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Jussi Puikkonen On Vacation «...Bilder voller Zauber, eine Einladung zur Meditation über die Frage, was bleibt von unserer schönen Amüsierwelt, wenn die Natur beschliesst, über ihr den Vorhang zu senken.» DIE ZEIT, 15.01.09 «On Vacation nennt der finnische Fotograf Jussi Puikkonen seinen so aussergewöhnlichen wie bezaubernden Bildband...» F.A.Z., 15.01.09 Gebunden, Schutzumschlag 104 Seiten 48 ganzseitige, vierfarbige Abb. ISBN 978-3-905509-75-5
Olivia Heussler Der Traum von Solentiname Seit 1984 ist die Zürcher Fotografin Olivia Heussler immer wieder nach Nicaragua gereist. Ihre politisch engagierte Fotografie zeigt ein Gesamtbild des Landes, auch den Contrakrieg und das Leben der Sandinisten. Viele Bilder von Olivia Heussler gehören heute zu den Ikonen der Berichterstattung über Nicaragua. Sergio Ramirez und Martin Heller haben exklusiv Texte für dieses Buch verfasst. OLIVIA HEUSSLER
DER TRAUM VON
SOLENTINAME THE DREAM OF NICARAGUA 1984–2007
SOLENTINAME
Texte in Deutsch und Englisch Gebunden 250 Seiten 220 farbige und S/W Abb. ISBN 978-3-905509-79-3
Edition Patrick Frey . www.editionpatrickfrey.ch . mail@editionpatrickfrey.ch
Das Team ewz.selection / Sascha Renner
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editorial Lieber Leserin, lieber Leser Die zweite Ausgabe unseres Magazins zur Fotografie heisst «SCOPE». Der neue Name bedeutet so viel wie «Oszillograph», «Bereich», «Kreis», aber auch «Entfaltungsmöglichkeit», «Gültigkeitsbereich» oder «Wirkungsradius». Der Name steht in bewusster Analogie zum Konzept des ewz.selection-Magazins. Jedes Jahr beauftragen wir eine andere Person des Bildschaffens mit der Redaktion und bitten sie, aus ihrem Blickwinkel und aus ihrem Tätigkeitsbereich heraus, Beiträge zur Fotografie beizusteuern. Scope soll somit über die Jahre hinweg verschiedene Kreise zeichnen, verschiedene Wirkungsradien untersuchen und verschiedene Perspektiven auf die Fotografie freilegen und ermöglichen. Scope ergänzt das Fotobuch Swiss Photo Selection, welches seit 1999 als Ausstellungskatalog die Schweizer Fotografie dokumentiert. Es erscheint ein Mal jährlich zur Fotoausstellung Swiss Photo Award von ewz.selection. Dieses Jahr zeichnet Sascha Renner, freier Publizist und Kunstkritiker des «Tages-Anzeigers», für die redaktionelle Leitung verantwortlich. Wir danken ihm herzlichst für die sehr gelungene Ausgabe. Das Team ewz.selection
Die Welt erstarrt vor dem Börsendrama wie das Kaninchen vor der Schlange. Und mit ihr der Fotomarkt – hätte nicht Anthony Suau mit dem Pressebild des Jahres 2008 eines zwangsgeräumten Hauses die Vitalität der Branche eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die Verunsicherung unter Fotografinnen und Fotografen ist gross. Unabhängige Agenturen stehen Fotomultis gegenüber, die gedruckten Medien machen Lifestyle-Beratung statt Repor tage. Digitalisierung und Globalisierung führen zur Veränderung des gesamten Produktions-, Vertriebsund Nutzungsprozesses von Fotografie. Steigende Verwertungszwänge bestimmen den Alltag von Berufsfotografen. Mehr denn je – so scheint es – müssen sie sich vom Markt diktieren lassen, was sie tun und wie sie es tun. Dass dem nicht ganz so ist, zeigen die Beiträge in diesem Heft. Neue Plattformen und Präsen tationsformen bieten überraschende neue Möglichkeiten. Ihren alten Pferdefuss wird die Fotografie allerdings nicht los: Immer schon war sie Verhandlungssache. Ein Zwitter zwischen angewandter und freier Kunst, Auftrag und Vision, populärer und Hochkultur. Die gewählte Strategie entscheidet. Welches mögliche Strategien sind, zeigen die Autoren in diesem Heft auf. MaryAnne Golon, eine der profiliertesten Fürsprecherinnen eines erstklassigen Fotojournalismus, sagt es deutlich: Keine Konfek tionsware, Mut zur persönlichen Vision. Sascha Renner
Freier Publizist, Kunstkritiker des Tages-Anzeigers
Sascha Renner freier Publizist, Kunsthistoriker, Kunstkritiker des «Tages-Anzeigers», Kunstredaktor des «züritipps» in Zürich
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«Herausragender Fotojournalismus hat Zukunft.» Das Marktumfeld für den Fotojournalismus verändert sich rasant. Erfolg wird haben, wer mit einer starken, persönlichen Bildsprache und einer klaren Vision überzeugt, meint MaryAnne Golon, ehemalige Fotochefin bei «Time Magazine» und Jurypräsidentin der World Press Photo.
Sascha Renner: MaryAnne Golon, Sie haben soeben die World Press Photo 2008 juriert. War das letzte Jahr ein gutes für den Fotojournalismus? MaryAnne Golon: Ich bin überzeugt, dass jedes Jahr stark genug ist, um bedeutende Bilder hervorzubringen. Das Welt-Pressefoto des Jahres 2008 eines zwangsgeräumten Hauses in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio unterstreicht, dass die Finanzkrise als das mit Abstand wichtigste Thema des letzten Jahres angesehen wird. Eine Finanzkrise ist denkbar schwierig zu illustrieren – zumindest in der Anfangsphase; fallende Börsenkurse sind wenig fotogen. Aber dem US-Fotografen Anthony Suau gelang es, dieses Problem in ein starkes und eindringliches Bild zu übersetzen.
lich geändert. Zeitschriften sind heute für den Qualitäts-Fotojournalismus weniger wichtig. Sie produzieren zwar nach wie vor grossartige Geschichten, für dokumentarische Langzeit projekte müssen Fotografen aber zusätzliche Mittel einwerben. Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen haben ihre Anstrengungen erhöht, um die Fotografen bei ihrer wichtigen Arbeit zu unterstützen.
