gibt mir Hoffnung“
Der türkische Journalist Can Dündar hängt im deutschen Exil fest. Für immer? Ein Interview.
„Berlin
Der türkische Journalist Can Dündar hängt im deutschen Exil fest. Für immer? Ein Interview.
„Berlin
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Weil’s um mehr als Geld geht.
Als wir uns mit dem türkischen Journalisten Can Dündar abstimmen, wo, wann und wie wir uns zum Interview verabreden, sind noch Details offen. Wird man seine Nachbarschaft auf den Fotos zum Artikel leicht erkennen? In welchem Stadtteil treffen wir uns? Die Vorsicht hat einen Grund: Dündar steht auf der sogenannten „grauen Liste“. Auf diese Liste setzt das türkische Innenministerium Regimegegner. Sie nennt sie Terroristen.
Dabei hat Dündar nur seinen Job gemacht. Er hat einen Artikel in seiner Zeitung Cumhuriyet veröffentlicht, der enthüllte, dass die türkische Regierung Extremisten in Syrien illegal mit Waffen beliefert hat. Dündar überlebte ein Attentat und wurde in einem politischen Prozess zu 27 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Da weilte der Journalist allerdings bereits im Exil in Deutschland, genauer: in Berlin.
Nach der türkischen Wahl im Mai sieht es nicht so aus, als ob Dündar bald nach Hause zurückkehren kann. Was denkt er darüber? Wie versucht er, weiter in der Türkei gehört zu werden, wo die freie Presse und Meinungsäußerung mit fadenscheiniger Gesetzgebung unterdrückt wird? Und wie verhindern Europa – und Deutschland im Besonderen –, dass Autoritäre der Gesellschaft ihre Regeln aufzwingen? Diese und andere Fragen haben wir ihm gestellt. Seine Antworten lesen Sie ab Seite 46.
Im autoritären Sprachgebrauch ist der „gesunde Menschenverstand“ mittlerweile eine beliebte und oft gebrauchte Formel. Er spricht das (meist negative) Urteil über die Argumente und den Geisteszustand des politischen Gegners. Er setzt einen Deckel auf jede Diskussion. Er ist ein Totschlagargument. Aber: Er ist auch ein Aus -
druck, der wie kaum ein anderer politische Entscheidungen erklären und für Politik werben kann, schreibt meine Kollegin Judit Čech ab Seite 30.
In der politischen Kommunikation wird ohnehin gerätselt, wie man den Menschen Politik wieder näher bringen kann. Der Politikwissenschaftler Thomas Kestler stellt fest: jedenfalls nicht, indem man sich auf Umfragen fixiert. Die Parteienbindung der Menschen nimmt ab, ebenso das Interesse an politischen Institutionen. Die Folge: Umfragen und Stimmungen werden immer untauglicher, um politische Überzeugungen bei der Bevölkerung abzufragen und in Politik zu überführen. Stattdessen plädiert Kestler dafür, eine andere Ressource zu bespielen: die Ideen! (S. 34)
Einge gute Idee könnte Nancy Faeser gut gebrauchen. Sie ist Spitzenkandidatin für die SPD in Hessen, wo am 8. Oktober gewählt wird. Nebenbei ist sie aber auch noch Bundesinnenministerin. Sie benötigt für den Wahlkampf also mehr als grifffige Wahlversprechen und Slogans. Sie muss den Wählern auch eine gute Geschichte erzählen, warum sie nicht Innenministerin bleiben will. Norbert Röttgen, der ebenfalls aus einem Bundesministerium an die Spitze einer Landesregierung wechseln wollte, ist unter anderem hieran gescheitert. Mein Kollege Tobias Schmidt hat sich einige Fälle aus Gegenwart und Vergangenheit vorgenommen. (S. 18)
Eine Geschichte brauchen auch die Parteien aus der amtierenden Ampelkoalition im Bund. Welche Rolle spielen sie? Wie durchsetzungsfähig sind sie? Eckhard Jesse hat sich zu dieser Fragestellung die Sozialdemokraten angeschaut (S. 22), Günter Bannas hat sich die FDP vorgenommen (S. 26).
Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!
14
SCHWARZ ODER WEISS
Deutschland hat verlernt, was ein politischer Skandal ist von Konrad Göke
18
SPURENWECHSEL
Wie Amtsinhaber sich auf ein neues Amt bewerben von Tobias Schmidt
22
DER SPÄRLICHE MAKLER
Warum die SPD sich dabei verrenkt, die Koalition zusammenzuhalten von Eckhard Jesse
26
DER SICHTBARE DRITTE
Wie die FDP wieder zum Zünglein an der Waage wird von Günter Bannas
30
UNVERSTÄNDLICH
Warum der gesunde Menschenverstand zum Kampfbegriff wurde von Judit Cech
34 KOPFSACHE
Warum die Politik weniger auf Umfragen und mehr auf Vorstellungen achten sollte von Thomas Kestler
38
VETTERNWIRTSCHAFT
Was Seilschaften oft dubios, aber selten illegal macht von Anne Hünninghaus und Celine Schäfer
38 MEMES
Wie Bundesjustizministerium sich an Internetwitze herantraut von Linda Dietze und Ronja Liepold
46 INTERVIEW: CAN DÜNDAR
Der türkische Exil-Journalist im Gespräch von Konrad Göke und Tobias Schmidt
52
DAZWISCHENGEFUNKT
Warum die Jungen an der Trennung von Meinung und Nachricht rütteln von Jennifer Garic
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POLITIK UND WIRTSCHAFT
Wie blicken politische Entscheider auf Unternehmen? von Volker Thoms
58 INTERVIEW: GREGOR PETER SCHMITZ
Der „Stern“-Chefredakteur im Gespräch von Kathi Preppner
18
64 DESINFORMATION
Fake-News entwickeln sich weiter – so wie der Kampf dagegen von Philipp Sälhoff und Hannah Schimmele
