro ­erneut technologische Massstäbe.

130


Peter Müller, der Abfahrts-Superstar der 1980er-Jahre, war mit seinem Audi quattro auch auf der Strasse flott unterwegs.


DER KLEINWAGEN MIT «SYSTEM PORSCHE» DER SEAT IBIZA

SEAT wurde am 9. Mai 1950 als Sociedad Española

zu Fiat beschränkte sich nur noch auf das Fahrwerk

de Automóviles de Turismo, S.A. (Spanische Gesell-

und einige Motoren, die aber unabhängig vom

schaft für Autos) im Industriepark Barcelonas,

­Lizenzgeber Fiat (mit Hilfe von Porsche) weiterent­

der Zona Franca, gegründet. Kapitalgeber waren zu

wickelt wurden. SEAT und Volkswagen schlossen

51 Pro­zent die staatliche Dachgesellschaft Instituto

am 30. September 1982 ein Produktions- und Wirtschaftsabkommen. Die Kooperation mit Volkswagen entwickelte sich zu einer 75-Prozent-Beteiligung. SEAT begann die Markterschliessung in Richtung ­Europa. 1984 wurde die AMAG über die Tochter­ gesellschaft Spancar SEAT Importeurin für die Schweiz. Das Modellprogramm umfasste den Ibiza und den Ronda (eine optisch veränderte Version des Fiat Ritmo). Während der Ronda bald eingestellt wurde, erfreute sich der Ibiza recht grossen Zuspruchs in der Schweiz. Insbesondere die Kombination Kleinwagen mit 90-PS-Motor «System Porsche» und der attraktive Preis gefielen – und SEAT wusste den Porsche Nimbus marktwirksam einzusetzen.

­Nacional de Industria, zu 42 Prozent spanische ­Banken und zu 7 Prozent Fiat. Nach der Werkseröffnung am 5. Juni 1953 lief ein SEAT 1400 auf Basis des Fiat 1400 vom Band des staatlichen Automobilwerks. Für die nächsten dreissig Jahre baute ­SEAT vor allem Autos für den durch hohe Importsteuern geschützten spanischen Markt, meist ­reine Fiat-Lizenzprodukte. Anfang der Achtzigerjahre kam es zum Zerwürfnis mit Fiat, da sich die Italiener nicht an einer Kapital­ erhöhung zur Restrukturierung beteiligen wollten. SEAT führte in jener Zeit den Ibiza als erstes eigenständig entwickeltes Modell ein. Die Verwandtschaft

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Doch das reichte nicht. SEAT lancierte zwar immer



wieder weitere Modelle, die das Programm nach ­unten (Marbella/Arosa) oder nach oben (Toledo/ Altea) ergänzen sollten. Doch realistischerweise war SEAT über viele Jahre hinweg eine Mono-Modell-­ Marke mit dem Ibiza. Und SEAT war lange Jahre das Sorgenkind im Volkswagen Konzern. Das führte dazu, dass die Strategie – und damit das Modell­ programm – immer wieder angepasst wurden, doch nie die Modellreihe Ibiza. Und das war und ist gut so. Denn der Ibiza war stets erfolgreich und eine wichtige Stütze für die Marke. Heute wird bereits die fünfte Generation des Ibiza gebaut. Und noch immer gehört der Ibiza zu den beliebtesten Modellen seiner Klasse. Und auch SEAT ist auf der Strasse des Erfolgs angekommen, weltweit und in der Schweiz. Belegte die Marke viele Jahre einen Platz zwischen 15 und 20 in der Markenrangliste der Schweiz, ist sie heute in den Top 10 etabliert. Das aktuelle Modellprogramm mit Mii, Ibiza, Leon, Leon ST, Arona, Ateca, Tarraco und Alhambra ­bietet heute für fast alle Bedürfnisse eine passende Lösung – m­it Diesel, Benzin, Gas oder Strom als «Treibstoff».

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UNAUFFÄLLIG UND ­ROBUST DER ŠKODA FAVORIT Aller Anfang ist schwer – das hat die AMAG auch

Doch mit dieser Einschätzung tat man der Marke

­erfahren, als sie via die Schwestergesellschaft Amoda

und vor allem den Mitarbeitenden im tschechischen

1992 mit dem Import und dem Verkauf der ersten

Mladá ­Boleslav unrecht.

Modelle des tschechischen Herstellers ŠKODA ­begann. 1991 stieg die Volkswagen AG bei der Auto­

Der Favorit war die erste Neuentwicklung des

mobilový koncern ŠKODA a.s. ein, deshalb unter-

­Herstellers seit vielen Jahren. Nach Jahrzehnten des

schrieb die AMAG wenig später den Importvertrag

vom Politbüro verordneten Heckmotorprinzips

auch für diese Marke.

war der Favorit 1987 eine komplett neue Konstruktion mit Frontmotor, -antrieb und grossem Heck­ abteil. Und er war ein klassischer «Kompakter». Nicht verleugnen konnte er natürlich seine Entwicklung in einer Zeit der Planwirtschaft, wie diese in Osteuropa üblich war. Da entwickelten nicht die Ingenieure die besten Lösungen, sondern Funktionäre entschieden am Schreibtisch, was genehm war und was nicht. Im Vergleich zu seinen Mitbewerbern aus dem Osten war der Favorit dennoch topmodern, doch nun musste er auch gegen die etablierte, marktwirtschaftlich getriebene westeuropäische Konkurrenz antreten. Wenigstens war das für ­ŠKODA nicht neu, denn die Marke war die einzige,

Das Modellangebot der neuen Marke war zu Beginn sehr bescheiden und in technischer Hinsicht nicht sehr berauschend. Während der VW Golf III mit Airbags und gar einem Sechszylindermotor angeboten wurde, startete ŠKODA mit dem Modell «Favorit» und der Kombivariante «Forman» sehr zaghaft mit einem für damalige westliche Erwartungen sehr ­einfachen Automobil. Etwas schmeichelnd wurden sie später einmal als «unanfällig und robust» ­bezeichnet. Unauffällig hätte auch noch gepasst – und wo wenig dran war, konnte auch nicht viel ­k aputtgehen.

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die schon vor Glasnost und Perestroika Autos in den

so zeigten die Ingenieure im Kleinen, auf einem

Westen lieferte.

­«Nebenschauplatz», was sie konnten. Denn ­schliesslich hatte ŠKODA eine lange Tradition als

Dennoch: Das Hartplastikarmaturenbrett, der Vier-

­einer der fortschrittlichsten Automobilhersteller

zylindermotor mit elektronischem Vergaser, das

der Welt.

eher einfache Fahrwerk oder auch die sonst verwendeten Materialien wirkten wie aus einer anderen

Im ersten Jahr konnte die Amoda gerade mal

Zeit. Bis auf eine Sache: die mechanische Sitzverstel-

60 Fahrzeuge in der Schweiz verkaufen, im Jahr

lung. Denn die war im Favorit kugelgelagert und

­darauf immerhin über 600. Als Ende 1994 dann

deshalb so leichtgängig, dass kein Westauto nur an-

der Felicia als Nachfolger präsentiert wurde, war

satzweise mithalten konnte. Wie war das möglich?

das ein anderes Auto. Er war der erste ŠKODA

Die Antwort gaben die tschechischen Kollegen

nach der Übernahme durch die Volkswagen AG, der

­damals gerne: Für die Sitzverstellung gab es keine

unter technischer Beteiligung von VW gebaut

Vorgabe oder Einschränkung des Politbüros, das

­wurde, wenn er auch in seinen Grundzügen auf dem

lief schlicht unter dem Radar der Funktionäre. Und

Vorgänger Favorit basierte.

