Magazin Human Resources Manager 6/2015

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Editorial

Nehmt sie ernst!

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e des Unternehmen hat eine Kultur. Auch wenn niemand daran arbeitet, sie in keinem Strategiepapier erwähnt wird, sie in keinen Überlegungen eine Rolle spielt – sie ist da. Und sie zeigt sich überall: in der Art, wie Mitarbeiter miteinander sprechen, wie sie E-Mails schreiben, wie Projekte angegangen oder Entscheidungen im Unternehmen getroffen werden, all das hat mit Kultur zu tun. Und wenn sie stark ist, kann sie zum Beispiel der entscheidende Grund sein, warum sich ein Talent für einen Arbeitgeber entscheidet, und entschlossen bekennt: „I love you, too.“ Im besten Falle ist ein solches Bekenntnis nämlich die Antwort auf die Liebeserklärung des Unternehmens: „Hello, I love you“ – der Satz, der auf dem Cover unserer letzten Ausgabe stand zum Thema Marken. Im Oktober 2013 schickte der CEO von Airbnb, Brian Chesky, eine E-Mail an seine Mitarbeiter, in der er ankündigte, dass das nächste Team-Meeting „zentrale Werte“ als Thema haben werde. Die Überschrift der E-Mail lautete: „Don’t fuck up the culture“. Die Mail ist ein Plädoyer gewesen, Unternehmenskultur wichtig zu nehmen, weil sie das Fundament einer Firma ist. Und eine starke Kultur, so schreibt Chesky, sei der Nährboden für Innovationen. „Je stärker die Kultur, desto weniger festgeschriebene Geschäftsprozesse braucht ein Unternehmen. Wenn die Kultur stark ist, dann kann man jedem vertrauen, dass er das Richtige tut. Menschen können unabhängig und d ezem ber 20 1 5 /  januar 2016

autonom sein. Sie können Entrepreneure sein. Und wenn wir ein Unternehmen sind, in dem man wie ein Entrepreneur denkt und handelt, dann werden wir in der Lage sein, Bahnbrechendes zu schaffen.“ Unternehmenskultur galt lange Zeit als weiches Thema, um das man sich kümmern kann, aber nicht muss – ein „nice to have“. Doch das ändert sich. Schon in den 90er Jahren konnten die Harvard-Professoren John Kotter und Jim Heskett zeigen, dass Firmen mit einer stark ausgeprägten Kultur auch überdurchschnittliche Gewinne erzielen. Die vielen deutschen Manager, die nun an die amerikanische Westküste pilgern, um von Google und Co. zu lernen, wollen nicht wissen, wie man Algorithmen schreibt, sondern wie Innovationen heutzutage gelingen. In dem Buch „Silicon Valley“ von Christoph Keese, Manager bei Axel Springer, kann man nachlesen, dass manches Rezept zumindest nicht schwierig klingt: „Alle Firmen, die ich besuche, legen Wert auf Dichte. Physische Nähe, glauben sie, ist so wichtig wie die Abwesenheit allzu strenger Regeln. Räumliche Distanz behindert Kreativität, ebenso wie steifer gesellschaftlicher Umgang oder soziale Konventionen.“ Menschen brauchen Freiraum, sie sollten Vertrauen spüren und in Netzwerken denken und handeln. Eine solche Kultur ist die Basis für wirtschaftlichen Erfolg.

Jan C. Weilbacher Chefredakteur jan.weilbacher@humanresourcesmanager.de

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In dieser Ausgabe

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Meinung 3 Editorial 8 Kolumne: Home Office Jan C. Weilbacher über Inspiration aus dem Beruflichen für das Private 10 Zahlen und Zitate 13 Standpunkt Für mehr „Wir“ und weniger „Ich“ 14 Deutsche Manager im Ausland Simon Zuckschwerdt ist für die Metro Group in Prag 16 Zu viel Nebel Mitarbeiter- und Unternehmensführung brauchen mehr Klarheit 18 Scheitern vorprogrammiert Warum Agilität zuerst einmal ein Umdenken erfordert

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Gleich und gleich Bloß nicht den Cultural Fit im Recruiting vernachlässigen 51 Talk to me Beim Feedback ist die Zielsetzung entscheidender als die Instrumente 55 Von oben verordnet Vorstände sind Vorbilder – im Schlechten wie im Guten 58 Meinungsfreiheit Google will sich seinen Startup-Cha rakter bewahren. Hannah Whitney-Steele erklärt, wie das gehen soll 60 Epilog

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Es lohnt sich Die Wirkung von Beteiligungsprogrammen für Mitarbeiter lässt sich wissenschaftlich belegen Zwischen den Stühlen Wie Mittelmanager eine Schlüsselrolle einnehmen können

Praxis 88 Bücher Lesenswertes rund um HR 90 Sieben Gedanken Stressreduktion 91 Meine digitale Welt Katrin Adt liest Magazine digital und analog parallel 92 Termine

Im Fokus Titelthema: Kultur 21 Übersicht 25 Prolog 26 Lieber flexibel als stark Organisationspsychologin Sonja Sackmann über das Verständnis und den Wandel von Kultur 28 Karriere einer Idee Unternehmenskultur ist längst kein Exotenthema mehr 32 Alles wird sich ändern Wenn Unternehmen auf mehr Eigenverantwortung setzen 36 Die Denkmaschine Wie Design Thinking HR wieder zu mehr Gewicht im Wandel verhilft 41 Abliefern Freenet-CEO Christoph Vilanek über seinen Führungsstil und den Unterschied zwischen Kultur und DNA 44 Die Boni-Revolution Warum Bosch seine variable Vergütung umgekrempelt hat

Recht 62 66

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Die Häppchenwirtschaft Wie ein Heer von Freelancern die Arbeitswelt prägen wird Digitale Marktschreier E-Commerce-Manager sind gefragt, das Berufsfeld jedoch noch mitten in der Professionalisierung Treiber der Agilität Kai Anderson im Gespräch über Wandlungsfähigkeit, Dynamik und die Rolle von HR

Menschen 74

Aus Überzeugung digital Harald Schirmer lebt die Digitalisierung wie kaum ein anderer. Der Continental-Manager im Porträt

Analyse 78

Mehr Datendichte bitte Vielen HR-Abteilungen fehlt es an belastbaren personalrelevanten Daten. Das muss sich ändern

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Den Krankenstand senken Wie Unternehmen mit langzeiterkrankten Mitarbeitern umgehen sollten 95 Impressum 98 Aktuelle Urteile Verband 100 Digital ist besser Das Kick-off-Meeting der Arbeitsgruppe „Personalmanagement 4.0“ 102 Stimmungsbild Wie es um die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen bestellt ist 104 Sechs Beispiele Hochqualifizierte Flüchtlinge und die Initiative Mygrade 105 Aktuelles Neues aus den Regional- und Fachgruppen 108 CEB Insights High Potentials fördern und Risiken senken

110 Fragebogen: Daniela Büchel, Rewe 6

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Fotos: Privat; Deutsche Börse/Simon Vogel (Porträt (S. Ergolowitch), Porträt (T. Djardjadze), Substrat 16 I, Substrat 16 II von Thomas Ruff und Villa Malaparte 1, Villa Malaparte 2 von Günther Förg) 1990/1998,Günther Förg)

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Künstlerisches In unserer Titelstrecke befassen wir uns dieses Mal mit der Unternehmenskultur. Und da Kultur selten ohne Kunst genannt wird, haben wir für unsere Bilderserie zum Schwerpunkt einige Unternehmen und Organisationen besucht und uns ihre ausgestellten Kunstwerke angeschaut. Unter anderem ist die Deutsche Börse dabei. Auf den weißen Präsentationsflächen ist ein Teil der Art Collection Deutsche Börse mit Werken von Thomas Ruff und Günther Förg zu sehen.

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meinung

Agilität ohne Jojo-Effekt Die meisten Diäten scheitern. Das gilt auch für die Mehrheit der Vorhaben, die sich Agilität zum Ziel setzen. Dabei will doch heute gerne jeder agil sein. Vielen ist jedoch nicht klar: Zuerst braucht es die richtige Geisteshaltung. Von André Häusling und Martin Kahl

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eben Sie’s zu, Sie haben es auch schon probiert. Trennkost, FdH, Atkins, Weight Watchers, Brigitte, Imakeyousexy.com. Irgendeine der unzähligen Diäten, die ein gesünderes, schlankeres, besseres Dasein versprechen. Und Hand aufs Herz: Sie haben es nicht durchgehalten. Der innere Schweinehund war stärker. Es hat sich zeitlich nicht ergeben. Der Job war zu stressig, als dass es möglich gewesen wäre, jetzt auch noch die Ernährung umzustellen und Sport zu machen. Ich kann Sie beruhigen. Sie sind nicht allein damit. Vielen Unternehmen geht es exakt genauso wie Ihnen. Unternehmen? Ja! Zwar müssen diese nicht an ihrer Bikini-Figur arbeiten oder wollen endlich wieder in die alte Lieblingsjeans passen, aber auch Unternehmen sehen die Notwendigkeit, etwas an sich ändern zu müssen. Ihr Weight-Watchers-Programm nennt sich dabei „Agilität“. Und wie es mit Diäten nun mal so ist, scheitern die meisten. So ein Change-Vorhaben ist genau wie eine Diät von der Grundidee her erst einmal positiv, schließlich ist der Wille zur Veränderung des eigenen Zustands hin zu mehr Gesundheit (Diät), Anpassungsfähigkeit (Agilität) sowie Wohlbefinden und Beweglichkeit (in beiden Fällen) in erster Linie eins: lo-

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benswert. Doch genau wie nicht jede Diät für jeden Menschen gleichermaßen das geeignete Mittel zum Abnehmen ist, ist auch Agilität keineswegs ein neues Allheilmittel für anpassungsfähigere Unternehmen. So hängt es letztlich immer auch von den individuellen Voraussetzungen ab, welches Erfolgsrezept am vielversprechendsten und welches Ziel am Ende auch realistisch und in absehbarer Zeit erreichbar ist. Genauso wie es für Menschen mit einem Startgewicht von 130 Kilogramm schwierig werden dürfte, in kurzer Zeit wieder unter die 100-Kilogramm-Marke zu rutschen, ist es für jene Unternehmen mit starren Hierarchien und

„Agile Veränderung ist ein längerer Prozess, der mit Schmerzen für einige Beteiligte verbunden sein kann.“

einer klassisch hierarchisch geprägten Unternehmensstruktur schwierig, auf die Schnelle zum agilen Unternehmen zu werden. Vielmehr geht es darum, realistische Ziele zu definieren, die tatsächlich auch erreichbar sind, einen aber trotzdem auf ein höheres Level heben.