68
LOBBY UND TADEL
Warum die Ampelkoalition
Expertise von außen braucht von Gregor Schreiber
72
HOMECOMING
Das p&k-Fest nach der parlamentarischen Sommerpause aus der Redaktion
82 GLOSSE Lebenslauf
3 Editorial
5 Schnappschuss
6 Expertentipp
8 Pro & Kontra
10 Fragerunde
10 Floskelalarm
12 Reschs Rhetorik Review
76 Filme & Bücher
79 Impressum
80 Ein Tag mit ...
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat eine Vorliebe für knallige Begriffe, um seine Politik zu beschreiben. Die 130 Milliarden Euro Corona-Finanzhilfen waren der erste „Wumms“. Die 200 Milliarden Euro, mit denen im Herbst 2022 die Folgen der Gaskrise aufgefangen werden sollten, waren der „Doppelwumms“. Jetzt hatte Olaf Scholz wirklich mal eine Wumme in der Hand. Beim Besuch im Olympiastützpunkt Potsdam im August versuchte er sich als Sportschütze. Seine Sportpistole macht allerdings gar nicht „Wumms“ – sie schoss einen Laserstrahl.
Helmut Schmidt sagte: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Hatte er recht?
Gesellschaftliche Zielbilder sind Antreiber, gerade für politisches Handeln. Gepaart mit einer guten Portion Realismus ergeben sie solide Politik.
Gibt es Jugendsünden, die unverzeihlich sind?
Es kommt auf die Vision an. ��
Erfüllt die SPD ihre Führungsrolle in der Ampelkoalition?
Wer glaubhaft seinen Gesinnungswandel erklärt, dem kann man vieles verzeihen. Wenn das nicht gelingt, dann bleibt die Vergangenheit an einem kleben.
Hat die FDP ihre Rolle in der Bundesregierung gefunden?
Es wäre nur schön, wenn dies sichtbarer würde. Ja, sie erfüllt die Oppositionsrolle.
Klimawandel, Rechtsextremismus: Ist journalistische Neutralität und Distanz noch zeitgemäß?
Hört die Bundesregierung zu wenig auf die Expertise der Wirtschaft?
Medien müssen ihrer Rolle als vierte Gewalt gerecht werden. Daher ist die Trennung von Fakten und Meinungen zurecht ein journalistisches Qualitätskriterium.
Standortpolitik, Digitalisierung und Arbeitsrecht: Die selbst ernannte Zukunftskoalition schafft es leider nicht, den Industrie- und Investitionsstandort Deutschland entschieden voranzubringen.
Memes und Tiktok-Tänze: Gehören Social-Media-Trends in die Politik?
Botschaften müssen den Zielgruppen angepasst werden: Authentische und mutige Kommunikation schlägt schnöde Kacheln.
Röttgen, Laschet, Faeser: Sollten Politiker ein Regierungsamt aufgeben, bevor sie für ein neues kandidieren?
Wackelkandidat in der Nato und bei der Ukraine: Ist Erdogan noch unser Partner?
Es sei denn, es findet eine offensive und transparente Aufarbeitung statt (bevor andere dazu auffordern).
Visionen sind Treiber für Handeln. Zaghaftes Herumdoktern an den Realitäten macht unser System zum Patienten.
Wir sollten immer verzeihen können. Politisch tragbar ist trotzdem nicht alles.
Sagen wir, da ist noch Luft nach oben.
Zeitgemäß und sogar wichtiger denn je. Vermeintlicher Haltungsjournalismus ist ein gefährlicher Nährboden für Extremismus.
Entscheidend ist der Umgang damit im Erwachsenenalter.
Schlimmeres zu verhindern trägt als Narrativ nicht durch die ganze Legislatur. Auf Dauer ist das zu wenig.
Der Visionsbegriff ist mehrdeutig und kontextabhängig.
Ja, zum Beispiel schwere Straftaten.
Der Klimawandel ist wissenschaftlich belegt und Rechtsextremismus ist keine politische Haltung, sondern ein Verbrechen.
Neutralität und Distanz sind Voraussetzung für Vertrauen in Journalismus. Gehen sie verloren, verliert der Journalismus Legitimität. Das wäre dramatisch!
Sie wird ihr aber auch nicht zugestanden.
Journalistische Neutralität gab es nie. Haltung ist Triebfeder für Erkenntnis –und in der Kombination mit sauberem Handwerk wirksam in der Vermittlung.
Gut gemachte Gesetze bauen auf Expertise und entsprechend frühzeitige Einbindung. Dass es daran öfter hapert – das haben 20 Wirtschaftsverbände kürzlich in einem Schreiben deutlich gemacht und gute Forderungen für ein besseres Zusammenwirken aufgestellt.
Nicht so konservativ. Jede Zeit findet ihren eigenen Ausdruck.
Ja, auch wenn es manchmal wehtut. Ohne Trends keine Viralität, ohne Viralität keine Reichweite, ohne Reichweite keine Relevanz in der anvisierten Zielgruppe.
Ja, um erfolgreich zu sein.
