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Wie Pflegekräfte im ambulanten Bereich den Einsatz von Telepräsenz systemen einschätzen – Eine qualitative Studie Julia Geier, Melanie Mauch, Maximilian Patsch, Denny Paulicke
by Hogrefe
Originalarbeit
Wie Pflegekräfte im ambulanten Bereich den Einsatz von Telepräsenzsystemen einschätzen
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Eine qualitative Studie
Julia Geier1,4 , Melanie Mauch2,4, Maximilian Patsch3,4, Denny Paulicke5,6
1Institut für Pflegeforschung, Gerontologie und Ethik, Evangelische Hochschule Nürnberg 2Neurologische Klinik, Klinikum Stuttgart 3Diabetologie und Kardiologie, Klinikum St. Elisabeth und St. Barbara Halle (Saale) 4Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 5Dorothea Erxleben Lernzentrum Halle, Medizinische Fakultät, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 6Internationale Graduiertenakademie, Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Medizinische Fakultät, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Zusammenfassung: Hintergrund: Technische Assistenzsysteme werden zunehmend als Lösungsansatz diskutiert, um die gesundheitliche Versorgung älterer Menschen zu unterstützen und die Autonomie im Alter möglichst lange aufrecht zu erhalten. Auch Telepräsenzsysteme (TPS) werden im Zuge dessen im Rahmen von Pflegetätigkeiten eingesetzt. Ziel: Die Studie verfolgt das Ziel, zu beschreiben, inwiefern Pflegekräfte TPS für den Einsatz in der ambulanten Pflege als geeignet einschätzen. Methode: In Fokusgruppen (n = 4) in Sachsen-Anhalt wurde im Anschluss an eine Vorstellung eines TPS über Einsatzmöglichkeiten, Probleme und Potenziale in Bezug zur Einsatzfähigkeit in der ambulanten Pflege diskutiert. Die Datenauswertung erfolgte mittels der Dokumentarischen Methode nach Bohnsack, Nentwig-Gesemann & Nohl (2007). Ergebnisse: Das vorgestellte TPS wurde für die praktische Anwendung im ambulanten Bereich aufgrund fehlender Technikkompetenzen aller Beteiligten, nicht ausreichender Funktionalität des Geräts sowie ethischen und Finanzierungsfragen als eher ungeeignet eingeschätzt. Die Möglichkeit, den Kontakt zwischen Pflegebedürftigen und Angehörigen durch das Gerät zu intensivieren, wird als äußerst positiv erachtet. Weitere Einsatzoptionen könnten die schnelle Kontaktaufnahme in Notfallsituationen oder die Betreuung der Medikamenteneinnahme sein. Schlussfolgerung: TPS sind für den Einsatz in der ambulanten Pflege nicht ausgereift. Zur Entfaltung ihres Potenzials wäre die frühzeitige Einbindung von Pflegekräften bei der Entwicklung von Pflegetechnologien entscheidend. Der Erwerb von Technikkompetenzen bereits in der Pflegeausbildung würde Pflegekräften dabei helfen, an diesem Entwicklungsprozess teilzunehmen. Schlüsselwörter: Telepräsenzsystem, Assistenzsysteme, ambulante Pflege
How nurses assess telepresence systems in outpatient care – A qualitative study
Abstract: Background: Robotic assistance devices are reviewed as being promising technological developments in healthcare to assist elderly patients and to foster autonomy in their home environment as long as possible. Also, telepresence systems (tps) currently in use to facilitate several nursing tasks are reviewed under the same perspective. Aim: The study aims to describe how nurses estimate the use of a tps in outpatient care. Method: After a presentation of a tps, focus groups of nurses (n = 4) in Saxony-Anhalt discussed freely on possible applications, concerns and potential of the system in outpatient care. The analysis followed the documentary method developed by Bohnsack, Nentwig-Gesemann & Nohl (2007). Results: The tps presented was considered rather unsuitable for practical application in outpatient care. As main reasons nurses voiced theirs and patients’ lack of technical competence; limited mobility functions of the device; ethical and financial concerns. The opportunity to intensify contact between patients and relatives was considered very positive. Faster contact in case of emergency as well as nurse supervised intake of medication were considered as important further practical applications of the device. Conclusions: Tps are not suitable yet for practical implementation in outpatient care. Acquiring appropriate technical knowledge during nursing education programs can help nurses to participate in the engineering development process this way increasing the potential of such devices and more in general can help nurses to handle more easily further technical innovations in healthcare.
Keywords: Robotic assistance, telepresence system, community nurse, outpatient care
Was ist schon bekannt?
International werden Telepräsenzsysteme in der pflegerischen Versorgung eingesetzt.
Was ist neu?
Telepräsenzsysteme eignen sich nur bedingt für den Einsatz in der ambulanten Versorgung, z.B. für die Kommunikation mit Angehörigen oder die Anwendung in Notfallsituationen.
Welche Konsequenzen haben die Ergebnisse für die Pflegepraxis?
Pflegekräfte sollten in die Entwicklung der telepräsenten Pflegeszenarien eingebunden werden. Die Vermittlung von Technikkompetenzen in der Ausbildung wäre hilfreich.
