HOCH5 Münster

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Thema Genuss 35 % unserer Mitarbeiter wären lieber Koch geworden 14 % können gar nicht kochen 49 % stehen auf Fast Food 14 % geben das auch zu

umgeschaut in Münster #1


HOCH5

Editorial

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HOCH5

ANGE KOM MEN. Editorial

In Münster. Bei Menschen, die nicht lange fragten. Die uns eingeladen haben, ihre Schulter freigaben, für einen neugierigen Blick darüber. Bei Menschen, die uns erzählten, was sie antreibt. Was sie bewegt, was sie ausmacht. Tagelang durch die Stadt gestreift. Fremde kennengelernt, Freunde gefunden. Offenheit gespürt, die es sonst nur selten gibt. Einblicke erhalten, nicht nur an der Oberfläche gekratzt. Tiefer gegangen. Viel tiefer. HIERGEBLIEBEN. —

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Anne Rademacher

Schrebergarten

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ICH BIN


Anne Rademacher Schrebergarten

Die Hecken sind mit der Hilfe vom Zentimeterband gezogen, durch Wasserwaagen in Form gebracht. Kleine Saattüten weisen, aufgespießt von Ästen, darauf hin, was in den Reihen der kleinen Beete bald schon wachsen wird. Es gibt mehr Verbotsschilder als freien Platz zum Spielen für Kinder, Stille wird hier vorgezogen und großgeschrieben; hier in einer Schrebergartenkolonie, in der das Durchschnittsalter Hand in Hand mit dem offiziellen ­Renteneintrittsalter geht. ≈

GEERDET 5


Anne Rademacher

Schrebergarten

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Stimmt nix von. Sagt Anne Rademacher, 36 Jahre alt und alles andere als der Youngster in der Schrebergartenkolonie Schmittingheide. Wir hier, sagt sie, wir sind Bahner. Und damit keine Städter. Was unter Schrebergärtnern so viel heißt wie: Hier geht es deutlich gemäßigter zu als in den ­Kolonien, die städtischen Ursprung haben. Es heißt auch: Hier gibt es immer noch ehemalige Bahn­ angestellte, die von der Deutschen Bahn früher ein­ mal einen Schrebergarten zugewiesen b ­ ekommen ­haben. Aber das ist lange her und längst sind es nicht mehr ehemalige Schaffner und Zugführer, die hier den September genießen, der irgendwie ­unverschämt warm und sonnig auf Juli macht. Bei Anne Rademacher ging das mit der Liebe zum Gärtnern wie bei vielen, die das Leben in der Stadtwohnung schätzen und doch noch etwas vermissen. Eigentlich fühlt sie sich mitten in Münster so richtig wohl, will nicht drauf verzichten, so zentral, so richtig mittendrin zu wohnen. Doch es gibt eben auch ein Aber. Das ist bei Anne Rademacher vielleicht etwas ausgepräg­ ter, weil sie vom Bauernhof stammt. Ihren Freund musste sie trotzdem nicht lange überreden, als sie in einer Mitteilung bei Facebook davon las, dass ein Schreber­ garten abzugeben sei. 800 Euro für das Häuschen, 120 Euro Miete für das Grund­ stück – klang nach Schnäppchen. ≈


Anne Rademacher

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Anne Rademacher

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War es nicht wirklich, wie sich später herausstellte, einige der kleinen Häuser sind noch günstiger zu haben, wenn man in Ruhe sucht. Aber Anne Rademacher wollte viel lieber die Ruhe als in Ruhe suchen. Also schlug sie zu und ein und war und ist ab sofort zu Hause in einer Schre­ bergartenkolonie, wo auch Deutschlandfahnen schlapp an Fahnenstangen baumeln, Menschen Gurken und Möhren, Paprika und Salatköpfe ehrgeizig anbauen. Aber eben nicht nur. Es gehe vielmehr darum, wieder generell näher ranzu­ kommen, an die Natur.

Anne Rademacher nutzte dazu erst einmal einen kleinen Umweg – über Google. Wie baue ich Auberginen an, wann ist die beste Pflanzzeit für Tomaten, für Grünkohl, wann ernte ich am besten Bohnen? All das Fragen, die die Such­ maschine beantwortet. Und die dann in der Praxis erst einmal überprüft werden wollen. Denn nichts steht bei Google über die innige Liebe von Schnecken zur Paprika. Nichts davon, dass man Gurken kauft und Kürbis erntet. Wenn, wie bei Anne geschehen, die Blätter auf dem Markt doch so zum Ver­ wechseln ähnlich aussehen, dass der Verkäufer sagte: Klar, das sind Gurken. Und sie dachte: Na klar, Gurken werden das. Und die Natur wusste: Fast. Sind doch eher Kürbisse.

küche her und beglückt ihre Freunde und Bekannte so mit richtig viel und vor allem gern genommener Frische. Die sind längst mit in den Schrebergarten gezogen. Die Frage, ob das hier eigentlich eher so ein Club sei, kann sie dann auch schön einfach beantworten: Mittlerweile sind so viele Freunde von uns hergezogen, dass wir fast schon selber das Clubhaus sind. Dabei ist das Leben im Schrebergarten auch mit Arbeit verbunden, mit allgemeinnütziger Arbeit. Aber auch die ist mehr als überschaubar. Einmal im Jahr zwei Stunden, das schaffe jeder. Gerade, wenn es wie bei ihr, vom Freund abgeleistet und in Form einer neuen Webseite umgesetzt wird. Jeder hilft eben da und so, wie er kann. Und überhaupt gehe es doch darum, sich hier einfach zu vertragen, darum, dass alle eine unglaublich schöne Zeit hier verbringen könnten. Apropos Zeit, die ist in diesem herrlichen Spätsommer besonders lang. Fast jeden Abend radelt Anne rund zehn Minuten von zu Hause oder dem eigenen Geschäft hierher. Eben noch hat sie sich bei ihrem Laden „Feine Dame“ rund um die schönen Dinge für Hunde gekümmert, jetzt laufen ihre drei Vierbeiner durch den

So wie über all die Vorurteile, die sich rund um das Schrebergärtnern ranken. Ja, sicher, es gäbe die Russen hier, die jeden Quadratmeter nutzten, um maximalen Ertrag zu ernten. Und ja, es gibt auch den, dessen Frau ins teure Altersheim ziehen musste, der hier auf kleinster fi ­ nanzieller Sparflamme irgendwie versucht, als Selbstversorger über die Runden zu kommen. Es gibt jede Hautfarbe, jede ­Religion. Und vor allem: Es gibt das unausgesprochene Verständnis aller, dass all das überhaupt niemanden interessiert. Man ist halt einfach Nachbar. Und akzeptiere sich. Punkt. Fertig.

Schrebergarten

Rademacher macht, wie man so schön auf dem LandeAnne sagt, ein. Stellt eigene Chutneys in der Hütten­

Garten, schnuppern am Eingang zum Gewächshaus, hüpfen auf die irgendwie nach Schlaf­stätte aussehende Matratze, die da in dem kleinen Häuschen liegt. Aber natürlich ist das keine Möglichkeit, um sich als Paar hinzulegen und gar zu übernachten. Ist ja schließlich verboten, hier zu schlafen, ein eigenes Bett aufzustellen. Genauso, wie ein eigenes WC zu haben. Undenkbar. Und ganz bestimmt sogar so was von undenkbar, dass hier niemand auf die Idee käme, sich über diese Regel hinwegzusetzen. Man lächelt lieber darüber.

Anne Rademacher

Zu diesem Zeitpunkt wusste die 36-Jährige auch noch nicht, dass es unzählig viele Kürbisarten gibt. Große und kleine, richtig leckere und, nun ja, auch solche, die eben nicht so gut schmecken. Das setzt sich jetzt ein wenig auf ihrem gut 50 Quadratmeter großen Terrain fort. Also her mit dem Messer, reingestiegen in das riesige Kürbisfeld, das sich nahezu unkrautartig vergrößert. Ein beherzter Schnitt und der Kürbis ist geerntet, ab damit auf den kleinen Tisch, der vor der kleinen Hütte steht. Dort baut sich dekorativ auf, was alles geerntet und verwertet werden kann. Hier ent­ scheidet sich, was daraus wird, wie es schmeckt, was in der nächsten Saison wieder angebaut wird. Und was nicht.

man lernt noch viele andere, spannende Dinge. Etwa,Unddass man beim Basilikum nur die obersten

drei Blätter ernten darf. Dann wächst er ungehindert weiter. Oder dass man mit Schrebergärtnerei sogar Sonnenall­ ergie verscheuchen, malträtierte Bandscheiben wieder so auf Vordermann bringen kann, dass sie sich erst gar nicht mehr schmerzhaft melden. All das: passiert bei Anne. Klingt eigentlich nach kompletter Wunschlosigkeit. Aber so ist es dann doch nicht. Es gäbe da noch diesen einen, diesen dicken, fetten Wunsch. Wenn ich mal im Lotto gewinne, dann kaufe ich mir so ein richtiges englisches Gewächshaus. Aus grün lackiertem Stahl, mit dicken Scheiben und gemauer­ tem Sockel. Das wärs. Also das letzte Stück zur kompletten Wunschlosigkeit. Zum perfekten, vollkommenen Glück. Ob sie denn überhaupt Lotto spiele, wollen wir am Ende wissen. Natürlich. Doch, doch. Man müsse

das Glück auch suchen, obwohl man es eigentlich schon ­gefunden habe. —

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Ralf Waanders

Stadtimker

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OBEN


Ralf Waanders

Stadtimker

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Ralf Waanders

Stadtimker

Wenn man sich einen Biolehrer vorstellen sollte, der auch C ­ hemie unterrichtet, auch Sport „gibt“, wie man so sagt, dann sähe er aus wie Ralf ­Waanders. Ein Naturtyp, rotblondes Haar, Bart, dünn, drahtig. Einer, der mit dem Rad in den Urlaub radelt, der zeltet, sich in der Natur zu Hause fühlt.


Wenn sie müssen, dann fliegen Bienen bis zu fünf Kilometer weit auf ihrer Suche nach Nektar. Hier oben müssen sie nicht. Von hier oben aus geht es schneller, leichter, näher. Der Trend, Bienen in der Stadt anzusiedeln, kommt wie so häufig aus New York. Hüpfte rüber nach Pa­ ris, weiter in die Metropolen, die längst auch blühen, einen Lebensraum fernab der Monotonie der Raps- und Mais­ feldkulturen auf dem Lande bieten. Es sei eine Wundertüte, die sich da öffne, wenn Ralf Waanders zweimal im Jahr den Honig ernte. Weißt du ganz genau, wie dein Honig aussieht, wie die Färbung ausfällt, wenn du mit deinen Völ­ kern auf Wanderschaft gehst, sie gezielt neben gleichartige Blütenfelder stellst, ist das hier anders. Über den Dächern Münsters? Alles Überraschung.

Waanders schnappte sich fünf seiner Völker und stellte sie dahin, wo sie niemand vermutet. Dahin, wo erstaunte Hotelbesucher schauen, wenn sie, frisch ange­ kommen, einen ersten neugierigen Blick aus dem Fenster werfen. Können das da wirklich Bienenstöcke sein? Kann da wirklich ein Imker auf dem Dach stehen, schützendes Netz um den Kopf, den qualmenden Smoker in der Hand? Er kann. Gerne sogar, sehr gerne. Denn was sich hier für den Laien eher als bienenfeindlich anfühlt, ist eine klasse Startbahn. Von hier aus starten die gelb-schwarzen Tiere, brauchen nicht weit, um die nächsten Blüten zu erreichen. Der Imker spricht von Trachten, von Blüten, die direkt in der Stadt stehen. Gegenüber im Wald, ein paar Meter ent­ fernt auf der Promenade, in angrenzenden Schrebergär­ ten, auch da, wo man viele Blumen aus traurigem Anlass sieht. Der Friedhof gilt nicht ohne Grund als Geheimtipp unter Imkern – hier blüht eigentlich immer etwas.

Stadtimker

Alles ausgemalt in der Fantasie, aber der 39-Jährige entspricht bei unserem Zusammentreffen dann doch dem Idealbild des Biolehrers, des Naturkun­ digen. Wir treffen uns am Mövenpick Hotel, am größten Hotel Münsters. Genauer wäre es, wenn wir sagten, wir treffen uns nicht am, sondern auf dem Hotel. Denn nach der Begrüßung geht es schnurstracks in den Lift, weiter nach oben, durch einen Gang, durch ein Fenster auf das Vordach des Hotels. Hinter uns eilt Kevin Koschowsky her. Nicht, um uns am Springen zu hindern, sondern weil er hier im Hotel für Sales & Marketing zuständig ist. Der legte erst einmal die Stirn in Falten, als er das erste Mal auf Ralf Waanders traf. Der Fragende wollte einfach mal fragen, wie das aussähe, mit seinem Vorhaben, oben auf das Dach einen Teil seiner Bienenvölker zu stellen. Die Stirn bügelte sich wieder wie von selbst glatt, Vorurteile waren schnell ausgeräumt, warum also nicht?

Zu kaufen gibt es den Honig aus der Höhe, der gerade bei der Bewertung des Landesverbandes mit Gold für Frühlings- und Sommerhonig ausgezeichnet wurde, direkt unten an der Rezeption. Da staunen unsere Gäste nicht schlecht, wenn sie lesen, dass der Honig über ihren Köpfen entstanden ist. Sagt Kevin Koschowsky. Und sie davon meist nichts mitbekommen haben. Keine Bienen, die auf der Hotelterrasse um die Kuchenstücke herumge­ schwirrt sind, in der Konditorei vorbeischauten. Keine Völ­ ker, die plötzlich die Reiselust packte, die ausschwärmten, um sich zu teilen. Ganz ausschließen könne man das nicht, sagt Waanders. Er hat zwar extra sanftmütige Bienen mitgebracht, solche, die eher schwarmträge sind. Aber man wisse nie. Ist halt die Natur der Bienen, auch mal zu schwärmen. Und, bitte, das reiche doch, wenn es doch mal passiere. Nicht als Entschuldigung, sondern als Erklärung.

Ralf Waanders

Als Biologielehrer weißt du, dass die Über­ raschungen der Natur die schönsten sind. Als Hobbyimker ahnst du: Es gibt Wichtigeres, als den maximalen Ertrag zu erzielen. Mit 20 Kilogramm pro Volk kannst du rechnen. Wenn alles glatt läuft. Aber es läuft eigentlich nie alles glatt, der Sommer ist nie planbar, die Blütentrachten schon gar nicht. Und macht es das nicht aus? Langnese schmeckt in jedem Glas gleich. Der Honig von Ralf Waanders Bienen immer anders.