Wie hat sich der Fotojournalismus verändert, seit Sie 1983 zu «Time Magazine» kamen? Damals boomte der Fotojournalismus. Die grossen Zeitschriften, vor allem die Newsmagazine, waren führend in der Finanzierung und Veröffentlichung erstklassiger Arbeiten rund um die Welt. Die Zeiten haben sich seither gründ-
Wie sollen sich Fotojournalisten rüsten, um im neuen Marktumfeld zu bestehen? Müssen sie künftig auch Multimedia-Inhalte liefern? Ja, die Bereitstellung von Audio und Video für Online-Portale wird von Fotografen zunehmend erwartet. Das macht es schwieriger, sich auf die eigentliche Fotografie und das Geschichtenerzäh-
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Foto von Walter Pfeiffer f체r den Migros Gesch채ftsbericht 2007
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Gotthard Schuh Eine Art Verliebtheit Fotostiftung Schweiz , Winterthur, 30. Mai bis 11. Oktober 2009
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len zu konzentrieren. Die Summe der Fähigkeiten, die es braucht, um am Markt erfolgreich zu sein, ist exponentiell gestiegen. Die Erwartungen an die Fotografen sind jedoch unangemessen ohne eine angepasste Honorarstruktur. Fotografen sind heute ihre eigenen Agenten, Bildredaktoren und Dunkelkammer-Techniker, daneben auch noch Videojournalisten.
einen eigenen Blick auf die Welt, eine unverkennbare Autorschaft. Mit einer klaren Vision und guter Führung werden sie überleben. Herausragender Fotojournalismus hat Zukunft, wenn die Autorinnen und Autoren bereit sind zu überdenken, wie sie ihre Arbeit finanzieren und vertreiben.
Wie stehen die Chancen für eigene Geschichten jenseits des auftragsgebundenen Terminjournalismus? Eine persönliche Hingabe war schon immer Voraussetzung für investigative Langzeitbetrachtungen. Ich habe den Fotojournalismus immer als quasi religiöse Berufung betrachtet. Um reich zu werden, wird man nicht Fotojournalist. Fotografen machen diese Arbeit, um Zeugen zu sein, um an vergessene Orte zu reisen, um Menschen zu treffen, und um ihre Vision mit einem interessierten Publikum zu teilen. Als Fotojournalist ist man ein Vollzeit-Student der Welt und ihrer unzähligen Wirklichkeiten.
Welche formalen Tendenzen beobachten Sie gegenwärtig? Eine persönliche Handschrift ist wichtiger denn je. Ich denke an die vielen neuen, hoch interessanten Arbeiten, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Professionelle Bildreporter versuchen sich immer mehr voneinander abzuheben, indem sie die Latte für die Bildsprache höher setzen. Es gibt unverkennbar eine gewisse Sehnsucht nach analoger Fotografie – das Welt-Pressefoto 2008 wurde mit einer Leica auf Schwarzweiss-Film aufgenommen. Digital oder analog ist aber eher eine Generationenfrage und spielt letztlich keine entscheidende Rolle. Was zählt, ist der Inhalt.
Die Branchenprimusse Corbis und Getty Images kaufen Agentur um Agentur; zugleich entstehen riesige Stockbildarchive mit standardisierten, austauschbaren Bildern. Stehen wir vor einer visuellen Monokultur? Das ist eine ziemlich düstere Sicht. Ich sehe das veränderte Marktumfeld als eine aufregende neue Landschaft. Fotografie ist heute mehr denn je zugänglich, und das absolut überall. Während die grossen Bildagenturen weiterwachsen, bilden sich in Europa, Lateinamerika und Asien laufend neue, unabhängige Mini-Agenturen und Fotografen kollektive. Diese Gruppen definieren sich über
Was macht eine gut erzählte Bildgeschichte aus? Eine gute Fotogeschichte ist einem guten Text sehr ähnlich. Sie muss eine starke, packende Story haben, und sie muss ihren Gegenstand mit einer gleichermassen kraftvollen wie verführerischen Bildsprache erklären und durchdringen. Sie muss überlegt sein und als Serie sorgfältig komponiert. Bei «Time Magazine» hielt ich nach Geschichten Ausschau, die über den Augenblick hinausweisen und es schaffen, Sinn und Bedeutung hinter wichtigen Ereignissen zu offenbaren. Spannende Fotografie ist für mich Fotografie, die
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Fragen aufwirft, die den Betrachter zum Nachdenken auffordert. Ist es zu bedauern, dass die Fotoreportage aus den aktuellen Medien verschwindet? Sind Ausstellungen und Bildbände nicht besser dazu geeignet, eine Geschichte in Bildern zu erzählen? Es ist sehr wohl bedauerlich. Bücher sind zweifelsohne die geeignetere Plattform für Fotogeschichten, aber das Publikum dafür ist so viel kleiner. Ein Fotoband hat in den Vereinigten Staaten eine durchschnittliche Auflage von 4‘000 Exemplaren. Die Wochenausgabe eines grossen Newsmagazins hingegen kommt auf mehrere Millionen. Wir müssen neue Wege finden, wie wir die Fotografie an ein grosses internationales Publikum bringen können. Bildagenturen sind heute global vernetzt. Statt wie einst Fotografen an die oft weit entfernten Orte des Geschehens zu schicken, beauftragen die Agenturen jene, die bereits vor Ort sind und Aufträge billiger abwickeln können. Hat die Globalisierung den global agierenden Fotoreporter paradoxerweise untergraben? Möglicherweise. Aber diese Entwicklung kann man nur begrüssen, denn sie ist fantastisch für die aufstrebenden Fotografen aus den benachteiligten Regionen der Welt. Dieses Jahr erhielt die WorldPress-Photo-Organisation Einsendungen von mehr als 5‘500 Fotografen aus 124 Ländern, davon besonders viele aus Indien und China. Das ist ein erstaunliches und eindrückliches Zeugnis für die Expansion des Fotojournalismus und seine Vitalität weltweit.
Nach den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn im Jahr 2005 zirkulierten als erstes Amateurbilder in den Medien. Sind Leserreporter eine Bedrohung für professionelle Bildreporter? Es ist schon bemerkenswert, dass ein beträchtlicher Anteil der Bilder, die in den letzten Jahren den Pulitzer Prize for Spot News Photography gewannen, von Amateurfotografen stammen. Ich sehe User Generated Content aber nur als Gewinn: Mit den Leserreportern und ihren fotofähigen Mobiltelefonen und Digicams steigt die Wahrscheinlichkeit, wichtige Ereignisse einzufangen und Bilder davon zu bekommen. Professionals werden sich auch weiterhin von ihnen absetzen, indem sie Tiefe und Qualität liefern und über das unmittelbare, singuläre Ereignis hinausgehen. Aber auch ohne Leserreporter ist das Vertrauen in die Bilder erschüttert. Brauchen wir nicht mehr denn je angesehene Institutionen, die für die Verlässlichkeit von Bildern garantieren? Die Leserinnen und Leser vertrauen Qualitätstiteln und setzen dabei auf Marken mit tadellosem Leistungsausweis, das haben zahlreiche Befragungen gezeigt. Aber mit dem Internet haben schlecht recherchierte Geschichten und zweifelhafte Bilder eine solche Verbreitung erlangt, dass die Leute zu Recht hinterfragen, was echt ist und was nicht. Die grossen Medienkonzerne müssen Fehlleistungen vehement öffentlich machen und verlässliche Inhalte liefern. MaryAnne Golon war seit 1984 Bildredaktorin und von 2007 bis 2008 Director of Photography bei «Time Magazine» in New York. Dieses Jahr stand sie der Jury des «World Press Photo Award 2008» in Amsterdam vor.