Einleitung
Der demografische Wandel stellt unsere Gesellschaft vor vielfältige Herausforderungen. Neben dem Anteil älterer Menschen steigt die Lebenserwartung der Menschen weiter an (Statistisches Bundesamt, 2015). Mit steigendem Alter wächst auch die Morbidität und die Abhängigkeit von Leistungen des Gesundheitssystems (Murray et al., 2015), wodurch sich angesichts des sich weiter verschärfenden Pflegefachkräftemangels Fragen der adäquaten Versorgung quantitativer sowie qualitativer Natur stellen. Zwischen 1996 und 2008 wurden rund 50.000 Vollzeitstellen abgebaut (DIP, 2009). Weniger Pflegekräfte müssen demnach zum einen mehr und zum anderen verstärkt multimorbide Patienten und Patientinnen versorgen, was zu einer entsprechend höheren Arbeitsbelastung führt (Storm, 2018). Mit dem „Ageing in place“-Ansatz wird versucht zu ermöglichen, dass älter werdende Menschen an einem Ort ihrer Wahl leben und bei Bedarf unterstützt werden können (Boldy, Grenade, Lewin, Karol & Burton, 2011), nicht zuletzt um die Ressourcen des Gesundheitssystems zu schonen.
Im Zuge dieser Situation werden zunehmend neue, innovative Lösungsansätze auch im Bereich technischer Assistenzsysteme diskutiert. Eine Vielzahl von Förderlinien (u. a. BMBF, 2008, 2018), die das Ziel verfolgen, den Verbleib älterer Menschen in der Häuslichkeit zu realisieren und somit auch Versorgungsengpässen zu begegnen, sind aus diesem Grund in den letzten Jahren auf den Weg gebracht worden. Da keine Differenzierungsmöglichkeiten der Begrifflichkeiten in der Pflege vorliegen, werden technische Assistenzsysteme, assistive Technologien oder auch Digitalisierung häufig synonym verwendet (Kunze & König, 2017). Rösler, Schmidt, Merda und Melzer (2018) teilen aus diesem Grund die Digitalisierung im Pflegebereich in vier Bereiche ein: Elektronische Pflegedokumentation, Technische Assistenzsysteme, Telecare und Robotik. Telepräsenzsysteme (TPS) tangieren sowohl den Bereich der Robotik als auch den Bereich Telecare. TPS bezeichnen in der Regel Maschinen, die über Fernsteuerungen bewegt werden können. Diese Systeme ermöglichen es, via Internet in Echtzeit mit nicht physisch anwesenden Personen zu kommunizieren, was durch die Anbringung eines Mikrofons und einer Webcam erreicht wird. Kennzeichnend für diese Art von Systemen ist die Mobilität des Geräts durch das Anbringen von kleinen Rädern, wobei die Lenkung über das Internet erfolgt, sodass eine Interaktion mit der Umwelt stattfinden kann (Vaughn, Schaw & Molloy, 2015). Die Entwicklung von TelecareAnwendungen hat laut Rösler et al. (2018) gerade erst begonnen, sie sind entsprechend bei Pflegekräften wenig bekannt.
Es gibt eine Vielzahl von Forschungsprojekten, die sich mit telepräsenten Anwendungen im Rahmen der Pflege auseinandersetzen, auch mit dem Ziel, den genannten gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Beispielsweise werden Einsatzmöglichkeiten eines TPS in Bezug auf die Entlastung pflegender Angehöriger erforscht (Hochschule Fulda, 2017). Bakas et al. testen 2018 in den USA das „T-CHAT“-Programm, bei dem eine Pflegekraft mittels eines TPS eine Beratung von älteren Menschen zu Gesundheitsthemen wie dem Management von chronischen Erkrankungen durchführt. Die Evaluation zeigt eine hohe Zufriedenheit im Hinblick auf Nützlichkeit, Anwenderfreundlichkeit und Akzeptanz. Die Autoren und Autorinnen sehen in dieser Technologie eine große Chance, Menschen trotz weiter Entfernungen für gesundheitliche Themen zu erreichen. Eine mixedmethods-Studie von Moyle, Jones, Dwan, Ownsworth und Sung (2018) beschäftigt sich mit dem TPS „Giraff“ und dessen Wirkung auf Menschen mit Demenz. So berichten die Teilnehmenden, dass sie sich mit dem Gegenüber durch das TPS verbunden fühlen und eine gewisse Präsenz der Person trotz Entfernung wahrnehmen. Eine weitere explorative Studie von Kristoffersson, Coradeschi, Loutfi & Severinson-Eklundh (2011) fokussierte sich auf die Akzeptanz von TPS und kam zu dem Schluss, dass die Kommunikation zwischen Pflegekräften und Pflegebedürftigen mittels TPS den Pflegebedürftigen Sicherheit trotz Entfernung geben kann. Auch in der psychiatrischen Pflege wurden vielversprechende Ergebnisse durch den Einsatz von Telenursing erzielt. Beebe et al. (2008) stellen einen positiven Effekt von „Telenursing Interventions“ auf die Einhaltung von Medikamentenverordnungen bei ambulanten Patienten und Patientinnen mit Schizophrenie fest. In einer qualitativen Studie führen Boissy, Corriveau, Michaud, Labonte und Royer (2007) jeweils eine Fokusgruppe mit älteren Menschen mit Einschränkungen und Angehörigen des Gesundheitssektors durch. Dabei wurde eine intensivere Kommunikation, Beratung bezüglich Medikamenteneinnahme und ein erhöhtes Sicherheitsgefühl der Patienten und Patientinnen als positive Auswirkungen des TPS-Einsatzes im ambulanten Pflegesetting skizziert.