Jetzt gerade schwärmt gar nichts. Die Bie­ nen, rund 10.000 Tiere pro Stock, verabschieden sich so langsam in den Winter. Holen sich noch einmal Kraft durch Zuckerwasser, das ihnen Waanders gibt. Fliegen weniger, tragen weniger Nektar zusammen. Dabei war auch der Sommer keiner, der Imkerherzen höherschlagen ließ. Der Ertrag eher mau, Wind und Wetter machten einen Strich durch die Rechnung von dem, der die Imkerei als eines der wunderbarsten Hobbys bezeichnet. Seine Besuche hier oben auf dem Dach werden weniger, ehe er im Früh­ jahr wieder häufiger herkommt. Bis dahin? Wird er seinen Schülern davon erzählen. Klingt nach angewandter Biologie. Und ist auch etwas, das einem in den Sinn kommt, wenn man sich einen Biolehrer vorstellt, der sich der Stadtimkerei verschrieben hat. —

Waanders Honig gibt es nicht nur am Hotel zu kaufen, s ­ ondern auch hier: www.stadthonig-muenster.de

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ALTER

Flo, Frank & Jörn

Brauer

FINNE Das sind der Flo, der Frank und der Jörn. Alle drei trinken gerne Bier. Nicht das aus der x-beliebigen Flasche, nicht das aus den Brauereien, die jeder aus der TV-Werbung kennt. Heute trinken sie ihr ­eigenes Bier, selbst gebraut, selbst gezapft, in der eigenen Brauerei, ausgeschenkt im ­eigenen Brew-Pub. Wie das geht? Hier ist die Geschichte dazu:


Flo, Frank & Jörn Brauer

Flo und Frank kennen sich schon lange. Der eine arbeitet in der Beratung, der andere promoviert in Münster, arbeitet dann im Vertrieb. Beide beginnen mit dem Hobby­ brauen vor sieben Jahren, ohne festes Ziel, ohne sich ernsthaft vorstellen zu können, die gut bezahlten Jobs an den Nagel zu hängen. Aber da nagt etwas an ihnen. Etwas, das ihnen sagt, dass da gerade eine große Craft-Bier-Welle auf sie zugerollt kommt. Und nicht nur auf sie. Biertrinken, das hat nichts mehr mit dem Charme einer Baustelle zu tun, auf der Maurer zur kleinen, knubbeligen Flasche greifen, um den Durst zu löschen und die Stimmung zu heben. Biertrinken, das hat Stil. Und hunderte von Facetten. Es muss nicht mehr immer nur das helle Blonde, das trübe Weizen sein. Da gibt es mehr. Viel mehr. Die beiden probieren also aus, reisen viel, sitzen an Tresen in den USA, in ­ anada, trinken, staunen, trinken weiter. Könnte das nicht auch daheim funktionieren, in K Münster? Es gibt diesen Moment, an dem du nicht mehr überlegst. An dem du weißt: jetzt oder nie. Und dann also jetzt. Der Familienrat tagte, es fanden sich in den Reihen Gönner, die an die Jungs, die Idee glaubten. Und das beisteuerten, was du brauchst, wenn du es mit den Großen aufnehmen willst. Wobei es sich für Flo und Frank nicht so anfühlt, als ­ginge es gegen die Großen der Bierbranche. ≈ Wir? Sind winzigwinzig, sagen sie.

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Flo, Frank & Jรถrn

Brauer

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Flo, Frank & Jörn Brauer

Hat mit dem Charme einer Maurerpulle nichts mehr zu tun. Biertrinken? Das ist längst viel mehr. Vielfältiger. Anders. Besser. Und immer wieder spannend, wenn ein neuer Ansatz zum ersten Mal ins Glas läuft.

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So winzigwinzig wirkt es gar nicht, wenn man sie in ihrem Pub besucht. Finne nennt sich das Bier, so benannt, weil in der Münstera­ner Geheimsprache das Wort Finne die Über­ setzung für Bier, Glas, Flasche ist. Finne, das gibt es hell oder dunkel, auch mal malzig, dann wieder fruchtig. Hinter der Theke fällt der Blick durch blank geputztes Glas auf die silbrig glänzenden Bottiche, in denen das Bier heranreift. Es sei – immer noch – eine Überraschung, wie das, was da gerade braut, schmecke, sagen die beiden, die längst zum Trio geworden sind. Jörn ist hinzugekom­ men. Einer, der sechs Jahre lang mitten in der Craft-Bier-Szene in Neuseeland nicht nur ­mitschwamm, sondern ganz vorne auf der Welle tanzte. Heute ist er der Braumeister von Finne. Zu dritt verkosten sie, zu dritt entschei­ den sie, was aus dem Zapfhahn, was in die Flasche kommt.

Anziehen tut das in überschaubaren Mengen gebraute Bier viele. Gerade hier im Kreuzviertel. Studenten natür­ lich, aber auch Professoren-Ehepaare, Banker, Senioren. Sie alle kommen neugierig her,

setzen sich auf die massiven Holzmöbel oder gleich direkt an die Theke. Staunen, wenn es da goldgelb aus den Zapfhähnen fließt, müssen sich erst einmal orientieren, wenn der Blick auf die Getränkekarte fällt. Den Begriff Craft Bier kennen einige, er kommt so langsam an in Münster. Die, die sich damit beschäftigen, empfinden sich nicht als Rivalen, sondern als Menschen mit der gleichen Lei­ denschaft. Es sind noch kleine, wenige Pilz/se, die sich da als winzigwinzige Brauereien aus der Erde drücken. Ihr Erfolg aber ist beträcht­ lich. Vier Monate gibt es Finne jetzt. Und wenn man die Jungs fragt, wie es denn so anlaufe, dann erhält man als Antwort das gleiche zu­ friedene Gesicht, das sie gezogen haben, als sie das erste Mal an ihrem Apfelbier nipp­ ten. Das brauten sie selber für den Apfeltag, verrückte Idee, Experiment mit ungewissem Ausgang. Auch hier ein Ergebnis, das nicht zu erwarten, aber zu erhoffen war: Es schmeck­ te. Nicht nur ihnen, sondern allen, die kamen. Kann gut sein, dass das Apfelbier auch in die Flasche kommt, sagen sich die drei heute. Die haben längst eine Brauerei in Zeil am Main gefunden, die ihnen das Helle, das Weizen und das Pale Ale in größeren Mengen in Flaschen abfüllt. Die finden sich schon heute beiRewe, bei Edeka um die Ecke. Regional


ist, was ankommt. Wenn es dann noch bio ist, sowieso. Und nicht nur die Biere, alles, was in sie reinkommt, ist bio. Selbst der Flammku­ chen, die Bratwurst, all die Snacks zum Bier: bio. Was man damit erreichen kann? Schwer zu sagen. Und noch schwerer zu schreiben. Vielleicht nur so viel: Das erste Etappenziel ist ein Prozent vom Biermarkt in Münster. Was das Gesamtziel, nach einigen oder vielen Etappen ist, lassen die drei offen. Ist vielleicht auch besser so. Wenn man weiß, dass man über eine Million Euro braucht, um eine Brauerei zu bauen, dann muss man sich Ziele setzen. Und Brauerei, das meint die Technik, nicht das Gebäude, nicht die Logistik, nicht das große Drumherum.

Tagsüber beschäftigen sie sich mit Marketing und Vertrieb – die Oberarme sind kräftiger geworden, seitdem sie nicht nur im über­ tragenen Sinne mit anpacken, wenn es um die Auslieferung geht. Abends stehen sie in ihrem Pub hinter der Theke, schenken aus,

Wer hierherkommt, in den Pub, in den Anlauf­ punkt, bei dem sie sicher waren, dass sie ihn brauchen, um erfolgreich zu sein, der kann sich langsam herantasten. Kann erst das probieren, was der Gaumen irgendwie schon kennt. Und dann abtauchen in eine Bierwelt, die mehr bietet als das, was alle abfüllen. Wer die drei fragt, ob sie glaubten, dass die Gro­ ßen schon einen ersten Blick auf sie werfen würden, der erhält eine entwaffnende Antwort. Doch, das werden sie. Weil es in der Szene gerade brodelt und gärt. Weil es die gibt, die es satt sind, immer das Gleiche zu trinken, der Bierkonsum in der Masse stetig zurückgeht. Gleichzeitig ziehen sich immer mehr in den Keller, die Garage zurück und fangen selber an zu experimentieren, zu brauen.

Flo, Frank & Jörn

Die Tage sind lang für die jungen Brauer. Und die Abende erst.

antworten, erzählen. Davon, dass ihnen die Vielfalt so wichtig ist. Dass sie sich vorstellen können, fünf verschiedene Biere zu brauen und die Kundschaft entscheiden zu lassen. Auch davon, dass ein Bier nicht vollgestopft sein müsse mit Hopfen. Das ginge auch ­anders. Fruchtiger, knalliger, herber.

Es sei kein Ruck, der da durch die Branche gehe. Es sei viel mehr. Wissen die drei. Und haben einen gar nicht mal so kleinen Anteil daran, dass das so ist. — Brauer

PROST 21


Tischmanier

Küchen

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Und plötzlich hast du eine ­Küchenfirma Tischmanier

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Wenn uns vor zehn Jahren jemand gesagt hätte, dass lächelnd abgewunken. So was muss man doch anprobieren, sich

Küchen

wir unsere Laufschuhe im Internet kaufen, hätten wir müde auf ein Laufband stellen, in die Hand nehmen. Heute? Kommt mein Laufschuh mit dem Paketboten. Es gibt eigentlich nichts, was man nicht im Internet kaufen kann. Unseren nächsten Firmenwagen? Konfigurieren wir im Netz und mailen das Ergebnis zum Händler. Essen, Kleidung, Event, Geburtstagsüberraschung und Fahrrad, alles im Internet bestellbar. Nur eben die Küche nicht. Dabei haben wir es versucht, haben uns monatelang mit der Frage beschäftigt, wie man das gesamte Programm eines großen Küchenherstellers so komprimieren und aufbereiten kann, dass es in einen Webshop passt. Und sind, das darf man ruhig so schreiben, schlicht gescheitert. Unser geflügeltes Wort in der Agentur hieß nicht ohne Grund: Wer viel misst, misst Mist. Wer traut sich schon zu, die Maße einer Einbauküche mit der Lücke in Einklang zu bringen, die in seiner neuen Wohnung klafft und bald die neue Küche aufnehmen soll? Wohl eher niemand. Wer traut

sich am Ende, ganz ohne Bedenken, auf den Bestellknopf zu drücken und eine mehrere tausend Euro teure Küche zu kaufen? Also entwickelten wir in 15 ­Monaten eine Küche, die frei steht. Und dabei wunderbar aussieht. Die sich im Internet konfigurieren lässt, schrittweise. Die sich alleine aufbauen lässt, die man erweitern, vergrößern, verkleinern kann. Die mit in die nächste Stadt, die nächste Wohnung zieht. Die bezahlbar, made in Germany ist. Die den Wahnsinn der Küchenbranche mit all den ­Rabattschlachten nicht mitmacht, die es nicht in 24 gar nicht mal so unterschiedlichen Weißtönen gibt. Und in der eben nicht irgendein asiatischer No-Name-Kram steckt, sondern echte deutsche Küchenmöbeltechnik. Überall, ohne Mogelpackung, ohne doppelten Boden, ohne böse Überraschung. ≈

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Aiko Suzuki

Bloggerin

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Aiko Suzuki Bloggerin

A I K O liebt. Wir sind zu spät. Aiko wartet auf uns, langer Mantel, Hut, Handy am Ohr, wo bleibt er, der Schreiber? Asiatinnen würden nie fragen, warum man zu spät kommt. Auch wenn Aiko nur eine halbe Japanerin ist; kein Wort zur Verspätung, lieber ein sehr nettes Hallo und dann rein in die asiatische Stube. Wir treffen uns im Restaurant Acacia ihrer Familie. Hier hat sie in den vergangenen gut 20 Jahren alles gemacht, hinten in der Küche, vorne im Service geholfen, mit angepackt, strategisch gedacht, organisiert, die Fäden in der Hand, dem Vater und dem Bruder den Rücken freigehalten. Jetzt soll damit erst einmal Schluss sein. Zeit, aufzubrechen. ≈

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Aiko Suzuki

Bloggerin

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Asiatisch gut.

Aiko, die mit Nachnamen Suzuki heißt, in Tokio ihre Kindheit verbrachte und heute mit 34 Jahren als zweifa­ che Mutter und Ehefrau in Münster lebt, ist es nicht wirklich gewöhnt, dass ihr ein Journalist gegenübersitzt. Man merkt das. Da ist sie doch lieber die, die vorsichtig neugierige Fra­ gen stellt. Die sich umschaut, aufsaugt, abwägt und am Ende in ihren Blog einträgt, was ihr gefallen hat. Es sei etwas gewesen, das sie selbst über­ rascht hätte. Dass sie den Blog „Aiko-liebt.de“ ins Leben rief und darin beschreibt, was sie empfehlen kann. Es geht darin um asiatisches Essen. Und wir reden hier nicht über Schweine­fleisch süß-sauer, auch nicht über das, was an vielen Ecken als asiatisches All-you-can-eat-Buffet angeboten wird. Richtig gut asiatisch essen, da ist sich Aiko sicher, kannst du nur selten. Fahr nach Düsseldorf, da wirst du glücklich. Wenn du dich irgendwo immer noch, wenn auch nur zur Hälfte, dem Asiatischen zugehörig, zumindest hinge­ zogen fühlst. Wenn du in deiner Kindheit im wahrsten Sinne des Wortes alles aufgesogen, eingeatmet hast, was du jetzt ein wenig vermisst. Schade sei es, dass sie die Sprache nur noch fragmentweise beherrsche – wenn denn überhaupt das Wort Beherrschung passe. Was aber mundet, was wirklich nach Japan schmeckt, sich nach Heimat anfühlt, das weiß sie. Sehr gut sogar. Also zieht sie los, probiert, atmet ein, bewertet, ohne sich als Testerin zu fühlen. Es gehe ihr darum, denen, die auch auf der Suche nach dem perfekten Sushi, dem klassischen und doch ausgefallenen asiatischen Gericht seien, eine Leithilfe zu geben. Angefangen habe alles im engeren Freundes­ kreis, wo sie immer wieder gefragt wurde, wo man denn hingehen könne, wenn man richtig, also so richtig gut japanisch essen wollte. Die Anfragen häuften sich, die zufrie­ denen Gesichter auch, die sich Tage oder Wochen später bedankten. Für den Tipp, die Empfehlung, die es sonst in keinem Reiseführer, auf keiner Webseite gibt. Natürlich hilft ihr dabei, dass sie mit 14 Jahren begann, in der Küche


Man kann wunderbar stöbern in dem Blog von Aiko. Sich anschauen, durchlesen, eintauchen in das, was sie so liebt. Auch wenn man weiß, dass man vielleicht nie nach Düsseldorf reisen, nie erkennen wird, was denn nun das echte, das authentische Japan von dem von der Stange unterscheidet. Jetzt, seit Mitte Oktober, hat man es eh etwas einfacher. Aiko schreibt nicht nur, sie kocht auch wieder. Naja, kochen ist zu viel gesagt – sie hat die Küchenleitung im just eröffneten Café Herr Sonnenschein übernommen. Hat ausprobiert, immer wieder angerichtet, zur Probe gegessen. Jetzt gibt es hier Avocadostullen mit pochiertem Ei und Bananenbrot. Sie sagt wirklich Stulle; das klingt ein wenig überraschend aus dem Gesicht mit den feinen, asiatischen Zügen. Aber es passe. Es sei eine Stulle. Und was für eine. Die wird es vielleicht nicht auf den Blog schaffen, ist nun nicht gerade typisch japanisch. Aber Hauptsache: saulecker. —

Bloggerin

Gelernt hat sie dort auch, dass es müßig ist, selber Sushi herzustellen. Sushi daheim, für die Familie? Viel zu aufwändig. Da geht Aiko lieber Essen, schaut in Töpfe, auf Teller. Und beschreibt dann, was ihr auf der Zunge zerging, den Gaumen streichelte, Seele und Herz ein wenig hüpfen ließ. All die Restaurants, in denen all das nicht gelang, verschwinden im Nichts. Keine negative Kritik auf dem Blog, kein böses Wort, nichts, was einem Asiaten eh nur schwer­ lich über die Lippen kommt. Dafür Empfehlungen, versteckte Türen, Restaurants, die den Spagat schaffen zwischen Standard, Klassiker und saulecker. Sagt sie selber. Und freut sich, wenn genau das gelingt. Zwischendurch Rezepte zum Nachkochen. Wenn man sich das denn wirklich zutraut. Ein Gericht anzurichten, das nicht nur aussieht wie Japan, sondern auch so schmeckt. Jede Insel hergestellt aus Fisch­ stückchen, die genau zu dieser einen Insel passen. Man kann das versuchen. Oder es einfach nur bewundern. Letzteres gelingt deutlich einfacher.