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KONKURRENZ IN DER GOLF-KLASSE DER ŠKODA OCTAVIA

«Simply Clever» – so lautet das Markenversprechen

­Lösungen zu entwickeln. Wer sonst baut zum Bei-

von ŠKODA. Und müsste ein Modell für dieses

spiel einen Eiskratzer gleich in den Tankdeckel ein?

­Versprechen einstehen, wäre es sicher der ŠKODA

ŠKODA folgte bei der Entwicklung neuer Modelle

Octavia in seiner Kombiversion. Er verkörpert

bislang immer der Devise, Autos zu bauen, die

seit seinem (zweiten) Marktstart 1996 alle Tugen-

­gebraucht werden und gebraucht werden können –

den der tschechischen Marke.

keine Designexperimente, sondern immer eine

Vorab muss aber geklärt werden, warum «zweiter

von VW Technik, tschechischem Ingenieurskönnen,

Marktstart». Einen ŠKODA mit Modellbezeichnung

Kombi und gutem Preis-Leistungs-­Verhältnis kam

Octavia gab es schon früher. Von 1959 bis 1971

bei Herrn und Frau Schweizer sehr gut an. Bald

baute der tschechische Hersteller bereits einmal

schon hatte der Octavia in seiner Kombiversion eine

­einen Octavia, der ebenfalls als Limousine und Kombi

treue Fangemeinde im Land. Mit weiteren V ­ arianten

angeboten wurde. Dass ŠKODA bei der Lancierung

wie Allrad oder Automatik­getriebe, als Benziner

1996 wieder diesen Namen wählte, war dem Erfolg

und Diesel, später auch mit Gasantrieb, setzte der

des Vorgängers geschuldet und passte natürlich

Octavia seinen Siegeszug fort.

­Weiterentwicklung des Bisherigen. Die K ­ ombination

in die Nomenklatur mit dem im Jahr vorher präsentierten, kleinen Felicia, der ebenfalls einen Vorgänger

Der Octavia war so beliebt, dass ŠKODA es sogar

Anfang der Sechzigerjahre hatte.

wagte, gleichzeitig zwei Generationen des Octavia anzubieten – etwas, was sonst kein anderer

Der ŠKODA Octavia war das erste Modell, das unter

­Hersteller tat. Die erste Generation Octavia wurde

der Ägide von Volkswagen mit Volkswagen Kompo-

von 1996 bis 2010 praktisch unverändert angebo-

nenten entwickelt wurde. Technisch basierte er

ten, während bereits 2004 die zweite Generation

auf dem Golf IV, wie auch alle seine Nachfolger auf

lanciert wurde. Die erste Generation blieb als günsti-

Komponenten der jeweiligen Golf Generation

ges Einstiegsmodell weiter im Programm – was

bzw. heute dem Modularen Querbaukasten (MQB)

aber den Verkaufszahlen der zweiten Generation in

­basieren. Doch gelang es ŠKODA, ein eigenständiges

keiner Weise schadete.

Produkt mit ganz eigenen Details und cleveren

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Drive away mit dem neuen ­Š KODA Octavia im Jahr 1998. Der Octavia entwickelte sich für die Schweizer ŠKODA Händler so prächtig, dass er den VW Golf 2017 als bisher meistverkauftes Modell der Schweiz ablöste.

Und ŠKODA hat etwas anderes auch geschafft: Da das Design des Octavia immer nur behutsam weiterentwickelt wurde und stets dem Credo «Form follows function» folgte, wurden die bisherigen Versionen nicht plötzlich «alt», sondern blieben ein Teil der Modelllinie. So verwunderte es nicht, dass der bei Privat- wie bei Flottenkunden beliebte Octavia im Jahr 2017 den Golf als meistverkauftes Modell der Schweiz ablöste und bis heute diese Stellung innehat. Das Modellprogramm von ŠKODA ist in den letzten Jahren massiv angewachsen. Was 1992 mit einer Modellreihe und 60 verkauften Autos begann und über die Jahre fast eine Octavia Combi Monokultur war, ist heute auf ein attraktives Angebot vom Stadtflitzer bis hin zum grossen SUV mit insgesamt acht Modellreihen angewachsen, aktuell immer in den Top 5 der Schweizer Markenrangliste.


03 ZUKUNFT ­ERFAHREN

Die Veränderungen durch auto­ matisierte Fahrzeuge, aber auch ­unsere Reaktion auf den Klimawandel werden den Verkehrsmarkt tief­ greifend beeinflussen.

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ZUKUNFT ERFAHREN

Ein 75-Jahre-Jubiläum macht stolz, bietet aber keine Garantie für eine erfolgreiche Zukunft. Deshalb interessiert sich die AMAG für Experten, die fundierte und zukunftsgerichtete Analysen bieten. Drei ETH-Professoren äussern sich zur klimafreundlichen Mobilität der nächsten Jahrzehnte.


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DIE ZUKUNFT DER INDIVIDUELLEN MOBILITÄT – DIE EINSCHÄTZUNG DER WISSENSCHAFT

Wohin entwickelt sich unsere Mobilität? Was ist in Zukunft noch möglich? Welche Chancen ­bieten sich? Bei all den technischen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen ist es nicht einfach, in die Zukunft zu blicken. Am ehesten gelingt dies den Wissenschaftlern der ETH ­Zürich, die sich der Entwicklung der mobilen ­Zukunft ­verschrieben haben. Die AMAG hat drei äusserst renommierte ETH-Professoren um ihre Einschätzung gebeten. Prof. Dr. Kay W. Axhausen vom Institut für Verkehrs­ planung und Transportsysteme widmet sich in ­seinem Artikel der Frage, wer im Zeitalter selbst­ fahrender Fahrzeuge wohl die Nase vorne haben wird. Prof. Dr. Christopher Onder vom Institut für Dynamische Systeme und Regelungstechnik erklärt, welche Antriebstechnologien aus seiner Sicht Zukunfts­chancen haben. Und Prof. Dr. Konstantinos Boulouchos vom Institut für Energietechnik und ­Leiter des SCCER Mobility gibt Antworten auf die Frage, wie eine klimafreundliche Mobilität Wirklichkeit ­werden kann.


Wer dominiert im ­Zeit­alter selbstfahrender Fahrzeuge: Privatfahrzeuge oder Taxiflotten? Prof. Dr. Kay W. Axhausen

besitzer ihre Fahrzeuge ausgetauscht haben werden,

Institut für Verkehrsplanung und Transport­

respektive wie schnell die Hersteller in der Lage

systeme, ETH Zürich

sein werden, die Nachfrage zu befriedigen. Es ist davon auszugehen, dass dieser Prozess

Der Zeitpunkt, an dem Fahrzeuge in der Lage sein

­Jahrzehnte dauern wird.

werden, sich selbst zu steuern, scheint mit immer höherer Geschwindigkeit näherzukommen. Über-

Tatsächlich ist es gut, dass der Beginn des Zeitalters

wältigend lang ist allein schon die Liste der Inves­

der automatischen Fahrzeuge noch in der Zukunft

toren, Ingenieure, Informatiker und Firmen, die

liegt. Dies gibt uns als Gesellschaft Zeit, uns darüber

im Moment die Technologien für automatische Fahr-

klar zu werden, wie diese Welt der automatischen

zeuge entwickeln.

Fahrzeuge überhaupt aussehen soll. Wir haben so die Chance, die Rolle der Fahrzeuge neu zu denken.