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meinung

Agilität als Trendthema Der Diätmarkt ist von Trends geprägt. Jede Saison aufs Neue präsentieren Brigitte & Co. die Neuigkeiten im Abnehm-Genre. Bei Agilität könnte man gleichermaßen von einem Trend sprechen, wenn man sich mal umsieht, was bereits alles als Ausdruck von Agilität gesehen wird und wer von sich momentan behauptet, agile Wege zu gehen. So begegnen uns immer wieder Unternehmen, die sich sehr schnell von – teils durchaus für das Unternehmen sinnstiftenden – Strukturen verabschieden, dem Chaos-Prinzip dann Raum zur Entfaltung lassen und dies dann als agil bezeichnen. Andere hören von Scrum, hängen ein Task-Board im Büro auf und etablieren monatliche Team-Meetings – und zack, sind sie agil. Wieder andere vermeiden bewusst (schmerzhafte) klare Entscheidungen, lassen einfach laufen und empfinden das dann auf einmal als agil. Gemein ist hier den meisten, und auch da liegt eine Parallele zu Diäten, dass Knall auf Fall angefangen wird, etwas zu verändern, allerdings ohne genauen Plan oder Betrachtung der nötigen

Fotos: Privat (2); www.thinkstock.com

Einschnitte. Zwar werden agile Methoden bevorzugt da eingesetzt, wo Produkte iterativ entwickelt werden, also finale Zustände am Anfang noch nicht absehbar sind. Das bedeutet allerdings nicht, dass Planung komplett entfällt, weder bei der Anwendung agiler Methoden noch bei der Vorbereitung einer agilen Transformation. Davon abgesehen dürfte es leichter fallen, die Veränderung tatsächlich durchzustehen, wenn mögliche Konsequenzen bereits am Anfang bekannt sind.

Konsequenz vonnöten Apropos Konsequenzen: Agile Veränderungsprozesse sind, genauso wie Diäten, in der Regel nur dann erfolgreich, wenn sie mit der nötigen Konsequenz durchgezogen werden. Sie können zwar Süßigkeiten und Chips von Ihrem Speiseplan streichen, es hilft dann aber nichts, wenn Sie trotzdem d ezem ber 20 1 5 / januar 2016

täglich zu McDonald’s gehen, auch wenn es hier jetzt Bio-Fleisch gibt und Sie das Fastfood-Restaurant selbst im Sinne des bestmöglichen Selbstbetrugs als „Gasthaus zum Goldenen Bogen“ betiteln. „Sugar-Coating“ hilft niemandem. Auch Agilität lässt sich nur dauerhaft erfolgreich umsetzen, wenn diese mit Konsequenz, Ehrlichkeit und in allen relevanten Bereichen umgesetzt und gelebt wird. Auch was die Disziplin und das Durchhaltevermögen angeht, lassen sich bei abnehmwilligen Menschen und veränderungswilligen Unternehmen ähnliche Verhaltensmuster beobachten. So ist der Anfang stets von Euphorie geprägt, die ersten Erfolge sind in der Regel schnell sichtbar und bescheinigen einem, auf dem rechten Weg zu sein. Mit der Zeit weicht dieses gute Gefühl jedoch der Ernüchterung. Es funktioniert doch nicht alles so glatt, wie man es sich am Anfang vorgestellt hat. Man hat mit Widerständen zu kämpfen und Erfolge wollen sich auch nicht mehr so recht einstellen. Dies führt in vielen Fällen dann nur zu einem: dem Abbruch. Agile Veränderung ist aber in der Regel ein längerer Prozess, der bisweilen auch mit Schmerzen für einige kann. Dies Beteiligte verbunden sein sollte den Beteiligten von Beginn an klar sein, um

festgehalten sind) verstanden und verinnerlicht zu haben und auch überzeugt von ihnen zu sein, um diese auch erfolgreich umzusetzen und leben zu können. Darüber hinaus benötigen Sie Menschen, die dies auch tun. Sie werden keinen agilen Transformationsprozess erfolgreich zu Ende bringen können, wenn Sie nicht bereits über Menschen verfügen, die in der Lage sind, agil zu denken. Es gilt: Agile Menschen schaffen agile Organisationen, nicht umgekehrt. Und nur mit Überzeugung ist dieser Prozess auch auf allen sechs Unternehmensdimensionen (Strategie, Struktur, Prozesse, Führung, Personalinstrumente und Kultur) erfolgreich zu bewältigen. Dann allerdings gelingt auch die Diät, die Sie auch in fünf Jahren und noch länger glücklich macht.

André Häusling Er ist Gründer der HR Pioneers GmbH, die spezialisiert ist auf agile Personal- und Organisationsentwicklung. Außerdem ist er Initiator der Agile HR Conference und zählt seit diesem Jahr zu den 40 führenden Köpfen des Personalwesens.

Martin Kahl Er entwickelt bei HR Pioneers innovative Instrumente für die agile Personal- und Organisationsentwicklung. Außerdem schreibt er zu agilen Personal- und Managementthemen.

besser auf die möglichen Rückschläge vorbereitet zu sein und den Prozess erfolgreich zu bewältigen. Dieser Prozess beginnt nämlich, und auch hier bietet sich ein Vergleich zu Diäten an, zuallererst im Kopf der Betroffenen. Hier muss es Klick machen, die Überzeugung muss da sein. Agilität ist zunächst und in erster Linie eine Geisteshaltung. Es ist wichtig, die Grundsätze der Agilität (beispielsweise jene, die im „Agilen Manifest“ 19


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Kultur ist mehr als ein Projekt Dass Unternehmen heutzutage ein neues Kulturverständnis brauchen, merkt HR am ehesten, wenn Bewerber ausbleiben oder Mitarbeiter abwandern. Personaler sollten den Change mitgestalten. Denn Führungskräfte merken oft nicht, dass sie etwas an ihrem Verhalten ändern sollten.

Kultur ist tief, breit und stabil, postulierte der Management-Vordenker Edgar H. Schein in den Neunzigerjahren. Die renommierte deutsche Organisationspsychologin Sonja Sackmann sieht das anders: Heutzutage bräuchten wir eher eine flexible statt eine starke Kultur. Ein Interview über Verständnis, Erfassung und Wandel von Kultur. Frau Sackmann, Edgar H. Schein beklagte 1999 in „Organisationskultur“, dass Unternehmen ihre eigene Kultur als beliebiges Management-Tool abtun. Er begründete sein Forschen auf dieser Empörung. Hat er heute noch Grund, sich zu ärgern? In den 1930ern gab es bereits Hinweise auf weiche Faktoren wie Organisationskultur. Sie wurde jedoch bis Ende der Siebziger nicht an sich problematisiert. Man hatte einen sehr mechanistischen Zugang zu Unternehmen und ihrer Kultur. Viele Manager dachten, innerhalb einer Woche eine solche etablieren zu können. Erst in den Achtzigern wurde erkannt, dass es neben Controlling und Produktion auch noch Menschen gibt, die berücksichtigt werden sollten. Und die häufig gescheiterten Reingeneering-Projekte in den Neunzigern zeigten, dass Organisationen keine Maschinen sind. Es hat sich einiges getan.

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Es gibt diverse Auslegungen des Kulturbegriffs. Sie sind Vertreterin des integrativen Ansatzes, der das funktionalistische und deterministische Kulturverständnis vereint. Was genau bedeutet das? Aus funktionalistischer Perspektive haben Organisationen eine Kultur. Der deterministische Ansatz impliziert, eine Kultur sei besser als eine andere. Aus meiner Sicht ist Kultur jedoch relativ, je nachdem in welchem Umfeld man sich bewähren will. Für mich sind Unternehmen Kulturen. In ihrer täglichen Interaktion schaffen Menschen ihre Organisationsrealität, darin werden dann Bedeutungsinhalte wie Qualität oder Vertrauen verhandelt. Nach einer gewissen Zeit haben Unternehmen Kulturmanifestationen geschaffen. Um Kultur jedoch zu begreifen, muss man das kollektive Mindset verstehen. Diese sichtbaren Manifestationen sind in Edgar Scheins Drei-Ebenen-Modell die Artefakte. Die beiden weiteren Ebenen unausgesprochene Annahmen und öffentlich propagierte Werte – die wesentlichen Bestandteile der Kultur – sind jedoch unsichtbar. Wie kann man sie dechiffrieren? In früheren Studien wurde häufig der Vorstand interviewt und was er sagte als Kultur hingenommen. Wissenschaftlich fundierter ist es, Daten über alle Ebenen hinweg zu erheben. Erschwerend kommt hinzu, dass es über 160 Definitionen von Kultur gibt. So weit lässt sich jedoch zusammenfassen: Kultur umfasst die grundlegenden Überzeugungen einer Gruppe, die das Denken, Fühlen und Handeln der Mitglieder beeinflussen und insgesamt typisch für sie sind. Je größer eine Organisation ist – und da hat sich Edgar Schein später revidiert – desto mehr Subkulturen entstehen. Es gibt also häufig keine einheitliche Kultur, die es zu messen gilt. Auch der Wunsch „Wir brauchen eine starke Kultur“, kann in einer dynamischen Unternehmensumwelt hinderlich sein. Edgar Schein fand nicht, dass Kultur ein Gruppenphänomen sei? Er sagte in seiner ersten Publikation, Kultur sei homogen. Später gestand er zu, es gebe eine sogenannte Umbrella Culture, die über den verschiedenen Subkulturen besteht. Je häufiger Gruppenmitglieder interagieren und sich von anderen abgrenzen, desto eher entsteht eine Subkultur. So können Abteilungen und Hierarchieebenen ein Eigenleben entwickeln. Aber auch zwischen alten und jungen Mitarbeitern oder durch unterschiedliche Professionen können Subkulturen entstehen.

