politik&kommunikation I/2016 Emotionen

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politik &  kommunikation

Quadriga Media Berlin GmbH  ISSN 1610-5060  Ausgabe I/2016  www.politik-kommunikation.de

No 114

Warum diese Mandeln über Ihren politischen Erfolg ­ entscheiden

T h e m a E mot io n e n

Plus Umfrage: Die emotionalsten Kabinettsmitglieder


Verstehen ist einfach. Wenn man einen Finanzpartner hat, der die Region und ihre Menschen kennt. Sprechen Sie mit uns.

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Wenn’s um Geld geht

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Georg Milde: Editorial

Ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau. Gustav Heinemann (SPD), Bundespräsident von 1969 bis 1974

Ich liebe doch alle – alle Menschen. Stasi-Minister Erich Mielke am 13.11.1989 vor der DDR-Volkskammer

Emotionen

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ir leben in einer bewegten Zeit, deren Folgen noch nicht abseh­ bar sind. Fest steht nur: Es ver­ ändert sich etwas im politischen Gefüge. Ob Angst- oder Wutbürger – neue Begriffe zie­ hen sich durch die politischen Debatten, die zunehmend so emotionalisiert erscheinen, wie es lange Zeit nicht mehr der Fall war. Da­ her liegt es nah, dass sich die aktuelle Aus­ gabe von politik&kommunikation mit dem Thema Emotionen befasst. Die beiden Mandelkerne auf der Titel­ seite symbolisieren die Amygdala in unserem Gehirn, die eine zentrale Rolle bei der emo­ tionalen Bewertung sowie der Analyse von Gefahren spielt. Der in beiden Hirnhälften angesiedelte Mandelkernkomplex ist das Angstzentrum, in dem unsere Furcht ent­ steht, die das menschliche Verhalten maß­ geblich beeinflusst. Millionenweise in den Wahlkabinen ebenso wie einsam vor dem Auftritt bei Fernsehduellen in Wahlkämp­ fen, vor der Bundespressekonferenz oder am Rednerpult des Deutschen Bundestags. Der Neurologe Magnus Heier erklärt, wel­ che Rolle Angst in unserem Leben spielt (ab Seite 30).

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Eine andere Grundemotion, die nicht zuletzt im politischen Umfeld häufig auf­ taucht, ist die Wut. „Auf wie vielen Dart­ scheiben hing ein Foto von Ihnen während des längsten Streiks in der Geschichte der Deutschen Bahn?“ lautet die Eingangsfrage des Interviews mit Claus Weselsky, dem im vergangenen Jahr nicht nur Wut, sondern of­ fener Hass entgegenschlug. Wie man mit sol­ chen Extremen in der politischen Arena um­ geht, beantwortet der GDL-Chef ab Seite 14. In der politischen Kommunikation könnte die Messung von Emotionen bald schon Einzug in Wahlkämpfe halten. So lässt sich etwa mit Hilfe von neurowissen­ schaftlicher Technologie die emotionale Wirkung von Kampagnenmotiven unter­ suchen (ab Seite 34). Weniger gemessen als analysiert ist das gefühlstechnische Psycho­ gramm von Bundeskanzlerin Angela Merkel (ab Seite 24), die mit Blick auf zur Schau ge­ stellte Emotionalität mit Sicherheit von Evita Perón überboten wurde (ab Seite 66). Unsere Umfrage unter Kennern des poli­ tischen Berlins befasst sich diesmal mit der Frage, welche Kabinettsmitglieder in ih­ rer Kommunikation am wirkungsvollsten auf Emotionen setzen – die Ergebnisse wa­ ren nicht in jeder Hinsicht zu erwarten (ab Seite 80). Viel Freude beim Lesen!

Georg Milde Herausgeber

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Inhalt: Emotionen

Von Herzen: Um Menschen erreichen zu können, müssen sich Politiker im Haifischbecken ihr Menschsein bewahren und echte Emotionen zeigen. Auch Tränen dürfen fließen.

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Editorial 6

Die Energie, die Diktatoren antreibt

Gute Politik ist nicht immer ratio­ nal. Je bewegter die Zeiten, desto leidenschaftlicher wird regiert von Friedbert W. Rüb

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„Ich bin kein Narzisst“

GDL-Chef Claus Weselsky im Interview über ein emotionales Jahr und seinen Umgang mit Hass

von Viktoria Bittmann

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Nur Mut zum Bauchgefühl!