Doch ganz so schnell, wie es vor allem Medien­

Wir können definieren, wie der Verkehr der Zukunft

berichte vermuten lassen, werden weder automati-

aussehen und wie er sich vor allem auf unsere

sche noch gar autonome Fahrzeuge über unsere

­Städte auswirken soll.

Strassen rollen. Automatisch, auch automatisiert genannt, steht dabei für Fahrzeuge, die viele Prozes-

Die Folgen der Massenmotorisierung

se ohne menschliches Zutun ausführen. Autonom

Bislang sind wir eher ungeplant in eine motorisierte

geht noch einen Schritt weiter. Hier trifft das Fahr-

Welt hineingerutscht. Als in den Fünfzigerjahren

zeug sogar eigenständige Fahrentscheidungen.

die Massenmotorisierung begann und wir uns auf den Weg zur «autogerechten Stadt» machten,

Obwohl die Technologie zügig voranschreitet, sind

waren weder den Verkehrsplanern noch der

Forschung und Entwicklung längst noch nicht so

­Gesellschaft die Folgen bewusst. Es war den Ent-

weit, dass Fahrzeuge in jeder Situation sicher selbst-

scheidungsträgern damals nicht klar, dass der

ständig reagieren können. Darüber hinaus sind viele

­wachsende Wohlstand es praktisch der gesamten

gesetzliche und ethische Fragen nicht geklärt. So

Bevölkerung erlauben würde, sich den «Luxus»

ist zum Beispiel unklar, was passieren würde, wenn

­eines privaten Fahrzeugs zu leisten – eines Verkehrs­

sich das Fahrzeug zwischen dem Schutz der Insas-

mittels, das in der Regel bequemer, schneller,

sen des Fahrzeugs und einem Unfallopfer auf der

und in der Fahrerwahrnehmung billiger ist als alle

Strasse entscheiden müsste. Offen bleibt auch die

seine Konkurrenten.

Frage, wie lange es dauern wird, bis alle Fahrzeug-

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Auch erwartete niemand, dass die Massenmotori­

All diese Zusammenhänge und Mechanismen ver-

sierung genau diese Vorteile des privaten Fahrzeugs

stehen wir inzwischen viel besser. Wir können daher

schon bald wieder im gemeinsam erzeugten Stau

unsere über Jahrzehnte gesammelten Erfahrungen

zunichtemachen würde. Zumal die Gesellschaft

nutzen, die passenden Rahmenbedingungen für

eben doch nicht bereit ist, überall Strassen für die

die Verkehrsmärkte der Zukunft zu schaffen. Damit

gewünschten Geschwindigkeiten zu bauen oder

wir künftig eben nicht mehr, so wie es heute zum

weitere Flächen für Parkplätze vorzuhalten. Park-

Beispiel in Städten wie Zürich oder Basel passiert,

plätze, die zudem über das Jahr betrachtet vielfach

rückwirkend versuchen müssen, die «autogerechte

spektakulär unterausgelastet sind, da sie zum

Stadt» wieder ungeschehen zu machen.

­Beispiel in Einkaufszentren oft für das Weihnachtsgeschäft gebaut werden.

Vorteile automatischer Fahrzeuge Doch was genau können wir von automatischen

Ganz zu schweigen von den Auswirkungen des

Fahrzeugen erwarten? Welche Vorteile bieten sie?

­Verkehrs auf die Klimaerwärmung, von denen

Grundsätzlich sollten automatische Fahrzeuge

in den Fünfzigerjahren niemand etwas ahnte. ­

­sicherer sein als von Menschenhand gesteuerte

Heute verbrauchen Transport und Verkehr weltweit

und die vorhandenen Kapazitäten besser nutzen

30 Prozent der Primärenergie und tragen mit einem

können. Auch legen unsere Forschungen am

vergleichbar hohen Prozentsatz ganz w ­ esentlich

­Lehrstuhl für Verkehrsplanung sowie Schätzungen

zu den CO2 -Emissionen bei. In der Schweiz sind

anderer nahe, dass sie die Kosten pro Passagier­

­Autos allein für etwa 20 Prozent der Emissionen

kilometer deutlich senken werden, für Taxis sogar

­verantwortlich.

dramatisch verringern könnten.

«Wir können definieren, wie der Verkehr der Zukunft aussehen und wie er sich vor allem auf unsere Städte auswirken soll.» Prof. Dr. Kay W. Axhausen Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme ETH Zürich




Schon heute zeigt der Markterfolg von Uber und

­werden, dass Kundenanfragen kurzfristig gebün-

­Lyft, dass günstige und bequem diskriminierungsfrei

delt werden und die Kunden dann nach kurzer

nutzbare Taxis grossen Zuspruch finden. Beide

­Wartezeit gemeinsam von einer virtuellen Halte­

­F irmen hoffen, durch den Einsatz automatischer

stelle in ihrer Nähe zu ­einer virtuellen Haltestelle

Fahrzeuge diesen Erfolg multiplizieren zu können.

­nahe ihrem Ziel gebracht werden. Hierbei stellt

Diese neuen «transport network companies»,

sich die Frage, wie häufig ­derselbe Fahrtwunsch

kurz TNC, sind dabei nicht die Einzigen, die automa-

auftreten muss, bis es sich lohnen wird, anstelle

tische Taxiflotten planen. Weltweit testen auch

des Kleinbusses eine reguläre Buslinie einzurichten.

­traditionelle Taxianbieter und Automobilhersteller

Oder auch wie gut, bequem und verlässlich die

verschiedene Angebote, um herauszufinden,

­nachfrageabhängigen Busse sein müssen, um Linien­

welche Verkehrsdienstleistungen künftig am Markt

busse ersetzen zu können.

Erfolg haben werden. Mehr Komfort führt zu mehr Verkehr Fahrten teilen für weniger Staus

Offen ist bislang, ob automatische Fahrzeuge die

Bislang bringen die TNC keine Verbesserung oder

Verkehrsmärkte entlasten oder zu noch mehr

gar Entlastung der Verkehrsmärkte. Im Gegenteil:

­Verkehr und Staus führen werden. Grundsätzlich

Sie verlängern nur die bestehenden Staus. Damit

könnten automatische Fahrzeuge bzw. Fahrdienste

nicht immer mehr Fahrzeuge die Strassen verstop-

durch automatische Taxiflotten und Busse zu einer

fen, setzen die TNC daher zum Beispiel in Städten

sinkenden Zahl an Privatautos führen. Die Erfahrung

wie San Francisco oder New York (Manhattan) auf

zeigt, dass manche Personen und Haushalte auf

sogenanntes «taxi pooling». Das heisst, sie nehmen

­einen Privatwagen (PW) verzichten, wenn das An-

auf einer Fahrt weitere Fahrgäste mit, um so den

gebot an (öffentlichen) Verkehrsdienstleistungen

Besetzungsgrad zu erhöhen. Dies reduziert die

gut genug ist. Ein Beleg dafür ist zum ­Beispiel die

­Anzahl an Fahrzeugen, die auf der Strasse unterwegs

im Vergleich zur Gesamtschweiz deutlich niedrigere

sind. Die Fahrgäste profitieren wiederum von güns­

Zahl von PW pro 1000 Einwohner in Städten wie

tigeren Preisen, da sich mehrere Fahrgäste ein Taxi

­Basel oder Zürich.

teilen. Die Nachteile sind die zusätzlichen Stopps ­sowie mögliche Umwege, damit alle Fahrgäste ihr