Bilder sagen mehr mit 1000 Worten. SCOPE-Texte sorgen für Tiefenschärfe in der Wahrnehmung der zeitgenössischen Schweizer Fotografie. Und Heads gibt dem Inhalt die passende Form. Was wir nebst SCOPE sonst noch alles in Form bringen, entdecken Sie auf Name Funktion
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Klaus Honnef Professor für Theorie der Fotografie, Publizist, Kurator in Bonn
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Image statt Aura.
Die Modefotografie hat das Produkt, ja sogar die sichtbare Realität hinter sich gelassen. Sie wirbt nur mehr für die Kunst des Fotografen. Über erstaunliche Parallelen zwischen künstlerischer und kommerzieller Fotografie.
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m Rande liegt ein Paar rosafarbene Damenschuhe herum. Doch nicht sie fesseln die Aufmerksamkeit, vielmehr die weisse Kontur eines Körpers auf dem schmutzigen Asphalt. Wenn ein Mensch gewaltsam zu Tode gekommen ist, sichert die Polizei so den Tatort. Tiefschwarze Flecken legen den Schluss nahe, dass die Luxuslimousine im Hintergrund des fotografischen Bildes einen tödlichen Unfall verursacht hat. Und die Schuhe deuten auf eine Frau als ihr Opfer hin. – Was wie ein Polizeifoto wirkt, war die bis ins Detail arrangierte Werbeaufnahme für eine Schuhmanufaktur (1975). Nichts ist in Wirklichkeit passiert. Alles wurde für das fotografische Bild hergerichtet. Das Bild ist das Dokument einer Fälschung. Sein Autor ist der französische Meisterfotograf Guy Bourdin (1928–1991). Ursprünglich erschien die Aufnahme in den glamourösen Hochglanzzeitschriften. Inzwischen gilt sie als Inkunabel der künstlerischen Fotografie. In Büchern und Ausstellungen fehlt jeder Hinweis auf ihre
Herkunft aus der Reklame. Sie wirbt nur noch für die Kunst des Fotografen. Bourdin hat das eigentliche Motiv seiner Aufnahme mit einer derartigen Raffinesse inszeniert, dass ein zweiter Blick geradezu provoziert wird und damit die Interessen seines Auftraggebers gewahrt. Ist die Aufmerksamkeit einmal erregt, kann man nicht umhin, der Regie des Fotografen zu gehorchen und die Schuhe aus unterschiedlichen Sichtwinkeln bewusst wahrzunehmen. Verdient solche Fertigkeit im Dienste des Kommerzes aber gleich die Bezeichnung Kunst? Zumal sich Kunst und Reklame nach verbreiteter Ansicht ausschliessen. Als entscheidende Bedingung des Kunstwerkes gilt, dass es sich einem von ausserkünstlerischen Einflüssen unabhängigen kreativen Akt verdankt – jedenfalls in der Theorie. Das war nicht immer der Fall. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war Kunst fast immer Auftragskunst. Michelangelo und Tizian, Velasquez und Rubens, Rembrandt und Goya malten nach Vorgaben der Mächtigen und Reichen für bestimmte Zwecke oder Anlässe. Mit dem Auftreten des technischen Mediums der Fotografie begann die Kunst ein neues Selbstverständnis zu entwickeln. Sie beanspruchte Autonomie. Die Avantgarde verlieh dem Postulat Ausdruck. Demnach war es nur konsequent, der Fotografie jegliche künstlerische Anerkennung zu verweigern. Die Grenzlinien sind längst verwischt. Dafür sorgten die politischen, sozialen und kulturellen Umbrüche der jüngeren Vergangenheit. Aber nicht
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allein die künstlerische Fotografie hat sich in den Kunstgalerien und Museen etabliert. Die wachsende Kommerzialisierung der Kunst im Kielwasser der Pop-Art hat auch die Grenzlinien zwischen Kunst und Werbung durchlässig gemacht. Die Fotografie hat diesen Prozess beschleunigt. Einerseits entpuppte sie sich mit wachsender Verbreitung als perfekte Projektionsfläche kollektiver Träume, Wünsche und Ängste. Andererseits führte sie dank ihrer nüchtern-sachlichen Bildsprache zu einer neuen ästhetischen Form wie der dokumentarischen Fotografie, von Eugène Atget über August Sander bis zu Bernd und Hilla Becher. Nicht zufällig hat sich die Modefotografie als erste ihrer professionellen Spielarten auf der Kunstszene behauptet. Richard Avedon, Irving Penn, Helmut Newton oder Peter Lindbergh sowie Bourdin haben ihre Bilder weltweit in Kunstmuseen gezeigt; Fotografen, die nicht nur ihre Visionen und Obsessionen nahezu unbehelligt realisieren konnten und können, obwohl sie meist im Auftrag handelten. Gleichwohl sind es gerade ihre Visionen, die unverwechselbare Art, sichtbare Welt zu beleuchten, die ihre Auftraggeber reizten. Der Umstand, dass weder die Werbe- noch deren Variante, die Modefotografie, sich im Anpreisen eines Produktes erschöpfen, hat die Infiltration erleichtert. Die fotografischen Bilder verschaffen dem vergegenwärtigten Gegenstand ein spezifisches Image. Sie entwerfen ein fantasievolles Gespinst aus Verlangen nach Teilhabe am Besonderen. Befriedigung findet es allerdings nur vorübergehend: durch Kauf des jeweiligen Produkts. Das Image ist die kommerzielle Wechselmünze der mythischen Aura.
Doch auch Dokumentar- und Werbefotografie sind verwandter, als die Definition es wahrhaben will. Paul Outerbridges Meistwerk «Ide Collar» (1922), die Aufnahme eines Papierkragens auf einem Schachbrett, Musterbeispiel konstruktivistischer Sachfotografie, ist ursprünglich ein Reklamebild für auswechselbare Hemdkragen. Das plastische Bild eines Farbkastens (1925) von Albert Renger-Patzsch, ein Dokument der «Neuen Sachlichkeit», ist ebenso eine Werbeaufnahme wie das Konterfei der Formation von Schuhleisten (1926). Selbst Avantgardekünstler wie El Lissitzky, László Moholy-Nagy und Herbert Bayer haben Werbung betrieben. Ihre und die Bilder anderer professioneller Fotografen wie Edward Steichen, Charles Sheeler oder Hans Finsler haben sich von den Zusammenhängen ihrer Entstehung emanzipiert. Sie bezeugen jetzt, dass sichtbare Realität und ästhetische Vision zu signifikanten Bildern kollektiver Vorstellungen verschmolzen sind. Ähnlich wie die Gemälde der Vergangenheit. Deren einstige Bestimmungen sind nur noch, wenn überhaupt, Fachleuten bekannt und haben sich endgültig in der Kunst aufgehoben.