Die Anzahl und inhaltliche Spannbreite der in den letzten Jahren durchgeführten Studien zeigt die Aktualität und Bedeutung von telepräsenten Technologien auch für die pflegerische Versorgung. Für den deutschsprachigen Raum gibt es bisher keinerlei Studien, die die Einstellungen von Pflegekräften gegenüber Telepräsenzsystemen im pflegerischen Kontext der ambulanten Versorgung in den Blick nehmen.
Ziel und Fragestellung
Ziel der Studie ist es deshalb zu erörtern, ob und inwieweit die ambulante Pflege in Deutschland, aus Sicht der Pflegekräfte, vom Einsatz von TPS profitieren kann. Im Fokus stehen dabei die professionellen Pflegekräfte aus dem ambulanten Bereich, da diese über umfassende Expertise verfügen, um Situation und Rahmenbedingungen für den möglichen Einsatz einschätzen zu können. So soll sichergestellt werden, dass die Technikentwicklung für den Gesundheitsbereich nicht an den Bedarfen der Nutzer und Nutzerinnen vorbeigeht. Deshalb ist die Fragestellung dieser Arbeit: „Wie schätzen Pflegekräfte den möglichen Einsatz von Telepräsenzsystemen im ambulanten Bereich ein?“ Im Fokus stehen mögliche Anwendungsfelder, Chancen und Grenzen des Einsatzes von TPS sowie notwendige Bedingungen für mögliche Schulungen von Pflegekräften.
Methodisches Vorgehen
Forschungsdesign
Um die qualitative Fragestellung nach der subjektiven Einschätzung der Pflegekräfte in Bezug auf den Einsatz des TPS beantworten zu können, wurden Fokusgruppen durchgeführt, da der kollektive Erfahrungsraum, entstehend durch den gegenseitigen Ideen- und Erfahrungsaustausch der Gruppe, interessierte.
Rekrutierung
Nach einer orientierenden Standortrecherche von ambulanten Pflegediensten in Sachsen-Anhalt wurden insgesamt 28 Pflegedienstleitungen dieser Dienste postalisch und per E-Mail kontaktiert, mit der Bitte Pflegekräfte ihrer Einrichtung für die Durchführung einer Fokusgruppe zu gewinnen. Die Teilnehmendeninformation (siehe elektronisches Supplement ESM1), die Einwilligungserklärung (elektronisches Supplement ESM2), sowie Flyer des Projektes (elektronisches Supplement ESM3) wurden mit einem Anschreiben versendet. 14 der kontaktierten Pflegedienste liegen im Innenstadtbereich in Halle (Saale) und 14 im ländlichen Bereich in Sachsen-Anhalt. Es folgte eine telefonische Kontaktaufnahme. Die Einschlusskriterien für die Pflegedienstauswahl besagen, dass das Einsatzgebiet des Pflegedienstes in Sachsen-Anhalt liegen müsse und der Pflegedienst für die interaktive Vorführung des TPS „Double 2“ über ein stabiles W-LAN verfügen sollte. Lehnten Pflegedienstleitungen die Teilnahme ab, wurde kein weiterer Kontaktversuch unternommen. Bei der rekrutierten Teilnehmendenzahl handelt es sich um ein „convenience sampling“ (Kromrey & Strübing, 2009). Folgende Einschlusskriterien lagen für die teilnehmenden Pflegekräfte zugrunde: Es wurden nur examinierte Pflegekräfte im Bereich Krankenpflege, Altenpflege oder Kinderkrankenpflege angesprochen, die mindestens zwei Jahre Berufserfahrung im ambulanten Bereich vorweisen konnten. Dieses Kriterium wurde in Anlehnung an das Kompetenzstufenmodell nach Benner (2017) festgelegt. Demnach sollen die Teilnehmenden mindestens über die Qualifikation eines „Fortgeschrittenen Anfängers“ verfügen. Mit diesen Kriterien sollte gewährleistet werden, dass die Pflegekräfte umfassend mit den Bedingungen ihres Arbeitsplatzes in der ambulanten Pflege vertraut sind und über ausreichend Praxiserfahrung verfügen, um die Einsatzmöglichkeiten und Grenzen des TPS realistisch einschätzen zu können. Darüber hinaus wurden gute Kenntnisse der deutschen Sprache vorausgesetzt, um die reibungslose Durchführung der Fokusgruppen sicherzustellen.
Datensammlung
Für die Gestaltung der Fokusgruppen lag ein halbstrukturierter Leitfaden (elektronisches Supplement ESM4) vor, dessen Erstellung mittels der Richtlinie von Kallio, Pietilä, Johnson und Kangasniemi (2016) stattfand. Demnach fand ein erstes Peerreview des Leitfadens in der Arbeitsgruppe statt. Es folgte ein Experten-Review und ein Pretest mit vier Pflegekräften mit dem Ziel die Präsentation und den Interviewleitfaden auf Verständlichkeit zu testen. Eine Modifikation, die sich aus dem Pretest ergab, bestand darin, eine interaktive Vorstellung des TPS durchzuführen anstatt eine Power-Point-Präsentation zu dem Gerät zu präsentieren. So wurden im Zeitraum von April bis Juli 2018 vier Fokusgruppen, rekrutiert aus jeweils vier Pflegediensten durchgeführt. Nach einer informierten Studieneinwilligung wurde in einem interaktiven Teil das TPS vorgeführt, wozu eine Internetverbindung nötig war. Die Teilnehmenden konnten das Gerät ausprobieren und Fragen stellen. Im Anschluss wurde zur Diskussion der Fokusgruppen übergegangen. Beide Teile wurden mit jeweils zwei Audioaufnahmegeräten aufgezeichnet. Drei der Fokusgruppen fanden in den Räumlichkeiten der Pflegedienste statt, eine im Dorothea-Erxleben-Lernzentrums der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg. Außer den Forschenden und den in ihrer Freizeit an der Studie teilnehmenden Pflegekräften waren keine Personen anwesend. Die konkrete Durchführung der Fokusgruppengespräche folgte den Empfehlungen von Krueger und Casey (2015). So moderierte ein Forschender die Fokusgruppe, während der oder die andere Feldnotizen anfertigte. Die Fokusgruppengespräche inklusive der Vorstellung des Geräts dauerten zwischen 42 und 60 Minuten.
