HKW | Mai & Juni 2017

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maI JuN 2017

2  oDEr  3  TiGER »MiSFiTS«  Schools  of  Tomorrow


Kennzahlen, Planspiele und Szena­ rien verdecken allzu oft die Unfä­ higkeit, notwendige Veränderungen anzugehen. Schools of Tomorrow wagt sich an Zukunftsentwürfe für das Lehren und Lernen: Welche Gesellschaft wollen wir und wie kann Schule bei ihrer Gestaltung mit­ wirken? Die zwei Frühjahrsausstel­ lungen des HKW betrachten Kunst aus dem ostasiatischen Raum aus unterschiedlichen Perspektiven. Was kann Kunst nationalstaatlichen und essentialistischen Begriffen von Identität entgegensetzen? Und wie lassen sich die gegenwärtigen ­Versuche der globalen Erweiterung der Kunstgeschichte, etwa zu einer universellen Moderne, kritisch ­hinterfragen? Die Begriffe „Gewalt“ und „Angst“ schreiben das Wörterbuch der Gegenwart fort und eine neue Reihe greift die Auseinandersetzung mit dem Anthropozän w ­ ieder auf. Bernd Scherer


100 JAHRE GEGENWART: 2 ODER 3 TIGER

Chia-Wei Hsu, Spirit writing (Filmstill), produziert von Le Fresnoy, 2016

Bis 3. Jul Ausstellung

2 oder 3 Tiger

Zeitgleich mit seiner fast völligen Ausrottung kehrt der Tiger als Gespenst in das kulturelle Imaginäre der Moderne zurück. Sein Bild spiegelt veränderte Gesellschaftsstruk­ turen und Begegnungen mit dem Anderen. Die Ausstellung reflektiert einen Medienbegriff zwischen spirituellen Bezugspunkten und den wandelbaren Formen technologi­ scher Repräsentation. —— At the same time as tigers were driven to near extinction, they leap into the imaginary of national modernity in East Asia as recurring ghosts. The image of the tiger ­reflects changing social structures and encounters with otherness. This exhibition examines a concept of mediality between spiritual aspects and mutable forms of technolog­ical representation.


2 ODER 3 TIGER

Wo auch immer sich der Mensch seinen Lebensraum mit dem Tiger geteilt hat, erscheint das Tier in der Mythologie als Schwellenfigur, die eng mit der Gemeinschaft verbunden ist und doch auf ein Außerhalb verweist. Als ein Wesen geografischer Grenzräume markiert der Tiger die Zone, die Zivilisation von der Wildnis und die Lebenden von den Seelen der Ahnen trennt. Als Wegbegleiter und mythisches Symbol spielt der Tiger eine zentrale Rolle als Medium an den Grenzen der Gesellschaft. Als Symbol natio­ naler Macht, militärischer Stärke und wirtschaftlichen Wachstums verbindet er die hypermoderne Gegenwart mit der kolonialen und vorkolonialen Vergangenheit. Die Arbeiten der Ausstellung nähern sich kollektiven Erinnerungen, indem sie die historisch gewachse­ ne Natur ihrer medialen Vermittlung und Darstellung hinterfragen. ­Sie reflektieren die wandelbare Form von Massenmedien und suchen nach komplexen Bildern, die zum Schauplatz gemeinsamer histori­ scher Erfahrung werden könnten. Der Titel der Ausstellung ist der zentralen Arbeit des Künstlers, ­Filme- und Theatermachers Ho Tzu Nyen entlehnt, die das sich wand­el­n­de Bild des Tigers und Wertigers ­in der vormodernen und modernen Mythologie Malaysias und Singapurs in den Blick nimmt. Weitere Beiträ­ ge beschäftigen sich mit der Medi­ atisierung der Tigerfigur, um im digitalen Zeitalter darüber nach­ zudenken, wie kollektive historische Erfahrungen rekonstruiert, vermit­ telt und neu erfasst werden können. Das Begleitprogramm Flights from the Empire widmet sich in Vorträgen, Performances und Filmen Strate­ gien des Widerstands gegen impe­ riale und nationale Strukturen. Mit Bezug auf James C. Scotts Buch The Art of Not Being Governed wird die These aufgegriffen, dass sich

