HRM_2018_5_Meinung_AssigEchter

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K O M M U N I K AT I O N


MEINUNG

Verdammt zur Norm Ein Gastbeitrag von Dorothea Assig und Dorothee Echter

WÜRFELMELONEN Quadratisch, praktisch, gut? Oder nur normiertes Mittelmaß ohne Geschmack? In Japan werden noch junge Melonen in einer Glasbox gezogen. Bevor die Frucht ausgereift ist, wird sie geerntet. Die Würfelmelonen seien geschmacklich wohl keine Höchstleistung, heißt es.

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MEINUNG

Herausragende Manager sollen den Erfolg eines Unternehmens garantieren. Doch werden diese Einzelkämpfer auf ihrem Weg nach oben geschliffen und geglättet, bis von ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten nichts mehr übrig ist.

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llen Erfolgen ist eines gemeinsam: Sie werden von einem herausragenden Menschen erzielt. Es mögen vielleicht viele Personen gemeinsam an einem Thema arbeiten. Doch führt ein Einzelner, zumeist ein Manager, am Ende alles zusammen. Es sind Einzelpersonen, die verborgene Zusammenhänge entdecken, Geschäftschancen sehen und Risiken erkennen, die in einem Projekt stecken könnten. Auch sind es zumeist Einzelne, die Strukturen und Dimensionen, die anderen entgehen, erspüren und eine besondere Perspektive einbringen. Sie verfügen über einen starken Willen, die Welt auf eine ganz bestimmte Weise verändern und verbessern zu wollen. Diese besondere Ambition begleitet jene herausragenden Einzelpersonen schon lange, manchmal sogar seit ihrer Kindheit. Nach und nach erzielen sie auch im Beruf ein Wissens- und Praxisniveau ohnegleichen. Wenn ambitionierte und geistreiche Menschen frei denken können, entstehen Flow, Erkenntnissprünge und Höchstleistungen wie von selbst. Der Erfolg ist garantiert.

Systematisches Behinderungsrepertoire Man könnte meinen, Unternehmen gieren nach diesem Typ Manager. Doch zur großen Überraschung wird das Besondere, ihr innerer Antrieb, nicht etwa gefeiert oder gar gefördert, sondern über Jahre systematisch gestutzt. Das Behinderungsrepertoire ist äußerst ausgefeilt und hat sich zum Kontrollwahn ausgeweitet: Manager werden gemessen, verglichen, assesst, evaluiert, beurteilt, gefeedbacked, in Portfolios sortiert, in Standard-KompetenzKategorien gezwängt, mit „One-fits-all“-LeadershipGuidelines, Seminaren und Wertesystemen gequält, teambeworkshopt, an detaillierte Bonussysteme gewöhnt, bis sie schließlich Standardkompetenzen und Durchschnittswerte o k tober / novem b er 2018

erreichen und sich selbst an diese extrinsische Motivation gewöhnt haben. Aus einem Bedürfnis nach Sicherheit heraus hat sich der Kontrollwahn entwickelt und verselbstständigt. HR-Verantwortliche wissen längst, dass diese unablässigen Vergleiche den unnützen Konkurrenzkampf untereinander fördern und eben gerade nicht zu Höchstleistungen ermuntern. Aufsichtsratsgremien fragen sich häufig, warum ihre Konzerne so wenig innovativ sind. Als Reaktion tauschen sie immer wieder ihre Spitzenleute aus. Sie stellen unkonventionelle Denker ein und wundern sich dann, wenn nach kurzer Zeit wieder Durchschnittswerte erreicht werden. Dabei würde sich genaueres Hinsehen lohnen, denn die Besten sind immer noch da. Besagte Manager haben sich statt auf ihre herausragenden Fähigkeiten nur auf die Anpassung ihres Könnens konzentriert. Ihr eigentliches Talent wurde nicht gewürdigt und konnte sich gar nicht erst entfalten. Kein Unternehmen dieser Welt braucht neue Führungsleitlinien, Assessment-Center oder Beurteilungssysteme. Was sie brauchen ist die Ambition ihrer Hochkaräter, die sich frei entfalten muss. Dafür müssen Kontrollinstrumente umgehend abgeschafft werden. Und weil diese Kontrollen noch vergleichsweise neu sind und sich noch nicht vollends in die Organisationsstrukturen etabliert haben, können sie auch schnell wieder ad acta gelegt werden.