Es geht nicht um die Kandidatur, sondern das Rückfahrticket in der Hinterhand. Letzteres schadet der eigenen Glaubwürdigkeit.
(Formal) Ja.
Nein, aber welche realpolitische Alternative haben wir?
Ein schwieriger, aber unverzichtbarer Partner für unsere geostrategischen Interessen.
An hohe Temperaturen sind wir als Stahlunternehmen gewöhnt. Wir stehen am Beginn einer spannenden, aber auch herausfordernden Phase: Durch unsere Transformation hin zu grünem Stahl werden wir bis Ende 2033 rund 95% unserer CO2-Emissionen einsparen. Die Politik glaubt an die Dekarbonisierung der Stahlindustrie und unterstützt unsere Pläne. Nun gilt es, den Weg dorthin gemeinsam aktiv und konstruktiv zu gestalten. Schließlich eint uns doch ein gemeinsames Ziel: Deutschlands Klimaneutralität.
Hauptstadtbüro und Stahlindustrie
– das klingt nach einer explosiven Mischung! Wie verhindern Sie, dass die politischen Diskussionen so heiß laufen wie ein Hochofen?
DANIEL SCHMÜCKING ist Leiter der Abteilung politische Kommunikation und des Adenauer Campus der KonradAdenauer-Stiftung (KAS).
LIZZIE HERZOG leitet die Ständige Vertretung von Salzgitter in Berlin.
Was ist die größte Veränderung, die wir in den nächsten Jahren auf dem Finanzmarkt erwarten können?
Geld wird sich neu definieren. Digitale Zahlungen und Kryptowährungen werden beliebter, Kühlschränke und Autos wickeln Zahlungen ab. Futuristische Visionen sind bereits heute Realität: Menschen scannen ihre Augen, um Zugang zu einer neuen digitalen Währung zu erhalten. Durch die Einführung von digitalem Zentralbankgeld könnte sich diese Entwicklung weiter beschleunigen. Daher müssen wir uns jetzt mit der Frage beschäftigen, wie unsere europäische Vision für ein wettbewerbsfähiges und für Innovationen offenes Payment-Ökosystem aussieht und welche Weichen dafür gestellt werden müssen.
SIMONE WIESSMEYER ist Director Public Policy bei Mastercard.
Nachdem ich etwa
9 Jahre für die KAS in Ländern gearbeitet habe, wo die Demokratie schon länger stärker in Gefahr ist, blicke ich mit Sorge auf Deutschland. Das größte Problem ist für mich, dass eine riesige Lücke zwischen Politik und der Realität der Menschen entstanden ist. Diese Lücke muss die Politik wieder schließen, indem sie sich um die realen Probleme der Bürger kümmert und eine Sprache spricht, die diese auch verstehen. Der Staat muss Problemlöser und nicht Problemverursacher sein, dann wird auch wieder die Akzeptanz für die Demokratie steigen.
FLOSKELALARM
Wie schätzen Sie die aktuelle politische Lage in Deutschland ein und was braucht es, um die Demokratie zu stärken?
Wenn es einen Skandal, ein Skandälchen oder einen digitalen Shitstorm gibt, muss erst einmal Zeit gewonnen werden. Vorwürfe oder Anschuldigungen stehen im öffentlichen Raum – was wäre da besser, als die ganze Aufregung mit einer zeitlichen Streckung zu dämpfen? Also muss „alles in Ruhe aufgeklärt“ werden. Jüngster Fall ist das antisemitische Flugblatt, das Hubert Aiwanger oder sein Bruder als Schüler verfasst haben. Bayern-MP Markus Söder steckt in der Zwickmühle. Entlässt er Aiwanger kurz vor der Wahl, ist er auch seinen Koalitionspart-
ner in Gestalt der Freien Wähler los. Und zu den Grünen hat er alle Brücken angebrochen. Also wird Aiwanger erst einmal „einbestellt“, als sei er der russische Botschafter, dann verhört und schließlich muss er dem Inquisitor Söder 25 Fragen beantworten, denn schließlich „muss alles in Ruhe aufgeklärt werden“. Hat auch geklappt: Aiwanger bleibt, bald danach tagte der Bundestag – und dominierte die News.
IST CHEFREPORTER IN DER BERLINER REDAKTION DER
„ES WIRD ALLES IN RUHE AUFGEKLÄRT“DANIEL GOFFART WIRTSCHAFTSWOCHE
Kaum jemand hat in einer Affäre den Aufklärungswillen so vermissen lassen wie er: Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW).
HUBERT AIWANGER und die Freien Wähler gehen gestärkt aus der Flugblatt-Affäre hervor. Politik, Medien und Öffentlichkeit inszenieren politische Skandale als Blockkämpfe. Das nützt vor allem den Hardlinern.
Diese Bayernumfrage dürfte das Weltbild einiger Politiker, Journalisten und Twitterinfluencer erschüttert haben. 17 Prozent für die Freien Wähler. Zwei Punkte vor den Grünen. Die CSU sackt um einen Prozentpunkt ab auf negativrekordverdächtige 36 Prozent. So zeigte es eine Infratest-Dimap-Umfrage, die Mitte September herauskam.
Am Anfang stand ein Artikel der “Süddeutschen Zeitung”. Darum ging es um ein Flugblatt, das im Schuljahr 1987/88 am Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg kursierte, und im Schulranzen des 17-Jährigen Hubert Aiwanger gefunden wurde. Der sollte später Politiker werden und – Bayerns Wirtschaftsminister. Im Flugblatt ging es um ein Preisausschreiben für „Vaterlandsverräter“. Preise unter anderem: ein “Freiflug durch die Schornsteine von Auschwitz” oder ein Genickschuss. Geschmacklos und widerlich. Die SZ war sicher: Aiwanger war der Autor.