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Name SaschaFunktion Renner Kunsthistoriker, Redaktor «züritipp» und Kultur, «Tages-Anzeiger»
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Swiss Photo Award Ausstellung 9. bis 17. Mai 2009
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ewz-Unterwerk Selnau Selnaustrasse 25, 8001 Z체rich t채glich 12 bis 20 Uhr. www.ewzselection.ch
Anton Holzer Fotohistoriker, Publizist und Ausstellungskurator, Herausgeber der Zeitschrift «Fotogeschichte» in Wien
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Im Schneegestöber der Fotografien.
Entwarnung: Die Skepsis gegenüber der angeblichen Bilderflut ist so alt wie die Pressefotografie selbst. Und sie hat paradoxe Folgen: Die Verdammung des digitalen, vervielfachten Bildes geht mit einer beispiellosen Lobpreisung des heiligen Originals einher.
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n den Illustrierten, schrieb Siegfried Kracauer 1927, «sieht das Publikum die Welt, an deren Wahrnehmung es die Illustrierten hindern.» Die Massenvervielfältigung der Fotografie, so meinte er, sei ein «Streikmittel gegen die Erkenntnis». Ende der 1920er-Jahre war die massenmedial vervielfältigte Fotografie tatsächlich auf einem Höhepunkt angekommen. Allein die führende «Berliner Illustrirte Zeitung» (BIZ) kam 1929 auf eine wöchentliche Auflage von knapp zwei Millionen Exemplaren. In jeder Nummer wurden mehrere Dutzend Fotografien veröffentlicht. Auf ebendiese Bilderflut nahm Kracauer Bezug. Und er fährt fort: «Der erfolgreichen Durchführung des Streiks dient nicht zuletzt das bunte Arrangement der Bilder. Ihr Nebeneinander schliesst systematisch den Zusammenhang aus, der dem Bewusstsein sich eröffnet.
Die ‹Bildidee› vertreibt die Idee, das Schneegestöber der Photographien verrät die Gleichgültigkeit gegen das mit dem Sehen Gemeinte.» Immer wieder kam Kracauer auf das Thema Bilderflut zurück. Stets blieb er bei seiner Kritik: Das Schneegestöber der Pressefotografie trage nicht zur Aufklärung bei. Im Gegenteil, es verneble unser Verhältnis zur Wirklichkeit. Die Rede von der Bilderflut, die Ende der 1920er-Jahre aufkam, ist bis heute nicht verstummt. Und auch die Bilderflut selbst ist nicht versiegt, im Gegenteil: Die jüngsten Zahlen illustrieren, wie rasant sich der Prozess der fotografischen Bebilderung der Welt nach der digitalen Wende beschleunigt hat. 2004 wurden weltweit 189 Millionen Fotohandys verkauft, 2005 waren es bereits knapp 300 Millionen, 2008 an die 800 Millionen. Die Onlineplattform Flickr, die 2004 gegründet wurde und inzwischen ein Tochterunternehmen von Yahoo ist, verzeichnete 2008 monatlich 61 Millionen Besucher. Mehr als 2,5 Milliarden Bilder sind inzwischen auf Flickr zugänglich. Ähnlich rasant hat sich auch die Pressefotografie entwickelt. Die Onlinedatenbanken, die analoge Pressebildarchive ergänzt und zunehmend ersetzt haben, wachsen in atemberaubendem Tempo. Das Schneegestöber der Bilder ist dichter und dichter geworden. Das Lamento über die zu vielen Bilder scheint
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berechtigter denn je. Im Kern dieser Klage hat sich allerdings eine zweite Klage eingenistet, die da lautet: Wir haben nicht nur zu viele Bilder, sondern wir haben auch die falschen. Und je schneller sich das Karussell der Bilder dreht, desto stärker wird der Ruf nach den angeblich echten, den richtigen, den wahren Bildern. Es ist paradox: Im Zeitalter des Digitalen geht die permanente Verdammung des vervielfachten Bildes mit der beispiellosen Lobpreisung des fotografischen Originals (Vintage Print) einher, das auf Auktionen und im Kunsthandel immer neue Geldrekorde bricht. Siegfried Kracauer starb 1966. Er hat den Niedergang der grossen Illustrierten, der in den USA Ende der 1960er-Jahre einsetzte, nicht mehr erlebt. Die beiden bekanntesten und auflagenstärksten Zeitschriften «Look» und «Life» (allein «Life» brachte es Ende der 1950er-Jahre auf eine wöchentliche Auflage von über 7 Millionen und weltweit über 20 Millionen Leser), wurden 1971 beziehungsweise 1972 eingestellt. Erst nachdem die Flaggschiffe des amerikanischen Fotojournalismus untergegangen waren, traten die Advokaten des Bildjournalismus auf den Plan. Der erste Meilenstein in der retrospektiven Heroisierung der Pressefotografen wurde 1968 von Cornell Capa, dem Bruder des legendären Robert Capa, gesetzt. Er organisierte damals in New York die Ausstellung «The Concerned Photographer» und gab ein gleichnamiges, weltweit bekannt gewordenes Buch heraus. Mit diesem Buch setzte Capa dem Idealbild des mutigen Pressefotografen, der unter Einsatz seines Lebens Bilder aus den Krisen- und Kriegsgebieten dieser Welt mitbringt, ein Denkmal. Der Fotoreporter wurde nun zum humanistischen
Augenzeugen verklärt. An dieses Bild knüpfen bis heute einige Fotografen an, etwa der Kriegsfotograf James Nachtwey. Die Kritik, die Siegfried Kracauer vor 70 Jahren gegenüber den Illustrierten vorgebracht hat, dass sie nämlich den Blick auf die Welt verstellten, scheint sich inzwischen ins Gegenteil verkehrt zu haben: Man spricht nun – in der Vergangenheitsform – von der «grossen Epoche» des Fotojournalismus. Die Bilder, die uns diese Epoche hinterliess, werden nun, gereinigt vom Ballast des Papiers, auf dem sie einmal gedruckt waren, in Kunstausstellungen gezeigt und um teures Geld auf Auktionen versteigert. Aus den ehemals falschen Bildern sind wahre geworden. Aus den billigen Abzügen teure Vintage Prints. Aus den Bildern, die den Blick auf die Welt verdunkeln, sind nun helle Fenster geworden, die, so lautet das Versprechen, uns so nahe an die Wirklichkeit heranführen, wie dies kein anderes Medium vermag. Aber ist das alles so einfach? Hie die digitale Bilderflut, dort die Apotheose des fotografischen Originals? Hie das digitale Massenbild, das den Blick auf die Welt zu ersticken droht. Und dort das teure Objekt Fotografie, das im Museum hängt. Natürlich ist es nicht so einfach. Die beiden Schlagwörter markieren lediglich zwei Seiten eines einzigen Phänomens: Die Fotografie – und auch die Pressefotografie – ist eine Ware, ein Objekt des privaten oder öffentlichen Konsums. Sie ist aber auch ein machtvolles symbolisches Objekt, dessen Wert sich im Gebrauch und im Konsum nicht erschöpft. Zwischen dem einen Status der Fotografie und dem anderen gibt es zahlreiche Querverbindungen. Anders ausgedrückt: Die beispiellose Aufwertung