rund um das Hoch­plateau Asiens eine Zomia genannte ­Geografie befindet, die sich ­gegen staatliche Zugriffe auflehnt. Es wird nicht nur die Genese ­staatlicher Strukturen, nationaler Grenzen und kapitalisti­ scher Ökonomien problematisiert, sondern auch ihr Verhältnis zu indi­ genen Kulturen und Identitätskons­ truktionen beleuchtet. Mit Beiträgen von Nontawat Numbenchapol, Jakrawal ­Nilthamrong, Nguyen Trinh, IM Heung-soon, Ritu Sarin und Tenzing Sinam u. v. a. Ausstellung mit Arbeiten von Ho Tzu Nyen, James T. Hong, ­ChiaWei Hsu, IM Heung-soon, Jane ­ Jin ­Kaisen & Guston Sondin-Kung, Minouk Lim, Park Chan-kyong, ­Lieko Shiga, Yuichiro Tamura Kuratiert von Anselm Franke und Hyunjin Kim Eine begleitende Onlinepublikation versammelt Essays zu den Themen der Ausstellung. hkw.de/tigers_publication Ausstellung Täglich (außer Di) 11–19h Eintritt: 7€/5€, Mo & U16 frei Kombiticket mit “Misfits”: 10€/7€ Führungen So 30.4., Mo 8.5., So 14.5., Mo 29.5., So 11.6., So 18.6. 3€ zzgl. Ausstellungsticket Kids & Teens-Workshop So 21.5. & So 11.6. 5€ Begleitprogramm Flights from the Empire Sa 17. & So 18.6. 10€/7€ (inkl. Ausstellungen) Simultanübersetzung deutsch, englisch hkw.de/tiger


KANON-FRAGEN: “MISFITS”

Bis 3. Jul Ausstellung

“Misfits”: Lose Blätter aus der ­Geschichte der Moderne

Wie wird die Kunst der Moderne zur Gegenwartskunst? Wie stellen diese Systeme Sichtbarkeit her und validieren Kunst? Die Arbeiten von drei „Unangepassten“ fordern geltende Rahmenerzählungen der Kunstgeschichte heraus und öffnen den Blick für alternative Kriterien der Kanonisierung. —— How does modernist art become contemporary art? How do these systems create visibility and validate art? The works of three “non-conformist” artists question the framing narratives for art history and open our gaze for alternative criteria of canonization.

Bagyi Aung Soe, Untitled, 1980er Jahre. Filzstift auf Papier, courtesy of Gajah Gallery


“MISFITS”

Tang Chang, Rox Lee und Bagyi Aung Soe entziehen sich eindeutigen Zuordnungen: Alle drei entwickelten ihr Werk außer­halb der Kunstinsti­ tutionen und verweigerten sich gegenüber Identifikationsmustern. Bewusst beharrten sie auf ihren Außenseiterpositionen und traten den national orientierten Kunstinsti­ tutionen kritisch oder mit Desinter­ esse entgegen. Die Werkschau zeigt Konkrete Poesie und Abstrakten Expressionismus, Performance, Comic, Animationsfilm und vor allem Zeich­ nung – Arbeiten aus persönlichen Archiven, die bisher einer größeren Öffentlichkeit verschlossen blieben. Tang Changs (1934–1990) Werk entstand ab den 1950er Jahren. Mit abstrakter, gestischer Malerei, von chinesischer Philosophie beeinflusster Konkreter Poesie und Kalligrafie überwand er Genregren­ zen und herrschende Vorstellungen von Thai-­Dichtung. Zeitlebens Autodidakt, wahrte er seine Unab­ hängigkeit gegenüber der thai­ ländischen Kunstszene. Rox Lee (geb. 1950) arbeitete Ende der 1970er Jahre als Zeichner und Autor für Punk- und Undergr­ound-Magazine; u. a. erfand er die Comic-Kultfigur Cesar Asar. Unter dem Eindruck von Kaltem Krieg, Umweltzerstörung, Verstädterung und Missachtung der Menschen­ rechte entwickelte er beißend satiri­ sche Filmarbeiten aus Trickzeich­ nungen, gefundenem Material und perfor­mativen Sequenzen. Bagyi Aung Soe (1923–1990) entwarf ab den 1950er Jahren eine Bildsprache zwischen Malerei und Illustration. Ein Stipendium an der von Rabindranath Tagore gegründe­ ten Visva-Bharati University prägte seine Haltung zu Ästhetik und Kunst. Er experimentierte mit Avantgarde­ stilen, lehnte jedoch die Hegemonie der westlichen Moderne klar ab. Heute gilt er als Wegbereiter der modernen Kunst Myanmars.

