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New Work, Wissensmanagement und Organisationsentwicklung – Warum ein „weiter so“ im Krankenhaus nicht funktionieren wird Michael Löhr

New Work, Wissensmanagement und Organisationsentwicklung

Warum ein „weiter so“ im Krankenhaus nicht funktionieren wird

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Michael Löhr

Die Arbeitswelt verändert sich. Fortlaufend. Mal mehr, mal weniger schnell. Aber eines Tages wird sie eine andere sein. Unternehmen verändern sich, weil sie es wollen und weil sie es müssen. Wer weiterhin für Arbeitnehmer attraktiv sein möchte, dem bleibt nichts anderes übrig. Dass es in Deutschland und der Schweiz an Fachkräften im Gesundheitswesen mangelt, ist kein Geheimnis. Daher müssen sich Institutionen wie Krankenhäuser Gedanken darüber machen, wie sie in Zeiten von New Work mithalten und als Arbeitgeber attraktiv bleiben können. Ein Plädoyer für Selbstführung, Ganzheit und evolutionären Sinn.

Die Gesellschaft unterliegt einem grundsätzlichen Wandel. Die Digitalisierung nimmt Fahrt auf. Die Bevölkerung ist mit den Herausforderungen dieses Wandels konfrontiert. Wir werden erleben, dass es in absehbarer Zeit keine von Menschenhand gelenkten Lastkraftwagen mehr geben wird. Künstliche Intelligenz wird getestet, um dem Phänomen der Einsamkeit bei älteren Menschen entgegenzuwirken. Auch bewegen wir uns in einer Zeit, in der kontinuierliches Wachstum durch andere Ideologien abgelöst wird – die Kreativökonomie oder Ökologie. Die junge Generation zeigt uns, dass es eine Werteverschiebung gibt. So ist die Schülerinnen- und Schülerbewegung „Fridays for Future“ die logische Konsequenz eines desaströsen Umgangs mit natürlichen Ressourcen. Auch fi nden wir in der Krankenhauslandschaft schwierige Arbeitsbedingungen, die sich in den letzten Jahren weiter verschärft haben. Hier könnte man volkswirtschaftlich von einem desaströsen Umgang mit Mitarbeiterressourcen sprechen.

Die Tendenz des Wandels zeigt sich im Werteindex des Zukunftsinstitutes aus Frankfurt. So hat der Megatrend „Natur“ von 2016 auf 2018 vier Plätze gut gemacht und steht nun als Top-Megatrend der Zukunft an oberster Stelle. Der Megatrend „Erfolg“ hat in den letzten Jahren immer stärker abgenommen und befi ndet sich im Werteindex Ranking 2018 nur noch auf Platz 6. Die gesellschaftlichen Megatrends spiegeln sich über die Mitglieder der Gesellschaft in den Unternehmen wider, somit auch im Gesundheitswesen.

Bildungsstand so hoch wie nie

Zu den Megatrends gehören die Wissenskultur, die Konnektivität, die Gesundheit und New Work. Beim Thema Wissensmanagement zeigt sich, dass die Wissensgenerierung am besten in dezentralen Strukturen funktioniert. Auch muss festgehalten werden, dass der globale Bildungsstand so hoch wie noch nie ist. Wissen verliert seinen elitären Charakter. Die multifaktoriellen Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt sind hoch und werden aller Wahrscheinlichkeit nach noch steigen.

Es zeigt sich immer deutlicher, dass es kollaborative Formen der Wissensaneignung gibt. Hierfür braucht es eine

hohe Methodenkompetenz. Hier schließt sich der nächste Megatrend der Konnektivität an. Für Wissensgenerierung und Wissensaneignung, Wissensverbreitung und Wissensimplementierung braucht es Netzwerkkompetenzen.

Vernetzung nötig

Hier gilt ein ganzheitliches Verständnis, das durch den digitalen Wandel deutlich geprägt wird. Die Vernetzung zeigt sich als dominierendes Prinzip im gesellschaftlichen Wandel. Die Generationen Y und Z bewegen sich heute schon in ihren Netzwerken, die sich über den Globus ziehen. Facebook, Instagram und Twitter sind nur ein paar Beispiele, wie Vernetzung heute funktioniert. Dementsprechend öff net die Vernetzung ein neues Kapitel in der Evolution der Gesellschaft.

Das Thema New Work ist ein weiterer Megatrend, der im Kontext des Wissensmanagements und der Organisationsentwicklung zu betrachten ist. Der Soziologe Prof. Frithjof Bergmann entwickelte den Ansatz New Work in den 1960er-Jahren in der Automobilindustrie in den USA. Der New Work-Ansatz geht davon aus, dass sich Arbeit demokratisieren sollte (Bergmann & Schumacher, 2005). Es braucht einen Wechsel aus der reinen kapitalistischen Betrachtungsweise hin zu einer kreativ ökonomischen Sichtweise.

New Work im Krankenhaus – passt das?

Alte Modelle von Arbeit weichen neuen fl exiblen Formen. Dabei muss sich allerdings jeder fragen, was er wirklich machen will. Die wenigsten Menschen setzen sich mit dieser Frage konkret auseinander. Dies setzt den Wandel der Unternehmensstruktur voraus. Weg von Kommando und Zeitstrukturen, hin zum selbstbestimmten Handeln und digitaler Vernetzung. New Work umfasst fünf zentrale Punkte: • bei der Strategieentwicklung werden Mitarbeiter mit einbezogen • moderne und demokratische Führungskultur • Flexibilität • Agilität • kreativer Arbeitsraum

Nun stellt sich die Frage, wie diese Themen in einem hierarchisch geprägten Unternehmen wie einem Krankenhaus diskutiert werden können. Dazu zuerst eine kurze Beschreibung, wie Wissensmanagement verstanden werden kann. Einerseits wird die Organisation als Wissenssystem aufgefasst. Dementsprechend kann Wissensmanagement als zielgerichtete Gestaltung organisationaler Lernprozesse verstanden werden. Es braucht eine hohe Agilität und Flexibilität. Demgegenüber steht die Aufb austruktur eines Krankenhauses, die häufi g in Säulen gedacht wird und aufgebaut ist. Damit stehen sich Wissensmanagement und die Aufb austruktur nach klassischer Stablinienform diametral entgegen.