Datenauswertung
Die aufgenommenen Fokusgruppengespräche wurden im Anschluss mit dem Softwareprogramm „F4“ nach den Transkriptionsregeln nach Dresing und Pehl (2015) ver-
schriftlicht. Die Auswertung erfolgte mit der Dokumentarischen Methode nach Bohnsack, Nentwig-Gesemann & Nohl (2007), da die im Gruppenprozess entstehenden Sichtweisen bezüglich des TPS für die Fragestellung von besonderer Bedeutung sind. Im Fokusgruppengespräch interessierte besonders der „konjunktive Erfahrungsraum“ (Bohnsack et al., 2007, S. 211), der eine von der konkreten Gruppe gelöste Kollektivität beschreibt und durch die Teilhabe an Handlungspraxen und gemeinsamen Bedeutungsstrukturen entsteht. So sind die gemeinsamen Einstellungen oder Orientierungen der Pflegekräfte hinsichtlich des TPS, die sich im menschlichen Miteinander und der gelebten Praxis ausdrücken, entscheidend. Orientierungen beschreiben in diesem Zusammenhang identifizierte fallübergreifende Themen, die abstrahiert werden konnten (Bohnsack et al., 2007).
Im ersten Schritt der Analyse wurde mit dem Ziel, einen strukturierten Überblick über das Datenmaterial zu erhalten, ein thematischer Verlauf erstellt (Bohnsack et al., 2007). Das Transkript wurde anhand von thematischen Abhandlungen von Seiten der Teilnehmenden in „Passagen“ eingeteilt. Der nächste Analyseschritt bestand in der Durchführung der „formulierenden Interpretation“ (Bohnsack et al., 2007), die eine Feingliederung des Textes ermöglichte. Eine Passage wurde dabei in Ober- und diese wiederum in Unterthemen aufgeteilt, die jeweils thematisch benannt und paraphrasiert wurden. In der „reflektierenden Interpretation“ wurde die Explikation der Handlungsorientierungen durchgeführt (Bohnsack et al., 2007). Die Themen, die besonders intensiv und häufig an verschiedenen Stellen der Gespräche auftauchten, wurden nach dem Prinzip des minimalen Kontrasts als „homologe Sinnstrukturen bzw. Orientierungen“ identifiziert. Nach Betrachtung dieser Orientierungen innerhalb der einzelnen Fälle folgte im Sinne einer „komparativen Analyse“ (Bohnsack et al., 2007) der Vergleich der vier Transkripte untereinander. Es konnten 14 Orientierungen identifiziert werden. Im Sinne der „sinngenetischen Typenbildung“ (Bohnsack et al., 2007) wurden diese Orientierungen anschließend durch Präzision zu Basistypiken abstrahiert, wobei zwei Basistypiken mittels des Prinzips des „maximalen Kontrasts“ bei der „soziogenetischen Typenbildung“ voneinander abgegrenzt werden konnten. Die vier vorliegenden Transkripte wurden für die Analyse auf die Forschenden aufgeteilt und in Einzelarbeit bearbeitet. Nach jedem Analyseschritt wurden die Ergebnisse im Forschungsteam besprochen und über Uneinigkeiten diskutiert, bis ein Konsens hinsichtlich der Paraphrasierung und Codierung erreicht wurde. Als unterstützendes Softwareprogramm diente „MAXQDA“. Im Hinblick auf die Ergebnisberichterstattung wurde das COREQ-Statement verwendet.
Ethische Aspekte
Auf die Prüfung des Forschungsprojekts bei der Ethikkommission der Universität Halle-Wittenberg wurde verzichtet, da die Pflegekräfte als Studienteilnehmende keine vulnerable Gruppe darstellen. Des Weiteren wurden keine sensiblen Themen in den jeweiligen Fokusgruppen angesprochen. Die Studie orientierte sich an den Richtlinien zur guten klinischen Praxis (ICH, 2009).
Ergebnisse
Die vier durchgeführten Fokusgruppen setzen sich aus insgesamt 27 Pflegekräften aus dem ambulanten Setting zusammen, wobei diese in unterschiedlichen Arbeitsfeldern tätig sind. Der Großteil der Befragten ist in der ambulanten pflegerischen Versorgung tätig, wenige Pflegekräfte sind derzeit in der Tagesbetreuung eingesetzt. Abgesehen von zwei Ausnahmen nahmen nur Frauen teil. Die Zusammensetzung der Fokusgruppen ist in Tabelle 1 dargestellt.
Die Basistypiken werden im Folgenden mit den identifizierten Orientierungen und illustrierenden Ankerbeispielen dargestellt, wobei sich oftmals Orientierungen auch beiden Basistypiken zuordnen lassen, wie in Abbildung 1 deutlich wird.