Der Artikel las sich wie eine Anklage, vielleicht sogar wie ein Urteil. Dafür, dass der Artikel ein Hitpiece war, stehen Sätze wie: „Nach Erding haben alle gefragt, ob sich da einer radikalisiert. Aber vielleicht ist das die falsche Frage. Vielleicht ist die Frage, ob dieser Hubert Aiwanger schon immer so getickt hat.“ Eine rhetorische Frage. Die SZ trat an, sie mit „Ja“ zu beantworten. Dabei verhehlte sie auch kaum ihr Ziel: Hubert Aiwanger zu Fall zu bringen, die „Welle“ zu brechen, die er seit seiner Erding-Rede reite.
Wie Berichterstattung las sich der Artikel nicht. Dazu wäre es nötig gewesen, auch die Zweifel unterzubringen. Zum Beispiel den Zweifel daran, warum der Fehltritt eines 17-Jährigen die Karriere eines Berufspolitikers 35 Jahre später zerstören soll. Zum Beispiel den Zweifel, warum diese Geschichte kurz vor einer wichtigen Landtagswahl an die Zeitung herangetragen wurde. Oder den Zweifel daran, ob die Aussagen belastbar genug waren, um eine Urheberschaft am Flugblatt zweifelsfrei nachzuweisen. Das alles ist nicht geschehen. Angesprochen standen diese Zweifel höchstens, weil die Autoren des Artikels sich die Mühe machten, sie zu entkräften, bevor Sie von außerhalb erhoben würden.
Der Süddeutschen Zeitung eine Kampagne vorzuwerfen, lag einfach zu nahe. Das Flugblatt war auf Aiwangers Schreibmaschine geschrieben worden. Das Gutachten hob sich die SZ für einen späteren Tag auf, dazu noch Kommentare, Berichterstattung über die Berichterstattung. Zweifel an der Schuldhaftigkeit Aiwangers wurden nicht wirklich berücksichtigt. Aiwangers Bruder Helmut hat inzwischen behauptet, Autor des Flugblatts zu sein. Den SZ-Chefredakteur interessierte das nicht. Er legte nach und forderte in einem Leitartikel den sofortigen Rücktritt Aiwangers: „Auf die Urheberschaft kommt es nicht mehr an,
„Der Artikel las sich nicht wie Berichterstattung.“
Schon mit Beginn der Ampelkoalition hat Kanzler Olaf Scholz angekündigt: Das Ziel ist die Wiederwahl. Für einen Kanzlerwahlverein sind die SOZIALDEMOKRATEN allerdings immer noch zu schwach.
Das war ein kluger Schachzug der SPD: Die Parteispitze um Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans nominierte im August 2020 Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten. Esken und Walter-Borjans hatten im November 2019 Scholz und Klara Geywitz im Rennen um den Parteivorsitz in einer Stichwahl besiegt –als Vertreter des linken Parteiflügels. Scholz wurde dann im Mai 2021 auf dem Parteitag mit einer überwältigenden Mehrheit von 96 Prozent gewählt. Strategisch war dies klug, denn Scholz, als Vertreter der rechten Mitte seiner Partei, stieß bei der Bevölkerung auf deutlich mehr Sympathie als Esken oder Walter-Borjans. Als Finanzminister fungierte Scholz als Vizekanzler in der Großen Koalition unter Angela Merkel und konnte so indirekt einen Kanzlerbonus für sich beanspruchen.
Er profitierte zudem von folgendem Umstand: Die Union und die Grünen nominierten mit Armin Laschet und Annalena Baerbock jeweils Kandidaten, die intern jeweils auf mehr Zuspruch stießen als Markus Söder und Robert Habeck, obwohl diese außerhalb der eigenen Partei populärer waren. Scholz profitierte weiterhin vom Verzicht Merkels auf eine erneute Kanzlerkandidatur und von der Geschlossenheit seiner Partei. Mit 25,7 Prozent der Stimmen konnte die SPD ihren Anteil um 5,2 Punkte steigern. Sie lag damit zum ersten Mal seit 2002 wieder an der Spitze. Dies war maßgeblich
Scholz' Verdienst, der im Wahlkampf sachlich blieb und polemische Töne mied.
1890 wurde die SPD zur stärksten Partei im Kaiserreich. Dies geschah gleich nach der Aufhebung des „Sozialistengesetzes“. Die Partei hatte eine tragende Rolle beim Übergang vom Kaiserreich zur Weimarer Republik. Sie musste sich der Kräfte von rechts- und linksaußen erwehren. In der ersten deutschen Demokratie fiel ihr nicht der Einfluss zu, der ihr nach den Wahlergebnissen eigentlich zustand. Im Dritten Reich schnell verboten, kehrte sie mit ihrem Widerstand gegen das Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 nach dem Krieg unbelastet in die politische Arena zurück. Wurde die Partei in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) beziehungsweise DDR durch die Zwangsfusion mit der KPD zur SED am 21./22. April 1946 ausgeschaltet, spielte sie in der Bundesrepublik Deutschland auf Bundesebene lange nur eine Nebenrolle.