Escape Trajectories: Art History’s Runaways Komplementär zur Ausstellung stellt das Diskurspro­ gramm Positionen in den Fokus, die sich den Zwängen der nationalen Identifikation entziehen. Was lässt sich aus ihren strategischen Bewe­ gungen lernen? Wie können künst­ lerische Außenseiterpositionen die Grenzen und blinden Flecken der Kunstgeschichte offenlegen? Mit dem Künstler und Kurator Merv Espina, der Kuratorin und Filmwissenschaftlerin May Adadol Ingawanij, den Kunsthistorikerinnen Yin Ker, Eileen Legaspi-Ramirez, Reiko Tomii u. v. a. Kuratiert von David Teh in ­Zusammenarbeit mit Yin Ker, Merv Espina und Mary Pansanga Ausstellung Täglich (außer Di) 11–19h Eintritt: 5€/3€, Mo frei Kombiticket mit 2 oder 3 Tiger: 10€/7€ Führungen So 7.5., Mo 15.5., Mo 12.6. 3€ zzgl. Ausstellungsticket Begleitprogramm Escape Trajectories: Art History’s Runaways Fr 30.6. & Sa 1.7. 10€/7€ (inkl. Ausstellungen) Simultanübersetzung englisch, deutsch hkw.de/misfits


Chica modulare Kinderstühle 1971. Design: Donato D’Urbino, Jonathan De Pas, Paolo Lomazzi, Giorgio DeCurso | © 2017 The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florenz

100 JAHRE GEGENWART: SCHOOLS OF TOMORROW

4.–6. Mai Auftaktkonferenz

Schools of Tomorrow

Welche Zukunftsentwürfe könnten Denken und Handeln leiten, wenn Schule als Labor der Gesellschaft von morgen verstanden wird? Im Zusammenspiel von Akteur*innen aus Schulpraxis, Theorie, Kunst und Gesellschaft lädt die ­Auftaktkonferenz dazu ein, Schulen zu imaginieren, die ein demokratisches Zusammenleben mitgestalten. —— What educational futures can inspire our thought and practice when the school is understood as a social laboratory of the world of tomorrow? Together with experts working in education, theory, art, and society, this conference invites us to imagine school anew in order to shape democratic communal life.


SCHOOLS OF TOMORROW

Vor einem Jahrhundert, als die ­Folgen von Industrialisierung, Migration und Verstädterung sicht­ bar wurden, versuchten Reform­ pädagog*innen weltweit, neue L ­ ernund Lehrkonzepte zu schaffen. So entwickelte der Philosoph John ­Dewey – Autor von Schools of ToMorrow (1915) – eine Erziehungs­ theorie, mithilfe derer er Schüler* innen auf die aktive Mitgestaltung der Gesellschaft vorbereiten wollte. Schools of Tomorrow spinnt diesen Faden weiter: In Anlehnung an aktuelle Praxisbeispiele und experi­ mentelle pädagogische Ansätze aus dem 20. Jahrhundert entwickelt das Projekt Strategien, probiert Ideen aus und beschreitet so neue Wege des gemeinschaftlichen Lernens und Lehrens. Bei der Auftaktkonferenz disku­ tieren Bildungstheoretiker*innen und Schulpraktiker*innen gemein­ sam mit Lehrenden, Eltern, Schüler* innen und Künstler*innen zentrale

Fragen der Schule von morgen: Wie funktioniert Lernen im digitalen Zeitalter? Wie können verschiedene Perspektiven vereint und Teilhabe gelebt werden? Welche Rolle kann die Kunst bei der Entwicklung neuer Formen des Denkens und Handelns spielen? Welche Allianzen verän­ dern und stärken Schulen als gesellschaftliche Orte? Interessierte können sich für Workshops anmelden, die anhand von Praxisbeispielen die Diskussion eröffnen. Die Ergebnisse bilden den Ausgangspunkt für einen Ideenwettbewerb sowie eine Reihe von Schulprojekten, die 2017/18 umgesetzt werden. Kuratiert von Silvia Fehrmann

Do 4.5.

Sa 6.5.

ab 18h Eröffnung

Eintritt frei Das vollständige Programm: hkw.de/tomorrow Anmeldung Workshops: hkw.de/tomorrow-workshops

Gespräch Schule könnte doch ... Jugend hackt, Schüler*innen u. a.