Die befragten Pflegekräfte zeigen großes Interesse an technischen Systemen zur Unterstützung und Entlastung der Pflegekräfte, gleichzeitig war die Skepsis hinsichtlich des konkreten Systems des TPS sehr hoch. Diese Ambivalenz zeichnet sich in den abstrahierten Basistypiken ab: „Offene Einstellung bezüglich des Einsatzes des Telepräsenzsystems in der ambulanten Pflege“ (Basistypik 1) und „Skeptische Einstellung bezüglich des Einsatzes des Telepräsenzsystems in der ambulanten Pflege“ (Basistypik 2).
Tabelle 1. Soziografische Daten der Fokusgruppen
FG1 FG2 FG3 FG4
Anzahl Pflegekräfte 13 Geschlechterverteilung weiblich Region Land 2
weiblich
Stadt 6 6
4 weiblich, 2 männlich weiblich
Land Stadt
Altersspanne in Jahren zwischen 21 und 62 zwischen 40 und 50 zwischen 25 und 55 zwischen 21 und 62 Arbeitsbereiche ambulante Pflege + ambulante Pflege ambulante Pflege ambulante Pflege Führungsperson und Tagespflege und angegliederte + Führungsperson Tagesbetreuung
Abbildung 1. Überblick der identifizierten Basistypiken und den dazugehörigen Orientierungen.
Offenheit
Die Orientierung „Nutzung durch Angehörige“, beschreibt die vorrangig positive Einstellung der Teilnehmenden gegenüber der Möglichkeit verstärkter Kommunikation zwischen Pflegebedürftigen und Angehörigen. Im Speziellen geht es hier um die soziale Komponente der Kontaktaufnahme auf beiden Seiten, aber auch der Absicherung für die Angehörigen, dass es der betroffenen Person gut geht: „Naja, aber es wäre für mich dann eine Sicherheit, wenn ich irgendwo bin und nach Hause gucken kann und mit Mutti / Ist alles noch in Ordnung?“ (FG1, S. 24, Z. 851). Die Pflegekräfte versetzen sich in die Lage der Angehörigen hinein und betonen, dass eine Kontaktaufnahme mittels TPS hilfreich wäre, um sich zu vergewissern, dass es den Menschen, um die sie sich sorgen, gut geht. Dass hier die Kamera eine wichtige Rolle zu spielen scheint, wird durch den Ausdruck „nach Hause gucken“ deutlich.
Der Einsatz in Notfallsituationen wird als mögliches Einsatzszenario gesehen: „So könnte man das Ding halt dahin fahren, wo der Patient liegt, wenn es ihm schlecht geht. Er kann nicht aufstehen und hat eben ein Gesicht schon vor sich und weiß‚ aha, alles gut, kommt gleich jemand.“ (FG3, S. 5, 133 – 136). Dabei wird beschrieben, welche Vorteile ein TPS gegenüber einem Hausnotruf hätte. So wird ein hypothetisches Szenario der Pflegekräfte, in dem durch ein Signalwort eine Notfallverbindung aufgebaut werden könnte, als äußerst positiv beschrieben. Die Ersteinschätzung der Notfallsituation und die Beruhigung des Patienten oder der Patientin wird als wünschenswert benannt. Weitere Einsatzmöglichkeiten des TPS in der häuslichen Pflege werden in der Assistenz der Medikamenteneinnahme und in Beratungskontexten, beispielsweise der Wundbegutachtung erkannt.
Skepsis
Ein vielfach diskutiertes Thema und deshalb auch eine generierte Orientierung beschäftigt sich mit der Rolle des Alters hinsichtlich der Technikakzeptanz sowohl von Patienten- und Patientinnenseite als auch von Personalseite: „Vielleicht in 20 Jahren, wenn wir diejenigen sind, die so was brauchen. Oder in 40 (lachen). Wir akzeptieren vielleicht so was dann doch eher als die heutige Generation“ (FG1, S. 4, Z. 168 – 170); „Bei diesem älteren Personal ist es wiederum schwierig, dass die mit der Technik klarkommen.“ (FG2, S. 10, Z. 491 – 492). Die Pflegekräfte beschreiben, dass eher wenig Akzeptanz auf Seiten der älteren zu versorgenden Menschen vorherrscht, sich dies aber mit dem Wandel der Generationen ändern wird. Auf der Personalseite werden Schwierigkeiten im Umgang und in der Bedienung des TPS gesehen und festgestellt, dass die meisten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zunächst eine Grundqualifikation benötigen, um diese Kompetenzen erlernen zu können.
Ethisch relevante Aspekte finden sich etwa in der Orientierung „Überwachung“. Dabei werden vor allem Aspekte der Privatheit thematisiert, die mit dem virtuellen Eintritt in die Häuslichkeit der Pflegebedürftigen aufkommen: „Das ist natürlich ein Überwachungstool, ganz klar. Ich kann zur Medikamentenbox hinfahren und gucken.“ (FG3, S. 23, Z.351 – 352). Die mögliche Kontrolle des Patienten oder der Patientin durch das Pflegepersonal oder die Angehörigen wird kritisch gesehen.