Auf der Zunge.

Aiko Suzuki

des Acacia zu helfen, sie den Beruf der Restaurantfachfrau erlernte und gemeinsam mit ihrer Schwester eine Sushibar führte. Mit dieser und ihren anderen Schwestern regelmäßig zum, von ihr selbst getauften, Hexenkreis lud, wenn der Bruder, Stammhalter und Fortführer des Restaurants, Hilfe brauchte. Also zumindest die vier Mädels meinten, dass sie mithelfen, mitreden sollten. So ’ne Familiensache halt, irgendwie fühlten sich dann doch alle mitverantwortlich.

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Sebastian, Finn, Patrick

Gin

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Also wogen die drei die schönsten Flaschen in den Händen, drehten und wendeten sie und fragten sich, ob sie nicht so was auch mal machen sollten. Wollten sie ja eh. Gin brennen. Nicht als Winzling im Keller, nicht im Verborgenen, für den Eigengebrauch, sondern für echte Gin-Kenner. Das, was man braucht, um Gin herzustellen, bekommst du um die Ecke, im Internet. Das, was du brauchst, um guten Gin herzustellen, kannst du nicht kaufen. Da gilt der doofe Satz mit dem Probieren und Studieren und so tranken die drei weiter Gin und Tonic, und vor allem Gin und gar nicht mal so viel Tonic. Probierten aus, verwarfen wieder, schnupperten, kosteten und hatten am Ende eine Mischung gefunden, deren Rezeptur nicht im Tresor landen muss. Es sei kein Hexenwerk, da nehmen sie Anfängern gerne die Angst, den Respekt. Aber es dauere halt. Bis nicht nur die eigenen Gaumen zufrieden waren, sondern auch die Frauen, Freunde, Eingeweihten den Daumen hoben. Kann man so machen. Einen Gin, der nicht so sehr nach Wacholder schmeckt, sondern in Richtung Obstler geht. Kann man vor allem nicht alleine machen, so einen Gin. Also haben sich die drei eine professionelle Brennerei in Kail gesucht. Klein. Fein. Und lassen da nach ihrem Rezept brennen. Am Ende füllen sie selber ab. Flasche für Flasche. Schreiben selber drauf, welche Batch Auflage das gerade ist. Handgemacht eben.

Gin

Es gibt diese Geschichten, bei denen man gerne ganz von Anfang an dabei gewesen wäre. Als da die drei Kumpel Sebastian, Finn und Patrick waren, die sich immer trafen und irgendwie auch immer Gin tranken. Also in Maßen, nicht in Massen. Aber sie entwickelten im Laufe der Zeit – ist jetzt so ungefähr drei Jahre her – ein veritables Gefühl für das, was einen Gin ausmacht. Und das, wonach er schmecken sollte. Vor allem aber entwickelten sie eine beeindruckende Altglassammlung, die irgendwie zu schade war, um sie zum Container zu tragen.

Wir treffen Sebastian auf einer dieser Partys, die klein und gemütlich sind. Man sitzt draußen, der Grill sprüht Funken, das Auge unterscheidet nur noch zwischen dunkel und zu dunkel. Wir wiegen die Gin-Flasche in den Händen, die satt darin liegt. Gin Luum haben die drei ihren Gin getauft, so wie die Agentur für digitale Medien, in der sie arbeiten. Über den Geschmack von Gin zu reden, ist nicht nur zu später Stunde schwierig, Hände und Füße müssen helfen, um zu erklären, dass der Gin von der Tanke mit dem Gin in den Händen nicht vergleichbar sei und es eben kein Gesöff sei, das man herunterspüle, um danach irgendwie lockerer, irgendwie lustiger zu sein. Nur sind die drei auch keine dieser Spezialisten, die das Glas erst minutenlang schwenken, die Nase drüber halten, den Kopf in den Nacken legen, damit sich der Duft besser im Hirn ausbreite. Es sei halt doch nur nen Getränk. Aber nen richtig gutes. Sagen die drei und verweisen – nicht arrogant, nicht mal selbstbewusst, eher schüchtern – auf die Preise, die der Gin Luum gerade in der Fachwelt abräumt. So schlecht ­könne er also nicht sein. Oder, etwas forscher formuliert: ist nen Guter. Nen richtig Guter.

Sebastian, Finn, Patrick

DER DREI GIN

Wie es sich für gute Sachen gehört, gehören sie nicht in die Nähe von mittelmäßigen Dingen. Also bitte nicht den Gin mit Tonic von Schweppes mischen. Schmeckt viel zu bitter, zu sauer, zu dagehtjaderganzeGingeschmack­unter. Dann lieber ein wenig mehr investieren, Tonic 1724 ­kaufen, der für Geschichtsunkundige irgendwie nach ­Christoph ­Kolumbus klingt und vor allem eins kann: den Gin Luum perfekt unterstützen. Wer noch mehr rauskitzeln will, aus Gin und Gaumen, der schneide einen Twist von einer Orange, lege einen Rosmarinzweig hinzu, kühle das Ganze mit viel Eis, komme sich ein wenig vor wie James Bond, auch wenn der nie Gin trinkt und nippt erst, trinkt zögerlich, dann in größeren Zügen. Und versteht dann, warum die Holzkiste mit ebensolcher Wolle innendrin längst die Stadtgrenzen von Münster überschritten hat. Die Karte, auf der zu sehen ist, wo es alles den Gin der drei gibt, wächst. Irgendwie ist ein Hype drauf, sagt Sebastian zu später Stunde. Es klingt ein bisschen wie: wir wüssten auch gerne, warum. Aber das sagt er nicht. Er ahnt es ja. Es wird an der lockeren Art der Herangehensweise liegen, wenn du etwas machst, das nicht betriebswirtschaftlich getrieben ist. Sondern von Neugierde und Leidenschaft. All das: Ein Hobby. Mit Potenzial. —

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30 Eine richtig lange Schlange? Die musste dir verdienen.

Uwe Dieks

Imbiss

Wenn man Uwe Dieks fragt, was er so gemacht hat, bevor er mit dem begann, was er jetzt so macht, dann sollte man viel Zeit mitbringen. Erst antwortet er nur mit: viel. Dann aber holt er doch aus. Und erzählt von der Arbeit im Tief- und Straßenbau, war Zeitsoldat, hat Essen ausgefahren, als Snowboardlehrer gearbeitet, irgendwie immer gekellnert, von vielen anderen Jobs, mal als Betriebsleiter, als Geschäftsführer, dann als Aushilfe. Auch davon, dass er früher mal als Türsteher im Odeon und Jovel arbeitete.

RICHTIG SCHARF Damals schon hatte er es mit Menschenschlangen zu tun – und heute ist das nicht anders. „So eine Schlange, die musst du dir erst einmal erarbeiten“, sagt der Fast-Fünfzigjährige und schaut ein wenig stolz zu denen rüber, die an diesem Mittwochmittag auf dem Marktplatz stehen und warten. Und warten. Kleiner Schritt nach vorne, dann wieder: warten. Sie stehen vor dem Grillwagen von Uwe Dieks, da, wo man, man darf das ohne zu übertreiben sagen und schreiben, die beste Currywurst Münsters bekommt. Dass man nichts anderes bekommt, als Wurst oder Currywurst, mit oder ohne Pommes, interessiert hier niemanden. Wer hier ansteht, der will ’ne Currywurst.


Wurst, Pommes, Cola. Braucht’s mehr? Ach was.

Uwe Dieks Imbiss

Anfangs standen hier nur die Kollegen vom Marktplatz an. Weil Uwe Dieks wusste, dass eine Schlange neugierig macht, dass niemand kauft, wenn keiner da ist und alle kaufen, wenn viele da sind. Also hat er ein wenig Bittebitte gesagt und so stellten sich halt die Kollegen an, freuten sich über die Wurst und sorgten für die Neugierde bei denen, die hungrig eben nicht nur vorbeigingen, sondern stehen blieben, sich in die Schlange stellten, bestellten, aßen, wiederkamen. Wie viele heute wiederkommen, kann man sich ungefähr vorstellen, wenn man zur Mittagszeit herkommt. Schlipsträ­ ger stehen da neben Topträgerinnen, T-Shirtträger neben V-Pullibesitzern. Sie kommen alle, scheren sich nicht um die maue Auswahl, achten nicht auf ihre Linie, sondern ihren Geschmack. Natürlich kannst du nicht jeden Tag Currywurst essen. Sagt Uwe Dieks. Und tut es dann doch. Also zumindest jeden Markttag. Man müsse ja wissen, was man der Kund­ schaft so verkaufe. Und schmecken tue es ja auch. Dabei ist Dieks keiner, der ein großes Geheimnis um seine Speisen macht. Seine Würste kommen aus Roxel, also aus der Nähe, er fährt da häufiger vorbei, schaut sich an, wie die Tiere auf der Weide stehen, ein schönes Leben haben, ehe es an einem Tag eben nicht in den Stall, sondern eine Tür weiter ins Schlachthaus gehe. So brutal, so einfach, so richtig sei das. Wer Fleisch essen will, der muss das aushalten. Und besser so, als all die Tiere in der Fabrik, sagt Uwe Dieks, schüttelt den Kopf und will darüber nicht nachdenken. Da ist ihm Roxel, der Hof, die von ihm gewählte Fleischgewinnung viel lieber. Auch bei der Soße: keine Geheimnisse. Sicher, er muss jetzt nicht jedem auf die Nase binden, welche Kräuter sich denn nun in den mattsilbernen Dosen mit den viellöchrigen Deckeln befinden. Aber es sei jetzt nichts total Verrücktes, nichts Unerwartbares. Es ist eher die Mischung aus beidem, aus der Wurst und der Soße und dem Ort, den anfangs niemand haben wollte. ≈

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Uwe Dieks

Imbiss

32 Anfangs, das ist acht Jahre her, da bekam Uwe Dieks die Möglichkeit, hier seinen Wagen hinzustellen. Zehn Jahre hatte er auf die Geneh­ migung gewartet – und wer jetzt staunend die Stirn in Falten zieht, dem sei gesagt: Zehn Jahre, das ist schon flott. Es soll Menschen geben, die warten seit 30 Jahren. Immer noch erfolglos. Der Platz aber, der fortan der von Dieks’ Imbisswa­ gen sein sollte, war kein wirklich guter. Ganz am Rand, in einer fast vergessenen Ecke des Müns­ teraner Wochenmarktes gelegen, gegenüber die Mülltonne – es gibt einladendere Plätze. Wenn aber die Arbeitslosigkeit droht, es mit den Aushilfsjobs irgendwann auch mal gut sein könnte und sich tat­ sächlich jemand gefunden hat, der anstelle der bockigen Banken als Investor einspringt und sich neben Currywurst auf Lebenszeit nur das normale Rückzahlen des geliehe­ nen Geldes erbittet, dann darfst du nicht auf eine 1a-Lage warten. Dann musst du zuschlagen.

Irgendwann kommt das Glück Dieks macht heute nicht den Eindruck, als hätte er lange über­ legen müssen. Auch wenn er jetzt sicherlich gelassener als früher ist. Er habe sich einfach vom Glück einholen lassen, habe keine Angst vor Veränderung, vor Arbeitslo­ sig- und Selbstständigkeit gehabt. Lebenslauf sei dank.

Heute ist er jeden Wochenmarkttag da, weil die Kunden eben ihn sehen, ihn treffen, mit ihm quatschen wollen. Im Wagen selber brauchen ihn seine Mitarbeiter nicht mehr. Zu viert stehen sie da, zwei vorne, zwei hinten. Und reden nicht, kein Wort. Na gut, natürlich reden sie mit denen, die nun endlich am vorderen Ende der Schlange angekommen sind. Aber unterein­ ander? Funkstille. Man muss nicht reden, um Pommes zu frittieren oder Würstchen zu grillen, sagen sie später dann doch. Was sie nicht sagen: Sie verstehen sich hier prächtig, sie scherzen miteinander, sind ein prima Team, in dem viel gelacht wird. Wenn denn die Arbeit, die Mittags- und Stoßzeit nicht volle Konzentration verlange.

Es braucht einfach ein ausgeklü­ geltes Organisationssystem, das reicht, um des Ansturmes Herr zu werden. Dass dieses System aus den bunten Klipsen besteht, die Landwirte ihren jungen Kälbern in die Ohren jagen, ist ein wenig, ja, gewöhnungsbedürftig, aber wo bekommst du schon farblich unterschiedliche Marken, die du einfach reinigen kannst? Rot, weiß, gelb und grün stehen für die vier Bestellungen, die du hier tätigen kannst. Hast du gewählt, legt die Frau hinter der Theke die passende Marke in eine Pommesschale und schiebt sie zu den Kollegen nach hinten. Ein Blick drauf und die wissen: Jetzt aber schnell noch ’ne Currywurst nachlegen. Oder die Pommes aus dem Fett ziehen. Letz­ tere schwimmen sogar zweimal mit einer Pause dazwischen im Fett. Weil es sie dann noch knuspriger macht. ≈


Uwe Dieks

Imbiss

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Uwe Dieks

Imbiss

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Da es die immer wieder unlösbare Aufgabe des Teams ist, vorne die Schlange schneller abzuarbeiten, als sie hinten nachwächst, jagen die Currywürste nur so durch die Häck­ selmaschine, fliegt das gelbe Curry im hohen Bogen über die Soße, schüttelt sich der große Salzstreuer immer wieder über den Pommes, die eben noch im Fett schwammen und jetzt mit einem Klecks Mayonnaise über die Wagentheke wandern. Früher, da gab es hier 13 verschiedene Currywurstsoßen. Heute noch eine. Reicht auch. Ganz im Gegenteil: Reicht viel besser. Weil der, der sich mittags ’ne Wurst holen will, nicht entscheiden möchte. Sondern das möchte, was halt am bes­ ten schmeckt zur Wurst. Ein paar Meter weiter, quasi über Eck, steht der zweite Verkaufswagen von Uwe Dieks. An dem geht es gemütlicher, gemächlicher zu. Was wohl daran liegt, dass wir mittags und nicht morgens hier sind. Hier gibt es Kaffee aus Münster. Re­ gional, sauheiß, saulecker. Es gibt hier auch: kühle Getränke, Kuchen und vor allem: Mettbrötchen.