Politische Entscheidungen werden längst nicht immer mit dem Kopf getroffen von Georg Milde

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Angst kriecht durch die Nase Warum wir ohne das Angst­ zentrum in unserem Gehirn emotio­nale Krüppel wären von Magnus Heier

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Wir wissen, wie du fühlst

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Expertentipp 24

Wie Marketer mit neurowissen­ schaftlichen Methoden Emotionen lesen und Kampagnen optimieren von Anne Hünninghaus

Psychogramm einer Kanzlerin

In der Flüchtlingsdebatte zeigt Angela Merkel auf ihre eigene Art, dass sie Leidenschaft besitzt von Thorsten Denkler

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… und bin verstimmt

In der Politik kann man mit Tränen punkten – wenn es echte sind von Christian Moser

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Orte, die bewegen Fotoreportage von Laurin Schmid

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Schicksalhafte Skalen

Wie Beliebtheitsrankings die poli­ tische Großwetterlage beeinflussen von Verena Köttker

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Zeit für große Erzählungen

Emotionales Storytelling ist in der Public-Affairs-Arbeit eine Heraus­ forderung – aber es lohnt sich von Cornelius Winter und Daniel Enke

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Sollen Politiker in Social Media Emotionen zeigen? Ja, aber vor dem Posten bitte ­einmal durchatmen! von Martin Fuchs

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Ganz anders als die eigenen Väter

Emotionen, Kommunikation und Politik spielten beim Thema Väter­ monate mustergültig zusammen von Malte Ristau

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Emotionen


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Aus dem Bauch: Zu mindestens 80 Prozent sei er ein Mensch der Ratio, sagt Claus Weselsky über sich. Aber gerade in den turbulenten Tagen des längsten Bahnstreiks aller Zeiten gab es für den Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer Momente, in denen er auf sein Bauchgefühl hörte.

34 In den Kopf: Zu wissen, was der Kunde fühlt, ist in der Werbung ein entscheidender Vorteil. Neuromarketing-Agenturen sind darauf spezialisiert, die emotionale Wirkung von Kampagnen zu ergründen. Das ist nicht nur im Fall von Joghurt und Zahnpasta interessant, sondern auch für die Politik.

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Gefühltes Wissen

Surfen auf der Welle der Empörung

Der Verhaltensökonom Florian Artinger erklärt, wann es hilfreich ist, intuitiv zu entscheiden

Spindoktoren verantworten das politische Emotionsmanagement. Wie gelingt das?

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Die Stunde der Populisten Nach dem Wutbürger kam der Angstbürger. Über die Dynamik populistischer Bewegungen

Welche politische Entscheidung haben Sie zuletzt eher emotional getroffen?

von Karin Priester

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Evitas Affäre mit dem Volk

Bittmann, bitte.

icht nur rechte Hetzer, auch Spitzen­ N politiker lassen sich zu Pöbeleien ­hinreißen. Das sollte aufhören!

von Sandra Schmid

von Mathias Ulmann

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Bücher

von Viktoria Bittmann

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Umfrage: Die emotionalsten Kabinettsmitglieder 86

Ist der Politiker der Zukunft eher emotional oder sachlich? 88

Wie Evita die Machtpolitik des Perón-Regimes emotional auflud

Wo steckt eigentlich … Ole von Beust?

von Marco Althaus

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Umfrage: Die emotionals­ten Kabinetts­ mitglieder I/2016

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Viktoria Bittmann spricht mit Claus Weselsky

Während des längsten Streiks der Unternehmensgeschichte der Deutschen Bahn schlug dem Vorsitzenden der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, teils blanker Hass entgegen. Ein Gespräch über hitzige Debatten auf dem Bahnsteig, Coolness am Verhandlungstisch und „Grütze in 140 Zeichen“.