Die Orientierung „Ungenügende Funktionalität des Geräts“ beschreibt die Einstellungen der Teilnehmenden, dass das TPS nicht genügend bzw. nicht die richtigen Funktionen bietet, um für den Praxiseinsatz in der ambulanten Pflege geeignet zu sein: „Wenn es erkennen könnte,
dass ein Notfall eingetreten ist. Das wäre eine schöne Sache.“ (FG1, S. 9, Z. S. 426). Das TPS müsste laut den Pflegekräften Gefahren ausweichen, Hindernisse überwinden können und am besten durch Sprache bedienbar sein, um in der Häuslichkeit einsatzfähig zu sein. Eng verbunden damit ist die Orientierung „Infrastrukturelle Bedingungen“, die sich mit baulichen, technischen oder strukturellen Gegebenheiten beschäftigt, die notwendig für den Einsatz des TPS sind bzw. diesem entgegenstehen: „Na, ich denke mal, Stufen. Das werden so diese Probleme sein.“ (FG2, S. 11, Z. 547). So wird angemerkt, dass das vorgestellte TPS nicht für die Bedingungen, die in der Häuslichkeit vorzufinden sind, ausgestattet ist. Außerdem wird die unzureichende Internetverbindung in ländlichen Gebieten für die Bedienung als großes Hindernis genannt. Die nächste Orientierung wurde mit „Fürsorge nur von Menschen“ betitelt. Hierbei geht es um die Einstellung der teilnehmenden Pflegekräfte, dass Geräte wie das TPS den Menschen nie ersetzen, sondern nur unterstützen sollten. Vor allem bei pflegerischen Tätigkeiten, die Nähe und Körperkontakt beinhalten, sollte nach Meinung der Befragten auf die Nutzung von Technik verzichtet werden, wobei sie sich auf die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen beziehen: „Aber trotzdem sehe ich das große Problem eher in der Hinsicht wirklich, dass die Leute lieber Menschen dann bei sich hätten.“ (FG3, S. 6, Z. 176 – 178). So wird betont, dass die zwischenmenschlichen Kontakte durch den Einsatz des TPS nicht verringert werden dürften, da dies weder dem Wunsch der Pflegebedürftigen entsprechen noch eine als erstrebenswerte gesellschaftliche Entwicklung darstellen würde: „Weil ich weiß sonst nicht, wo unsere Gesellschaft hingeht, wenn ich mich von der Maschine pflegen lassen muss. Also das / die Vorstellung alleine ist (unv.) gruselig.” (FG1, S. 6, Z. 981 – 983). Außer den hier dargestellten wurden folgende Orientierungen im Datenmaterial gefunden, die aus Platzgründen nicht vertieft werden können: Die Orientierung „Anforderungen an den Patienten bzw. Patientin durch Technik“ beschreibt den Blick der Teilnehmenden auf Voraussetzungen, die diese für die Nutzung des TPS erfüllen müssen, vor allem in kognitiver Hinsicht, z. B. bei Menschen mit Demenz. So wird beschrieben, dass einerseits die Bedienung aber auch die Auseinandersetzung mit dem TPS insgesamt Patienten und Patientinnen viel abverlangt, da das Gerät nicht an deren Lebenswelt angepasst zu sein scheint. Zur Orientierung „Mögliche Gefahren durch das Gerät“ gehören Einstellungen zur Privatsphäre und zum Datenschutz wie auch die mögliche Stolper- oder Verletzungsgefahr. Die befragten Pflegekräfte diskutieren in diesem Zusammenhang die Verletzung der Privatsphäre und fehlende Regulierungen, wenn Angehörige oder auch Pflegekräfte sich durch Einloggen im Gerät virtuellen Zugang zur Häuslichkeit verschaffen. Durch das Fehlen von entsprechenden Sensoren am TPS sehen die Befragten auch die Gefahr von Kollisionen mit Personen oder Gegenständen.
In der Orientierung „Finanzierung / Abrechnung“ werden Aspekte zum Umgang mit den Anschaffungskosten des Systems und dem Problem mit der Abrechnung von Leistungen thematisiert und die Orientierung „Zeitmangel und Effizienz“ beinhaltet Aussagen der beteiligten Pflegekräfte, die sich mit der Zeitersparnis oder auch dem erhöhten Zeitaufwand durch die Nutzung des TPS beschäftigen. Die Orientierung „Zukunftsängste“ bezieht sich auf die Frage, wie Pflege zukünftig gestaltet werden kann während die Orientierung „Schulungsbedingungen“ Gedanken der Teilnehmenden zu inhaltlichen und strukturellen Rahmenbedingungen einer möglichen Schulung zum Umgang mit dem TPS und Anforderungen an das geschulte Personal bündelt.
Diskussion
Die herausgearbeiteten Orientierungen auf Seiten der ambulanten Pflegekräfte zeigen eine große Spannbreite an relevanten Themen bezüglich der Fragestellungen. Dies weist auf einen sehr reflektierten Umgang der Pflegekräfte mit dem Einsatz oder der möglichen Implementierung von technischen Innovationen hin. Generell zeigen sich die Pflegekräfte offen und neugierig gegenüber Technikanwendungen, was die herausgearbeitete Basistypik 1 belegt und sich mit den Ergebnissen von Rösler et al. (2018) deckt. Des Weiteren benennen die befragten Pflegekräfte gezielt mangelnde Funktionalität und Bedienbarkeit des Geräts bezüglich des Einsatzes in der Pflege, was die Akzeptanz nachweislich erschwert (Hülsken-Giesler, 2011). Positiv ist die hohe Bereitschaft der Pflegekräfte an der Studie teilzunehmen und teilzuhaben. Dies deutet auf ein ausgeprägtes Interesse der Berufsgruppe an technischen Innovationen im Pflegebereich hin. Als mögliche Einsatzszenarien des TPS wird unter anderem die Kontaktaufnahme zu und von Angehörigen und das dadurch verbesserte Sicherheitsgefühl aller Beteiligten genannt, das auch Kristoffersson et al. (2011) identifiziert. Es wird sowohl auf die Rolle der Angehörigen eingegangen als auch auf die Nutzung für die pflegerische Versorgung. Die Begleitung und Sicherstellung der Medikamenteneinnahme des Patienten bzw. der Patientin ist dabei ein Szenario, das auch Beebe et al. (2008) für Patienten und Patientinnen mit Schizophrenie beschreiben. Die Pflegekräfte formulieren ebenfalls deutlich, welche Tätigkeiten das TPS im Speziellen, aber auch technische Systeme wie etwa Roboter im Allgemeinen ihrer Ansicht nach übernehmen sollten und welche nicht. So berichten die Teilnehmenden der Studie von Moyle et al. (2014) ebenfalls, dass der Einsatz des TPS nicht dazu führen dürfe, dass menschlicher Kontakt ersetzt werde.