Freiheit für Manager Das Besondere an herausragenden Managern ist, dass sie sich häufig in komplexeste Zahlenwelten versenken, verblüffende Erkenntnisse ziehen, Chancen aufspüren, erfolgreich in aussichtslosen Situationen verhandeln oder Produktionsprozesse vereinfachen. Ihre intrinsische Ambition richtet sich niemals nur auf das eigene Wohlergehen, 19


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den eigenen Reichtum oder Status. Ambitionierte Manager wollen einem Unternehmen etwas geben und haben sich weniger darauf ausgerichtet, was dabei für sie selbst drin ist. Sie bedürfen keiner Regulierung, Kontrolle oder Zielsetzung, sondern der größtmöglichen Freiheit zur Entfaltung. Erfahren die Überdurchschnittlichen keine Wertschätzung und wird ihr Können als selbstverständlich erachtet, gehen sie in die innere Emigration, werden zynisch oder sabotieren Vorhaben. Herausragende Menschen brauchen positive Resonanz. Dafür können sie selbst und die Unternehmen einiges tun.

Was Unternehmen tun können Das jeweilige Können muss klar benannt werden. Allerdings ist eine Ambition nicht immer leicht zu identifizieren, denn das, was das Herausragen eines Menschen ausmacht, ist für ihn selbstverständlich. Das Erkennen und Benennen dieses Besonderen ist nicht leicht, denn es liegt nicht in den sichtbaren Tätigkeiten oder messbaren Fähigkeiten, sondern im Antrieb. Viele herausragende Manager glauben noch dazu, was sie tun, könne doch jeder. Nur wenn diese Erfolge dekodiert werden, lässt sich durchschauen, welcher Beitrag in einer anspruchsvollen Position geleistet wird und was tatsächlich zum endgültigen Durchbruch geführt hat. Denn oft wissen Unternehmen nicht einmal, dass ein Manager über ein bestimmtes Talent verfügt, zumal besondere Leistungen im Anschluss häufig kleingeredet werden. Da wird dann von Zufall, Teamleistung oder einer glücklichen Konjunktur gesprochen. Die meisten der derzeitigen Personalentwicklungsmaßnahmen fördern den Vergleich und die Kritik an unwesentlichen Details. Statt Kontrollen kann ein gezieltes Ambition Management helfen. Dazu gehört ein spezielles Instrument zur Reflexion, der Uniqueness Dialogue: Bei diesem Dialog handelt es sich um strukturierte Gespräche über persönliche Ambition, Größe und Einzigartigkeiten. Führungspersonen können so wieder Regie über die eigene Karriere führen. Geschäftsführer sollten lernen, welche Wirkung die angemessene Wortwahl hat, mit der sie über sich selbst und ihre Anliegen sprechen. Sie müssen verstehen, welchen Effekt kleine Gesten und persönliche Rituale haben, die von Mitarbeitern und Kunden schneller wahrgenommen werden, als man glaubt. Bewusst eingesetzt, lassen sich auf diese Weise Menschen leicht und wirkungsvoll führen. Das ist ein Prozess, der das Unternehmen als Ganzes betrifft. Dieser Prozess strahlt auf alle Mitarbeiter aus, auch wenn es in den operativen Ebenen nach wie vor Feedback, Beurteilungen, Prozessregelungen gibt. Wenn die Führungskraft ihr Talent frei entfalten kann, sie begeistert 20

und ungebremst die eigene Ambition verfolgen kann, sie geschätzt und ihr vertraut wird, breiten sich im gesamten Team Zuversicht, Optimismus, Arbeitsfreude und Vertrauen aus. Ein selbstverständlicher sozialer Resonanzprozess.