„Ich bin kein Narzisst“

Herr Weselsky, eine Schätzfrage zum Einstieg: Auf wie vielen Dartscheiben hing ein Foto von Ihnen während des längsten Streiks in der Geschichte der Deutschen Bahn? Da mag es 100 Dartscheiben gegeben haben oder mehr. Ich bin schlecht im Schätzen. Mit welchem Gefühl steht man auf, wenn einem Medien den Titel „meistgehasster Deutscher“ verleihen? Das war gar kein so schlechtes Gefühl. Bitte? Für den Vorsitzenden einer Gewerk­ schaft gibt es einen einzigen Prüfme­ chanismus, an dem er seine Handlun­ gen auszurichten hat: der Wille seiner Mitglieder. Wir haben im Tarifkon­ flikt jeden Tag überprüft, wo unsere Mannschaft steht – der Shitstorm war ja nicht nur über mich, sondern über unseren gesamten Berufsstand

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hereingebrochen. Aber unsere Mann­ schaft stand, deswegen bin ich mit einem guten Gefühl aufge­standen. Der Shitstorm muss Sie doch getroffen haben. Ich sage ganz offen: Ich bin nicht nur ernüchtert, sondern schockiert darü­ ber, dass selbst öffentlich-rechtliche Medien sich mancher Begrifflich­ keiten bedient haben, die sich nicht gehören und damit auch das Feuer gegen Lokomotivführer geschürt haben. Das klingt nicht nach einem guten Gefühl am Morgen. Doch, denn wir haben nur zu ­überprüfen, wo unsere Mitglieder stehen – und die haben entschieden, dass sie in den Streik treten, bis es ein ­Er­gebnis gibt. Wenn man außerhalb seiner Gewerkschaft gefühlt Feindesland betritt, kann das doch nicht angenehm sein.

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Egomane, Hardliner, Scharfmacher – die meisten Porträts über Claus Weselsky fallen wenig schmeichelhaft aus.

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Anne Hünninghaus über Emotionsmessung und Neuromarketing

Neurowissenschaftliche Technologien sind im Marketing angekommen. Agenturen analysieren mithilfe von Emotionsmessungen die Wirkung von Kampagnenmotiven und geben Hinweise, wie sich Designs und Wordings optimieren lassen. Auch für die politische Kommunikation haben die Methoden Potenzial.

Wir wissen, wie du fühlst

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tellen Sie sich vor, unser Maga­ zin könnte Sie lesen. Unsicht­ bare Sensoren auf den Seiten tasten Ihre Gesichtszüge ab und mes­ sen den Hautwiderstand Ihrer Finger, während Sie umblättern. Sofort würde unserer Redaktion gemeldet, ob Sie gerade interessiert oder gelangweilt sind. Ob Sie unser Layout anspre­ chend finden, auf welcher Zeile Ihr Blick am längsten verweilt. Ja, das ist Science Fiction. In diesem Ausmaß zumindest. Aber Neuromar­ keting ist auf dem Vormarsch – nicht erst seit Anfang des Jahres bekannt wurde, dass Trendsetter Apple das Start-up Emotient gekauft hat. Die­ ses ist darauf spe­zialisiert, Emoti­ onen am Gesichtsausdruck zu erken­ nen. Künftig könnte, so wird gemun­ kelt, die Technologie in Apple-Soft­ ware wie die Fitness-App Health oder den Sprachassistenten Siri eingebaut

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werden – für einen noch transparen­ teren Nutzer. Weit entfernt des Silicon Valleys, in einem Labor in Berlin-Adlershof, befindet sich das Start-up Emolyzr, das der Emotionspsychologe André Weinreich 2013 als Spin-off der Hum­ boldt-Universität zu Berlin gründete. Unternehmen, die herausfinden möchten, welche Gefühle ihre Kom­ munikationsmittel auslösen, können das dort testen lassen. Emolyzr nutzt dafür die Kombination dreier Instru­ mente: Beim Eye-Tracking misst eine Hochleistungskamera, worauf der Blick gerichtet ist, um zu ergründen, wo Aufmerksamkeit besteht. Als Indi­ kator für Attraktivität, also Elemente, die der Kunde anziehend findet, fun­ giert die Elektromyografie (EMG). Elektroden und ein Biosignalverstär­ ker machen unsichtbare emotionale Regungen sichtbar. Zudem erfassen

Elektroden an den Fingern, wie sehr das Gehirn aktiviert ist (Elektroder­ male Aktivität). Ersetzt also künftig das Messgerät den Multiple-Choice-Bogen? „Nein, wir befragen die Menschen ebenfalls. Als Emotionsmesser gehen wir aber methodisch darüber hinaus, erlan­ gen Einsichten in tieferliegende Bereiche“, sagt Weinreich.