12–14h Gespräch Connecting with the Past: kritische Praxis gestern und heute Catherine Burke, Håkan Forsell, Luis Armando Gandin

Lecture-Performance Sharon Dodua Otoo: A Letter from the Village

15–16h Keynote Gert Biesta: The Beautiful Risk of Education

Keynote Keri Facer: Learning Futures: Education, Technology and Social Change

16–17.30h Gespräch Luis Camnitzer & Franciska Zólyom: Art and the Unknown

14–16h Keynote Mizuko Ito: A New Learning Paradigm

18–19h Screenings Postcards from the Desert Island R: Adelita Husni-Bey, OmE Living Archive_The Choir SuperFuture & Schüler*innen der Hans-Litten-Schule, dt. OV

Praxisberichte Katie Salen Tekinbaş: The Quest to Learn

19.30h Keynote Arjun Appadurai: Politics of Hope Kommentar: Carmen Mörsch

16.30–19.30h Workshops

20.30h Abschlussdiskussion Arjun Appadurai, Gert Biesta, Keri Facer, Janna Graham, Carmen Mörsch

Fr 5.5. 10–13h Workshops


100 JAHRE GEGENWART: WÖRTERBUCH DER GEGENWART

11. Mai  Lesung, Vorträge, Diskussion

Wörterbuch der Gegenwart #6 – GEWALT In gesellschaftlichen Strukturen, Institutionen und Praktiken ist Gewalt verankert. Welche Muster des Denkens, Sprechens und Handelns werden in diesen Systematiken fortgeschrieben? Ein Gespräch über die zunehmende Normalisierung rassistischer Gewalt —— Violence is anchored in social structures, institutions, and practices. What patterns of thought, speech, and action are permeated in these systems? A conversation about the increasing normalization of racist violence Die Autorin Taiye Selasi entwickelt eine Erzählung, in der es um Mechanismen der Konstruktion des „Anderen“ geht – und um Formen des Aufbegehrens gegen diese Fremdzuweisung. Angesichts ­einer zunehmenden gesellschaftlichen Militarisierung untersucht der Philosoph David Theo Goldberg strukturelle Gewalt in post-kolonia­ len Gesellschaften und legt das trügerische Paradox eines postrassistischen Zeitalters offen. Wie

gewaltvolle Konflikte aufbrechen in der Verschränkung von Kapitalis­ mus und Entkolonialisierung, analysiert der Philosoph Achille ­Mbembe, der eine Genealogie ­rassistischer Gewalt nachzeichnet. 19h Eintritt: 5€/3€ Englisch mit deutscher Simultanübersetzung


cellF © Guy Ben-Ary

100 JAHRE GEGENWART: TECHNOSPHÄRENKLÄNGE #3

12. & 13. Mai  Konzerte, Artist Talks

Technosphärenklänge #3

Welche Töne produziert das Zusammenwirken von Natur, Technik und menschlichem Bewusstsein? Drei Soundprojekte an der Schnittstelle von Kunst und Technoscience —— What sounds are produced by the ensemble of nature, ­technology, and human consciousness? Three sound projects at the intersection between art and techno-science cellF von Guy Ben-Ary ist der welt­ erste neurale Synthesizer. Sein „­Gehirn“ ist ein Nervennetzwerk aus der Petrischale; es steuert seinen „Körper“, bestehend aus modularen Synthesizern, die mit menschlichen Musiker*innen, u. a. Schneider TM, zusammenspielen. Evelina Domnitchs und Dmitry ­Gelfands Performanceprojekt Force Field bringt Wassertropfen durch Klang zum Schweben. Sie formieren sich in Resonanz mit den Schallwellen, zugleich werden ihre Schwingungen wieder in Sounds rückübersetzt. So wird das Wasser selbst zum

Klangproduzenten. Robert Henkes spektakuläre Performance Lumière III spielt mit dem menschlichen Wahrnehmungsapparat: Durch das Zusammenwirken von MehrkanalSound mit Laserprojektionen trans­ formieren sich die optischen und psychoakustischen Effekte gegen­ seitig, überlagern sich Nachbilder und „negative Objekte“ und verän­ dern das räumliche Empfinden.

Fr 12.5.

Sa 13.5.