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Und die Umbrella Culture hält sie als kleinster gemeinsamer Nenner zusammen? Nicht unbedingt, sie können sich auch untereinander bekämpfen. Eine Führungskraft muss regelmäßig prüfen, ob es genügend Verbindungen zwischen den Subkulturen gibt. Voneinander unabhängige Geschäftsbereiche brauchen jedoch nicht unbedingt Welchen Unternehmen gelingt das besonders gut? Berührungspunkte. Firmen, denen ihre Kultur wichtig ist, brauchen keine TransforWenn Personaler im Recruiting-Prozess den Cultural Fit prüfen, solmation, sondern versuchen durch rechtzeitige Anpassung Kullen sie in den jeweiligen Subkulturen oder an die Umbrella Culture turabdriftungen zu verhindern. Sie sind lernende Organisationen. Um die Kultur zu hinterfragen hilft eine Mitarbeiterbefragung? denken? Ja, aber auch tiefergehende Kulturbefragungen. Effektiv ist eine Man sollte integrativ denken: Was brauche ich für die Umsetzung Kombination von Beobachtung und Befragung bei unterschiedder Strategie? Für eine innovative Kultur braucht man lernwillige lichen Zielgruppen – schriftlich und mündlich. Für das Leben Bewerber. Wenn man viele innovative Leute eingestellt hat, muss auch jemand rekrutiert werden, der zwar zur Kultur passt, aber einer Kultur ist ein Vorgesetzten- beziehungsweise 270- oder auch dafür sorgt, dass diese Mitarbeiter nicht nur ihr eigenes Ding 360-Grad-Feedback hilfreich. Da Führungskräfte Vorbilder sind, machen. sollten sie sich auch an den FührungsUnternehmenswerte wirken recht ausgrundsätzen messen lassen. tauschbar. Leistung, Verantwortung, TransWas ist Ihrer Meinung nach das größte Missparenz, Nachhaltigkeit – was sagen sie tatverständnis, wenn man von Kultur spricht? Es gibt immer noch die Auffassung: Ab heusächlich über die Kultur aus? Diese häufig gleichen Worthülsen werden te machen wir Kultur. Aber Kultur ist kein auf unterschiedliche Weise gelebt. Viele Projekt, sie ist ein Prozess, der Beachtung erfordert. Zudem sind speziell bei älteren Mitarbeiter wissen beispielsweise nicht, was mit „Qualität“ oder „ServiceorientieUnternehmen flexiblere und keine starken rung“ gemeint ist. So etwas Abstraktes muss Kulturen wichtig. erklärt, diskutiert und vorgelebt werden. Wer ist da in der Pflicht? Wenn sich die Umgebung verändert, werden HRler merken am ehesten, dass ein Wandel funktionierende kulturelle Annahmen häunotwendig ist, wenn sie keine qualifizierten fig dysfunktional. Sollten Unternehmen ihre Bewerber mehr gewinnen. Und von den Werte dann ändern? Die deutsche OrganisationspsyMitarbeitern erfahren sie, wo es brennt. Es Es gibt Situationen wie Marktstagnation, chologin ist seit 1993 Professorin gibt nämlich wenige Führungskräfte, die redas Eingehen einer strategischen Allianz alisieren, dass sie etwas an ihrem Verhalten für Arbeits- und Organisationsoder einen Wechsel an der Spitze, da müspsychologie an der Fakultät für ändern sollten. sen die Bedeutungsinhalte der Werte disWirtschafts- und OrganisationsDabei prägen sie die Kultur am meisten. kutiert werden. Die dahinter liegenden wissenschaften der Universität der Ja, will man in einem Unternehmen überÜberzeugungen können häufig bleiben. Bundeswehr München. Sie erhielt leben, schaut man zum Vorgesetzten und ihren Ph.D. in Management von fragt sich, was muss ich für diesen MenWie lässt sich solch ein Kulturwandel steuschen tun, um als guter Mitarbeiter zu gelder Graduate School of Manageern? Man muss vorab überlegen: Was davon will ment und ihr Diplom in Psycholoten? Dann wird dessen Verhalten kopiert. ich erhalten, was verändern? Häufig erleFührungskräfte sollten kultursensibel sein gie von der Universität Heidelberg. be ich, dass Organisationen lange keine Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in und dabei vom Personalbereich unterstützt den Bereichen Führung, Unternehwerden; beispielsweise bei der Selektion der Kulturarbeit leisteten und dann alles auf einmal ändern wollen. Oft reichen jedoch Kandidaten, der Beratung zur Einstellung, menskultur, Change Management, dem Entgeltsystem oder der Durchführung Organisationsentwicklung, Persohomöopathische Dosen aus, um etwas zu nal- und interkulturelles Managedes Mitarbeitergesprächs. HR sollte außerbewegen. Meinen Sie die vierte Ebene „Regeln und ment. dem darauf achten, dass die vorhandenen Normen“, um die Sie Scheins Modell ergänzt Instrumente in ihrem ursprünglichen Sinne haben? genutzt werden. Häufig werden diese nach Zwischen all den sichtbaren Artefakten steleinigen Jahren nur noch im Sinne des Ablen Regeln und Normen ein Konzentrat von Verhaltensnormen dar: hakens eingesetzt – dann kann man sie auch weglassen. zum Beispiel, dass sich im Unternehmen gesiezt wird. Das ist eine HRler sollten sich also auf die Grundlagen besinnen? unausgesprochene Norm. Ein Change-Grundsatz ist, dass man Ja, es gibt momentan oberflächliche Publikationen, die Unterzu Beginn etwas Sichtbares mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit nehmenskultur instrumentalisieren. HR sollte sich jedoch auf die ändert, um Zauderer zu gewinnen. Um beispielsweise Flexibilität grundlegenden Bedeutungsinhalte besinnen und ihre Instrumente zu leben, kann man reservierte Parkplätze abschaffen. Danach genau auf sie abstimmen. Und am wichtigsten bleibt, wie die Kultur muss man tiefergehend Dinge gleichzeitig auf mehreren Ebenen tagtäglich vorgelebt wird. Das Interview führte Jeanne Wellnitz angehen.

Foto: Privat

Sonja Sackmann

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Von Christoph Athanas

Leute mit Überzeugungen an Bord holen Wer das Thema Unternehmenskultur nicht schon beim Employer Branding und Recruiting auf dem Schirm hat, verschenkt Chancen. Richtig gemacht, ist der Cultural Fit im Recruiting der passende Einstiegspunkt – mit mehrfachem Nutzen.

Eine wirksame Arbeitgebermarke muss attraktiv, glaubwürdig und unterscheidbar sein. Gerade für die beiden letztgenannten Kriterien braucht es eine Auseinandersetzung mit der eigenen Unternehmenskultur und deren Abgrenzung von Wettbewerbern. Das Thema Arbeitgebermarke gilt als eines der Trendthemen der vergangenen Jahre. Man sollte annehmen, dass über dieses Vehikel die meisten Unternehmen einen praktischen Zugang zum Aktionsfeld Unternehmenskultur im Hinblick auf ihre Talentstrategien hätten bekommen können. Dem ist leider oft nicht so. Konzerne können zwar meist definierte Arbeitgebermarken vorweisen, diese aber sind eher wenig auf wirklich differenzierenden Kulturmerkmalen aufgebaut. Häufig treten Werte zugunsten von wohlklingenden aber letztlich inhaltsleeren Begriffen wie „Leidenschaft“ oder „Karrierechancen“ in den Hintergrund. Noch kritischer ist die Lage bei mittelständischen Arbeitgebern: Wie die Studie Mittelstandskommunikation 2015 aufgezeigt hat, haben nur rund 25 Prozent dieser Unternehmen eine Strategie zum Employer Branding. Dabei ist eine wirklich auf der unternehmensindividuellen Kultur und ihren gelebten Werten basierende Arbeitgebermarke die Chance zur Differenzierung im Fachkräfte-Wettbewerb. Besser noch: Nicht nur in der Personalgewinnung, sondern auch in der Mitarbeiterbindung, einem der Top-Themen vieler Arbeitgeber, ist Kultur ein veritabler Talent-Klebstoff, der langfristig wirksamer ist als alle Compensation- and Benefits-Pakete.

Unternehmenskultur in der Personalgewinnung nutzbar machen Ein geflügeltes Wort aus der Headhunting-Szene lautet: „Wer wegen Geld kommt, geht wegen Geld.“ Diese Söldnermentalität und ihre Folgen sind bekannt. Wertebasiertes Vorgehen hingegen sieht anders aus: Clevere Unternehmen suchen Überzeugungstäter. Doch dazu muss man sich zunächst die eigenen Überzeugungen bewusst machen, die eigene Kultur erfahren, so sie erlebbar

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Foto S.46/47: Laurin Schmid

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rei nach Managementguru Peter Drucker würde die Kultur jede Strategie wahlweise zum Frühstück oder Mittag verspeisen. Dass Unternehmenskultur demnach ausgesprochen wichtig ist, hat sich herumgesprochen. Druckers Aussage kennen viele. Doch das Asset „Kultur“ wirklich aktiv zu nutzen, ist immer noch nicht selbstverständlich. Unternehmenskultur klingt vielen Managern zu abstrakt, zu weich. Hier tut sich ein großer Irrtum auf. Dieses Jahr hat Glassdoor Economic Research Zahlen vorgelegt, wonach Unternehmen mittels positiv gestalteten Unternehmenskulturen besonders viele zufriedene Mitarbeiter hervorbringen, die gleichermaßen auch noch besonders produktive Mitarbeiter sind. Diese Umstände zahlen klar auf den finanziellen Unternehmenserfolg ein. Die Glassdoor-Analyse, die den Zeitraum 2009 bis 2014 betrachtet, konnte den Return on Invest (ROI) der Kultur genauso bestätigen wie Jim Collins Anfang des Jahrtausends in seinem Buch „Build to Last“. Es gibt also genug belastbare Fakten dafür, dass Unternehmenskultur sich auszahlt und kein Softie-Thema ist. Unternehmen sind aufgefordert dieses Wissen in ihre Praxis zu transferieren, beginnend beim Employer Branding und Recruiting.

