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Virologen im Fokus

Plötzlich im Scheinwerferlicht

Die aktuelle Medienpräsenz von Virologen und Epidemiologen ist enorm. Sie erklären für die Öffentlichkeit das Coronavirus und die Maßnahmen der Politik. Nicht immer sind sich die Experten einig. Die Heinsberg-Studie von Prof. Hendrik Streeck führte zu scharfer Kritik.

Von VOLKER THOMS

In der Coronakrise ist die Expertise von Virologen und Epidemiologen gefragt. Die Professorinnen und Professoren Marylyn Addo, Christian Drosten, Alexander Kekulé, Hendrik Streeck, Jonas Schmidt-Chanasit, Melanie Brinkmann und Lothar Wieler machen Podcasts, geben TV- und Printinterviews und sitzen in Talkshows. Einige sind in den Social Media sehr aktiv. Leitmedien berichten über die Wissenschaftler wie über Celebrities und Sportstars. „Bild“ ließ abstimmen, welchem Virologen die Menschen am meisten vertrauen. Die „Süddeutsche Zeitung“ veröffentlichte eine Stilkritik. 24 Stunden am Tag liefert selbst das Virus nichts Neues. Die Meldungen werden redundant. Es treten Widersprüche in den Aussagen der Experten auf. Die Zahl der medial zu Wort kommenden Mediziner ist überschaubar. Es sind immer dieselben. Zwischen ihnen werden Unterschiede deutlich. Während

24 Stunden am Tag liefert selbst das Virus nichts Neues.

Gefragte Experten: RKI-Präsident Lothar Wieler (l.) und Christian Drosten (m.) mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

Prof. Christian Drosten eher den sachlichen Analytiker gibt und wie in einem Video des Bundesgesundheitsministeriums schon mal vor Professoren und Doktoren aus der Medizin ohne Sach kenntnis warnt, versucht sich Prof. Alexander Kekulé in steilen Thesen. Er kritisiert die Politik und gibt Ratschläge zu Sex, duschen und Haare waschen – Corona-Boulevard.

Mediziner sind es gewohnt, kontrovers zu diskutieren. Dass ihre Debatten in der breiten Öffentlichkeit stattfinden, kennen sie weniger. Diskussionen finden sonst in Fachzeitschriften und auf Kongressen statt – unter Ärzten und Experten. Dabei stehen den Medizinern für ihre Therapie- und Präventionsemp fehlungen Daten und Studien zur Verfügung – Evidenz. Genau daran mangelt es bei Corona und Covid-19. Die persönliche Meinung der Virologen spielt deshalb eine umso wichtigere Rolle.

Drosten erklärt das Virus

Christian Drosten leitet das Institut für Virologie an der Charité in Berlin. Er gilt als einer der weltweit führenden Experten für Coronaviren, seit er 2003 nach dem Ausbruch von SARS wegweisende Forschung betrieb. Er ist Berater der Bundesregierung. Seit Deutschland seine ersten Fälle hatte und China die Stadt Wuhan abriegelte, ist er das medizinische Gesicht dieser Krise.

Drosten besitzt einen TwitterAccount, auf dem vom 4. März 2016 bis zum 23. Januar 2020 kein Tweet hinzukam. Am 21. April hat er rund 275.000 Follower. Nach Bekanntgabe des ersten Falls in Deutschland am 28. Januar äußerte er sich gegenüber „tagesschau. de“ sehr besorgt: „Wir müssen die Pandemiepläne rausholen.“ Am 26. Februar begann sein viel beachteter Podcast auf NDR Info. Einen Tag später zeigte er sich noch optimistisch. Panik sei unangebracht. Er würde sogar noch nach Italien fahren. Seitdem zitieren Medien täglich

Alexander Kekulé (r.) diskutiert unter anderem mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Claudia Spies, ärztliche Leiterin des Charité-Centrums für Anästhesiologie und Intensivmedizin, bei Anne Will (l.).

aus seinen Sendungen. Über eine Million Menschen hören einzelne Folgen. Rund 30 Millionen sind es bisher insgesamt.

Der 48-Jährige dürfte auch deshalb so viel Zuspruch erfahren, weil er zugibt, wenn er etwas nicht weiß. Er revidiert bei neuen Erkenntnissen seine Meinung. Beispiel Schulschließungen in Berlin: „Der Senat hat meine Forderungen nicht ignoriert. Vielmehr war ich mir nicht sicher, was ich empfehlen sollte. Denn ich bin Virologe und Schulschließungen gehören nicht in mein Fachgebiet“, twitterte er, bevor die Kitas und Schulen in fast ganz Deutschland geschlossen wurden. Mehrfach wies Drosten darauf hin, dass politische Entscheidungen die Politik und nicht die Wissenschaft treffen müsse.