19h Konzert cellF mit Schneider TM (elektrische Gitarre)

15h Artist Talk mit den beteiligten Künstler*innen, Moderation: Christian de Lutz

20h Konzert Evelina Domnitch & Dmitry Gelfand: Force Field

18h Konzert cellF mit Stine Janvin (Stimme)

21h Konzert Robert Henke: Lumière III

Fr 12.5. 22€/18€ Sa 13.5. Eintritt frei hkw.de/tsk


100 JAHRE GEGENWART: WÖRTERBUCH DER GEGENWART

12. Jun  Vorträge, Lesung, Gespräch

Wörterbuch der Gegenwart #7 – ANGST Angst vor Kontrollverlust, vor dem Unbegreiflichen und dem Irrationalen prägen den modernen Menschen. Wie verschieben subjektive und kollektive Ängste das Verhältnis von Bedrohung, Sicherheit und Freiheit? Ein Gespräch über die globalen Verflech­ tungen von Angst, Terror und Trauma —— A key fear in the life of modern humanity is the loss of control — a fear of the incomprehensible and the irrational. How do subjective and collective fears shift the relationship of threat, security, and freedom? A conversation on the global web of fear, terror, and trauma Der Anthropologe Allen Feldman entwickelt eine visuelle Ethnografie der Gewalt. Er zeigt, wie die Kont­ rolle des Sehens zu einer Waffe werden kann und wie die (Un-)Sicht­ barmachung von Gewalt- und Terrorbildern einen konstanten wie latenten Angstzustand hervorruft. 19h Eintritt: 5€/3€ Simultanübersetzung englisch, deutsch

Gerhard Richter, Beerdigung, 1988, 200 cm × 320 cm, Öl auf Leinwand, Werkverzeichnis: 673, © Gerhard Richter 2017 (0085)

Ängsten liegen unterschiedliche Beziehungen zur Welt zugrunde: Politische Strategien der Angst­ produktion nutzen diese gezielt, um die Normalisierung eines Aus­ nahme­zustands in gegenwärtigen Gesellschaften zu etablieren. Welche kognitiven Schemata nutzt Angstpolitik zur Manipulation von Diskursen, Bildern und Begrif­ fen? Der Literatur- und Kulturwis­ senschaftler ­Joseph Vogl unter­ nimmt eine i­deengeschichtliche Analyse der Ursprünge moderner Angstöko­nomien. Dabei unter­ sucht er, wie die ­Bedingungen moderner Subjekt­­konstitution mit heutigen Herrschaftspraktiken zusam­menhängen.


100 JAHRE GEGENWART: STAAT 1–4

Mai–Jul  Theater

Gesellschaftsmodell Großbaustelle (Staat 2)

Verschobene Fertigstellung, Kostenexplosion, komplexe Verflech­ tungen wirtschaftlicher und politischer Akteure, undurchsichtige Verbindungslinien in alle Welt: Im zweiten Teil der Tetralogie Staat 1–4 erforscht Rimini Protokoll, was Großbaustellen über die ­Gesellschaft erzählen. —— Delayed completion, going way over budget, complex webs of economic and political agents, unclear lines leading all over the world: in the second part of the tetralogy Staat 1–4 Rimini Protokoll investigates what large construction projects reveal about society as a whole.

Emscher-Baustelle | Oberhausen Osterfeld Süd | © Mikko Gaestel

Das Düsseldorfer Schauspielhaus verschwindet derzeit hinter den Baugerüsten und Kränen einer benachbarten Großbaustelle. Hier überführt Rimini Protokoll das Geflecht aus internationalen Inves­ tor*innen, Baukonsortien und Auftraggeber*innen bis hinunter zu Vergaberechten und outgesourcten Zulieferfirmen in ein begehbares Raummodell. Stefan Kaegi entwirft das Wimmelbild einer Gesellschaft im Baufieber. Dabei sitzt das Publi­ kum nicht im Zuschauerraum, sondern folgt Expert*innen auf sze­ nischen Baustellenführungen über die Simultanbühnen eines sich im­ mer weiter auffächernden Raumes. Mit Staat 1–4 erforscht Rimini Protokoll gesellschaftliche Zusam­ menhänge, die außerhalb dessen

liegen, was heute vom Nationalstaat organisiert und kontrolliert wird. Bis 2018 folgen zwei weitere Insze­ nierungen am Staatsschauspiel Dresden und am Schauspielhaus Zürich. Die gesamte Reihe wird im März 2018 im HKW zu sehen sein. Gastspiele von Top Secret International (Staat 1) über global agierende Geheimdienste laufen vom 8.–18.6. am Düsseldorfer Schauspielhaus und vom 24.6.–30.7. am Schau­ spielhaus Zürich. Düsseldorfer Schauspielhaus Premiere: Fr 12.5. weitere Termine: Sa 13.5., Di 6.6., Mi 7.6., Sa 1.7., So 2.7. Alle Termine und Tickets: hkw.de/staat1_4