Differenzierungsvorteil und Bindungschance


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wird, und dann konsequent danach handeln. Das Beispiel von Zappos ist hierfür legendär: Die US-Firma bietet neuen Mitarbeitern im ersten Jahr 2.000 Dollar, wenn diese das Unternehmen aus eigenem Antrieb wieder verlassen. So wird letztlich das Bekenntnis zu Arbeitgeber und Kultur gefördert. Ergebnis: Überzeugungstäter unter sich. Möchte man als Arbeitgeber ohne solche Offerten auskommen, ist der Cultural Fit, die Überprüfung der unternehmenskulturellen Passung von Bewerbern, bereits im Rekrutierungsverfahren ein wichtiges Thema. Mit einem guten Cultural Fit ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass bei Mitarbeitern die Bindung ans Unternehmen besser gelingt und auch die Leistungen der betreffenden Mitarbeiter im Durchschnitt besser sind. Dies besagt unter anderem eine Metastudie zum Thema, die schon 2005 in der amerikanischen Personnel Psychology vorgelegt wurde. Es lohnt sich also, bereits im Recruiting das Thema Kultur aktiv anzugehen.

Foto: Privat

Den Cultural Fit definieren und nutzen Der Cultural Fit kann eine sehr praktische Nutzbarmachung von Unternehmenskultur in der Personalgewinnung sein. In der Personalauswahl ist er eine wichtige Zusatzinformation neben dem fachlichen Fit („Know-how“) und dem persönlichen Jobfit („Skills“) einer Person. Was genau der Cultural Fit beschreibt, ist im Kontext Recruiting erfolgskritisch. Vorstellungen von kultureller Passung durch ähnliche Freizeitinteressen zwischen Mitarbeitern und Bewerber oder das Liken ähnlicher Seiten bei zum Beispiel Facebook greifen zu kurz und sind kein belastbarer Cultural Fit für Arbeitgeber. Ebenso führt es zu Wildwuchs und unterschiedlichen Auslegungen, wenn das Thema zwar auf der Recruiting-Agenda steht, es aber jedem Recruiter mehr oder weniger selbst überlassen wird, kulturelle Passung von Bewerbern einzuschätzen. Wer die Frage nach dem kulturellen Bewerber-Matching ernsthaft und nutzbringend beantworten möchte, wird um eine solide ausgearbeitete Definition nicht herumkommen. Eine seriöse Cultural-Fit-Positionierung ist ein einmaliger Aufwand mit langfristigem Nutzen. Um einen schlagkräftigen Cultural Fit zu definieren, braucht es den richtigen Zugang zum Thema Unternehmenskultur. Folgt man hierfür der am meisten akzeptierten Beschreibung von Unternehmenskultur, dem Kulturebenen-Modell von Edgar Schein, gibt es zwei Ebenen, über die Unternehmenskultur bewusst geprägt und erlebt wird und eine dritte, unbewusste, nicht zugängliche Ebene. Anhand der beiden zugänglichen Ebenen kann die Kultur dargestellt und die Passung hierzu mit entsprechenden Mitteln aufgearbeitet werden. Die erste dieser Ebenen beschreibt die an der Oberfläche liegenden, sichtbaren Verhaltensweisen und Rituale

einer Organisation, zum Beispiel das Kommunikationsverhalten unter Mitarbeitern. Die zweite, tiefer liegende, uns aber noch bewusst zugängliche Ebene bezeichnet die kollektive Wertelandschaft einer Organisation, die man in Begriffen wie beispielsweise Kollegialität oder Verlässlichkeit – inhaltlich verkürzt – beschreiben kann. In der Konsequenz muss der spezifische Cultural Fit sich daher sowohl mit organisationstypischen, kollektiven Verhaltensweisen („so wie wir die Dinge hier tun“), wie auch deren tieferer Begründung, den gelebten Leitwerten der Organisation, beschäftigen. Der Schwerpunkt des Cultural-Fit-Interesses sollte dabei deutlich auf der Werteebene liegen, da hier ein Umlernen für Neueinstellungen deutlich schwerer bis unmöglich ist, im Gegensatz zur eher flexiblen Verhaltensebene. Ist die kulturelle Bestandsaufnahme abgeschlossen, gilt es, diese Erkenntnisse in die eigenen Auswahlprozesse einzubinden. Dabei können oben beschriebene Werte- und Verhaltensebenen des Cultural Fit je nach genutzten Verfahren entweder gemeinsam oder einzeln überprüft werden. Praktisch kann das über die Nutzung professioneller Cultural-Fit-Test-Tools erfolgen oder durch die Anpassung der Interviews, sowie der Beurteilungskriterien für Bewerbungsunterlagen. Hat ein Unternehmen beispielsweise als wichtigen kulturspezifischen Wert eine außergewöhnlich starke Leistungsorientierung identifiziert, kann die Haltung eines Bewerbers hierzu im Interview durch situative Fragen erforscht werden. Zusätzlich können Bewerber gebeten werden, die entsprechende Werte repräsentierende Handlungen in ein Ranking einzuordnen. Für die Vergleichbarkeit und das Herbeiführen des finalen Kandidaten-Matchings ist eine einheitliche Systematik hilfreich. Eine Methode hierzu ist die Verwendung von Wertelandkarten. Mit solch einer Methodik für den Cultural Fit sensibilisierte und organisierte Unternehmen lernen ihre Bewerber unter der Kulturund Werteperspektive kennen. Diese Informationen stellen wichtige Erkenntnisse darüber dar, welche Art von Bewerber das Unternehmen anzieht. So profitiert auch die Employer-Brand-Kommunikation vom Thema.

Christoph Athanas Er ist Geschäftsführer der meta HR Unternehmensberatung GmbH, die sich auf Beratung zur Recruiting-Optimierung und Arbeitgeberattraktivität spezialisiert hat. Zudem leitet er die laufende Cultural-Fit-Studie, deren Ergebnisse im Januar 2016 vorliegen werden.

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Im Fokus

Die Digitalisierung verändert das Arbeiten. In Zukunft wird neben dem, was wir heute Arbeit nennen, ein stetig wachsendes Heer von Freelancern seine Dienste anbieten. Dass Unternehmen darauf reagieren müssen, zeigt sich schon im Hier und Heute. Von Marvin Milatz

Von Häppchen zu Häppchen

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selbstständige Arbeit über das Internet. Die Plattform Airbnb macht Mieter und Wohnungseigentümer zu Hoteliers ihres eigenen Zuhauses, Uber macht sie zu privaten Taxiunternehmern – und bei DaWanda bieten Tausende Menschen Selbstgebasteltes an. So kann man nun tagsüber zum Beispiel als freier Grafikdesigner arbeiten und am Wochenende ins Auto steigen und seine Dienste als Uber-Fahrer anbieten. Das war früher nicht so einfach.

Grenzen verschwimmen Statt sich über ein Einkommen aus einem Vollzeitjob als Angestellter zu finanzieren, haben Menschen zunehmend die Möglichkeit, sich ihren Verdienst mit vielen kleinen Arbeitshäppchen zu verdienen. Die Arbeitswelt ändert sich, und darauf müssen sich auch Personalmanager einstellen. Arbeit wird sich „so stark verändern, dass wir www. hu ma n re so u rcesma n age r. d e

Illustrationen: www.thinkstock.com (2)

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as ein Gig ist, wussten bis vor kurzem nur Musiker und solche Menschen, die einst Musiker werden wollten: Ein einmaliger bezahlter Auftritt, Musik gegen Gage, ohne Sicherheit, dass eine Fortsetzung oder gar dauerhafte Anstellung daraus hervorgehen kann. Die Mehrheit der Menschen sucht immer noch nach dem Gegenteil eines solchen Auftritts: Nach einem festen Job, einem regelmäßigen Einkommen und einem Kontingent freier Tage pro Jahr. Nicht sie selbst wollen das finanzielle Risiko ihrer Arbeit tragen, sondern der Arbeitgeber soll das tun. Doch diese Einstellung ändert sich. In einigen Branchen schneller als in anderen. Aber es scheint ein generelles Um-

denken in der arbeitenden Bevölkerung stattzufinden: Immer mehr Menschen suchen nach Gigs – und zwar über das Internet. Bei dem Selbstständigen-Netzwerk Freelancer.com sind weltweit bereits über 13 Millionen Menschen registriert und warten darauf, dass sich ein Kunde mit einem Auftrag oder einer Anfrage meldet. Zwar hat es immer schon Einzelkämpfer-Selbstständige gegeben, Freelancer-Netzwerke und kleine Agenturen und Dienstleister. Aber nun können Einzelkämpfer ihre Dienste weltweit über Auftrags-Plattformen anbieten. Und sie können arbeiten, wo sie wollen – auch fern ihrer Kunden. Die Digitalisierung führt dazu, dass sich Menschen neue Zugänge zu Arbeit verschaffen. Auch als Nebenverdienst entdecken Menschen