Mit den Mechanismen der Medienwelt hadert er. Mal wirft er dem Berliner Radiosender „Radio Eins“ und dem „Tagesspiegel“ vor, ihn verkürzt zitiert zu haben. Seinen Unmut über Verknappungen durch Medien spricht er in der ZDF-Talkshow von Maybrit Illner an. Über eine Zuspitzung des „Stern“ zu einer Äußerung von ihm zu Absagen von Bundesligaspielen ist er „schockiert“.

Vehement wird er in seiner Podcast-Folge 24, als er davon sprach, sich möglicherweise aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen: „Es gibt Zeitungen,

„Ich sehe mich selber als Comicfigur gezeichnet und mir wird schlecht dabei.“

Christian Drosten

die malen inzwischen nicht nur in den Wörtern, sondern in Bildern Karikaturen von Virologen. Ich sehe mich selber als Comicfigur gezeichnet und mir wird schlecht dabei.“ Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte den Virologen einer Stilkritik unterzogen und ihn „Posterboy der Stunde“ getauft. Man hänge an seinen „sinnlichen Lippen“, hieß es. Seine Kollegin Melanie Brinkmann wurde in demselben Bericht als „Virologin fürs Herz“ tituliert. Anspielungen auf Prof. Brinkmann aus der ZDF-Serie „Die Schwarzwaldklinik“ waren das I-Tüpfelchen auf einem missratenen Artikel.

Mahner und Warner

Alexander Kekulé ist Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Mikrobiologie und Virologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Kekulé gibt

„Was der Kollege da geäußert hat, das halte ich zum Teil für gefährlich.“

Jonas Schmidt-Chanasit über Alexander Kekulé

Zog auf einer PK Schlüsse zu möglichen Lockerungen von Kontaktbeschränkungen und erntete dafür Kritik: Prof. Hendrik Streeck.

den Mahner und Warner. Er wirkt wie jemand, der den Eindruck zu vermitteln versucht, er wisse alles besser und hätte alles anders gemacht. Der Professor greift häufig die Politik an – und erntet dafür auf Twitter Zuspruch vor allem bei Nicht-Klarnamen-Usern. In Talkshows ist der 61-Jährige gerne zu Gast. Bei „Hart aber fair“, „Lanz“ und „Anne Will“ war er gleich mehrmals. Im „Aktuellen Sportstudio“ kam er ebenso zu Wort wie in der „Sportschau“, bei „Bild TV“ und bei Gabor Steingart. Seit dem 16. März hat auch Kekulé einen Podcast: „Kekulés Corona-Kompass“.

Risikogruppen wie beispielsweise Menschen älter als 70 Jahre riet er zum Anlegen von Vorräten von Lebensmitteln – zum Hamstern. Nach Zugfahrten würde Kekulé immer duschen und sich die Haare waschen. Darf man in der Coronakrise noch Sex haben? Ja, aber One-Night-Stands seien nicht zu empfehlen, sagt er. Boulevardthemen

Medienpräsenz* von Virologen (Auswahl)

Christian Drosten

Alexander Kekulé

Hendrik Streeck

„Maybrit Illner“, „Die Zeit“, „FAZ”, „Tagesschau“, „Stern“, „Neue Osnabrücker Zeitung“, NDR Info Podcast, „Berliner Zeitung“, „Tagesspiegel“, „Heute Journal“

„Hart aber Fair“, „Maischberger“, „Anne Will“, „Sportschau“, „Das Aktuelle Sportstudio“, „Lanz“, „Bild TV“, MDR Podcast

„Heute Journal“, „Lanz“, „Handelsblatt“, „FAZ“, „B5 Podcast Bayerischer Rundfunk“, „General-Anzeiger“, „Tagesspiegel“

weicht er nicht aus. Er hat immer einen Tipp parat.

Prof. Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe am Bernhard-Nocht-Insti tut für Tropenmedizin der Universität Hamburg, kritisierte Kekulé im Interview mit der „Welt“ scharf: „Was der Kollege da geäußert hat, das halte ich zum Teil für gefährlich.“ Es ging um das Symptom Schnupfen. Oder „ein einzelner Experte sollte sich nicht hinstellen und von sich behaupten, er wisse alle Antworten. Das verführt vielleicht die Menschen, wenn er das überzeugend vorträgt, aber es entspricht nicht der Wahrheit.“ Kekulé vertrete eine „Außenseiterposition“, die bei Schmidt-Chanasit „Kopfschütteln“ auslöse. Die „Frankfurter Rundschau“ schrieb: „Einen gibt es, der alles immer schon wusste: Alexander Kekulé.“ In Regierungskreisen sei er inzwischen „verschrien“. Prof. Lars Schaade, Vizepräsident des Robert Koch-Instituts, hielt Aussagen Kekulés ebenfalls für unrealistisch. ARD und ZDF laden ihn weiterhin fleißig ein.