Große Versprechen Immer mehr Agenturen werben mit Expertise in diesem Bereich, viele von ihnen haben allerdings einen zweifelhaften Ruf. „Neuromarke­ ting schreiben sich viele auf die Fah­ nen, Neurowissenschaft steckt aber nicht überall drin“, sagt Bernd Weber, Professor für Neuroökonomie an der Universität Bonn und Mitbe­ gründer des Centers for Economics

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Würde sich über politische Kampagnen in seinem Portfolio freuen: Emolyzr-Gründer André Weinreich.

Hans-Hermann Langguth, Geschäftsführer Campaigning, PR & Political Affairs der Agentur Zum goldenen Hirschen Berlin:

„Anything goes. Okay. Aber müssen wir auch alles machen, was machbar ist? Kommunikation lebt von Überraschung, totale Erfolgssteuerung und -kontrolle werden eine Illusion bleiben, in der digitalen Welt zumal. Ganz indianisch möchte man da rufen: Erst wenn das letzte Hirn durchleuchtet, der letzte Gedanke gelesen, die letzte Emotion eingefangen ist, werdet ihr merken, dass man Menschen gar nicht mehr fernsteuern kann.“

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and Neuroscience. Oft könnten im wirtschaftlichen Kontext die wissen­ schaftlichen Ansprüche nicht einge­ halten werden. In Kombination mit ausgewähl­ ten klassischen Methoden könne man durch die Emotionsmessung den Kunden ganzheitlich verste­ hen und ansprechen, verspricht Emolyzr auf seiner Webseite. Wei­ ter heißt es: „Diese Kombination erlaubt eine zuverlässige Vorher­ sage realer Marktzahlen bei über­ schaubaren Stichprobengrößen.“ Diese Aussage hält Weber für über­ zogen. „Es gibt Hinweise, dass diese Tools etwas Zusätzliches erklären, über Individuen und auch über den Markt. Aber wie viel sie erklären, ist noch völlig unbestimmt.“ Dazu seien wissenschaftliche Studien in einer kaum finanzierbaren Größenord­ nung notwendig.

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Laurin Schmid hat Protagonisten und Schauplätze zusammengeführt

Orte, die bewegen

Schauplätze, an denen Geschichte geschrieben und Politik gemacht wird, werden gern als Orte der Macht bezeichnet. Für die Protagonisten sind es oft auch Orte voller Emotionen. Wir haben Marianne Birthler, Peter Radunski, Walter Momper und Marco Buschmann an Plätzen getroffen, die in ihrem politischen Leben emotional von besonderer Bedeutung sind oder waren.

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Auf der Großdemonstration am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz sprach Marianne Birthler (Grüne) vor hunderttausenden Menschen. „Für viele war dieser Tag ein Schlüsselerlebnis, da sie sich das erste Mal trauten, demonstrieren zu gehen“, sagt Birthler. „Ich hatte das Gefühl, jetzt haben wir es geschafft.“ Fünf Tage später fiel die Mauer.

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Verena Köttker über die Bedeutung von Beliebtheitsrankings für Politiker

Das permanente Messen individueller Beliebtheitswerte gehört zum politischen Geschäft wie die Sonntagsfrage. Wer verstehen will, was Umfragewerte steigen oder einbrechen lässt, sollte die Kurven zentraler Akteure genau studieren. Denn die Gunst der Wähler ist berechenbar. +5

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er schon einmal vor der Datsche von Angela Mer­ kel gestanden hat, der weiß, dass die Bundeskanzlerin einen Hang zum Schlichten hat. Ein beschei­ denes, weißes Einfamilienhaus mit kar­ gem Garten, etwa 20 Autominuten von Templin entfernt. Nichts schmückt Fassade oder Grundstück. Ein Haus, selbst eine Datsche, sagt einiges über einen Menschen aus. Welcher rationale, extrem struktu­ rierte Typ wohnt schon in einem Haus, in dem es vor Blümchen und Nippes wimmelt? Und welcher genügsame