„ Freelancer werden in Unternehmen eine wichtigere Rolle einnehmen als heute.“


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Mit dem steten Wachstum der Zahl der Freelancer, die ihre Dienste verschiedenen Kunden anbieten, werden in Unternehmen die Grenzen zwischen Angestellten und freien Mitarbeitern in Zukunft immer stärker verschwimmen. In diesem Urteil ist sich die Forschung einig. „Freelancer werden in Unternehmen eine wichtigere Rolle einnehmen als heute“, sagt Heike Bruch, Professorin am Institut für Führung und Personalmanagement (IFPM) der Schweizer Universität St. Gallen. Der Technik-Riese IBM ist ein Beispiel dafür, wie sich die Grenzen von Unternehmen auflösen. Im Jahr 2012 wollte das Unternehmen tausende Stellen abbauen, um die Angestellten mit freiberuflichen IT-Spezialisten zu ersetzen. Die Belegschaft war wenig amüsiert, der Konzern musste zurückrudern. Aber: In kleinerem Maßstab hat IBM den Plan dennoch umgesetzt: Heute betreibt das Unternehmen eine Plattform, auf der Mitarbeiter und Externe in einer digitalen Gemeinschaft zusammen an Projekten arbeiten können. Einzelne Arbeitsschritte werden dort ausgeschrieben, und interessierte IT-Experten können sich auf die Aufträge bewerben. sie kaum noch wiedererkennen werden.“ Zu diesem Schluss kam kürzlich der amerikanische Think Tank Roosevelt Institute in einer Prognose für den amerikanischen Arbeitsmarkt. Er soll im Jahr 2040 zum Großteil von Arbeitshäppchen bestimmt sein, statt von einer großen Zahl an Angestelltenverhältnissen. Die Berufslaufbahn vieler Menschen besteht dann „aus einer Ansammlung Tausender kurzfristiger Aufgaben, die über die eigene Lebenszeit verteilt sind.“ Für Unternehmen heißt das: Die Trennung zwischen Angestellten und freien Mitarbeitern verschwimmt immer stärker. Freelancer müssen in Zukunft viel intensiver als heute in die Prozesse der Unternehmen integriert sein. Statt Angestellte einzusetzen, werden Unternehmen ganze Projekt-Teams aus Freelancern zusammensetzen – je nach Bedarf. Natürlich werden Unternehmen auch weiterhin Angestellte beschäftigen. Nur werden diese vor allem damit zu tun haben, ein sich stets wandelndes Heer von Freien zu orchestrieren. So jedenfalls sieht der US-Think-Tank die Zukunft.

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Neue Unabhängigkeit Solche Prognosen muss man hinterfragen, schließlich kann niemand die Zukunft voraussagen. Fakt ist jedoch: Die Zahl der Selbstständigen und Freelancer wächst. In den USA nimmt die Anzahl der Selbstständigen sogar rasant zu. Im Mai 2015 gab es dort 15,5 Millionen Freelancer, ein Zuwachs von einer Million Menschen im Vergleich zum Vorjahr. Selbstständige machen bereits rund 34 Prozent der arbeitenden amerikanischen Bevölkerung aus. In Europa zeigt sich ein ähnliches Bild. Das ermittelte Patricia Leighton, Professorin für Sozialrecht an der Pariser IPAG Business School. Für ihre Studie „Future Working: The Rise of Europe’s Independent Professionals“ aus dem Jahr 2013 recherchierte sie die Zahl der Teilnehmer der Häppchen-Wirtschaft. Im Zeitraum von 2004 bis 2013 nahm die Zahl dieser Einzelkämpfer enorm zu. In den Niederlanden wuchs sie um 93 Prozent, in Frankreich um 85 Prozent. Deutschland liegt mit einem Wachstum von 43 Prozent im unteren Mittelfeld. Hier stieg die Zahl der Ein-Mann-Firmen von 6,2 auf 8,9 Millionen.

Die technische Entwicklung der vergangenen zehn Jahre habe Produktionsprozesse stark vereinfacht – und deshalb die Arbeit von Angestellten für Firmen weniger nötig gemacht, urteilt der Think Tank Roosevelt Institute. Der Vorteil für Unternehmen liegt auf der Hand: Sie haben einen neuen Grad der Unabhängigkeit erreicht. Sie können sich talentierte Köpfe weltweit zusammensuchen und stets mit für den jeweiligen Job am besten geeigneten Freelancern kooperieren. Muss etwa eine deutsche IBM-Abteilung Kosten sparen, kann sie sich über die Plattform etwa indische Programmierer einkaufen, deren Stundensätze weitaus geringer sind als die ihrer deutschen Konkurrenten. Zwar ist Offshoring, also das Beschäftigen günstigerer Mitarbeiter im Ausland, schon lange Praxis in vielen IT-Unternehmen. Aber eine Plattform wie die von IBM macht diesen Prozess übersichtlicher als je zuvor.

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Im Fokus

Immer mehr Spezialisten bieten ihre Dienste an

Die verstärkte Zunahme von Kooperationen mit Externen hat auch gesamtwirtschaftliche Vorteile. „So entsteht ein deutlich effizienterer Arbeitsmarkt“, sagt die St. Gallener Professorin Bruch. „Vom ökonomischen Standpunkt aus betrachtet, ist das auf jeden Fall ein Fortschritt.“ Allerdings – das dürfen Unternehmen laut Bruch nicht unterschätzen – kann die Entwicklung negative Folgen für die Unternehmenskultur haben. Unternehmen müssten aufpassen, dass sie nicht zu einem Hohlkörper werden, warnt Bruch. Deshalb sei es wichtig, den Kontakt zwischen den angestellten Mitarbeitern zu stärken und gleichzeitig den Externen ein Verständnis der Unternehmenskultur zu vermitteln. Dies funktioniere, indem man sie eng an das Unternehmen bindet, sie regelmäßig für sich arbeiten lässt. Bei einer extremen Form der Häppchen-Unternehmung wird Zusammenhalt allerdings gar nicht mehr nötig sein. Sie besteht letztlich nur aus einem riesigen Heer von Selbstständigen, die von einem Mini-Team angestellter Mitarbeiter geleitet und beraten werden. So braucht es kein Verständnis für das große Ganze, wenn ein freier Mitarbeiter nur als einer von Hunderttausenden in Häppchen zergliederte Arbeitsschritte ausführt. Solch ein Unternehmen ist Clickworker. Das Unternehmen zählt nur 22 Angestellte

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in ihrer Zentrale in Essen und ein ganz kleines Team in den USA, doch diese befehligen über 700.000 freie Teilnehmer der Häppchen-Wirtschaft. Diese Click-Arbeiter erfüllen über die Plattform Aufgaben im Auftrag von Großkonzernen, die kein Unternehmen mit Bordmitteln erledigen könnte: Etwa 10.000 Produktfotos in Online-Shops beschriften und verschlagworten. Oder einer Spracherkennungssoftware antrainieren, Dialekte zu erkennen, indem man ihr Beispielsätze vorspricht.

Personaler als Vermittler Keiner der abertausenden Arbeiter ist bei Clickworker angestellt – sie werden pro Foto oder eingesprochenem Satz bezahlt. Eine Kultur im Sinne eines Großunternehmens braucht es gar nicht. Viele Click-Arbeiter sehen die Arbeit eher als Freizeitbeschäftigung mit Zubrot an. Für Belange und Fragen dieser Crowd beschäftigt das Unternehmen Community-Manager. Ist solches Community-Management eine neue Form von HR-Management? Wahrscheinlich wird es ein Teil davon, arbeiten Unternehmen in Zukunft so extrem mit freien Mitarbeitern zusammen wie Clickworker. Personalmanager sollten sich allerdings erst einmal auf die unternehmenseigene Community konzentrieren. Denn auch dort gibt es viel zu tun, wenn sich die Firma stärker für Freelancer öffnet. HR kann etwa zum Vermittler zwi-

Maschine erledigen kann (Human Intelligence Tasks, HITs), ausschreiben. Über eine halbe Million Dienstleister können dann auf das Projekt zugreifen und es bei Interesse bearbeiten. Das Honorar der Dienstleister liegt für die meisten Aufgaben im Cent-Bereich. Neben solchen Plattformen für Aufgaben aller Art gibt es zahlreiche Crowd­sourcingPlattformen für Spezialisten. Der Dienst 99designs vermittelt Designer, Logogestalter und Webseiten-Konstrukteure. Bei Freelancer oder Bountify warten Programmierer darauf, kurze Programmier-Code-Schnipsel für Großprojekte beizusteuern. Auf der Plattform Jovoto bieten zum Beispiel Kreativ-Arbeiter an, für ein Unternehmen zu brainstormen und zu Innovationen beizutragen.

schen Einkaufsabteilung und Fachabteilungen werden, damit beide den besten Kompromiss zwischen Preis und Leistung finden, wenn das Unternehmen Freelancer auswählt. Bisher ist das nur selten der Fall, klagen Beobachter. „Oft grenzen Einkaufsabteilungen die Angebotsauswahl nach rein finanziellen Gesichtspunkten ab, denn dort regiert der Preis“, sagt Kerstin Tammling, selbstständige IT-Spezialistin und Vorstandsmitglied des Deutschen Bundesverbands Informationstechnologie für Selbstständige (DBITS). „Fähigkeiten, Erfahrung und Qualität sind häufig sekundär, weil für den Einkauf schwer zu beurteilen.“ Personalmanagern kann deshalb in Zukunft eine wichtige Aufgabe zufallen. Sie sind dank ihrer Erfahrung in der Lage dafür zu sorgen, dass es der Einkauf mit der Preisoptimierung nicht übertreibt und darunter die Qualität der Arbeit leidet. Personalmanager müssen sich dazu allerdings im Unternehmen entsprechend positionieren, zum Beispiel indem sie eine vermittelnde Rolle einnehmen zwischen Einkauf und Fachbereich. Das passiert bisher eher selten. Schließlich kümmern sich Personaler klassischerweise nur um die Belange der Angestellten. HR-Manager müssen ihre Rolle also komplett neu definieren, wenn sie in der Häppchen-Wirtschaft mit dabei sein wollen. •

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Illustration: www.thinkstock.com

„ So entsteht ein deutlich effizienterer Arbeitsmarkt.“

Wenn ein Unternehmen Zuarbeiter für einfache geistige Arbeit sucht – etwa tausende Fotos zu beschriften oder nach Schlagwörtern in Listen zu suchen –, kann eine Ausschreibung bei einer Crowdsourcing-Plattform sinnvoll sein. Dabei beauftragt das Unternehmen nicht einen einzelnen freien Mitarbeiter, sondern ein Heer Hunderter oder gar Tausender Menschen, die in aller Welt die Aufgabe erfüllen. Zu den größten internationalen Anbietern gehört Amazons Plattform Mechanical Turk. Das Unternehmen hatte die Plattform ursprünglich nur für eigene Zwecke entwickelt: Es brauchte einen Weg, viele freie Mitarbeiter für das Entfernen von Dubletten aus dem Online-Store zu finden. Seit 2005 können alle Unternehmen über Mechanical Turk monotone Arbeit, die keine


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Die Welt anders denken

Bei Continental arbeiten annähernd hunderttausend Menschen bereits heute miteinander vernetzt – und das weltweit. Einer, der hier viel Pionierarbeit geleistet hat, ist Harald Schirmer. Für ihn ist das Digitale auch eine Art Lebenseinstellung. Ein Porträt.