Es ist aber unklar, wie gross dieser Effekt sein wird,

Fahrziel erreichen. Dies macht es zudem schwieri-

wenn automatische Taxiflotten und nachfrage­

ger, die Fahrtdauer vorherzusagen. Selbst wenn

abhängige Busse die Situation für die Autolosigkeit

Obergrenzen für die Umwege und deren maximale

weiter verbessern. Wird der Verzicht auf das private

Dauer festgelegt werden, wird die Verlässlichkeit

Auto nicht vielleicht zu ebenso vielen, wenn nicht

des Angebots damit zwangsläufig sinken. Auch

sogar mehr Fahrten mit automatischen Fahrzeugen

nimmt die Qualität der Fahrt weiter ab, wenn die

führen? Die Forschung zeigt nämlich, dass Verkehrs­

Fahrgäste nicht mehr an der Tür abgeholt werden,

teilnehmende mehr reisen, wenn ihre Verkehrs­

sondern an einer nahegelegenen, gewissermassen

mittel billiger, schneller oder bequemer werden. Die

virtuellen Haltestelle.

automatischen Fahrzeuge sollten denselben Effekt haben. Zusammen mit den Leerkilometern zwischen

Ein weiteres Einsatzgebiet, das aktuell für auto­

den Abholungen der Kunden, neuen Nutzergruppen,

matische Fahrzeuge diskutiert wird, ist «mobility

die bisher nicht PW fahren können/dürfen – darunter

on ­demand» mit Kleinbussen. Hier ist der Unter-

zum Beispiel Kinder, die zur Schule oder zu Freunden

schied zum klassischen Linienbus mit festem Fahr-

gefahren werden –, sollte dieser Neuverkehr die

plan und fixen Haltestellen nur noch graduell.

­vorhergesagten Kapazitätsgewinne durch die Auto-

Die Idee für ­diese Kleinbusse soll so umgesetzt

matisierung wieder zunichtemachen.

152


153

Transportunternehmen wie Uber und Lyft erhoffen sich, ihren ­E rfolg durch den Einsatz automatischer Fahrzeuge vervielfachen zu können.

Umsetzung in der Schweiz

Verhältnis fällt bei unseren Schätzungen für die

Wie genau der Verkehrsmarkt der Zukunft in der

­heutigen schweizerischen Mittelwerte etwa 1:3 zu-

Schweiz aussehen wird und wie automatische Taxi­

gunsten der privaten Fahrzeuge aus.

flotten integriert werden können, hängt vor allem davon ab, welche Entscheidungen Gemeinden und

Verkehrssteuerung durch Gebühren

Kantone treffen, um die Herausforderungen der

Verdrängen immer mehr Elektroautos die Fahrzeuge

­automatischen Fahrzeuge zu lösen. Wie sollen sie

mit Verbrennungsmotor, müssen auch neue Wege

die Infrastruktur für all diese elektrischen Fahrzeuge

zur Finanzierung der Infrastruktur gefunden werden.

zur Verfügung stellen? Wie mit den zu erwartenden

Um den Wegfall der Benzinsteuer aufzufangen,

Staus umgehen? Oder wie können sie sicherstellen,

sind für die Gemeinden (oder Staaten) kilometer­

dass alle Bewohner am gesellschaftlichen Leben

abhän­gige Strassengebühren die offensichtliche

teilnehmen können?

­Lösung. Dies liesse sich am einfachsten mit jährlichen ­Rechnungen nach Ablesen des Kilometerzählers

Für die automatischen Taxiflotten stellen sich dabei

umsetzen. Allerdings ist unklar, wie man mit Fahr-

speziell die Fragen, ob sie a) ihre Fahrgäste dazu

ten ins Ausland umgehen soll und wie sich diese

bringen können, das Fahrzeug zu teilen, und b) mit

nachweisen lassen.

welcher Art von Angebot sie tatsächlich günstiger sein können als ein automatisches Fahrzeug im

Eine GPS-gestützte Erfassung der Kilometer wäre

­Privatbesitz. Die zweite Herausforderung ist sehr

eine deutlich zuverlässigere Methode. Diese Lösung

gross. Die Fahrgäste werden nämlich voraussichtlich

dürfte aber politisch schwer durchsetzbar sein,

wie bisher nur die variablen Kosten wie Treibstoff,

da es einer Überwachung des Fahrverhaltens und

Reifen und Wertminderung ihres Privatfahrzeugs

der Fahrziele der Passagiere gleichkäme. Dennoch

mit den Preisen (vollen Kosten; darunter auch

bietet eine Lösung mit GPS mit Blick auf die Verkehrs­

­Abschreibung, Steuern, Versicherung oder Fahrzeug­

planung die meisten Vorteile. Sie würde ermögli-

pflege) des kommerziellen Taxis vergleichen. Das

chen, räumlich und zeitlich differenzierte Gebühren


zu erheben. So liessen sich auch regelmässige lokale

­politische Massnahmen wie Innenstadtmauten und

Überlastungen steuern. Ohne eine stärkere Steue-

dynamische Parkplatzpreise, haben sie eine Markt-

rung des Verkehrs je nach Fahrtaufkommen ist

chance. Am Stadtrand und in den Agglomerationen

­davon auszugehen, dass es entweder zu einer wei-

werden ihre Kosten/Preise zu hoch sein, um sich

teren Reduktion der Geschwindigkeit oder zu mehr

durchsetzen zu können – vor allem solange die

Strassenbau, Einfahrtsgebühren bis hin zu einer

­Gehälter den Haushalten den PW-Besitz problemlos

­R ationierung der Strassennutzung kommen wird.

ermöglichen.

Automatische Taxis für Innenstädte

Offene Fragen bleiben

Für die Betreiber von Taxiflotten wären solche Kilo-

Die Veränderungen durch automatisierte Fahrzeuge,

metergebühren allerdings keine Hilfe. Vorteilhafter

aber auch unsere Reaktion auf den Klimawandel

­wären für sie Einfahrtsgebühren für Innenstädte,

werden den Verkehrsmarkt tiefgreifend beein-

da sich die Taxis innerhalb des Innenbereichs der

flussen. Man kann erwarten, dass automatische

Maut bewegen könnten. Auch Parkgebühren in

­Taxiflotten eine realistische Marktchance in den

­Innenstädten würden sich für sie ähnlich positiv aus-

­europäischen Kernstädten haben werden. Sie

wirken, da die Taxis weniger oder gar nicht von

­werden aber den privaten PW-Besitz nicht ersetzen.

­ihnen betroffen sein würden. Solche Gebühren

Zugleich wird der Wunsch der Gesellschaft nach

­zusammen mit einer räumlich konzentrierten hohen

­Mobilitätslösungen mit angemessen hohen Ge-

Nutzung sollten den Taxis ermöglichen, ihren

schwindigkeiten auch «grossen Fahrzeugen», wie

­Preisnachteil teilweise auszugleichen, da die Privat-

Bussen oder Zügen, eine Zukunft garantieren,

fahrzeuge sowohl die Einfahrtsgebühr als auch

um Pendler und Besucher platzsparend in die Innen-

die Parkgebühren bezahlen müssten. Der niedrigere

städte oder zu Grossanlässen zu bringen.

PW-Besitz in den meist sehr dichten Innenstadt­ bereichen regt die Taxinutzung weiter an.

Offen ist, wie genau die Feinverteilung der «ersten und letzten Meile» passieren soll. In jedem Fall

Ein weiterer Weg, kostengünstige Taxiflotten zu er-

sind kleinere automatische Fahrzeuge, zum Beispiel

möglichen, wäre ihre Subvention mit Steuermitteln.