Mit dem Godesberger Programm von 1959 und der Juniorpartnerschaft im Bund zwischen 1966 und 1969 wurde die SPD salonfähig. In einigen Bundesländern war sie da bereits zur führenden Kraft avanciert. Unter Willy Brandt schmiedete sie im Bund zwischen 1969 und 1974 eine Koa-
„Die Nominierung von Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten war ein kluger Schachzug.“
Ob Zweck- oder Liebesehe: Die FDP war in Regierungen zuletzt entweder zu brav oder zu unbequem. Wie das ehemalige Zünglein an der Waage aus der Balance gekommen ist
Sollte die Ampelkoalition – was trotz interner Auseinandersetzungen wahrscheinlich ist – bis zum Ende der Wahlperiode halten, hätte die FDP dann 50 Jahre lang in Bundesregierungen gesessen. Das ist fast so lang wie die Unionsparteien mit 52 Jahren, mehr als die SPD mit 39 Jahren und deutlich mehr als die Grünen, die es dann auf elf Jahre bringen werden. In Kabinetten von sieben der neun Bundeskanzlern seit 1949 waren FDP-Bundesminister vertreten: bei Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Angela Merkel und nun bei Olaf Scholz. Mal pflegte man die FDP-Juniorpartner, manchmal triezte man sie. Diese agierten Mal aus einer Position der Stärke heraus, manchmal waren sie schwach. Traditionen bildeten sich heraus und Lehren wurden gezogen bis in die aktuelle Ampelregierung hinein.
In den Anfangsjahren der Bundesrepublik war die FDP zwar in Bundesregierungen mit der Union – von 1949 bis 1957 unter Adenauer und von 1961 bis 1966 nochmals unter Adenauer und dann unter Erhard. Aber Schlüsselressorts wie Innen, Außen, Verteidigung, Wirtschaft und Finanzen beanspruchten stets CDU und CSU. Die FDP bekam die schön klingende, aber einflusslose Aufgabe des „Vizekanzlers“, auch das Wohnungsbauministerium oder das Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen. 1961 erlebte die FDP, dass sehr gute Wahlergebnisse Gefahren in sich ber-
gen. Parteichef Erich Mende zog mit der Losung „Koalition mit der Union, aber nicht unter Kanzler Adenauer“ in den Wahlkampf. Die FDP erhielt 12,8 Prozent – ihr bis 2009 bestes Ergebnis. Aber Adenauer setzte sich noch einmal durch: Er blieb zwei weitere Jahre Kanzler. Die FDP wurde geziehen, „umgefallen“ zu sein. Ein Makel war das, der auch Jahre später immer instrumentalisiert wurde –je nach Bedarf und Kalkül mal aus der SPD, mal aus den Unionsparteien. Im damaligen Dreiparteiensystem konnte die FDP entscheiden, welche der beiden großen Parteien den Bundeskanzler stellte. Sie war vielen deshalb auch das „Waagscheißerle“ – jedenfalls solange sich die Volksparteien nicht wie erstmals 1966 zusammentaten.
Mit der Bundestagswahl 1969 begann für die FDP eine Blütezeit. Sie nutzte ihre Möglichkeiten, zwischen den beiden Volksparteien SPD und CDU/CSU zu entscheiden. Willy Brandt (SPD) wurde Kanzler, der FDP-Vorsitzende Walter Scheel wurde Außenminister. Die Liberalen waren stark genug, um in Schlüsselministerien einzuziehen: Neben dem Außenministerium sicherten sie sich die Ressorts für Inneres, Justiz und Wirtschaft. Nach Brandts Rücktritt 1974 wählte die FDP Helmut Schmidt zu seinem Nachfolger. Dafür forderte Scheel erfolgreich eine Morgengabe der SPD: Die Sozialdemokraten müssten seiner Wahl zum Bundespräsidenten zustimmen. Unter Schmidt und
„1969 begann für die FDP eine Blütezeit.“
Seit der Trauzeugen-Affäre um Ex-Staatssekretär Patrick Graichen schauen Medien und Opposition genau hin, wenn sie KLÜNGELEI vermuten. Aber worum geht es bei dem Vorwurf eigentlich – und wann wird es wirklich kriminell?
VON ANNE HÜNNINGHAUS UND CELINE SCHÄFER
Hier kommt es laut Anwalt Philipp Gehrmann vor allem auf die folgenden vier Paragrafen im Strafgesetzbuch an:
§ 331: Vorteilsannahme
§ 332: Bestechlichkeit
§ 333: Vorteilsgewährung
§ 334 Bestechung
Beispiel für Bestechlichkeit: In einem Ministerium wird jemand eingestellt, der unter allen Bewerbern nicht am besten geeignet ist, aber für die Anstellung eine Gegenleistung erbringt, etwa Geld oder die Verleihung eines Ordens, sexuelle Gefälligkeiten etc.
Philipp da Cunha gibt ein klägliches Bild ab in dem Video, das im Sommer in Medien und sozialen Netzwerken kursiert. Der SPD-Abgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern sträubt sich, eine klare Antwort zu geben. Die Frage des NDR-Reporters lautet: Warum war für ein Bürgerforum ausgerechnet das Hotel Golchener Hof ausgewählt worden, das dem Ehemann von Vize-Fraktionschefin Christine Klingohr gehört? Auch, wie viel Miete dafür gezahlt wurde, mag er nicht sagen. Bei jeder erneuten Nachfrage wiederholt der 36-jährige Landespolitiker dieselbe inhaltsleere Leier.