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Harald Schirmer mit Guides aus Indien, die für das vernetzte Arbeiten bei Continental werben.

weil vieles Unpersönliche bereits online beantwortet ist. Entscheidender ist jedoch das Transparente. Und das sind die Netzwerke, in denen Harald Schirmer sich bewegt, über die er an diesem Morgen zum Beispiel mit seinem Team Organisatorisches geplant hat. Ein Team, das ebenso virtuell unterwegs ist wie er. „Als wir begonnen haben, zusammenzuarbeiten, brauchte es allein zwei Monate, um einen Termin zu finden, an dem wir uns mal physisch sehen konnten. Wir kommen alle aus so unterschiedlichen Bereichen und jeder ist in seinem Job

sehr stark involviert, was aber nicht heißt, dass wir uns nicht regelmäßig austauschen“, erläutert er. Der Blick in die Netzwerke ist ein regelmäßiges Element für den 42-Jährigen, mit dem er auch in den Tag startet. „Man könnte aber auch sagen, dass ich mehrmals am Tag in den Tag starte“, sagt er und lacht. „Nach jeder Unterbrechung, nach jedem Termin schaue ich, was es Neues gibt, wo sich gerade etwas bewegt.“ Dass ihm diese Art des Arbeitens möglich ist, liegt auch daran, dass sein Arbeitgeber, die Continental AG, ihn endlich einholt, was das digitale und vernetzte Arbeiten angeht. Und Harald Schirmer, der seit über 15 www. hu ma n re so u rcesma n age r. d e

Foto: Harald Schirmer

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inen Harald Schirmer, den man sonst auf zahlreichen Tagungen mit Enthusiasmus über Digitalisierung, Wandel und Transformation referieren hören kann, erwartet man eigentlich in einer Filiale der allgegenwärtigen Kaffeehauskette aus den USA oder in den durchgestylten Bürowelten eines New-Work-Accelerators. Tatsächlich aber findet man ihn an diesem trüben Novembertag zu Hause – in Ingolstadt. Die Begegnung ist rein virtuell, die Schaltung zwischen Berlin und der Stadt an der Donau über die Zentrale der Continental organisiert. „In den letzten neun Wochen war ich vier Mal in Hannover“, sagt er. Gut 600 Kilometer liegen zwischen beiden Städten. In den letzten Jahren hat Harald Schirmer diese Strecke regelmäßig in Kauf genommen. Dienstag kurz vor sechs Uhr in das mobile, bahngestützte Büro. „Donnerstag um Mitternacht war ich dann meist wieder zu Hause. Das war eigentlich die Zeit, in der man am intensivsten arbeiten konnte, da ist in den Zügen nicht sehr viel los.“ Heute gehört das regelmäßige Pendeln für den Vater einer sechsjährigen Tochter erst einmal der Vergangenheit an. „Jetzt bin ich dann vor Ort, wenn ich persönlich einen Unterschied machen kann.“ Schirmer bewegt sich schon seit einigen Jahren in der virtuellen Welt von Continental – in der sogenannten transparenten und intransparenten, wie er es nennt. Letztere setzt sich in erster Linie aus E-Mails zusammen, mit denen auch Harald Schirmer arbeitet. Doch, so sagt er, seien sie heute viel gehaltvoller, als noch vor einigen Jahren –

Von sven pauleweit


Harald Schirmer   Menschen

Jahren papierlos arbeitet und statt Dokumente lieber auf Wikis und Blogs setzt, hat selbst so einigen Anteil daran. Seit 25 Jahren Teil der Continental-Familie, hat er Anfang des Jahres die im HR-Bereich angesiedelte Verantwortung für Digitale Transformation, Veränderungsmanagement und Kulturentwicklung übernommen. Die Implementierung eines Social-Business-Networks gehört seit gut vier Jahren zu seinen Aufgaben.

Erst die Kultur entwickeln Dieser Dreiklang aus Digital, Change und Kultur – gelegentlich schleicht sich während des Gespräches auch das Wort „Social“ mit ein – scheint wie eine treffende Umschreibung für das, was es braucht, um aus der Digitalisierung mehr zu machen als nur einen weiteren Kanal für ein und dieselbe Dokumentenflut. „Wenn die Menschen es nicht gewohnt sind, transparent zu arbeiten, Feedback zu geben und die Freiheit zu haben, ihr Wissen zu teilen, ohne dass es sofort der Abteilung oder der eigenen Führungskraft etwas bringt, dann können sie das nicht umsetzen, weil es noch nicht der Kultur entspricht, wie diese Leute miteinander umgehen. Sie müssen diese Kultur erst entwickeln.“ Und hier käme dann üblicherweise das Change Management ins Spiel, sagt Schirmer. Doch auch das greift in einer immer dynamischer werdenden Welt oft schon zu kurz. „Es entspricht dem üblichen Vorgehen, Change Manager auszubilden, die dann den Change in das Unternehmen tragen – sie wollen von Stabilität

über den Change wieder in Stabilität – das passt nicht mehr zu 100 Prozent in unsere agile Umgebung“, erläutert er. Den richtigen Weg dazu sieht Harald Schirmer in einer möglichst großen Beteiligung im Unternehmen. „Früher war das höchste Maß an Beteiligung eine Umfrage. Heute können wir über soziale Systeme Personen auch ganz individuell einbinden. Im Netzwerk werden die Ergebnisse in Echtzeit verarbeitet und konsolidiert und so können wir effizient, mit maximaler Beteiligung damit umgehen.“ Was es braucht, ist also tatsächlich ein Umdenken. Das Digitale als Treiber und auch Vehikel dieser Entwicklung, die letztendlich aus jedem Mitarbeiter einen Change Agent macht. „Die Technik“, sagt Schirmer, der gerne auch Mal Peter F. Drucker als Hörbuch empfiehlt, „ist der Enabler.“

Transparentes Wissen Die weltweit sichtbarste Ausprägung des digitalen Denkens ist bei der Continental ihr Enterprise Social Network ConNext, an ebendessen Implementierung Harald Schirmer seit 2011 eine der treibenden Kräfte gewesen ist. Am

ehesten lässt es sich tatsächlich mit einem sozialen Netzwerk aus dem privaten Kontext vergleichen. Mitarbeiter können hier Profile anlegen, Freundschaften knüpfen und miteinander kommunizieren. Die über die Welt verstreuten Continental-Mitarbeiter sind sich dadurch nahe – zumindest virtuell. Für das Unternehmen noch interessanter ist aber, dass sich über das Netzwerk auch Projekte organisieren und Arbeitsgruppen bilden lassen. Zudem kann Wissen geteilt werden und es ist transparent und auffindbar. Einen Vorläufer hatte ConNext in einem sozialen Netzwerk, das Harald Schirmer schon vor einigen Jahren in der Automotive-Division zusammen mit einem Kollegen aufgebaut und mit dem schon damals gut 6.000 Kollegen regelmäßig gearbeitet hatten. Als dann eine Besetzung im Projekt für die Einführung eines konzernweiten Social Business Network gesucht wurde, ist er mit seinen Erfahrungen in der Hinterhand „ganz frech aufgeschlagen“, berichtet er, ohne auf dem Papier zu haben, was die Ausschreibung eigentlich vorausgesetzt hatte. Den Vertrauensvorschuss bekam er. Heute sind es 96.000, die dieses Netzwerk regelmäßig nutzen.

„ Früher war das höchste Maß an Beteiligung eine Umfrage.“

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Menschen  Harald Schirmer

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Kontaktanfrage argwöhnen musste, gab es dort schon eine Funktion, mit der man sich mit einer zufällig ausgewählten Person irgendwo in der Welt verbinden lassen konnte. „Ich habe dadurch schnell viel über Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern gelernt, was ich vorher nie gedacht hätte. Einerseits ein Reichtum an Vielfalt – mit aber andererseits sehr ähnlichen Grundbedürfnissen. Das war ein so tolles Erlebnis, dass ich mir gesagt habe, wenn ich diese Transparenz irgendwie fördern und Menschen zusammenbringen kann, entsteht etwas Neues“, erinnert er sich. „Das ist einer der großen Treiber, der mich dazu gebracht hat, diese Themen über die ganzen Jahre weiterzuführen.“ Er sei dabei aber immer pragmatisch geblieben, ergänzt er. „Wenn ich irgendwo Potenzial sehe, dann probiere ich es aus – entweder im Selbstversuch oder in kleinen Piloten. Wenn es ankommt, dann ist es gut, wenn nicht, kann ich mich immer noch entschuldigen.“ Also frei nach dem Motto: Weniger fragen, lieber dafür entschuldigen, wenn etwas nicht funktioniert. „Dafür habe ich dann aber belastbare Erkenntnisse.“ •