Echte Sorgen muss er sich darüber eigentlich nicht machen. Läuft doch. Und wie. Was wohl auch daran liegt, dass die Preise, nun, nicht gerade dazu geeignet sind, Reichtümer anzuhäufen. Die Wurst kostet 2 Euro, die Currywurst 50 Cent mehr – wer jemals eine Kirmes besucht hat, der weiß, dass hier längst ganz andere Summen aufgerufen werden. Bei Uwe Dieks aber: feste Preise, solange es nur irgendwie geht. Gewinn wird über die Menge gemacht, bei der Wurst bleibt kaum was hängen, bei Pommes ist das anders. Bei Kaffee sowieso.

Imbiss

50 Gramm frischestes Mett je Brötchenhälfte, klingt wenig, ist aber viel. Und auch hier: Eben nicht irgendein Mett, sondern eines, das eben erst eingekauft und verarbeitet wurde. Damit das klappt, steht Dieks um 3 Uhr morgens am Markttag auf und bereitet vor. Bis 18 Uhr ist er dann dienstlich auf den Bei­ nen, keine echte Pause, keine Zeit, durchzuschnaufen. Wobei, doch, es sei schon besser geworden. Jetzt, wo die Schulden abgestottert seien, der zweite Wagen eben auch ein beruhi­ gendes zweites Standbein bilde, die Schlange eben nie, bitte nie kürzer werde.

Uwe Dieks

Auf ne Wurst zum Dieks

Ob er denn nicht mal überlegt habe, sesshaft zu werden, fragen wir ganz am Schluss. Kleiner Imbiss, feste Sitzplätze, drinnen und draußen, das wäre doch was. Wäre es. Sagt Uwe Dieks, nimmt die Mütze, die eigentlich immer auf seinem Kopf sitzt, runter, kratzt sich am Schädel und setzt sie wieder auf. Hat er auch mal probiert, hat nicht geklappt. Und dann schaut er wieder rüber, zu seinen beiden Imbisswagen, den Mitarbeitern, die gerade arbeiten und nicht quatschen, zu der Schlange, die jetzt doch ein wenig kürzer wird – es ist schon spät – und scheint zu denken: Brauche ich das wirklich? Reicht doch. Das, was ich habe. Und vor allem: Was ich draus gemacht habe. —

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Stephanie Hilge

Hühnerhof

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Stephanie Hilge

Hühnerhof

wie Huhn, H wie ­Hilge

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Stephanie Hilge

Hühnerhof

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Die automatische Waage spuckt Gewicht, Preis und Aufkleber aus, es sind routinierte Griffe, die dafür sorgen, dass sich die bereitgestellte rote Kiste langsam mit immer mehr Tieren füllt. Rund 50 Hähnchen kommen so pro Monat zusammen, verkauft an die, die wissen, dass sich der Weg hierher lohnt, dass es sich geschmacklich auszeichnet, wenn ein Hähnchen nicht auf winzigem Raum nur ein paar Wochen alt wird, sondern mindestens 80 Tage lang selber entschei­ det: Bleibe ich drin im Stall oder laufe ich raus ins Grün? 50 Hähnchen, das klingt nicht nach viel. Und soll es auch nicht. Das hier, der Hof Hilge, ist immer noch ein Hob­ by. Fühlt sich sehr früh morgens, sehr spät abends, an den Wochenenden nicht so an, aber Stephanie und Dirk sind noch auf dem Weg hin zu dem Punkt, an dem man von all dem hier leben kann. Von den Hähnchen, den Eiern, den Gänsen und den Schottischen Hochlandrindern.

Vor etwa 20 Jahren, als noch niemand wuss­ te, was daraus entstehen würde. Es kamen Hühner hinzu, Bienen, sogar Kühe. Und irgendwann reifte der Entschluss, dass sie mitsamt ihren Kindern rauf aufs Land, auf einen Hof ziehen und das Abenteuer Bio-Landwirtschaft wagen wollten. Was sich so einfach anhört – Bioland zer­ tifiziert –, ist in der Realität schwer zu erreichen. Alles ist reglementiert und vorgeschrieben, wer sich das Bioland-Logo auf die eigenen Waren kleben möchte, der muss strengste Vorgaben erfüllen. Richtig so. Sagt die 34-Jährige. Und weiß doch: einfach ist das nicht. Wenn du deinen Hähnchen so viel und vor allem so lange Auslauf gewährst. Wenn ­deine Hochlandrinder häufig drei Jahre bis zur Schlachtreife brauchen. Das geht bei den konventionellen Mitbewerbern deutlich schneller. Und zahlt am Ende der Kunde diese Zeit, die ­Geduld, für ein Fleisch, das längst nicht so wässrig ist, das in der Form bleibt, das von drei Faktoren stark beeinflusst wurde? Licht, Gras und Bewegung? Auf 32 solcher zotteligen Tiere ist die Herde mittlerweile angewachsen, neun Mutter­ tiere und ein Bulle sorgen für den Nachwuchs, der keinen Namen mehr hat. Ich habe mir abgewöhnt, den Tieren einen zu geben. Sonst ist der Abschied noch emotionaler, wenn die Fahrt zum Bio-Schlachter in Ahaus ansteht. Sagt Stephanie Hilge und weiß doch: vom Fleisch lebt der Hof, ihre Familie. ≈


Stephanie Hilge

Hühnerhof

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Stephanie Hilge

Hühnerhof

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Längst rufen Kenner von weit her an und fragen, ob dieses Fleisch nicht auch verschickt werden könne. Aber so weit sind sie in Altenberge noch nicht. Da fehlt nicht nur der Webshop, da fehlen auch Logistik, eine lückenlose Kühlkette, um den Versand von Steak und Rouladen, Gulasch und Hüfte zu ermöglichen. Niemand muss hier ein halbes, ein viertel oder ein achtel Tiere nehmen, es ist alles fertig por­ tioniert. Und geht schnell über den Verkaufstresen. Der soll irgendwann in der Zukunft in einen anderen Raum wechseln, Laden wollen die Hilges den Raum noch nicht nennen, auch wenn es irgendwie sehr stark danach klingt, als entstehe genau so etwas auf ihrem Hof.

Stephanie Hilge

Ganz zum Ende, die Hähnchen liegen allesamt gut sortiert in der Klappkiste, geht es raus und rüber zum Hühnerhotel. Klappe auf, mal reinschauen, was die, die hier jeden Tag rein und raus auf die Wiese spazieren können, gelegt haben. Die Nester sind voll, es gackert und kräht, die Hühner blinzeln erst irritiert ins Licht und picken dann auch mal zu; wer lässt sich schon gerne beim Legen und Brüten stören.

Hühnerhof

Ein paar Meter weiter grasen die Gänse, deren Zeit auch so langsam abläuft. Kurz vor Weihnachten gehen sie – viele von ihnen längst vorbestellt – auf die letzte Reise, bis dahin genießen sie Luft und Natur. Wenn man Stephanie Hilge fragt, ob da nicht auch Zweifel in ihr nagen, ob all das hier klappe. Ob es nicht unerträglich sei, dass jeder Massentierhaltung verachte – und beim Discounter doch nicht widerstehen könne, wenn das Kilo Schweineschnitzel für 2 Euro angeboten werde. Nein. Ist die klare Antwort. Sicher, das sei anfangs anders gewesen. Das Risiko konnte sie als gelernte Steuerfachangestellte nur zu gut in nicht gerade optimistisch stimmende Zahlen fassen. Aber der Zeitpunkt des Mit-sich-Ringens sei längst vorbei, der Kundenstamm ist aufgebaut, es kommen immer mehr Interessierte, aus der Nachbarschaft, aus Münster und sogar aus Osnabrück.

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Tischmanier

KĂźchen

Nachts sind alle KĂźchen grau.


Tischmanier Küchen

w w w.tisc hma n ier.com

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Zu süß. Zu sauer.

Dave Gappa

Barbecue-Sauce

44 Es ist ein leicht komisches Gefühl, zu einem Barbecue eingeladen zu sein, ohne den Gastgeber zu kennen. Klar, wenn da richtig viele kommen, dann ist das nicht so schlimm. Dann kann man locker rübergrüßen und sich unter das Volk und vor allem unter die mischen, die man kennt. Wenn man aber fast alleine eingeladen ist, ist das dann doch un­ gewohnt. Aber egal und irgendwie spannend, also das Auto am zugewachsenen Straßenrand geparkt, die Sonne steht schon tief, rein in die Einfahrt laufen, Musik schwappt herüber, da steht Dave, da komme ich. Geht doch. Dave ist der ehemali­ ge Sänger der H-Blockx, aber das soll heute nicht das Thema sein. Er ist auch Me­ dienrechtler. Aber auch das: kein Thema für diesen Abend. Der Nachname Gap­ pa ist auch schnell vergessen, lass uns beim Du starten und nicht mit Banalitäten aufhalten. Dave steht schon am Grill, einer bauchigen Holzkohle-Kugelvariante, deren Rost gerade mit der Metallbürste bearbeitet wird. Dann die Kohlebriketts, ein wenig Pappe zum Anzünden, ein wenig mehr vom flüssigen Brandbeschleu­ niger, also alles genau so, wie es die Feuerwehr empfiehlt. Es ist auch ein merkwürdiges Gefühl, wenn man so gar nicht mit anfassen kann. Aber Dave macht nicht den Eindruck, als brauche er Hilfe. Ganz im Gegenteil. Man solle sich hinsetzen, genießen, quatschen. Plan des Abends: gegrillte Zucchini mit Frischkäse und Cranberrys, dann Rib-Eye-Steak mit Salat, dann Burger. Plan des Abends vor allem: Die Barbecue-Sauce von Dave probie­ ren. Die hat dann doch ein wenig mit den H-Blockx zu tun, denn als Dave, es muss so Ende der 90er-Jahre gewesen sein, mit der Band durch die USA tourte, da gab es abends immer eine ganz wunderbare Grillerei. Nur eine ordentliche Bar­ becue-Sauce, die gab es eben nicht. Wenn wir in Europa spielen, dann mache ich euch eine, versprach er. Eine echte, eine richtig gute. Und konnte das Versprechen doch nicht halten, weil es zu keiner Europa-Tournee mehr kam. Aber dennoch: Die Idee war geboren, sich mit dieser Grillsauce, die entweder zu süß, zu scharf, zu sauer, zu rauchig oder alles zusammen schmeckt, näher zu beschäftigen. Damals, da gab es auch diese Sommerfeste, zu denen Hunderte zu Dave in den Garten, nach Hause kamen. Und dafür sorgten, dass die BBQ-Sauce, die Dave im Topf ­neben den Grill stellte, viel zu schnell aufgegessen war. Es musste also etwas dran sein an der Rezeptur, die er immer weiter verfeinerte. Bei der er lernen musste, dass der beste Pfeffer aus Puerto Rico stammt, man es mit der Zugabe von Oregano nicht übertreiben solle, der Knoblauch erst gegrillt oder gebraten werden muss, ehe er in die Sauce wandert. Es sei dieses Suchen nach dem perfekten Ergebnis, dem ultimativen Geschmack gewesen, das ihn angetrieben habe. Nicht der Wunsch nach einem möglichst hohen Gewinn. Sonst hätte er eingewilligt in das Angebot von Tengel­ mann, seine Smoky Dave´s BBQ Sauce in 20.000 Flaschen zu liefern. Immer und immer wieder. Er sei dafür schlicht nicht bereit gewesen. Für den Deal, mit der Idee, dafür, seine Schluckflaschen, in denen sich die rötlich-braune Sauce befindet, im Re­ gal der Großen zu sehen. Dann lieber weiterköcheln und abfüllen in der Großküche eines Freundes, einmal im Monat, 400 Flaschen lang. Oder besser: kurz. Denn irgendwann fällt einem dann doch der Taschenrechner in die Hand, und wenn der Freund Daniel das Marketing macht und irgendwie auch be­ zahlt werden will und vor allem soll, wenn weitere Kosten entstehen, dann weißt du irgendwann: 400 Flaschen sind dann doch zu wenig. Also erst einmal alles stoppen, Daniel zum Teilhaber machen, damit das Gewissen kein schlechtes sein muss, einen Investor finden, der dran glaubt an die BBQ-Sauce. Auch wenn er das eigentlich gar nicht mag, BBQ-Saucen. Die Zucchini ist längst serviert und verzehrt, wir müssen uns zu­ rückhalten, nicht schon hier die Sauce auszuprobieren. Dave erzählt weiter, dass sie wirklich einen Abfüller in der Eifel fanden, der mehr war, als nur ein Abfüller. Anfangs skeptisch, dann durch den Geschmack überzeugt. Er kann Vertrieb, er kann Produktion, er kann Schlagzahl. Und das ist doch das Beste, sagt Dave, wenn sich jeder auf das konzentriere, was er am besten könne. Er selber kann einfach am besten Saucen entwickeln. Und grillen. Es wird gerade ein wenig hektisch am Grill, die Metallbürste sorgt wieder für fotogenen Funkenflug, jetzt volle Pulle mit der Temperatur, so richtig einheizen, Deckel drauf, Deckel wieder runter, Steak drauf, ganz kurz, dann runter damit, ab auf den Teller, dann BBQ-Sauce drauf, dann lecker. So was von. ≈


Dave Gappa

Barbecue-Sauce

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Dave Gappa

Barbecue-Sauce

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Wenn beide diese Lobhudelei nicht mögen und vor allem wissen, dass sie nicht notwendig ist, weil es eben Dinge gibt, über die man nicht reden, sondern sie genießen muss, dann ist das schöner als alles andere. Also kauen wir. Obwohl es bei dem Rib-Eye-Steak nicht viel zu kauen gibt. Es schmilzt so dahin. Ein Steak liegt da noch so einsam rum und keiner will es, und eigentlich doch, aber keiner sagt es, und dann nehmen wir es doch und denken: schön doof, dass das keiner will. Oder eben noch wollte. Man könnte meinen, dass der Dave jetzt ausholt. Mit wilden Plänen, wie denn die BBQ-Sauce nun zu vermarkten sei, wie nicht nur die Tengelmänner, sondern auch die EDEKA-Jungs, die Gastroleute, die Imbissbudenbesitzer nur so jauchzen würden und werden. Vor Freude. Aber irgendwie scheint das nicht der Masterplan zu sein. Es gehe viel mehr darum, die BBQ-Sauce, das Rezept, diese ganze Idee optimal umzusetzen. Was dann kommt? Mal schauen.