Vetternwirtschaft – das Wort steht unausgesprochen im Raum. Ein Vorwurf, der auch vielversprechende Karrieren aus der Bahn wirft, zuletzt die des grünen Wirtschaftstaatssekretärs Patrick Graichen (Grüne). In Graichens Wikipedia-Eintrag nimmt der Abschnitt zur sogenannten „Trauzeugen-Affäre“ doppelt so viel Platz ein wie dessen inhaltliche politische Schwerpunkte. In Medien erschienen komplexe Schaubilder, die über die Vertrauensverhältnisse des ehemaligen Staatssekretärs aufklärten: Da war der Trauzeuge, den Graichen für den Chefposten der Deutschen Energie-Agentur vorgeschlagen hatte. Und
Graichens Geschwister – beide am Öko-Institut beschäftigt, das sich unter anderem über Aufträge des Ministeriums finanziert. Zu allem Überfluss ist die Schwester auch noch Ehefrau des Parlamentarischen Staatssekretärs Michael Kellner. Kurzum: Das gesamte familiäre Geflecht wirkte anrüchig.
Tatsächlich schickte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Graichen am 17. Mai nach langem Ringen in den einstweiligen politischen Ruhestand – nachdem dann doch noch ein konkreter Verstoß gegen Compliance-Regeln festgestellt worden war. „Es geht darum, dass in einem Fall eines Zuwendungsprojekts der Anschein von Parteilichkeit nicht vollständig ausgeschlossen werden konnte“, erklärt das Bundeswirtschaftsministerium. Graichen hätte die Vorstufe eines Förderantrags nicht abzeichnen dürfen, da seine Schwester Landesvorsitzende der geförderten Organisation war.
Vetternwirtschaft ist so alt wie das politische System selbst. Man kennt sich. Man mag sich. Man kann gut miteinander arbeiten. Man erweist einander Gefallen, in der Erwartung gegenseitiger Vorteile. Oder man will seine Pfründe sichern. Ein Minister besetzt Ämter gern mit Vertrauten, wohlwissend, dass in der nächsten Legisla-
Das Problem: „Korruption dieser Art ist in der Praxis oft schwer nachzuweisen“, sagt Anwalt Gehrmann.
Daher gibt es die Paragraphen 331 und 333 als Vorfeldtatbestand: Man muss nicht erst beweisen, dass etwa Geld geflossen ist, es fallen auch „Fälle des Anfütterns“ darunter.
Zum Beispiel: Der Bauunternehmer sagt eine Parteispende zu und erwähnt lapidar gegenüber dem Amtsträger: „Die nächsten Bauprojekte werden ja bestimmt kommen …“ Gehrmann erklärt: „Dass dies verfolgt wird, hat den Zweck, das Vertrauen der Bürger in die Redlichkeit von Amtsträgern zu schützen. In Deutschland werden Verstöße streng geahndet.“
Die Abgeordnetenbestechung ist seit 1994 ebenfalls ein Straftatbestand, sie wird in § 108e Strafgesetzbuch geregelt. Gegenüber Amtsträgern sind Abgeordnete allerdings bevorteilt, was immer wieder für Kritik sorgt.
„Vetternwirtschaft ist so alt wie das politische System.“Ex-Staatssekretär Patrick Graichen (l.) brachte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Bedrängnis.
MEMES sind ein Minenfeld. Viele schrecken in ihrer Kommunikation deshalb davor zurück. Unsere Gastautorinnen aus dem Bundesjustizministerium rufen den anderen Behörden zu: Es lohnt sich!
Wir haben uns getraut! Seit Januar 2023 nutzen wir auf unserem Instagram-Kanal Memes – und das als Bundesjustizministerium. Klar ist: Für PR-Profis und die Werbeindustrie gehört das längst zum Alltag im Redaktionsplan, bei Ministerien ist diese Art des Storytellings allerdings noch wenig verbreitet. Auch viele Nutzerinnen und Nutzer waren überrascht. Ein typischer Kommentar lautete: „So etwas auf einer offiziellen Ministeriumsseite …“. Gemeint war das allerdings meist sehr positiv. Bis zu 2.200 organische Likes und verhältnismäßig große Reichweiten konnten wir bisher erzie -
len. Auch die Zahl der Followerinnen und Follower erhöht sich bei Meme-Postings überproportional.
Memes erfreuen sich großer Beliebtheit. Schon im Jahr 2020 wurden laut Meta alleine auf Facebook pro Tag mehr als eine Millionen Memes veröffentlicht. Sie sind vor allem bei jüngeren Followerinnen und Followern sehr beliebt und leicht verständlich. Warum? Weil ihre Vorbilder oftmals bereits viral gegangen sind. Viele User bringen deshalb das Vorwissen über Kontext, Emotionen und Bedeutung mit, an das die Memes anknüpfen können. Trotzdem sind sie gerade bei Behörden selten bis gar nicht in der
Timeline zu finden, obwohl sie relativ unkompliziert zu erstellen sind. Das könnte vor allem einen Grund haben: Memes sind meist lustig und teilweise salopp – somit eher untypisch für die offizielle Kommunikation von Behörden. Wer sie postet, verlässt die sachliche Ebene der Kommunikation und spricht die Emotionen des Empfängers an.
Genau darin liegt aber auch für die Kommunikation von Ministerien und Co. der Schlüssel zum Erfolg. Denn
Social Media ist Beziehungsarbeit, Sender und Empfänger müssen sich emotional begegnen, damit Inhalte wirken. Gerade wenn es um Gesetze und Verordnungen geht, ist das nicht einfach. Denn diese Kommunikation zeichnet sich vor allem durch Sachlichkeit aus. Komplexer und schwer verständlicher Content bekommt in der Regel wenig Aufmerksamkeit. Insbesondere jüngere Menschen werden so kaum abgeholt – auch die große Verbreitung von kurzen, meist leicht verständlichen Videos, zum Beispiel bei Instagram oder Tiktok, sind dafür ein Indiz.