Foto: Harald Schirmer

Grundvoraussetzung. Es geht immer darum, dass wir lernen, miteinander umzugehen.“ Geboren ist er in München, hat aber die meiste Zeit in Ingolstadt gelebt, selten Es geht um Sichtbarkeit jedoch lange an einem Ort. Dieses Unstete, erzählt er, ziehe sich ein wenig durch sein Persönlich versucht Harald Schirmer diese Leben, und spricht von einer Halbwertszeit Arbeitsweise möglichst intensiv vorzulevon drei bis vier Jahren, bevor sich wieder ben, ist in vielen Blogs und Communities etwas Grundlegendes ändere. „Als überunterwegs. „Wenn ich das erzähle, hört zeugter Change Agent wäre es auch verwunsich das nach so vielen Themen an“, sagt derlich, wenn es mich nach dieser Zeit nicht er auf die Frage, wie er all das in einen einin den Finger jucken würde.“ Er lacht. Er ist zigen Arbeitstag bekommt. „Aber es geht schon seit 25 Jahren bei Continental. „Mir eigentlich darum, war es wichtig, in alle Bereiche hineinzuseine Arbeit anders schauen und auch zu machen. Das ist ConNext Umwege zu nehmen kein Mehraufwand, 96.000 User nutzen das Netzwerk. und zu erleben. Das weil die Leute miteiMehr als 30.000 sind pro Woche nander arbeiten. Wir lässt mich so manche durchschnittlich online. Dabei umDinge in einem andereden von Teams mit fasst ConNext mehr als 14.000 Blogs, ren Zusammenhang Menschen, die nicht fast 4.000 Wikis und rund 11.500 unterschiedliche Foren. sehen“, sagt er. in einer Richtung Eingestiegen ist nebeneinander her, sondern wirklich geHarald Schirmer in meinsam an einem der Elektrotechnik. Den Hang, ein Problem streng logisch zu Gedankenstrang arbeiten. Wenn Sie das betrachten und erst einmal an eine techvom ersten Aufwecken des Computers bis zum Ende durchhalten, dann verwischen nische Lösung zu denken, geht wohl auf Grenzen.“ Und so, ergänzt er, könnte man seinen Vater zurück, der als Ingenieur in Aufgaben auch optimal verteilen. Da ist sein der Automobilentwicklung ebenfalls bei Continental gearbeitet hatte. Team, das diese Themen treibt. Außerdem gibt es rund 400 Guides, die verteilt auf die mehr als 50 Länder, in denen Continental Digitaler Erweckungsmoment aktiv ist, diese Art des vernetzten Arbeitens Ein wenig anders wurde das erst, als Harald in das Unternehmen tragen. Schirmer in Berührung mit einer kollaFür Harald Schirmer ist dieses Auflöborativen Arbeitsweise kam – während sen des Trennenden ein sehr wichtiges eines dreijährigen USA-Aufenthaltes, wo Element. Die Kulturarbeit, erläutert er, er von 1996 an das Qualitäts-Labor der mache er ganz bewusst in diesen sozialen Netzen. Es geht um Sichtbarkeit und Continental geleitet und eine WissensdaTransparenz. Manchmal ist es notwendig tenbank aufgebaut hat. Bedingung war, etwas sehr deutlich vorzuleben. „Working dass jede Frage nur einmal beantwortet, Out Loud“, sagt er dazu. Nur so lasse sich aber entsprechend dokumentiert wurde. zeigen, dass dieser digitale Wandel kein In acht Monaten sei ein Wiki mit gut 600 Seiten zusammengekommen, berichtet losgelöstes Thema von all den anderen Dingen ist, die für ein Unternehmen wie er. „Ich habe dabei gemerkt, dass es gar Continental wichtig sind. Aber auch für ihn nicht so wichtig war, dass am Ende dieses Tool stand, sondern dass hier Menschen, ist das ein wichtiger Lernprozess. „Wo wir früher vielleicht aktionistischer gewesen die ganz eng zusammenarbeiten, sehr viel mit ganz unterschiedlichen Sichtweisen zu wären, besteht heute ein großer Teil aus Lernen und Zuhören. In der Situation, in erzählen und beizutragen haben.“ der ich jetzt bin, erlaube ich mir zudem oft, Sein wirklicher digitaler ErweckungsFragen zu stellen“, sagt Harald Schirmer, moment ist jedoch einem schon fast in Vergessenheit geratenen Messenger-Dienst der sich bei aller Begeisterung, die seiner Stimme deutlich anzuhören ist, nicht als geschuldet – ICQ. Damals, so um 1996 oder 1997, als man noch nicht jeder unbekannten Digital-Priester verstanden wissen will, sondern eher als Überzeugungstäter. „Mir ist Nachhaltigkeit sehr wichtig“, sagt er. „Menschen Respekt entgegen zu bringen und zuzuhören ist dabei eine

Harald Schirmer In den letzten 25 Jahren war er bei Continental schon in den unterschiedlichsten Bereichen unterwegs: im Qualitätsmanagement, in der IT, im Wissensmanagement und auch als Change Manager. Derzeit ist er für den Bereich Digital Transformation, Change und Kulturentwicklung verantwortlich. Für sein digitales Engagement ist Harald Schirmer schon mehrmals ausgezeichnet worden, 2014 beispielsweise als „Leader in the digital Age“.

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Analyse

Mitarbeiterbeteiligungsprogramme sind mit Implementierungs- und Administrationsaufwand verbunden. Unternehmen sollten diesen Aufwand nicht scheuen und in den Aufbau solcher Programme investieren. Denn neueste Forschungsergebnisse bestätigen ihre positiven Wirkungen. Von Michael Wolff

Essay Es lohnt sich

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ie Beteiligung von Mitarbeitern am Unternehmen mittels Aktien ist nichts Neues, sondern wird von Unternehmen weltweit seit Jahren als Vergütungsinstrument eingesetzt. Belegschaftsaktien und Aktienkaufprogramme sind dabei am häufigsten zu finden. Die mit der Implementierung solcher Programme verfolgten Ziele sind naturgemäß unternehmensindividuell, wobei wiederkehrende Gründe genannt werden: Grundsätzlich soll dadurch, dass die Mitarbeiter Teilhaber des eigenen Unternehmens werden, die Identifikation mit dem Unternehmen und die generelle Arbeitsmotivation erhöht werden. Es geht also um eine stärkere Mitarbeiterbindung und darum, die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber zu steigern. Des Weiteren soll die unternehmerische Verantwortung aus individueller Sicht entwickelt werden. Und nicht zuletzt ist die Mitarbeiterbeteiligung ein zusätzliches Vergütungsinstrument, das das gesamte Vergütungspaket attraktiver

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machen soll. Dieser Grund wird allerdings einer Studie des Deutschen Aktieninstituts (DAI) zufolge von den meisten Unternehmen nur nachrangig genannt. Aus Sicht der Mitarbeiter ergibt sich durch aktienbasierte Beteiligungsprogramme auch die Chance einer rentablen Geldanlage. Zusammengefasst kann man sagen, dass die Implementierung von Beteiligungsprogrammen zu einer stärkeren Eigentümerkultur auf der Ebene der Mitarbeiter führt, die wiederrum eine erhöhte Produktivität und damit eine gesteigerte Performance zur Folge hat.

Status quo Doch trotz dieser Vorteile haben sich aktienbasierte Mitarbeiterbeteiligungsprogramme noch nicht flächendeckend in Deutschland durchgesetzt. Eine Studie des DAI aus dem Jahr 2013 zeigt beispielsweise, dass nur rund 36 Prozent der befragten Unternehmen ihren Mitarbeitern solche Programme anbieten. Lässt man die großen börsennotierten Gesellschaften aus dem DAX und MDAX außer Betracht, so sinkt dieser Anteil nochmals deutlich. Und zu-

sätzlich scheuen zahlreiche Unternehmen, ihr Beteiligungsprogramm auch international auszurollen. Unter den implementierten Programmen finden sich vor allem Discount- und Matchingmodelle. Bei Discountmodellen müssen die Mitarbeiter weniger als den tatsächlichen Marktwert der Aktien bezahlen. Die meisten Unternehmen räumen einen Discount von bis zu 20 Prozent ein. Bei Matchingmodellen belohnen die Unternehmen die Mitarbeiterinvestments – typischerweise nach einer bestimmten Halteperiode – mit zusätzlichen (Matching-) Aktien. Besonders häufig findet sich ein 3:1-Verhältnis. Angesichts der genannten Vorteile ist es überraschend, dass Mitarbeiterbeteiligungsprogramme noch nicht weiter verbreitet sind. Unternehmensvertreter nennen als wesentlichen Grund für diesen Widerspruch die mit der Entwicklung, Implementierung und Administration solcher Programme verbundenen Kosten. Teilweise wird auch der Nutzen der Programme in Frage gestellt. Ein Blick in aktuelle Studienund Forschungsergebnisse lässt aber Zweifel an dieser Einschätzung aufkommen.

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Auswirkungen auf die Performance Die Studie „GEO Global Equity Insights 2014“ gibt einen ersten Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen der Nutzung aktienbasierter Vergütungselemente und der Unternehmensperformance. Auf Basis einer Untersuchung verschiedener Performancemaße wie Return on Assets oder Return on Equity über einen Drei-Jahres-Zeitraum zeigen sich positive Wirkungen der aktienbasierten Vergütung auf unterschiedlichem Wege. So nutzen sehr erfolgreiche Unternehmen grundsätzlich für alle Hierarchieunternehmen aktienbasierte Vergütungselemente deutlich häufiger und vor allem intensiver, das heißt sie machen einen größeren Anteil an der Zielvergütung aus. Beispielsweise nutzen 92 Prozent der erfolgreichen Unternehmen ihre Long-Term-Incentive-(LTI-)Programme auch für Mitarbeiter, die nicht auf dem Executive-Level angesiedelt sind. Im Kreise der weniger erfolgreichen Unternehmen sind es 14 Prozent weniger. Zudem bieten die erfolgreichen Unternehmen ihre LTIs Mitarbeitern in mehreren Ländern an. Betrachtet man ausschließlich reine Mitarbeiterbeteiligungsprogramme, so zeigt sich ein positiver Zusammenhang zwischen der Beteiligungsrate und der Unternehmensperformance, das heißt

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„ Die Implementierung von Beteiligungsprogrammen führt zu einer stärkeren Eigentümerkultur der Mitarbeiter.“

Unternehmen mit hoher Beteiligungsrate weisen eine durchschnittlich höhere Unternehmensperformance auf. Auch wenn die GEO-Studie bereits eine starke Indikation für eine positive Wirkung aktienbasierter Mitarbeiterbeteiligungsprogramme liefert, so weist sie doch analog älterer Untersuchungen eine Limitation auf: Es können nur Korrelationen und nicht Kausalitäten untersucht werden. Mit Blick auf den obigen Zusammenhang zwischen Beteiligungsrate und Unternehmensperformance bedeutet dies, dass statistisch unklar bleibt, in welche Richtung der Zusammenhang wirkt.