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Mensch lässt in sein Bad goldene Was­ serhähne einbauen? Eben! Merkel also, die Erfinderin der neuen Sachlichkeit im höchsten Regierungsamt. Lange hieß es von ihr, sie würde Politik „vom Ende her den­ ken“, stets kühl und rational agieren. Einblicke in ihr Privatleben gelangen nur selten, bestätigten aber das Bild. Mit den Worten „Angela hat einen sehr scharfen Verstand“ beschrieb Merkels erster Ehemann, Ulrich Mer­ kel, einst seine Exfrau und schilderte ihren wenig emotionalen Abgang: „Eines Tages packte sie ihre Sachen

und zog aus unserer gemeinsamen Wohnung aus. Sie hatte das mit sich selbst ausgemacht und dann die Kon­ sequenzen gezogen.“ Diese Mischung aus Nüchternund Bescheidenheit war es, die Mer­ kel über lange Zeit überdurchschnitt­ lich gute Beliebtheitswerte und eine hohe Anerkennung und Reputation bescherten – und das nicht nur in Deutschland. Das „Time“-Magazin kürte sie noch im Dezember 2015 zur „mächtigsten Frau der Welt“. Wie aber kann eine so beliebte Politikerin innerhalb weniger Wochen

Emotionen


die Großwetterlage in den Partei­ zentralen. Nicht erst seit Merkel wird das Wohl und Wehe einer ganzen Partei an einzelnen Personen festgemacht. Liegt Merkel in den Umfragen oben­ auf, stimmen (auf Bundesebene) auch die Prozentwerte der CDU. Sinkt der persönliche Währungskurs der Kanz­ lerin, wird sie selbst auf Länderebene zum Wahlkampfrisiko. Die Medien haben den Druck auf den einzelnen Politiker erhöht. Sie wollen Geschichten, in denen es menschelt. Sie lieben Momente

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Die Beliebtheit von Politikern ist ein Begleiter, auf den kein Verlass ist. Um populär zu bleiben, ist eine stän­ dige Anpassung an neue Situatio­nen erforderlich. Strömungen müssen beobachtet und in politisches Han­ deln und verständliche, klare Bot­ schaften übersetzt werden. Womit wir wieder bei Merkel sind. Wer ihre über viele Jahre währende starke Popularität verstehen will, sollte einen Blick auf den Anfang ihrer Kanzlerschaft werfen: Nach den har­ ten Agenda-Jahren kam mit ihr eine Regierungschefin, die bereits am

Wahlabend dem Macho-Gehabe Ger­ hard Schröders gelassen begegnete. Das war für viele eine wohltuende Abwechslung. Merkels Kose­ name „Mutti“, einst in der Bundestagsfrak­ tion erfunden, symbolisierte in den Folgejahren sehr gut die Mischung aus Strenge und dem Vertrauen, das man ihr entgegenbrachte. Die Mehr­ heit der Bundesbürger fühlte sich den Meinungsumfragen zufolge in guten Händen. Mutti macht das schon.

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wie den auf dem CSU-Parteitag am 20. November 2015 in München, als Horst Seehofer die Kanzlerin 15 Minuten lang wie ein Schulmäd­ chen auf der Bühne stehen ließ – während er dozierte. Jeden Gesichts­ ausdruck Merkels fingen die Kame­ ras ein. „Jeder Fehler wird unbarm­ herzig registriert und transportiert. Jede Unpopularität demoskopisch ermittelt“, sagt Politikwissenschaft­ ler Karl-Rudolf Korte.

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in den Umfragen derart abstürzen? Was ist es eigentlich, das Politiker die Gunst der Wähler gewinnen lässt? Und wie kann ein Politiker seine guten Umfragewerte dauerhaft halten? Der Stellenwert von Beliebtheits­ rankings für die gesamte politische Landschaft ist inzwischen enorm. Im Schnitt drei Umfragen gibt allein das Kanzleramt pro Woche in Auf­ trag, fand der „Spiegel“ heraus. Das Barometer der Beliebtheit beeinflusst

Wobei die Betonung auf „machen“ lag. Bis September 2015 waren ihre Umfragewerte top. Dann setzte in den Beliebtheitsrankings die Trendwende ein. In der Politikertreppe des „Spie­ gels“ musste Merkel erstmals den Spitzenplatz abgeben. Im Politbaro­ meter des ZDF, einem der wichtigsten Rankings, sackte ihr Beliebtheitswert zwischen März 2015 und Januar 2016 um über die Hälfte ab – ihr schlech­ tester Wert seit vier Jahren. „Eine Kanzlerin im Abendrot“ kommentierte der „Stern“ im Februar. Seit Monaten schmeiße die Kanzlerin

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Sandra Schmid spricht mit Florian Artinger über Entscheidungsfindung

Ein kalter Morgen in Berlin-Kreuzberg. Verhaltensökonom Florian Artinger bestellt vor Beginn des Interviews einen grünen Tee. Sencha oder Matcha, fragt die Bedienung. Artinger nimmt Sencha. Einfache Wahl. Mit Entscheidungen kennt er sich aus. Artinger erforscht, warum und wie Menschen auch unter Unsicherheit und Zeitdruck richtige Entscheidungen treffen können.