Letztlich erkennen die befragten Pflegekräfte sowohl die Chance des Geräts, soziale Isolation möglicherweise zu verringern, sowie die Gefahr, dass sich Pflegebedürftige vor dem TPS fürchten könnten. Auch ethische Gesichtspunkte werden umfassend beleuchtet. Dabei stehen Aspekte wie der Eingriff in die Privatsphäre im Vordergrund. Ähnliche Ergebnisse lassen sich bei Boissy et al. (2007) finden. Die Vorstellung von „guter Pflege“ spielt ebenfalls
eine große Rolle. Das Anliegen, die Bedarfe der Pflegekräfte sowie der Pflegebedürftigen deutlich zu formulieren, wird in den Fokusgruppen klar kommuniziert. Dieser Umstand sollte genutzt werden, um Pflegekräfte gezielt und vermehrt in die Entwicklung von Pflegetechnologien miteinzubeziehen (Fuchs-Frohnhofen et al., 2018). Große Hemmnisse beim Einsatz solcher Technologien in die Pflegepraxis werden nicht nur beim Gerät an sich, sondern auch im Wissens- und Kompetenzstand der Pflegekräfte gesehen. Eine Schulung, die den Umgang mit dem TPS adressiert, sollte demnach möglichst wenig Technikkompetenzen voraussetzen und durch praktische Übungen begleitet werden. Es ist somit von einem hohen Schulungsaufwand auszugehen, der mit der Implementierung von technischen Innovationen einhergeht, wie ihn auch Isfort et al. (2018) hinsichtlich der Nutzung von Kommunikationstechnologien identifiziert. Schließlich werden neben der mangelnden Funktionalität des Geräts und fehlenden Kenntnissen auf Seiten der Mitarbeitenden auch strukturelle Hemmnisse für den Einsatz des Geräts erkannt. Dabei sind vor allem Fragen nach der Kostenübernahme und dem Zugang zum Internet entscheidend. Dieser Aspekt gilt neben der fehlenden Kosteneffizienz und Zweifeln an der Wirksamkeit als Ursache für die allgemein noch geringe Verbreitung von technischen Assistenzsystemen (Weinberger & Decker, 2015).
Limitationen
Im Zuge einer ersten Auseinandersetzung mit dem Thema ließen sich über die Fokusgruppen hinweg ähnliche Orientierungsrahmen identifizieren, somit konnte eine gewisse Datensättigung erreicht werden. Das ursprüngliche Einschlusskriterium der abgeschlossenen Berufsausbildung inklusive mindestens zweijähriger Berufserfahrung in der Pflegepraxis zielte auf Pflegekräfte ab, die derzeit in der Praxis tätig sind. Dennoch waren ungeplant in zwei Fokusgruppen auch Führungskräfte der jeweiligen ambulanten Pflegedienste anwesend. Hiervon geht eine potenzielle Verzerrung aus, da die Führungskräfte zum einen nicht mehr in der Praxis tätig sind, entsprechende Weiterbildungen im betriebswirtschaftlichen Bereich besitzen und zum anderen eventuell das Antwortverhalten der Teilnehmenden beeinflussen können. Obwohl für die Rekrutierung die ambulanten Pflegedienste per Zufall ausgewählt wurden, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es hier aufgrund der freiwilligen Teilnahme zu Verzerrungen gekommen ist. Der Großteil der Interviewten war weiblich, was die Realität der Pflegeberufe widerspiegelt. Das genaue Alter der einzelnen befragten Pflegekräfte wurde nicht dokumentiert, es befanden sich jedoch Pflegekräfte unterschiedlichen Alters und Berufserfahrung in der Stichprobe. Durch kurzfristige Absagen wurde eine der Fokusgruppen aus organisatorischen Gründen mit nur zwei Teilnehmenden durchgeführt. Dadurch war die Gesprächsdynamik eine andere als bei den restlichen Fokusgruppen, jedoch konnten wiederkehrende Orientierungen auch hier gefunden werden. Eine Limitation der durchgeführten Studie besteht indes darin, dass nur ein Gerät einer Firma zur Verfügung stand. Somit beziehen sich die von den Teilnehmenden gezeigten Reaktionen nur auf den „Double 2“, eine Verallgemeinerung auf andersartige Geräte ist nicht möglich. Die Durchführung der Fokusgruppen bezog sich ausschließlich auf das Bundesland Sachsen-Anhalt, somit sind die Ergebnisse auch nur vor diesem Hintergrund zu betrachten. Ferner stellte sich heraus, dass das Einschlusskriterium „stabiles W-LAN“ für die Vorstellung des TPS nicht zwingend notwendig war, da auch über einen Hotspot eine ausreichend stabile Verbindung aufgebaut werden konnte. Zur Qualitätssicherung wurde der gesamte Prozess in Durchführung, Auswertung und Interpretation durch die Teamarbeit der Forschenden begleitet, um die intersubjektive Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2014). Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass andere Forschende die Daten anders interpretieren würden.