­Taxiflotten, hier im Vorteil. Um allen Bewohnern

In der Tradition der heutigen Verkehrsbetriebe

­einer Stadt bzw. einer Region die ­Teilhabe am gesell-

könnten Städte solche Flotten selbst betreiben und

schaftlichen Leben zu ermöglichen, sind Städte und

finanzieren. Einheitspreise im Stadtgebiet, wie sie

Gemeinden gefragt, den ­Verkehr und den Zugang

in vielen europäischen Städten üblich sind, machen

zu den Verkehrsmitteln durch Gebühren und Sub-

allerdings die Abdeckung der Gesamtstadt teuer,

ventionen zu steuern. Noch ist unklar, wie dies am

da der Preis auch die Fahrten in die weniger dicht

besten in einer Welt mit a ­ utomatischen sowie auto-

besiedelten Teile der Stadt quersubventionieren

nomen Fahrzeugen umgesetzt werden soll.

müsste. Der Fahrtpreis für die gesamte Stadt würde vor allem deshalb teurer, da a) stets Fahrzeuge auch in der Nähe von relativ wenigen Kunden am Stadtrand vorgehalten werden müssten, um angemessen kurze Wartezeiten zu garantieren, und da b) die Leerkilometer entsprechend wachsen würden. Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass auto­ matische Taxiflotten nicht in der Lage sein werden, ­private automatische Fahrzeuge vollständig zu ­verdrängen. In Kernstädten, unterstützt durch

154



Antriebssysteme der Zukunft

Prof. Dr. Christopher Onder

universell einsetzbar, wird aber in der Regel weit

Institut für Dynamische Systeme und

entfernt von seinem Effizienzoptimum betrieben.

­Regelungstechnik, ETH Zürich

Hier hilft die Hybridisierung. Der Vorteil von hybriden Antriebssystemen besteht nämlich darin, dass

Die Zeit reiner Verbrennungsmotoren ist vorbei. In

die Antriebe des Systems sich gegenseitig ergänzen

Zukunft wird nicht nur die Zahl der Elektroautos

und damit die jeweiligen Nachteile des anderen

­zunehmen, sondern es werden Fahrzeuge mit einer

kompensieren können. Beim Fahren kann man also

grossen Vielfalt an Antriebssystemen anzutreffen

immer jeweils den Antrieb nutzen, der am besten

sein. Kombinationen von Verbrennungs- und Elektro­

für die jeweilige Situation geeignet ist. Das führt zu

motoren sowie unterschiedliche Energiespeicher

einer Effizienzsteigerung sowohl im Verbrauch als

stehen dabei im Vordergrund. Das heisst, Fahrzeuge

auch bei den Nutzungsmöglichkeiten des Fahrzeugs.

werden vor allem mindestens zwei Technologien

Dies kann man schon bei den heute verbreiteten

zur Energieumwandlung für den Antrieb und/oder

­Hybridfahrzeugen beobachten. Je nach Batterie­

die Speicherung miteinander vereinen.

grösse können sich diese im innerstädtischen

Dies kennen wir bereits von klassischen Hybridfahr-

gen Überlandstrecken der Benzinmotor zum Einsatz

zeugen. Bislang sind vor allem Autos mit einem

kommt. Auch der Verbrennungsmotor kann viel

­benzinbetriebenen Verbrennungsmotor und einem

­effizienter genutzt werden, durch Betriebspunkt­

Elektromotor unterwegs. Doch die Vielfalt an An-

optimierung und Zwischenspeicherung überschüssi-

triebskombinationen wird zunehmen. Diesel-Elektro,

ger mechanischer Energie in den Batterien.

­Verkehr elektrisch fortbewegen, während auf lan-

Gas-Elektro oder Elektro mit mehreren Energie­ versorgungen (z. B. Brennstoffzelle + Batterie, Ober-

Ein elektrischer Antrieb in Kombination mit einem

leitung + Batterie) – all dies wird in Zukunft auf

Verbrennungsmotor ist sinnvoll und effizient. Die

­unseren Strassen zu finden sein. Bei den Verbren-

Energiedichte bei Benzin oder Diesel ist wesentlich

nungsmotoren-Elektro-Kombinationen werden

höher als bei Batterien, weshalb verhältnismässig

­zudem unterschiedlich starke Elektrifizierungen zur

wenig Treibstoff für weite Strecken mit hohen Ge-

Anwendung kommen. Auch sind ausgefallenere

schwindigkeiten reicht. Wollte man dieselbe Strecke

Kombinationen wie Verbrennungs- und Gasdruck­

im selben Tempo elektrisch fahren, müssten die Bat-

antrieb denkbar.

terien beim heutigen Entwicklungsstand der Technik noch deutlich grösser und schwerer werden. Das

Weshalb kommen wir zu dieser Prognose? Der klas-

steigende Gewicht der Fahrzeuge würde wiederum

sische Antrieb mit Verbrennungsmotor ist zwar sehr

den Verbrauch erhöhen, und auch die Ladezeiten

156



würden durch die grössere Batterie länger werden.

troautos eine Solaranlage auf sein Dach bauen

Zwar wird intensiv an Batterien geforscht, zurzeit

oder die Schweiz weiteren Strom aus dem Ausland

stehen aber eher Kostenvorteile und die Verlänge-

hinzukaufen müsste – notfalls auch solchen

rung der Lebensdauer im Fokus.

von Kohlekraftwerken in Deutschland oder Polen.

Grenzen der Elektromobilität

Damit würde ein Argument für die Elektromobilität –

Die Ladezeiten, das Batteriegewicht und vor allem

nämlich der Klimaschutz – ins Leere laufen, umso

die nicht ausreichend ausgebaute Ladeinfrastruk-

mehr als davon auszugehen ist, dass die Motorisie-

tur – bestehend aus den Ladegeräten und dem elek-

rung in so bevölkerungsreichen Ländern wie China

trischen Netz – sind aus unserer Sicht neben den

oder Indien weiter zunehmen wird. Ohne einen

­zumindest im Moment noch verhältnismässig hohen

­massiven Ausbau von erneuerbaren Energiequellen

Anschaffungskosten die wichtigsten Hemmnisse

besteht die Gefahr, dass die Elektromobilität in

für einen flächendeckenden Erfolg der reinen Elektro­

­dieser Region nicht zur Reduktion der CO2 -Emissionen

mobilität. Und dies nicht allein heute, sondern

beitragen, sondern sie sogar erhöhen wird. Zumal

auch in Zukunft. Selbst wenn sich die Ladezeiten

auch die Produktion der Batterien zum heutigen

weiter verkürzen lassen – schon jetzt gibt es ja

Stand sehr energieintensiv ist und vielfach Kohle-

Schnell­ladestellen –, so stellt die Infrastruktur auch

und Atomstrom bei der Herstellung zum Einsatz

langfristig ein grosses Problem dar.

kommen.