Als Experte etabliert hat sich Prof. Hendrik Streeck, Leiter des Instituts für Virologie an der Uniklinik Bonn. Er wurde unter anderem im ZDF-„HeuteJournal“ von Marietta Slomka interviewt. Bei „Lanz“ war er bereits dreimal. „Bild“

machte ihn zum „Frauenschwarm unter den Virologen“.

Streeck tritt offensiv dafür ein, Maßnahmen wie die Ausgehbeschränkungen kritisch zu hinterfragen. Außerdem kritisiert der 42-Jährige das Robert KochInstitut (RKI) dafür, dass es im CoronaHotspot Heinsberg keine eigenen Untersuchungen angestellt hat. Über haupt sei die Regierung zu monothematisch an das Coronavirus herangegangen.

Im Rahmen der Heinsberg-Studie wollten er und sein Team herausfinden, wie viele Personen in dem Kreis bereits immunisiert sind. Hier traten nach Karneval mehr als 1.500 Infektionen auf. Die Agentur Storymachine kümmerte sich um die Öffentlichkeitsarbeit – das „Heinsberg Protokoll“. Die Berichterstattung war weitgehend desaströs.

Als Streeck erste Ergebnisse der Heinsberg-Studie auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorstellte, äußerte Christian Drosten abends im „Heute Journal“ Zweifel an deren wissenschaftlicher Aussagekraft. Er forderte ein Manuskript. Die Kritik von Medien wie „Süddeutscher Zeitung“ und „Zeit Online“ an der Studie fiel ebenfalls verheerend aus. Die Ergebnisse seien unausgereift. Die Methodik unklar. Es gehe darum, Argumente für ein rasches Ende des Lockdowns zu sammeln, so der Vorwurf. Der PR-Rat will die Öffentlichkeitsarbeit zur Studie wegen möglicher Verstöße gegen das Transparenzgebot prüfen, was eine weitere Welle negativer Berichte in Leitmedien hervorrief.

Die „FAZ“ urteilte: „Die Wissenschaft verbiegt sich in der Krise nämlich teils nach Strich und Faden. Da werden Standards missachtet, als hätte man in der Hektik der Pandemie das Recht erworben, die für eine seriöse Selbstkontrolle nötigen Regeln außer Kraft und gleichzeitig die Nonchalance der sozialen Medien ins Werk zu setzen. Den Tiefpunkt in dieser Hinsicht markiert das von einer fachlich vollkommen unbe leckten PR-Agentur namens Storyma

Antikörpertests im Kreis Heinsberg sollen Aufschluss über die Zahl der bereits Immunisierten geben.

chine betreute ‚Heinsberg-Protokoll‘.“ Einer der Gründer von Storymachine ist der frühere „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann, der für Boulevardjournalismus, aber nicht für Wissenschaftskommunikation steht. Streeck ließ sich davon nicht abhalten. Er arbeitete mit der Agentur zusammen. Vertrauen in die Wissenschaft ist hoch

Das Edelman Trust Barometer hatte in einer Sonderausgabe Anfang März und damit vor den Kontaktverboten ermittelt, dass zu den Personengruppen, denen man bei Corona am meisten vertraue, der eigene Arzt mit 79 Prozent, dahinter Wissenschaftler (78 Prozent), Vertreter der Weltgesundheitsorganisation WHO (74 Prozent) und Repräsentanten des Gesundheitssystems (71 Prozent) gehören.

Zu diesen zählen das Robert KochInstitut und dessen Präsident Prof. Lothar Wieler, ein Veterinärmediziner. Das RKI ist eine selbstständige Bundesoberbehörde. Sie ist dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt und muss von daher anders als sonstige Experten die Nicht-Überlastung der Kliniken im Blick haben. Das RKI verkündet seit Beginn der Krise die aktuellen Infektionszahlen im Rahmen einer Pressekon

„Die Wissenschaft verbiegt sich in der Krise nämlich teils nach Strich und Faden.“

FAZ

ferenz; anfangs täglich, dann zweimal die Woche. Medien berichten darüber live oder in Live-Tickern. Inzwischen ist es allerdings die amerikanische Johns Hopkins University, auf deren Zahlen Medien überwiegend zurückgreifen.

An Wielers Kommunikation gibt es aus den Regierungsparteien CDU und SPD Kritik. „Mal heißt es, die Lage entspanne sich, dann heißt es plötzlich wieder, wir stünden vor einer Lage wie in Italien“, klagt etwa Bärbel Bas, Vizevorsitzende der SPD-Fraktion. Auch beim Thema Schutzmasken wirkte die Position des RKI unklar. Zuletzt sprach Wieler von einem „wirklich guten Zwischenstand“, nachdem er vorher stets gewarnt hatte. Die Deutungshoheit über die Lage hat das RKI mit seinem Schlingerkurs verloren. Es ist nur noch ein Akteur von vielen in dieser Krise. ×

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