Seit 2016 lebt der türkische Journalist CAN DÜNDAR im deutschen Exil. Zurück in die Türkei darf er nicht. In einem politisch motivierten Prozess wurde er als angeblicher Terrorist zu knapp 28 Jahren Haft verurteilt. Im Interview mit p&k erklärt er, wie er heute noch die türkische Öffentlichkeit informiert, warum er sich das Schreiben mit der linken Hand beigebracht hat und fordert, dass die Deutschen ihre Demokratie stärker verteidigen.
Herr Dündar. Als renommierter Journalist: Mit welcher Frage würden Sie ein Interview mit Can Dündar eröffnen?
„War es für Sie symbolisch, zwischen den beiden Türen zu posieren?“ Denn das ist mehr oder weniger mein Leben, ein Leben zwischen zwei Türen. Ich weiß nicht, welche Tür in naher Zukunft für mich offen steht. Es war eine gute Idee, mich eingeklemmt zwischen zwei Türen zu stellen. Sie mögen das Adorno-Zitat: „Wer keine Heimat mehr hat, dem wird wohl gar das Schreiben zum Wohnen.“ Was bedeutet das für Sie persönlich?
Ich kenne Adorno aus meinen Universitätsjahren. Als ich diesen Satz las, fühlte er sich sehr vertraut an. Es ist sehr traurig, im Exil zu leben. Man verlässt seine Heimatstadt, sein Land, seine Lieben. Man kommt in eine neue Stadt, ein neues Land, hört eine neue Sprache, trifft neue Leute.
Man braucht etwas, woran man sich klammern kann. Im Gefängnis war es genauso. Ich las und schrieb, nichts anderes. Das hat mir das Leben gerettet. Wir durften keine Computer benutzen. Ohne diesen Stift und einige Bücher wäre es sehr schwierig gewesen, mit der Situation fertigzuwerden. Gleichzeitig schreibe ich, um mich auszudrücken. Ich schreibe, um meine Gefühle zu teilen. Ich schreibe, um den Schmerz zu ertragen. Und ich schreibe, um Menschen zu erreichen und meine Situation zu teilen.
Sehen Sie sich in einer Reihe von berühmten
Exilanten?
Nicht berühmt, nein. Aber alle Exilanten fühlen sich gleich, wirklich. Ich habe die meisten Erinnerungen der deutschen Exilanten in den 1930er Jahren gelesen. Sie dachten nur an Deutschland. Sie dachten an ihre Rückkehr. Sie versuchten, sich einer neuen Gesellschaft anzupassen. Sie planten, etwas zu tun, um das Regime in Deutschland
zu stürzen. Sie planten sogar, Rundfunksendungen von ihrem Exil aus nach Deutschland zu übertragen. Wenn man immer noch für sein Land kämpft, denkt man automatisch so.
Sie sind in der Türkei politisch verfolgt wegen eines Nachrichtenartikels.
In der Türkei braucht es keine spezifischen Gründe, um als Staatsfeind angesehen zu werden. Wenn Sie die Regierung ablehnen, sind Sie bereits ein Terrorist. Die Regierung hat die Geschichte, die ich in meiner Zeitung als Chefredakteur veröffentlicht habe, als Vorwand genutzt, um gegen mich vorzugehen. In einer geheimen Operation schmuggelte der türkische Geheimdienst Waffen an islamistische Dschihadisten in Syrien. Wir berichteten, sie beschlagnahmten die Zeitung. Sie bestritten die Geschichte nicht, denn sie war wahr. Aber
ist ein türkischer Journalist, Dokumentarfilmer und Buchautor, der seit 2016 im deutschen Exil lebt. Er wurde bekannt als Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“, die 2015 einen Bericht über geheime Waffenlieferungen der türkischen Regierung an syrische Rebellen veröffentlichte. Dafür wurde er der Spionage angeklagt und zu einer langen Haftstrafe verurteilt, die er jedoch nicht antrat. Er floh nach Deutschland, wo er weiterhin als Kolumnist und Fernsehmoderator arbeitet. Er leitet das Webradio Özgürüz, das vom Recherchezentrum Correctiv betrieben wird. Er ist auch Autor von mehr als 20 Büchern über die türkische Geschichte und Politik. Er wurde mehrfach für seinen mutigen Journalismus ausgezeichnet, unter anderem mit dem International Press Freedom Award und dem Raif Badawi Award. Er steht auf der Liste der meistgesuchten Terroristen der türkischen Regierung und ist mehrmals bedroht und angegriffen worden. Er setzt sich für die Demokratie und die Menschenrechte in der Türkei ein.
sie sagten, es sei ein Staatsgeheimnis gewesen, das ich nicht hätte offenbaren dürfen. Woher sollte ich das denn wissen? Sie steckten mich für drei Monate ins Gefängnis. Nachdem ich freigelassen worden war, wurde ich verurteilt, am Ende zu 28 Jahren Gefängnis. Aber ich war zwischenzeitlich in Europa. Wenn ich zurückgehe, lande ich wieder im Gefängnis.
Glauben Sie, dass sich in Ihrem Leben etwas geändert hätte, wenn Sie den Artikel nicht veröffentlicht hätten?