Es ist längst dunkel geworden, ein paar Freunde sind noch gekom­ men, die Teller sind leer, die Mägen voll, die Hormone glücklich. Jetzt kenne ich seine Geschichte, sagt Dave. Jetzt wolle er meine hören. Aber die gehört hier nun wirklich nicht hin. —

Barbecue-Sauce

Es gibt dieses Gefühl, wenn man satt ist. Und nicht mehr kann. Also so gar nicht. Genau in diesem Moment kommt Dave aus der Küche, hellblau-dun­ kelblau kariertes Geschirrtuch an den Gürtel geknotet, Teller mit Burgerfleisch in der Hand, aufmunternde Worte auf der Zunge. Hat da jemand den dritten Gang vergessen? Ach wo, ist noch jede Menge Platz in uns, her damit, kein Problem, die BBQ-Sauce will ja ausgiebig und in unterschiedlichem Terrain getestet wer­ den. Dieses hier besteht zu einer Hälfte aus Rind, zur anderen aus Schwein. Weil es das so schön saftig mache, sagt Dave, legt die Pattys auf das schon wieder blitzeblank geschrubbte Rost, wendet sie flott und bringt sie zu Brötchen und roten Zwiebeln, Feldsalat und Gurkenscheiben. Mayonnaise, fragt einer. Ist nicht im Haus, sagt Dave. Muss auch nicht, denken wir. Denn auch hier funktioniert die BBQ-Sauce, braucht´s nicht mehr. Einfach drauf aufs Fleisch, Salat drauf, Brötchen­ deckel drauf, Mund auf.

Dave Gappa

Wir legen Teller und Besteck zur Seite und lehnen uns zurück. Wo kann ich ordern? Aktuell gar nicht. Och nö. Dauert noch ein wenig, bis die Produk­ tion wieder anlaufe, so Anfang Oktober gehe es wieder los. Das sind noch unver­ schämte zwei Wochen, denken wir. Das ist ja so gut wie nichts, sagen wir.

Zu scharf. Zu rauchig.

Er wolle gar nicht so genau wissen, wonach sie denn schmecke, seine Sauce. Er weiß es schließlich selber. Und ihm genüge der Blick in die zufrie­ denen, fast erstaunten Gesichter. Und man selber kaut und denkt, man müsse jetzt ja irgendetwas Intelligentes zur Sauce sagen. Obwohl man doch eigentlich nur genießen wolle. Der Dave weiß ja, dass sie sehr, sehr gut ist. Und man muss ihn doch nicht drauf hinweisen, dass sie eben nicht nach Rauch und Eichenfass schmecke. Sondern anders. Viel besser.

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GUTE WERBUNG ERZÄHLT NICHTS VOM PFE PFERD. D. Wir, das sind rund 35 fest angestellte Kreative im kleinen Bünde und im etwas größeren Bielefeld, im riesengroßen Berlin und im schönen Münster. Die sich in keiner Schublade wohlfühlen. Wir sind Spezialisten für das große Ganze, wir lieben die Herausforderung und machen am liebsten alles. Eben von vorn bis ­hinten. Oder, ­anders gesagt: von Anfang an, wenn der Funke in unsere Hände hüpft, wir ihn ­hegen, ­aufziehen, groß werden lassen – bis hin zum Ende, wenn wir ihn als Feuerwerk an unsere nationalen und internationalen Kunden zurückgeben.

Münster  |  Bünde  |  Bielefeld  |  Berlin


BERATUNG STRATEGIE KONZEPTION

PRINT Anfassen, bitte. Oder besser: streicheln.

Die meisten Kunden, die zu uns kommen,

Wir gestalten alles, was­

wollen alles. Alles neu. Gehen neu an den Start,

­gedruckt wird. Von der

bald auf eine Messe, mit einem neuen Produkt

­Visitenkarte bis zum Geschäfts­

an den Markt und wissen nicht, wie.

bericht, vom Kundenmagazin ­

Wir machen das am liebsten. Bei Null starten.

bis zum Flyer.

Und alles neu entwickeln, konzeptionieren, Strategien festlegen, schlicht: perfekt beraten. Und dann gerne umsetzen.

APP

WEB

Eine Webseite, die man sich auf dem Smartphone anschauen kann, ist keine

BILDER

App. Das kann jede von uns program­ mierte Webseite. Eine App kann mehr. Messen und wiegen, dein Handy zum Leuchten bringen, rechnen und tricksen, deine Kamera und deinen

Echt oder fake? In der Kamera entstan­

Kalender ansteuern, dich an den Müll

den oder am Rechner? Bewegtes oder

erinnern, dich durch Gebäude führen.

­stehendes Bild?

Auch das können wir.

Von wegen digitale Transformation.

Wir stellen uns diese Fragen nicht.

Wir glauben nicht, dass man analog

Wir wissen, dass die Grenzen fließend

eins zu eins ins Digitale umsetzen kann.

sind, dass das Wie niemanden mehr

Im Web ist alles anders. So wie deine

interessiert. Wir fotografieren, filmen

Webseite, dein digitaler Newsletter,

und rendern. Und wissen: Am Ende

dein E-Magazin und dein Webshop,

zählt das bewegende Ergebnis.

den du nur bei uns bekommst. Neues Unternehmen, neuer Name, neues Produkt? Oder einfach mal komplett neu aussehen wollen? Wir helfen, wenn das Logo, der Name, das gesamte Erscheinungsbild neu erfunden oder aufgefrischt werden soll.

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Bock auf ’ne neue Werbeagentur? Dann nichts wie los! Alter Steinweg 39 | 48143 Münster +49 251 85 70 17 71 muenster@hoch5.com Borriesstraße 11 | 32257 Bünde +49 5223 79 23 700 buende@hoch5.com www.hoch5.com


Tischmanier

Küchen

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Und plötzlich hast du eine ­Küchenfirma

Parallel dazu arbeiteten wir an dem Tischmanier-Tisch. Der dem Ganzen seinen Namen gab, der erst die Idee von der Küche entstehen ließ. Ist es nicht nervig, dass sich unter jedem Tisch die Kabel stapeln, dass man das gerade ladende Handy sucht, Zettel Eselsohren bekommen, Stifte verschwinden, wenn man sie braucht? Also: Wie werde ich ordentlicher, ohne dass es mich nervt? Und dabei noch schick aussieht?

Küchen

So ist die Tischmanier-Küche entstanden. Wir haben Innenarchitekten eingestellt, haben mit den Lieferanten gesprochen, haben Ideen entworfen, verworfen, immer wieder von vorne angefangen. Ein ausgedientes Fotostudio diente uns als Rückzugsort, wer hierherkommen wollte, musste daumendicke Verschwiegenheitserklärungen unterschreiben und gleich wieder vergessen, was er eben noch gesehen hatte. Die Jungs vom Möbel-TÜV kamen vorbei und kommentierten, ehe wir ihnen die Muster ins Prüflabor brachten. Wir fuchsten uns rein in die Welt der Möbel, befassten uns mit Technik und Material und wollten vor allem eins: nicht so denken wie all die, die sich professionell mit dem ­Thema Küchendesign auseinandersetzen.

Tischmanier

#2

So wurde Tischmanier geboren. Als ein Tischkonzept, das hilft, Ordnung zu schaffen. Und mit dem man nebenbei auch noch Tischtennis spielen kann. Auch hier gab es zahllose konspirative Treffen, haben wir probegesessen, die Maße noch mal verändert, das Material der Platte beäugt, gemeinsam mit den Kennern von Kesseböhmer über einer stabilen und flexiblen Art gebrütet, um unsere B-Steck genannten Funktionsanhängsel an den Tisch anbringen und wieder abnehmen zu können. ≈

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Taha Sonnenschein

CafĂŠ Herr Sonnenschein

Hallo nensc 52


Taha Sonnenschein

o Son chein Café Herr Sonnenschein

Wenn du frühstücken willst, also in Ruhe, aber nicht zu einer dieser Ketten gehen willst, wo gehst du dann eigentlich hin?

Man kann sich die Antwort reiflich überle­ gen. Hier stöbern, da nachfragen. Oder du machst eben den Laden auf, den du schon immer aufmachen wolltest. Sagt Taha Son­ nenschein, der wirklich so heißt, weil seine Eltern, die ihn adoptierten, auch schon so hießen. Wer so heißt, der macht sich nicht allzu viele bedrückende Gedanken, son­ dern erfindet, O-Ton, das Rad zwar nicht neu, aber dann doch eine neue Art des Frühstückscafés.

Als wir Taha besuchen, ist davon ehrlich gesagt noch nicht so wahnsinnig viel zu sehen. Aber das wird, da ist er sich sicher. Früher residierte hier das Café Arte, und als er mitbekam, dass es schließen sollte, die Räumlichkeiten zu haben waren, da hat er nicht lange über-, sondern losgelegt. Er ist, das muss man wissen, kein Unerfahrener in der Gastroszene, er betreibt das Gasolin ein paar Meter weiter, gut zu erreichen mit dem Fahrrad – aber dazu später.

Was er hier, im ehemaligen Café Arte, dessen Buchstaben er von der Fassade abschraubte und die nun in durcheinandergewürfelter Reihenfolge im Regal liegen, vorfand, ließ seine Fantasie sprudeln. Es sollte alles anders werden, die Einrichtung, die Musik, die Speisekarte; nur die Decke musste bleiben. Nicht schön, aber Wille des Vermieters. Dann also ein zähneknirschendes Okay und weiter geht’s mit der Umsetzung seines Planes, das andere Frühstück anzubieten. Brote soll und wird es hier geben, daumendick, rustikal, lecker. Drauf mal Schinken, auch Käse, am liebsten Avocado. Überhaupt: ’ne echte Avocadostulle, wo bekommst du denn die? Mit pochiertem Ei obendrauf. Ein Traum, ein unerfüllter. Bis jetzt. ≈

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Taha Sonnenschein

CafĂŠ Herr Sonnenschein

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Taha Sonnenschein Café Herr Sonnenschein

Als wir bei Herrn Sonnenschein vorbei guckten herrschte gerade die Ruhe vor dem Sturm. Handwerker schraubten und strichen, wuchteten und elektrisierten. In einer paar Tagen war Eröffnung – die längst Vergangenheit ist.

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Taha Sonnenschein

Café Herr Sonnenschein

56 Taha redet sich in Schwung, fingert in der Hosentasche, wischt auf dem herausgezogenen Smart­ phone herum und zeigt Bilder von ersten Avocadostullenversuchses­ sen. Na? Fragt er. Lecker, oder? Bananenbrot steht auch auf der ­eigenen Hitliste, gut möglich, dass Taha jeden Morgen hier sitzen und frühstücken wird. Dabei hat er ­eigentlich gar keine Zeit. Denn ­eigentlich macht er ja ganz andere Sachen. Das Gasolin zum Beispiel. Oder das Organisieren von Fixie-­ Radrennen. Eine verrückte Ge­ schichte, er erzählt sie so, als sei er da eher flüchtig reingerutscht. Er könne halt gut organisieren, das habe sich rumgesprochen, und plötzlich war er Teil der Gruppe Rad Race, die Fahrradrennen und mittlerweile sogar Weltmeister­ schaften für Fahrräder ohne Gang­ schaltung organisiert. Erst im Klei­ nen, aber irgendwie dann auch im immer Größeren, weil immer mehr Menschen Fahrradfahren ohne zu schalten cool finden und das wiederum Veranstalter gro­ ßer Radrennen cool finden und sich Taha plötzlich fragen musste, wie viele Tage eigentlich eine Stun­ de hat. Oder andersherum. Man könne da schon mal den Überblick verlieren.

Dass er selber gar kein Radfreak ist, erzählt er lieber nicht so vielen. Was willste auch machen, wenn die Sponsoren dir ein tolles Bike vor die Tür stellen und du denkst: Och, da mach’ ich mir jetzt eigentlich gar nicht so viel draus. Wobei, ein Rad kann er schon gut gebrauchen, flitzt er doch jetzt zwischen seinem Rad-Race-Büro, dem Gasolin und dem Frühstückscafé, das nicht nur zur Frühstückszeit, sondern bis spät in die Nacht geöffnet hat und eigentlich Eitel-Sonnenschein heißen sollte, hin und her. So richtig gut kam die Idee mit dem Eitel-Sonnenschein nicht an, weil seine Mitarbeiter den irgendwie in die Jahre gekommenen Begriff nicht mehr kannten und das irgendwie anmaßend, fast ein wenig arrogant fanden, sich so zu nennen.


Taha Sonnenschein

Kopfschütteln und doch: im Kopf das Argument bewegend. Wenn die das nicht kennen, vielleicht wis­ sen auch viele andere Münstera­ ner im angepeilten Besucheralter nichts mehr mit dem Begriff anzu­ fangen. Zweite Idee: Dachsbau. Al­ les, was Taha nett und sympathisch findet, nennt er dachsig. Dachsige Mucke, dachsige F ­ reunde, dachsige Zeit gerade. Aber auch da: Kapie­ ren die, die hierherkommen, was gemeint ist?

Café Herr Sonnenschein Dann doch lieber: Herr Sonnenschein. Klingt irgendwie, nun, dachsig. Und 90 Prozent der Leute, die hierherkommen werden, kennen ihn ja gar nicht. Also beim Nachnamen. Das macht den Namen doch gut und ein wenig geheimnisvoll. So soll es sein. Anpfiff im Herr Sonnenschein ist morgens um 9 Uhr. Der Abpfiff ist nicht weiter terminiert. Kommt ja auch drauf an, was gerade beim Radrennenorganisieren so los ist. Oder im Gasolin. Oder bei all den anderen Projekten, die noch so in seinem Kopf rumschwirren, der morgens um 7.30 Uhr angeknipst wird und erst abends so gegen 23 Uhr wieder mitsamt Taha zu Hause ist. Es ist alles durchgetaktet, was wohl auch damit zusammenhängt, dass Taha mal BWL studierte. Er sei ein Freund der Zahlen, kein Koch. Kein Wunder, dass er die Zeit stoppte, die er mit dem Rad braucht, um vom Gasolin zum Herr Sonnenschein zu fahren. 28 Sekunden. Das geht doch, das schafft man doch, das ist doch so gut wie nichts. Angst, sich bei alledem zu verzetteln? Hat er nicht. In seinem Kopf spiele nur ­gerade ’ne richtig coole Kopfdisco. Dafür habe er aber das Immunsystem von zwei kämpfenden Löwen – kein Grund also, sich Sorgen zu machen. Das hier, das werde ganz ­wunderbar. Dachsig eben. —

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Torsten Schwarthoff

Weinschorle

Garantiert G’spritzt

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Bestell mal in der Kneipe, im Restaurant eine Weinschorle. Dann noch eine. Und noch eine. Sie werden alle unterschiedlich schmecken. Nicht, weil dein Pegel steigt. Sondern weil der eine hinter der Theke mehr, der andere weniger Wasser dazukippt, weil es keine fertige, keine konstante Weinschorle gibt. Oder besser: gab. Weil es nun Sommergefühl gibt, den Getränke-Vertrieb von Torsten Schwarthoff. Wir treffen ihn unpassenderweise im Oktober, der Sommer und die damit verbundenen Gefühle verabschieden sich gerade in Richtung Moll, aber der G’spritzter, wie sich die Weinschorle in der Flasche nennt, ist dennoch aktuell. Longneck heißt die Flasche, fühlt sich an wie Cola aus


Torsten Schwarthoff

Am wichtigsten ist natürlich immer noch, was drinsteckt. Der Kern quasi. Die Gleichung klingt denkbar einfach. Wein + Wasser + Kohlensäure = die perfekte Weinschorle. Die Rechnung machte Torsten Schwarthoff erst ohne all die Unbe-

kannten auf, die sich darin versteckten. Erst als er einen Winzer in Rheinland-Pfalz kennenlernte, kam er dem näher, was er erreichen wollte. Näher ran an eine Weinschorle, die nicht nach Wasser schmeckte und doch erfrischte. Die mit 7,6 % kein seichtes Wässerchen mit Weinaroma war. Sondern eine ausgewachsene Weinschorle.

