Hörnerdörfer G’schichtle
August 2022 | Ausgabe 5
Bewusstsein statt Begehrlichkeiten – was Alpwirtschaft für die Region bedeutet Interview mit Kreistagsmitglied Armin Kling
Armin Kling
Armin Kling, Jahrgang 1982, aus Obermaiselstein, ist von Beruf Landwirt. Der Berufung nach ist er Landschaftspfleger, Traditionserklärer, Heimatverliebter und engagierter Fürsprecher der Oberallgäuer Kulturlandschaft. Ob im Trachtenverein, im Fachbeirat des Tourismusverbandes, im Kreistag, im Gemeinderat oder als Gastgeber – Armin Kling weiß, wovon er spricht, und er sagt es so, dass man es versteht. Deshalb haben wir nachgefragt, was man sich unter Alpwirtschaft vorzustellen hat. ■ Hörnerdörfer Magazin: Kürzlich durften zwei Damen bei der Aktion Senn auf Zeit das Älplerleben ausprobieren. Sie waren fünf Tage auf einer Sennalpe. Beide berichten, dass sie ein tieferes Verständnis für die Natur, die Arbeit und die Produkte gewonnen hätten. Muss man das am eigenen Leib erfahren haben, damit man es schätzt?
was ist, wenn uns die Idealisten ausgehen? Was ist, wenn der Bauer vor lauter Bürokratie die Kühe im Stall nicht mehr sieht? Wir müssen die Betriebe und die landwirtschaftlichen Berufe zukunftsfähig erhalten und den Wert ihrer Arbeit verdeutlichen. Senn auf Zeit war eine gute Aktion, so ein Projekt kann helfen: Eine Kommunikation, die einfach und direkt vermittelt und Betriebe, die sich öffnen und Bewusstsein für ihre Produkte schaffen.
stellt. Das sichert auch die Attraktivität für andere Branchen. Es gibt an die hundert Betriebe mit mehr als 250 Beschäftigten mit Sitz im Allgäu, die von der Attraktivität der Region profitieren. Eine gute Infrastruktur, Naherholung und ein gesundes Umfeld sind ja keine unwesentlichen Standortfaktoren.
■ HM: Ist die Landschaft nicht selbst das wichtigste „Produkt“? Immerhin stützt sich der Tourismus in der Region zu einem großen Teil auf die landschaftliche Idylle im Allgäu.
AK: Die Älpler, Hirten, Rechtler und Landwirtsfamilien schaffen die Basis. Man muss sich klarmachen: Das Allgäu ist eine Kulturlandschaft. Nur durch Hege und Pflege wird das erhalten, was Generationen zuvor erschaffen haben. Das heißt, die Alpflächen müssen beschlagen (vgl. Lexikon) werden – sonst würde ganz schnell alles zuwuchern. Der Bergwald muss bewirtschaftet werden, damit er seine Schutzfunktion behält. Landschaftspflege ist in einer Kulturlandschaft immer auch Naturschutz – am Berg wachsen immerhin zehnmal mehr Arten als auf einer Wiese im Tal. Alles, was man hier sieht ist keine Selbstverständlichkeit, das muss wieder ins Bewusstsein. Und man muss die Begehrlichkeiten im Zaum halten – es muss nicht alles 24 Stunden am Tag verfügbar sein, es braucht nicht noch eine und noch eine gebaute „Attraktion“ für den Gast. Traditionell war der Tourismus im Allgäu ein Angebot am ländlichen Leben in den Alpen teilzunehmen, Einblick zu bekommen. Das macht seinen Charme aus, auch heute noch. Und wenn alle Seiten Rücksicht aufeinander nehmen und realistisch bleiben, ist genug Idylle für alle da.
■ HM: Was ist die Rolle der Alpwirtschaft zwischen Natur, Wirtschaft und Tourismus?
AK: Natürlich ist die Landschaft wichtig. Aber sie ist hier bei uns keine künstliche Kulisse für Urlaubsgäste, sie ist in erster Linie „Produktionsstandort“ für hochwertige Lebensmittel, also Milch und Fleisch. Diese Qualität ergibt sich auch daraus, dass man auf Regionalität und Nachhaltigkeit achtet. Lokale Produzenten gut vernetzen und hohe Standards einhalten, wie sie zum Beispiel der Allgäuer Alpgenuss e.V. auf-
Armin Kling: Wir werden nicht jeden auf die Alpe schicken können (lacht), aber im Grunde ist das die Herausforderung in der Alpwirtschaft. Es ist sicher immer viel Idealismus dabei, bei den Alp- und Talbetrieben. Wobei, das muss man betonen, die Talbetriebe das Rückgrat der Alpwirtschaft sind! Aber 10
Aus dem Lexikon Recht•ler, die, m Plural: die ein Recht haben und / oder ausüben, hier: das Recht zur Bewirtschaftung von Alpflächen. Der Rechtler-Status gründet auf sehr alten, gewohnheitsrechtlichen Befugnissen. Bis heute sind es Verbände, die sich zur Bewirtschaftung der Kulturlandschaft im Allgäu zusammengeschlossen haben. So besitzt etwa die Alpe Lochbach als Wald- und Weidegenossenschaft ca. 50 Hektar Weide und 40 Hektar Wald. Zum Verständnis: 1 Hektar sind hundert mal hundert Meter, also 10.000 Quadratmeter. Damit verantwortet diese Alpgenossenschaft eine Fläche, doppelt so groß wie Insel Mainau im Bodensee. Über die wirtschaftliche Nutzung wird gemeinsam entschieden, es sind neun Rechtler stimmberechtigt. Wichtig: Das Recht selbst liegt jeweils auf der Hofstelle, sprich der Hausnummer, und nicht auf Personen. beschlagen,/ beschlágen/, Verb, lokale Bedeutung: einer Alpweide Vieh zuweisen, das in den Sommermonaten dort weidet; ist die Alpe mit Milchvieh beschlagen wird die Milch gewöhnlich vor Ort verarbeitet vgl. Sennalpe Der Beschläger bringt das Vieh auf die Alpe. Aufgrund langjähriger Erfahrung weiß man wie viele Tiere auf welche Fläche passen, damit sie im Herbst satt und gestärkt ins Tal zurückkehren. Durch die Beweidung werden Lichtweiden und Magerwiesen erhalten, die als Habitat für teils seltene Arten dienen.