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Herr Artinger, wann haben Sie zuletzt bei einer wichtigen Entscheidung auf Ihr Bauchgefühl gehört? Als ich mich zwischen zwei Stellenan­ geboten entscheiden musste. Ich hätte nach meinem Forschungsaufenthalt an der Universität Warwick dort blei­ ben können – dann aber bekam ich die Chance, zum Max-Planck-Insti­ tut für Bildungsforschung zurückzu­ kehren. Ich hatte spontan das Gefühl, ja, das will ich. Aber hätten Sie nicht erstmal das Für und Wider abwägen müssen? Das wird so zumindest oft empfohlen. Mir kam es aber schon im Studium seltsam vor, dass die Wirtschaftstheo­ rie so stark auf rationale Entschei­ dungsfindung abstellt. Dabei steht sie oft im Widerspruch zu dem, wie Menschen in Wirklichkeit handeln. Das heißt? Menschen entscheiden nicht nur ra­­ tional. Die wenigsten listen zum Bei­ spiel tatsächlich Pro- und Kontra-Ar­ gumente auf und gewichten sie, um zu einer Entscheidung zu kommen. Sie schreiben vielleicht solche Listen,

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wenn sie zweifeln, aber am Ende ent­ scheiden sie dann doch intuitiv. Warum das? Wenn das Ergebnis einer solchen Abwägung von Pro und Kontra fest­ steht, haben die meisten Menschen plötzlich ein deutliches Gefühl, ob dies wirklich die richtige Wahl wäre. Nicht selten entscheiden sie dann gegen die Kalkulation und folgen ihrem Bauchgefühl. Aber für eine gute Entscheidung braucht man doch auch den Verstand, oder nicht? Ja, natürlich. Das rationale, analy­ tische Denken ist in Entscheidungs­ situationen behilflich, in denen sich mögliche Risiken voraussehen und Wahrscheinlichkeiten berechnen lassen. Doch solche Entscheidungen sind in Politik und Wirtschaft eher selten. Häufiger kommen Entschei­ dungen unter Unsicherheit vor, deren Konsequenzen schwer abschätzbar sind. Dann ist die Intuition die bes­ sere Leitschnur. Wieso lohnt es sich gerade dann, der Intuition zu folgen? Müsste man nicht möglichst viele Informationen sammeln?

Mehr Informationen in Betracht zu ziehen, kann schnell in die Irre füh­ ren. Sinnvoller ist es, stattdessen die zentralen, also die wirklich wichtigen Entscheidungsfaktoren herauszufil­ tern. Dabei ist die Intuition sehr hilf­ reich – vorausgesetzt allerdings, dass die Person bereits über Erfahrung in der betreffenden Frage verfügt. So kommt es, dass intuitive Entschei­ dungen zu erstaunlich erfolgreichen Ergebnissen führen können. Der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth aber sagt: Bauchgefühle sind Affekte und fast immer falsch. Im Deutschen wird die Intuition gern mit dem Bauch gleichgesetzt. Die Spanier aber zum Beispiel spre­ chen vom Herz. Ob Herz oder Bauch: Was wir meinen, ist Intuition – und die ist kein Affekt, sondern eine Art gefühltes Wissen. Dieses wird einem plötzlich bewusst, meist ohne zu wis­ sen weshalb. Wird Bauchgefühlen deshalb oft misstraut? Menschen möchten die Gründe für Entscheidungen kennen, um nach­ vollziehen zu können, weshalb sie so gefällt wurden. Intuitive Entschei­ dungen lassen sich aber nun mal schlechter begründen. Und das macht sich, gerade wenn es sich um schwerwiegende Beschlüsse handelt, in der Außendarstellung weniger gut. Genau. Bauchentscheidungen erfor­ dern von anderen Vertrauen. Nehmen wir an, ein Manager beruft sich bei einer strategischen Entscheidung, die viele Arbeitsplätze kostet, auf sein Bauchgefühl. Hinterher stellt sich heraus, dass die Strategie nicht aufgeht. Was dann? Eine Garantie, dass eine unter Unsi­ cherheit getroffene Entscheidung richtig ist, gibt es leider nicht. Des­ halb braucht es viel Erfahrung, um Intuition zu entwickeln und ihr zu folgen – und Mut. Wie wichtig ist Intuition für Entscheidungsträger?