ANTHROPOCENE LECTURE

18. Mai  Vortrag, Diskussion

Anthropocene Lecture: McKenzie Wark Wie lässt sich das Anthropozän, das Zeitalter, in dem der Mensch zur bestimmenden Größe der Erdgeschicke geworden ist, radikal neu fassen? Im Rahmen der Anthropocene Lectures stellt ­McKenzie Wark seine kritische Theorie des Verhältnisses von Arbeit und Natur vor. —— How can we radically reconceptualize the Anthropocene, the geological epoch in which humanity has become a determining factor in the planet’s further evolution? In the framework of the Anthropocene Lectures, McKenzie Wark presents his critical theory of the relation between labor and nature. mit der Wissenschaftshistorikerin Giulia ­Rispoli diskutiert er, wie sich die Organisation von Wissen und Arbeit umgestalten ließe, ohne unsere eigenen Lebensgrundlagen aufs Spiel zu setzen. Die Anthropocene Lectures laden profilierte Akteur*innen der Anthro­ pozändebatte dazu ein, das Kon­zept neu zu akzentuieren und weiter­­­ zudenken. Die Reihe entsteht in ­Ko­oper­a­tion mit dem Institute for ­Advanced Sustainability Studies, Potsdam, und dem Max-PlanckInstitut für Wissenschaftsge­ schichte, Berlin. 19h Eintritt frei Auf Englisch hkw.de/anthropocene Arkady Astapovich, ohne Titel, 1920er Jahre

„Das Anthropozän läuft mit Kohlen­ stoff. In ihm findet keine Umver­ teilung von Wohlstand, Macht oder ­Anerkennung statt, sondern von Molekülen.“ In seinem aktuell auf Deutsch erschienenen Buch ­Molekulares Rot. Theorie für das Anthropozän ruft der Medientheo­ retiker McKenzie Wark dazu auf, „im molekularen Schatten der Koh­ lenstoffbefreiungsfront nicht nur ­irgendeine neue Philosophie zu er­ schaffen, sondern eine neue Poetik und Technik zur Wissensorganisa­ tion“. Im Rückgriff auf die Zukunfts­ entwürfe von Denker*innen wie ­Alexander Bogdanov, Andrej ­Platonow, Donna Haraway und Kim Stanley Robinson schlägt er einen alternativen Realismus vor, in dem es gilt, das Wesen des tätigen Men­ schen neu zu denken. Im Gespräch


LITERATURPREIS / PUBLISHING SPHERE

Mai & Jun  Lesung, Gespräch, Konferenz

Internationaler Literaturpreis 2017

Twitter profile for the bot Subtitle buoy by Gregor Weichbrodt, 2017, @subtitle_buoy | Source: National Data Buoy Center, NOAA

Wer erzählt, was nicht in 140 Zeichen passt? Der Internationale Literaturpreis rückt Gegenwartsliteraturen jenseits der großen Vereinfachungen in den Fokus – vor der Verleihung am 6. Juli mit einer Lesung der Vorjahres-Preisträgerinnen und einer Konferenz, die zugleich Workshop und Radiosendung ist. —— Who tells stories that can’t be limited to just 140 characters? The International Literature Prize — to be awared on July 6 — focuses on contemporary literature beyond simplifications. It is preceded by a reading with last year’s prizewinners and a conference that is workshop and radio show at once.

Wo und wie behält Literatur den Blick für Schattierungen und sprachliche Differenzierungen? Am Literarischen Colloquium Berlin (LCB) sprechen Shumona Sinha und ihre Übersetze­ rin Lena Müller über Sinhas Roman Kalkutta und aktuelle Arbeiten, die Fragen von Identität und Staaten­ losen aufgreifen. Die Konferenz The Publishing Sphere – Ecosystems of Contemporary Literatures aktualisiert den ­Begriff der „Veröffentlichung“: Künstler und Wissenschaftlerinnen vermessen heutige Bezugssysteme literarischer und nichtliterarischer Öffentlichkeiten. Welche Formen des Publizierens bestimmen das lite­ rarische Feld der Gegenwart, das sich nicht mehr auf das Dreieck von ­Autor – Verlegerin – Publikum be­ schränkt? Performative Live-Publish­ i­ng Formate erforschen neue Räume literarischer Praktik.