Schlussfolgerungen und Ausblick
Die Ergebnisse dieses Forschungsprojektes weisen darauf hin, dass aus Sicht der ambulanten Pflegekräfte das verwendete TPS „Double 2“ in dieser Form nur in Ansätzen für den Praxiseinsatz geeignet ist. Die Pflegekräfte sind gegenüber dem Technikeinsatz sehr offen, betonen jedoch die Notwendigkeit von Kompetenzentwicklung innerhalb der eigenen Berufsgruppe. So bietet es sich an, schon frühzeitig, etwa im Rahmen der Ausbildung, eine Grundqualifizierung im technischen Bereich anzustreben, um Pflegekräfte auch in ihrem weiteren Werdegang in die Lage zu versetzen, mit pflegetechnischen Innovationen umzugehen und auch an deren Entwicklungsprozess teilzuhaben. Bei der Entwicklung von Technikinnovationen erscheint es notwendig, die Pflege als Profession nicht nur mit einzubeziehen, sondern vielmehr die Entwicklung auf die konkreten Bedarfe der Pflegekräfte und Pflegebedürftigen auszurichten. Diese Dringlichkeit wird auch im Memorandum „Arbeit und Technik 4.0 in der professionellen Pflege“ (FuchsFrohnhofen et al., 2018) deutlich. Die Pflegewissenschaft kann hierbei Anforderungen an Technik aus Sicht der Pflegekräfte und aus Sicht der Betroffenen identifizieren, formulieren und kommunizieren und somit eine Übersetzerrolle zwischen Konstrukteuren und Konstrukteurinnen auf der einen sowie Nutzern und Nutzerinnen auf der anderen Seite einnehmen. Dazu bedarf es entsprechender (räumlicher) Möglichkeiten des Ausprobierens und Reflektierens, wie es bspw. in Skills Labs der Fall ist. Wichtig erscheint dabei neben der empirischen Begleitung der Technikentwicklung auch die Evaluationsforschung, um die Auswirkungen implementierter Technologien zeitnah einschätzen zu können. Die Bedingungen, unter denen eine Pflegetechnologie als „nützlich“ für Nutzer und Nutzerinnen erscheint, sind dabei noch weitestgehend unberücksichtigt. Hier bedarf es sowohl einer theoretischen Orientierung, z. B. im Rahmen eines Nutzenmodells für
Assistenztechnologien (Lutze, Glock, Paulicke & Stubbe, in press), in dem Kriterien der Beurteilung festgelegt sind, als auch einer praktischen Einordnung in Prozessen der Pflege.
Elektronische Supplemente ESM
Die elektronischen Supplemente sind mit der OnlineVersion dieses Artikels verfügbar unter https://doi.org/ 10.1024/1012-5302/a000709. ESM1. Teilnehmendeninformation. ESM2. Rekrutierungsflyer 1. ESM3. Rekrutierungsflyer 2. ESM4. Interviewleitfaden.
Literatur
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Historie
Manuskripteingang: 31.05.2019 Manuskript angenommen: 30.08.2019 Onlineveröffentlichung: 06.11.2019
Autorenschaft
Substanzieller Beitrag zu Konzeption oder Design der Arbeit: JG, MM, MP, DP Substanzieller Beitrag zur Erfassung, Analyse oder Interpretation der Daten: JG, MM, MP, DP Manuskripterstellung: JG, MM, MP, DP Einschlägige kritische Überarbeitung des Manuskripts: JG, MM, MP, DP Genehmigung der letzten Version des Manuskripts: JG, MM, MP, DP Übernahme der Verantwortung für das gesamte Manuskript: JG, MM, MP, DP
Danksagung
Unser herzlicher Dank geht an die Pflegekräfte der ambulanten Dienste, die sich sogar nach dem Frühdienst bereit erklärten, an Fokusgruppen teilzunehmen und uns mit einer herzlichen Offenheit empfingen sowie rege an der Diskussion teilnahmen.
Förderung
Die Studie entstand im Rahmen des FORMAT-Projekts. Fördernummer: ZS/2016/07/80201.
ORCID
Julia Geier https://orcid.org/0000-0003-0672-0132
Julia Geier, M.Sc.
Institut für Pflegeforschung, Gerontologie und Ethik Evangelische Hochschule Nürnberg Bärenschanzstraße 4 90429 Nürnberg Deutschland julia.geier@evhn.de
Was war die größte Herausforderung bei Ihrer Studie?
Die Transkription der Fokusgruppengespräche mit bis zu dreizehn Teilnehmenden und den unterschiedlichsten Dialekten.
Was wünschen Sie sich bezüglich der Thematik für die Zukunft?
Die Ausrichtung der Technikentwicklung an den konkreten Bedarfen der Pflegeempfänger und Pflegeempfängerinnen sowie den Pflegenden.
Was empfehlen Sie zum Weiterlesen/Vertiefen?
Das Memorandum Arbeit und Technik 4.0 in der professionellen Pflege von Fuchs-Frohnhofen et al. (2018). Siehe Literatur.
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