Was im Management ... überflüssig ist

Wertesysteme und Leadership Guidelines

und wie erfolgreiches Ambition Management aussieht Der innere Antrieb und die Überzeugung des Vorstands in Bezug auf die Führung des Vorstands wird positiv benannt und nach außen gezeigt.

Assessment-Center zur Auswahl und zur Förderung

Individuelle Ambitionen von Einstellenden und Einzustellenden in Auswahlkonferenzen werden benannt und abgeglichen. Der Uniqueness Dialogue unterstützt die Eigenregie der Kandidaten.

Kompetenzmanagement und Beurteilungsverfahren

Es gibt keine Standard-, sondern nur einzigartige Kompetenzen, die von jedem Manager selbst erkannt und formuliert werden – Coaching- und IT-gestützt. Statt einer Beurteilung von außen gibt es regelmäßige Uniqueness Dialogues.

Der persönliche Erfolgscode Manager müssen auch selbst auf ihr Talent, auf individuelle Erfolge und die persönlichen Voraussetzungen und Eigenschaften, die zu diesen Erfolgen beigetragen haben, hinweisen. Ein Praxisbeispiel für einen solchen Hinweis wäre: „Dieser Vertragsabschluss ist in einem schwierigen politischen Umfeld zustande gekommen. Mein diplomatisches Können war gefordert, auch um sich gegen drei andere hochkarätige Mitbewerber um den Auftrag durchzusetzen. Mir ist das gelungen, weil ich von Anfang an glaubwürdig in meinen Aussagen war, keinen Druck aufgebaut habe und stets diskret blieb. Ich habe die Ruhe bewahrt, weil ich in www. hu ma n re so u rce s ma n age r. d e


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schwierigen Verhandlungssituationen zur diplomatischen Hochform auflaufe. Wenn es gar nicht möglich ist, Druck aufzubauen, und die andere Seite alle Trümpfe in der Hand hat, dann ist das mein Moment und ich komme zu Verhandlungsabschlüssen. Diese drei Verhandlungsjahre haben sich für diesen Millionenauftrag gelohnt.“ Die Formulierung der eigenen Marke, also wie diese Person über sich systematisch sprechen kann, ist in diesem Fall: „Smooth Negotiations for Great Results“. Ein anderes Markenmotto könnte „Multiple Resource Turnaround“ heißen: „Bereits nach zwei Jahren waren wir wieder in der Gewinnzone – geplant hatten wir dafür mehr als drei Jahre. Die internen Voraussetzungen und das externe Umfeld waren äußerst schwierig. Wir haben in Workshops mit allen Verantwortlichen verschiedene kleine, aber äußerst wirksame neue Geschäftsideen entwickelt, die unser Kerngeschäft ergänzen. So hat sich auch unser Kerngeschäft schlagartig erholt. Mir war es wichtig, auf das Können der Menschen zu setzen. Das hat sich direkt ausgezahlt.“ Die Besten müssen ermutigt werden, sich in ihrer Größe zu zeigen, denn sie dienen auch als Vorbilder. Doch das Herausragen wird auch von persönlichen Widerständen und

Ängsten behindert: von unangemessener Bescheidenheit, der Befürchtung, nicht mehr ins Team zu passen, bis hin zur Sorge, die Bodenhaftung zu verlieren. Nicht nur Hochbegabte stellen sich oft dümmer als sie sind. Dabei wünschen sich die meisten Menschen, in ihrer Einzigartigkeit gesehen zu werden. Denn erst dann fühlen sie sich anerkannt, werden sicher und lernen, auch die Größe anderer zu erkennen. An diesem Punkt werden Höchstleistungen automatisch erreicht und weitere können folgen. Dann entsteht etwas, das Kritik und Beurteilung systematisch verhindert: Strahlkraft – des Individuums und des Unternehmens.

Dorothea Assig und Dorothee Echter beraten seit über zwei Jahrzehnten Führungskräfte und Topmanager weltweit. Ihr neues Buch „Freiheit für Manager. Wie Kontrollwahn den Unternehmenserfolg verhindert“ ist kürzlich im Campus Verlag erschienen.

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