Viele Länder verfügen schlicht weder über ein aus-

Wichtig ist an dieser Stelle, dass Elektrifizierung

reichend stabiles Stromnetz noch über eine aus­

nicht mit Dekarbonisierung gleichgesetzt werden

reichende Energiemenge, um neben der Industrie

kann. Zur Dekarbonisierung benötigen wir aus-

und den Gebäuden eine grosse Flotte an Elektro-

schliesslich Energie aus erneuerbaren Ressourcen.

fahrzeugen mit Strom zu versorgen. Bereits Nach-

Jedoch können aus erneuerbaren Ressourcen auch

barländer wie Italien wären dem Ansturm von

andere Energieträger als Strom, zum Beispiel Biogas

­grossen Flotten an Elektroautos kaum gewachsen.

oder synthetischer Diesel, hergestellt werden. Je

Ausserhalb von Europa wird es noch problematischer.

nach Anwendung sind solche Treibstoffe sinn­voller als elektrische Energie. Auch können sie bei der

Erneuerbare Energie für Mobilität

­Dekarbonisierung gewisser Verkehrsbereiche, wie

Der Betrieb von Elektrofahrzeugen ergibt mit Blick

des Flugverkehrs, helfen.

auf die CO2 -Emissionen eigentlich nur dann Sinn, wenn sie ihren Strom aus erneuerbaren Energiequel-

Aussichtsreiche Übergangstechnologie: Erdgas

len, wie Wasser, Sonne oder Wind, oder von wenig

Zukunftsfähiger mit Blick auf die Umsetzbarkeit

CO2 emittierenden Kraftwerken beziehen. Selbst

und die sofortige Wirkung für den Klimaschutz sind

hier in der Schweiz, in der wir durch den grossen

nach unserer Einschätzung Hybridfahrzeuge mit

Wasserreichtum rund 60 Prozent unseres Energie-

Elektro-Erdgas-Antrieb. Zwar sind erdgasbetriebene

verbrauchs mit Wasserkraft decken können,

Fahrzeuge nicht emissionsfrei, doch ist ihr CO2 -­

reicht der Strom aus erneuerbaren Quellen nicht aus,

Ausstoss um ein Viertel geringer als bei Benzinern

um den gesamten Energiebedarf zu decken.

oder bei Diesel. Zudem kann man unter Verwendung der gleichen Motoren anstelle von Erdgas re-

Ein Umstieg von Fahrzeugen mit Verbrennungs­

generativ erzeugtes Methan (synthetisches Erdgas)

motoren auf eine reine Flotte von E-Autos würde

verwenden. Methan lässt sich mit überschüssigem

bedeuten, dass entweder jeder Besitzer eines Elek­

Strom aus Solar-, Wind- oder Wasserkraftwerken

158


159

herstellen. Diese Technologie, Power-to-Gas, braucht

Erdgas im Tank sollte mit Blick auf die CO2 -Emissio-

dabei anders als die Elektromobilität keine neue

nen zwar nicht die endgültige Lösung sein. Doch

­Infrastruktur, sondern kann das bestehende Erdgas-

es ist die sinnvollste Technologie im Übergang zur

netz nutzen. Obwohl Erdgas als Gas nicht über die

CO2 -freien Stromproduktion.

hohe Energiedichte von Diesel oder Benzin verfügt, können mit Drucktanks Reichweiten erzielt werden,

Vielfältige Mobilitätslösungen haben Zukunft

die nahe an denjenigen liegen, die Benzinfahrzeuge

Mit Blick auf die Zukunft gehen wir davon aus, dass

erzielen.

es eine immer grössere Vielfalt an Antriebssystemen und Mobilitätslösungen geben wird. Während in

Erdgas stellt auch in anderen Regionen der Erde ­eine

den Innenstädten rein elektrisch angetriebene Fahr-

aussichtsreiche und relativ leicht umzusetzende

zeuge vom Auto über E-Bike und E-Roller bis zum

­Alternative zu Benzin oder Diesel dar. Ein Grossteil

Bus (siehe Beispiel «Swiss Trolley plus», Seite 160)

der Länder weltweit verfügt über Erdgas und/oder

zum Einsatz kommen können, sind Hybridfahrzeuge

eine entsprechende Infrastruktur mit Gasleitungen.

für Pendler und Familien, die zum Beispiel ihre Ferien

Zwar müsste diese zur Versorgung der Fahrzeuge

im Ausland verbringen, im Moment noch besser

um ein Tankstellennetz erweitert werden, doch

­geeignet. Klimafreundliche Alternativen können hier

liesse sich dies vielerorts deutlich schneller und kos-

ein weiterer Ausbau des Bahnverkehrs sowie der

tengünstiger realisieren als der Aufbau einer Lade­

Aufbau von elektrisch betriebenen, eventuell sogar

infrastruktur für die Elektromobilität.

autonomen Busflotten sein. Die Schweiz mit

«Mit Blick auf die Zukunft gehen wir davon aus, dass es eine immer grössere Vielfalt an Antriebssystemen und Mobilitäts­lösungen geben wird.» Prof. Dr. Christopher Onder Institut für Dynamische Systeme und Regelungstechnik ETH Zürich


­ihrer guten Bahninfrastruktur und neuen Mobilitätsangeboten der SBB, die Bahntickets mit E-Auto, ­C ar­sharing und E-Bike-Nutzung kombinieren, nimmt hier bereits eine Vorreiterrolle ein, die sie weiter ­ausbauen kann. Auch wenn die Forschung neue Antriebe und Treibstoffe entwickelt und wir so den CO2 -Ausstoss ­verringen können – um die Klimaerwärmung zu stoppen, müssen wir nicht allein die Antriebssysteme verändern. Auch ein Überdenken unserer Mobilitätsund Konsumgewohnheiten ist gefragt.

Projekt «Swiss Trolley plus» Seit 2017 rollt der «Swiss Trolley plus» testweise durch Schweizer Innenstädte. Das Besondere: Der Trolleybus verfügt über ein neuartiges emissionsfreies Antriebs­ system, das aus einem Elektromotor und einer Hochleistungs-Traktionsbatterie besteht, die über die konven­ tionelle Oberleitung aufgeladen werden kann. Die Traktionsbatterie erlaubt Fahrten ohne Fahrleitung und kann durch regeneratives Bremsen bei jedem Brems­ vorgang zusätzlich Energie zurückgewinnen. Dies senkt den Gesamtenergieverbrauch um 15 Prozent. Damit der Trolleybus möglichst energieeffizient fahren kann, verfügt er zudem über ausgeklügelte Steuerund Regelalgorithmen, die am Institut für Dynamische Systeme und Regelungstechnik der ETH Zürich entwickelt wurden. Die Steuerung ist selbstlernend. Sie kann, nachdem der Trolleybus eine Strecke mehrfach gefahren ist, den Batterieladestand so steuern, dass die Batterie auch Strecken ohne Oberleitung überbrücken kann. Die Einsatzmöglichkeiten für den «Swiss Trolley plus» sind dadurch flexibler als bei herkömmlichen Trolleybussen, und er kann neue Haltepunkte ausserhalb des Oberleitungsnetzes anfahren. Auch senkt dies die Kosten für die Installation und Wartung der Infrastruktur. Zudem steuert der Bus seine Energieentnahme aus den Oberleitungen so, dass dies nahe an den Einspeisepunkten passiert. Dadurch geht weniger Energie verloren, als wenn der Strom erst weite Strecken durch die Leitungen zurücklegen muss. Der «Swiss Trolley plus» ist ein vom Bundesamt für Energie unterstütztes Leuchtturmprojekt zur Realisierung eines reinen Elektromobilitätsfahrzeugs aus Schweizer Produktion. Die ETH Zürich zählt zu den Forschungspartnern des Projekts.

160

«Swiss Trolley plus» im Einsatz bei den Zürcher Verkehrs­ betrieben in der Stadt Zürich



Die klimafreundliche ­Mobilität der Zukunft

Prof. Dr. Konstantinos Boulouchos

Der weltweite Handel aufgrund der Globa­

Institut für Energietechnik der ETH Zürich

lisierung ist nur über Mobilität möglich. Und

und Leiter des SCCER Mobility

schliesslich gibt es den Tourismus. Allein in ­Südeuropa wurden 2019 100 Millionen Touristen

Seit etwa 30 Jahren forscht ETH-Professor

erwartet.

­Kon­stantinos Boulouchos an der ETH Zürich zu ­umweltfreundlichen Verbrennungsprozessen.