Der Blog zum Internationalen ­Literaturpreis heißt EPITEXT. Er ­präsentiert Texte zu Texten, Hinter­ gründe und Kommentare rund um die Themen des aktuellen Preis­­ge­schehens. Journal, Essays, ­Gespräche – für die Ausweitung der Lesezone. Shortlist-Bekanntgabe Mo 29.5. hkw.de/literaturpreis epitext.hkw.de Literarisches Colloquium Berlin Lesung mit Shumona Sinha & Lena Müller Do 8.6. 20h lcb.de The Publishing Sphere Di 13. & Mi 14.6. je ab 10h Anmeldung: registration@hkw.de hkw.de/publishing_sphere


PARTNERPROJEKTE

Mai & Jun Präsentationen Salon für ästhetische ­Experimente #3 Lectüre, Lektüre, Lecture, ­Lektschür Annika Haas erkundet in ihrer Lesung Übergänge zwischen Schreiben und Sprechen, Text und Klang, inspiriert von der Schrift­ stellerin Hélène Cixous. Den elektro­akustischen Rahmen liefert ­Tomomi Adachi.

Sozialanthropologin Shalini Randeria

Mo 15.5. Konferenz 10–18h Di 16.5. Festvortrag 19.30h Eintritt frei

|| Mo 15.5. 19h, Eintritt frei #4 A bag, a sling, a snack, a gun! Was wissen Dinge, was erinnern Körper, was zeigen Kameras? Und wie setzt die Kunst Kräfte frei, die ein Medium allein kaum bündeln kann? Mit Performances, Screenings und Konzerten von Marco Donnarumma, Kerstin ­Ergenzinger, Lisa Glauer, Bnaya HalperinKaddari, Darsha Hewitt, Zeynep Tuna-Klingler & Nino Klingler, Kiran Kumar und Clarissa Thieme

|| Mo 12.6. 19h, Eintritt frei

Slum Housing Recife Brazil Original © 2016 by Compassion International, Inc.

7.–9. Jun Konferenz Dimensions of Poverty Neue wissenschaftliche Perspekti­ ven auf absolute und relative Ar­ mut weltweit: Welche normativen Kategorien werden zur Messung von Armut benutzt? Welche Un­ gleichheiten gibt es in der Armuts­ forschung global gesehen? Und wie viel Einfluss haben normativ denkende Wissenschaftler*innen und Theoretiker*innen auf die öf­ fentliche Debatte um die weltweite Armutsbekämpfung? Mit den Ent­ wicklungsökonom*innen Sabina Alkire, ­Sakiko Fukuda-Parr und Varun Gauri sowie den Philosophen Leif Wenar und Jo Wolff

© Benjamin Meyer-Krahmer

15. & 16. Mai Konferenz TRANScuratorial Academy Die Akademie bietet jungen ­Kurator*innen die Möglichkeit, die transkulturellen Schnittstellen und transdisziplinären Diskurse ihrer Arbeit gemeinsam zu erforschen und sich international zu vernetzen. Mit Präsentationen der Teilneh­ menden und einem Festvortrag der

Mi 7.6. 19.30h Do 8.6. & Fr 9.6. ab 9h Eintritt frei

13.–18. Jun Film Les Rencontres Internationales – Neuer Film und zeitgenössische Kunst Zeitgenössische Bildkultur bewegt sich an der Schnittstelle von ästhe­ tischen, sozialen und politischen Fragestellungen. Dabei schwindet


PARTNERPROJEKTE

zunehmend die Trennschärfe zwi­ schen dokumentarischen und fikti­ onalen Ansätzen. Das Festival prä­ sentiert mehr als 100 internationale Neuproduktionen renommierter Künstler*innen und Filmema­ cher*innen und junger Talente, zum Großteil in deutscher Erstauffüh­ rung. Workshops, Podiumsdiskus­ sionen und Gespräche widmen sich kritischen und zukunftsorien­ tierten Betrachtungen gegenwärti­ ger Praktiken in Film und Kunst. Kuratiert von Natalie Hénon und Jean-François Rettig. Mit Beiträgen von Claire Denis, Antoni Muntadas, AES+F, Salomé Lamas, Ubermor­ gen, Laure Prouvost, Lina Selander, Johan Grimonprez u. a. Eröffnung Di 13.6. 19h Screenings Mi 14.6.–Sa 17.6. So 18.6. 13–19h Eintritt frei

Les Rencontres Internationales

19. Jun Konferenz Face it! Einwanderungsgesellschaft. Jetzt. Aber richtig. Deutschland ist eine Einwande­ rungsgesellschaft. Die 800.000 Newcomer*innen seit 2015 haben diese Realität neu bewusstgemacht. 15.000 zivilgesellschaftliche Initia­ tiven sind entstanden, Migrant*in­ nenorganisationen sind aktiver denn je, geflüchtete Menschen for­ dern Teilhabe. Bei der Konferenz arbeiten Initiativen mit Institutionen und Medien an einer stärkeren Vernetzung und diskutieren, wie jenseits populistischer Debatten ein

realistisches Bild der Einwande­ rungsgesellschaft entstehen kann.