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der musealen Fotografie, die in den 1990er-Jahren einsetzte, und die digitale Massenkultur stehen in einem engen wechselseitigen Verhältnis. Es wäre zu einfach, sie allein im technischen Gegensatzpaar analog versus digital zu verorten. Die gegenwärtige Pressefotografie ist ein gutes Beispiel für das komplexe gesellschaftliche Gefüge der Fotografie, das sich in den letzten Jahren herauskristallisiert hat. Um nur einige wenige Entwicklungen zu nennen: Die Pressefotografen, die hauptsächlich als Fotohandwerker (und nicht als Künstler) arbeiten, haben in den letzten Jahren ihren sozialen Status nicht verbessern können, im
Gegenteil. Die Verhandlungsmacht der Verlage ist gestiegen. Die Gründe sind vielfältig: Die Zeitungskrise im Jahr 2002 hat zu Einsparungen, Entlassungen, massiven Honorarkürzungen für freie Mitarbeiter und zu fundamentalen Umstrukturierungen der Presse geführt (die gegenwärtige Zeitungskrise wird diesen Trend weiter verstärken). Der Konzentrations- und Fusionsprozess der letzten Jahre hat am Zeitungsmarkt zur Herausbildung und Stärkung monopolartiger Strukturen im Verlagsbereich geführt. Die zunehmende multimediale Vernetzung, etwa zwischen Print- und Onlinebereich, aber auch die vollständige Um-
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stellung der Bild- und Textlogistik auf das Internet haben ebenfalls zu einem starken Preisdruck geführt. Einzelfotografen oder kleine Bildagenturen, die ihre Bilder abseits der grossen Zulieferer und Datenbanken anbieten, haben deutlich geringere Chancen als die international agierenden Anbieter. Die beiden weltweit grössten Agenturen, Corbis und Getty, beherrschen mittlerweile 50 Prozent des Weltmarkts. Die Preise für Fotografien sind aber auch deshalb gesunken, weil der Anteil thematisch aufbereiteter, nicht tagesaktueller, billigerer Archivbilder (die so genannte Stock Photography) deutlich zugenommen hat. Sichtbarstes Zeichen
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für den Imageverlust des einfachen Pressefotografen ist die Tatsache, dass grosse Agenturen wie etwa Getty dazu übergegangen sind, im Suchfenster ihrer Onlinedatenbank keine Rubrik mehr für die Namen der Fotografen anzubieten. Dieser Abwertung des einzelnen digitalen Pressebildes steht die machtvolle Rückkehr der Fotografie als materielles, symbolisch hochwertiges Objekt gegenüber. Kurz gesagt: Aus dem alten Pressebild sind zwei geworden; die billige Illustration und das teure Kunstwerk. Es gibt immer mehr Fotografen, die sich der Achterbahn der unaufhörlichen Bilderzirkulation entziehen wollen. Sie suchen ihr Glück abseits des anonymen Bilderzirkus. Sie gehen den Weg in Richtung Kunst: geben Fotobücher heraus, stellen Ausstellungen zusammen und veröffentlichen in Kunst- und Kulturzeitschriften. Diese Fotografen gehen bewusst den Weg zurück zur Fotografie als künstlerischem Objekt. Und dieses künstlerische Objekt muss, um am Kunstmarkt der Fotografie reüssieren zu können, seine digitale Herkunft kaschieren. Es tritt uns in Galerien und Ausstellungen stets als edler Abzug auf Papier (oder anderen Trägermaterialien), oft gerahmt und meist in grossen Formaten entgegen. Das digitale Ausgangsmaterial wird im Kontext der Kunst und im Interesse des Handels auf die Anmutung des analogen Bildes zurückgeführt. Dieser Trend zur Schwerkraft betrifft die Bilder an der Museumswand, aber auch die oft kiloschweren Kataloge. Ist es ein Zufall, dass diese Rückkehr des materiellen Bildes ziemlich genau in die Zeit der digitalen Wende fällt? Die Wiederentdeckung des künstlerisch geadelten dokumentarischen Bildes
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Tobias Madörin
Hannes Schmid
Lukas Wassmann
Michel Comte
Nico Krebs, Taiyo Onorato
Roger Eberhard
Walter Mair
Jules Spinatsch
Shirana Shabazi
Thomas Flechtner
Bruno Augsburger
Pierluigi Macor
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Bekannte Fotografen steuern zur Ausstellung ein exklusives Bild aus ihrem Fundus bei – Hommage an die vertrauensvolle, erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Künstlern und dem Speziallabor Tricolor. Täglich von 9. – 17. Mai, 12 – 20 Uhr, Untergeschoss des EWZ-Unterwerk Selnau, Selnaustr. 25, 8001 Zürich DAS LABOR DER LEIDENSCHAFT: Ronny Ochsner & Partner, Fachlabor für digitale und analoge Fotografie www.tricolor.ch
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setzte etwa zu dem Zeitpunkt ein, als das digitale Pressebild sich rasant zu vervielfältigen begann und zugleich sukzessive an Wert verlor. In diese Nische des Wertverlusts trat die Kunst mit ihren Versprechungen. Das Dokumentarische der Fotografie ist, so verkündete sie, ein machtvoller Anker, an den man anknüpfen kann. Um nur zwei Beispiele zu nennen: 2003 zeigte die englische Tate Modern die Ausstellung «Cruel and Tender. The Real in the Twentieth-Century Photography», das Kunstmuseum Basel folgte 2005 mit der Schau «Covering the Real. Kunst und Pressebild von Warhol bis Tillmans». Zur selben Zeit setzte der Auktionsmarkt für historische Fotografie zu immer neuen Höhenflügen an. Im Februar 2006 wechselte Edward Steichens Aufnahme «Weiher im Mondlicht» aus dem Jahr 1904 für 2,9 Millionen Dollar den Besitzer. Es war der höchste Preis, den bis dahin ein historisches Foto am Kunstmarkt erzielt hatte. Es ist wohl kein Zufall, dass diesem ökonomischen Höhenflug Steichens sogleich seine Wiederentdeckung als herausragender Pressefotograf bei der Zeitschrift «Vogue» folgte. Inzwischen touren Steichens Mode- und Gesellschaftsfotografien aus der Zwischenkriegszeit durch die Kunstmuseen Europas und der USA. Der beispiellose Aufstieg des fotografischen Originals fällt nicht ganz zufällig in die unruhige Phase der digitalen Wende. In Zeiten der schnellen ökonomischen Gewinne und Verluste stieg die Sehnsucht nach einem stabilen künstlerischen Zahlungsmittel. Gekauft wurden nicht Dateien und Pixel, sondern Bilder auf Papier, Objekte, die in den Stürmen der Gegenwart nicht flüchtig sind, sondern handhabbar und greifbar: analoge Fotografi-