Um auf der sicheren Seite zu sein, hilft einzig Schweigen. Das ist keine Option für einen Journalisten. Aber es gibt viele in der Türkei, die diesen Weg leider gewählt haben. Und sie sind okay, sie leben immer noch im Land. Wie ist der Zustand des Journalismus in der Türkei?
„Wenn ich zurückgehe, lande ich wieder im Gefängnis.“
Der „Stern“ machte zuletzt mit einer Reihe von hochkarätigen Neuverpflichtungen auf sich aufmerksam. Chefredakteur
GREGOR PETER SCHMITZ verfolgt einen Plan. Er will, dass die Menschen über sein Magazin sagen: Die trauen sich was! Im Interview spricht er darüber, welche Themen aus Politik und Wirtschaft für den „Stern“ interessant sind und was die besondere Herangehensweise seines Magazins ausmacht.
Herr Schmitz, vor rund anderthalb Jahren sind Sie „Stern“-Chefredakteur geworden. Mit welchem der bisher von Ihnen verantworteten Cover sind Sie besonders zufrieden?
Es gibt ein paar Titelbilder, die für das stehen, wo wir mit dem „Stern“ gerne hinmöchten. Nämlich dass wir etwas provokanter und frecher sind als manche Mitbewerber. Dass Menschen sagen: Die trauen sich was! Wir haben gemerkt, dass große Gespräche gut funktionieren, in denen sich Menschen öffnen. Hängen geblieben ist beispielsweise das Gespräch mit Gerhard Schröder im vorigen Jahr. Und vor kurzem das Interview zweier Kollegen mit Alice Weidel, das zwar sehr umstritten war, aber breite Diskussionen ausgelöst hat. Es gab auch Geschichten, bei denen wir merken, dass wir einfach einen Nerv in der Gesellschaft treffen: etwa das Cover „Friedrich, der Falsche“ über den umstrittenen Umgang von CDU-Chef Friedrich Merz mit der AfD. Aber auch die Frage, ob wir uns die Reichen noch leisten können, die wir auf eine T-Shirt-Collage mit Finanzminister Christian Lindner gedruckt hatten. Das sind „Stern“-Geschichten, weil sie die großen Fragen tangieren: In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?
Sie haben immer wieder auch bunte und nutzwertige Themen dabei wie „Fit für den Sommer“ oder „Essen Sie sich gesund“. Welche Rolle spielen solche Themen?
In der Tat haben mich am Anfang Kollegen oft gefragt: Wie soll das heute noch funktionieren, diese „Wundertüte“, für die der „Stern“ früher bekannt war? Dadurch sei doch der Markenkern unklar. Ich teile diese Sicht nicht, weil ich glaube, dass der „Stern“ mit ganz vielen Themen punkten kann. Niemand wird am Kiosk seltsam gucken, wenn auf dem „Stern“ eine harte politische oder investigative Geschichte ist, Henry Kissinger etwa seine Strategie zur Beendigung des Ukraine-Krieges erläutert oder eine Reporterin nach monatelanger Recherche den gesuchten Antisemiten Attila Hildmann in der Türkei aufspürt. Umgekehrt wird aber auch niemand sagen: Oh, das passt aber gar nicht zum „Stern“, wenn wir uns zum Beispiel mal „fit für den Sommer“ machen. Dass der „Stern“ das pralle Leben abdeckt, ist immer so gewesen, und das wird auch so bleiben.
Wen sprechen Sie mit diesem breiten Spektrum an? Ist Ihre Zielgruppe auch viel breiter?
Der „Stern“ ist mehr als „Spiegel“ und „Zeit“ in der Mitte der Gesellschaft verankert. Damit meine ich nicht nur die politische Einteilung, sondern Menschen, die vielleicht nicht in allen Debatten immer in allen Details drin sind und sich eher die größeren Fragen stellen. Da muss man manchmal mehr erklären und einordnen. Und vor allem kommt der „Stern“ immer sehr stark über den Menschen. Wenn zum Beispiel Olaf Scholz ein Jahr im Amt ist, kann
Im September endete die parlamentarischen Sommerpause und das politische Berlin erwachte wieder zum Leben. Zeit für das p&k-HOMECOMING. Gemeinsam mit der Quadriga Hochschule feierten wir zum Start der zweiten Jahreshälfte traditionell unser Welcome-Dinner mit rund 200 geladenen Gästen aus Politik, Medien, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Dieses Jahr feierten wir im Clärchens Ballhaus in Berlin-Mitte.
Für beschleunigte Genehmigungsverfahren und harmonisierte Regeln beim Bau von PV-Anlagen auf Gewerbedächern
Gewerbedächer im Lebensmittelgroßhandel haben durch ihre Freiflächen ein enormes Potential für den Bau von Photovoltaik-Anlagen. Im von METRO LOGISTICS betriebenen Logistikzentrum in Marl haben wir im September 2023 gemeinsam mit Goodman und BayWa r.e. eine PV-Aufdachanlage mit 43.000 Solar-Modulen erö net. Diese ist mit einer Leistung von 18 MWp die Größte in Deutschland. Dadurch kann in Marl nahezu der komplette Eigenbedarf an Strom gedeckt und ein erheblicher Teil der dortigen CO2-Emissionen gesenkt werden. Damit künftig mehr solcher Kraftwerke der Zukunft entstehen und Unternehmen nachhaltige Energieinvestitionen tätigen können, fordern wir beschleunigte Genehmigungsverfahren und bundesweit harmonisierte Regeln zum Bau und zur Inbetriebnahme von PV-Anlagen.