Apropos draußen: Stehen da nicht immer nur die Kerle, rund um das Lagerfeuer, die Bierflaschen in der Hand? Während die Frauen in der Küche mit Wein und Mineralwasser hantieren? Alles Geschichte. Wenn es nach Torsten Schwarthoff geht. —

Weinschorle

Hamburg, wie Bier aus dem hohen Norden. Liegt gut in der Hand und braucht keinen Flaschenöffner, kein Feuerzeug, keinen festen Schmelz auf den vorderen Backenzähnen, um geöffnet zu werden. Es sei, sagt Schwarthoff, die Erfüllung eines Traumes. Und zu dem Traum gehört eben auch ein Kronkorken, der sich drehen lässt. Dreh einfach, pfeif aufs Glas, lass entweder den Strohhalm oder das Limettenstück in den Hals gleiten und dann genieß.

2.000 Flaschen hat Schwarthoff abfüllen lassen. Ist ja nur ein Hobby. Also erstmal. Wird vielleicht mehr. Also bald. Die erste Charge verabschiedet sich gerade aus dem Lager, der Sommer war gut, der Winter wird vielleicht sogar besser, warum nicht Silvester nicht mit der Bierflasche, sondern der Weinschorle draußen stehen und der Knallerei zusehen?

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Sabine Jürß

Ziegenkäse

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Alles Käse.


Sabine Jürß Ziegenkäse

Sieht süß aus, so eine ­Ziege. Als wolle sie gestreichelt werden. Als müsse man sie sofort zwischen den Hörnern kraulen. Als gehöre das dazu, zu einem Hof voller Ziegen. ≈

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Sabine Jürß

Ziegenkäse

Alles Quatsch. Sagt Sabine Jürß und krault die Ziege, die gerade ihren Oberkörper über den Zaun schiebt, dann doch hinter den Ohren. Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass sich die Tiere untereinander unterhalten, alles andere ist überbewertet, sagt die 58-Jährige. Is´ nix mit übertriebenen Streicheleinheiten zwischen Tier und Mensch auf dem Hof Scellebelle. Die 40 Tiere sind die Basis der Existenz von Sabine Jürß, da bleibt kein Raum für Kuscheln, das ist ein Knochenjob, sieben Tage die Woche – bei Wind, Winter und Fieber. Wer Sabine Jürß auf ihrem Hof trifft, ist erst einmal ernüchtert. Die Käserei findet sich in zusammen­ geschobenen Containern, die Ziegen gucken aus der Tiefe des Stalls. Da ist kaum Raum für Romantik – und das ist gut und gewollt so. Geh mir weg mit diesem ganzen Bauer-sucht-Frau-Kram. Das ist an der Realität so was von vorbei. Sagt Sabine Jürß ein wenig verärgert. Sie muss es wissen, sie hatte einen Hof in Südoldenburg, 120 Tiere stark, Stress und irgendwann kaum noch zu bewälti­ gen. Die Pachtkosten liefen ihr davon, dann also ab nach Münster, dahin, wo die leben, die einen guten, einen richtig guten Ziegenkäse zu schätzen wissen. Hin auf ein Gelände, wo der große Hof nebenan die grünen Wiesen zur Verfü­ gung stellt und dafür gerne den Ziegenmist nimmt. Es sei kein einfacher Schritt gewesen. Aber der richtige. Nicht einfach deshalb, weil es auch hier so ist wie überall sonst. Du stellst dir vor, dass es schnell klappt, mit den Behördengängen, den Genehmigungen. Und du weißt ein wenig später: So schnell geht es dann doch nicht. Monate vergingen, Nerven zerrissen, die Herde schrumpfte. Sabine Jürß konnte viele Tiere, die aus sehr guten französischen Linien stammen, gut verkaufen. Heute leben 40 Tiere in dem Stall, der zum Klettern animiert, in den jetzt der Herbstwind pfeift, der Frischluft en masse bietet. 40 Tiere, das klingt nach wenig. Und ist doch viel. Denn sie wollen zweimal am Tag gemol­ ken werden. Ohne Ausnahme, Feiertag, Krankheitstag. Mit mehr als 40 Grad Fieber hat sie hier schon gestanden, hat die Tiere gemolken und die Milch gleich weggekippt – an Weiterverarbeitung war nicht zu denken. Aber so richtig häufig krank wirst du nicht; zwei Tage die Woche auf dem Wochenmarkt, einen weiteren auf dem ökologischen Bauernmarkt, jeden Tag mit dem Rad den einen Kilome­ ter zum Ziegenhof Scellebelle, Arbeit an der frischen Luft, dann wieder zurückgeradelt. Echte handwerkliche Arbeit sei das, so, wie sie sie in Frankreich kennenlernte. Als sie in jungen Jahren denen über die Schulter schaute, die in Frankreich für den besten Käse sorgten, den sie je gegessen hatte. So was wollte sie auch. So leben, so arbeiten. Sich keine


Das Leben kann herrlich einfach sein. —

Ziegenkäse

lei der Kühltheke hinter sich lassen, sagt Sabine Jürß. Dabei hat sie nicht nur Franzosen in ihrem Angebot, sondern auch Engländer und Schweizer, wie sie ihre Käse nennt. Wobei es streng genommen nicht ihre, sondern fremde Käse sind, zugekauft oder getauscht mit Kollegen, die genau so wie sie arbeiten, sich auf die eine Sache fokussieren. Das ist vielleicht auch der Grund, warum sich Sabine Jürß nie um Ziegenfleisch gekümmert hat. Überzählige Zicklein verkauft sie an Mäster, zu dünn ist der Betrag, den du bekommst, wenn du dich mit dem Thema Fleischgewinnung beschäf­ tigst. Und zu groß die Gefahr, dich zu verzetteln. Mach das, was du kannst. Und das so richtig. Also hat sie damals aus einer Herde von 2.500, natürlich französischen, Tieren ihre Ziegen ausge­ sucht. Hat genau, mit Kennerblick hingeschaut. Und verfügt so heute über eine Gruppe lustig dreinschauender Tiere, bei denen geklärt ist, wer das Sagen hat, wer folgt, wer die Rolle der Aufstrebenden übernimmt, wer sich langsam auf das Altenteil verabschiedet. In Spitzenzeiten geben Ziegen im Durchschnitt drei, auch mal dreieinhalb Liter Milch am Tag. Aber mit den Spitzenzeiten ist es langsam vorbei, wenn es gen Winter geht. Dann wird keine Milch gegeben, dann stehen sie drinnen und je nach Wetterlage auch draußen, lassen sich den Wind über die stets in Bewegung erschei­ nende Nase pusten und genießen das, was Ziegen am liebsten tun: Ziege sein. Zeit also, um Urlaub zu machen? Komplett überbewertet, sagt Sabine Jürß nur knapp und winkt ab. Da sei endlich Raum, um sich dem Stall zu widmen, zu reparie­ ren, nach dem Rechten zu schauen und mal ein gutes Buch zu lesen. Wir verkneifen uns, als wir den Hof verlas­ sen, die Frage nach dem Rentenalter, nach dem, was geht, wenn es nicht mehr geht. Die Antwort können wir uns auch selber geben: Es geht doch. Gut sogar. Und wird noch lange gehen. Alles andere: Fragen, die sich jetzt nicht stellen.

Sabine Jürß

­ edanken über ihre Wochenstundenzahl machen, sich G nicht den Kopf zerbrechen über das, was heute so modern ist. Ich habe meine Work-Work-Balance gefunden, eine Arbeit, die ich liebe, genau wie meine Ziegen. Mal mit den Leuten plaudern auf dem Markt, dann wieder still mit den Ziegen arbeiten. Wobei, so richtig still ist es hier nicht, die Herde macht einen aufmerksamen, harmonischen Eindruck, ­Meckern im positiven Sinne also. Noch etwas ruhiger wird es in den RAL-pastellblauen Containern, vor denen dunkelweinrote Dahlien stehen. Innen drin ist es so peinlich sauber, dass man einen fast schon schüchternen Blick von außen durch die Fenster wirft. Mal reingehen? Vergiss es. Wo die Käse vor sich hin reifen, ist kein Platz für Neugierde, kein Raum für Keime, die haben hier nichts zu suchen. So wie das draußen kein Streichelzoo ist, ist das hier keine Ausstellung rund um den Reifungsprozess von Ziegenkäse. Wer sich die Liste derer, die sie beliefert, anschaut, der ahnt, warum es hier nicht um Romantik und Pädagogik, sondern um Qualität geht. Und sonst nichts. Die Spitzenrestaurants der Umgebung ordern hier, wer hier kauft, der weiß, dass Qua­ lität Geld kostet. Und sich nicht um die Ecke, im Supermarkt­ regal findet. Wer einen Blick in die Kühlkammer wirft, der ist erstaunt. So sehen Ziegenkäse aus? Wie weiße Pyramiden, nur mit quadratischer Grundform? In Frankreich sehen sie so aus. Und deshalb auch hier, so die logische Antwort. Nicht nur dieser Käse ist ein Rohmilchkäse, einer, der reifen muss, den man nicht stören darf in seiner Balance. Der ruht in sich, der wird gekühlt auf den Markt gebracht, dort weiter gekühlt und dann dem übergeben, der weiß, wie er damit umgehen muss. An verschicken? Ist nicht zu denken, das hier, das ist eine sensible Ware, nichts für das Hin- und Her­ gerutsche im Lieferwagen, nichts für das Dahinschwitzen in Logistikzentren. Zwischen drei Tagen und vier Wochen dauert der Reifeprozess, ehe aus der Ziegenmilch das geworden ist, was Kenner schätzen. Dazu muss kein französisches Blut durch den Gaumen fließen, dazu müsse man nur das Einer­

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Angela von der Goltz

Marmeladenmanufaktur

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MA — — RM EL — A—DE Irgendwann kommst du an einen Punkt, da weißt du, dass du etwas anders machen musst. Und willst. An dem du dich neu erfindest. Was im Falle von Angela von der Goltz alles hätte sein können. Als Kulturwissenschaftlerin hast du ja alle Möglichkeiten. Dass es am Ende Marmelade wurde? War wohl Zufall. Und wundert sie heute noch ein bisschen.

Marmeladenmanufaktur

Bei der Marmelade von Angela von der Goltz ist das anders. Handarbeit ist handgemacht. Sagt und lebt sie. Sie hat die Marmelade gerührt, als sie auf dem Arm das Baby in den Schlaf und die andere Tochter durch die Pubertät schaukelte. Sie backte das Brot selber, stellte die Butter selber her und war erstaunt, wie gut all das, Brot, Butter, Marmelade, bei Freunden und Bekannten ankam. Also Pürierstab schwingen, Gläser spülen, Etiketten beschreiben und aufkleben, ehe der Start in die Selbstständigkeit beginnen kann. Man schmecke all das einfach. So wie den sehr geringen Zuckergehalt, der unterstreiche, dass Marmelade eben aus Frucht besteht. Und nicht aus Gelierzucker. ≈

Angela von der Goltz

Heute steht Angela von der Goltz in ihrer Marmeladenmanufaktur und berät gerade einen Geschäftsmann, der gegenüber im Hotel übernachtet, da beim Frühstück die Marmelade kennen- und lieben gelernt hat und nun mehr will. Für sich, für die Lieben daheim, für die Kollegen. So geht es eigentlich immer. Jemand schnappt die Produkte mit den goldfarbenen ­Deckeln irgendwo auf, probiert, staunt, will mehr. Dabei gibt es doch genug Marmelade, hatte sich die 54-Jährige anfangs gedacht. Aber eben meist nur die, die in der ­Fabrik hergestellt ist. Mit viel Wasser. Und wenig Liebe.

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Angela von der Goltz

Marmeladenmanufaktur

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H—IM — BEE RE — Wer sich mit Angela von der Goltz zusammensetzt, der driftet im Gespräch schnell ab in ganz andere Themen. Die Welt ist ja gerade ein wenig sehr verrückt geworden, alles dreht sich schneller, jeder will mehr, nachhaltig ist kaum etwas und am Ende können die Menschen den Begriff Nachhaltigkeit nicht mal mehr hören – obwohl viele ihn noch gar nicht begriffen haben. Sie ist viel unterwegs, gönnt sich ausgedehnte Reisen, taucht ein in andere Kulturen und ärgert sich dann manches Mal doch, wenn sie sieht, wie es zu Hause ist. Die Auswahl steigt überall, die Wenigsten können sich einschränken, auch mal loslassen. Da fängt sie lieber bei sich, bei ihrem Sortiment an. Da gibt es so herrliche Kreationen wie Himbeere mit weißer Schokolade, Saure Kirsche mit Espresso oder Feige mit Birne und Portwein. Wer fragt, ob da neue Sorten hinzukommen, erhält als Antwort, dass eher einige weggehen werden. Es ist halt alles immer irgendwie zu viel.

mit weißer Schokolade

Gute zwei Jahre hält sich so ein Marmeladenglas. Was natürlich nur ein theoretischer Wert ist, denn niemand stellt sich so ein Glas hin und starrt dann mehr als 24 Monate drauf. So was muss gegessen werden. Die westfälische Götterspeisenvariante am besten auf hellem Brot – und auch bei allen anderen Sorten gibt Angela von der Goltz gerne Hinweise, was wie am besten zueinander passe. Dabei kommen nicht nur die her, für die es ein Leichtes ist, knapp 5 Euro für so ein Glas zu bezahlen. Auch Studenten wüssten sehr gut, dass Qualität nicht zum Dumpingpreis zu haben sei. Und man sich auch mal was gönnen müsse. So richtig viel Freizeit gönnt sich die Firmeninhaberin nicht. Man merke und vor allem schmecke einfach, wenn sie selber am Kochtopf stehe. Zu viele Köche an der Marmelade, das alte Spiel.

KI—R —SC H—E

mit Espresso

An ihre Vergangenheit, an die vielen Betätigungsfelder? Denkt sie sehr gerne. Und an die Zukunft? An die auch. Aber die spielt sich noch allein in ihrem Kopf ab. Der Punkt ist noch nicht erreicht, an dem irgendwas Neues passieren muss. Wie auch immer das aussehen mag. —


Angela von der Goltz

Marmeladenmanufaktur

B—I —R N—E mit Feige

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5 ist die kleinste Primzahl, die sich aus der Summe aller anderen Primzahlen, die kleiner als sie selbst sind, bildet. Weniger kompliziert ist die Auswahl aus 5 Arbeitsplatten. M i t v i e r M i l l i a rd en verk auf t en Werken – d a ru n t e r d er Klassiker „D i e groß en V ier“ zä hlt Aga t h a Ch ri st i e z u d en erf ol grei c h st en Aut orinnen d er Li t era t u rg esc hic ht e. M i t v i e r versc hie d en en Korpu sbrei t e n b a ust d u d i e erfol grei c h st e Küc he d ein er Woh n k a rri ere .