en. Die Begeisterung für das fotografische Original also steht in einem grösseren gesellschaftlichen Zusammenhang. In den Jahren um die Jahrtausendwende brach, um nur einige wenige Entwicklungen zu nennen, der postmoderne theoretische Überschwang in sich zusammen. In diesen Jahren platzte auch die erste Blase der New Economy, die unter anderem auf dem versprochenen Mehrwert des digitalen Booms fusste. Und in dieser Zeit setzten sich das Internet und die digitale Fotografie in breiten Bevölkerungskreisen durch. Kommen wir noch einmal zu Siegfried Kracauers düsterer Diagnose zurück. Für ihn war das «bunte Arrangement» der gedruckten Bilder das Haupthindernis für eine wirkliche Erkenntnis der Welt. Inzwischen hat sich dieses Nebeneinander der Bilder in der Zeitung noch vervielfacht. Aber es hat sich auch aufgelöst, und zwar am Kunstmarkt. Angeboten und verkauft werden dort stets Einzelbilder, die jegliche Nachbarschaft zueinander und jede Verbindung zum Entstehungskontext innerhalb der populären Massenkultur abgestreift haben. Wenn wir durch gegenwärtige Kunstausstellungen historischer Pressebilder schlendern, finden wir meist nur einen verschämten Hinweis auf das Papier, auf dem die Fotos einst gedruckt wurden. Gedruckte Bildbeispiele werden in der Regel keine gezeigt. Die Trennung zwischen dem vervielfältigten Bild und dem heiligen Original ist vollzogen. Und während die digitale Bilderflut weiter steigt, verschwindet das edle Einzelstück in Vitrinen und Safes. Auch dieses Bild erzählt nichts (mehr) von der Welt, aus der es einst stammte. Hat also Siegfried Kracauer Recht behalten?
Caspar Schärer Architekt ETH und Journalist, Redaktor bei der Architekturzeitschrift «werk, bauen + wohnen» in Zürich
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«Wir sind Jäger, die eine Falle stellen.» Am Anfang war das Haus, so liesse sich die Schöpfungsgeschichte der Fotografie erzählen. Mittlerweile gilt das Umgekehrte: Am Anfang der Karriere eines Gebäudes steht die Fotografie. Sie ist die Voraussetzung für den Diskurs über Architektur. Ein besonderes Spannungsfeld.
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rchitekturfotografie ist so alt wie die Fotografie selbst. Zwei der frühesten und berühmtesten Lichtbilder zeigen Architektur: Häuserdächer auf Niépces Heliografie von 1826, Strassenzüge am Boulevard du Temple in Paris auf Daguerres Positiv von 1839. Im 19. Jahrhundert, als die Städte so rasant wuchsen wie nie zuvor, war die Fotografie das adäquate Mittel, den Wandel zu dokumentieren. Die Behörden der Stadt Zürich schafften sich bereits in den Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts eine Kamera an zur Illustration der tief greifenden Transformation des Stadtkörpers. Später, in der Moderne, fokussierte die Architekturfotografie stärker auf das einzelne Objekt; die Fotografie in Verbindung mit Büchern, Zeitschriften und Zeitungen wurde zum idealen Transportmittel der neuen Ideen. Ohne das Bild wäre die internationale Verbreitung des modernen Gedankenguts nicht denkbar gewesen. Die bahnbrechenden Bauten von Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe und anderen «Heroen» der Moderne gingen als ikonografische Bilder um die Welt und sind heute ein selbstverständlicher Bestandteil der Architektur- und Kunstgeschichte. Dieser Mechanismus hat sich bis heute nicht verändert, mit der intensivierten Präsenz
der Architektur in allen Medien ist er sogar noch wichtiger geworden. Vor allem in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren erlebte die Architektur einen Popularitätsschub ohnegleichen. Als Wendepunkt gilt das neue Guggenheim-Museum des amerikanischen Architekten Frank O. Gehry in Bilbao aus dem Jahr 1997. Die Bilder des exaltiert geformten Museums überfluteten sämtliche Medienkanäle. In den Jahrzehnten zuvor blieb die Diskussion über Architektur auf einen kleinen, sachkundigen Kreis beschränkt. Jetzt wusste jeder, wie spektakulär das Guggenheim-Museum aussieht. Das Beispiel mag extrem sein, doch es zeigt auf, in welchem Spannungsfeld sich die Architekturfotografie bewegt. Auf der einen Seite steht in der Regel das Architekturbüro als bezahlender Auftraggeber, dort die Persönlichkeit des Fotografen und letztlich das «öffentliche Interesse», sozusagen die Pflicht zur möglichst authentischen Abbildung des Gesehenen. In der Mitte dieses Dreiecks steht das gebaute Werk, Produkt eines weiteren Auftrags und auch einer Willensleistung. Das Bild dieses Werks ist weder rein dokumentarisch noch ein Schnappschuss. Heinrich Helfenstein, seit 1980 Architekturfotograf in Zürich und einer der erfahrensten der Zunft, fand dafür eine passende Metapher: «Wir sind Jäger, die eine Falle stellen und geduldig warten, während die Reportagefotografen mit der Flinte jagen.» Will heissen: Der Architekturfotograf muss Rücksicht nehmen auf die Wetterlage und die Lichtverhältnisse im Tagesverlauf, und er muss sich mit den Vorstellun-