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Umfrage: Die emotionalsten Kabinettsmitglieder

Welche Kabinettsmitglieder setzen in ihrer Kommunikation am wirkungsvollsten auf Emotionen?

Umfrage: 480 Teilnehm er 1.440 Stimme n 16 Kandidaten

Nach den Umfragen zu Unternehmens­ repräsentanten, Staats­sekretären, Bevoll­ mächtigten der Länder beim Bund und Rising Stars im Bundestag steht das Bundeskabinett im Fokus der aktuellen Ausgabe von politik&kommunikation.

Im Februar haben wir Entscheider ­gefragt, welche Mitglieder des Bundeskabinetts in ihrer Kommunikation am wirkungsvollsten auf Emotionen setzen. 480 Kenner des politischen Betriebs nahmen an der Umfrage teil. Aus der Liste der 16 Kabinettsmitglieder wählten die Teilnehmer jeweils drei Personen aus. Das Ergebnis: In die Top 3 schafften es politische Köpfe, die auf den ersten Blick denkbar wenig gemeinsam haben. Mit 46,9 Prozent der Stimmen entschied Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) das Rennen für sich. 46,3 Prozent ­aller ­Befragten votierten für Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), mit 38,5 Prozent der Stimmen folgt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Außerdem fragten wir die Teilnehmer, wie glaubhaft emotionale Auftritte von Spitzenpolitikern generell auf sie wirken (ab Seite 83).

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Manuela Schwesig 1

Sie ist Diplom-Finanzwirtin und war als Steueramtsrätin tätig – nach emotio­ nalen Ausbrüchen klingt dieser fach­ liche Hintergrund zunächst nicht. Doch soziale Fragen beschäftigen die stellver­ tretende Bundesvorsitzende der SPD seit ihrem Eintritt in die Politik. Von 2008 bis 2013 war sie Sozialministe­ rin in Mecklenburg-Vorpommern. 2013 wurde sie Bundesministerin für Fami­ lie, Senioren, Frauen und Jugend. The­ men wie der Schutz von Flüchtlings­ kindern vor Gewalt oder auch die bes­ sere Vereinbarkeit von Beruf und Fami­ lie stehen seither auf ihrer Agenda. Was möglicherweise auch in ihre Top-Plat­ zierung hineinspielt: Die 41-Jährige hat sich in den Mutterschutz verabschiedet, im März erwartet sie ihr zweites Kind.

Angela Merkel Auf den dritten Platz hat die Community Bundeskanzlerin Angela Merkel gewählt. Im In- und Ausland gilt die CDU-Politikerin an und für sich als nüchterne Ratio­nalistin. Weicher erscheinen lässt sie der­ zeit aber wohl ihr Kurs in der Flüchtlings­ debatte. Im Herbst vergangenen Jahres zeigte sie eine neue, emotionale Facette – die Selfies, die Merkel gemeinsam mit Asyl­ suchenden aufnahm, 3 gingen ebenso um die Welt wie ihre Aussage „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Kritik hagelte es für ihren unbeholfenen Umgang mit dem Flüchtlings­ mädchen Reem, dem die Abschiebung droht. Unter dem Hashtag #merkelstreichelt wurde Merkels ausweichende Reaktion spöttisch bis wütend kommentiert.

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Sigmar Gabriel Auf Platz zwei ist Bundeswirtschaftsminis­ter Sigmar Gabriel gelandet, der auf der politischen Bühne ganz andere Emotio­ nen zum Einsatz bringt als seine Kabinettskollegin Schwesig. Der SPD-Chef gilt als Polterer – man denke nur an leiden­ schaftliche Wortgefechte mit Journalisten, beispielsweise mit „Heute-Journal“-Moderatorin Marietta Slomka. Unverhohlen brachte er seine Wut zum Ausdruck, als er rechte Hetzer als „Pack“ und die Täter der Kölner Silvesternacht als „Arschlö­ cher“ titulierte. Im September vergangenen Jahres machte er allerdings mit anderen Gefühlswallungen Schlagzeilen: Beim Besuch eines Flüchtlingscamps in Jordanien kämpfte der 56-Jährige offensichtlich mit den Tränen.

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