9 Tage dauert die durchschnittliche ­Pauschalreise – oder die ­Lieferung ­deiner neuen ­Küche.

2 Farben braucht eine Wespe, um alle um sie ­herum in Alarmbereitschaft zu bringen. 2 ­Farben braucht eine Küche, um die Aufmerksamkeit ­einer Branche auf sich zu ziehen. Mit 88,5 cm ist die TischmanierKüche nicht nur ungefähr so groß wie eine ausgewachsene Deutsche Dogge, sondern hat auch noch die perfekte Arbeitshöhe.

Tischmanier

Küchen

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SEIT 6 JAHREN MACHEN WIR WERBUNG. FÜR 6 ­KÜCHENFIRMEN. WIR HÄTTEN UNS HOCH6 NENNEN SOLLEN. BIS WIR DIE ERSTE EIGENE KÜCHENFIRMA GEGRÜNDET HABEN.


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Vier ­Küchen kaufst du durchschnittlich in ­deinem ­Leben. Jetzt brauchst du nur noch eine.

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70 B i o • l • e c

Biohof

k e • r Doch, doch, kann

Jörg Schulze Buschhoff

man essen. Sehr gut sogar. Als Suppe. Oder auch sonst so.

Eben sind drei Damen an Jörg Schulze Buschhoff vorbeigelaufen, haben erst einen Blick auf die riesigen Kürbisse auf seinem Feld und dann in ihre Gesichter geworfen. So groß, die kann man nicht mehr essen. Waren sie sich sicher. So groß, die sind jetzt richtig lecker, weiß Jörg Schulze Buschhoff. Und Buschhoff muss es wissen. Er hat Gemüseanbau studiert, seine Frau dabei kennengelernt. Er weiß, dass Kinder etwas Zeit brauchen, ehe sie Rosenkohl mögen. Er hat in seinem reichen Fundus Karotten, die innen lila sind, rechnet dir gerne vor, dass eine Avocado vielleicht schmackhaft ist, aber durch ihre Trunksucht so viel Wasser benötigt, dass man sie mit so richtig gutem Gewissen nicht essen könne. Und überhaupt, hat der heimische Gemüsegarten nicht genug Leckeres zu bieten? ≈


Jรถrg Schulze Buschhoff

Biohof

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Jรถrg Schulze Buschhoff

Biohof

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Jรถrg Schulze Buschhoff

Biohof

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ist. Und er gleichzeitig kei­ ner ist, der Zitrusfrüchte von weit her verfrachtet. Er ist eher so ein Realo unter Biohof

den Ökologischen. Wie wir da so über seine Felder in

Jörg Schulze Buschhoff

Richtung Rote Bete-Ernte gehen, da gesteht er auch, dass er mit seinen Kin­ dern – er hat gleich fünf – auch mal Fast Food isst. So schlimm sei das nicht. Also als A ­ usnahme. Ohne Ausnahme füllt er seine Kisten mit den Dingen, die er selber für gut und richtig hält. Ökullus Gemüse nennt sich sein Unternehmen, Ökullus-Kiste das, was er für seine Kunden packt. Genau 1253 Artikel finden sich in seinem Webshop, vom Apfel über Rote Bete bis hin zum irgendwie wertvollen Nussbrotaufstrich. Man solle nicht denken, dass die Kiste so ein Überraschungspaket sei, in die das gesteckt wird, was gerade vom Baum gefallen ist. Die Zeiten des Fallobstes seien längst vorbei, sagt Jörg, nimmt einen makel­ losen Apfel aus einer Kiste, nickt, und legt ihn wieder zurück. Braune Stellen? Kann sich heute niemand mehr erlauben. Und auch das Bestücken der Kisten läuft ganz anders: Der Kunde sucht sich aus den 1.253 Artikeln das für ihn Passende aus, er kann bis Dienstag, 9 Uhr, noch in seinem Warenkorb hin- und herschieben. Dann ist Schluss, einen Tag später wird gepackt, am Donnerstag dann ausgeliefert. Kühlfahrzeuge machen sich dann auf den Weg zu den Kunden, die meist

Seit 1999 gibt es diese Kisten, seit März diesen Jahres ist Jörg mit seinem Team in eine neue, große Halle umgezogen, kann jetzt Gemüse und Fleisch in insgesamt 180 Quadratmeter großen Kühlhäusern unterbringen. Drau­ ßen warten die Packteams und Transporter, drinnen Ziegen­ käse und Steckrüben, Zitronen und Rotkohl. Sicher, er lege Wert auf regionale Produkte. Aber man müsse eben auch realistisch sein. Steckrübe alleine rockt nicht. Also arbeitet er mit einigen der rund 600 Biolandbetrieben in ganz NRW zu­ sammen, vertraut auf den Großhändler in Coesfeld, der das besorge, was auch bio ist. Aber eben von weit her kommt. Als er mit seiner Frau vor 20 Jahren seinen Schwiegereltern erzählte, dass sie es mit dem Gemüseanbau auf ihrem Land versuchen wollten, haben die erst gestaunt. Und dann gelacht. Romantiker, werden sie gedacht haben. Stellten aber dennoch Land zur Verfügung, sollten sie sich doch austoben. Heute? Haben Perspektive und Meinung gewechselt. Aus der Idee ist ein ordentliches Unternehmen geworden, mit einem Traumjahr 2015 und einem vielleicht nicht ganz so wahnsinnigen 2016. Man wolle aber nicht klagen. Auf dem Feld hocken die Mitarbeiter auf der feuchten Erde und ernten Rote Bete. Sieht nach Knochenarbeit aus. Ist es wohl auch. Aber dauere gar nicht so lange, und irgendwie gäbe es keine Maschine, die das so gut könne wie Menschenhände. Also wird weiter mit dem Messer abgetrennt und in eine Kiste gelegt, was Tage später in der nächsten Kiste landet. Wer mit Jörg durch die Kühlräume geht, der staunt. Hätte man sich nicht so vielfältig vorgestellt. Bananen, Fleisch vom Bioschwein, Joghurt, rote Paprika, alles da. Und noch viel mehr, was die meisten gar nicht mehr kennen. Und was doch zu gut, zu lecker ist, um in Vergessenheit zu geraten.

alle nennen, ein riesiger

vom Jörg, wie sie ihn hier

dass der Gemüsegarten

über die Webseite auf Ökullus gestoßen sind. Die Tore zwi­ schen der Holzfassade, die wie große Obstkisten aussehen, öffnen sich dann und heraus fahren die Kühltransporter, bis oben hin bepackt mit grünen Kisten, auf dem Weg zum Kun­ den, der manchmal zu Hause ist, häufig auch den Schlüssel der Garage bei Ökullus abgegeben hat.

Dazu muss man wissen,

Münster sei, da ist sich Jörg sicher, ein richtig gutes Pflaster für seine Idee. Hier werde Genuss noch gelebt, nicht auf den allerletzten Cent, sondern vielmehr auf Qualität geachtet. Service sei wichtig, dieses Immerdranbleibenander­ Idee, das Nielockerlassen. Vielleicht ist das der Grund, ­warum er ungern in den Urlaub fährt. Und ihm auch das Essengehen nicht so wichtig ist. Zu Hause werden die Lebensmittel, die in Topf und Pfanne landen, eh frischer als anderswo sein. Jetzt, kurz vor der Weihnachtszeit, sind zwei Dinge der Renner in Shop und Kiste. Rotkohl und Suppen­ grün. Die Klassiker halt. Und auch Weihnachtsbäume. Passen zwar nicht in die Kiste, gibt es aber auch hier. Ökologische Bio-Weihnachtsbäume, gibt’s die überhaupt? Naja, wachsen ja nicht von allein so schnell, erzählt Jörg, als wir auf dem Rückweg zum Hof sind. Da helfen viele Chemikalien und Hor­ mone mit, damit in Windeseile und mit minimalem Verlust aus sehr kleinen Bäumen sehr große werden. All das: gibt’s hier bei Ökullus natürlich nicht. Und das Wort natürlich dürfe man hier ruhig wörtlich nehmen. —


Jรถrg Schulze Buschhoff

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Küchen

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Und plötzlich hast du eine ­Küchenfirma

Am Ende waren es nur ein gutes Dutzend Mitwisser, die wussten, was wir machten. Die mit uns berieten, die mit uns fieberten. Selbst Freunden gegenüber deuteten wir nur kurz und knapp an, dass das hier kein HOCH5-Bau, sich darin nicht nur Gedanken über Werbung gemacht werden würden.

Und jetzt: sind wir mittendrin, im Abenteuer Tischmanier. Die Webseite ist online gegangen, die Möbel sind produziert, der Logistiker Rhenus in Berlin konnte schon die ersten Lieferwagen und Montageteams losschicken. Wir eröffnen im Herbst einen Showroom in Münster, einen in Berlin. Gehen mit der Agentur gleich mit, zeigen hier, wie gut unsere Küche in die Altstadtwohnung, die Villa, das Studentenappartement, die Ferienwohnung, das Office, eigentlich überall hinpasst. Sich für den Umzug auseinander, in der neuen Wohnung wieder zusammenbauen lässt. Dann vielleicht doch als Insel? Oder in zwei Teilen? Als Zeile? Oder vielleicht doch ganz anders. Du entscheidest. —

Küchen

15 Monate lang verbrachten wir so neben der normalen Agenturarbeit mit einem Thema, das uns erst neu, dann sehr vertraut war. Gründeten die Freiraum14 GmbH, erzählten allen, dass wir uns jetzt mit Shopdesign beschäftigten und verbuchten es als Notlüge. Als die Bagger anrollten, ließen wir alle in dem Glauben, dass wir für HOCH5 bauen würden. Dem Anruf eines aufgeregten Küchenhändlers, dass er gehört habe, dass wir in seiner unmittelbaren Nähe einen Küchenshowroom eröffnen wollten, entgegneten wir mit der Wahrheit: Wir sind doch eine Werbeagentur. Er hatte ja bei HOCH5 angerufen.

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Brust

Bernd Ahlert

Restaurant

Wir würden uns für die Brust ­entscheiden. Also würden wir gefragt. Werden wir aber nicht. Es sei auch komplett falsch, den ­Namen allzu ernst zu nehmen. Oder ihn eins zu eins übersetzen zu wollen. Also dann lieber doch Brust und Keule. Und alles, was da noch so dranhängt.

oder Anfangs, da war Ahlert so richtig glücklich mit dem Namen seines Restaurants. Klang doch nach Frankreich, lehnte sich an an den Film von Louis de Funès, alles perfekt. Dann wurde er doch immer unglücklicher, weil Menschen all das nicht wirklich verstanden. Und dachten, man müsse sich entscheiden. Und fände nur Wildes auf der Speisekarte. Heute aber, da hab ich mich mit dem Namen arrangiert. Passt schon. Sagt der, der schon vieles gemacht hat. Jura studiert, ausgeholfen, mitgearbeitet, als Journalist geschrieben und Blätter gemacht, wie man es in unserer Branche so macht. Und dann eben ein Restaurant. Eines, das nicht nur seine Wurzeln in Frankreich haben sollte, sondern sich der französischen Küche widmen sollte. ≈

Keule


Bernd Ahlert

Restaurant

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Bernd Ahlert

Restaurant

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Acht Jahre ist das her. Acht Jahre in einem Wohnblock, bei dem der, der zum ersten Mal hierherfährt, an seinem Navigationssystem zu zweifeln scheint. Das soll hier sein? Ein Top-Restaurant, ausgezeichnet, erste Liga? Das Navi hat nicht gelogen, Auto geparkt, die paar Treppchenstufen runter zum unscheinbaren Eingang gelaufen und vor verschlossener Tür gestanden. Dauert ein wenig, bis unser Klopfen gehört wird. Reinkommen, ablegen, umschauen. Mehr als 100 Weinflaschen drängen sich hier in den Fokus des Gastes, nichts von der Stange, von der Palette. Alles selber ausgesucht, aber es habe, sagt Ahlert, und man schaut ihm dabei automatisch direkt ins Gesicht, lange gedauert, ehe Nase und Gaumen so weit waren, dass sie gut von aber mal so richtig gut unterscheiden konnten. Längst hat er die Ausbildung zum Sommelier gemacht, weiß genau, welcher Tropfen zu welchem Gericht passt. Bereist die Winzer, die ihn beliefern, wählt aus, bestellt, empfiehlt. Das Ergebnis schaut den Besucher neugierig und gespannt an. Und andersherum. Wie sich entscheiden? Ganz einfach. Ahlert ist keiner, für den das Betreiben eines Restaurants hinter dem Schreibtisch beginnt und über den Büchern endet. Er steht ganz vorne, sagt "Hallo" zu denen, die kommen und "kommen Sie bald wieder" zu denen, die gehen. Er berät, zum Wein, zum Essen. Geht auch nicht anders, sagt Bernd Ahlert, denn wenn ein Restaurant spitze ist, heißt es nicht, dass auch der Gewinn einer ist, der in die Höhe schießt. Er wuselt also von vorne nach hinten, schaut in der Küche vorbei, kümmert sich um alle 40 Plätze, die jetzt, von Herbst bis Weihnachten so voll sind, dass spontane Besucher feststellen müssen: Spontaneität ist klasse. Nur hier nicht. Wir sind ausgebucht, wenn du am Wochenende kommst, sagt Ahlert. Und meint damit auch: Wir sind ausgebucht, wenn du in der Weihnachtszeit kommst. Und nicht einen der Tage wählst, an denen wenige kommen. Dienstag vielleicht; wer früh anruft, der erhöht seine Chance. So ist das halt mit den guten, den exklusiven Dingen. Sie sind so gut, weil es sie eben nicht im Überfluss gibt. ≈


Bernd Ahlert

Restaurant

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Bernd Ahlert

Restaurant

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Bernd Ahlert

Restaurant

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Wir haben nichts gegessen. Wir besuchen Ahlert und sein Team zur Mittagszeit, hinter uns wird die Tür wieder verschlossen, innen drin wird das vorbereitet, das offiziell um 18.30 Uhr startet. In der Küche steht Marc Klingenberg, der nicht lange überlegen musste, ob er hier die Küche leiten wollte. Dabei war er schon bei vielen. Bei Großen und Kleinen, bei Hochdekorierten. Hier aber könne er gestalten, bekoche ein Publikum, das wisse, dass man auch mal ein Wagnis eingehen, sich überraschen lassen muss. Es vergehe keine Woche, in der er nicht herumtüftele, neu ausprobiere, verfeinere. Eine echte Konstante? Ist der Schokokuchen zum Dessert, auch wenn der Begriff Schokokuchen ungefähr so irreführend wie der Name des Restaurants ist. Es sei nur so viel verraten: Das ganze Arrangement ist weit mehr als ein Kuchen.