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gen der Architekten sowie den gebauten Realitäten auseinandersetzen. «Man fotografiert im Dienste der Architektur», sagt Helfenstein, «und verzichtet in einem gewissen Mass auf die Autorschaft als Fotograf.» Für das Fallenstellen, das eingehende Studium eines Neubaus, bleibt allerdings immer weniger Zeit. Die Bauten werden so knapp auf den Bezugstermin hin fertig gestellt, dass sich der Fotograf die besten Blickwinkel und das beste Licht kaum mehr aussuchen kann. «Bis vor etwa zehn Jahren hatte ich einen Bau ein bis zwei Tage ganz für mich allein», erzählt Helfenstein. «Das waren magische Momente.» Trotz dieses vergleichsweise engen Rahmens wächst die Nische der Architekturfotografie scheinbar unaufhaltsam. «Vor bald dreissig Jahren war ich fast der Einzige, der sich als Architekturfotograf bezeichnete», erinnert sich Heinrich Helfenstein. Heute tummelt sich allein auf dem Platz Zürich ein gutes Dutzend neuer Konkurrenten, und es werden jedes Jahr mehr. Die grosse Mehrheit sind selbst Architekten und Architektinnen, sind also mit der Denk- und Arbeitsweise ihrer Auftraggeber vertraut, in Sachen Fotografie jedoch Autodidakten. Es gibt aber auch einzelne Fotografen in der Szene, die an einer Kunsthochschule ihr Handwerk gelernt haben. Einer davon ist Marc Lendorff. Er kennt die Architekten als Auftraggeber mit äusserst präzisen Vorstellungen: «Der Architekt verbringt zum Teil mehrere Jahre mit der Projektierung eines Gebäudes und hat viele Bilder im Kopf, wie das Haus aussehen soll.» Es kann jedoch vorkommen, dass nicht exakt so gebaut wurde wie ursprünglich vorgesehen – doch das imaginierte Bild ist nach wie vor da. In einer
solchen Situation wird von der Architekturfotografie dann oft erwartet, dass sie das Projekt von den Unreinheiten der Baupraxis «heilt». Der Blick des Fotografen auf das Werk unterscheidet sich zwar unter Umständen von demjenigen des Architekten, Marc Lendorff erlebt aber immer wieder positive Überraschungen, wenn die Architekten die Bilder sehen: «Sie schätzen den fotografischen Blick von aussen und sind neugierig, wie ein professionelles Auge ihr Werk sozusagen neu erblickt.» Aber trotz ihrer Unverzichtbarkeit für die Sichtbarmachung einer architektonischen Idee und deren Zirkulation: Als eigenständiges Me-
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dium hat es die Fotografie generell schwer. In Form der raffinierten, voll digitalisierten Computersimulationen ist der Architekturfotografie ein neuer Konkurrent erwachsen. Die so genannten Renderings erreichen mittlerweile fotorealistische Qualitäten und nehmen in einer sehr frühen Phase des Projekts einen Zustand vorweg, mit dem die eigentliche Fotografie nach der Bauvollendung konfrontiert ist. Dennoch ist es erstaunlich, wie resistent sich die Architekturfotografie gegenüber der Entwicklung ihrer Bildsprache erweist. Grund dafür könnte das abgebildete Motiv sein: Unabhängig von der gewählten Form steht jedes
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Gebäude auf dem Boden, folgt jede Konstruktion den Naturgesetzen, also der Statik. Eine jüngere Generation von Fotografen versucht aber inzwischen, den «Dienst an der Architektur» zumindest punktuell zu hinterfragen. Einen derartigen Wandel beobachtet auch Marc Lendorff: «Die Architekturfotografie steht zwar immer noch als Sachaufnahme da. Aber weil sich der Gebrauch von Baudokumentationen immer mehr in die mediale Öffentlichkeit verschiebt, werden die Bilder zunehmend fotografischer.»
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Peter Pfrunder Direktor der Fotostiftung Schweiz, Kurator der Ausstellung «Gotthard Schuh – eine Art Verliebtheit»
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Fotojournalismus – ein Intermezzo.
Die Epoche der grossen Fotoillustrierten wird gerne als goldene Ära verklärt. Doch zwischen Fotografie und Presse hat es nie eine Hochzeit gegeben. Lamentos über den Niedergang des Fotojournalismus sind daher verfehlt: Die Zeiten für Bildgeschichten sind so gut wie nie.
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rüher war alles einfacher. Im Fotojournalismus zum Beispiel: Die Redaktionen hatten mehr Geld für eigene Geschichten, die Zeitschriften und Zeitungen boten mehr Platz für grosse Reportagen, die Fotografen hatten mehr Zeit für gründliche Recherchen, das Publikum war nicht übersättigt vom täglichen Gratis-Bilderbrei – und man glaubte noch daran, mit engagierten Bildberichten die Welt verändern zu können. Aber neigen wir, angesichts der objektiven Schwierigkeiten in der heutigen Medienlandschaft, nicht auch dazu, die goldenen Jahre des Fotojournalismus zu idealisieren? Wer die Biografien von Reportern der Dreissiger-, Vierziger- oder Fünfzigerjahre verfolgt, stösst immer wieder auf Brüche und Widersprüche, auf Enttäuschungen und Verletzungen, auf Zynismus und Resignation. Selbst jene, die wir heute als Klassiker und Helden ihres Metiers feiern, hatte ihre Krisen. Hans Staub (1894–1990) geriet, nach glorreichen Zeiten bei der «Zürcher Illustrierten», in den Fünfzigerjahren in Vergessenheit und wollte sein Archiv vernichten – es überlebte nur mit Glück. Gotthard Schuh
(1897–1969) gab 1941 das unabhängige Reporterleben auf, weil er sich nach rund zehn Jahren ausgebrannt fühlte: «Die Neugierde hat mich mit der Zeit verlassen. Ist es Müdigkeit? Hat diese dauernde Unruhe, dieses Übermass befohlenen Interesses, diese lästige Reporterpflicht des Immerdabeiseins ... hat dies alles den Reporter den Dingen gegenüber gleichgültig gemacht? Meine Kamera, die in zehn Jahren zwanzigtausend Bilder errafft hat, liegt als Automat der Tagesneugier neben mir. Mag sie heute liegen bleiben. Die Uhr schlägt acht. Ich gehe ins Konzert.» Und auch Werner Bischof (1916–1954) litt immer wieder am Dilemma, schöne Bilder über eine schreckliche Welt machen zu müssen, um damit das Publikum zu unterhalten. 1952 bekannte er: «Die Fotografie erscheint mir immer oberflächlicher, Journalismus eine Krankheit, aber ich muss weitermachen. Die einzige Alternative für mich ist das Buch oder Fotoessays ...» Nein, das Verhältnis zwischen Fotografen und Presse war auch früher keineswegs so harmonisch, wie es heute scheinen mag. Christian Caujolle, der