Das alles sind handfeste wirtschaftliche Gründe

­Neben der Entwicklung neuer technischer

dafür, dass Mobilität notwendig ist. Und

­Lösungen hat er sich in den vergangenen Jahren

wir können daher davon ausgehen, dass der

vermehrt mit Modellen zur Optimierung

Personen- und Güterverkehr in keinem Fall

von Energie­systemen auseinandergesetzt. Unter

verschwinden, sondern eher zu- als abnehmen

anderem berät er auch die Schweizer Politik

wird.

zu Fragen der Energie- und Verkehrsstrategie. Gleichzeitig wissen wir aus der Klimaforschung, Eines ist klar: Wir müssen den CO2-Ausstoss

dass wir den CO2-Ausstoss dringend reduzieren

­reduzieren, um den Klimawandel zu stoppen.

müssen. Uns bleiben 30, vielleicht 40 Jahre Zeit,

Doch wie können wir klimafreundliche Energie

um den CO2-Ausstoss auf null zu senken. Um

für Transport und Verkehr künftig zur Verfü-

dieses Ziel zu erreichen, gibt es drei Ansatz­

gung stellen?

punkte: Erstens gilt es, den Zuwachs an Mobilität

Konstantinos Boulouchos: Bevor ich diese Frage

einzudämmen, ohne der Wirtschaft zu schaden.

beantworte, müssen wir einen Schritt zurück­

Zweitens müssen wir die Mobilität effizienter

gehen und uns die Ausgangslage ansehen. Die

gestalten, um Ressourcen zu schonen. Und

Frage ist doch, wozu wir Mobilität überhaupt

­d rittens steht der Umstieg auf die erneuerbaren

brauchen.

Energieträger an.

Aus meiner Sicht gibt es verschiedene Aspekte.

Können erneuerbare Energien denn ausreichend

Da ist zum einen der Personenverkehr. Wir

und zuverlässig genug Energie bereitstellen?

­fahren von einem Ort zum anderen, um andere

Bei der Umstellung unserer Mobilität von

Menschen zu treffen, privat und beruflich –

­fossilen Brennstoffen auf erneuerbare ist die

zum Beispiel heute zu diesem Interview. Zum

Reihenfolge entscheidend. Wir können nicht

anderen gibt es den weltweiten Güterverkehr.

erst auf Elektrofahrzeuge umstellen und

162


163

uns dann fragen, woher wir die Energie dafür

­denke ich, dass Wasserstoff hier eine mögliche

nehmen. Hier ist eine strategische Herangehens­

Lösung ist. Die Luftfahrt und die Schifffahrt

weise wichtig. Zumal wir Mobilität nicht

wiederum werden voraussichtlich in Zukunft

­los­gelöst von anderen Energieverbrauchern be­

Kerosin und Diesel aus erneuerbaren Quellen

trachten dürfen. Mobilität konkurriert mit

nutzen.

der Industrie und der Versorgung der Gebäude um Energie. Industrie und Gebäude ­müssen

Was wir bei alldem nicht vergessen dürfen, ist

­genau wie die Fahrzeuge gewissermassen

der Aspekt, dass die Bereitstellung von Strom

­«entfossilisiert» werden, was den Wettbewerb

für Autos und die Herstellung neuer Treibstoffe

um erneuerbare elektrische Energie in der

deutlich mehr Energie benötigen als bisher

­Zukunft verschärfen wird.

der Import der fossilen Brennstoffe. Wir stehen damit vor der grossen Herausforderung, sehr

Bei der Mobilität geht es vor allem darum zu

viel mehr Elektrizität für eine CO2-freie Mobili­

überlegen, welcher Treibstoff für welchen Ver­

tät sowie die Industrie und unsere Gebäude

kehrssektor am besten geeignet ist. Aus meiner

zu benötigen als je zuvor.

Sicht wird es verschiedene Lösungen neben­ einander geben. So werden Autos künftig mit

Ich bin daher davon überzeugt, dass ein ein­

Strom angetrieben werden. Für mittlere Distan­

zelnes Land dies nicht allein lösen kann. Vor

zen, wie sie für den Transport von Gütern auf

­allem deshalb nicht, weil erneuerbare Energien

der Strasse notwendig sind, ist aber die Energie­

nicht gleichmässig viel Strom liefern, sondern

dichte von Batterien ungenügend. Deshalb

die verfügbare Energie je nach Tages- und

«Es gilt, Mobilität nicht allein als Bürde zu sehen, sondern zu erkennen, dass es gute Gründe für Mobilität gibt. Mobilität ist Teil unseres Lebens.» Prof. Dr. Konstantinos Boulouchos Institut für Energietechnik der ETH Zürich und Leiter des SCCER Mobility


Jahres­zeit schwankt. Wir brauchen daher für

Die Herangehensweise damals war allerdings

die Schweiz, ja für ganz Europa, eine Strategie

eine ganz andere als das, was jetzt angedacht

dafür, woher wir langfristig ausreichend erneu­

ist. Damals sollte der Strom via Kabel nach

erbare Energie für unseren steigenden Bedarf

­Europa transportiert werden. Nicht nur wären

bekommen.

sehr grosse Stromtransportkapazitäten ­notwendig, um auch für die Stromspitzen bei

Wie kann eine solche Lösung aussehen?

­Mittagssonne ausgelegt zu sein, sondern diese

Für die Schweiz und Europa kommen vor allem

Lösung hätte auch die Energieschwankungen

zwei Energiequellen infrage: Solar- und Wind­

zwischen Tag und Nacht nicht auffangen kön­

energie. Bei der Windenergie sind Offshore-­

nen. Heute werden Lösungen erarbeitet, um die

Windparks im Meer besonders vielversprechend.

Sonnenenergie chemisch zu speichern, sodass

Hier weht der Wind sehr konstant. Wir erreichen

es keine Schwankungen mehr gibt. Direkt vor

zum Beispiel auf der Nordsee bis zu 4500 Stun­

Ort bei den Solaranlagen soll die Sonnenenergie

den Volllaststunden. Inländische Windparks

in solares Gas oder Kerosin – via die Tech­nologie

kommen hingegen nur auf etwa die Hälfte.

Power-to-Gas oder Power-to-Liquid – verwan­ delt werden. Anschliessend können diese dann

Bei der Energiegewinnung aus der Sonne brau­

so wie bisher das Öl verschifft werden.

chen wir Standorte mit viel Sonne und ausrei­ chend Platz für die Anlagen. Neben Hausdächern

Können wir die Energieumstellung von fossilen

eignen sich in der Schweiz bestimmt noch eini­

auf erneuerbare Energieträger bis 2050 schaffen?

ge Flächen hoch in den Alpen, wobei man bei

Als Wissenschaftler schaue ich auf das tech­

der Installation der Anlagen natürlich auch den

nisch Machbare und sage: Ja, das ist möglich.

Landschaftsschutz beachten muss. Noch viel

Allerdings braucht es massive Investitionen in

mehr Sonnenenergie als bei uns lässt sich in Süd­

die Infrastruktur und Anreize dafür, diese

europa oder Nordafrika gewinnen. Dort gibt es

­Investitionen zu tätigen. Hier ist die Politik ge­

eine deutlich höhere Sonneneinstrahlung. So

fragt. Momentan ist zum Beispiel fossiler Brenn­

kommt man in der Schweiz auf 1000 Stunden

stoff wie Benzin mit Blick auf den CO2-Ausstoss

Volllast, in Südeuropa auf das Doppelte. Einzig

und den Klimaschaden noch viel zu günstig.

mit Blick auf Nordafrika müssen wir natürlich

Das bremst Investitionen in neue Lösungen.

sehr darauf achten, dass wir den Ländern ­Entwicklungschancen geben und es nicht in

Welche Alternativen zu den Erneuerbaren gibt

­eine Art Energiekolonialismus ausartet.

es? Ist CO2-Speicherung eine gangbare Lösung?