Komplex bis chaotisch

In diesem Zusammenhang wird von einer Silo-Organisation gesprochen. Silodenken steht für dominantes Abteilungsdenken und -handeln. Jede Abteilung wurschtelt, denkt und entwickelt für sich. Gedankenaustausch und grenzenlose Zusammenarbeit fi nden nicht statt, damit auch keine gemeinsamen Lösungen. Für agile Strukturen braucht es allerdings kollaborative Organisationsformen. Häufi g gibt es noch die Idee, dass die Kernleistung eines Krankenhauses durch Lean-Prozesse organisiert werden kann. Dies entspricht allerdings wenig der Komplexität bzw. den chaotischen Anforderungen, die aufgrund des täglichen Bedarfes des Patienten defi niert wird.

Standard-Lean-Prozesse funktionieren dann, wenn es weitreichende Klarheit über den Bedarf bzw. die Anforderung gibt und die Methoden, wie damit umgegangen wird, klar beschrieben sind. Die täglichen Anforderungen in der Patientenversorgung sind nicht einfach und nicht kompliziert, sondern eher komplex bis chaotisch. Dies wiederum braucht eine andere Form der Agilität, um mit diesen Herausforderungen umzugehen. Diese Form der Agilität stößt an die Grenzen einer versäulten Aufb auorganisation.

Steile Hierarchien funktionieren bei Abläufen von geringer Komplexität

Je höher die Komplexität ist, desto mehr braucht es dezentrale Verantwortungsstrukturen, die in Netzwerken funktionieren können. Diese Herausforderung, Wissensmanagement auf der einen Seite in Krankenhausabläufe

zu implementieren und parallel Organisationsentwicklung zu betreiben, ist eine enorme Kraftanstrengung. Sie scheint notwendig, da auch andere Unternehmen im Gesundheitswesen diese Ressource für sich erkannt haben.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden zukünftig schauen, welche kreativen Entwicklungsmöglichkeiten sie im Kontext ihres Arbeitslebens haben. Die dem Militär angelehnte Aufb auorganisation eines Krankenhauses als Stablinienorganisation entspricht nicht den Anforderungen an eine dem besten Patienten-Outcome unterworfene Unternehmensausrichtung, sondern zementiert Machtstrukturen. Der akute Fachkräftemangel in den Krankenhäusern kommt daher nicht von ungefähr. Ein Grund dafür sind die wenig demokratischen Arbeitsbedingungen. Frederic Laloux beschreibt drei zentrale Bereiche, wie Unternehmen ihren Wertekanon verändern sollten, um den Anforderungen an komplexe Situationen gerecht zu werden:

1. Selbstführung 2. Ganzheit 3. evolutionärer Sinn

Hohe Kompetenzen in der „Selbstführung“

Steile Hierarchien können in Unternehmen mit geringer Komplexität in der Produktion Sinn ergeben. Ansonsten sind hohe Kompetenzen im Bereich der „Selbstführung“ nötig. Es geht weniger um Machthierarchien und mehr um den Aufb au natürlicher Hierarchien über Beratungsprozesse. „Ganzheit“ entspricht der Anforderung, den Mitarbeitenden als Person ganzheitlich wahrzunehmen, um eine Entfaltung der Kreativität für den „evolutionären Sinn“ des Unternehmens zu schöpfen. Das Ganze kann zur Entwicklung von Leidenschaft für die eigene Arbeit führen.

Frithjof Bergmann spricht in diesem Zusammenhang, bei der Abstinenz von Leidenschaft im Arbeitskontext, von „Arbeit als milde Erkrankung“ (Bergmann & Schumacher, 2005) – wie bei einer leichten Erkältung, wo man dienstags hoff t, dass es am Freitag wieder vorbei sein wird. Vor diesem Hintergrund stehen Krankenhäuser vor einer großen Herausforderung. Mitarbeitende und potentielle Mitarbeitende werden in Zeiten des faktischen Arbeitskräftemangels überlegen, wie und wo sie arbeiten wollen. Bestehende Systeme zu verändern, ist eine der schwierigsten betrieblichen Aufgaben. Allerdings stellt sich die Frage, was Krankenhäuser machen, wenn vor ihren Pforten Unternehmen entstehen, die Selbstführung, Ganzheit und evolutionären Sinn in ihrer DNA haben. Wahrscheinlich werden die Mitarbeitenden sich überlegen was sie wirklich, wirklich tun wollen.

Literatur

Bergmann, F. & Schumacher, S. (2005). Neue Arbeit, neue Kultur.

Freiburg i. B.: Arbor Verlag.

Prof. Dr. Michael Löhr

Stabsgruppe für Klinikentwicklung und Forschung am LWL-Klinikum Gütersloh, Abteilung für Krankenhäuser und Gesundheitswesen im LWL-PsychiatrieVerbund Westfalen, Honorarprofessur Psychiatrische Pfl ege an der Fachhochschule der Diakonie (FHdD) Bielefeld

michael.loehr@lwl.org

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