Beispiel Siemens Eine aus dem Jahr 2015 stammende Studie des Lehrstuhls für Management & Controlling an der Universität Göttingen adressiert diese Limitation, indem sie am Beispiel der Beteiligungsprogramme der Siemens AG die Wirkungen von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen untersucht. Die Siemens AG ist dabei aus verschiedenen Gründen ein interessantes Untersuchungsobjekt. Zunächst existiert bereits seit 2008 ein in 60 Ländern ausgerolltes

Programm, das rund 97 Prozent der Mitarbeiter offen steht. Dabei bietet Siemens über einen Monthly Investment Plan seinen Mitarbeitern an, monatlich einen bestimmten Betrag ihres Gehalts in Aktien zu investieren. Somit ist es auch möglich, Aktien anteilig zu erwerben, sodass beispielsweise auch Produktionsmitarbeiter in Ländern mit geringerem Lohnniveau daran teilnehmen können. Bei den Analysen können dadurch nicht nur Führungskräfte und kaufmännische Angestellte einbezogen werden, sondern auch Mitarbeiter mit (durchschnittlich) niedrigeren Löhnen. Ziel der Studie ist die Analyse und Beantwortung von drei Fragen: Hat die Mitarbeiterbeteiligung mittels aktienbasierter Vergütung einen positiven Einfluss auf das Engagement der Mitarbeiter sowie auf die individuelle Performance und organisationale Performance? Zur Untersuchung dieser Fragestellungen stellte die Siemens AG der Universität Göttingen vollständig anonymisierte unternehmensinterne Datensätze zur Verfügung. Auf diese Weise wurden für rund 270.000 Mitarbeiter pro Jahr beziehungsweise für bis zu 9.600 Organisationseinheiten in einem Zeitraum von 2009 bis 2013 Daten berücksichtigt. Ausgangspunkt für die Wirkungsanalyse war die Messung, inwieweit und in welchem Ausmaß einzelne Mitarbeiter an den Beteiligungsprogrammen teilnahmen. Die Messung des Engagements basierte dabei auf einer unternehmensweiten internen Befragung aller Mitarbeiter. Zur Bestimmung der individuellen Performance

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Analyse

„ Die individuelle und die organisationale Leistung steigen in Abhängigkeit zunehmender Beteiligung.“

wurden Leistungsbeurteilungen herangezogen und die organisationale Performance wurde mittels verschiedener unternehmensinterner Kennzahlen wie dem Gewinn oder den Free-Cash-FlowMargen gemessen. Auf Basis verschiedener statistischer Methoden fanden sich die erwarteten positiven Zusammenhänge: Eine zunehmende Beteiligung der Mitarbeiter an den aktienbasierten Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen führt in den Folgejahren zu einem höheren durchschnittlichen Engagement. Auch die individuelle und die organisationale Leistung steigen in Abhängigkeit zunehmender Beteiligung. Natürlich hängt das Engagement und die Performance auch von zahlreichen weiteren Einflussfaktoren auf individueller (beispielsweise Betriebszugehörigkeit), organisatorischer (beispielsweise Größe) und landesspezifischer (beispielsweise Aktienkultur) Ebene ab. Doch auch nachdem solche Faktoren in die statistischen Modelle aufgenommen wurden, blieben die Kernergebnisse der Studie erhalten. Naturgemäß können die genannten Studien keine exakte Kosten-Nutzen-Analyse liefern. Aber vor dem Hintergrund der siemensinternen Heterogenität, wie beispielsweise der verschiedenen Mitarbeitergruppen sowie der Organisationseinheiten in unterschiedlichen Ländern und Branchen, liefert die Studie starke Anhaltspunkte dafür, dass die positiven Effekte von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen in unterschiedlichsten Kontexten zu erwarten sind.

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Weiche Erfolgsfaktoren berücksichtigen Sofern Unternehmen aktienbasierte Beteiligungsprogramme ausbauen oder erstmalig initiieren, sollten sie neben den klassischen Herausforderungen wie der rechtlichen, steuerlichen und abrechnungstechnischen Administration auch die weicheren Faktoren wie die interne Kommunikation und die Rolle der Führungskräfte ausreichend bei der Planung berücksichtigen. In der Unternehmenspraxis – und das hat die Studie der Universität Göttingen ebenfalls bestätigt – hat sich gezeigt, dass diese Faktoren wesentlich zum Erfolg von Beteiligungsprogrammen beitragen, aber ihre Wirkung häufig unterschätzt wird. In der internen Kommunikation sollten die unterschiedlichen Mitarbeiter- und Ländergruppen ausreichend gewürdigt werden. Dabei geht es nicht nur um die inhaltlichen Fragen wie beispielsweise die nach Hintergrundinformationen zu Aktien im Allgemeinen, sondern auch um die Frage der technischen Umsetzung. Viele Unternehmen greifen nach wie vor primär auf klassische Kommunikationskanäle wie Broschüren oder Mitarbeiterrundschreiben zurück. Dabei können vor allem elektronische Medien Mitarbeiter schneller, individueller und nachhaltiger erreichen. Allerdings sind auch deren Grenzen zu beachten, da beispielsweise nicht jeder Mitarbeiter über einen eigenen E-Mail-Account verfügt. Hier sind kreative Ansätze, die idealerwei-

se mit dem lokalen Management und den HR-Experten entwickelt werden, gefragt, um tatsächlich jeden Mitarbeiter erreichen zu können. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Führungskräfte. Ohne einen entsprechenden „Tone from the top“ zentraler und lokaler Führungskräfte wird die Beteiligungsrate deutlich geringer ausfallen. Führungskräfte müssen zu Promotern der Programme werden.

Mehr Unternehmen sollten sich trauen Angesichts der neusten Forschungsergebnisse sollten sich mehr Unternehmen trauen, ihren Mitarbeitern ein aktienbasiertes Beteiligungsprogramm anzubieten. Dies gilt nicht nur für größere börsennotierte Gesellschaften, sondern die Einführung kann auch für mittelständische Unternehmen ohne Börsennotierung vorteilhaft sein. Natürlich können aktienbasierte Beteiligungsprogramme andere Instrumente und Aktivitäten zur Gewinnung und Bindung von guten Mitarbeitern oder zur Schaffung einer unternehmerisch ausgerichteten Firmenkultur nicht vollständig substituieren. Aber die oben genannten Ziele erscheinen angesichts aktueller Forschungsergebnisse durchaus erreichbar.

Michael Wolff Er ist Professor für Management & Controlling an der Georg-August-Universität Göttingen und forscht unter anderem zur Gestaltung und Wirkung von Anreizsystemen.

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letzte seite Daniela Büchel

Schlagzeug oder Bergwandern Daniela Büchel Mitglied der Geschäftsleitung Rewe für die Bereiche Human Resources und Nachhaltigkeit

Mein erstes eigenes Geld verdiente ich als… Aushilfe in der Produktion – ich habe sechs Wochen lang Löcher in Leiterplatten gebohrt. Ein Rat, der mir oft weitergeholfen hat, ist: Du kannst andere nur begeistern, wenn Du selbst brennst. Die Mitarbeiter im Einzelhandel sind… schnell, Hands-on und pragmatisch, nah am Wettbewerb und sehr lösungsorientiert. Wenn ich nicht HR-Manager geworden wäre, hätte es auch eine Karriere als… Schlagzeugerin in einer Punkband sein können – oder auch als Bergführerin oder Entwicklungshelferin.

Ein guter HR-Manager sollte vor allem… jeden Tag seinen Nutzen für das Business hinterfragen, andere begeistern und zuhören können. Ein HR-Thema, das in Unternehmen noch immer zu kurz kommt, ist… die Frage danach, wie HR den eigenen Wertschöpfungsbeitrag messbar und steuerbar machen kann. Ein Vorbild meiner Jugend war… und ist immer noch mein Vater, der mir schon ganz früh gezeigt hat, was gegenseitiger Respekt und Toleranz bedeuten. Und Campino von den Toten Hosen.

Auch in anderen Konzernfunktionen gearbeitet zu haben, ist für HR-Manager… sehr wichtig, um den Blick für das Wesentliche, also das Business, nicht zu verlieren. Der weibliche Führungsstil ist… einfach besser.

Mein liebstes Reiseziel sind… die Alpen – es geht nichts über eine Hüttentour in den Bergen. Meine Kinder sind da allerdings anderer Meinung.

In meinem Einkaufswagen landen immer… viel frisches Obst und Gemüse sowie die Fairtrade-Schokolade von Rewe.

Nachhaltigkeit bedeutet für Rewe… die Basis des Wirtschaftens in unserem Unternehmen und ist wesentlicher Bestandteil der Unternehmenskultur sowie des gemeinsamen Spirits.

Die Bio-Bewegung ist für die Lebensmittelbranche… sehr wichtig, da sie ein großer Hebel hin zu einer nachhaltigeren landwirtschaftlichen Produktion ist. Bio-Produkte sind ein stark wachsendes Segment in unseren Märkten, das wir sehr fördern.

Der Einzelhandel ist für Arbeitnehmer attraktiv, weil… es unglaublich viele Entwicklungsmöglichkeiten und Spielraum für eigene Kreativität und Ideen gibt. Außerdem herrscht eine riesige Dynamik – wer Spaß an Veränderung hat, ist hier genau richtig.

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Die genossenschaftlichen Wurzeln von Rewe… sind wesentlicher Bestandteil des Unternehmens und sehr wichtig für die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen.

Daniela Büchel Sie ist Mitglied der Geschäftsleitung von Rewe und verantwortlich für die Bereiche Personal und Nachhaltigkeit. Sie verantwortet zudem den Bereich Corporate Responsibility der Rewe Group. Zuvor hatte sie in mehreren Stationen unter anderem die Leitung der Bereiche Konzernmarketing und Public Affairs inne. In der Kölner Zentrale ist sie seit 2003 tätig. Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hohenheim startete Daniela Büchel als Projektmanagerin am Institut für Handelsforschung in Köln. Parallel promovierte sie an der Universität zu Köln.

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Foto: Privat

Ein guter Morgen beginnt für mich… mit einem Latte Macchiato und wenn ich das Schultaxi für meine Kinder sein kann.




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