Gab es nicht längst die Idee, in der Sahara

Übergangslösung dar. Da wir es wahrscheinlich

eine Solaranlage zu bauen, die dann fallen­

nicht schaffen werden, schnell genug eine

gelassen wurde?

Infra­struktur mit Erneuerbaren aufzubauen,

Ja, das Projekt Desertec, das Ende der 2000er-­

die den gesamten Energiebedarf – nicht nur

Jahre geplant, aber nicht umgesetzt wurde.

für die M ­ obilität, sondern auch für alle anderen

Die Speicherung von CO2 stellt für mich eine

164


165

Bereiche – deckt, werden wir eine Zwischen­

Generell müssen wir jedoch aufpassen, dass

lösung finden müssen.

Übergangslösungen nicht zum Dauerzustand ­werden, sondern wir weiter daran arbeiten, die

Momentan ist die Technologie, um CO2 aus der

CO2-Emissionen zu verringern.

Luft zu filtern, noch sehr teuer. Und auch die Speicherung ist umstritten, da geeignete

Welchen Beitrag kann die Digitalisierung

Böden gefunden werden müssen. Eine weitere

­leisten? Lässt sich Verkehr so effizienter und

Schwachstelle ist, dass der Kreislauf zwischen

­damit auch energieeffizienter organisieren?

CO2-Ausstoss, Einfangen und Im-Boden-­

Die Digitalisierung wird in der Tat zur Effizienz

Speichern nicht geschlossen ist. Besser wäre es,

beitragen, sowohl auf Seiten der Nutzer der

wenn wir das CO2 nicht speichern, sondern

­Mobilität als auch der Verkehrsdienstleister. Als

für die Produktion von erneuerbarem Kerosin

Privatperson kann ich schauen, wie ich meine

oder Methan nutzen würden. Aus CO2 und

Reise am besten organisiere, welches Verkehrs­

­Wasser lässt sich mit konzentriertem Sonnen­

mittel ich nutze, um in eine andere Stadt zu

licht erneuerbares Kerosin herstellen. An der

kommen, und wie ich dort dann zu meinem

ETH Zürich wurde kürzlich dazu bereits ein

Endziel komme. Digitalisierung kann hier

Prototyp mit dem «Sun-to-Liquid»-Projekt

­multi­modale Lösungen anbieten, zum Beispiel

eingeweiht.

mit ­einer Kombination aus Bahn, geteiltem


­Taxidienst und E-Scooter. Verkehrsdienstleister

Für die langfristige Zukunft erwarte ich beson­

wie die SBB in der Schweiz wiederum können

ders im Privatverkehr eine Mobilität, die geteilt

­m ithilfe digitaler Daten ihre Flotte optimieren

ist. Es wird nicht mehr eine Person in einem

und Fahrzeugbewegungen mit möglichst

Fahrzeug sitzen, sondern wir werden uns die

­geringem Energieverbrauch und Platzbedarf

Fahrzeuge teilen. Hier müssen die Gesellschaft

planen.

und die Verkehrsdienstleister noch die passen­ den Konzepte finden, damit wir uns wohl­

Die Gefahr ist hier, dass die Effizienzgewinne

fühlen, Fahrzeuge zu teilen, und wir weiter

Mobilität günstiger machen und dass dadurch

­flexibel an unser Ziel kommen können. Die

mehr Menschen als bisher mobil sein werden.

­Digitalisierung wird hierbei helfen, wobei auch

Wenn zum Beispiel autonome Fahrzeuge auch

hier, wie bei der Frage der Energieversorgung,

das letzte Dorf optimal versorgen, fährt künftig

noch etliche Fragen zu klären sind, zum Beispiel

vielleicht auch meine Grossmutter mit, die

die der Datensicherheit. Das übergeordnete Ziel

­bisher meist daheim geblieben ist.

wird aber auch langfristig die klimakompatible Energieversorgung der Mobilität bleiben.

Wie sieht Ihre persönliche Vision einer nach haltigen Mobilität der Zukunft aus?

Vielen Dank für dieses Gespräch.

Ich bin kein Visionär, sondern Wissenschaftler und orientiere mich vor allem an Fakten. Daher ist es für mich zunächst vor allem wichtig, ­Mobilität nicht allein als Bürde zu sehen, sondern zu erkennen, dass es gute Gründe für Mobilität gibt. Mobilität ist Teil unseres Lebens.

Die Elektrifizierung des Indivi­ dualverkehrs zur Senkung der CO 2 -Emissionen setzt voraus, dass auch genügend Ökostrom verfügbar ist.

166



Die Vision der AMAG

Im Jubiläumsjahr der AMAG steht die Auto­mobilindustrie mitten im wa

­Wandels sind ­neben der Elektrifizierung der Motoren die neuen Möglich

in Zukunft führt, kann niemand mit Bestimmtheit sagen. Doch wie es d

­Vorwort dieses Buches schreibt, hat die AMAG den Anspruch, sich an d ­Mobilität erfolgreich zu ­behaupten. Und genau so lautet auch die V ­ ision

Wir wollen die Markt der nach individuellen ­M 168


169

ahrscheinlich grössten Wandel seit ihrem Bestehen. Auslöser des

hkeiten der Automatisierung und Digitalisierung. Wohin dies

der Inhaber und Verwaltungsrats­präsident der AMAG Gruppe im

der Spitze jeder möglichen Entwicklung nachhaltiger individueller des Unternehmens:

Nummer 1 im hhaltigen ­ Mobilität sein.




WIR BEW UND BEGE MENSCHE 172


173

WEGEN EISTERN EN


Impressum Herausgeber: AMAG Group AG, Group Communication, Alte Steinhauserstrasse 12, 6330 Cham. amag.ch 1. Auflage © 2020 AMAG Group AG, Group Communication, Dino Graf ISBN: 978-3-9525188-0-9 Das Werk, einschliesslich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Herausgebers und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Redaktion: Dino Graf Weitere Mitwirkende: Felix Müller, fmkomm.ch (Porträts), Ralph Hermann, heads.ch, Dr. Inken De Wit, inkendewit.ch Buchkonzept / Design: Heads Corporate Branding AG, heads.ch Marco Simonetti (Design Direction), Roman von Arx (Produktion), Natascha Almeida (Projektmanagement) Fotografie: Nicolas Bruni (nicolasbruni.com), Simon Iannelli (simonnelli.com), Gabriele Putzu (Volkswagen AG), Oliver Killig (ZKO), Renderings (Volkswagen AG), Bruno von Rotz (zwischengas.com), Markus Leser (markusleser.de), Janifest (depositphotos.com), Joyfull (depositphotos.com), Petkov (depositphotos.com), Kosta Klimenko (depositphotos.com), Flydragon (depositphotos.com), Sybille Riepe (CC BY-SA 4.0, H2 Tankstelle), Ishan (unsplash.com), Izrus (depositphotos.com) Archivmaterial: AMAG Group AG, Trisa AG Bildbearbeitung: Detail AG, detailag.ch Druck: Galledia Print AG, galledia.ch Weiterverarbeitung: Bubu AG, bubu.ch PERFOR MANCE

neutral Drucksache No. 01-19-926504 – www.myclimate.org © myclimate – The Climate Protection Partnership

174







ISBN: 978-3-9525188-0-9


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