18h Diskussion 20h Konzert mit Bernadette La Hengst u. a. Eintritt: 6€/4€

24. Jun Konferenz Der Proxy und seine Politik Von ausweichenden Objekten im vernetzten Zeitalter. Mit Beiträgen von Tom McCarthy, ­Goldin+Senneby, Brian Holmes, Doreen Mende u. v. a.

11–20h Eintritt frei

28. Jun Vortrag, Diskussion Democracy Lecture: Wendy Brown Demokratie unter Beschuss – der apokalyptische Populismus: Im Weißen Haus regiert mit Donald Trump der Prototyp des Homo ­Oeconomicus. Die Demokratie ­betrachtet er als Feind der freien Märkte. Mit seinem Populismus befeuert er in den USA, aber auch in Europa eine aggressive natio­ nalistische Bewegung, deren Ziel es ist, demokratische Ordnungen hinwegzufegen: den Rechtsstaat, seine Institutionen und „das Establishment“. Wendy Brown fragt, ­welche Folgen dieser Feldzug gegen die Demokratie hat. Und wie lässt er sich aufhalten? 19h Eintritt frei Simultanübersetzung englisch, deutsch


PARTNER DES PROGRAMMS MAI/JUNI 2017 2 oder 3 Tiger Präsentiert von Ho Tzu Nyen – One or Several Tigers unterstützt von

Schools of Tomorrow

Ideenwettbewerb in Kooperation mit Anthropocene Lecture

Salon für ästhetische Experimente

Gesellschaftsmodell Großbaustelle (Staat 2) Eine Produktion von Rimini Protokoll und dem Düsseldorfer Schauspielhaus. Teil der Produktionsserie Staat 1–4, einer Kooperation zwischen HKW, Münchner Kammerspiele, Düsseldorfer Schauspielhaus, Staatsschauspiel Dresden, Schauspielhaus Zürich und Rimini Protokoll im Rahmen von 100 Jahre Gegenwart. Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Staat 1 wurde vom Goethe-Institut mitinitiiert. Düsseldorfer Schauspielhaus — Junges Schauspiel — Bürgerbühne

Democracy Lecture     Der Proxy und seine Politik

Lesung S.Sinha | L. Müller    The Publishing Sphere wird unterstützt vom HKW,     der Université Paris Lumières, dem Institut Universitaire     de France, der Alexander von Humboldt Stiftung     und dem Arbeitsbereich von Irene Albers am Peter ­     Szondi-Institut der FU Berlin. Technosphärenklänge #3 Präsentiert von Unterstützt von

LaserAnimation Sollinger

Dimensions of Poverty

Face it!

Das Haus der Kulturen der Welt wird gefördert von

Gestaltung: NODE Berlin Oslo

TRANScuratorial Academy


John-Foster-Dulles-Allee 10 10557 Berlin T: +49 (0) 30 – 397 871 75 info@hkw.de Anfahrt hkw.de/map + Hauptbahnhof + Brandenburger Tor Bundestag Bus 100 hkw.de/newsletter facebook.com/hkw.de twitter.com/hkw_berlin instagram.com/hkw_berlin 100 Jahre Gegenwart Journal journal.hkw.de Das vollständige Programm: hkw.de

Karten T: +49 (0) 30–397 871 75 hkw.de/tickets Freier Eintritt für Veranstaltungen mit diesem Zeichen

Öffnungszeiten täglich 10 – 19h Ausstellungen dienstags geschlossen Restaurant Auster täglich 10 – 20h Das Haus der Kulturen der Welt ist ein ­Geschäftsbereich der Kulturver­anstaltungen des Bundes in Berlin GmbH. Intendant: Bernd Scherer Kaufmännische Geschäftsführerin: Charlotte Sieben Programmstand: 7.4.2017 Änderungen vorbehalten

Foto: Instagram @derprojektor/Jörg Farys #berlinale2017#berlinalemoments #hausderkulturenderwelt


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