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als Bildredakteur der Zeitung «Libération» und als Leiter der Pariser Agentur «Vu» wesentlich zu einer Blüte der Fotoreportage in Frankreich beigetragen hat, räumt in einem Essay für «Le Monde diplomatique» mit den verbreiteten Idealisierungen auf: «Zwischen Presse und Fotografie hat es nie eine ‹Hochzeit› gegeben. Auch nicht nach 1945, als die Illustrierten die Fotografen aussandten, die Welt zu erkunden – noch bevor das Fernsehen die Führung im Nachrichtenwesen übernahm.» Ein Grundproblem spiegelt sich beispielsweise im krassen Missverhältnis zwischen den produzierten und den tatsächlich publizierten Fotografien. Oft müssen vier, fünf, sechs Bilder genügen, um eine Geschichte abzudecken, während weitere, durchaus gleichwertige Fotografien in den Archiven der Fotografen verschwinden, um vielleicht später einmal von Kuratoren ausgegraben und in Ausstellungen und Büchern gezeigt zu werden – so wird die Fotostiftung Schweiz in ihrer Sommerausstellung 2009 das Lebenswerk von Gotthard Schuh neu beleuchten. Fotografen hatten und haben sich immer wieder damit abzufinden, dass die Medien ihre Geschichten verstümmeln, beschneiden und in eine leicht bekömmliche Story verwandeln. Der Kampf um die Anerkennung, um den Respekt vor dem Bildautor zieht sich denn auch wie ein roter Faden durch die Geschichte des Fotojournalismus – bis hin zu einer Agentur wie Magnum, deren Gründer sich zusammentaten, um die Publikation ihrer Werke besser kontrollieren zu können. Im Rückblick erscheint die Zeitschriftenreportage als eine sehr fragile und nur bedingt befriedigende Form der Veröffentlichung von dokumentarischer Fotografie – eher ein Sonderfall als ein
Normalfall. Und der klassische, auf Printmedien ausgerichtete Fotojournalismus wird vielleicht dereinst nur noch als ein fotohistorisches Intermezzo behandelt werden. «Der Fotojournalist, der mit der 35-mm-Kamera und Schwarzweissfilmen durch die Welt reiste auf der Suche nach Storys zu Themen wie Hunger und Krieg, ist eine moderne Erfindung» – so die Antwort von Paul Wombell, dem früheren Direktor der Londoner Photographers’ Gallery, auf jene verzweifelten Stimmen, welche die Vereinnahmung des Fotojournalismus durch Galerien und Ausstellungsbetrieb beklagen. Wombell ergänzt treffend, dass es keinen historischen Grund gibt, weshalb die für Zeitschriften fotografierte Reportage in ihrer klassischen Form in Zukunft weiter existieren sollte. «Das bedeutet nicht, dass wichtige gesellschaftliche Fragen von Fotografen ignoriert werden. Allerdings dürfte die Art und Weise, wie sie mit diesen Fragen umgehen, eine deutlich andere sein, als wir es uns gewohnt sind.» Wenn sich seit einigen Jahren eine Verlagerung der Reportagefotografie abzeichnet – von den Printmedien in Ausstellungsräume oder ins Buch –, so ist dies eine durchaus brauchbare Strategie, um auf die aktuellen Schwierigkeiten in der Medienbranche zu reagieren. Eine Strategie, die nicht nur Opfer verlangt, sondern auch Chancen birgt: In Ausstellungen und Büchern lässt sich die Komplexität eines Themas oft besser vermitteln als auf einer Magazindoppelseite. Anstelle von leicht und schnell konsumierbaren Botschaften können auch Geschichten erzählt werden, die vielschichtig sind und widersprüchlich bleiben – so widersprüchlich wie das wirkliche Leben. Und im Gegensatz zur
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scheinbar objektiven Berichterstattung in den Medien bleibt Raum für Subjektivität. Die Reportage wird zum Ausdruck einer ganz persönlichen Weltsicht, wobei – besonders bei Ausstellungen – auch die Ausschnitthaftigkeit jeder fotografischen Erzählung zu Tage tritt: Oft wird das Medium mitreflektiert. Schliesslich laden sowohl das Buch als auch die Ausstellung dazu ein, bei den Bildern zu verweilen oder zwischen den Bildern Bezüge herzustellen. Auf diese Weise kann sich das erzählerische Potential der Fotografie erst richtig entfalten. So gesehen, darf man die Lockerung der Beziehung zwischen Reportage und Printmedien auch als Befreiung aus einem allzu engen Korsett verstehen. In den letzten Jahren ist denn auch eine beträchtliche Anzahl Bücher erschienen, die zwar vom Ansatz und von der Haltung her dem Fotojournalismus und der Reportagefotografie im weitesten Sinn zugerechnet werden können, aber nicht primär für Zeitschriften und Zeitungen gemacht wurden, sondern von den Autoren von Anfang an als Veröffentlichung in Buch- und Ausstellungsform geplant waren. Dabei wird ein breites Themenspektrum behandelt. Unter den neueren Publikationen von Schweizer Fotografen finden sich politisch motivierte, sozialkritische Arbeiten, die Darstellung bedrohter und übersehener Lebenswelten, die Erforschung individueller Lebensgeschichten, Studien zum Alltagsverhalten, die Untersuchung extremer Arbeitsbedingungen und fotografische Reisen durch fremde Kontinente. Die entsprechenden Projekte sind meist aus einer langfristigen und intensiven Auseinandersetzung mit einem bestimmten Thema heraus entstanden
und leben von eigenständigen, tragenden Bildsequenzen. Texte dienen allenfalls als Einleitung oder vertiefende Ergänzung, sind aber in den meisten Fällen der Fotografie deutlich untergeordnet. Und die gestalterische Freiheit wird genutzt, um eine dem Thema gemässe Bildsprache zu entwickeln und in einer gewissen Breite wirken zu lassen. Ähnliches gilt auch für die Präsentation journalistischer und dokumentarischer Fotografie in Ausstellungen. Fotografien sind grundsätzlich vieldeutig, ihre Bedeutung wird erst durch ergänzende Worte festgeschrieben. Während Printmedien danach streben, die Vieldeutigkeit der Fotografien zu reduzieren, um eine klare, eindeutige Botschaft zu transportieren, ist Vieldeutigkeit in Ausstellungen und Büchern oftmals erwünscht. An der Wand ausgestellte Fotografien zum Beispiel geben (zu ihrem Vorteil) nicht nur eine einzige Leserichtung vor, und das Wechselspiel der gleichzeitig nebeneinander sichtbaren Bilder erzeugt immer neue Sinnzusammenhänge und Assoziationsketten – auf alle Seiten hin offene Erzählungen, bei denen das Faktische leicht in den Hintergrund gerät. Diese Verselbständigung der Bildwirklichkeit entspricht heutigem Empfinden, und sie mag mitunter erklären, weshalb dokumentarische Fotografie in Ausstellungen gegenwärtig so erfolgreich ist. «Die fotografische Vieldeutigkeit – wenn sie als solche erkannt und akzeptiert wird – liefert der Photographie eine einzigartige Ausdrucksmöglichkeit. Könnte diese Vieldeutigkeit eine andere Art zu erzählen nahelegen?», fragte John Berger schon 1982. Gerade in Bezug auf neuere Entwicklungen in den Medien ist seine Frage aktueller denn je.
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