Aber wir kommen wieder.

Bernd Ahlert

Restaurant

Klingenberg kümmert sich gerade um den riesigen Wolfsbarsch, der abends als Filet vom bretonischen Wolfsbarsch mit Shitake-Risotto, Senfkohl und Vadouvansauce aufgetischt wird. Noch ist der Fisch am Stück, die Augen klar, die Kiemen rot wie das Blut, das eben noch durch sie pulsierte. Top Ware, sagt der Küchenchef. Teure Ware weiß der, der sich auskennt. Wenn du auf regionale Küche setzt, wenn du weißt, dass du aus einem 08/15 Lebensmittel kein Spitzengericht kochen kannst, dann weißt du, wo du sparen kannst. Und wo ganz sicher nicht.

Und wählen dann Fisch. Es wird nicht viel geredet in der engen Küche, Töpfe und Siebe sammeln sich an der Wand, Sellerie wird in kleine Streifen geschnitten, Wasser brodelt in Töpfen, Karotten werden herbeigeholt, Fleischstücke zerteilt. Es ist diese Atmosphäre, die das Professionelle ausmacht. Zeit, um zu quatschen, zu lachen ist, wenn der letzte Schokokuchen die Küche verlassen hat. Wenn aufgeräumt, gewischt, geputzt, gewienert wird. Ehe morgen wieder alles dreckig ist. Der normale Gang in der Küche des zweitbesten Restaurants Münsters, wie Ahlert ganz ohne Emotionen das Brust oder Keule bezeichnet. Als stünde das fest. Als sei das sicher.

Also nix mit Brust. Aber er hat ja Recht. Die Qualität hält das kleine Team schon lange, immer bestrebt, sich noch ein bisschen weiter gen Decke zu strecken, noch frischer, noch exklusiver zu sein, ohne abzudrehen, die Gaumen derer zu überfordern, die meist zu Überzeugungstätern geworden sind. Sie kamen hierher, weil die Neugierde sie trieb. Und bleiben hier, weil sie immer wieder überrascht werden.

Oder Keule. Es klingt leicht paradiesisch, was sich da in dem kleinen, feinen Restaurant abspielt. Da müsse der Rubel doch nur so rollen. Aber, ach was. Der Blick täusche, häufig ausgebucht heißt nicht Tausende aufs Konto gebucht. Es sei eher ein Muss, dass alle Plätze besetzt seien. Zu teuer seien die Lebensmittel, die hier angerichtet werden, zu gering die Margen, die zu erzielen seien. Beklagen? Will sich Bernd Ahlert gar nicht. Er weiß nur, dass er anders weit mehr verdienen könne. Aber kommt es darauf an? Ach was. —


Bernd Ahlert Restaurant

Es gibt diese Momente, dann, wenn alle Gäste weg sind. Die Schlacht geschlagen. Dann macht er sich selber nen Teller, gönnt sich einen besonderen Wein. Sitzt einfach nur da. Hätte schlechter laufen können, denkt er dann. Sicher, es ist jeden Tag aufs Neue ein Kampf. Voller Einsatz halt. Aber den brauchste eigentlich überall.

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Wenn du als Fleischesser von einer Veganerin eingeladen wirst, beschleicht dich ein mulmiges Gefühl in der Gegend, in der sonst Steaks & Rippchen verdaut ­werden. Wie sagen, dass es nicht schmeckt? Ansprechen, dass man weiß, dass das mit der Massentierhaltung eine Sauerei ist. Und diese Erkenntnis trotzdem nicht ­reiche, um sich abzukehren von Rib Eye, Bienenstich und Königsberger Klopsen. Nachfragen; all die hat? ­Einlassen auf die ewig gestrige Diskussion?

Michaela Kienz

Fragen, die sie wahrscheinlich schon hundertfach gehört

Vegane Küche

Wir hüpfen froschlike vom Bürgersteig über die Grundstücksgrenze auf einen freigelegten Gullydeckel und weiter auf die erste ­Treppenstufe – Gärtner sind gerade dabei, den Vorgarten neu zu gestalten und zu bepflanzen, da kommen Fußabdrücke auf just geharktem Mutterboden nicht wirklich gut. Wenn das nicht vegan ist.

Michaela Kienz wartet schon oben an der Wohnungstür, freundlichste Begrüßung, reinspaziert, rein­ geschnuppert, ein zarter Duft von frischen Kräutern und aromatischen Gewürzen liegt in der Luft. Das, was sie mache, sei frisch, vieles bleibt sogar ganz roh oder wird nur schonend gekocht, oftmals von der ayurvedischen Küche inspiriert, erzählt die 36-Jährige, die das erlebt hat, was viele zu Vegetariern und/oder Veganern macht. Für Ernährung hat sie sich schon als Kind interessiert. Fragten die Eltern, was sie werden wolle, antwortete sie: Was mit Essen. Irgendwie konnte man sich mit dem Kümmern ums Essen kaum was zu Essen kaufen, also plante sie um, wurde Grafikerin, Art Director, Creative Director. Merkwürdi­ gerweise auch noch in der Lebensmittelbranche, entwickelte Ideen für die Großen, die sich selten um die Belange der Kleinen kümmern. Als sie dann noch einen Film über das Schlachten im Schlachthaus sah, rannen die Tränen über die Wangen und der Entschluss stand fest: Wenn schon, dann gleich richtig. Dann gleich vegan, nix mit Tiereausbeuten, das muss doch auch anders gehen. ≈

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Wie es anders geht, steht vor uns auf dem Tisch. Zwei Gläser, darin etwas Dickflüssiges, sehr, sehr Grünes. Oben drauf wenige, knallrote Granatapfelkerne, innen drin ein Mix aus Spinat und Banane, aus vielviel Gemüse, das eben nicht dem müden Dreiklang aus Tomate/ Gurke/Paprika entstammt. Es gibt viel mehr. Hat Michaela, die alle Michi nennen, entdeckt, als sie nach dem Entschluss, sich vegan zu ernähren, neugierig über die Märkte schlich. Ihre hübsche Nase an und in all das hielt, was eben nicht in Holland unter Glas aufgewachsen war. All das erzählt Michi, ohne den pädagogischen Zeigefinger zu heben, ohne bekehren zu wollen. Sicher, auch sie berichtet davon, dass nach der Umstellung der Körper hüpfte vor Glück. Und erst die Gesundheit. Die Migräne verabschiedet sich, Haare, Haut, Fingernägel, alle bedanken sich mit Wachstum und Schönheit für den Verzicht auf Tierisches. Auch das: einfach so erzählt. Ohne zu bekehren.

Michaela Kienz

Vegane Küche

Da erzählt Michi lieber, dass sie eine Freundin hat, bei der die Hühner frei herumflattern, perfekt gehegt, manchmal gar gestreichelt und irgendwo so nett unterwegs, dass sie von denen auch mal ein Ei esse. Und ganz, ganz selten sogar Ziegenkäse. Man könne es auch übertreiben, mit dem veganen Leben. Und sind die schönsten Momente nicht die, bei denen man die eigenen Grenzen hinter sich lässt? Sagt sie nicht, aber denken wir. Wenn man sich so beschäftigt, mit der Ernährung, dann kommt man irgendwann zu dem Satz, dass man ist, was man isst und vieles davon abhänge, was man so in sich reinstopft. Das Leben kommt auf die Waage, alles im Gleichgewicht oder gilt es doch nachzujustieren? Irgendwann, Michi weiß den Zeitpunkt noch genau, saß sie in Amsterdam, die Sonne lachte durch die Bäume, es fühlte sich alles ganz wunderbar leicht und nach vorne gehend und so richtig an, dass sie für sich festhielt: Ich machs. Ich wage es. Ich hänge den Job an den Haken und zieh das mit der Ernährung durch.

Längst hatten sich Freunde und Bekannte und Freunde und Bekannte von Bekannten bei ihr erkundigt, wie denn das, was da auch vor uns auf dem Tisch steht, herzustellen sei. Es gibt einen bunten Salat, Süßkartoffeln, Kichererbsen, wundervolle Soßen aus irgendwas ohne Tier und vor allem ein Geschmackserlebnis, das nicht nach Cola Light, sondern nach ganz wunderbar und vor allem nach mehr schmeckt. Michi kreierte Rezepte, lud noch mehr Freunde ein, sprach mit dem Ex-Chef in spe und gründete Soulfood Kitchen. Sie möchte Menschen begeistern von der überraschenden Vielfalt der pflanzlichen Küche und zeigen, wie gut diese neue Art von Genuss tut. In persönlichen Ernährungsberatungen, verschiedenen Kochkursen und Workshops oder mit außergewöhnlichen Caterings. Die Süßkartoffel zerfällt herrlich im Mund, der Magen sagt: satt, der Gaumen: mehr, der Kopf: wenn so vegan schmeckt, dann bitte viel viel mehr davon. Das scheint Michi irgendwie mitzubekommen und sie stellt einen Kuchen auf den Tisch, der den Backofen nie von innen gesehen hat. Cashewnüsse und Kokosöl ersetzen hier die Milch von der Kuh; wir sind längst an einem Punkt angekommen, an dem uns nicht mehr interessiert, was drinsteckt. Sondern nur noch, dass es schmeckt. Und wie. ≈


Michaela Kienz

Vegane KĂźche

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90 Noch kommen die Gäste direkt in die Soulfood Kitchen, also in Michis Wohnung, Frauen sind in der Überzahl, was nicht wirklich überrascht. Aber auch Jungs, wie Michi sagt, kommen her, alle neugierig, aufgeschlossen, gespannt auf das, was da so kommen mag. Als erstes kommt eine Einführung in die vegane Ernährung, dann wird gemixt und geschnippelt, gestampft und gerührt, ehe alle am Tisch sitzen und über das staunen, was sie da gerade gezaubert haben. Es sei ein zartes Pflänzchen, das sie da gerade zum Wachsen bringe, das weiß auch Michi. Nebenher nimmt sie wieder Grafiker-Jobs an, um sich das leisten zu können, was man zum Leben so braucht. Das sei aber vor allem: Freude. Und die versprüht sie, wenn sie erzählt, was sie bewegt, antreibt. Und Leidenschaft. Die jeder sofort spürt, der ihr gegenüber sitzt. Den sie prüfend anschaut, wenn er am schwarz-weiß geringelten Strohhalm zieht und vom grünen Smoothie kostet. Und nochmal zieht. Und nochmal.

Ab Dezember zieht Michi um.

Vegane Küche

Also nicht raus aus der Wohnung, aber doch mit ihrer Soulfood Kitchen weiter. Dann empfängt sie die, die sich schon mit der veganen Küche auskennen oder nur neugierig schnuppern wollen,

Michaela Kienz

im Tischmanier-Showroom, Alter Steinweg 39. Es wird dann eben doch größer. Und soll doch familiär bleiben.

Wir drücken uns zum Abschied, wissend, dass wir irgendwie all die Fragen, die wir in Kopf und Magen­ gegend fühlten, nicht gestellt haben. Dafür fühlt sich beides, Kopf und Magen, richtig gut an. Kann man mal machen, so vegan essen. Sehr gut sogar. Und sicher auch öfter. Vor dem nächsten Termin laufen wir an einer Imbissbude vorbei, ordern Currywurst und Pommes weiß, fühlt sich gerade nicht wirklich richtig an. Ist aber auch lecker. —


Michaela Kienz Vegane Küche

Zutaten:

Zubereitung:

3-4 Blätter Grünkohl (ohne Stiel) 2 Handvoll Spinat 1 kleines Stück frischer Ingwer (ca. 1 cm) 1 reife Banane 1 Orange Saft einer halben Zitrone etwas Zimt und Vanille etwas Wasser (je nach gewünschter Konsistenz)

Als Erstes das Obst und den Ingwer in den Mixer geben und im Anschluss das Grün, Zimt und Vanille hinzufügen und alles zu einem cremigen, leicht dickflüssigen Smoothie mixen. Mit leuchtend roten Granatapfelkernen und geschälten Hanfsamen garnieren und langsam genießen.

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WER WAR DAS? Anne, Kathi, Tobias, Kiki

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Impressum HOCH5 Verlags GmbH & Co. KG Borriesstr. 11, 32257 Bünde +49 (0) 5223 79 23 700 V. i. S. d. P.: Tobias Heyer Postadresse HOCH5 GmbH & Co. KG Alter Steinweg 39 48143 Münster +49 (0) 251 85 701 770 Auflage: 5.000 Stück Druck: RHEINPFALZ Verlag und Druckerei GmbH & Co. KG


Wir, das ist die HOCH5 GmbH & Co. KG. Wir sitzen in Bünde, wenn es nach dem ­Handelsregister geht. Wir sitzen in Bünde, Bielefeld, Berlin und Münster, wenn es nach unseren Stand­ orten geht. Wir, das sind 35 Festangestellte, die sich um alles kümmern. Strategie, Konzept, Text, Foto, Grafik, Web, E-Mag. Kein Freelancer, kein ­Stockfoto.

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Du wärst auch gerne drin, in unserem ­Magazin? Dann mail uns, ruf uns an, komm vor­ bei. Wir versprechen nichts. Wir halten alles. Erzähl uns deine Geschichte. Und wir sagen dir, ob es auch unsere Geschichte wird.

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Nichts aus der Konserve, alles selbst erdacht, selbst gemacht. Jedes Foto, jedes Wort stammt von Tobias Heyer. Die Gestaltung hat Kirstin Kassen entwickelt und umgesetzt. ­Katharina Lütgert übernahm die Bildretusche, Anne Lüneburg die Koordination und das Lektorat. Das wars. Ganz einfach.

Das HOCH5 in Münster erscheint so häufig, wie wir es wollen. Drin steht, was wir spannend finden. Was in der kommenden Ausgabe steht? Ehrliche Antwort: Wir wissen es noch nicht. Aber das wird. Ganz sicher.

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Wenn du bei uns Anzeigen schalten willst, sind wir neugierig. Darauf, ob deine Werbung, deine ­Anzeige zu uns passt. Wenn du so was auch kannst, so schreiben, so fotografieren, so gestal­ ten, dann meld dich bei uns. Und wir ­beschnuppern uns. Wenn du so was auch willst, für dein Kundenmagazin, für deine Webseite, für deine Firmenkommunikation, dann schreib, mail, telefonier mit uns. Wir machen nicht alles. Aber das, was wir machen, tun wir aus voller ­Überzeugung. Mit voller Überzeugung. Auf unsere Weise. So wie das HOCH5 für Münster. Wenn du uns Manuskripte schickst, müssen wir dir schon jetzt sagen: Danke für die Mühe. Aber drucken werden wir das nicht.


GEDRUCKTES LIEBEN WIR. Anne, Kathi, Tobias, Kiki Dieses Heft

Was wir auch lieben? Wenn das ­Gedruckte plötzlich zum ­Leben erwacht, sich bewegen kann, verschwindet und ­wieder auftaucht, man es auch hören, verändern, mitgestalten kann.

Darum gibt es das HOCH5 Paper auch als E-Mag. Im App Store. Für dein Smartphone, ­ deine Finger, deine Sinne. Ab dem 1. 12. 2016. Die Spannung steigt.

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